Ohne Bargeld wird der Mensch gläsern - Der Chefökonom - 27. August 2021 - Handelsblatt
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Der Chefökonom – 27. August 2021 Ohne Bargeld wird der Mensch gläsern Die EU-Kommission will Bargeldzahlungen einschränken, um Schwarzarbeit und organisierte Kriminalität zu erschweren. Doch das ginge zulasten unserer Freiheit. von Prof. Bert Rürup Friedrich Schneider ist ein angesehener Ökonom. Glaubt man den Schätzungen des emeritierten Linzer Professors, so wird in Deutschland in diesem Jahr Schwarzarbeit im Wert von rund 420 Milliarden Euro geleistet. Das Statistische Bundesamt versucht zwar, die Schattenwirtschaft in den volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen zu erfassen. Dennoch geht laut Schneiders Schätzung etwa jeder zehnte für Leistungen gezahlte Euro am Fiskus und der Statistik vorbei - nicht zuletzt, da diese Leistungen stets bar bezahlt werden. Aus nachvollziehbarem Eigeninteresse bemüht sich der Staat seit eh und je darum, diese Schattenwirtschaft einzudämmen. Zollkontrollen auf dem Bau, um nicht ordnungsgemäß
angemeldete Arbeitskräfte zu identifizieren, fälschungssichere Registrierkassen in Einzelhandel und Gastronomie, Fiskaltaxameter oder steuerliche Abzugsfähigkeit von haushaltsnahen Dienstleistungen sind Waffen des Fiskus gegen die Schwarzarbeit. Nun sieht es so aus, dass die EU-Kommission ein weit größeres Kaliber im Kampf gegen die organisierte Kriminalität einsetzen will: die Einschränkung oder gar die Abschaffung von Bargeldzahlungen. Nach den Plänen aus Brüssel sollen Rechnungen grundsätzlich nur noch bis zu 10.000 Euro bar bezahlt werden dürfen. Die alltägliche Schwarzarbeit wäre davon vermutlich kaum tangiert; offensichtlich hat Brüssel die organisierte Kriminalität im Visier. Tatsächlich existieren solche Limits bereits in einer Reihe von EU-Staaten; in Griechenland liegt dieses Limit bei lediglich 500 Euro. Diese niedrigeren Grenzen für Barzahlungen dürften bestehen bleiben, die EU-Regelung würde es lediglich verbieten, höhere oder gar keine Grenzen zu setzen. Betroffen davon wären etwa Deutschland, Österreich, Luxemburg und Zypern, wo es bisher kein Limit gibt. Nur Bargeld garantiert Anonymität Für die allermeisten Transaktionen wäre diese Grenze zwar kein Problem. Allerdings fehlt bislang jeder Nachweis, dass etwa in Griechenland mit seinem rigiden Limit organisierte Kriminalität, Geldwäsche und Steuerhinterziehung tatsächlich eingeschränkt oder gar beseitigt werden konnten. "Bislang gibt es keinen wissenschaftlich fundierten Beleg, dass mit Barzahlungsobergrenzen das Ziel erreicht wird, Geldwäsche zu bekämpfen", bestätigt Bundesbank-Vorstand Johannes Beermann. Man wird deshalb davon ausgehen müssen, dass die Akteure in der Schattenwirtschaft Mittel und Wege gefunden haben, mit solchen Restriktionen umzugehen. Österreichs Finanzminister Gernot Blümel betont, Bargeld sei in Österreich ein sensibles Thema und für die Bürger von grundlegender Bedeutung für das Gefühl der Sicherheit und Freiheit. Auch in Deutschland dürfte bei nicht wenigen Bürgern die Sorge groß sein, dass diese Grenzen nur ein erster Schritt zur völligen Abschaffung des Bargelds sein könnte. Einmal eingeführt, dürften künftige Absenkungen der Obergrenze auf immer weniger Widerstand stoßen. Statt mit Banknoten würde man nur noch mit Plastikkarte, Smartphone, Fingerabdruck oder Iris- Kennung bezahlen. Technisch ist das bereits heute kein Problem, wie man nicht nur aus China, sondern auch aus den skandinavischen Staaten weiß. Bargeldloses Bezahlen ist zweifellos bequem, und die Verbreitung nimmt deutlich zu. Doch im Gegensatz zum bargeldlosen Zahlungsverkehr garantiert Bargeld Anonymität. Nur mit Bargeld ist 2
