Fragen über Fragen zu den Pflegegraden - Kaysers Consilium

 
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Fragen über Fragen zu den Pflegegraden - Kaysers Consilium
Dr. med. Andreas Stockmanns, Thomas Claes, Frank Theunissen, Dr. Jürgen Freitag, Dr. med. H.-G. Kaysers

Fragen über Fragen zu den Pflegegraden

Bereits im Jahr 2016 waren die bestehenden Pflegestufen über die OPS-Kodes 9-984.-
kodierbar. Mit dem Zweiten Pflegestärkungsgesetz (PSG II) zum 01.01.2017 wurde der
Pflegebedürftigkeitsbegriff grundlegend neu definiert. Eine wesentliche Änderung be-
stand in der besonderen Berücksichtigung der eingeschränkten Alltagskompetenz, um
den Bedürfnissen von Menschen mit demenzbedingten Fähigkeitsstörungen, einer
geistigen Behinderung oder psychischen Erkrankungen besser gerecht werden zu kön-
nen. Die mit dem neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff einhergehende Überführung der
Pflegestufen in Pflegegrade fand deshalb auch im OPS 2017 ihre Berücksichtigung.
Aufgrund der fehlenden Erlösrelevanz dieser OPS-Kodes in den Jahren 2016 und 2017
wurde die Dokumentation von vielen Kliniken noch nicht ernst genommen und aus
diesem Grund vielfach gar nicht oder vollkommen unzureichend kodiert.
Dabei war bereits im Jahr 2016 absehbar, dass den Pflegegraden bzw. den entspre-
chenden OPS-Kodes eine Erlösrelevanz zugewiesen werden sollte.
Viele Leistungserbringer ließen in der Anwendung und Erfassung der Kodes jedoch
kostbare Zeit verstreichen, um sich dann im Jahr 2018 plötzlich und unerwartet mit
dessen Erlösrelevanz als Zusatzentgelt (ZE 162/ ZE 163) konfrontiert zu sehen.
Ausdruck dieser unzureichenden Akzeptanz des OPS-Kodes in den letzten beiden Jah-
ren sind große Unterschiede bei den Erfassungsquoten für die Pflegegrade.
Diese spiegeln sich auch in den Daten unserer Mandanten des Jahres 2017 wieder.

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Fragen über Fragen zu den Pflegegraden - Kaysers Consilium
Die Heterogenität in den dargestellten Krankenhäusern ist weniger Abbild des unter-
schiedlichen Leistungsspektrums als vielmehr der (fehlenden) Ernsthaftigkeit in der
Anwendung einer nicht-erlöswirksamen OPS-Neuerung zuzuschreiben.
Dem InEK hat diese überaus defizitäre Erfassung der Pflegestufen im Jahr 2016 bereits
bei der Kalkulation des Zusatzentgeltes für das Jahr 2018 nicht unerhebliche Schwie-
rigkeiten bereitet. Zusätzlich erschwerend stellte sich die Überleitung der Pflegestufen
auf Pflegegrade dar.

Wie das mit neuen OPS-Kodes nun mal so ist, rücken diese auch erst dann in den Fokus
des Interesses der meisten Kostenträger und des MDK, wenn sie zu einer Erlöskompo-
nente werden. Vielfach werden auch dann erst die Probleme und Unklarheiten evi-
dent, die sich um die Kodierung neuer Kodes ranken – so auch in diesem Fall.
Aus den Erfahrungen der ersten beiden Monate des Jahres 2018 lässt sich bereits er-
kennen, dass die konsequente Umsetzung der Pflegegraddokumentation aktuell noch
viele Fragen offen lässt.

