OKTOBER BIS 25. NOVEMBER 2021 FILM AS A SUBVERSIVE ART 2021 - COLLECTION ON SCREEN Das Groteske A Tribute to Amos Vogel

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21. OKTOBER BIS 25. NOVEMBER 2021
FILM AS A SUBVERSIVE ART 2021
A Tribute to Amos Vogel
NORBERT PFAFFENBICHLER
Gesamtwerk und Carte blanche
COLLECTION ON SCREEN Das Groteske

www.filmmuseum.at
OKTOBER BIS 25. NOVEMBER 2021 FILM AS A SUBVERSIVE ART 2021 - COLLECTION ON SCREEN Das Groteske A Tribute to Amos Vogel
Willkommen im
Österreichischen Filmmuseum
Das Österreichische Filmmuseum widmet sich seit 1964 der Samm-
lung, Bewahrung, Erforschung und Vermittlung des Mediums Film in
all seinen Aspekten. Das beinhaltet ganz zentral die Ausstellung und
Vermittlung von Film – als Kunstform, Kulturtechnik und Zeitdokument
– in unserem Kinosaal, dem »Unsichtbaren Kino« in der Albertina.
    Wir zeigen Werke aus der Geschichte des Films grundsätzlich im
jeweiligen Originalformat und in den weltweit bestmöglich erhalte-
nen Filmkopien (35mm bzw. 16mm). Werke, die ursprünglich auf
Video bzw. digital hergestellt oder präsentiert wurden, werden digi-
tal projiziert. In seltenen Fällen präsentieren wir auf Film hergestellte
Werke digital: Dies geschieht jeweils aus kuratorischen oder konser-
vatorischen Gründen und wird speziell ausgewiesen.
    Filme werden bei uns grundsätzlich in ihrer originalen Sprach-
fassung gezeigt und gegebenenfalls untertitelt. Für unsere inter-
nationalen Gäste weisen wir Vorführungen in englischer Sprache
bzw. Untertitelfassung gesondert aus (siehe Legende S. 2).
Screenings in English or with English subtitles are marked with this symbol ★

INHALT
Allgemeine Informationen 2
Film as a Subversive Art 2021. A Tribute to Amos Vogel 3
Viennale im Filmmuseum 23
Norbert Pfaffenbichler. Gesamtwerk und Carte blanche 37
Collection on Screen. Norbert Pfaffenbichler präsentiert: Das Groteske 50
Ein Fest für Ilse Aichinger 58
Paul Wenninger. Filme und Carte blanche 59
Zyklisches Programm. Was ist Film 15–20 60
Schule im Kino 62
Artistic Research 63
Spielplan. Alle Filme von 21. Oktober bis 25. November 2021 65
Viennale im Filmmuseum – Ticketinformationen 71
Dank / Impressum 72
Innerhalb eines Themas sind die Filme in der Reihenfolge ihrer Programmie-
rung angeordnet. Die heurige Viennale-Retrospektive ist eine Ausnahme.
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ALLGEMEINE INFORMATIONEN

SPIELORT/VEREINSSITZ 1010 Wien, Augustinerstraße 1
TICKETS
Kassa: geöffnet ab einer Stunde vor Beginn der ersten Vorführung
Einzelkarte für Mitglieder sowie Kinder und Jugendliche bis 18: 6 Euro
Ermäßigung für Studierende mit Mitgliedschaft: 5 Euro bzw. 3 Euro für regelmäßige Programme
(Was ist Film, Collection on Screen)
Zehnerblock (für Mitglieder): 45 Euro
Einzelkarte ohne Mitgliedschaft: 10,50 Euro
Herbstmitgliedschaft: 9,50 Euro
Herbstpartnermitgliedschaft: 15 Euro
Informationen zur Fördernden Mitgliedschaft auf www.filmmuseum.at
RESERVIERUNGEN T +43/1/533 70 54 oder www.filmmuseum.at
NEU: KAUFEN SIE IHRE TICKETS ONLINE
Sie können Tickets für Vorstellungen im Filmmuseum, Mitgliedschaften und Zehnerblöcke auch
online und ohne Wartezeiten kaufen.
Um alle Vorteile Ihrer Mitgliedschaft, wie ermäßigte Tickets und den digitalen Zehnerblock,
nutzen zu können, geben Sie bei der Registrierung Ihre Mitgliedsnummer an. Diese finden
Sie u. a. auf der Rückseite des Ihnen zugesandten Programmheftes oder Ihrem Ausweis.
Online-Reservierungen sind nach wie vor möglich, ebenso der Kauf von Tickets und
Mitgliedschaften als Gast-User*in.
Häufig gestellte Fragen zum Online-Ticketing finden Sie hier: www.filmmuseum.at/faq
BÜRO/BIBLIOTHEK 1010 Wien, Hanuschgasse 3, Stiege 2, 1. Stock
Bibliothek: Benutzung nur mit Voranmeldung: e.streit@filmmuseum.at;
Katalog online unter: www.filmmuseum.at/bibliothek/online-recherche
Büro: Mo bis Do 10–18 Uhr, Fr 10–13 Uhr, T 01/533 70 54, E-Mail office@filmmuseum.at
FILMBAR IM FILMMUSEUM Täglich von 12 bis 23 Uhr (Viennale: 10 bis 24 Uhr)

Häufig gestellte Fragen zu den Corona-Maßnahmen finden Sie hier:
www.filmmuseum.at/besuch/covid-19_massnahmen_faq

ABKÜRZUNGEN
R Regie B Drehbuch K Kamera S Schnitt M Musik D Darsteller*innen
UT Untertitel ZT Zwischentitel E Erzählstimme
• Veranstaltungen mit Gästen oder Einführungen ★ English language or subtitles
TEXTE VON Nicole Brenez, Hirasawa Go, Christoph Huber, Kim Knowles, Birgit Kohler,
Roger Koza, Nour Ouayda, Harry Tomicek, Gerald Weber; Tobias Greslehner, Patrick Holzapfel,
Ferdinand Keller, Barbara Kronsfoth, Maria Marchetta, Thomas Mießgang, Lars Penning,
Sascha Rettig, Barbara Schweizerhof, Alexandra Seitz, Stephan Settele

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Film as a Subversive Art 2021
A Tribute to Amos Vogel

Die gemeinsame Retrospektive der Viennale und des Österreichi-           Blua (2017,
schen Filmmuseums 2021 ist eine Hommage an Amos Vogel (1921–             Carolina Charry
                                                                         Quintero)
2012). Dem Sohn Wiener Juden – geboren als Amos Vogelbaum – ge-
lang 1938 die Flucht vor den Nazis über Kuba in die USA. In seiner
Wahlheimat New York City wurde er zu einem der einflussreichsten
Filmkuratoren weltweit, zuerst mit dem von ihm gegründeten Film-
klub Cinema 16 (1947–63), dann als Mitbegründer des New York Film
Festival. Mit seinem Buch Film as a Subversive Art (1974), das Genera-
tionen von Cinephilen und Programmgestalter*innen beeinflusste,
untermauerte er nochmal sein Verständnis von Kino als eine Form
des ästhetischen, sozialen und politischen Aktivismus.
   Unsere gemeinsame Schau wiederholt weder Vogels Filmpro-              Eine gemein-
gramme noch zeigen wir jene Filme, über die er geschrieben hat. Viel-    same Retro-
mehr verstehen wir Amos Vogel als Erforscher einer kinematographi-       spektive der
                                                                         Viennale und des
schen Gegenwart. Statt in memoriam Vogel die Arbeiten zu zeigen,         Österreichischen
für die er sich einsetzte und damit in die Filmgeschichte einschrieb –   Filmmuseums

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darin auch ganz dem Geist seiner Zeit verpflichtet –, wollen wir in
seine Fußstapfen treten und Vogels Werte – Vielstimmigkeit, politi-
sches Bewusstsein, ästhetische und gesellschaftliche Sprengkraft und
Subversion – aus heutiger Perspektive aufgreifen.
   Film as a Subversive Art 2021 feiert Vogels 100. Geburtstag und
stellt zugleich kuratorische Verantwortung und Privilegien zur Diskus-
sion. Wir haben sechs geschätzte Kolleg*innen aus aller Welt eingela-
den, Programme zusammenzustellen, die aus gegenwärtigen oder
rezenten Filmen bestehen. Eine Vorgabe war, dass nur Werke infrage
kommen, die nach der Publikation von Film as a Subversive Art ent-
standen sind. Die andere, dass alle Programme sich mit der Frage
auseinandersetzen, was »Film«, »subversiv« und »Kunst« heute hei-
ßen kann. Die Ergebnisse haben uns überrascht und begeistert und
wir laden Sie ein, diese Überraschung und Begeisterung zu teilen.
(Eva Sangiorgi, Michael Loebenstein, Jurij Meden)
Die Kurator*innen der Retrospektive sind mit Ausnahme von Hirasawa Go während der
Viennale anwesend und werden die Vorführungen mit Einführungen und Gesprächen
begleiten.

