Dolly Haas und John Brahm Ehemaliges Kino Heimfelder Lichtspiele Nach Borchert Liebe 47
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# 27 / April 2021 / www.filmmuseum-hamburg.de
Dolly Haas
und John Brahm
Ehemaliges Kino
Foto: © Archiv Sumishta Brahm
Heimfelder Lichtspiele
Nach Borchert
Liebe 47
Inhalt
05 EDI TO R I A L
06 F I L M G ES CHI CHTE
Dolly Haas und Hans (John) Brahm
Zwei Filmschaffende aus Hamburg
15 F I L M G ES CHI CHTE
Der Altstoffverwertung zugeführt
Ein Filmbetrachter namens „Filmascope“
16 A LT E H A M B U R G E R L I C H T S P I E L H Ä U S E R
Beliebtes Tanzlokal, Soldatenkneipe und Kino
Die Heimfelder Lichtspiele
20 F I L M G ES CHI CHTE
Der letzte Heimkehrerfilm
Liebe 47
30 F I L M G ES CHI CHTE
Film-Berichte aus Hamburg 1945 –1952
Nachkriegsjahre im Spiegel der Wochenschau
36 F I L M G ES CHI CHTE
„Kinder, jetzt komm ich!“
Hans Albers und die 13 kleinen Esel …
42 A US S TEL L UNG A LTO NA ER M US EUM
Close-up Hamburg
120 Jahre Film- und Kinogeschichten
43 A US S TEL L UNG BENDES TO R F
60 Jahre TV Historie Bendestorf
Eine Multimedia-Installation
44 F I L M - UND K I NO G ES CHI CHTE
Kreuz und quer durch
Hamburgs Verleihbüros
50 M ATI NEEN
Hamburg im Film. Sonntagsmatineen
im Abaton-Kino Herbst 2021
Impressum
Hamburger Flimmern
Die Zeitschrift des Film- und Fernsehmuseums Hamburg e.V.
www.filmmuseum-hamburg.de, www.fernsehmuseum-hamburg.de
Redaktion: Michael Töteberg, Dr. Joachim Paschen, Volker Reißmann
Adresse: Finkenau 35, 22089 Hamburg, T. 040 . 428 31 31 50,
info@filmmuseum-hamburg.de | Erscheinen: einmal jährlich |
Foto: © Archiv Sumishta Brahm
Anzeigen: sind gern gesehen | Bezug: für Mitglieder kostenlos
Gestaltung und Layout: atelier anita wertiprach, Hamburg
Promotionfoto Titelfoto: Promotionfoto Dolly Haas, © Privatarchiv Sumishta Brahm
Dolly Haas 1934 Foto U2: Promotionfoto Dolly Hass und Paul Westermeier bei Dreharbeiten
zu Warum lügt Fräulein Käthe? 1933 / 34, © Privatarchiv Sumishta Brahm
an Bord der Foto U3: Promotionfoto mit Hans Albers für 13 kleine Esel und
der Sonnenhof, Foto: Real-Film | Rückseite: Plakat Liebe 47 aus der
MS General Osorio Sammlung Film- und Fernsehmuseum Hamburg e.V.
4 EDI TORIAL E DIT ORIA L 5
Joachim Paschen Volker Reißmann Michael Töteberg
Liebe Mitglieder, liebe Freunde,
liebe Leserin, lieber Leser,
die 27. Ausgabe des Hamburger Flimmern, der jähr- Die Kino-Veranstaltungen im Abaton mussten we-
lich erscheinenden Zeitschrift des Vereins Film- gen der Corona-Krise nach zwei Terminen im Früh-
und Fernsehmuseum Hamburg, erhalten Sie leider jahr abgebrochen werden; im Herbst konnte Ende
mehr als ein Vierteljahr später als gewohnt: Wir Oktober nur noch ein Programm gezeigt werden.
mussten zwar nicht schließen und konnten weitge- Es ist verabredet, sofort nach Öffnung der Kinos die
hend unsere Arbeit machen wie bisher; aber an vie- Reihe Hamburg im Film fortzusetzen.
len anderen Stellen lief es nicht so, dass wir eine zu-
friedenstellende Ausgabe zustande gebracht hätten. Die Erfassung der Bestände an Zeitschriften wird
Nun liegt sie vor: Wir wünschen Ihnen viele neue mit Hilfe von Renate Bruhn intensiv betrieben. Die
Einblicke in die Hamburger Mediengeschichte. Erfassung der umfangreichen Sammlung von Spiel-,
Dokumentar- und Werbefilmen aller Formate konn-
An dieser Stelle möchte der Vorstand besondere te weitgehend abgeschlossen werden. Eine Gesamt-
Ergebnisse der Arbeit im vergangenen Jahr hervor- liste ist in Vorbereitung. Es gibt folgenden Bestand
heben: Die üblicherweise auf Ende Mai terminierte an Titeln (z.T. in unterschiedlichen Formaten):
Mitgliederversammlung musste verschoben werden 35 mm: 240 | 16 mm stumm: 60
und konnte dann am 28. September 2020 in einem 16 mm Magnetton: 70 | 16 mm Lichtton: 400
weiträumigen Hörsaal auf dem Mediencampus der VHS, U-matic, Beta: 300 | DVD: 1360
Finkenau stattfinden.
Foto: Corinna Jockel / Staatsarchiv Der wichtigste Tagesordnungspunkt war die Wahl Ein besonderer Dank für die Erfassung der Filme
des Vorstandes. Die bisherigen Mitglieder Joachim geht an die tatkräftige Hilfe von Gerhard Jagow.
Paschen, Volker Reißmann und Michael Töteberg Die Bemühungen, wichtige Filme aus unserem
waren zur Weiterführung ihrer Tätigkeit bereit, Bestand zu digitalisieren und so für die Nachwelt
stellten sich zur Wahl und wurden mehrheitlich be- nutzbar zu machen und zu erhalten, bildeten einen
stätigt. weiteren Schwerpunkt unserer Arbeit.
Wieder konnten diverse Schenkungen von Privat- Die enge Kooperation mit dem Filmmuseum Ben-
personen dankend entgegengenommen werden: destorf sowie mit dem Landesfilmarchiv Bremen
· Der langjährige Produktionsleiter Eckart Lippens wurde fortgesetzt. An der Vorbereitung und Durch-
spendete seine umfangreiche Bibliothek mit führung von zwei Ausstellungen kann sich der Ver-
Kurz vor dem Lockdown: Infostand des Vereins
beim Tag der Archive im Staatsarchiv Hamburg am Werken zur Filmgeschichte ein im laufenden Jahr beteiligen:
6. März 2020 · Wolfgang Otto überließ uns weitere Exponate · Eine enge Zusammenarbeit gibt es zur für Ende
zur Geschichte der Alster-Synchron-Studios 2021 geplanten Ausstellung 120 Jahre Kino- und
in Ohlstedt Filmgeschichten mit dem Altonaer Museum
· aus privater Hand erreichte uns ein sogenannter (siehe Seite 42)
Filmbildbetrachter (Filmascope) aus den 1920er · Geräte und weitere Materialien steuern wir zur
Jahren: Er diente zum Anschauen von Einzelbil- Darstellung der Geschichte des Fernsehens im
dern aus zerschnittenen 35-mm-Filmkopien Filmmuseum Bendestorf bei; mit der Eröffnung
· zwei alte Grundig-Fernsehgeräte aus den 1960er ist im Winter zu rechnen (siehe Seite 43)
Jahren
· der Filmjournalist Bernd Jetschin und seine Die Anfrage wegen einer Ausstellung in Räumen
Frau, die Filmkritikerin Birgit Heidsiek, über- der Staats- und Universitätsbibliothek ist grund-
ließen uns Pressematerialien (einschl. DVDs) zu sätzlich positiv beantwortet worden, allerdings erst
aktuellen Film- und Fernsehproduktionen für 2022.
· Wolfram Brackhahn vom NDR überbrachte
Videomitschnitte und interessante Filmbücher Joachim Paschen i. A. des Vorstands
6 FILMG ESCHICHTE FILMGE SCHICHT E 7
Dolly Haas und
Hans (John) Brahm
Zwei Filmschaffende
aus Hamburg
Von Volker Reißmann
Jüngeren Studien zufolge verließen
nach der Machtergreifung der
Nationalsozialisten rund 2.000
Emigranten alleine aus der Kino-
und Filmbranche Deutschland.