es möglich, bestimmte Ausgaben sowohl vor der Öffentlichkeit wie auch vor Familienangehörigen zu verbergen. "I love cash!", tönte 2010 Ex-Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) - und sprach damit womöglich ungewollt vielen Deutschen aus der Seele. Denn auch heute ist das Bargeld noch immer das beliebteste Zahlungsmittel der Deutschen. Wie eine Studie der Deutschen Bundesbank zeigt, werden die Scheine und Münzen aber nur zu 20 Prozent für Alltagsgeschäfte verwendet. Der Rest - etwa 200 Milliarden Euro - wird gehortet. Im Jahr 2018 verwahrten Privatpersonen in Deutschland im Durchschnitt 1364 Euro Bargeld entweder zu Hause oder in einem Schließfach. Mit Obergrenzen für Transaktionen müssten Bargeldbestände zuerst in Buchgeld umgewandelt, also auf Bankkonten eingezahlt werden. Und zur Vermeidung von Geldwäsche müsste dann die Herkunft erklärt werden, was nicht nur Schwarzarbeitern schwerfallen dürfte. Die Wertaufbewahrungsfunktion des Geldes würde wesentlich eingeschränkt, und Alternativen wie Kryptowährungen würden umso attraktiver. Naturgemäß verteilen sich diese Barbestände höchst ungleich: 22 Prozent der befragten Deutschen gaben an, keine Barreserve zu besitzen, 50 Prozent hielten 200 Euro oder weniger, 75 Prozent hielten höchstens 500 Euro, und fünf Prozent horteten mehr als 5000 Euro. Der höchste genannte Wert lag bei 100.000 Euro. Sehr wenig Bargeld hatten laut der Untersuchung wenig überraschend Schüler, Studenten und Auszubildende. Die höchsten Beträge fand die Bundesbank bei Menschen bis 65 Jahre. "Die hohen Barrücklagen kurz vor Eintritt in den Ruhestand könnten auf eine Reserve für das Rentenalter hindeuten, die nach dem 65. Lebensjahr langsam abgebaut wird", mutmaßten die Experten. Hinweise auf Steuerhinterziehung fand die Bundesbank bemerkenswerterweise nicht. "Vielmehr scheint mangelndes Vertrauen in die Sicherheit und Belastbarkeit der technischen Infrastruktur - wie zum Beispiel die Angst vor Hackerangriffen - ein wichtiger Grund für das Halten von Bargeldreserven zu sein", hieß es bei der Vorstellung des Berichts. Bargeld diene der Bevölkerung nicht nur als Zahlungsmittel, sondern in hohem Maße auch als Wertaufbewahrungsmittel. Würde das Bargeld abgeschafft, wäre diese traditionelle Funktion des Geldes in Gefahr. Die Zentralbank hätte es wesentlich einfacher, negative Einlagezinsen zur Stimulierung der Wirtschaft durchzusetzen. Schließlich könnte diesen Strafzinsen niemand mehr mit Barabhebungen ausweichen. 3
Widerstand könnte sich aus der noch größeren Abhängigkeit der Einleger gegenüber ihren Banken ergeben. Auch damit sind Risiken und Kosten verbunden. Eine Lösung wäre das bereits öffentlich diskutierte digitale Zentralbankgeld. Damit könnte auch ohne zwischengeschaltete Banken der Zahlungsverkehr kontrolliert und gleichzeitig der Geldpolitik mehr Spielraum bei Negativzinsen verschafft werden. Es mutet beinahe nach einer konzertierten Aktion von EU-Kommission und EZB an, um das aus ihrer Sicht hinderliche Bargeld loszuwerden. Die Abschaffung des Bargeldes würde aus jedem den sprichwörtlichen "gläsernen Menschen" machen. Alle Gewohnheiten, Vorlieben, Neigungen und Wünsche, zu deren Befriedigung jemand Geld ausgibt, wären nicht nur den abwickelnden Finanzinstituten, sondern letztlich allen Anbietern von Gütern und Dienstleistungen über Big-Data-Applikationen sowie Behörden und Geheimdiensten bekannt. Assoziationen mit dem im heutigen China getesteten Sozialpunktesystem liegen nahe. Ob in einer bargeldlosen Welt die organisierte Kriminalität und Terrorismus ausgerottet würden, scheint hingegen ungewiss. Vielmehr ist mit einer IT-Aufrüstung der Geschäftsmodelle zu rechnen. Bereits heute werden viele Lösegeldzahlungen etwa bei Cyber-Attacken in Kryptowährungen abgewickelt, die sich nicht nachvollziehen lassen - bislang jedenfalls nicht. Auf jede neue Regulierung wie etwa die von der Bundesregierung geplante "Kryptowertetransferverordnung" wird die Gegenseite mit Innovationen reagieren und ihre Geschäftsmodelle justieren. Verlierer wären die Individuen. "Geld ist geprägte Freiheit" - diesen Satz schrieb vor 160 Jahren Dostojewski in seinen "Aufzeichnungen aus einem Totenhaus". Gerade angesichts der heute möglichen informationstechnologischen Ausforschung steckt darin mehr Wahrheit, als es sich der Schriftsteller damals wohl vorstellen konnte. Eher wäre dieses Zitat um den Zusatz zu ergänzen: "... und mit dem Verschwinden des Bargeldes verschwindet auch ein Teil der Freiheit." 4
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