————

Nicole Brenez
BILD-DIALOGE IN DER ZEIT DER SECHSTEN AUSLÖSCHUNG
Wenn wir Amos Vogels Buch Film as a Subversive Art zu seinen Ur-
sprüngen zurückverfolgen, was seine Zielsetzungen, Struktur, Kura-
tierung und Gestaltung betrifft, so zeigt sich, dass es aus den Erfah-
rungen entstand, die Vogel beim Programmieren von Cinema 16 ge-
macht hatte. »Cinema 16 soll zweierlei Zwecken dienen. Indem bes-
sere und avantgardistische Filme gezeigt werden, wird es zur steigen-
den Wertschätzung von Film als eine der wirkungsvollsten Kunstfor-
men beitragen. Indem dokumentarische und wissenschaftliche Werke
sowie Lehrfilme gezeigt werden, wird es dem Publikum ein gereifteres
Verständnis des Wesens dieser Welt und ihrer zahlreichen Probleme
ermöglichen.« (Vogel in der »Absichtserklärung« von Cinema 16.)
Welche Probleme? 1948: Nachdem die Menschheit ihre unglaubliche
Fähigkeit für Hass und Zerstörung unter Beweis gestellt hat, gilt es
eine ganze Welt wiederaufzubauen. Für Vogel ist Kino ein kritischer
Faktor bei dieser Neugestaltung. Subversion ist das wirksamste Werk-
zeug dafür, dazu imstande, jede tödliche politische oder religiöse Ide-
ologie zu zerschlagen, ebenso wie alle Vorurteile, egal welchen Ur-

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sprungs. Leider fällt es nicht sehr schwer, Vogels damalige Situation Just A Movement
auf unsere heutige zu übertragen: Uns droht die Zerstörung von allem, (2021, Vincent
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was lebt, und die Verantwortung dafür trägt nicht etwa eine Ideolo-
gie, sondern die Menschheit an sich. Müsste sich die Subversion nicht
gegen uns selbst richten? Also haben wir beschlossen, in unserem Tri-
but an Amos Vogel Filme zu zeigen, die erst kürzlich entstanden sind
und die nach den zwei Gesichtspunkten ausgewählt wurden, die für
seine kuratorische Praxis maßgeblich waren: herausfordernde Bilder
verteidigen; konstruktive Bilder unterstützen. Unsere drei Programme
ermöglichen die Form eines Bild-Dialogs: mit Bildern der Vergangen-
heit in jedem der Filme; und zwischen den Filmen mit anderen mög-
lichen Bildern, ent-industrialisiert, anti-anthropozentrisch, dazu im-
stande, Kino von seinem Status als kulturelle Ware innerhalb der Ge-
sellschaft des Spektakels und der Konsumgesellschaft zu befreien,
und es als Kunst und Handwerk neu zu legitimieren. (Nicole Brenez)
Nicole Brenez ist Professorin für Filmwissenschaften an der Universität Paris III –
Sorbonne Nouvelle, Leiterin der Abteilung »Analyse et culture cinématographique«
an der Pariser Filmschule La Fémis seit 2017, Kuratorin der Avantgardefilmreihen der
Cinémathèque française seit 1996. Zusammen mit Philippe Grandrieux produziert sie
»It May Be That Beauty Has Strengthened Our Resolve«, eine Sammlung von Arbeiten
über revolutionäre Filmschaffende, die von der Filmgeschichte vergessen oder
vernachlässigt wurden. Ihr jüngstes Buch ist Manifestations (De l’Incidence, 2020).

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DIAGNOSE, RÜCKWÄRTS

Cinetracts Marine Hugonnier. FR/GB, 2017, DCP, Farbe, 57 min
Giverny’s Cusp Marine Hugonnier. FR, 2019, 35mm, Farbe, 10 min
Mit Cinetracts greift Marine Hugonnier im Alleingang jene kollektive      SAMSTAG
Form wieder auf, die im Mai ’68 von einem ganzen Berufsstand als          30.10. / 21.30
Auflehnung praktiziert wurde. Mit einer Ironie, die Félix Fénéons wür-
dig wäre, präsentiert sie eine Reihe von reinen und bearbeiteten          MONTAG
Ready-mades und bietet uns damit ein kraftvolles Promptuarium für         1.11. / 18.30
unsere Zeit, aber auch eine Untersuchung der ideologischen und
kritischen Rollen, die Bilder in ihr spielen. Giverny’s Cusp arrangiert
eine Konfrontation von Analogfilm mit den Gemälden von Claude
Monet. Hugonnier: »Diese ungeschnittene Einstellung dauert eine
ganze 400 Fuß lange Filmrolle und zeigt zunächst eine mikroskopi-
sche Ansicht des Randes eines Wasserlilienblatts. Dann erlaubt ein
Zoom rückwärts mehr Übersicht und offenbart Monets ikonische
grüne Brücke, bevor das absichtliche Entfernen der Linse von der
Kamera den Analogfilm in Direktkontakt mit der Umgebung bringt,
deren Gegenwart ohne Schnittstelle aufgenommen wird.« (N. B.)

ENT-HIERARCHISIEREN, VERTIEFEN

Just A Movement Vincent Meessen.
BE/SN, 2021, DCP, Farbe, 110 min. Englisch ★
DAVOR: Nou voix Maxime Jean-Baptiste.
GF, 2018, DCP, Farbe, 14 min. Französisch mit engl. UT ★
Wir müssen »Ausführungen lieben«, so die Empfehlung des ermorde-          FREITAG
ten marxistischen Aktivisten Omar Blondin Diop. Es mag sein, dass         29.10. / 21.15
die wichtigste Waffe unserer Zeit der Geist der Vertiefung ist, der von    • In Anwesen-
allen Seiten durch »digitale Diktatur« (Jean-Luc Godard, Les 3Désas-      heit von Maxime
                                                                          Jean-Baptiste
tres, 2012) untergraben wird. Dieser Geist ist die Triebfeder der Filme
von Maxime Jean-Baptiste und Vincent Meessen. Beide folgen einer          MONTAG
Nebenfigur in einem Film und entwickeln sie zu einer emblemati-            1.11. / 21.00
schen Gestalt innerhalb der Geschichte des antikolonialen und anti-
kapitalistischen Kampfes. Sie beweisen uns damit, dass im Kino die
schwächste Kontur einer Silhouette bedeutend ist. (N. B.)

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brouillard #14 (2013, Alexandre Larose), A Floral Tribute for Essex Road (2019, Jayne Parker)

ENT-ANTHROPOZENTRIEREN, NEUORIENTEREN

The Mirror of Possible Worlds
Fergus Daly. IE, 2020, DCP, Farbe, 24 min. Englisch ★
Birds by the Sea Wolfgang Lehmann. DE, 2008, DCP, Farbe, 2 min
Filmatruc à verres n°2 (compte-rendu d’installation)
Silvi Simon. FR, 2010, DCP, Farbe, 2 min
Filmatruc à verres n°4, Orage (compte-rendu d’installation) Silvi Simon.
FR, 2012, Farbe, DCP, 2 min
brouillard #14 Alexandre Larose. CA, 2013, 35mm, Farbe, 10 min
Lightning Dance Cecilia Bengolea. AR, 2018, DCP, sw, 6 min
Herbs (élément d’installation, extrait) Silvi Simon. FR, 2019, DCP, Farbe, 3 min
A Floral Tribute for Essex Road Jayne Parker. GB, 2019, 16mm, Farbe, 5 min
Phytography Karel Doing. NL, 2020, 16mm, Farbe, 8 min
Promenade 1 Zélie Parraud. FR, 2021, DCP, Farbe, 1 min
Promenade 2 Zélie Parraud. FR, 2021, DCP, Farbe, 1 min
»Natur, die unerschöpfliche Ressource für Begegnungen, deren Wert                           SONNTAG
in wortloser Kommunikation liegt«, erklärt Abbas Kiarostami in Fer-                        31.10. / 11.00
gus Dalys schöner Reise. Wie kann sich Kino von seinen anthropozen-                         • In Anwesen-
trischen und industriellen Bestimmtheiten befreien? Jeder der hier                         heit von
                                                                                           Fergus Daly
präsentierten Filme schlägt eine Lösung vor, sei sie ikonografisch
oder technisch, egal ob das nun heißen mag, eine Repräsentation zu                         DIENSTAG
erneuern oder seine eigenen Filmrollen herzustellen, den eigenen                           2.11. / 21.00
Körper mit der Natur als Partnerin tanzen zu lassen oder sich einen
Ton so vorzustellen, wie er für Tiere klingen mag. (N. B.)