Dabei handelte es sich um Film-
Foto: Trude Fleischmann © Sumishta Brahm
schaffende aus allen nur erdenkli- Porträt von Dolly Haas
chen Bereichen der Filmindustrie, aus dem Film
So ein Mädel vergisst
neben Schauspielern also auch man nicht (1931/32)
um Regisseure, Schnittmeister/
Foto: Projectograph Berlin
Linke Seite:
Cutter, Filmkomponisten, Drehbuch- Undatiertes Porträt
autoren und Filmproduzenten. von John Brahm
D
ieser Aderlass der deutschen Film- nen sollten. Ihr persönliches Schicksal Loewenberg und erzielte Bestnoten in Operette Mikado auf. Friedrich Hollän- Im selben Jahr kehrte sie nach Ber- der Revue von Erich Engel gesehen hat-
industrie nach 1933 sollte Deutsch- steht exemplarisch für das vieler ande- den Fchern Singen, Turnen und Lesen. der, Rudolf Nelson, Max Reinhardt, Kurt lin zurück und trat im Kabarett mit Wer- te, holte sie dann im gleichen Jahr, 1930,
land ohne Frage viele seiner krea- rer Künstler, die sich aufgrund der Re- Schon im Kinderballett des Stadtthea- Gerron und andere Größen der „Golde- ner Finck und Hans Deppe in der legen- zur UFA.
tivsten Köpfe kosten und riss eine – trotz pressionen der Nazis gezwungen sahen, ters trat sie als Solotänzerin auf und gab nen Zwanziger Jahre“ verpflichteten sie dären Katakombe sowie im Kabarett der
aller gegenteiligen Versprechungen der Deutschland in jener Zeit zu verlassen. im Alter von zehn Jahren einen Tanz- danach für Kabarett und Revuen. Komiker bei Kurt Robitschek. Hier fiel
D olly ma c h t ka r r ie r e
Nationalsozialisten – nicht mehr zu- abend in einem Frankfurter Konserva- 1929 verließ Dolly Haas vorüberge- sie dem Regisseur Max Reinhardt auf,
schließende Lücke in das Kulturschaffen. torium, am Klavier begleitet von ihrer hend Berlin wieder und feierte in Mün- der sie für die Revue Wie werde ich reich Schon in ihrem zweiten Kinofilm, der
D O L LY H A A S
Unter diesen Exilanten befanden Mutter. chen einen großen Erfolg als Prinzessin und glücklich? anwarb, die Erich Engel Ende 1930 entstand, spielte sie eine
sich auch zwei in Hamburg geborene Eleonor Dorothy Luise Clara Haas wur- Auf einer Feier des Lyzeums im Bibi in der als Revue inszenierten Ope- Anfang 1930 am Großen Schauspielhaus Hauptrolle: Dolly macht Karriere hieß
Künstler, Dolly Haas und ihr späterer de am 29. April 1910 in Hamburg als Curio-Haus spielte Dolly Haas 1927 vor rette Ein Walzertraum. inszenierte. Eigentlich beschränkte sich die turbulente Filmkomödie, mit der sie
Ehemann, John (Hans) Brahm. Die zweite Tochter von Charles Oswald 1.000 Zuschauern die Hauptrolle in Der bekannte Komponist Oscar Straus Dollys Mitwirken in der Revue auf den ihren Durchbruch feierte. Dolly Haas
künstlerischen Anfänge der beiden la- Haas, dem Sohn eines in London ansäs- Jakob Loewenbergs Ecke Neckepenn. soll ihr die Rolle quasi auf den Leib ge- Part des „Nummerngirls“ und (stum- war mit ihrer knabenhaften Statur nun-
gen in den 1920er und frühen 1930er sigen Verlagsbuchhändlers aus Breslau, Nach dem Schulabschluss erhielt sie auf schrieben haben, und der Intendant des men) Zwischenakts-Conférenciers. Eine mehr auf sogenannte „Hosenrollen“
Jahren in der Hansestadt. Ihr gemein- und Johanna Margarete, geb. Jagemann, Vermittlung von Alfred Mündheim ein Deutschen Theaters in München, Hans erste, noch kleine Filmrolle hatte sie förmlich abonniert. Fritz Kortner insze-
samer Weg in die Emigration führte sie geboren. Von 1917 bis 1927 besuchte erstes Engagement am Operettenhaus. Guß, engagierte sie für ein paar Mona- 1930 als singende Schaufensterpuppe in nierte 1931 mit ihr So ein Mädel vergisst
über England schließlich in die USA, „Dolly“, wie sie sich alsbald nannte, das Wenig später zog sie nach Berlin um und te für seine Bühne in der bayerischen Eine Stunde Glück von Wilhelm Dieterle. man nicht. 1932 spielte und sang sich
wo sich allerdings ihre Wege bald tren- renommierte Lyzeum von Dr. Jakob trat in der von Erik Charell inszenierten Metropole. Der Regisseur Anatol Litvak, der sie in Dolly Haas in der zweiten Verfilmung
8 FILMG ESCHICHTE FILMGE SCHICHT E 9
Foto: Privatarchiv Smedresman / Ingeborg Freundlich / Liskor
Foto: © Archiv Sumishta Brahm
Hans Brahm (Mitte) mit seinen Geschwistern in Hamburg (um 1900) Dolly Haas (links, mit Bubikopf und weißem Kragen) um 1920 in der Loewenberg-Schule
des Scampolo-Bühnenstückes des Italie- Hans Brahm besuchte 1911 kurz die heiratete. Diese Ehe währte jedoch nur übernahm nun die Rolle auch 1933 kam es aufgrund des
ners Dario Niccodemi endgültig in die Kunstschule mit der Absicht, Architekt wenige Jahre. 1921 erhielt Brahm ein noch einmal für die Lein- Hauptdarstellers Max Han-
Herzen des Publikums. Dolly Haas hatte zu werden, ging dann aber zum Thea- Engagement am Deutschen Volksthea- wand-Adaption. Am Dreh- sen zu antisemitischen Aus-
damit bereits am Deutschen Künstler- ter. Nach einem ersten Auftritt in Bre- ter in Wien und konnte auch am legen- buch arbeitete der große fällen.
theater in Berlin brilliert und übernahm merhaven debütierte er 1911 in einer dären Burgtheater arbeiten. Komödiant Billy Wilder mit, In einem Interview
nun die Rolle auch noch einmal für die Aufführung von Wedekings So ist das die Regie übernahm Hans erinnerte sich Dolly Haas
Leinwand-Adaption. Leben am Thalia-Theater in Hamburg. Steinhoff. Und auch Hans viele Jahre später an die
gemeinsame F ilma r bei t en
In der damals gerade neugegründeten Brahm arbeite bei diesem Film sich damals zuspitzende Situ-
„Arbeiterbildungs-Kommission“ erhielt Bei den Dreharbeiten zum deutsch- wieder als Dialog-Regisseur mit. ation: „Den ersten Schock erlebte
H ans B r ahm
er durch Leopold Jessner Schauspiel- französischen Film Großstadtnacht von Mit der Bühnenfassung des Scampolo- ich, als Paul Nikolaus, ein Conférencier
Hans Julius Bahm wurde am 17. August unterricht. 1912 nahm Brahm ein Enga- Fedor Ozep lernten sich 1932 Dolly Stoffes gingen Dolly Haas und Hans am Kabarett der Komiker, Selbstmord
1893 in Hamburg geboren. Vorfahren gement am Deutschen Landestheater Haas und Hans Brahm kennen, der in Brahm dann wenig später auf eine The- beging. Und dann die Premiere am
seiner Familie, zu denen mit der 1790 in Prag an. Bei Kriegsausbruch kehrte eher untergeordneter Funktion als Dia- atertournee. 8. September. Den Max Hansen habe
geborenen Esther Ballin auch ein Mit- er zunächst nach Hamburg zum Thalia- log-Regisseur an diesem Werk mitar- Und doch sollten sich die Wege von ich verehrt, das trifft einen doch per-
glied der späteren Reederdynastie ge- Theater zurück, bis er im Juni 1915 zum beitete. Bereits beim nächsten gemein- Dolly Haas und Hans Brahm vorüber- sönlich, wenn ein Kollege beschimpft
hörte, trugen noch den Namen Abra- Militärdienst einberufen wurde. Nach samen Film Die kleine Schwindlerin stieg gehend wieder trennen. Anfang 1933 wird. Als die Eier da landeten, ich glau-
hamson und kamen aus den süddä- Kämpfen an verschiedenen Kriegs- Brahm dann bereits zum Regieassisten- entstand unter der Regie von Hermann be auch eine Tomate, da habe ich ge-
nischen Städten Bovenden, Vejle und schauplätzen erhielt er für besondere ten auf, vermutlich auf Betreiben von Kosterlitz mit ihr in der Hauptrolle der wusst, dass mit meinem Gefühl zum ge-
Horsens, bevor sie 1832 nach Hamburg Tapferkeit das Eiserne Kreuz und trat Dolly Haas. Spielfilm Das hässliche Mädchen. Wieder liebten Publikum etwas passiert ist, und
einwanderten. Der junge Hans Brahm nach einer Verwundung einer Front- 1932 spielte und sang sich Dolly einmal eine turbulente Verwechslungs- das hat mir wirklich meine persönliche
besuchte zunächst die Volksschule theatergruppe bei. Haas in der zweiten Verfilmung des komödie, an deren Drehbuch neben Kos- Ambition geraubt. Denn um Schauspie-
in Hamburg. Durch sein libera- Nach Kriegsende 1918 ging er Scampolo-Bühnenstückes des Italieners terlitz auch der Hamburger Dramaturg ler zu sein, müssen Sie ein großer Ego-
les jüdisches Elternhaus, das nach Berlin, wo er zunächst Dario Niccodemi endgültig in die Her- Felix Joachimson, der wenig später eben- ist sein, und da müssen Sie einfach eine
ihn für einige Zeit sogar in ein Engagement an der zen des Publikums (bereits 1927/28 hat- falls ins Exil nach Hollywood ging und Mission haben und müssen Menschen
die Obhut einer Familie Volksbühne erhielt. Im Sep- te es eine Stummfilmfassung gegeben). dort als Felix Jackson Karriere machte, vor sich haben, die Sie tief beeindru-
lutheranischen Glaubens tember 1919 wechselte er Um einen Groschen Liebe /Scampolo, ein mitarbeitete. cken wollen.“
gab, erfuhr er schon von zum Kollektivtheater Die Kind der Straße lautete der Filmtitel der An der Seite des Komikers Max Han- Dolly Haas nahm nun erstmals auch
frühester Kindheit an eine Tribühne von Karlheinz Mar- von zahlreichen Irrungen und Wirrun- sen spielte sie eine Sekretärin, die erst ein Engagement in Großbritannien an,
Förderung seines künstleri- tin. Hier übernahm er erst- gen geprägten Story um das arme, aber von einem männlichen Kollegen als Kon- natürlich war es wieder eine Hosenrol-
schen Talents; sein Vater Lud- mals mit der Inszenierung von stets fröhliche Mädchen Scampolo, dass kurrentin empfunden und aus der Firma le, und zwar in Girls will be Boys. Regie
wig (Louis) Brahm war ebenfalls ein Die Irren von Ulrich Steindorf eine ihrem Freund schließlich durch einen gemobbt wird, der sich dann aber nach führte Marcel Varnel, das Drehbuch
erfolgreicher Schauspieler u.a. am Tha- Regiearbeit. Nach einem Wechsel zum zufällig aufgeschnappten Börsen-Tipp ihrer Entlassung in sie verliebt und die schrieben die aus Deutschland emig-
lia-Theater und sein Onkel Otto Brahm Neuen Volkstheater lernte er dort die zu großem Reichtum verhilft. Dolly Ungerechtigkeit schließlich wiedergut- rierten Brüder Kurt und Robert Siod-
ein einflussreicher Theaterkritiker in junge Schauspielerin Johanna Hofer Haas hatte damit bereits am Deutschen Programmheft Illustrierter machen möchte. Bei der Filmpremiere mak, zusammen mit den Briten Roger
Berlin. (Stern) kennen, die er Ende Juni 1919 Künstlertheater in Berlin brilliert und Filmkurier, September 1933 Das hässliche Mädchen im Septem ber Burford und Clifford Grey.
