Patente Profite und AIDS (Teil 1)
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Patente Profite und AIDS (Teil 1) Vom 3.-5.10.2002 organisierte die BUKO Pharma-Kampagne in Kooperation mit der Evangelischen Akademie Bad Boll die Fachkonferenz Patente, Profite und AIDS. In dieser und der nächsten Ausgabe des Pharma-Brief Spezial dokumen- tieren wir einige Beiträge der Konferenz. Eine vollständige Dokumentation wird demnächst erhältlich sein. Doch zunächst ein Überblick über Themen und Ziele. Internationale Abkommen zum Schutz des geistigen Eigentums (TRIPS) ver- pflichtet Länder der Dritten Welt, neue und unentbehrliche Arzneimittel unter einen 20-jährigen Patentschutz zu stel- len. So werden gerade AIDS- Medikamente unbezahlbar für die Ar- men. Die Anwendung von Schutzbe- stimmungen werde trotz gegenteiliger Beteuerungen von der Industrie und Industrienationen verhindert, erklärten die ExpertInnen auf der Konferenz. „Das TRIPS-Abkommen ist ein Hinder- Innenansichten einer Konferenz nis, aber der politische Unwille der In- dustrie und einiger Regierungen der Neun ReferentInnen aus Asien, Latein- reichen Länder ist aktuell das größte amerika und Afrika und vier aus nördli- Problem.“, sagte der Rechtsanwalt Ja- chen Ländern diskutierten gemeinsam mes Love von dem Consumer Project mit ca. 90 TeilnehmerInnen über die on Technology (CPT) aus den USA. Thematik. Im Anschluss an die Konfe- Durch Druck auf die Länder der Dritten renz waren die ReferentInnen aus dem Welt werde versucht, die im TRIPS- Süden eingeladen, in drei Gruppen an Abkommen vorgesehenen Regelungen einer ExpertInnenrundreise durch zum Schutz der Gesundheit auszuhe- Deutschland teilzunehmen. beln. Bei Gesundheitsnotständen lässt Die einhellige Forderung der Fachleute das TRIPS-Abkommen die Zwangsli- aus fünf Kontinenten: Ein ungehinderter zenzierung1 zu. Durch dies Verfahren Zugang zu unentbehrlichen AIDS- könnte Versorgung mit preiswerten Medikamenten auch für arme Länder. unentbehrlichen Medikamenten sicher An die Regierungen der Industrienatio- gestellt werden. Von Seiten einiger nen richtete sich die Forderung, die Pharma-Unternehmen werde aber ver- Entwicklungsländer in ihrem Kampf sucht, auf die nationale Gesetzgebung gegen die Immunschwächekrankheit zu in den Entwicklungsländer Einfluss zu unterstützen und internationale Ab- nehmen, so dass die Anwendung dieser kommen so umzusetzen, dass die Ver- Ausnahmeregeln erschwert oder verhin- sorgung mit lebenswichtigen Medika- menten nicht länger von den Pharma- konzernen blockiert wird. Inhalt „HIV-Positiven konnte ich nur Mut zu- Südafrika: sprechen“, erklärte die Ärztin Catherine Industrie verhindert Kyobutungi aus Uganda in Bad Boll, Zugang zu Arzneimitteln 2 „helfen konnte ich ihnen nicht, denn Uganda: Medikamente sind unbezahlbar.“ Das Prävention als Lösung 6 ISSN 1618-4599
dert werde. dem Handels- und Patentrecht stehen. Die Pharmaindustrie muss wieder die „AIDS trifft die am härtesten, die schon Rolle eines Zulieferbetriebs zum Ge- jetzt bis zum Hals im Treibsand ste- sundheitssystem zugewiesen bekom- cken,“ sagte die indische Ärztin Dr. men. Sie ist nicht Teil des Gesund- Roopa Devadasan auf der Konferenz. heitssystems, auch wenn sie sich ger- Damit sie nicht ganz versinken, sei ne selbst so darstellt! Sie ist es sowe- internationale Unterstützung erforder- nig wie die Autoindustrie, die Kranken- lich, die