Pablo Heras-Casado Bertrand Chamayou - NDR
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Pablo Heras- Casado & Bertrand Chamayou Donnerstag, 12.05.22 — 20 Uhr Freitag, 13.05.22 — 20 Uhr Elbphilharmonie Hamburg, Großer Saal Samstag, 14.05.22 — 19.30 Uhr Musik- und Kongresshalle Lübeck
Im Rahmen des Internationalen Musik fes t s Hamburg N AT U R 28.4. — 1.6.2022 W W W. M U S I K F E S T- H A M B U R G . D E
PABLO HER AS - CASADO Dirigent B E R T R A N D C H A M AYO U Sopran NDR ELBPHILHARMONIE ORCHESTER Einführungsveranstaltungen mit Harald Hodeige am 12.05. und 13.05. um 19 Uhr im Großen Saal der Elbphilharmonie; am 14.05. um 18.30 Uhr auf der Galerie (Wasserseite) der Musik- und Kongresshalle Das Konzert am 13.05.22 wird live auf NDR Kultur gesendet.
PROGRAMM B E N J A M I N B R I T T E N (191 3 – 1976) Four Sea Interludes op. 33a aus der Oper „Peter Grimes“ Entstehung: 1945 | Uraufführung: London, 7. Juni 1945 | Dauer: ca. 16 Min. I. Dawn. Lento e tranquillo II. Sunday Morning. Allegro spiritoso III. Moonlight. Andante comodo e rubato IV. Storm. Presto con fuoco M A N U E L D E FA L L A (1 876 – 19 4 6) Noches en los jardines de España (Nächte in spanischen Gärten) Sinfonische Impressionen für Klavier und Orchester Entstehung: 1909–15 | Uraufführung: Madrid, 9. April 1916 | Dauer: ca. 25 Min. I. En el Generalife (Im Generalife) II. Danza lejana (Ferner Tanz) – III. En los jardines de la Sierra de Córdoba (In den Gärten des Berglands von Córdoba) Pause R O B E R T S C H U M A N N (1 810 – 1 8 4 6) Sinfonie Nr. 3 Es-Dur op. 97 „Rheinische“ Entstehung: 1850 | Uraufführung: Düsseldorf, 5. Februar 1851 | Dauer: ca. 35 Min. I. Lebhaft II. Scherzo. Sehr mäßig III. Nicht schnell IV. Feierlich – V. Lebhaft Dauer des Konzerts einschließlich Pause: ca. 2 Stunden 4
ZUM PROGR AM M DES HEUTIGEN KONZERTS Raue See, duftende Gärten, behäbiger Strom Kann Musik in der Vorstellung ihrer Hörer Bilder von Landschaften wachrufen? Oder die mit diesen Land- schaften verbundenen Empfindungen? Viele Kompo- nisten haben versucht, solche Musik zu schreiben, unter ihnen offenbar auch die drei unseres Pro- gramms. Allerdings gingen sie von unterschiedlichen Voraussetzungen aus: Benjamin Britten schuf seine „Four Sea Interludes“ als Teile einer Oper, deren Schauplätze ja schon das Bühnenbild sichtbar machte. Robert Schumann (Porträt von Manuel de Falla versetzte sich aus dem fernen Paris in J. N. Heinemann , 1851) die nächtlichen Gärten seiner spanischen Heimat, angeregt durch poetische Beschreibungen und impressionistische Gemälde. Robert Schumann Italien, die Alpen, kannte rheinische Landschaften zwar aus unmittelba- das Bild des Mee- rer eigener Anschauung, doch man weiß nicht genau, in welcher Weise sie in seine Dritte Sinfonie, letztlich res, eine Frühlings- ein Stück absoluter Musik, Eingang fanden. dämmerung – hätte N AT U R S C H I L D E R U N G U N D S E E L E N G E M Ä L D E: uns die Musik noch BRIT TENS „FOUR SE A INTERLUDES“ nichts von allem Die Ursprünge der „Four Sea Interludes“ op. 33a liegen diesem erzählt? in Brittens erster großer Oper „Peter Grimes“. Dass Robert Schumann in seinem der Komponist von „Meeres-Zwischenspielen“ sprach, Aufsatz „Sinfonie von H. kommt nicht von ungefähr, denn in dem Küstenstädt- Berlioz“ chen, in dem das Bühnenwerk spielt, bestimmt allein das Meer den Lebensrhythmus. Es prägt den Charak- ter des Titelhelden, und im Meer findet er schließlich 5