10 FILMG ESCHICHTE FILMGE SCHICHT E 11
Das Engagement von Dolly Haas in Die Angriffe und Mutmaßungen
Großbritannien erregte den Argwohn der Nationalsozialisten machten aber
der Nationalsozialisten. So wurde sie auch vor Dolly Haas nicht halt. Das an-
wenige Monate später, Anfang 1934, tisemitische Hetzblatt Der Angriff ver-
durch die Berliner Gestapo zu einer öffentlichte im September 1934 nach
Vernehmung einbestellt, an die sie sich einer Scampolo-Wiederaufführung eine
später wie folgt erinnerte: „In der Prinz- Schmäh-Kritik des Stückes und schloss
Albrecht-Straße war man sehr höflich. mit dem Hinweis: „Übrigens man sage
Wer denn dieser Hans Brahm [ihr spä- nichts gegen die Großzügigkeit im na-
terer Ehemann] sei, das sei doch ein tionalsozialistischen Staat, denn wenn
Jude. Man hat auch gefragt, warum ich wir nicht irren, ist weder Dolly Haas
in eine jüdische Schule gegangen sei, noch Karl Stepanek der Nachweis ari-
und eine Bescheinigung über meinen scher Abstammung gelungen; trotzdem
englischen Großvater verlangt. Als ich lässt man sie ungehindert spielen.“
bei meinem nächsten Aufenthalt in Lon- Diese zynische Denunziation auf
don im Somerset House den Taufschein einen vermeintlich „dunklen Punkt“ in
meines Großvaters abholen mußte, den der Vita der Schauspielerin deute dar-
Christenbeweis, den Arierbeweis, habe auf hin, meinte jedenfalls eine andere
ich gedacht, das ist doch Wahnsinn, was NS-Zeitung, dass Dolly Haas nun zu
hat mein Großvater mit mir zu tun. Ich den Darstellern gehöre, die „nicht mehr
brauche also diesen Arierschein, weil tragbar für den deutschen Film“ sei-
ich nichts wert gewesen wäre, wäre er en. So verwundert es nicht, dass Dolly
Jude gewesen. Ich habe mich plötzlich Haas nur noch einen einzigen Film in
wie ein Tier gefühlt.“ Deutschland zu Ende drehte. Er trug
den Titel Warum lügt Fräulein Käthe?,
dessen Dreharbeiten sich größten-
r ep r essionen de r N A Z I S
teils im November 1934 an Bord eines
Foto: BFI
War die Vorladung von Dolly Haas bei HAPAG-Schiffes auf dem Atlantik ab-
der Gestapo noch glimpflich verlaufen, spielten.
bekam Brahm als Jude die Repressio-
Britisches Filmplakat 1936 Großformatiges Filmplakat 1936 des englischen Illustrators Marc Stone
nen der Nazis in vollem Umfange zu
ERSTER BRITISCHER ERFOLG
spüren. Dolly Haas berichtete später in
dem Interview auch über ihren langjäh- Im September 1934 feierte der erste bri-
rigen Freund, Mentor und Lehrer: „Wir tische Film Girls will be Boys mit Dolly
haben erst Jahre später, in Hollywood, Haas seine Premiere in London. Und uns aufzuhalten, wir sind in großer Eile. Film ihrer Karriere, dem Remake von Brahm war ebenfalls 1936 nach Eng-
geheiratet. Als man ihn 1934 in Deutsch- Brahm hatte doch noch einmal einen Und wer sind Sie, fragte einer der Män- Broken Blossoms, der Geschichte einer land emigriert, wo er seinen Vornamen
land nach seinem Stammbaum befrag- Regieauftrag für das Theater in Ham- ner verblüfft, Ihr Name? Ich stand gera- Straßendirne. An den berühmten Holly- in „John“ geändert hatte. Er durfte
te, hat er geantwortet, ich bin jüdisch burg erhalten. Ein traumatischer Vorfall de in allen Zeitungen mit einem großen wood-Regisseur David Wark Griffith sich dort auf dem Set im Twickenham-
auf beiden Seiten. Schade, hat man im selben Jahr sollte beiden jedoch un- Erfolg. Ich bin Dolly Haas. Da ist Stille. erinnerte sich Dolly Haas später Studio zunächst nur als „Prak-
gesagt, so ein guter Regisseur. Er war vergessen bleiben. Dolly Haas erinnerte In meiner Angst hatte ich einen ganz wie folgt: „Griffith kam samt tikant“ aufhalten. Doch der
der Neffe des großen Otto Brahm, der sich später daran: „Wir spielten Scampo- beherrschenden Ton. Ich habe hier ein Mercedes, einem riesenlan- Studioeigentümer Julius
Max Reinhardt entdeckte. Hans Brahm lo auf der Bühne. Als wir eines Abends Gastspiel gegeben und bin müde und gen Ding, extra aus Holly- Hagen verschaffte ihm –
mit seinen hellblauen Augen – er sah so zum Hotel zurückfuhren, Brahm und nervös. Das ist mein Sekretär, den müs- wood, mit einem Panama- nach vorübergehender Aus-
deutsch aus, es wäre niemanden einge- ich, schießt ein Wagen aus einer Sei- sen Sie anständig behandeln. Sie haben Hut, blauem Cheviot-Anzug reise nach Holland und
fallen, dass er jüdisch sein könnte“. tenstraße und schneidet uns. Brahm eine sehr schlechte Kurve gemacht, dass und Knöpfstiefeln. Zur Ein- erneuter Einreise nach Eng-
Für Brahm wurde es zunehmend tippt mit dem Zeigefinger an die Stirn. mir das nicht wieder vorkommt. – Die stimmung nahm er mich in land – eine offizielle Arbeits-
schwieriger, überhaupt noch Engage- Er sieht nicht, dass die beiden Leute SS-Männer waren plötzlich wie kleine eine Gegend mit, wo zahllose erlaubnis. Zunächst wirkte er
ments zu bekommen. Das libera- im Wagen SS-Uniformen tragen. Jungens und verschwanden.“ Huren herumsitzen, irgendwo in als Produktionsleiter bei der
le Theater der Weimarer Zeit Und jetzt beginnt eine hüb- Whitechapel. Tagelang hat er mit mir Dickens-Verfilmung Scrooge und dem
gab es plötzlich nicht mehr. sche, kleine Jagd. Die bei- probiert, um die Cockney-Qualität zu Eisenbahn-Drama The Last Journey mit,
Z w is c hens t a t ion E ngland
Er hatte selbst bereits im den fahren hinter uns her, bekommen, die nötig war. Dann hat er bevor erdann die Regie bei Broken
Frühjahr 1933 mit ansehen bis wir in einer Sackgasse Für Dolly Haas muss nach derartigen Probeaufnahmen gemacht. Julius Ha- Blossoms übernehmen konnte, da Griffith
müssen, wie junge Braun- anhalten müssen. Brahm Vorfällen ein erneutes Angebot aus Eng- gen, ein unabhängiger Produzent, Twi- wohl auch mit dem für ihn ungewohn-
hemden seinen Namen auf steigt aus und geht auf die land wie eine Erlösung gewirkt haben. ckenham Studios, gab mir die Rolle. ten Tonfilm nicht zurechtkam.
