Pandemie und Polarisierung - (Wechselseitige) Wahrnehmungen von Befürworter*innen und Gegner*innen der Corona-Maßnahmen - Refubium
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Pandemie und Polarisierung (Wechselseitige) Wahrnehmungen von Befürworter*innen und Gegner*innen der Corona-Maßnahmen Policy Brief 3/2021, Juni 2021
RAPID-COVID: Policy Brief 3/2021 Pandemie und Polarisierung Für lebendige Demokratien sind Meinungsverschieden- gebeten, ihre Gefühle sowohl gegenüber den Befürwör- heiten eine Notwendigkeit. Zugleich aber gilt: Wenn ter*innen als auch den Gegner*innen auf 11-stufigen sich Meinungslager unversöhnlich, ja gar feindlich ge- Skalen von „sehr kühl und negativ“ (-5) bis „sehr genüberstehen und der jeweils anderen Seite nicht wohlgesonnen und positiv“ (+5) zum Ausdruck zu mehr zuhören, wird es schwer, sinnvolle Diskurse zu bringen. führen und Kompromisse zu finden. Die Ergebnisse in unserer Mai-Erhebung fallen spie- Hat die Pandemie Deutschland geteilt? Gerade die gelbildlich aus, wie Abbildung 1 zeigt: Befürworter*in- Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus wer- nen der Maßnahmen werden insgesamt sehr positiv den von hitzigen Debatten begleitet. Daran ändert wahrgenommen, Gegner*innen dagegen sehr negativ. auch der Umstand, dass diese in der Bevölkerung Konkret stehen 71 % unserer Befragten Befürwor- mehrheitlich unterstützt werden, nichts (siehe unseren ter*innen positiv gegenüber, während dies mit Blick ersten Policy Brief). Doch wie werden Befürworter*in- auf Gegner*innen nur 16 % sind. Umgekehrt stehen nen und Gegner*innen jeweils wahrgenommen? Wie 67 % der Befragten den Gegner*innen negativ gegen- stehen sich beide Gruppen gegenüber? Im Rahmen über, aber nur 12 % den Befürworter*innen. 17 % ste- des RAPID-COVID-Projekts sind wir diesen Fragen hen beiden Gruppen neutral (mit einem Wert von 0) mittels bevölkerungsrepräsentativer Befragungen zu gegenüber. Vor dem Hintergrund der mehrheitlichen drei Zeitpunkten (Dezember 2020, März 2021 und Unterstützung der Maßnahmen in der Bevölkerung Mai 2021) nachgegangen. Wir haben unsere Befragten deutet sich hier bereits eine Polarisierung an. Einstellungen gegenüber Befürworter*innen und Gegner*innen 40 40 37 34 30 30 Prozent Prozent 20 20 17 17 14 11 12 10 10 9 7 5 6 5 4 4 3 3 2 2 2 2 2 1 0 0 -5 -4 -3 -2 -1 0 1 2 3 4 5 -5 -4 -3 -2 -1 0 1 2 3 4 5 ← Sehr negativ Sehr positiv → ← Sehr negativ Sehr positiv → (a) Gefühle gegenüber Personen, die die Maßnahmen (b) Gefühle gegenüber Personen, die die Maßnahmen unterstützen ablehnen Abbildung 1: Frage: Manche Leute in Deutschland unterstützen die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie, andere lehnen sie ab. Wenn Sie einmal an die beiden Gruppen denken, was empfinden Sie für diese Personengruppen? Antworten auf einer Skala von -5 (sehr kühl und negativ) bis +5 (sehr wohlgesonnen und positiv). 2 672 Befragte, Mai 2021. 2