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Hirasawa Go
REVOLUTIONÄRES JAPANISCHES KINO:
SUBVERSION UND SCHÖPFUNG
In den späten 1950er Jahren
entwickelte sich in Japan
eine neue Bewegung im
Bereich des Films, nämlich
die des subversiv revolutio-
nären Kinos. Die wichtigsten
Vertreter wurden zur soge-
nannten Neuen Welle, ange-
führt von Ōshima Nagisa,
Matsumoto Toshio und Hani
Susumu; die »Experimentel-
len Filme der Nihon Daiga-
ku« (Experimental Films of
the 1960s from Nihon Uni-
versity) von Hirano Katsumi, Jōnouchi Motoharu und Adachi Masao; Yūheisha
sowie Terayama Shūji und Iimura Takahiko mit ihren unabhängigen (2006, Adachi
                                                                     Masao)
experimentellen Filmen. Unter dem Einfluss des politischen Protests
gegen den amerikanisch-japanischen Sicherheitsvertrag von 1960
missbilligten sie die Form und den Inhalt des bestehenden kapitalis-
tischen Kinos, das von großen Filmgesellschaften dominiert wurde,
und wollten eine neue Art von Kino schaffen. Ōshimas Postwar Ci-
nema: Destruction and Creation (Sengo eiga: hakai to sōzō) und
Matsumotos Discovery of the Image (Eizō no hakken) wurden 1963 zu
den theoretischen und praktischen Leitbildern der Bewegung. Im
Zuge der weltweiten ’68er-Bewegung entstanden in Japan radikal
erotische Werke von Wakamatsu Kōji, einem Vertreter des erotischen
Kunstfilms (pinku eiga), und Undergroundfilme von Okabe Michio.
Unterstützt wurde die neue Bewegung durch die namhaften Filmkri-
tiker Satō Shigechika, Masao Matsuda und Kanesaka Kenji. Das hier
vorgestellte Programm repräsentiert eine zeitgenössische, epochen-
und länderübergreifende Antwort aus Japan auf Amos Vogels Begriff
des subversiven Kinos. (Hirasawa Go)
Hirasawa Go ist ein Filmwissenschaftler, der sich mit Underground- und Experimental-
filmen sowie mit Avantgardekunstbewegungen im Japan der 1960er und 70er Jahre
beschäftigt. Sein neuestes Buch Japanese Expanded Cinema and Intermedia: Critical
Texts of the 1960s (Archive Books) erschien 2020. Er hat 2021 auch die Filmschau
Japanese Expanded Cinema im New Yorker Museum of Modern Art kuratiert.

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Mizu no nai puru (Ein Pool ohne Wasser)
R: Wakamatsu Kōji B: Uchida Eiichi S: Nakajima Teruo M: Ōno Katsuo
D: Uchida Yūya, Mie, Nakamura Reiko, Fujita Yumiko, Shima Akemi.
JP, 1982, DCP (von 35mm), Farbe, 103 min. Japanisch mit engl. UT ★
Wakamatsu hatte zusammen mit Adachi Masao und Yamatoya Atsushi               FREITAG
ab den späten 1960ern mit Filmen wie Tenshi no kōkotsu (Ecstasy of           22.10. / 18.30
the Angels, 1972) die Soft-Pornografie (pinku eiga) in revolutionäres
Kino verwandelt und kämpfte wie viele seiner Kollegen erbittert gegen        DONNERSTAG
dessen Niedergang. 1969 gelang es ihm jedoch, mit einer großen               4.11. / 21.00
Filmgesellschaft Ejiki (Prey, 1969) zu produzieren. Darin konfrontiert
ein von der Zeit zurückgelassener Rock-Sänger die neue Hyperkon-
sumgesellschaft mit Reggae und Waffengewalt. Inspiriert von einem
tatsächlichen Verbrechen mit Hilfe von Chloroform wählte Waka-
matsu dann für Mizu no nai pūru den selben Hauptdarsteller (Musiker
Uchida Yūya ) und als Drehbuchautor den Romancier und Dramatiker
Uchida Eiichi. Wakamatsu zeigt den Alltagswahnsinn eines Eisen-
bahn-Angestellten, doch das Werk unterscheidet sich insofern von
seinen vorangegangenen Filmen als es nicht auf einer politischen
Ebene angesiedelt ist, sondern eine neue, revolutionäre Sichtweise
ins Spiel bringt. (H. G.)

Yūheisha (Gefangener/Terrorist)
R, B: Adachi Masao K: Nagata Yūichi S: Ohshige Yūji M: Ōtomo Yoshihide
D: Taguchi Tomorô, Panta, Ōkubo Taka, Kajiwara Jōji, Oginome Keiko.
JP, 2006, DCP, Farbe, 113 min. Japanisch mit engl. UT ★
Adachi arbeitete mit Wakamatsu Kōji in der Soft-Pornografie und war           FREITAG
ein führender Vertreter der japanischen Experimentalfilm-Bewe-                29.10. / 11.00
gung. Nach der Teilnahme am Filmfestival von Cannes 1969 fuhr er
mit Wakamatsu nach Beirut und produzierte 1971 mit der Roten-                MITTWOCH
Armee-Fraktion und der PFLP einen Propaganda-Film für die palästi-           3.11. / 21.00
nensische Revolution. 1974 verließ er Japan und schloss sich der pa-
lästinensischen revolutionären Bewegung an. Nachdem er 1997 in
Beirut verhaftet und 2001 nach Japan überführt worden war, machte
er 2005 wieder einen Film: Yūheisha handelt von einem Terroristen
der japanischen Roten-Armee-Fraktion, Kōzō Okamoto. Mit der Ge-
schichte eines Revolutionärs, der selbst im Kerker noch die Vision
einer Revolution wachhält, ist der Film ein historischer Rückblick auf
den bewaffneten Widerstand seit 1968 und eine filmisch-philosophi-
sche Analyse dessen, was Revolution heute bedeutet. (H. G.)

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KURZFILMPROGRAMM

Seishōnen no tame no eiga nyūmon (Kinoführer für junge Leute)
Terayama Shuji. JP, 1974, 16mm (Dreifachprojektion), Farbe, 3 min
Satsujin katarogu (Mordkatalog) Matsumoto Toshio.
JP, 1975, DCP, Farbe, 20 min. Japanisch mit dt. UT
Kaisōroku (Memoiren) Okabe Michio.
JP, 1977, DCP (von 16mm), sw, 22 min. Japanisch mit dt. UT
24 Frames per Second Iimura Takahiko. JP, 1975–78, 16mm, Farbe, 12 min
Terayama Shūji spielte eine füh-                                              SAMSTAG
rende Rolle in der Underground-                                               30.10. / 11.00
Theaterbewegung und experimen-
tierte mit unterschiedlichsten Mög-                                           DONNERSTAG
lichkeiten des Kinos, etwa durch                                              4.11. / 18.30
Mehrfachprojektionen mithilfe von
drei Projektoren. Matsumoto Toshio
zeigt in Satsujin katarogu Aufnah-
men von Ermordeten und schafft
mit einem immer gleichen von ihm
selbst eingesprochenen Kommen-
                                                                              24 Frames
tar zu den Bildern ein labyrinthi-                                            per Second
sches Werk, in dem sich Fiktion und                                           (1975–1978,
                                                                              Iimura Takahiko)
Realität vermischen. Okabe Michio,
Underground-Ikone der 1960er, verfolgte das Prinzip eines subjekti-
ven Kinos, indem er Bilder, die ihn filmisch interessierten, und Rollen,
die er selbst spielen wollte, mischte. In Kaisōroku wird die Fantasie
des Künstlers der späten 1970er in einer chaotischen Bilderkette ver-
bunden. Iimura Takahiko führte auch medienübergreifend Experi-
mente durch, um die Form des Films an sich zu hinterfragen. In 24
Frames per Second verwendete er Einzelbilder für seinen filmischen
Ausdruck. (H. G.)