einem Plakat, auf dem er SS-Männer zu. Ich sehe, 1936 hatte sie bereits ihre zweite engli- Den Griffith hat er sein eigenes Remake Rückblickend sollte für Dolly Haas
als Regisseur genannt wurde, wie er vor Nervosität seinen sche Produktion mit dem Titel Spy for nie anfangen lassen. ‚Sie haben mir zu die Hauptrolle im britischen Remake
übermalten. Da wurde ihm klar, Hut in der Hand hin und her Napoleon gedreht, ein – wie sie selbst viele Ideen, wir kommen nicht zusam- von Broken Blossoms der Höhepunkt
dass früher oder später an einer Aus- dreht. Da bin ich herausgesprungen, später rückblickend meinte – „furchtba- men.‘ Möglicherweise hätte er zwei Jah- ihrer Filmkarriere sein, und für Brahm
wanderung wohl kein Weg vorbeifüh- ich sah sehr gut aus, in einem langen, rer Film“. Doch er ebnete ihr den Weg re gebraucht. Auf diese Weise kam aber bedeutete dieser Film den endgültigen
ren würde. eleganten Kleid. Was erlauben Sie sich, zu einer Rolle in dem wohl wichtigsten Hans Brahm zu seiner ersten Filmregie.“ Sprung ins Regiefach und die Etablie-
12 FILMG ESCHICHTE FILMGE SCHICHT E 13
Umzug an die Ostküste nach von der großen Theaterbüh-
sich zog. Kleinere Engage- ne nahm Dolly Haas Mitte
ments bei zumeist von euro- der 1950er Jahre Abschied.
päischen Emigranten domi- 1975 erhielt sie das „Film-
nierten kleineren Theatern band in Gold“ für ihr lang-
in New York folgten. Paral- jähriges und hervorragen-
lel arbeitete sie als Rund- des Wirken im deutschen
funk-Sprecherin für die Stim- Film. 1987 gab Dolly Haas in
me Amerikas und moderierte u.a. dem Fernsehfilm Dolly, Lotte und
die Sendung Amerikanische Frauen spre- Maria von Rosa von Praunheim gemein-
chen zu deutschen Frauen. Die räumliche sam mit Lotte Goslar und Marie Piscator
Trennung von ihrem Mann John Brahm, bereitwillig Auskunft über ihr ereignis-
der als Regisseur weiter erfolgreich in reiches Leben und ihre Emigration in
Hollywood arbeitete, trug sicherlich die USA. Dolly Haas erlebte noch mit,
mit zu einem Scheitern der Ehe bei, die wie ihre Tochter Nina ihr zwei Enkel-
1942 schließlich geschieden wurde. kinder schenkte. Sie selbst erlag am 16.
September 1994 in New York im Mount
Sinai Hospital einem Krebsleiden.
Wei t e r e V I T A D O L LY H A A S
Foto: Archiv Columbia Pictures
Ende 1943 spielte Dolly Haas in Doctors
Wei t e r e V I T A J ohn B r ahm
Disagree und in Schuld und Sühne erst-
mals erfolgreich am Broadway. Anfang John Brahm ging nach seiner Schei-
1943 lernte sie dann den Theaterkarika- dung von Dolly Haas 1944, also im Al-
turisten Albert Hirschfeld kennen; sie ter von 51 Jahren, eine Verbindung mit
heirateten 1943 in Baltimore und 1945 Martha Vickers ein – einer damals ge-
wurde ihre gemeinsame Tochter Nina rade einmal 18-jährigen Schauspielerin,
geboren. Ihre Familie nahm sie zeitlich die noch ganz am Anfang ihrer Karriere
John Brahm inszeniert Counsel for Crime 1937 mit Jacqueline Wells und Douglass Montgomery in Hollywood
sehr in Anspruch. Bühnenauftritte wie stand. Warum daraus nichts „Ernsteres“
in Crime and Punishment nach Fjodor wurde oder es sogar zu einer Heirat der
Dostojewski, das es Ende 1947 / Anfang beiden kam, lässt sich heute nicht mehr
1948 im National Theatre auf 40 Auffüh- klären (kurioserweise war aber auch
rung als erfolgreicher Filmregisseur. In den USA kannte nämlich so gut zeigte: Eine Frau rettet ihren unschul- rungen brachte, wurden hingegen im- Martha Vickers im Laufe ihres Lebens
Noch ein letztes Mal besuchte Brahm wie niemand Dolly Haas, ihre deut- dig wegen Mordes zum Tode verurteil- mer seltener. genauso wie Brahm genau drei Mal of-
im September 1936 Wien und schlug schen Filme und auch die wenigen bri- ten Freund, indem sie den wahren Täter Alfred Hitchcock bot ihr 1953 die fiziell verheiratet). Brahm war dann
dann das Angebot einer gemeinsamen tischen Werke, in denen sie mitgewirkt ermittelt. Rolle der Küsterfrau in dem Krimi- bereits über 60 Jahre alt, als er Anfang
Produktionsgesellschaft mit Julius Ha- hatte, waren hier kaum zu sehen gewe- Die Ehe von Dolly Haas und John nalfilm I confess (Ich beichte aka Zum der 1950er Jahre in dritter Ehe Anna
gen aus. Zu weiteren Arbeiten von Dolly sen. Zudem waren die burschikosen Ho- Brahm stand bald vor dem Aus. Brahm Schweigen verurteilt) an, in dem auch Bruni heiratete, eine gebürtige Italiene-
Haas und Hans (John) Brahm in Groß- senrollen, mit denen sie in deutschen stürzte sich förmlich in die Arbeit und Titelvorspann zu
der deutsche Schauspieler O. E. Hasse rin; aus dieser Ehe gingen zwei Töchter,
britannien sollte es nicht mehr kommen. Komödien brilliert hatte, hier in jener nach dem Auslaufen seines Engage- Brahms The Lodger mitwirkte. Für das US-Fernsehen spiel- Mara-Lee und Sumishta, hervor. Aber
Verantwortlich dafür war ein Angebot Zeit weniger gefragt – und wenn es sie ments bei der Columbia 1940 erhielt er (Scottland Yard greift te Dolly Haas 1954 danach in der Folge auch diese Ehe wurde Ende der 1950er
aus den USA, welches Dolly Haas und einmal gab, waren sie bereits durch von der Twentieth-Century-Fox einen ein) von 1944 und zur The Fugitive des Armstrong Circle Theatre Jahre bereits wieder geschieden.
Episode Kitty Corned
Brahm 1937 erreichte und dem sie nicht Schauspielerinnen wie beispielsweise Sechs-Jahres-Vertrag. Bei der Auswahl der Western-Serie
mit, und 1956 sah man sie letztmalig in Als sich Hollywood sich in den
widerstehen konnten. Katherine Hepburn abgedeckt. Vergeb- der Stoffe konnte er nicht wählerisch Gunsmoke (Rauchende der Studio One-Reihe in dem Theater- 1940er Jahren verstärkt dem dunklen
lich wartete sie daher auf die Chance, sein, so stand auch der Eisläufer-Film Colts) von 1964 stück Regarding File Number 4356. Auch Kino der Nacht, dem Film Noir, zuwand-
ihr schauspielerisches Können auch in Wintertime mit Schlittschuh-Star Sonja te und sich diese filmische Ausdrucks-
E mig r a t ion na c h H olly w ood
den Vereinigten Staaten unter Beweis Henie auf seinem Regieplan. Aufgrund form zu voller Blüte entfaltete, fiel auf,
Der legendäre amerikanische Film- stellen zu können. Doch mehr als ein seiner Arbeit in England galt er in den dass eine Vielzahl von Osteuropäern
agent Myron Selznick, der Bruder des paar völlig unbedeutende Kleinst-Rol- USA sofort als Spezialist für britische und auch Deutschen in diesem Genre
Vom Winde verweht-Produzenten David len und Statistenauftritte sollten in den Stoffe und drehte demzufolge den Anti- führend war. Ein zentrales Werk von
O. Selznick, hatte der Schauspielerin nächsten drei Jahren für sie im Filmbe- Nazi-Film Escape to Glory, bei dem Eng- Brahm war 1945 Hangover Square (der
und ihrem Lebensgefährten einen Drei- reich nicht herausspringen. länder auf Schiffspassage nach New in Deutschland unter dem Titel Scotland
jahresvertrag bei der amerikanischen Brahm übernahm hingegen York vom Kriegsausbruch über- Yards seltsamster Fall ins Kino kam), den
Columbia-Filmgesellschaft von Harry vertragsgemäß zunächst Regie- rascht werden – und auch Filmexperten trotz seines englischen
Cohn besorgt. In den Staaten angekom- arbeiten für kleinere Justiz- Tonight We Can Raid Calais Schauplatzes (London) als wichtigen
men, heirateten die beiden nun endlich. und Kriminalfilme. Mit dem erzählte von einem briti- Beitrag zur amerikanischen Schwarzen
Aber die Ehe sollte von Anfang an unter Film Let Us Live war auch schen Spion im besetzten Serie einstufen.