BENJAMIN BRITTEN Four Sea Interludes den Tod. Peter Grimes ist ein Fischer, dem die Dorf- leute wegen seiner eigensinnigen, ungeselligen Art misstrauen. Sie verdächtigen ihn, seine jungen Lehr- linge zu ermorden, und obwohl Ellen, die verwitwete Lehrerin, zu ihm hält, treiben provinzielle Engstirnig- keit und widrige Umstände Peter am Ende in Wahn- sinn und Selbstmord. Benjamin Britten Im zugrunde liegenden Konflikt zwischen Individuum und Masse sah Britten im Übrigen auch „unsere eigene VON DER OPER IN DEN Situation“ widergespiegelt. Damit meinte er nicht KONZERTSA AL allein die Ausgrenzung, die er und sein Lebenspartner Peter Pears wegen ihrer Homosexualität erfuhren. Bereits vor der Premiere Auch als Pazifisten und Kriegsdienstverweigerer seines „Peter Grimes“ fasste Britten vier der insgesamt stießen beide Künstler bei ihren Landsleuten auf sechs orchestralen Vor- und Unverständnis; sie lebten daher während der ersten Zwischenspiele der Oper zur Jahre des Zweiten Weltkriegs im US-amerikanischen Konzertsuite des heutigen Programms zusammen. Einen Exil. Gerade in diese Zeit fällt allerdings eine bewusste weiteren Instrumentalsatz, Hinwendung Brittens zur englischen Literatur und die „Passacaglia“ op. 33b, ließ Geschichte und damit auch zu seinen eigenen Wur- er separat erscheinen. zeln. Erst in den USA befasste er sich beispielsweise mit dem Dichter George Crabbe (1754–1832), dessen Verserzählung „The Borough“ die Oper „Peter Grimes“ inspirierte. Crabbe stammte wie Britten aus der ost- englischen Grafschaft Suffolk, und in Aldeburgh, dem Geburtsort des Dichters, ließen sich Britten und Pears nach dem Krieg dauerhaft nieder. Den Schauplatz sei- ner Oper kannte der Komponist allerdings schon viel länger: „Die meiste Zeit meines Lebens“, so erinnerte er sich 1945, „verbrachte ich in engem Kontakt mit dem Meer. Das Haus meiner Eltern in Lowestoft blickte direkt auf die See, und zu den Erlebnissen meiner Kindheit gehörten die wilden Stürme, die oftmals Schiffe an unsere Küste warfen und ganze Strecken der benachbarten Klippen wegrissen. Als ich ‚Peter Gri- mes‘ schrieb, ging es mir darum, meinem Wissen um den ewigen Kampf der Männer und Frauen, die ihr 6
BENJAMIN BRITTEN Four Sea Interludes Leben, ihren Lebensunterhalt dem Meer abtrotzten, S E N S AT I O N S E R F O L G Ausdruck zu verleihen – trotz aller Problematik, ein derart universelles Thema dramatisch darzustellen.“ Im April 1942 kehrten Benja- min Britten und sein Lebens- partner Peter Pears aus den Wie diese Bemerkung schon ahnen lässt, sind die USA nach Großbritannien „Four Sea Interludes“ aus „Peter Grimes“ keineswegs zurück. Während der langen Überfahrt entwarfen sie nur Naturschilderungen; vielmehr stehen die wech- gemeinsam das Szenario der selnden Wetterbedingungen und Tageszeiten am Meer Oper „Peter Grimes“. Auf zugleich für Seelenzustände der Handelnden. Das dieser Grundlage arbeitete der Dichter und kommunistische erste Stück, „Dawn“ (Dämmerung), hat seinen Platz in Aktivist Montagu Slater das der Oper zwischen Prolog und erstem Akt. Eine nackte Libretto aus. „Peter Grimes“ Melodie, von Geigen und Flöten unisono in hoher Lage wurde am 7. Juni 1945 im Londoner Theater „Sadler’s gespielt, wird gegliedert durch schnelle Arpeggien von Well“ mit sensationellem Harfe, Klarinette und Bratsche. Die Musik ruft Bilder Erfolg uraufgeführt und von erster schwacher Sonnenstrahlen auf grauer Dünung Kritikern als bedeutendste englische Oper seit Henry wach, die Stimmung ist noch ruhig, doch vermitteln Purcells „Dido and Aeneas“ bedrohlich anschwellende, tiefe Blechbläser-Akkorde (1689) eingestuft. Bis heute bereits eine Ahnung künftigen Unheils. „Sunday Mor- zählt Brittens Werk zum Standardrepertoire britischer ning“ (Sonntagmorgen), in der Oper am Beginn des und internationaler zweiten Aktes gespielt, imitiert mit sich überlagernden Opernhäuser. Hornklängen die Kirchenglocken des Orts. Im kon- trastierenden Mittelteil nehmen Bratschen und Celli, umrankt von Holzbläser-Arabesken, eine Melodie vor- weg, die Ellen in der folgenden Szene singen wird. „Moonlight“ (Mondlicht) ist in der Oper das Vorspiel zum dritten Akt. Das Stück malt mit warm-samtigem Streicherklang ein friedliches Nachtbild, dem Holzblä- ser und Perkussion silbrig schimmernde Reflexe auf- setzen. Das wellenförmige An- und Abschwellen einzelner Akkorde und kurzer Motive erzeugt aller- dings eine latente Unruhe; die Musik schaukelt sich allmählich zu höherer Intensität auf, bevor sie leise wieder verebbt. „Storm“ (Sturm) ist das effektvolle Schlussstück der „Four Sea Interludes“, trennt in der Oper jedoch die beiden Szenen des ersten Aktes. Gerade hier wird die Verknüpfung von Natur- 7
M ANUEL DE FALL A Noches en los jardines de España ereignissen und Gemütslagen besonders deutlich, denn die Musik stellt zugleich das Wüten von Wind und Wellen und den heftigen Konflikt in Peters Inne- rem dar. Eine ruhigere Episode im Zentrum des Stücks ist seiner Arie „What harbour shelters peace?“ („Welcher Hafen bietet Ruhe?“) entnommen, doch die Hoffnung, die sich in ihr ausdrückt, wird durch ein letztes Aufbrausen des Sturms zunichte gemacht. Manuel de Falla (1910) LIEBESERKL ÄRUNG AN ANDALUSIEN: DE FA L L AS „NOC H E S“ Ich war so fern von Manuel de Falla, der vielleicht bekannteste spanische meiner Heimat, Komponist des 20. Jahrhunderts, betrachtete das dass ich die Nächte Musikleben seines Heimatlandes kritisch: „Gäbe es Paris nicht, so wäre ich in Spanien geblieben, hätte vielleicht noch dort in Vergessenheit ein dunkles Dasein geführt und schöner malte, als mir mit Stundengeben einen armseligen Lebensunter- halt verdient. Die Auszeichnungen des Konservatori- sie in Wirklichkeit ums von Madrid hätte ich als Familienandenken an sind. Das liegt an die Wand hängen können und meine Partituren wären in einem Schubfach verstaubt.