   ————

Kim Knowles
SUBVERSIVE KÖRPER
Subversion: sich nicht an die Regeln halten, Konventionen ablehnen,
Perspektiven verschieben, Erfahrung verändern. Mit diesem Pro-
gramm verankern wir Vogels Interesse an Subversion in diversen
gegenwärtigen Anliegen mit Körperbezug: der menschliche Körper,
der nicht-menschliche Körper und ihr Platz in der Gesellschaft. Radi-

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kale, queere und nonkonformistische Körper nahmen eine Schlüssel- Riot Not Diet
rolle in Vogels Überlegungen zum Kino ein und trugen zur Fähigkeit (2018, Julia
                                                                     Fuhr Mann)
bei, über institutionalisierte Normen und Verhaltensweisen hinauszu-
gehen. Wir spüren den Nachhall davon in der Geschichte des Experi-
mentalfilms und seiner ständigen Suche nach neuen visuellen Kör-
persprachen. Aber in den letzten Jahren hat sich die Aufmerksamkeit
auch teilweise verlagert und zwar auf die Möglichkeiten, unser Ver-
hältnis zur nicht-menschlichen Welt zu repräsentieren und zu verste-
hen, was eine Herausforderung für den objektifizierenden und »spek-
takularisierenden« Blick auf die Natur darstellt. Die drei Filmpro-
gramme nehmen uns mit auf eine Reise von verspielten Formen der
körperlichen Respektlosigkeit und des sexuellen Ausdrucks über die
Choreografie von mechanisierter Arbeit bis zu einer Untersuchung
unserer komplexen Verstrickungen mit anderen Tierkörpern. (Kim
Knowles)
Kim Knowles ist Wissenschaftlerin und Kuratorin und lebt in Wales. Seit 2008 kuratiert
sie die »Black Box«-Reihe des Edinburgh International Film Festival und hat zahlreiche
Bücher, Artikel und Buchbeiträge verfasst, zuletzt Experimental Film and Photochemical
Practices (Palgrave Macmillan, 2020).

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SUBVERSION ALS PERFORMANCE

Riot Not Diet Julia Fuhr Mann. DE, 2018, DCP, Farbe, 17 min. Deutsch/Englisch ★
Slap! The Gondola Marie Losier. US, 2010, DCP, Farbe, 15 min
Burning Palace Mara Mattuschka, Chris Haring.
AT, 2009, 35mm, Farbe, 32 min. Englisch ★
Phantom Rhapsody Sarah Pucill. GB, 2010, 16mm, sw, 19 min
Wenn Identität und Gender performative Akte sind, wie Judith Butler               SAMSTAG
darlegt, dann kann durch Performativität auch die konservative Tradi-             23.10. / 21.30
tion unterwandert werden, die festlegt, wie sich Körper benehmen
und wahrgenommen werden. Wie oft können wir diese Geschichte des                  MITTWOCH
Widerstands noch erzählen? Wie viele Posen können wir noch gegen                  10.11. / 21.00
eine Welt normierender Subjektivitäten und reglementierter Gedan-
kenmuster einnehmen? Diese vier Filme bieten Theatralik und trans-
gressiven Humor als Mittel zur Gestaltung von Alternativen, um Körper
zu sehen und zu spüren. Der verspielte Camp von Marie Losier (mit
Tony Conrad und Genesis P-Orridge) trifft auf den surrealen und sinn-
lichen Exzess von Mara Mattuschka, während Julia Fuhr Manns herr-
lich queerer Protest gegen den perfekten Körper einen Kontrapunkt
zu Sarah Pucills zarter Darstellung der Identitätskonstruktion durch
die Spannung zwischen Wirklichkeit und Künstlichkeit bildet. (K. K.)

Quality Control
Ein Film von Kevin Jerome Everson. US, 2011, DCP (von 16mm), sw, 71 min.
Englisch ★
Welche Rolle spielt der menschliche Körper in der mechanisierten                  SONNTAG
Arbeitswelt der Gegenwart? Wie kann Kino die Feinheiten der täg-                  24.10. / 11.00
lichen Arbeit außerhalb von Erzählstrukturen abbilden? Wie kann ein
dokumentarischer Zugang den traditionellen objektifizierenden Blick                MITTWOCH
unterwandern, während das Publikum in alltägliche Vorgänge einge-                 17.11. / 18.30
bunden wird? Quality Control ist ein Beispiel für die Art von beobach-
tendem Dokumentarfilm, der wenig über die Haltung des Filme-                       Diese Vorstellun-
machers offenbart: Die Bedeutung wird durch Wiederholungen und                    gen sind dem
                                                                                  Produzenten
Rhythmen menschlicher Körper erzeugt und regt Reflexion über                       und Filmemacher
Welten an, die selten auf der Leinwand gezeigt werden. In einem Akt               Eric Dominique
radikaler Entdramatisierung konzentriert sich Eversons Film auf das               Brown (1967–
                                                                                  2021) gewidmet
Alltägliche, Profane und Unauffällige. Mit langen statischen Einstel-
lungen, die auf schwarzweißem 16mm-Film gedreht sind, verwandelt
der Regisseur eine große Reinigungsanstalt in Alabama in eine audio-
visuelle Choreografie von Körpern und Maschinen. (K. K.)

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Quality Control
                                                                              (2011, Kevin
                                                                              Jerome Everson)

NICHT-MENSCHLICHE KÖRPER

Concerning Flight: Five Illuminations in Miniature
Charlotte Pryce. US, 2004, 16mm, Farbe und sw, 8 min
Blua Carolina Charry Quintero. US/CO, 2017, DCP, Farbe und sw, 22 min.
Spanisch mit engl. UT ★
Journal and Remarks David Gatten. US, 2010, 16mm, Farbe, 15 min
Laborat Guillaume Cailleau. DE, 2014, DCP, Farbe und sw, 21 min
All Her Beautiful Green Remains in Tears Amy Cutler.
GB, 2018, DCP, Farbe, 11 min
Der konventionelle objektifizierende Blick im Kino wurde zumeist in            SONNTAG
Zusammenhang mit dem (vor allem weiblichen) menschlichen Kör-                 24.10. / 18.30
per diskutiert, man entwickelte queere oder feministische Gegenent-
würfe. Filmemacher*innen hinterfragen jedoch zunehmend den Blick              MITTWOCH
in Bezug auf die nicht-menschliche Welt – wie wir Tierkörper rahmen           17.11. / 21.00
und fixieren und wie wir die Räume neben ihnen einnehmen. Die
Autorin Anat Pick hat für einen Blick, der nicht konsumiert, sondern
eine Art »Beisein« ermöglicht, den Begriff »Veganes Kino« geprägt.
Diese sanfte Form der Subversion betont das wachsende Interesse an
nicht-menschlichen Körpern im gegenwärtigen Experimentalkino.
Jeder der fünf Filme dieses Programms präsentiert einen einzigarti-
gen Zugang zu unserem Verhältnis zur Natur und zur Rolle des Kinos
im Hinterfragen von Normen der Wahrnehmung. (K. K.)

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Birgit Kohler
DASS ES »SO WEITER« GEHT, IST DIE KATASTROPHE.
Ausgehend von Walter Benjamin lassen sich die sechs dokumentari-
schen Arbeiten dieses Programms als Katastrophenfilme beschrei-
ben – die Katastrophen sind hier nicht das Bevorstehende, sondern
das Gegebene. Ereignisse der Zeitgeschichte fallen genauso darun-
ter wie katastrophische Erschütterungen in persönlichen Lebensläu-
fen, und meist hat das eine mit dem anderen zu tun. Das Elend eines
Wendeverlierers in Ostdeutschland, die Chuzpe eines mordenden
Söldners und auch die psychische Krise einer filmemachenden Frau
verorten sich im gesellschaftlichen Zusammenhang. Politisch macht
diese Filme aber nicht zuletzt ihre Form. Sie bewegen sich auf Fel-
dern, die regelmäßig kontroverse Diskussionen entfachen – die Ab-
bildung prekärer Lebensverhältnisse, der Umgang mit Tätern und
Opfern, die Darstellung von Grausamkeit, das Thematisieren von inti-
men Befindlichkeiten in der er-
sten Person – und haben mit der
Gefahr der Bloßstellung bzw.
dem Risiko der Nabelschau um-
zugehen. Alle vermessen Nähe
und Distanz auf eigene Art. Dass
sie dabei jenseits etablierter
Formatierungen der Repräsenta-
tion arbeiten, sich nicht an die
üblichen Regeln halten, Konven-
tionen hinterfragen, die eigenen Überzeugungen erschüttern, Un-                             Sieben Mal
ruhe stiften, Unbehagen auslösen, irritieren und verstören, dass sie,                       am Tag […]
                                                                                            (2014, Susann
kurz gesagt, zum Denken herausfordern, macht sie im Sinne Amos                              Maria Hempel)
Vogels: subversiv. (Birgit Kohler)
Birgit Kohler ist Ko-Direktorin des Arsenal – Institut für Film und Videokunst in Berlin.
Von 2002–2019 war sie Mitglied im Auswahlkomitee des Berlinale Forum, als Interims-
Leiterin verantwortete sie 2019 das Hauptprogramm der Sektion. Ihre kuratorischen
Projekte, Veröffentlichungen und Lehrveranstaltungen befassen sich vor allem mit dem
zeitgenössischen Dokumentarfilmschaffen und einer großen Bandbreite künstlerischer
Positionen des internationalen Kinos der Gegenwart. Zuletzt Autorin von »Spielarten des
Dokumentarischen – Politik und Ästhetik im Kino von Anja Salomonowitz«, in: Isabella
Reicher (Hrsg.): Eine eigene Geschichte. Frauen Film Österreich seit 1999 (Sonderzahl,
2020).