keinem guten Stern stehen, denn so wie ein Werk darunter, dass Frankreich. 1947 inszenierte er den exotischen
das Arbeitsleben sie einst zusammen- die Stars Henry Fonda und Dolly Haas kehrte hin- Abenteuerfilm Singapur mit Ava Gard-
geführt hatte, so trennte es sie alsbald Maureen O’Sullivan in ei- gegen frustriert zur Bühne ner. Nach einem weiteren exotischen
schon wieder. ner dramatischen Geschichte zurück, was für sie einen Abenteuerfilm (Der blaue Stein des
14 FILMG ESCHICHTE FILMGE SCHICHT E 15
Maharadscha, 1953) für das Kino wand- Der Altstoffverwertung zugeführt
te sich Brahm wieder der Mattscheibe
zu: Mit Waterfront wurde 1954 eine in
zwei Staffeln angelegte Serie um die Ein Filmbetrachter
Crew eines Hafenschleppers namens
Cheryl Ann betitelt, bei der er aber le- namens „Filmascope“
diglich vier von insgesamt 78 Episoden
inszenierte. Im Frühjahr 1954 experi-
mentierte Brahm wie etliche seiner
Kollegen auch versuchsweise mit dem Von Heiner Roß
plastischen Kino. Magier des Schreckens
entstand wieder für die Columbia-Film-
gesellschaft und wurde vom versierten
Autor Crane Wilbur geschrieben.
1954 kehrte Brahm vorübergehend
nach Deutschland zurück und drehte „Die Kopien sind der Altstoffverwertung zu übergeben“
hier die deutsch-amerikanische Copro-
(Ralf Schenk in: Berliner Zeitung am 15./16. August 2020).
duktion Vom Himmel gefallen /Special
Delivery mit Joseph Cotten, die zur Zeit Die Vernichtung von Kopien ist schon aus der Frühzeit des Films bekannt.
des Kalten Krieges in einer US-Botschaft Die Schichtseite wurde abgewaschen und das enthaltene Silber gerettet.
in Osteuropa spielte. Im Herbst 1954 Das bleibende Trägermaterial wurde eingeschmolzen und wieder verwendet.
drehte er nahe Frankfurt am Main den
Foto: © Archiv Sumishta Brahm
Spielfilm Die Goldene Pest, in dem Karl-
D
heinz Böhm in der Rolle eines Schiebers ieses Bild und auch andere sind Bilder sammelte. Wahrscheinlich waren
verkörperte und der die Schattenseiten der „Verwertung“ entgangen. Es viele solcher Kästchen auf einem Tisch
des gerade beginnenden westdeutschen stammt aus einem Messter-Film. aufgereiht. Ich stelle mir vor, dass meh-
Wirtschaftswunders beleuchtete; der Der ist noch nicht identifiziert. Dem Ver- reren Personen, ausgerüstet mit einer
Film floppte. wertungskreislauf entzogen (geklaut?) Schere und einer Filmrolle unter dem
Ab Dezember 1954 arbeitete Brahm hatte es ein zweites Leben. Vielleicht Arm, von Kästchen zu Kästchen gingen
in den USA wieder für das Fernsehen. sogar der ganze Film ... Der Film wur- und die Schnittbilder dort hineinfallen
Ein Bild aus glücklichen Tagen: Dolly Haas und ihr Mentor John Brahm
In den folgenden 12 Jahren inszenierte de in Einzelbilder zerlegt, mit Bildern ließen.
er 192 Folgen von insgesamt 42 Fernseh- aus anderen Filmen zusammengetragen
Fotos: Heiner Roß
serien, darunter Western-Serials (Bo- und an Privat verkauft, eine bisher un-
PAT HÉSCOPE-VOR L ÄUF ER
nanza, Rauchende Colts), Krimireihen bekannte „Zweitauswertung“.
(Alfred Hitchcock präsentiert, Dezernat ein allerletztes Mal auf dem Regiestuhl für eine späte Ehrung in den 1980er Heute erstaunt es, dass die Bilder aus
M, Polizeirevier 87), Abenteuerserien Platz. John Brahm, der neben seinen Jahren nach Deutschland zurück), schei- Nitrokopien stammen, also wirklich
M I T F I L M K I TT V E R K L E B T
(Seaview – in geheimer Mission), Science- Fernseharbeiten insgesamt rund 30 Spiel- terte letztlich auch Brahm 1954 damit, original sind; Nitro ist feuergefährlich!
Fiction- und Fantasy-Stoffe (Outer Li- filme inszenierte, starb am 12. Oktober wieder in der Bundesrepublik beruf- Die Bilder – willkürlich oder phantasie- Ein Betrachtungsgerät mit einer Bildfüh-
mits) und Ärzteserien (Assistenzarzt Dr. 1982 in Malibu / Kalifornien. lich Fuß zu fassen. Es sollte beiden voll zusammengefügt – ergaben eine rung war erfunden. Die Bilder wurden
Kildare). Zwischen 1959 und 1964 setzte nicht gelingen, noch einmal an ihre Erzählung, die sich schlussendlich nur einzeln vor das Bildfenster geschoben.
John Brahm zudem ein Dutzend Epi- alten Erfolge vor der NS-Machtüber- dem/der Gestalter/in erschloss. Auffäl- Filmkitt, Schaber, Bilder und Betrachter
F azi t
soden einer Serie über unerklärliche nahme anzuknüpfen. So erinnert an sie lig sind die unterschiedlichen Färbun- wurden in einer Schachtel verpackt und
Phänomene, Twilight Zone – Unheim- Ob sich die beiden Hamburger Dolly heute vor allem ihr filmisches und gen der Bilder und die breiten Bildstege. verkauft unter dem Titel „Filmascope“.
liche Schattenlichter, in Szene. In einer Haas und John Brahm in späteren Jah- schriftliches Vermächtnis: Den Nachlass Sie waren also nicht für eine Projektion Der Pathé-Konzern entwickelte diese
Folge dieser Serie übernahm Brahm ren noch gelegentlich in den USA be- von Dolly Haas übernahm das Leo Baeck vorgesehen. Jedes Bild hat vier Zäh- Idee weiter zum Pathéoscope. Doch es
eine kleine Gastrolle als englischer Pre- gegnet sind, ist nicht bekannt. Trotz Institut in New York, und Sumishta, nungen links und rechts, sowie im Steg wurden für den Betrachter nur fertige
mier Winston Churchill. 1966 drehte der Trennung bezeichnete Dolly Haas Tochter von John Brahm und Anna Bru- oben wie unten einen Zahnung. Filmstreifen produziert. Bisher ist noch
Brahm dann noch insgesamt 15 Folgen
der parodistischen Krimiserien The Man
from U.N.C.L.E. und The Girl from
aber auch viele Jahre später Brahm im-
mer noch als ihren großen Mentor und
Lehrer. Kulturell gesehen blieben beide
ni, die heute in London lebt, kümmert
sich um den Nachlass ihres Vaters. . Die Bilder des Streifens waren ein-
mal aus einer Filmkopie (vielleicht aus
mehreren) geschnitten. Immer sechs
kein weiteres „Filmascope“ aufgetaucht.
Ein Unikat, das einer besonderer Auf-
merksamkeit bedarf.
U.N.C.L.E., bei der – in der Hochphase wie fast alle deutschen Emigranten Löcher, eines wie beschrieben über dem 1898 hat der polnische Filmenthu-
des sogenannten Kalten Krieges – immer Wanderer zwischen zwei Bild (vier Löcher) und eines dar- siast Bolesaw Matuszewki (1856 –
ein amerikanischer und ein Welten: Denn beide mussten unter. Die Bilderstege wurden 1943) verlangt, dass Filmkopien
sowjetrussischer Agent ge- feststellen, dass ihr einstiger Herzlichen Dank an Sumishta Brahm mit Filmkitt, wie bei einem bewahrt werden müssen, da-
meinsam eine Verbrecher- Ruhm in der alten Heimat in London für ihre Unterstützung der realen Film, verklebt, nach- mit nicht eines Tages ein
Recherchen zu diesen Beitrag. Die Zitate
organisation bekämpfen. schnell verblasst war. Wäh- dem sie zuvor mit einer Zauberer gesucht werden
von Dolly Haas sind dem Teilkatalog Ein aus verschiedenen
Ende 1966 nahm er für Hot rend Dolly Haas erst gar „Exil“ der Berlinale 1983 entnommen und
Klinge aufgeraut waren. muss, um sie wieder ent-
Filmbildern zusammen-
Rods to Hell, einem Spiel- nicht den Versuch einer stammen aus einem Interview, welches Bei der Auf lösung der stehen zu lassen. Aber Zau-
.
geklebter Filmstreifen
film über eine Motorrad- Rückkehr machte (sie kehr- der Filmwissenschaftler Gero Gandert mit und die Schachtel zur Filme stand ein kleines berer kommen ja nur in
Rockergang in Kalifornien, te nur noch einmal ganz kurz ihr kurz zuvor geführt hatte. Aufbewahrung Pappkästchen bereit, das die Märchen vor.