“ Doch zum Paris. Glück gab es Paris – de Falla studierte dort ab 1907 Manuel de Falla über die weiter, freundete sich mit spanienbegeisterten Kom- Entstehung seiner „Noches en ponisten wie Claude Debussy und Maurice Ravel an los jardines de España“ und erkannte erst im Ausland den ganzen musikali- schen Reichtum seiner Heimat. Bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs im Jahr 1914 blieb er in Frankreich. Viele Werke, die dort entstanden, kann man als Lie- beserklärungen an Spanien und insbesondere Anda- lusien verstehen – so auch die „Noches en los jardines de España“ (Nächte in spanischen Gärten). Die darin dargestellten Szenerien hatte der aus der Hafenstadt Cádiz stammende de Falla allerdings zum Zeitpunkt der Komposition erstaunlicherweise noch nie mit eigenen Augen gesehen. Er besuchte Granada erst- mals 1915, ein Jahr vor der Uraufführung des Werks. 8
M ANUEL DE FALL A Noches en los jardines de España Den Anstoß zu seinen „Sinfonischen Impressionen“ M ANUEL DE FALL A (so der Untertitel) erhielt de Falla, als er 1909 in einer Pariser Buchhandlung auf den poetischen Essayband 1876 in Cádiz geboren, zeigte Manuel de Falla bereits als „Granada. Guía emocional“ der spanischen Dichterin Kind großes Talent auf dem María Martínez Sierra-Lejárraga stieß. Zuerst dachte Klavier. Seine musikalische er an eine Serie von vier Nocturnes für Klavier solo, Ausbildung erhielt er in den 1890er Jahren in Madrid, u. a. doch sein Kollege Isaac Albéniz und der einflussrei- bei Felipe Pedrell, dem Urva- che Pianist Ricardo Viñes überzeugten ihn von der ter der spanischen National- Eignung seines Materials für eine orchestrale Ausar- musik. Seinen Durchbruch als Komponist feierte er 1905 mit beitung. So entstand nun eine Folge von drei sinfoni- der einaktigen Oper „La vida schen Sätzen, in denen die virtuos angelegte breve“. Von 1907 bis 1914 lebte Klavierstimme noch immer eine besondere Rolle de Falla in Paris, wo er sich mit Debussy, Ravel und Dukas spielt. Ein Solokonzert im traditionellen Sinn schrieb anfreundete und von ihnen de Falla allerdings nicht – dafür ist die Klavierpartie die wesentlichen Impulse für zu eng mit den übrigen Stimmen verwoben; sie steht seine weitere Entwicklung empfing. Bei Ausbruch des bei weitem nicht durchgehend im Vordergrund. Ersten Weltkriegs kehrte er Letztlich steuert sie zum üppigen, spätromantisch- nach Spanien zurück, wohnte impressionistischen Orchesterklang nur eine weitere, zunächst in Madrid und zog dann nach Granada – in ein vielleicht besonders leuchtende Farbe bei. altes Haus am Carmen de los Mártires, dem Ort, der den „En el Generalife“ – die Überschrift des ersten und zweiten Satz seiner „Noches en los jardines de España“ umfangreichsten Satzes bezieht sich auf den berühm- angeregt hatte. Mit dem ten Garten auf dem Hügel des Maurenpalastes Ballett „Der Dreispitz“ feierte Alhambra in Granada. Das erwähnte Buch von María de Falla 1919 einen großen Erfolg. 1939 wanderte er nach Martínez Sierra-Lejárragas enthält die Beschreibung Argentinien aus, um den eines nächtlichen Spaziergangs durch seine Myrten- tragischen Folgen des Zweiten sträucher und Rosenbüsche, Springbrunnen und Säu- Weltkriegs und des spani- schen Bürgerkriegs zu ent- lengänge. Raffinierte Orchestrierungseffekte schaffen kommen. Dort verstarb er im vor allem in de Fallas Einleitung eine träumerisch- Jahr 1946. Neben Isaac Albéniz geheimnisvolle Atmosphäre, während man in späte- und Enrique Granados gehört de Falla zu den wichtigsten ren Abschnitten auch Gitarren und die Klänge Pionieren der spanischen volkstümlicher Schlaginstrumente zu vernehmen Nationalmusik. meint. Diese dringen im zweiten Satz noch deutlicher durch. Er trägt zwar den allgemeineren Titel „Danza lejana“ (Ferner Tanz), spielt aber ebenfalls in Gra- nada: De Falla erklärte einmal, er habe beim Kompo- nieren an die Gegend des Klosters Carmen de los 9