Die aus unserer Sicht häufigsten und wichtigsten Fragen haben wir im Folgenden zu-
sammengestellt und versucht, diese mit einem möglichst pragmatischen Ansatz zu be-
antworten. Uns ist bewusst, dass wir nicht die „neutrale Instanz“ darstellen können,
die seit langer Zeit für offen stehende Fragen rund um das DRG-System zu fordern ist.
Eine verbindliche Beantwortung der Fragen und Unsicherheiten sollte zeitnah durch
die Selbstverwaltung erfolgen. Ansonsten muss im Rahmen der Kalkulation – wieder
einmal – auf eine unzulängliche, nicht valide Datengrundlage zurückgegriffen werden.
Es sollten für alle Beteiligten – Krankenhäuser und Krankenkassen – dieselben Spiel-
und Abrechnungsregeln gelten, da drohende Missverständnisse ansonsten auch zu fal-
schen Abrechnungen führen.

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1. Die neuen Zusatzentgelte des Jahres 2018 erfordern mindestens einen Pflegegrad
   von 3. Wie ist denn mit den Patienten umzugehen, die mit keinem oder einem
   geringeren Pflegegrad aufgenommen werden, bei denen aber während des Klini-
   kaufenthaltes ein Antrag auf eine Ersteinstufung oder Höhergraduierung gestellt
   und dieses auch kodiert wird (OPS 9-984.f)? Hat das Krankenhaus für diese Pati-
   enten einen Anspruch auf das Zusatzentgelt, sofern die Begutachtung durch den
   MDK während des Krankenhausaufenthaltes einen Pflegegrad von 3 oder höher
   ergibt? Wie ist mit Gutachten umzugehen, deren Ergebnis erst nach dem Aufent-
   halt dem Krankenhaus zugänglich gemacht werden?

   § 33 SGB XI Leistungsvoraussetzungen führt hierzu aus:
   „1) Versicherte erhalten die Leistungen der Pflegeversicherung auf Antrag. Die Leis-
   tungen werden ab Antragstellung gewährt, frühestens jedoch von dem Zeitpunkt
   an, in dem die Anspruchsvoraussetzungen vorliegen. Wird der Antrag später als ei-
   nen Monat nach Eintritt der Pflegebedürftigkeit gestellt, werden die Leistungen
   vom Beginn des Monats der Antragstellung an gewährt.“
   Danach sollte dann doch eigentlich auch den Kliniken das Zusatzentgelt ab dem
   Zeitpunkt der Antragstellung zustehen, sofern ein entsprechender Pflegegrad be-
   gutachtet wurde. Dieser Sachverhalt wird aktuell schon von einigen Kostenträgern
   bestritten.

2. Warum wird den Kliniken der Pflegegrad nicht einfach von den Kostenträgern
   mitgeteilt, denen dieser doch bereits vorliegt?
   Leider wurde es bis zum heutigen Zeitpunkt versäumt, die Mitteilung des aktuellen
   Pflegegrades durch die Kostenträger an die Kliniken zu regeln. Dabei wäre es doch
   für die Kostenträger im Zusammenhang mit dem Eingang der Aufnahmeanzeige ein
   Leichtes, den Kliniken den Pflegegrad per DTA zu übermitteln.

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Dies würde auch im Kontext des seit dem 01.Oktober 2017 gesetzlich geregelten
   Entlassungsmanagements nicht nur Sinn machen, sondern ist auch zum Zwecke ei-
   nes aus Gesetzgebersicht gewünschten Kooperationsgedankens absolut notwen-
   dig.Die Krankenhäuser sind nach der Einwilligung des Patienten verpflichtet, das
   Entlassmanagement durchzuführen. Die Krankenkassen sind verpflichtet, das Ent-
   lassmanagement zu unterstützen. Sollten bereits bei dem Minimalkonsens der
   Übermittlung des Pflegegrades von Kostenträger- an die Krankenhausseite angeb-
   liche Datenschutzbedenken vorliegen, wäre das gesamte Entlassmanagement zum
   Scheitern verurteilt.