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E
nde 1926/Anfang 1927 wurde im
Veranstaltungsraum der Gastwirt-
schaft erstmals ein ständiges Saal-
kino, die Heimfelder Lichtspiele, mit
rund 300 Plätzen eingerichtet. Einer der
Söhne Ohms erinnerte sich später: „An-
fangs hatte der Pächter einen Klavier
spieler engagiert, der die Begleitmusik
zum Film spielte. Später wurden zu je-
dem Stummfilm drei Schallplatten mit-
geliefert. Da war der Pianist seinen Job
schon wieder los!“ Anfang 1930 hatten
die Heimfelder Lichtspiele, wie einem
Foto: Familie Ohm
Leserbrief in den Harburger Anzeigen
und Nachrichten zu entnehmen ist, mit
wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu
kämpfen.
Im März 1932 übernahm ein neuer
Wilhelmine Ohm hinter dem Tresen und beim Verkauf der Kinokarten
Pächter das Kino. Die Kaufleute Adolf
und Heinz Möller, beide ebenfalls aus
Wilhelmsburg, schlossen mit Wilhelmine
Ohm einen zunächst auf zwei Jahre be-
fristeten Vertrag. Die Pacht für das erste auch keine Jugendlichen drin seien. Ich Linke Seite oben: Das US-Musical
Jahr betrug 8000, für das darauf folgen- verneinte. Ich selbst war aber erst 17 Broadway Melodie lief im Sommer
1938 erfolgreich auch in den Heimfelder
de 9000 Reichsmark, zahlbar in monat- Jahre alt, aber mich fragte ja keiner“.
Lichtspielen – Lothar Ohm malte das
lichen Raten. Aus Angst vor einer neu- Das Geld für Zeitungsanzeigen spar- Ankündigungsplakat selbst
erlichen Inflation wurde festgehalten, te man sich, geworben wurde mit Hand-
dass man sich auf Notierung der Reichs- zetteln. Das Vorortkino machte die Ton- Linke Seite unten: Handzettel von
1932 für den deutsch-französischen
mark an der Londoner oder New Yorker filmrevolution mit und verkündete selb-
Musik-Filmerfolg Baby von Carl Lama
Börse vom 1. April 1932 bezog; bei Än- tbewusst: „Das Theater ist mit neuester
Foto: Familie Ohm
mit Publikumsliebling Anny Ondra
derung der deutschen Währung wäre Klangfilm-Apparatur ausgestattet, der
der Pachtpreis entsprechend anzupas- ersten Anlage dieser Art in Groß-Ham-
sen. Der Vertrag enthielt außerdem ein burg.“ Es gab täglich eine Vorstellung
paar spezielle Klauseln, so musste im um 20.30 Uhr, dienstags und freitags
Kino eine kostenlose Reklame für Ohms um 17.00 und 20.30 Uhr, sonntags und
Schankwirtdschaft gezeigt werden, war an Festtagen um 2.30, 17.00 und 20.30
die Reinigung der gemeinsamen Da- Uhr. Ähnlich ausgefeilt die Gestaltung
Beliebtes Tanzlokal, Soldatenkneipe und Kino mentoilette abwechselnd von den Päch-
tern und der Pächterin zu veranlassen,
der Eintrittspreise. Wochentags RM 0.50
(2. Platz), RM 0,70 (1. Platz), RM 0,90
Die Heimfelder Lichtspiele (1926 –1970) und außerdem, darauf hatte Wilhelmi- (Sperrsitz), sonntags zahlte man RM
Kinobetreiber wie Wilhelm Ohm
ne Ohm besonders bestanden, sie hatte 0,70, RM 0,90 und RM 1,10. Ermässig- mussten ab Juli 1933 auch Mitglied
freien Eintritt zu den Kinovorstellungen, te Eintrittspreise gab es für die Vorstel- der Reichsfilmkammer sein
bei jedem Programmwechsel standen lungen dienstag und freitags um 17.00
Von Volker Reißmann und Michael Töteberg ihr zwei Plätze zur Verfügung. Das Kino Uhr, sonntags für Vorstellungen bis
hieß nun Kammerspiele Heimfeld, doch 18.00 Uhr. Erwerbslose zahlten an Wo-
auch Möller hatte offenkundig kein chentagen 30 Pfennig. Und dann die
Händchen für die richtige Filmauswahl großen Jugend- und Familienvorstel-
und vor allem kein finanzielles Stehver- lungen am Sonntagnachmittag, 14.30
mögen. Uhr: Einheitspreis für Kinder 20 Pfennig,
Erwachsene 50 Pfennig. Eine wahrlich
ausdifferenzierte Preisgestaltung.
K I N O A L S F A M I L I E N B E TR I E B
In der Nähe von Lohmanns Park und einer großen Harburger Kaserne Zwei Jahre später übernahm die Fa-
ERFOLGE MIT MUSIKFILMEN
etablierte sich um 1920 vor allem für Soldaten in der Heimfelder Straße 41 milie das Kino und nannte es wieder
ein zu einer Blauen Grotte umgestalteter Tanzsaal mit angeschlossener Heimfelder Lichtspiele: Nun saß Mutter „In Bild und Ton das Beste!“ posaunte
Wilhelmine Ohm an der Kasse und Sohn das Flugblatt. „Auserwählte Erfolgs-Fil-
Wirtschaft. Der Gastwirt Wilhelm Ohm hatte den 3000 Quadratmeter
Lothar übernahm die Aufgabe des Kar- me!“ Und so sah das Programm an
großen Komplex erworben und verpachtete den Saal, als es mit den Tanz- tenabreißers. Er erinnerte sich später: Pfingsten 1934 aus: Das Lustspiel Baby,
veranstaltungen auf einmal nicht mehr so gut lief (er selbst konzentrierte „Eines Abends stand ein Kriminalbeam- ein Carl-Lamac-Musikfilm mit Anny
sich ausschließlich auf den Betrieb der Schankwirtschaft). ter in der Tür und fragte mich, ob denn Ondra, Adolf Wohlbrück und Willy
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wiederzuerhalten. Meine beiden Söhne dauerte höflich, dass man leider noch ren Raufereien ihm auch des Öfteren
Fotos: Familie Ohm
sind noch in russischer Gefangenschaft; immer nicht in der Lage sei, die neube- den Besuch von Feldjägern bescherten.
habe meinen Mann in der Russischen stellten Stühle zu liefern, und empfahl „Aber zu denen hatte ich ein gutes Ver-
Zone verloren, so dass ich finanziell ein neues „materialsparendes“ Modell hältnis“, erinnerte er sich. Außerdem
dazu gezwungen bin, meine Gaststätte aus Massivholz namens Krefeld, welches war ein Geländeteil als Minigolfanlage
wieder zu eröffnen. Da ich 59 Jahre alt man liefern könne: Für 100 Stühle woll- verpachtet, auch hier waren Militäran-
bin, zu 60 Prozent gehbehindert und te man jedoch eine Tonne Kohle, 28 cbm gehörige die wichtigsten Kunden. In
allein für meinen Lebensunterhalt sor- Buchenschnittholz, 6 Kilo Leim, 30 Liter seiner Gastwirtschaft selbst gab es nur
gen muss, ist es mir unmöglich, ohne Cellulose-Mattine, 15 Liter farblosen Ein- noch einen Fernsehapparat, denn der
Telefon zu sein. Ich möchte Sie daher lassgrund sowie 35 Kilogramm Eisen für ehemalige Veranstaltungssaal war nicht
dringend bitten, mir eines anzulegen, es die Verbindungsteile geliefert haben. wieder als Vorführstätte hergerichtet
kann auch ein Stehapparat sein!“ Dies waren allerdings Bedingungen, worden.
welche die Familie Ohm nicht erfüllen Im neuen Kino gegenüber gab es am
konnte. Auch das im November 1947 von 3. Februar 1958 einen schweren Brand-
G R O S S E K I N O TR Ä U M E
einer Firma offerierte Angebot, einen schaden, doch der dortige Pächter war
Während seiner Kriegsgefangenschaft Nietzsche-Projektor, eine Rechtsmaschi- noch nicht bereit, aufzugeben. Es fand
träumte Ohm von einem neuen Filmthe- ne, zu erwerben, erwies sich aufgrund danach sogar eine Umrüstung der Pro-
ater an alter Stelle und fertigte Skizzen der bescheidenen finanziellen Verhält- jektion auf das Breitwandverfahren
an, wie er sich das wiederaufgebaute nisse als nicht möglich. CinemaScope statt. Als am 13. Juli 1970
Kino vorstellte: Auf Zementtüten brach- dieses Kino endgültig geschlossen wur-
te er seine Visionen von einem richtigen de, hatte Ohm bereits rund zehn Jahre
S C H N E L L E R E K O N K U RR E N Z
Lichtspielhaus mit den Namen Odeon zuvor seine Wirtschaft an die Stadt ver-
und Capitol zu Papier. Doch es sollten So erlebte Lothar Ohm, als er nach drei kauft, die auf dem Gelände eigentlich
Luftschlösser bleiben. Jahren Kriegsgefangenschaft heimkehr- den Bau eines Jugendheimes realisieren
Am 10. Dezember 1945 verfasste die te, eine herbe Enttäuschung: Das Nach- wollte.