M ANUEL DE FALL A Noches en los jardines de España Mártires unterhalb der Alhambra gedacht. Aus der Unterstadt dringt Musik zu diesem friedlichen Ort hinauf – aufgrund der Distanz und wechselnder Winde aber offenbar nur in abgerissenen Fragmen- ten. Eine Passage mit Holzbläserakkorden und hohen, bedrohlichen Tremoloklängen der Streicher leitet ohne Unterbrechung über zum Finale mit dem Titel „En los jardines de la Sierra de Córdoba“. María Bei seinen Besuchen in Granada Martínez Sierra-Lejárraga hatte auch diese Gärten bei malte der katalanische Impres- einem Tagesausflug gesehen und darüber berichtet. sionist Santiago Rusiñol i Prats Was de Falla anlässlich der Uraufführung über das mehrfach Ansichten der Alham- bra und des Generalife – wie auf gesamte Werk schrieb, gilt nicht zuletzt für dessen dem Gemälde oben. Neben Schlusssatz: „Die verwendeten Themen basieren auf einem poetischen Reiseführer den Rhythmen, Modi, Kadenzen und Verzierungen, war es dieser Bilderzyklus, der de Falla zu seinen „Noches“ die die volkstümliche Musik Andalusiens auszeich- anregte. nen, wenngleich sie selten in ihrer ursprünglichen Form erscheinen. Und die Orchestrierung verwendet häufig bestimmte Effekte, die den in diesem Teil Spa- SCHUMANNS (VOR)LETZTE niens gebräuchlichen Instrumenten eigen sind.“ Schumanns „Rheinische EIN STÜCK RHEINISCHES LEBEN: Sinfonie“ erklang erstmals am SCHUMANNS DRITTE SINFONIE 6. Februar 1851 im „Geis- ler’schen Saal“ in Düsseldorf. Der Komponist selbst leitete Musikliebhaber sind es gewohnt, sich Robert Schu- das Orchester des Düsseldor- manns Düsseldorfer Zeit, seine letzte Lebensstation fer Allgemeinen Musikvereins – mit großem Erfolg. Nach vor der Einlieferung in die Heilanstalt in Endenich, offizieller Zählung ist diese in düsteren Farben auszumalen. Seine Überforderung Es-Dur-Sinfonie Schumanns durch die Stellung als städtischer Musikdirektor, die dritte, chronologisch aber die vierte. Auf sie folgte 1851 noch damit verbundenen Intrigen und beleidigenden eine Überarbeitung der 1841 Zurücksetzungen, die fortschreitende seelische entstandenen Sinfonie d-Moll Krankheit und schließlich der Suizidversuch durch – eigentlich seiner zweiten, die nun jedoch die Nummer 4 einen Sprung in den Rhein – all dies lässt sich gewiss erhielt. nicht verleugnen. Und doch gab es für Schumann in Düsseldorf auch frohe Zeiten und Phasen großer Pro- duktivität. Am 2. September 1850 traf er mit seiner Familie in der Stadt ein, und genau zwei Monate spä- ter begann er offenbar in gehobener Stimmung die 10