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Phantasiesätze
                                                                                 (2017, Dane
Das Block                                                                        Komljen)
Ein Film von Stefan Kolbe und Chris Wright. DE, 2006, DCP, Farbe, 75 min.
Deutsch mit engl. UT ★
DAVOR: Phantasiesätze Dane Komljen. DE/DK, 2017, DCP, Farbe, 17 min.
Ukrainisch mit engl. UT ★
Das Block porträtiert vier traurige Gestalten aus einem herunterge-              MONTAG
kommenen ostdeutschen Plattenbau. Die Kamera nimmt sie in ihren                  25.10. / 21.15
engen Einzimmerwohnungen aus extremer Nähe auf, zeigt Hautpo-                     • In Anwesen-
ren und Schuppen. Auch in heiklen Momenten geht sie nicht auf Ab-                heit von Dane
                                                                                 Komljen
stand. Nahe kommt uns so ihre prekäre Lage im gesellschaftlichen
Abseits, Verlorenheit, Verzweiflung und existentielle Einsamkeit. In              MITTWOCH
der post-apokalyptischen Szenerie von Phantasiesätze stehen die                  24.11. / 18.30
Wohnblocks mit ihren sozialistischen Insignien verlassen da. Von ein-
stiger menschlicher Existenz und familiärem Sommerglück im Freien
zeugen Super 8-Home Movies. Nach der Nuklearkatastrophe hat sich
die Natur der Architektur bemächtigt und es taucht die Frage auf, ob
der Mensch sich in ein Tier oder einen Baum verwandelt hat. (B. K.)

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Terra de ninguém (Niemandsland)
Ein Film von Salomé Lamas K: Sugimoto Takashi S: Telmo Churro.
PT, 2012, DCP, Farbe, 72 min. Portugiesisch mit engl. UT ★
DAVOR: Sieben Mal am Tag beklagen wir unser Los und nachts
stehen wir auf, um nicht zu träumen Susann Maria Hempel.
DE, 2014, DCP, Farbe, 17 min. Deutsch mit engl. UT ★
Ein alter Mann erzählt über seine Zeit als portugiesischer Soldat in Ko-   DIENSTAG
lonialkriegen, als CIA-Söldner in El Salvador und als Mitglied einer       26.10. / 18.30
anti-baskischen Untergrundorganisation. Seelenruhig beschreibt er           • In Anwesen-
Auftragsmorde und andere monströse Taten, macht ungerührt Witze            heit von Salomé
                                                                           Lamas
und klopft Sprüche. Fakten und Fiktion, Bekenntnis und Selbstinsze-
nierung gehen ineinander über, bis die historische Wahrheit einer-         MITTWOCH
seits und seine Glaubwürdigkeit andererseits in Frage stehen. Der for-     24.11. / 21.00
malen Strenge von Terra de ninguém steht ein nur auf den ersten
Blick verspielt wirkender Animationsfilm zur Seite, der zum Takt eines
mechanischen Balletts aus klappernden Lichtschaltern und zerstü-
ckelten Plastikpuppen nicht weniger verstörend von einem durch Ge-
walterfahrungen geprägten Leben am Rand der Gesellschaft erzählt.
(B. K.)

Demain et encore demain / Journal 1995
(Morgen und wieder morgen / Tagebuch 1995)
Ein Film von Dominique Cabrera S: Réjane Fourcade.
FR, 1997, DCP, Farbe, 79 min. Französisch mit engl. UT ★
DAVOR: Measures of Distance Mona Hatoum.
GB, 1988, DCP, Farbe, 16 min. Englisch und Arabisch ★
Filmen, um klarer zu sehen, um der Depression zum Trotz Kontakt            MONTAG
herzustellen zur Außenwelt ist das Projekt des Videotagebuchs von          25.10. / 11.00
Dominique Cabrera. Das darauf basierende autobiografische Filmes-
say zeigt ihren Blick auf Dinge des Alltags – eine Hyazinthe, den Ab-      DONNERSTAG
wasch, ein Prozac-Rezept, einen Wassertropfen auf der Herdplatte –         25.11. / 18.30
genauso wie ihr Kind, eine schlafende Frau in der Metro, Diskussionen
über die richtige Haltung als Linke bei der Präsidentschaftswahl und
eine Kundgebung des Front National. Radikal subjektiv und sachlich
zugleich weitet sich das Selbstporträt zum Zeitdokument. Von einer
intimen Situation geht auch Measures of Distance aus. Zu Mona Ha-
toums Nahaufnahmen ihrer Mutter beim Duschen zuhause in Beirut
sind Gespräche und sehnsüchtige Briefe zu hören. Persönliches und
Politisches sind auch hier eng verwoben. (B. K.)

OKTOBER / NOVEMBER 2021 Film as a Subversive Art                     16
Lluvia de jaulas (2019, César González)

Roger Koza
DIE VIELFALT DER SUBVERSIVEN ERFAHRUNG
Das Wort »Subversion« ist ebenso schön wie irreführend, und zwar
nicht weniger als das Wort »Kunst«. Als Amos Vogel 1974 in seinem
berühmten Buch darlegte, was er mit dem Syntagma des Buchtitels
ausdrücken wollte, historisierte und problematisierte er für seine For-
mulierung andere zwingende Konzepte, die paradoxerweise weni-
ger subversiv und sogar konformistisch interpretiert werden konn-
ten. Ein Film mit politischem Inhalt, der zur Revolution aufruft, oder
ein experimenteller Essay sind nicht notwendigerweise unstrittige
Beispiele für Kino als subversive Kunst.
   Die Filme in diesem Programm liefern Vorschläge für ein Zusam-
menspiel von Form, Politik und Verlangen. Sie sind eine vorläufige
Antwort auf die Frage, was im Gegenwartskino gemäß Vogels Kate-
gorien als »subversive Kunst« gelten könnte. (Roger Koza)
Roger Koza ist Filmkritiker, Herausgeber von Con los ojos abiertos, Moderator von
El cinematógrafo und Präsentator der Filmoteca. Seit 2006 programmiert er die Sektion
»Vitrina« beim Filmfest Hamburg. Seit 2014 ist er künstlerischer Leiter des Cosquin
International Film Festival (Cordoba) und seit 2018 leitet er das legendäre Doc Buenos
Aires. Herausgeber der Bücher Cine y Pensamiento: las charlas de Mar del Plata (2007)
und Cine del mañana (2010). Seine jüngste Publikation ist »Faith in Fiction: The Cinema
of Miguel Gomes«, in Daniel Ribas und Paulo Cunha (Hrsg.): Reframing Portuguese
Cinema in the 21st Century (Curtas Metragens, 2020).

OKTOBER / NOVEMBER 2021 Film as a Subversive Art                                    17
DIE RADIKALEN DES SÜDENS (A)

Lluvia de jaulas (Käfigregen)
Ein Film von César González. AR, 2019, DCP, Farbe, 82 min. Spanisch mit engl. UT ★
»Ich denke. Ich bin ein Tourist in meiner Stadt.« Die Aussage erklärt SAMSTAG
die Perspektive, mit der César González das Leben in den Slums (Nr. 23.10. / 11.00
21, Nr. 31, »Carlos Gardel«) und sein dialektisches (materialistisches)
Gegenstück entlang der Straßen Florida und Lavalle und in der Ge-
gend um den Obelisken beobachtet. Durch direktes und persönli-
ches Wissen über die Wirklichkeit, die er filmt, erzeugt Gonzalez sys-
tematische Entfremdung: Sie ermöglicht vorurteilslose Versenkung
in sein Porträt der Lebensweisen am Rand der Gesellschaft. Unter-
drückung, Verbrechen, Müßiggang, Freundschaft, Arbeit, Drogen, die
Erfahrung des Raums und das Verhältnis zum Regen und zum Him-
mel werden sensibel in Beziehungen zueinander gesetzt, die Stigma-
tisierung beschreiben. Das, was zwar gespürt, aber nicht gesehen
und schon gar nicht gefühlt werden kann, regt uns dazu an über eine
geheime Beziehung nachzudenken: zwischen denjenigen, die Wohl-
stand genießen, und denen, die in prekärer Armut leben. (R. K.)