Mutter einen Bittbrief an die britische kriegskino war von einem Gastwirts- Es blieb vorerst bei den Plänen und
Militärregierung in Hamburg, in dem kollegen tatsächlich auf der anderen es sollten noch einmal rund 20 Jahre
sie monierte, dass die von ihr mühsam Straßenseite eingerichtet worden, in vergehen, bis endlich die Bagger an-
geretteten Stühle aus dem Saal von einem nur 50 knapp Meter entfernten rollten (als Mitglied einer Bauherren-
Büsings-Gasthof, Heimfelder Straße 44, Gasthaus (Büsings Lindenhof) – und es gemeinschaft war Lothar Ohm dann
In russischer Kriegsgefangenschaft zeichnete Ohm 1945 seine Träume von einem neuen Kino auf Zementsäcke
von Soldaten komplett beschlagnahmt hieß dann zu seinem Ärger auch noch sogar an der Neubebauung beteiligt).
worden seien. ausgerechnet Odeon-Lichtspiele. Nach Anfang der 1990er Jahre wurden an der
Sie wies darauf hin, dass sie zusam- einer prozessualen Auseinandersetzung Heimfelder Straße Sozialwohnungen
men mit ihrem Vorführer Herrn Becker erhielt die Familie Ohm für die ihr ent- und eine Altentagesstätte errichtet – ein
Stettner, wurde „wegen seines stürmi- Der damals noch Minderjährige von RM 21.520,52. Unterzeichnet war beabsichtige, das Kino alsbald wieder gangene Konzession eine Entschädigung. Großteil des wertvollen Baumbestandes
schen Lacherfolgs“ verlängert. In der Lothar erinnerte sich im Dezember 1994 die Aufstellung „Hamburg-Harburg, zu eröffnen und bat deswegen um Rück- Lothar Ohm führte den Betrieb konnte bei der Grundstücksgestaltung
„Großen Jugend-Vorstellung“ lief an bei- in den Harburger Nachrichten gerne an den 12. Dezember 1945“. Es sollte die gabe des Mobiliars („Die Stühle sind der Gastwirtschaft unter dem Namen erhalten werden. Doch ein Kino gibt es
den Pfingsttagen der schon etwas ange-
graute Spielfilm Marschall Vorwärts mit
Paul Wegener als Blücher, dazu gab es
die Zeit: „Als erst 17-jähriger hatte ich
hin und wieder die ganze Verantwor-
tung. Damals kam der Musical-Film
letzte Abrechnung bleiben: Drei Mona-
te später, im März 1945, wurde das Kino
durch eine Luftmine getroffen.
bekanntlich das einzige was ich noch
besitze – mein Heimfelder Lichtspiel-
theater hat bekanntlich Totalschaden
Parkhaus weiter. Zu seinen Stammgäs-
ten zählten später viele Soldaten, de- nicht mehr. .
in Heimfeld nun genau seit 50 Jahren
das obligatorischen Beiprogramm mit ‚Broadway-Melodie‘ auf die Leinwand erlitten – und mein sonstiges Vermögen
Kultur- und Trickfilm sowie der Wo- und ich malte das Plakat selbst von befindet in der Russischen Zone und ist
AUSGEBRANNTES KINO
chenschau. Für Dienstag nach Pfings- Hand. Das war Mitte der 1930er Jahre. beschlagnahmt.“) Sie habe seit März
ten war angekündigt Zimmermädchen … 1939 erhielt ich die Einberufung zum „Lothar, dein Kino ist nun auch kaputt!“ 1945 kein regelmäßiges Einkommen
3 × klingeln mit Hans Leibelt. Ganz Reichsarbeitsdienst und dann zum Mi- erfuhr Ohm an der Front von einem Ka- mehr gehabt, sie habe aber zwei Söhne
unten auf dem Flugblatt die Parole: litär. Da war die schöne Zeit im Kino meraden, der auf Heimat-Urlaub gewe- im Osten in Gefangenschaft, von denen
„Heimfelder! Unterstützt Euer Heimfel- schlagartig vorbei!“ sen war. Das war bitter, so kurz vor dem der jüngste, Lothar, bekanntlich das Ki-
der Ortskino!“ Mutter Wilhelmine managte wäh- Ende – der Saalbau war weitgehend nofach gelernt habe. Doch das Gesuch
rend seiner Abwesenheit das Kino auch zerstört, nur das Wirtshausgebäude er- blieb erfolglos, die Stühle wurden nicht
allein höchst erfolgreich. Es überstand halten geblieben. Lange hatte Lothar zurückgegeben.
NEUE FILMPROJEKTOREN
fünf Kriegsjahre unbeschadet. Die „Ge- gehofft, das Kino könnte seine künftige
1937 hatte die Familie Ohm mit den of- winnabrechung“ für das Kalenderjahr Existenzgrundlage den Krieg werden.
G E S C H E I T E RT E R N E U S T A RT
fenkundig recht gut florierenden Film- 1944 wies eine positive Bilanz aus. Seine Mutter Wilhelmine, die zu-
vorführungen bereits so viel verdient, Auf der Einnahmenseite standen RM nächst den Betrieb der Gastwirtschaft Wilhelmine Ohm wollte möglichst
Foto: Familie Ohm
dass man sich zwei richtige fest einge- 69.049,70. Die Ausgaben summierten wieder aufnehmen wollte, schrieb im schnell den Kinobetrieb wiederaufneh-
baute 35 mm-Kinoprojektoren leisten sich auf RM 47.529,18, wobei die größ- Sommer 1945 an die Handwerkskammer men, doch ein Schreiben vom 14. Mai
konnte, die von der Firma Max Schu- ten Posten die Filmleihmieten (RM Harburg: „Wir haben seinerzeit nach 1947 von der Westdeutschen Sitzmö-
mann, dem ansässigen Vertreter der Fir- 22.785,40),die Löhne (RM 7.149,70) und dem dritten Bombenangriff unser Tele- belfabrik Schröder & Henzelmann aus
men Zeiss-Ikon und Ernemann, am 1. Juli die Lustbarkeitssteuer (RM 5.828,09) fon freiwillig abgegeben, mit der Bitte, Bad Oeynhausen belegt, dass es immer
1937 erworben und installiert wurden. waren. Blieb unterm Strich ein Gewinn es bei der Eröffnung unseres Geschäftes noch keine Kinostühle gab: Man be- Der Tanzsaal des Ballhauses Lohmanns Park als erster Standort der Heimfelder Lichtspiele20 FILMG ESCHICHTE FILMGE SCHICHT E 21
Der letzte Heimkehrerfilm
LIEBE 47
Von Michael Töteberg
D
as Verdikt ließ an Deutlichkeit zungstermin für den 11. Oktober 1946
nichts zu wünschen übrig: „Der an. Zeugen wurden geladen, u.a. sagten
Selbstentnazifizierungs-Film des Werner Hinz und Helmut Käutner aus.
ewigen Opportunisten Liebeneiner, Der Ausschuss beschäftigte sich fast
eine Verschnulzung des bedeutendsten sieben Monate mit dem Fall und fasste
Stückes der deutschen Kahlschlaglite- am 9. Mai 1947 seine Einschätzung auf
ratur nach 1945.“ So das Urteil von Joe 21 eng bedruckten Seiten zusammen.
Hembus, nachzulesen in seiner 1980 er- Zunächst wird ein Bild der Persönlich-
schienenen Geschichte des deutschen keit Liebeneiners gezeichnet: Er sei
Films. Als Papas Kino zu Grabe getra- „in aller erster Linie ein künstlerisch
gen wurde, gab es für den Verbliche- empfindender Mensch“, „der Typ des
nen kein Wort des Andenkens oder gar geistig, nicht aber politisch aktiven
Verständnis. Es war aufgebraucht, nach Menschen“. Der Fachausschuss kam zu
Jahrzehnten des Verdrängens und Ver- dem Beschluss: Kategorie IV, d.h. ent-
schweigens, in denen die Fragen der lastet, aber keine Reiseerlaubnis und
Söhne nach der Schuld der Väter in der kein passives Wahlrecht. Liebeneiner ist
Nazi-Zeit, stets nur umschrieben als als Filmregisseur bis zum 31.12.1948 zu
jüngste deutsche Vergangenheit, unbe- sperren, am Theater aber wurde er als
antwortet blieben. Regisseur und Schauspieler ab sofort
Bei Kriegsende war Wolfgang Lie- wieder zugelassen.