verhindert, dass Pharmaunter- wagen produziert oder die Bauindustrie, nehmen Preise und Bedingungen der die Krankenhäuser baut. Die Pharmain- Medikamentenversorgung diktieren. dustrie baut Pillen und muss dies nach Neben Aspekten der Arzneimittelversor- den Bedürfnissen der Kranken tun und gung diskutieren die Gesundheitsfach- nicht nach dem Gesetz des neolibera- leute auf der Konferenz Möglichkeiten len Marktes. Dieser Markt mit seinen und Modelle der AIDS-Therapie und Gesetzen wurde von Menschen ge- Prävention in unterschiedlichen kulturel- macht, daher kann er auch von Men- len Zusammenhängen. Die Tagung war schen verändert werden. Ein Schritt auf zugleich Auftakt einer Veranstaltungs- diesem Weg war die Konferenz und die tour durch ganz Deutschland, bei der Tour. Fachleute und Laien über internationale Christiane Fischer Aspekte des AIDS-Problems und die Situation in den verschiedenen Ländern informieren wurden. Öffentliche Veran- 1 Im Falle eines Gesundheitsnotstandes kann gemäß § 31 des TRIPS-Abkommens ohne Einverständnis staltungen wurden durch ExpertInnen- des Patentinhabers der Patentschutz außer Kraft runden in Tropeninstituten, AIDS-Hilfen gesetzt und das Medikament generisch nachprodu- und Hospizen ergänzt. ziert werden. Dies hat auch die letzte Ministerialrun- de der Welthandelsorganisation (WTO) bestätigt Als Fazit der Konferenz und der Tour (siehe auch: Die Armen bleiben außen vor, Pharma- Brief 10/2001, S. 1-2) wurde klar: Das Menschenrecht auf Gesundheit und den Zugang zu unent- behrlichen Arzneimitteln muss über Wie die Pharmaindustrie den Zugang zu unentbehr- lichen Arzneimitteln in armen Ländern verhindert Eine südafrikanische Perspektive. Von Andy Gray Bevor man über Südafrika Virus angesteckt. AIDS ist heute die spricht, sollte man sich das häufigste Todesursache in Afrika südlich ganze Ausmaß des AIDS- der Sahara. Weltweit ist sie die viert- Problems vor Augen halten. häufigste tödliche Krankheit.“2 UNAIDS sagt dazu: „Zwanzig Was die Lage so schwierig macht, ist Jahre nach dem das erste Mal die Verteilung der Pandemie wie der klinisch gesichert über das Bericht von UNAIDS zeigt: Von den erworbene Immundefizitsyn- weltweit 40 Millionen HIV-Infizierten drom berichtet wurde, ist AIDS leben 28,1 Millionen in Afrika südlich der zur vernichtendsten Krankheit Sahara. 14.000 Menschen stecken sich geworden, mit der die Mensch- jeden Tag an, 95% davon leben in der heit je konfrontiert wurde. Seit Dritten Welt. 12.000 Fälle treten bei der Beginn der Epidemie haben ökonomisch produktivsten Altersgruppe sich 60 Millionen Menschen mit dem (15-49 Jahre) auf, die Hälfte davon bei 2
Jugendlichen und jungen Erwachsenen Annahme, dass durch die Behandlung (15-24 Jahre). 50% der Ansteckungen bei der Geburt Die Situation in Südafrika ist besonders verhindert werden können); dramatisch. Die Zahl der infizierten ♥ Behandlung von übertragbaren Ge- Schwangeren steigt ständig; im Jahr schlechtskrankheiten mit dem Ziel die 2000 betrug sie im Landesdurchschnitt Rate innerhalb von fünf Jahren um 15% 24,5%. Die Provinz KwaZulu-Natal trifft zu senken (beginnend ab 1. Juli 2001); es am härtesten: Über 36% der wer- ♥ Verdopplung des Kondomgebrauchs denden Mütter waren HIV-positiv. Im innerhalb der nächsten fünf Jahre; gleichen Jahr waren 11,7% der Ge- ♥ eine Abnahme der Anzahl der Sexu- samtbevölkerung Südafrikas infiziert, bis alpartnerInnen