3. Wie erhalte ich denn dann zuverlässige Angaben zu den Pflegegraden?

   Das ist eine der großen Herausforderungen des Jahres 2018. Egal, wie vollständig
   und umfassend die Pflegeanamnese ist, wie versiert das Casemanagement im Ein-
   holen relevanter Informationen ist und wie gut ein Sozialdienst vernetzt ist. Es wird
   immer eine nicht unbeträchtliche Anzahl von Patienten geben, bei denen es nicht
   möglich ist, eine valide Information zum Pflegegrad zu erhalten. Hier werden zeitli-
   che und personelle Ressourcen verpulvert, die an anderer Stelle fehlen, weil der Da-
   tenaustausch einfach nicht geregelt ist. Dabei könnte es so einfach sein!

4. Wie gehe ich mit Fällen um, bei denen die Informationen über die Höhe des Pfle-
   gegrades nicht evaluiert werden können?

   Aus unserer Sicht sollte man pragmatisch an die Sache herangehen und nach bes-
   tem Wissen und Gewissen kodieren. Ein Patient gibt beispielsweise einen Pflege-
   grad 3 an, schränkt jedoch ein, sich nicht so ganz sicher zu sein. In solchen oder
   ähnlichen Fällen ist es nicht zweckdienlich, weitere Detektiv- und Validierungsarbeit
   zu leisten. Der Pflegegrad sollte dann nach den vorliegenden Erkenntnissen aus Ei-
   gen- und Fremdanamnesen kodiert werden. Liegt man mit seiner Einschätzung
   falsch, lässt sich das ggf. im Dialog mit den Kostenträgern klären – die Krankenkasse
   wird sich zumindest bei einer zu hohen Einstufung melden.

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5. Wenn ich keine Informationen habe, der Patient aber augenscheinlich schon seit
   längerem schwerst pflegebedürftig ist. Wie kann ich damit umgehen?

   Auch hier wäre eine pragmatische Herangehensweise (s.o.) sicherlich naheliegend.
   Wie die Kostenträger damit umgehen werden, wenn Kliniken dann komplett dane-
   ben liegen, bleibt abzuwarten. Wird man dies dann als Abrechnungsbetrug werten?

6. Wird es rund um die Kodierung der Pflegegrade auch MDK-Prüfungen geben?

   Selbstverständlich wird das so sein. Die Mindestverweildauer von 5 Tagen eröffnet
   bestimmt ein ganz neues Prüfungsfeld für Verweildaueranfragen zwischen unterer
   und oberer Grenzverweildauer.

7. Gibt es für die Begutachtung nicht auch ein Eilverfahren, nach dem eine Einstu-
   fung schon während des stationären Aufenthaltes erfolgen kann?

   Dies ist in § 18 SGB XI Verfahren zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit geregelt:
   „(3) Die Pflegekasse leitet die Anträge zur Feststellung von Pflegebedürftigkeit un-
   verzüglich an den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung oder die von der
   Pflegekasse beauftragten Gutachter weiter. Dem Antragsteller ist spätestens 25 Ar-
   beitstage nach Eingang des Antrags bei der zuständigen Pflegekasse die Entschei-
   dung der Pflegekasse schriftlich mitzuteilen. Befindet sich der Antragsteller im
   Krankenhaus oder in einer stationären Rehabilitationseinrichtung und
   1. liegen Hinweise vor, dass zur Sicherstellung der ambulanten oder stationären
       Weiterversorgung und Betreuung eine Begutachtung in der Einrichtung erfor-
       derlich ist, oder
       …
   ist die Begutachtung dort unverzüglich, spätestens innerhalb einer Woche nach
   Eingang des Antrags bei der zuständigen Pflegekasse durchzuführen; die Frist

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kann durch regionale Vereinbarungen verkürzt werden. Die verkürzte Begutach-
   tungsfrist gilt auch dann, wenn der Antragsteller sich in einem Hospiz befindet oder
   ambulant palliativ versorgt wird. …“