beneiner in Hamburg. Seinen Film Das
Leben geht weiter hatte er, obwohl er bis
I nz w is c hen en t b r äun t
zuletzt in der Lüneburger Heide daran
arbeitete, nicht fertig stellen können. In Ida Ehre hatte Liebeneiner eine Für-
Damit sein Leben als Regisseur weiter- sprecherin im Entnazifizierungsverfah-
Der Heimkehrer und
gehen konnte, benötigte er eine Auf- ren gefunden, und sie vertraute ihm die
die Frau: Beckmann
(Karl John) und Anna hebung des Arbeitsverbots, dass die Regie von „Draußen vor der Tür“ in ih-
(Hilde Krahl) Alliierten über ihn als Funktionär in ren Hamburger Kammerspielen an. Ein
der NS-Filmindustrie und Professor von paar Tage nach dem Beschluss schrieb
Goebbels’ Gnaden verhängt hatten. Wolfgang Borchert an eine Freundin:
„Die Premiere meines Stückes ist am
Totensonntag im November – das passt
K a t ego r ie I V
sehr schön. Liebeneiner, inzwischen
Deutschland 1948/49 | Regie: Wolfgang Liebeneiner | Buch: Wolfgang Liebeneiner, Das Entnazifierungsverfahren verlief entbräunt, bringt es.“ Die Uraufführung
Kurt Joachim Fischer, nach dem Theaterstück „Draußen vor der Tür“ von keineswegs so reibungslos, wie es in am 21. November 1947, einen Tag nach
Wolfgang Borchert | Kamera: Franz Weihmayr | Darsteller: Karl John (Beckmann), den Lexika steht. Liebeneiner füllte den dem Tod des Dichters, wurde zu einem
berühmten Fragebogen des Military Theaterereignis. Und zu einem wich-
Hilde Krahl (Anna), Albert Florath (Unternehmer), Erich Ponto (Alter Mann),
Government of Germany aus, den alle tigen Baustein für Liebeneiners Nach-
Grethe Weiser, Hubert von Meyerinck u.a. | Produktion: Filmaufbau, Göttingen Deutschen auszufüllen hatten. Der zu- kriegskarriere.
ständige Fachausschuss nahm seine Übrigens war der Regisseur mit
Arbeit auf und setzte den ersten Sit- dem Urteil des Ausschusses nicht zu-22 FIL MG E SCHICHTE FILMGE SCHICHT E 23
frieden und erhob Einspruch. Er hatte denn Beckmann hält es bei dem Mäd-
längst wieder Kontakte zur Filmbran- chen nicht aus, spürt er doch, dass er
che. Die UFA, wo er einst Produktions- den Platz eines anderen einnimmt und
chef war, hatten die Alliierten zer- schon steht, „teck tock“, der Einbeinige
schlagen; stattdessen lizenzierten die mit seinen Krücken vor ihm. Das Mäd-
Besatzungsmächte kleine Firmen, gern chen ist verschwunden, die Gespens-
auch Neugründungen in der Provinz. ter der Vergangenheit wird Beckmann
In Göttingen z.B., wo sich die Filmauf- nicht los.
bau GmbH gründete. „Es wird ange-
strebt, Wolfgang Liebeneiner für die
Was b r au c hen w i r
Regie freizubekommen“, heißt im Pro-
die Welt ve r besse r n
tokoll einer Gesellschafterversamm-
lung. „Das Hamburger Urteil gegen Lie- Ganz anders der Film: Dem Kriegsheim-
beneiner soll in den nächsten Wochen kehrer stellt Liebeneiner eine junge
aufgehoben werden.“ Dies gelingt, und Frau an die Seite und gab so dem Stück,
so kann er August 1948 in Göttingen das damals viele als „nihilistisch“ emp-
LIEBE 47 als ersten Film der neuen fanden, eine positive Wendung. Bor-
Produktionsgesellschaft drehen. cherts Stück mündet in den Schrei eines
Verzweifelten: „Gibt denn keiner, keiner
Antwort???“
E ine p r oblemat is c he V o r lage
Die Liebe ist die Antwort, so der
Borcherts Stück, ein Stationendrama, Film. Liebe, das Füreinanderdasein,
das den Weg eines Russland-Heimkeh- wird explizit beschränkt auf das private
rers durch die Trümmerlandschaft als Glück. „Wir sind beide unten. Aber Sie
Albtraum zeichnet, sperrt sich gegen haben jetzt jemand, und ich hab’ jetzt
jeden filmischen Realismus (und fand jemand. Was brauchen wir die Welt ver-
nicht zufällig seine ideale Realisation bessern.“
Gedreht in der Ruinenlandschaft Hamburgs, hier das ausgebrannte Kaufhaus Karstadt in der Hamburger Straße
als Hörspiel). Liebeneiner wusste um
die Probleme einer Verfilmung und
suchte nach einem Weg, das Stück zu
adaptieren. „Auch ›Draußen vor der
Tür‹ wird wieder diskutiert, nachdem
mir eine Lösung für den Film eingefal- Anna, die hinzu gedichtete zweite wie Beckmann heimkehrten. Die Initia- auf, um ihm die einstmals an der Front
len ist“, schrieb er am 5. Juni 1948 an Protagonistin, wird als exemplarisches tive liegt bei Anna, Beckmann ist noch übertragene Verantwortung, die den
den Verleger Ernst Rowohlt. Diese Lö- Frauenschicksal während des Krieges gefangen vom Grauen des Krieges und Tod der Kameraden bedeutete, zurück-
sung lief darauf hinaus, Tendenz und gezeichnet. „Wir Frauen“, sagt sie in der muss erst ins Leben zurückfinden. Sie zugeben.
Charakter der literarischen Vorlage ins ersten Szene zu Beckmann, als beide dagegen ist notgedrungen pragmatisch, Liebeneiner nimmt am Schluss das
Gegenteil zu verkehren. am Wasser stehen. „Ihr habt uns ganz hat ernüchtert den Tauschcharakter Motiv Verantwortung wieder auf, um
Der Prolog folgt noch dem Stück. schön allein gelassen. Aber Ihr musstet der Sexualität erfahren müssen – „Die die Handlung zu einem vorsichtigen
Eine gespenstisch-unwirkliche Szenerie, ja nach Russland. Da musstet Ihr uns ganze sogenannte Liebe: ein Geschäft“, Happy End zu führen. Anna droht, sich
die 1947 im Hamburger Hafen aber Rea- verteidigen. Im Kaukasus, wie?“ In einer sagt Anna –, wird gleichzeitig aber als umzubringen, wenn Beckmann Schluss
lität war. Zerstörte Kräne, zerborstene Serie von Rückblenden sieht man An- schutz- und anlehnungsbedürftig dar- machen sollte; er wird umgekehrt ge-
Kaianlagen, im Wasser ein halb ver- nas Hochzeit mit Jürgen, ihn freudig- gestellt. Anna ist am Ende, weil sie sich nauso handeln – so haben sie gegensei-
sunkenes Wrack, der Glockenfriedhof. erwartungsvoll in den Krieg ziehen, die ihren Stolz bewahrt hat. Sie ist sich zu tig Verantwortung füreinander. Zwei
(Kirchenglocken aus dem ganzen Reich Geburt ihrer Tochter, während er an der schade – für die Fronarbeit in der Fab- verlorene Seelen retten sich gegenseitig
wurden hierher transportiert, um sie für Front ist und fällt; während eines Bom- rik, aber auch für die kaum verdeckte und gewinnen neuen Lebensmut.
Rüstungszwecke einzuschmelzen; bei benangriffs lässt sie sich mit einem Offi- Prostitution. Man gebraucht uns, sagt Der Film wollte einen Beitrag zur
Kriegsende lagerten noch Tausende von zier ein, es folgt die Flucht in den Wes- Anna verbittert, andererseits gibt sie moralischen Wiederaufrüstung leisten,
Glocken auf dem Gelände.) ten, bei der ihre Tochter verunglückt, den Männern nicht die Schuld. „Aber doch Schuld und Verantwortung wer-
Auch bei Borchert steht Beckmann die Mühen in den Hungerjahren und mir nahm ich’s übel. Und der Zeit nahm den nie konkret benannt. Einmal wird
bereits am Rand und will in die Elbe, die Arbeit in einer Fischkonservenfab- ich’s übel, die mich soweit gebracht hat.“ der „Gefreite aus Braunau“ erwähnt, an-
folgt aber dann einem Mädchen. So rik, ihre Beziehungen zu einem schmie- sonsten sind alle politischen Kontexte
sind sie, die Zweibeiner, kommentiert rigen Schieber und einem honorigen ausgespart. Beckmann und Anna, beide
M o r alis c he A uf r ü s t ung
spöttisch eine Figur, die nur Der An- Schwarzmarkthändler, der sich in der sind Opfer, Leidtragende, die nicht recht
dere heißt. Käme zufällig „ein anderer Zelle erhängt. All das stand nicht in Borcherts Dra- wissen, wie sie in den Strudel geraten
Zweibeiner vorbei, so einer mit Rock, Die angebliche Stunde Null war die ma. Gegen Ende übernimmt Liebenei- sind. „Warum musste es so enden? Wa-
mit einem Busen und langen Locken“, Stunde der Trümmerfrauen: In der ner, größtenteils wörtlich, Szenen aus rum, warum?“ fragt Anna. „Wir waren
dann würden selbst „die halben Wasser- Nachkriegszeit dominierten die Frau- dem Stück, zeigt sie als Rückblenden doch nicht böse, wir waren doch arglos
leichen“ wieder lebendig. Doch im The- en, weil die Männer im Krieg gefallen oder als Fieberträume Beckmanns. Der und gläubig und jung und vergnügt und
aterstück ist das nur ein kurzer Moment, Anna in der Fischfabrik waren oder gebrochen, traumatisiert verstörte Heimkehrer sucht den Oberst wir lachten und tanzten ...“Sie können auch lesen