um 15% innerhalb der 2005 wir eine Steigerung auf 16%. er- nächsten fünf Jahre. wartet. Für diejenigen, die unbehandelt dem sicheren Tod entgegensehen, ist Die entscheidende Frage ist jedoch: Ist der Zugang zu Behandlung eine Frage eine Reaktion auf die AIDS Epidemie von Leben und Tod. Und deren Zahl wird ohne antiretrovirale Therapie ethisch in den nächsten paar Jahren dramatisch vertretbar? Dies stellen mehr und mehr ansteigen. Zur Zeit sind fast 250.000 gesellschaftliche Gruppen massiv in AIDS PatientInnen so krank, dass sie Frage: Selbst das Big Business ent- sofort behandelt werden müssten. Die scheidet sich immer häufiger dafür, die Zahl der Behandlungsbedürftigen wird ArbeiterInnen mit Medikamenten zu voraussichtlich bis 2010 auf 1,4 Millio- behandeln (z.B. der Minenkonzern nen anwachsen. 3 (Siehe Grafik) Viele Anglo American) und die Provinz Kwa- der hier genannten Daten stammen vom Zulu-Natal erhält vom Global Fund sogenannten „change scenario“ der against AIDS, TB and Malaria Hilfsgel- Actuarial Society of South Africa.4 der (u.a. auch für die medikamentöse Behandlung). Ein entscheidender Faktor für die Bereitschaft, mit antiretroviralen Behandlungsbedürftige AIDS Medikamenten zu behandeln sind Pro- Kranke in Südafrika jekte, die durch AktivistInnen angesto- ßen wurden. Das Pilotprojekt von Ärzte 1.393.926 ohne Grenzen (MSF) in einem armen 1.500.000 Township in Kapstadt, hat gezeigt, dass 1.240.148 antiretrovirale Medikamente auch inner- 1.000.000 899.071 halb einer schwachen Gesundheits- Infrastruktur erfolgreich angewendet 500.000 werden können. Die Verbesserungen 236.228 des Gesundheitszustandes sind ebenso gut wie bei AIDS-Kranken im reichen 2000 2005 2010 2015 Nordentrotz Mangelernährung und elen- den sozialen Verhältnissen. Diese Pro- jekte haben auch gezeigt – falls das je Die Zahl der Behandlungsbedürftigen HIV-Positiven notwendig war – dass arme Menschen wird in Südafrika in den nächsten Jahren drastisch mit geringem Bildungsgrad sich tat- ansteigen Quelle: ASSA sächlich an Einnahmeschemata halten Die wichtigsten Eckpunkte dieses Sze- können. Die Treatment Action Cam- narios sind: paign fordert deshalb auch zu Recht einen nationalen Behandlungsplan. ♥ keine antiretrovirale Therapie; ♥ Bekämpfung der Mutter-Kind- Zugang zu Arzneimitteln Übertragung (beginnend mit 40% ab 1. Juli 2001 bis zu 90% aller infizierten Die WHO hat in ihrer Abteilung essen- Mütter innerhalb von fünf Jahren und der tial drugs and medicines policy (EDM) einen sinnvollen Rahmen für die Versor- 3
gung mit unentbehrlichen Medikamen- bildern aufzubauschen. Das Ziel ist, ein ten entwickelt. Vier miteinander verbun- Gefühl von Unsicherheit unter Politike- dene Komponenten sind Voraussetzung rInnen und Exekutive (und der Öffent- für den Zugang zu Arzneimitteln: lichkeit) zu erzeugen – Beispiele sind ♥ rationale Auswahl von Medikamen- die Drohung, nicht mehr in einem Land ten, zu investieren, ausladende Berichte über gefälschte Arzneimittel und ein ♥ bezahlbare Preise, allgemeiner Fokus auf die Schwäche ♥ eine gesicherte Finanzierung und von Regierungen (Diebstähle in öffentli- ♥ effiziente Gesundheitssysteme chen Einrichtungen, fehlenden Kontroll- (health care delivery systems). kapazitäten oder eine unzureichende Gesundheitsinfrastruktur). Das Ziel ist, Bevor wir den oft negativen Einfluss der die politischen Entscheidungen der Pharmaindustrie in diesem Zusammen- Regierungen zu diskreditieren. Begreift hang beleuchten, sollte man die Ent- man den Zusammenhang zwischen den wicklung der südafrikanischen Regie- vier entscheidenden Faktoren für den rungspolitik nachvollziehen. Die Grund- Zugang zu unentbehrlichen Arzneimit- lage für den Zugang zu unentbehrlichen teln, anstatt es zuzulassen, dass sich Arzneimitteln in Südafrika ist die Na- die Debatte auf nur einen Punkt kon- tional Drug Policy von 1996. 