ROBERT SCHUMANN Sinfonie Nr. 3 Es-Dur op. 97 „Rheinische“ Niederschrift eines neuen Orchesterwerks, das er Die hiesigen musi- schon am 9. Dezember abschließen konnte. kalischen Verhält- Die Sinfonie in Es-Dur ist – zumindest vordergründig – nisse haben alle Schumanns heiterste und schwungvollste. Ihr Bei- Erwartungen über- name „Rheinische“ mag sich darauf beziehen oder auch auf den Entstehungsort. Vom Komponisten troffen und ich selbst stammt der Titel zwar nicht, doch deuten freue mich des immerhin einige Äußerungen Schumanns und seines engeren Umfeldes in die Richtung. So berichtet Wil- künftigen Wir- helm Joseph von Wasielewski, Schumanns Konzert- kungskreises von meister und später sein Biograf: „Die Sinfonie in Es-Dur könnte man im eigentlichen Sinne des Wortes ganzem Herzen. Ich die ‚Rheinische’ nennen, denn Schumann erhielt sei- wüsste kaum eine nen Äußerungen zufolge den ersten Anstoß zu dersel- ben durch den Anblick des Kölner Domes. Während Stadt der hiesigen der Komposition wurde der Meister dann noch durch zu vergleichen – von die, in jene Zeit fallenden, zur Kardinalserhebung des Kölner Erzbischofs v. Geissel stattfindenden Feierlich- einem so frischen keiten beeinflusst.“ Diese letzte Bemerkung bezieht künstlerischen sich speziell auf den vierten Satz, der bei der Urauf- führung noch den Titel „Im Character der Begleitung Geist fühlt man einer feierlichen Ceremonie“ trug. Einen weiteren sich hier angeweht. Hinweis auf das „Rheinische“ liefert ein anonymer Düsseldorfer Rezensent: „Die neue Tondichtung [!] Robert Schumann am unseres verehrten Komponisten beabsichtigt wohl 13. September 1850 in einem Brief aus Düsseldorf an seinen nicht einen heroischen Charakter: sie entrollt uns Hamburger Freund Georg vielmehr ein Stück rheinisches Leben in frischer Hei- Dietrich Otten terkeit … Wenn wir in unserem Bilde bleiben wollen, so gibt uns der zweite Satz ein behäbiges Rheinland- leben: man denkt an schöne Wasserfahrten zwischen rebengrünen Hügeln und freundliche Winzerfeste.“ Die „Rheinische Sinfonie“ ist in fünf Sätzen (statt der üblichen vier) angelegt. Sie sind, den intermezzoarti- gen dritten ausgenommen, motivisch eng miteinan- der verwandt, denn alle werden durch die melodische 11
ROBERT SCHUMANN Sinfonie Nr. 3 Es-Dur op. 97 „Rheinische“ Urzelle der Quart eröffnet – zunächst der absteigen- den (Kopfsatz), dann der aufsteigenden (Sätze 2 und 4) und schließlich der melodisch ausgefüllten Quart (Finale). Der erste Satz der Sinfonie lebt vor allem vom Gegensatz zwischen dem pulsierenden Dreivier- telmetrum und dem im Zweier-Rhythmus sich bewe- genden Hauptthema. Der zweite ist zwar als „Scherzo“ bezeichnet, zeigt aber eher den Charakter Düsseldorf, Stadtansicht mit eines gemächlichen Ländlers; die wellenförmige Rhein (Stahlstich um 1850 von Bewegung des Themas (gleich zu Beginn in den Celli Joseph Maximilian Kolb) und Fagotten) wurde oft als das Wogen des Rheins interpretiert. Der dritte Satz mit der Tempovorschrift Es hätte mich „Nicht schnell“ ist ein liedhaftes, fast kammermusi- kalisch instrumentiertes Stück, das einen starken gefreut, auch hier Kontrast zum folgenden „feierlichen“ Satz Nr. 4 bil- am Rhein ein grö- det. In diesem wird ein choralartiges Thema höchst kunstvoll in archaischem Kontrapunkt verarbeitet; ßeres Werk erschei- alle drei Teile des Satzes sind als Fugato angelegt. nen zu sehen, und Das Finale trägt die gleiche Vortragsbezeichnung wie der Kopfsatz („Lebhaft“); es nimmt durch eine ganze gerade diese Sin- Reihe einprägsamer Themen für sich ein. „Es muss- fonie, die vielleicht ten volkstümliche Elemente vorwalten, und ich glaube, es ist mir gelungen“, schrieb Schumann an hier und da ein Wasielewski. Das glaubten offensichtlich auch die Stück Leben Düsseldorfer; über ihre Reaktion berichtete jeden- falls der Korrespondent der „Signale für die musikali- widerspiegelt. sche Welt“: „Unser ziemlich phlegmatisches Schumann am 19. März 1851 Publikum wurde durch den großen, dem Werke inne- an den Bonner Verleger wohnenden Schwung dermaßen mit fortgerissen, Simrock dass es nach einzelnen Sätzen und am Schlusse in laute Exklamationen ausbrach, in welche schließlich auch das Orchester mittelst eines dreimaligen Tusches herzlich einstimmte.“ Jürgen Ostmann 12
DIRIGENT Pablo Heras-Casado Das künstlerische Schaffen von Pablo Heras-Casado ist außergewöhnlich vielseitig. Als Dirigent mit langjähri- gen Beziehungen zu renommierten Orchestern weltweit fühlt er sich im Sinfonie- und Opernrepertoire genauso zu Hause wie auf dem Feld der Historischen Auffüh- rungspraxis und der zeitgenössischen Musik. Regel- mäßig gastiert er etwa beim Philharmonia und London Symphony Orchestra, Orchestre de Paris, Symphonieor- chester des Bayerischen Rundfunks, Tonhalle-Orches- ter Zürich, Orchestra dell’Accademia Nazionale di Santa DISKOGR AFIE (AUSWAHL) Cecilia und bei den Münchner Philharmonikern. Darü- ber hinaus stand er am Pult der Berliner und Wiener • Strawinskys „Sacre“ und Eötvös’ „Alhambra“ mit dem Philharmoniker und der großen Orchester etwa von San Orchestre de Paris und Francisco, Chicago, Philadelphia und Los Angeles. Von Isabelle Faust 2011 bis 2017 war er Chef des Orchestra of St. Luke’s in • Aufnahmen zum Beethoven- Jahr 2020, darunter die New York. Im Bereich der Oper leitet Heras-Casado Neunte Sinfonie, sämtliche gegenwärtig einen „Ring“-Zyklus am Teatro Real in Klavierkonzerte mit Kristian Madrid, wo seine Amtszeit als Erster Gastdirigent zu Bezuidenhout am Hammer- klavier und das Tripelkon- Ende geht. An der Wiener Staatsoper debütierte er zert mit Isabelle Faust, 2020/21 mit Monteverdis „Poppea“, in der aktuellen Sai- Jean-Guihen Queyras und son dirigiert er dort auch „L’Orfeo“. In der Vergangen- Alexander Melnikov • Serie „Die Neue Romantik“ heit konnte man ihn ferner u. a. an der Staatsoper mit Musik u. a. von Mendels- Berlin, der Met in New York und beim Festival von Aix- sohn, Schumann und en-Provence erleben. Eine intensive Zusammenarbeit Schubert • Werke von de Falla mit dem verbindet ihn mit dem Freiburger Barockorchester, mit Mahler Chamber Orchestra, dem er regelmäßig bei namhaften Festivals auftritt und von Debussy mit dem Aufnahmeprojekte realisiert, sowie dem Verbier Festi- Philharmonia Orchestra und von Bartók mit den Münch- val. Zuvor war er Leiter des Festival de Granada. Mit gro- ner Philharmonikern ßer Leidenschaft setzt sich Heras-Casado auch für den • Wagners „Der fliegende musikalischen Nachwuchs ein. 2021 wurde er zum Holländer“ am Teatro Real Madrid (DVD) „Artist of the Year“ bei den International Classic Music • Monteverdis „Selva morale e Awards gewählt. Darüber hinaus ist er Träger mehrerer spirituale“ mit dem Baltha- spanischer Ehrentitel und weltweiter Botschafter der sar-Neumann-Chor und -Ensemble karitativen Organisation „Ayuda en Acción“. 13