DIE RADIKALEN DES SÜDENS (B)

El triunfo de Sodoma (Der Triumph von Sodom)
Ein Film von Goyo Anchou. AR, 2020, DCP, Farbe, 82 min.
Spanisch mit engl. UT ★
Auf das Patriarchat können Ideologien wie Kapitalismus und Spezie- MITTWOCH
sismus zurückgeführt werden. Das ist das Thema dieses Films, aber 27.10. / 11.00
was der Film selbst ist, ist eine andere Frage. Ein Dokumentarfilm
über die Mutation der Matrix, die seit Jahrhunderten die Geschichte
ordnet? Ein Porträt eines imaginären Mutanten? In Kapiteln, deren
Titel so respektlos wie einfallsreich sind, wird geschildert, wie sich
zwei Menschen treffen, um Sex zu haben (oder auch nicht), was
wiederum Rückblenden auslöst: Szenen in Neu-Delhi, Hongkong, Mar
del Plata und anderen Städten. Die dünne Fiktion ist nur ein Hilfsmit-
tel, um über die libidinöse (Un-)Ordnung der Gegenwart nachzuden-
ken, die als Symptom einer revolutionären Atmosphäre verstanden
wird. Einige Sequenzen haben unleugbaren dokumentarischen Wert,
etwa die ersten paar Minuten, in denen eine feministische Demon-
stration vor einer Kirche gezeigt wird. (R. K.)

OKTOBER / NOVEMBER 2021 Film as a Subversive Art                                18
El triunfo de Sodoma (2020, Goyo Anchou)

DIE RADIKALEN DES SÜDENS (C)

Cuatreros (Viehdiebe)
Ein Film von Albertina Carri. AR, 2016, DCP, Farbe, 83 min.
Spanisch mit engl. UT ★
Albertina Carris Vater – ein Soziologe, der vom argentinischen Militär DONNERSTAG
in den 1970ern entführt wurde – widmete dem Viehdieb Isidro Veláz- 28.10. / 11.00
quez 1968 das Buch Vorrevolutionäre Formen der Gewalt (Formas
prerrevolucionarias de la violencia). Carri reist damit in die Provinz
Chaco, um dessen Thesen zu überprüfen und schlägt eine Brücke von
dessen Erscheinungsjahr zur Gegenwart und von der politischen Po-
sition des Vaters zu ihrer eigenen, die völlig davon abweicht. Um es
im damaligen Jargon zu sagen: eine dialektische (und affektive) Syn-
these. Als umstrittene, mythische Gestalt wurde Velázquez zu einer
Ikone des Volksaufstands. Ein Film über ihn – Los Velázquez von Pablo
Szir – verschwand gemeinsam mit seinem Regisseur. Carri entwirft
ein »Negativ« zum Buch ihres Vaters: ein unmögliches Unterfangen,
aber das Ergebnis ist befriedigend. Am Ende versteht man ihre
Gründe. Velázquez war der Impuls, der ihr vererbt wurde und den sie
symbolisch wiederauferstehen lässt und gegenwärtig macht. (R. K.)

OKTOBER / NOVEMBER 2021 Film as a Subversive Art                19
Homenaje a la
                                                                           obra de Philip
FLEISCH UND BISSEN                                                         Henry Gosse
                                                                           (2020, Pablo
A.I. AT WAR                                                                Martín Weber)
Ein Film von Florent Marcie. FR, 2021, DCP, Farbe, 107 min.
Französisch mit engl. UT ★
DAVOR: Cele doua executii ale Maresalului (Die zwei Exekutionen
des Marschalls) Radu Jude. RO, 2018, DCP, Farbe und sw, 10 min.
Rumänisch mit engl. UT ★
Homenaje a la obra de Philip Henry Gosse (Hommage ans Werk
von P. H. Gosse) Pablo Martín Weber. AR, 2020, DCP, Farbe, 22 min.
Spanisch mit engl. UT ★
Florent Marcies Begleiter in seinem Film ist ein kleiner, komplizierter,   DONNERSTAG
lernfähiger Roboter namens Zota, deren (Zota hat eine Frauen-              28.10. / 18.30
stimme) Augen Kameras sind. Die Gegenschüsse auf Marcie zeigen              • In Anwesen-
also buchstäblich die subjektive Wahrnehmung eines Roboters. Der           heit von
                                                                           Florent Marcie
Film gibt damit den Ausblick auf ein mögliches Kino: eines, das rein
von intelligenten Maschinen gestaltet wird. Zum Auftakt zwei andere        MITTWOCH
dialektische Übungen. Radu Jude kontrastiert das Dokument der Hin-         3.11. / 18.30
richtung von Marschall Ion Antonescu, Diktator Rumäniens von 1940-
44, mit ihrer manipulativen Reinszenierung in dem Spielfilm Oglinda
(1994). Pablo Martín Weber liefert eine Hommage an Philip Henry
Gosse, einen Wissenschaftler des 19. Jahrhunderts, und parallel dazu
eine Analyse des Übergangs von Archiven in die Digitalität. (R. K.)

OKTOBER / NOVEMBER 2021 Film as a Subversive Art                     20
The Insomnia of
Nour Ouayda                                                                              a Serial Dreamer
                                                                                         (2020, Mohamed
AUF ARABISCH KANN FREUNDSCHAFT AUCH                                                      Soueid)
EHRLICHKEIT BEDEUTEN
In der arabischen Sprache ist die Wortwurzel von sadaqa (Freund-
schaft) sodq (Ehrlichkeit). Das heißt nicht notwendigerweise, dass
Freundschaft und Ehrlichkeit Synonyme sind, aber sie sind verbunden
als zwei Positionen, als zwei ähnliche Arten, mit anderen umzugehen.
             Ana fil sadaqa. Befreundet sein. Ehrlich lieben. Freund-
schaft ist eine Haltung, über die wir unser In-der-Welt-sein und unser
Verhältnis zu ihr definieren. Die drei Filme in diesem Programm
fokussieren auf drei befreundete Filmemacher, für die Freundschaft
nicht bloß eine Nebensache ist. Sie wird nicht nur in der Freizeit ge-
lebt, sondern kann das Zentrum werden, von dem ausgehend und
durch das sie ihre Filme machen. So wird Freundschaft zur Wider-
standsgeste gegen kommodifiziertes Kino. (Nour Oyada)
Nour Ouayda ist Filmemacherin, Filmkritikerin und Kuratorin. Sie ist stellvertretende
Direktorin der Metropolis Cinema Association in Beirut, wo sie auch das Cinematheque-
Beirut-Projekt koordiniert. Sie ist Mitherausgeberin des Montrealer Online-Filmmaga-
zins Hors champ. Ihre Filme und Texte untersuchen die Praxis des Driftens im Kino. Sie
gehört zum Camelia Committee, einem Kollektiv, das hybride Formen des Schreibens
für das und im Kino erforscht.

OKTOBER / NOVEMBER 2021 Film as a Subversive Art                                   21
Baalbek
Ein Film von Ghassan Salhab, Akram Zaatari, Mohamed Soueid.
LB, 2001, DCP, Farbe, 53 min. Arabisch mit engl. UT ★
DAVOR: As Far as Yearning Ghassan Salhab, Mohamed Soueid.
LB, 2017, DCP, Farbe, 27 min. Arabisch und Französisch mit engl. UT ★
In Baalbek sind ein Reporter und ein Fotograf unterwegs, um über             DIENSTAG
ein Musikfestival zu berichten, doch kommen sie zwischen Beirut und          26.10. / 11.00
Baalbek vom Weg ab. Der Film ist als Triptychon angelegt, bei dem
die drei Freunde Ghassan Salhab, Akram Zaatari und Mohamed Sou-              DONNERSTAG
eid gemeinsam Regie führten. Dieselbe Reise wird dreimal wieder-             18.11. / 18.30
holt und jeder Filmemacher zeigt sie uns anders. Die Wüsteneien und
das Strecken derselben Geschichte
spiegeln den verwirrten Zustand, in
dem sich der Libanon momentan be-
findet. Zwei Cineasten, die in zwei ver-
schiedenen Städten leben, beschrei-
ben in As Far as Yearning die geteilte
Sehnsucht nacheinander durch ver-
streute Bilder, Klänge und Monologe
des jeweils anderen. Zusammenge-
setzt werden sie ein Film, ein Dialog,
eine Seele, die von der Einsamkeit fortgetragen wurde. (N. O.)               Baalbek

The Insomnia of a Serial Dreamer
Ein Film von Mohamed Soueid. LB, 2020, DCP, Farbe, 170 min.
Arabisch mit engl. UT ★
Mohamed Soueid hatte immer ein Talent dafür, seine Freunde und               MITTWOCH
Angehörigen zu filmen. Er trug Stunden um Stunden von Material zu-            27.10. / 21.00
sammen, indem er sie über Jahre hinweg filmte. Wir sehen sie älter
und jünger werden. Sie sind nicht der Gegenstand seiner Filme, son-          DONNERSTAG
dern der Stoff, aus dem diese gewebt sind. The Insomnia of a Serial          18.11. / 20.30
Dreamer entstand aus Aufnahmen, die über 15 Jahre hinweg ge-
macht wurden: Weil er an Schlaflosigkeit litt, ließ sich Soueid von
ihnen Geschichten erzählen, die ihm beim Einschlafen helfen sollten.
Freundschaft verwandelt sich in Sprache und Rede, während wir
dabei zusehen, wie seine Freunde Soueid in den Schlaf reden. (N. O.)