5 Das vor- zentriert (gewöhnlich Mängel im Sys- rangige Ziel dieser Politik war die Si- tem), dann kann man viele von diesen cherstellung eines allgemeinen Zugangs unehrlichen und zeitfressenden Diskus- zu diesen Medikamenten zu Preisen, sionen sparen. Wie verführerisch es die für den Einzelnen ebenso akzepta- auch sein mag, sich auf eine eindimen- bel sind wie für das Gesundheitssystem sionale Vorgehensweise zu beschrän- als Ganzes. Viele Teile dieser Politik ken – Tatsache bleibt, dass alle vier bedurften flankierender Gesetze. Der Aspekte gleichzeitig und jetzt angegan- erste Schritt dazu war der Medicines gen werden müssen, um den Zugang zu Amendment Act von 1997. Schon im lebensrettenden unentbehrlichen AIDS- folgenden Jahr blockierten die Pharma- Medikamenten zu erreichen. ceutical Manufacturers’ Association und weitere Konzerne die Umsetzung des Die Reaktion der südafrikanischen Re- Gesetzes durch eine Klage vor dem gierung auf den Prozess der Firmen, mit obersten Gerichtshof. Dies Verhalten unerklärlich späten Stellungnahmen der der Medikamentenhersteller wurde pu- zuständigen Ministerien, war fast ge- blik und wurde weltweit scharf verurteilt. nauso ernüchternd wie politische Rich- Das Ende dieser Aktion – der Klage- tungsänderungen und neue Gesetze. rückzug der Industrie und ihres Verban- Konfusion um die Bedeutung von AIDS des war jedoch noch nicht das Ende der vernebelte die Situation und machte Geschichte. Es gibt subtilere Arten des handlungsunfähig. Die Regierung ver- Industrie-Einflusses. säumte auch, einige vorhandene In- strumente zur Verbesserung des Zu- Seit 1997 löste Lobbyarbeit durch die gangs zu Medikamenten – wie Zwangs- Industrieverbände (wie PhRMA und lizenzen, Verzicht auf Registrierungs- IFPMA) massiven Druck von Regierun- prozeduren für dringend notwendige gen (der USA, der EU und anderer) auf AIDS-Mittel und die Streichung der Südafrika aus. Nach wie vor wird so die Steuer auf Medikamente –einzusetzen. politische Willensbildung in der Weltge- Zum Glück gibt es jetzt Anzeichen für sundheitsorganisation (WHO) und der eine Veränderung der Regierungspolitik, Welthandelsorganisation (WTO) beein- wie der Vorschlag eine Bolar-Regelung6 flusst. einzuführen und die Ankündigung, 2003 Es gibt eine wachsende Tendenz, Prob- das Patentgesetz zu ändern, um die leme in den Mittelpunkt zu stellen, die Erteilung von Zwangslizenzen durch die zwar real existieren, aber sie zu Horror- Verwaltung zu ermöglichen. 4