KL AVIER Bertrand Chamayou Bertrand Chamayou hat sich durch sein umfassendes Repertoire, das er äußerst fantasievoll und mit traum- wandlerischer Sicherheit präsentiert, einen Namen gemacht. Regelmäßige Auftritte führen ihn in renom- mierte Säle wie das Théâtre des Champs-Élysées und Lincoln Center, den Herkulessaal München oder die Wigmore Hall London. Auch bei den Festivals von New York (Mostly Mozart), Luzern, Salzburg, Edinburgh und Bonn ist er ein gern gesehener Gast. Zu den Orchestern, H Ö H E P U N K T E 2 0 21/2 0 2 2 mit denen er regelmäßig konzertiert, gehören die Deut- sche Kammerphilharmonie Bremen, die Sinfonieor- • Konzerte mit dem Gewand- chester des hr und WDR, das Orchestra dell‘ Accademia hausorchester Leipzig, SWR Nazionale di Santa Cecilia, Rotterdam Philharmonic, Symphonieorchester, Royal Scottish National Orchestra, NHK Symphony und Cleveland Orchestra. In den ver- London Symphony Orches- gangenen Saisons sorgte er mit gefeierten Debüts u. a. tra und Orchestre de Paris beim New York Philharmonic, Chicago Symphony und • Tour durch die wichtigsten europäischen Konzertsäle Philharmonia Orchestra sowie bei den Bamberger Sym- mit Les Siècle und François phonikern für Furore. Chamayou arbeitete mit Dirigen- Xavier Roth ten wie Pierre Boulez, Sir Neville Marriner, Michel • Solo- und Kammermusik- Recitals an der Oper Oslo, Plasson und Andris Nelsons. Zu seinen Kammermusik- im Teatro San Carlo in Partnern zählen Künstler wie Renaud und Gautier Neapel, im Konzerthaus Capuçon, das Quatuor Ébène, Antoine Tamestit oder Freiburg, an der Semperoper Dresden, in der Philharmo- Sol Gabetta. Seine Einspielung von Werken César nie Essen sowie in Luzern Francks wurde mehrfach ausgezeichnet, ebenso seine und Hannover Aufnahme der Klavierkonzerte Nr. 2 und 5 von Saint- Saëns mit dem Orchestre National de France unter Emmanuel Krivine sowie die Einspielung von Ravels Werken für Klavier solo. Als bislang einziger Künstler hat er Frankreichs renommierten Preis „Victoires de la Musique” gleich vier Mal gewonnen. Chamayou wurde in Toulouse geboren. Bereits früh wurde Jean-François Heisser, später sein Lehrer am Pariser Conservatoire, auf seine musikalische Begabung aufmerksam. Weitere Studien führten ihn u. a. zu Maria Curcio nach London. 14
IMPRESSUM Herausgegeben vom NORDDEUTSCHEN RUNDFUNK Programmdirektion Hörfunk Orchester, Chor und Konzerte Rothenbaumchaussee 132 20149 Hamburg Leitung: Achim Dobschall NDR ELBPHILHARMONIE ORCHESTER Management: Sonja Epping Redaktion des Programmheftes Julius Heile Der Einführungstext von Jürgen Ostmann ist ein Originalbeitrag für den NDR. Fotos akg-images (S. 5, 12) Heritage Images / Image – Index / akg-images (S. 6) akg-images / fine-art-images (S. 8) Fernando Sancho (S. 13) Marco Borggreve (S. 14) Druck: Eurodruck in der Printarena Das verwendete Papier ist FSC-zertifiziert und chlorfrei gebleicht. Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung des NDR gestattet. 15
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