8. Mit wie vielen Patienten mit einem Pflegegrad ist im stationären Sektor über-
   haupt zu rechnen?

   Auf der Basis der Daten des Statistischen Bundesamtes (DESTATIS) des Jahres 2015
   lag der Anteil der Menschen mit einer Pflegestufe an der Gesamtbevölkerung in der
   Altersgruppe der mindestens 65-jährigen bei 13,7% und für das Altersspektrum der
   mindestens 85-jährigen bei 48,3%. Aufgrund der negativen Risikoselektion bei sta-
   tionären Patienten ist im Kliniksektor in den o.g. Altersgruppen sicherlich von signi-
   fikant höheren Quoten auszugehen.
   Valide Daten zu den im Krankenhaus zu erwartenden Werten liegen aktuell zwar
   nicht vor, jedoch haben unsere Erfahrungen der letzten beiden Jahre gezeigt, dass
   bei Patienten der Altersgruppe ≥ 65 Jahre davon ausgegangen werden kann, dass
   mindestens 20 – 25% über eine Pflegestufe/ einen Pflegegrad verfügen. Natürlich
   variiert dieser Anteil je nach Fachabteilungs- und Leistungsspektrum. Jedoch nivel-
   liert die Fokussierung auf diese Altersgruppe zumindest schon einmal die „verdün-
   nenden“ Effekte einer Pädiatrie oder Geburtshilfe.

Klinikseitig wird aktuell bereits von Fällen berichtet, wo Pflegegrade zu niedrig ange-
setzt wurden, da es nicht möglich war, die exakte Graduierung über Patienten, Ange-
hörige oder sonstige Informationsquellen in Erfahrung zu bringen. Hier erfolgte dann
jedoch keine Rückmeldung der jeweiligen Kasse, dass man doch noch ein Zusatzentgelt
abrechnen könne.
Dies ist insofern verwunderlich, da einzelne Kostenträger im letzten Jahr bei fehlender
Erlösrelevanz und exakt derselben „Fehlkodierung“ noch ganze Abrechnungsdaten-
sätze per DTA mit dem Hinweis abgelehnt hatten, der Pflegegrad sei nicht korrekt ab-
gebildet.

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Dieser Umgang mit der Kodierung der Pflegegrade und der Abrechnung der zugehöri-
gen Zusatzentgelte ist wieder ein schönes Beispiel dafür, wie partnerschaftliche Zu-
sammenarbeit im DRG-System mitunter „gelebt“ wird.
Hier werden den Kliniken berechtigte Erlöse wider besseren Wissens vorenthalten. Ist
das dann Abrechnungsbetrug?
Als Fazit kann man feststellen, dass es rund um die Kodierung und Abrechnung der
Pflegegrade noch umfassenden Klarstellungsbedarf seitens der Selbstverwaltungs-
partner und der G-DRG-Institutionen gibt.
Ein erster, notwendiger Schritt wäre eine DIMDI-FAQ zur Kodierung der Pflegegrade
mit einer verbindlichen Beantwortung der von uns aufgeworfenen Fragestellungen.
Darüber hinaus ist dringend eine Regelung zu treffen, wann und wie die Krankenkassen
zur Mitteilung der Pflegegrade verpflichtet werden können – natürlich unter Beach-
tung aller datenschutzrechtlichen Aspekte.

Literatur und Informationen:                     info@kaysers-consilium.de

Dr. med. Andreas Stockmanns                      Thomas Claes
Facharzt Innere Medizin,                         Medizincontroller, Pflegefachkraft
Gesundheitsökonom

Frank Theunissen                                 Dr. Jürgen Freitag
Referent der Geschäftsführung                    Geschäftsführer

Dr. med. H.-G Kaysers
Krankenhausbetriebswirt (VKD)

KAYSERS CONSILIUM GmbH

Marienstraße 24

47623 Kevelaer

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