RAPID-COVID: Policy Brief 3/2021 Pandemie und Polarisierung Einstellungen nach Bevölkerungsgruppen Geschlecht Geschlecht 2,2 -2,0 Männlich Männlich 2,5 -2,4 Weiblich Weiblich Alter Alter 1,6 -1,6 18-34 18-34 2,1 -1,9 35-54 35-54 3,0 -2,8 55+ 55+ Formale Bildung Formale Bildung 2,2 -2,1 Ohne Fachhochschulreife Ohne Fachhochschulreife 2,6 -2,4 Mit mind. Fachhochschulreife Mit mind. Fachhochschulreife Regionale Herkunft Regionale Herkunft 2,4 -2,3 West West 2,0 -1,7 Ost Ost Parteipräferenz Parteipräferenz 3,7 -3,3 CDU/CSU CDU/CSU 3,6 -3,5 SPD SPD -0,5 0,8 AfD AfD 1,9 -1,9 FDP FDP 2,8 -2,6 Die Linke Die Linke 3,5 -3,5 Grüne Grüne 1,8 -1,8 Keine Parteipräferenz Keine Parteipräferenz -5 -4 -3 -2 -1 0 1 2 3 4 5 -5 -4 -3 -2 -1 0 1 2 3 4 5 ← Sehr negativ Sehr positiv → ← Sehr negativ Sehr positiv → (a) Gefühle gegenüber Personen, die die Maßnahmen (b) Gefühle gegenüber Personen, die die Maßnahmen unterstützen ablehnen Abbildung 2: Unterschiede zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen: Die Punkte zeigen die Gruppenmittelwerte mit zugehörigen Konfidenzintervallen. Die rote Linie zeigt den Mittelwert der gesamten Stichprobe, die gestrichelte graue Linie den Mittelpunkt der Antwortskala. Die Ergebnisse sind nach Alter, Geschlecht, Bildung und Bundesland gewichtet. Unterschiede zwischen wisse Unterschiede in den Mustern zeigen sich, wenn Bevölkerungsgruppen man die Befragten nach ihrer formalen Bildung oder ihrer regionalen Herkunft trennt: Die Mittelwerte fal- len im Westen wie auch bei Menschen mit formal Wie sehen die Bewertungen in verschiedenen Bevölke- hoher Bildung pointierter aus. Noch deutlicher treten rungsgrupppen aus? Abbildung 2 zeigt, dass es keine Muster zutage, wenn man die Gefühle verschiedener relevanten Unterschiede nach dem Geschlecht gibt. Ge- 3
RAPID-COVID: Policy Brief 3/2021 Pandemie und Polarisierung Altersgruppen vergleicht. Gerade bei älteren Befrag- ner*innen) sehr positiv sehen, die Befürworter*innen ten (55+) sind die Muster polarisierter, sie sehen dagegen sehr negativ - und umgekehrt. Unterstützer*innen besonders positiv, Gegner*innen Um Muster affektiver Polarisierung sichtbar ma- besonders negativ. chen zu können, wird zunächst für jede Person die Sehr deutliche Unterschiede treten auch hervor, Differenz zwischen ihrer Bewertung der Befüworter*in- wenn man die Gruppen entlang ihrer Parteipräferenz nen und ihrer Bewertung der Gegner*innen gebildet. bildet: Wähler*innen von Union, SPD, Grünen und Anschließend wird, da die Richtung keine Rolle spielt, Linken sehen Befürworter*innen besonders positiv, der Betrag gebildet, sprich das Vorzeichen entfernt. Gegner*innen dagegen besonders negativ. Auch bei Bewertet eine Person beide Gruppen gleich gut oder Wähler*innen der FDP und Nichtwähler*innen findet schlecht, ist die Differenz gleich Null - keine Polari- sich dieses Muster, wenn auch weniger stark ausge- sierung. Wird eine Gruppe dagegen maximal posi- prägt. Einzig Anhänger*innen der AfD stehen - im tiv bewertet (+5), die andere maximal negativ (-5), Durchschnitt - Befürworter*innen wie Gegner*innen liegt die Differenz bei 10 - maximale Polarisierung. in gleichem Maße neutral gegenüber: Beide Gruppen Schließlich werden auf dieser Basis Mittelwerte ge- werden von AfD-Wähler*innen mit -0,5 bzw. +0,8 im bildet, um Polarisierung in Gruppen zu betrachten. Mittel sehr nahe am Nullpunkt gesehen. Abbildung 3 zeigt, in welchem Zusammenhang affek- tive Polarisierung zur Positionierung bezüglich der Corona-Maßnahmen steht. Affektive Polarisierung Sie fördert ein bemerkenswertes Muster zutage: Bei Personen, die die Corona-Maßnahmen