OKTOBER / NOVEMBER 2021 Film as a Subversive Art                        22
21. BIS 31. OKTOBER 2021

Viennale im Filmmuseum
Während der Viennale im Filmmuseum gelten gesonderte Ticketregelungen
(siehe Seite 71).

                                                                                  All Light, Every-
                                                                                  where (2021,
L’Événement (Das Ereignis)                                                        Theo Anthony)

R: Audrey Diwan D: Anamaria Vartolomei, Kacey Mottet-Klein, Luàna Bajrami.
FR, 2021, 100 min. Französisch mit dt. UT
DAVOR: Viennale-Trailer 2021: But Why? Terence Davies
D: Richard Goulding, Peter Capaldi. GB/AT, 2021, 1 min
In ihrem eindringlichen Drama – in Venedig mit dem Goldenen Löwen DONNERSTAG
ausgezeichnet – begleitet Diwan ihre mit ruhiger Intensität aufspie- 21.10. / 21.00
lende Hauptdarstellerin Anamaria Vartolomei auf einer schmerzvollen
Abtreibungsodyssee. Basierend auf wahren Begebenheiten, zeigt sie,
was passiert, wenn man Frauen das Recht auf Selbstbestimmung
nimmt und sie mit ihrer Entscheidung für einen Schwangerschaftsab-
bruch in Illegalität und Lebensgefahr treibt. Auch wenn der Film in den
1960er Jahren in Frankreich spielt, führen doch aktuelle Diskussionen
wie die über das neue Abtreibungsgesetz in Texas vor Augen, dass
das Thema nie an Dringlichkeit verloren hat. (S. R.)

OKTOBER / NOVEMBER 2021 Viennale im Filmmuseum                               23
All Light, Everywhere
R: Theo Anthony. US, 2021, 109 min. Englisch ★
Ein so materialreicher wie denkfreudiger Essayfilm, der jenes weite FREITAG
Feld beackert, das sich zwischen dem Akt des Sehens, dem Aufzeich- 22.10. / 11.00
nen, dem Vermessen und dem Interpretieren aufspannt, und auf
dem mittlerweile auch das Überwachen und das Regulieren ihre
Zelte aufgeschlagen haben. Was also hat das Bilderschießen mit dem
Maschinengewehr zu tun, der Taser mit der Bodycam und serielle
Fotografie mit Computing? Ausgehend von der These, dass an jenem
blinden Fleck, von dem der Blick ausgeht, die Macht sitzt, prescht An-
thony forsch durch die Wissenschaftsgeschichte, greift nach allen Sei-
ten aus, setzt neu zusammen – und lehrt uns das Fürchten. (A. S.)

A River Runs, Turns, Erases, Replaces
R: Zhu Shengze. US, 2020, 87 min
Corona Ground Zero: Wuhan am Jangtse, während des Lockdowns, FREITAG
davor und danach. Shengze Zhu montiert Impressionen aus ihrer Hei- 22.10. / 13.30
matstadt: Eine Straßenkreuzung, an der sich nichts mehr rührt; das all-
abendliche Spektakel des Einschaltens der Skyline-Beleuchtung, ge-
filmt vom Flussufer gegenüber; Badende und Singende im diesigen
Dunst; lärmende Baustellen allerorten. Stillstand – Bewegung. Bewe-
gung – Stillstand. Dazu Briefe an Verstorbene – den Ehemann, die
Oma, den Vater, den Bruder –, in denen all die verpassten Chancen be-
klagt werden, miteinander zu sprechen, einander wahrhaft kennen zu
lernen, füreinander da zu sein. Verlust und Veränderung. (A. S.)

Kurzfilmprogramm 1: Inheritances ★                                                  FREITAG
Patrick Luke Fowler. GB, 2020, 21 min. Englisch                                    22.10. / 16.00
Glimpses from a Visit to Orkney in Summer 1995 Ute Aurand.                          • In Anwesen-
DE/GB, 2020, 5 min                                                                 heit von
                                                                                   Christiana
Querida Chantal Nicolás Pereda. MX/ES, 2021, 5 min. Spanisch mit engl. UT
                                                                                   Perschon,
Sekundenarbeiten Christiana Perschon. AT, 2021, 14 min. Deutsch mit engl. UT       Ute Aurand und
Das Rad Friedl vom Gröller. AT, 2021, 3 min                                        Friedl vom
Renate Ute Aurand. DE, 2021, 6 min. Deutsch                                        Gröller

arrojalatierra Valentina Alvarado Matos. ES, 2021, 15 min. Spanisch mit engl. UT
Einen ausführlichen Hinweis zu diesem Programm finden Sie in den
Viennale-Publikationen und auf www.viennale.at

OKTOBER / NOVEMBER 2021 Viennale im Filmmuseum                                24
arrojalatierra (2021, Valentina Alvarado Matos), Sekundenarbeiten (2021, Christiana Perschon)

Atlantide
R: Yuri Ancarani D: Daniele Barison, Bianka Berényi, Maila Dabalà.
IT/FR/US/QA, 2021, 100 min. Italienisch mit engl. UT ★
Auf dem Festland rasen die Jungmänner in frisierten Karren durch die                    FREITAG
Gegend, in der Lagune hüpfen sie in Barchinos über die Wellen und                       22.10. / 21.00
pulverisieren einander die Geschwindigkeitsrekorde. Hin und wieder                       • In Anwesen-
kollidiert einer mit einer abgefaulten Bricola, einer Wasserwegmarke.                   heit von
                                                                                        Yuri Ancarani
Ancarani schöpft seine kleine Fiktion über Daniele, der dazugehören
möchte, quasidokumentarisch aus der Jugendszene vor Ort und
von den Rändern her. Impressionen des ziellosen Hedonismus im
Schatten eines touristischen Hotspots münden in einen psychedeli-
schen Rausch, in dem Venedig die geisterhafte Kulisse liefert für eine
donnernd durch ihre Kanäle ziehende Motorboot-Disko. (A. S.)

Qué será del verano (What Will Summer Bring)
R: Ignacio Ceroi D: Ignacio Ceroi, Mariana Martinelli, Charles Louvet.
AR, 2021, 86 min. Englisch/Französisch mit engl. UT ★
Der Filmemacher entdeckt auf seiner Kamera Aufnahmen des frühe-                         SAMSTAG
ren Besitzers, Charles, eines Rentners aus Frankreich. Er nimmt Kon-                    23.10. / 13.30
takt zu ihm auf, taucht ein in das gefundene Material, erzählt, assozi-                  • In Anwesen-
iert, imaginiert ein fremdes Leben. Ob die Geschichten wahr sind, ist                   heit von
                                                                                        Ignacio Ceroi
nebensächlich, es zählt der Resonanzraum des stets mitfühlenden
Blicks. Wir sehen: Überall brennt es, in Frankreich demonstrieren die
Gelbwesten, in Kamerun droht ein Bürgerkrieg – doch in Cerois
Freude am Schauen und Charles’ Sehnsucht nach Abenteuer verwe-
ben sich die Ereignisse zu einer melancholischen (Rück-)Schau auf
das vergängliche Geflecht menschlicher Beziehungen. (M. M.)

OKTOBER / NOVEMBER 2021 Viennale im Filmmuseum                                     25
The House
                                                                                of Mirth (2000,
                                                                                Terence Davies)

Kurzfilmprogramm 2: Reconfiguring the Earth ★                                     SAMSTAG
Sol de campinas Jessica Sarah Rinland. BR, 2021, 27 min.                        23.10. / 16.00
Portugiesisch mit engl. UT
Scylos Maaike Anne Stevens. NL/GB, 2021, 22 min. Englisch
Tellurian Drama Riar Rizaldi. ID, 2021, 26 min. Indonesisch mit engl. UT
Einen ausführlichen Hinweis zu diesem Programm finden Sie in den
Viennale-Publikationen und auf www.viennale.at

The House of Mirth
R: Terence Davies D: Gillian Anderson, Eric Stoltz, Dan Aykroyd.
GB/FR/DE/US, 2000, 135 min. Englisch mit dt. UT ★
Die New Yorker High Society der Belle Époque verzeiht keine Fehler,             SAMSTAG
erst recht nicht die der alleinstehenden Lily Bart, die, anstatt zu heira-      23.10. / 18.30
ten, mit Junggesellen flirtet und an der Börse spekuliert. Davies adap-           • In Anwesen-
tiert einen Roman der US-amerikanischen Schriftstellerin Edith Whar-            heit von Terence
                                                                                Davies
ton aus dem Jahr 1905. Wie Wharton blickt er durch ein Mikroskop auf
die Feinmechanik der Konventionen und präpariert jenes Herr-
schaftsinstrument der Oberschicht heraus, dem Lily zum Opfer fällt.
Aus Blicken, Gesten, Worten setzt sich die Mühle zusammen, die ste-
tig und gnadenlos die Seele einer Frau zermalmt, die von der Freiheit
sich, sekundenkurz, zu träumen erlaubte. (A. S.)