uneinge- In der bisherigen Betrachtung standen Gesamtbewer- schränkt unterstützen, - und das sind viele! - ist die tungen im Fokus: Wie werden die Gegner*innen ins- affektive Polarisierung stark ausgeprägt: Die eigene gesamt bewertet? Wie die Befürworter*innen? Um Gruppe (der Befürworter*innen) wird maximal posi- etwas über die (affektive) Polarisierung in der Gesell- tiv bewertet, die andere Gruppe (der Gegner*innen schaft sagen zu können, müssen wir aber noch einen der Maßnahmen) maximal negativ. Der resultieren- Schritt weitergehen. Polarisierung impliziert nämlich, de Mittelwert liegt mit 8,6 sehr nahe am möglichen dass die Gegner*innen die eigene Gruppe (der Geg- Maximum von 10. Zusammenhang zwischen der Unterstützung der Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie und affektiver Polarisierung 10 8,6 8,3 Affektive Polarisierung, Mittelwert 8 7,4 6,5 6,3 6 5,9 5,2 4 3,7 3,5 3,7 3,2 2 0 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 Unterstützung der Corona-Maßnahmen Abbildung 3: Mittlere affektive Polarisierung nach Unterstützungsgrad der Corona-Maßnahmen sowie die dazugehörigen Konfidenzintervalle. Die Ergebnisse sind nach Alter, Geschlecht, Bildung und Bundesland gewichtet. 4
RAPID-COVID: Policy Brief 3/2021 Pandemie und Polarisierung Mit nachlassender Unterstützung der Maßnahmen Affektive Polarisierung nach geht auch die Polarisierung zurück. Am schwächs- Bevölkerungsgruppen ten ausgeprägt ist sie bei Personen, die gegenüber den Maßnahmen eine neutrale oder aber eine mo- Geschlecht derat skeptische Haltung haben. Einen Anstieg der 4,7 7,1 Männlich Polarisierung sieht man erst wieder bei jenen, die 7,5 die Maßnahmen total ablehnen, wobei die Polari- Weiblich 4,6 sierungslevels selbst hier niedriger ausfallen als bei den uneingeschränkten Unterstützer*innen. Affektive Alter Polarisierung in der Pandemie folgt demnach keiner 6,3 Symmetrie: Während die Befüworter*innen sich selbst 4,0 18-34 7,0 gut, die Gegner*innen aber schlecht findet, gilt das 35-54 4,4 umgekehrt nicht in gleicher Eindeutigkeit. Für die 8,0 5,6 55+ Gegner*innen ist das Bild ambivalenter. Formale Bildung Affektive Polarisierung in Ohne Fachhochschulreife 4,8 7,3 Bevölkerungsgruppen Mit mind. Fachhochschulreife 4,4 7,3 Diese Muster finden sich auch in fast allen Teilgruppen der Gesellschaft, wie Abbildung 4 zeigt. Männliche Regionale Herkunft Befürworter sind polarisierter als männliche Gegner, 4,7 7,4 West Gleiches gilt für Frauen. Auch differenziert nach Bil- 6,9 dung zeigen sich keine unterschiedlichen Muster in den Ost 4,7 Teilgruppen. Minimale Unterschiede zeigen sich zwi- schen Ost und West. Anders stellt sich das Bild in den Parteipräferenz verschiedenen Altersgruppen dar. Zwar gilt in allen 4,9 7,6 CDU/CSU Altersgruppen: Die Polarisierung ist bei Befürwor- 8,1 ter*innen höher als bei Gegner*innen, aber zugleich SPD 4,7 gilt auch: Je älter die Befragten, desto polarisierter 5,5 5,9 AfD sind ihre Meinungen. Auch bei älteren Gegner*innen FDP 3,9 6,6 ist die Polarisierung höher als bei jüngeren Gegner*in- 7,1 nen; für jüngere Befürworter*innen zeigen sich weniger Die Linke 3,4 7,9 polarisierte Muster als für ältere. Grüne 5,0 Auch bei den Anhänger*innen der Parteien bestäti- 6,8 3,8 Keine Parteipräferenz gen sich grundsätzlich die Muster: Mehr Polarisierung 0 5 10 bei Befürworter*innen, weniger bei Gegner*innen. An ← Niedrige Polarisierung zwei Stellen finden wir allerdings Abweichungen: An- Hohe Polarisierung → hänger*innen der FDP weisen in beiden Gruppen Gegner*innen Unterstützer*innen unterdurchschnittliche Polarisierungslevels auf, sind also im Mittel gemäßigter. Bei Anhänger*innen der AfD dagegen gilt: Überdurchschnittliche Polarisierung Abbildung 4: Affektive Polarisierung bei Befürwor- bei Gegner*innen, unterdurchschnittliche bei Befür- ter*innen und Gegner*innen der Corona- worter*innen. In der Konsequenz führt dies dazu, dass Maßnahmen in verschiedenen Bevölke- sich innerhalb der AfD-Anhänger*innen keine Unter- rungsgruppen: Die Punkte zeigen die schiede in der affektiven Polarisierung zwischen Be- Gruppenmittelwerte mit zugehörigen Kon- fidenzintervallen für Gegner*innen (oran- fürworter*innen und Gegner*innen der Maßnahmen ge) und Befürworter*innen (blau). Die finden. orange Linie zeigt den Mittelwert für die Gegner*innen der Corona-Maßnahmen (4,7), die blaue Linie den Mittelwert für die Befürworter*innen (7,3). Die Ergeb- nisse sind nach Alter, Geschlecht, Bildung und Bundesland gewichtet. 5
RAPID-COVID: Policy Brief 3/2021 Pandemie und Polarisierung Informationen zum Projekt RAPID-COVID RAPID-COVID ist ein Projekt an der Freien Universität Berlin an der Schnittstelle von politischer Kommu- nikation, politischer Psychologie und politischer Kulturforschung. Das Kürzel RAPID steht für Receiving and Accepting Public Information Despite Polarization. Im Rahmen des Projekts verknüpfen wir Forschung zu Mediennutzung, Kampagneneffekten, Populismus und Protest, um zu verstehen, wie Menschen die Pandemie und den politischen Umgang damit wahrnehmen und bewerten. Wir interessieren uns insbesondere dafür, ob und wie relevante Informationen über die Pandemie bei der Bevölkerung ankommen; ob es (normativ problematische) Unterschiede hinsichtlich des Informationsstandes zwischen verschiedenen Teilen der Bevölkerung gibt; ob und welche Unzufriedenheitsgefühle in der Bevölkerung entstehen und wie die Informationen zur Corona-Pandemie von der Bevölkerung aufgenommen und verarbeitet werden. Das Projekt wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert. Datengrundlage Die Grundlage unseres Projektes sind Paneldaten - also Befragungen eines identischen Personenkreises -, die in vier Wellen mittels einer Online-Befragung durch das Markt- und Meinungsforschungsinstitut YouGov gesammelt werden. An der dritten Welle (mit einer Feldzeit vom 19.05.2021–31.05.2021) haben 2 672 in Deutschland wahlberechtigte Personen teilgenommen. Das Panel ist quotiert nach Alter, Geschlecht, Bildung und Bundesland. Team Projektleitung Prof. Dr. Thorsten Faas Dr. David Schieferdecker Koordination Philippe Joly, M. Sc. Mitarbeiter*innen Teodora Bibu Dennis Klinke Zitation RAPID-COVID (2021, Juni). „Pandemie und Polarisierung: (Wechselseitige) Wahrnehmungen von Befürwor- ter*innen und Gegner*innen der Corona-Maßnahmen“. Policy Brief 3/2021. Impressum Prof. Dr. Thorsten Faas Freie Universität Berlin Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft Ihnestraße 21 14195 Berlin thorsten.faas@fu-berlin.de www.rapidcovid.de 6
Sie können auch lesen