OKTOBER / NOVEMBER 2021 Viennale im Filmmuseum                             26
Futura
R: Pietro Marcello, Francesco Munzi, Alice Rohrwacher.
IT, 2021, 110 min. Italienisch mit engl. UT ★
In Lucio Dallas Lied »Futura« (1980) heißt es: »Unser Kind wird auf die SONNTAG
Welt kommen und keine Angst haben«, aber das waren andere Zei- 24.10. / 13.30
ten. Die Gesichter jener Nicht-mehr-Kinder/Noch-nicht-Erwachsenen,
die von den Regisseur*innen – kreuz und quer unterwegs durch Ita-
lien – nach ihrer Einschätzung gefragt werden, strahlen zwar eher sel-
ten Optimismus aus, dafür aber eine erfrischende Energie; keiner er-
laubt sich gedankliche Höhenflüge, doch die Welt wäre nur gerecht,
wenn es kein Geld gäbe. Seit Jahrzehnten schert sich der italienische
Staat herzlich wenig um die Jüngeren, die ja eh nicht wählen dürfen.
Futura hält dagegen. (F. K.)

Kurzfilmprogramm 3: Human Material ★                                      SONNTAG
La sangre es blanca Óscar Vincentelli. ES/VE, 2021, 13 min               24.10. / 16.00
Los huesos Cristóbal León, Joaquín Cociña. CL, 2021, 14 min.              • In Anwesen-
Spanisch mit engl. UT                                                    heit von Óscar
                                                                         Vincentelli und
Train Again Peter Tscherkassky. AT, 2021, 20 min
                                                                         Peter
A Human Certainty Morgan Quaintance. GB, 2021, 20 min. Englisch          Tscherkassky
Einen ausführlichen Hinweis zu diesem Programm finden Sie in den
Viennale-Publikationen und auf www.viennale.at

Benediction
R: Terence Davies D: Peter Capaldi, Jack Lowden, Kate Phillips.
GB, 2021, 137 min. Englisch ★
Siegfried Sassoon (1886–1967) war einer der herausragendsten Ver-        SONNTAG
treter der englischen War poets des WK I – zunächst hochdekorierter      24.10. / 20.30
Held, dann beißender Kritiker der militärischen Strategen. Nach           • In Anwesen-
Kriegsende stürzt er sich in zahlreiche Affären mit Männern; als Ange-   heit von Terence
                                                                         Davies
höriger der Upper Class kann er sich den relativ offenherzigen Um-
gang mit der eigenen Homosexualität erlauben. Später heiratet er
und zeugt einen Sohn, noch später konvertiert er zum Katholizismus.
Ein ruheloses Leben voller Widersprüche, dem Davies mit seiner dy-
namischen Inszenierung gerecht wird, es dabei jedoch nie versäumt,
das Augenmerk auf Sassoons innere Zerrissenheit zu lenken. (A. S.)

OKTOBER / NOVEMBER 2021 Viennale im Filmmuseum                     27
The Long Day Closes
R: Terence Davies D: Leigh McCormack, Marjorie Yates, Anthony Watson.
GB, 1992, 83 min. Englisch ★
Liverpool in den Fünfzigerjahren; auch in seinem zweiten Langfilm ist         MONTAG
es der eigene familiäre Hintergrund, auf den Davies den Blick richtet;       25.10. / 13.30
und wieder wird viel gesungen, ins Kino gegangen auch. Im Unter-              • In Anwesen-
schied zu Distant Voices, Still Lives aber stehen diesmal eher die all-      heit von Terence
                                                                             Davies
tägliche Wärme, die selbstverständliche Sorge, das freundliche Um-
einanderkümmern und liebevolle Miteinanderumgehen im Mittel-
punkt. Familie als ein Ort der instinktiven Sicherheit, an dem es keinen
gewalttätigen Vater (mehr) gibt. Doch schon wirft die Schule mit ka-
tholischer Zucht und Ordnung erste Schlagschatten, spürt der Junge
diffus sein »Anderssein«, droht das Ende der Kindheit. (A. S.)

Kurzfilmprogramm 4: The Scope of Dreams ★                                     MONTAG
Silabario Marine de Contes. FR, 2021, 14 min. Spanisch mit engl. UT          25.10. / 16.00
As time goes by Wilbirg Brainin-Donnenberg. AT, 2021, 15 min                  • In Anwesen-
Sycorax Lois Patiño, Matías Piñeiro. ES/PT, 2021, 19 min.                    heit von Wilbirg
                                                                             Brainin-Donnen-
Spanisch/Portugiesisch mit engl. UT
                                                                             berg, Lois Patiño
Elle Luise Donschen. DE, 2021, 14 min. Japanisch mit engl. UT                und Michaela
under the microscope Michaela Grill. AT/CA, 2021, 7 min                      Grill
Einen ausführlichen Hinweis zu diesem Programm finden Sie in den
Viennale-Publikationen und auf www.viennale.at

The Inheritance
R: Ephraim Asili D: Eric Lockley, Nozipho Mclean, Chris Jarrell.
US, 2020, 100 min. Englisch ★
The Inheritance – das Erbe ist das Haus, in das Julian nach dem Tod          MONTAG
seiner Großmutter mit Gleichgesinnten einzieht, aber auch das Ver-           25.10. / 18.30
mächtnis afroamerikanischer Kultur und Widerstandsgeschichte. In              • In Anwesen-
Godard’scher Manier werden relevante Texte vor primärfarbenen                heit von
                                                                             Ephraim Asili
Wänden rezitiert, politische Schulung findet am Küchentisch statt.
Filmdokumente zeigen die erste schwarze Abgeordnete, erinnern an
das marxistische Kollektiv MOVE, das von der Polizei brutal ausge-
bombt wurde. Der Rückgriff auf Ästhetik und Historie der 1960er und
70er Jahre verweist auf Wurzeln, ohne die der aktuelle Kampf der
Black-Lives-Matter-Bewegung nicht zu verstehen und nicht zu führen
ist. (B. K.)

OKTOBER / NOVEMBER 2021 Viennale im Filmmuseum                          28
The Inheritance
                                                                                 (2020, Ephraim
                                                                                 Asili)

Ste. Anne
R: Rhayne Vermette D: Isabelle d’Eschambault, Jack Theis, Valerie Marion.
CA, 2021, 80 min. Französisch mit engl. UT ★
Renée war vier Jahre weg, man weiß nicht wieso und wo. Ihre Tochter DIENSTAG
Athene wurde derweil von ihrem Bruder Modeste und dessen Frau 26.10. / 13.30
großgezogen. Eine schwierige Situation, die noch schwieriger wird,
als die zurückgekehrte Renée mit dem Plan aufwartet, gemeinsam
mit der Tochter wegziehen zu wollen. Dies die Geschichte, um die die
Form, unbekümmert um Stringenz, einen lyrisch-assoziativen Natur-
bilderschleier webt. Gedreht wurde Ste. Anne im »Treaty 1 Territory«,
dem Kernland der Métis Nation. Und die Vergangenheit des Landes
dringt in die Gegenwart der dort Lebenden in jeder der fragmenta-
risch flüchtigen, doch kostbar schillernden Einstellungen. (A. S.)

Kurzfilmprogramm 5: Social Skins ★                                                DIENSTAG
Nullo Jan Soldat . AT/DE, 2021, 16 min. Deutsch mit engl. UT                     26.10. / 16.00
The Capacity for Adequate Anger Vika Kirchenbauer. DE, 2021, 15 min. Englisch     • In Anwesen-
Social Skills Henry Hills. AT/BE, 2021, 12 min                                   heit von
                                                                                 Jan Soldat, Henry
2020 Friedl vom Gröller. AT, 2021, 2 min
                                                                                 Hills, Friedl
Hotel Royal Salomé Llamas. PT, 2021, 29 min. Portugiesisch mit engl. UT          vom Gröller und
Einen ausführlichen Hinweis zu diesem Programm finden Sie in den                 Salomé Llamas
Viennale-Publikationen und auf www.viennale.at

OKTOBER / NOVEMBER 2021 Viennale im Filmmuseum                              29
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