Machtbalance verschiebt sich Wettbewerbskommission, damit sie gegen die überhöhten Preise von zwei Erstes Zeichen für eine Verschiebung Pharmamultis aktiv wird. 11 Die internati- Machtgefüges war der Rückzug der onalen Beispiele für positive Einmi- Klage des Pharmaindustrieverbands vor schung können gar nicht alle aufgezählt dem obersten Gerichtshof im April 2001. werden, dazu gehören Aktionen bei der Es gibt weitere Indizien: Der WHO-WTO WHO und WTO und Kampagnen von Workshop zu Differential Pricing and kritischen Gruppen wie HAI, BUKO, Financing of Essential Drugs in Høsbjør ActUP, CPT, MSF, Wemos und vielen (Norwegen) im April 2001, der das Kon- anderen. zept unterschiedlicher Preise für arme und reiche Länder (differential/ equity Schluss pricing) guthieß. Die Erklärung der WTO von Doha zum TRIPS-Abkommen und Zur Zeit stehen wir an einer Wegscheide öffentlicher Gesundheit vom 14 Novem- und ein strategisches Fenster ist offen: ber 2001 enthält den bedeutsamen In Südafrika ist das Thema AIDS Tages- Satz, dass das Abkommen „Mitglieder gespräch, es gibt ein gutorganisiertes nicht davon abhält und abhalten soll, AktivistInnennetzwerk, die Presse ist Maßnahmen zum Schutz der öffentli- interessiert, die Gerichte sind der AIDS- chen Gesundheit zu ergreifen.“7 Problematik gegenüber sowohl aufge- schlossen als auch unabhängig und die Die Gründung des Global Fund against GesundheitsexpertInnen mischen sich AIDS, TB and Malaria8 birgt die Chance, immer mehr ein. International müssen eine langfristige Finanzierung einer Ant- die Anstrengungen, Finanzierung für die wort auf die AIDS Epidemie zu sichern. Lösung des AIDS-Problems zu finden, Ebenso wichtig war der Bericht der weitergehen. Die beginnende Verände- Commission on Macroeconomics and rung in der globalen Politik muss stabi- Health „Investing in Health for Economic lisiert werden. Nur so ist es möglich, Development”, den Jeffrey D. Sachs für dem Druck der Industrie zu widerste- die WHO geschrieben hat.9 Für die hen. Dazu bedarf es guter Politik, guter rationale Auswahl von Arzneimitteln war Gesetze, kompetenter Umsetzung und die Aufnahme von antiretroviralen Medi- auch einer guten Außenpolitik, die sich kamenten in die 12. Liste unentbehrli- in den internationalen Gremien ein- cher Arzneimittel10 der Weltgesund- mischt. Eine unabhängige und verlässli- heitsorganisation ein entscheidender che Informationen über die Probleme Schritt. und mögliche Lösungen ist dringend In diesem Tauziehen um die richtige nötig. Wenn diese vier ineinandergrei- Politik blieben die AktivistInnen nicht fenden Teile des Puzzles mit Namen untätig, im Gegenteil, sie spielten eine „Zugang zu unentbehrlichen Medika- entscheidende Rolle in der Formulierung menten“ gleichermaßen angegangen einer Gegenmeinung – sie produzierten werden, sind Fortschritte möglich, sogar den „Gegenzug“ gegen die Bemühungen in Afrika südlich der Sahara. der Industrie und der mit ihnen verbun- Andy Gray arbeitet als Senior Lecturer denen Regierungen. Das beste Beispiel am Department of Pharmacology, Nel- bei uns ist die Treatment Action Cam- son R Mandela School of Medicine, paign (TAC), die sich bei der Klage der University of Natal, Durban, Südafrika Pharmaindustrie gegen Südafrika an die Seite der Regierung stellte (als amicus curiae). Mit einer Klage vor dem Verfas- 2 www.unaids.org/epidemic_update/report_dec01/ index.html sungsgerichtshof erzwang TAC dann 3 Mehr von diesen erschreckenden Zahlen – und den vom Staat die Behandlung von Müttern Berechnungsmodellen und Annahmen, die hinter ih- bei der Geburt zur Verhinderung der nen stehen – finden sich auf der Webseite des Übertragung von AIDS auf die Kinder Health Systems Trust http://www.hst.org.za/indic (MTCT). Jüngst wandte sich TAC an die 5
4 www.assa.org.za/downloads/aids/summarys tats.htm 5 Einzelheiten zu der Politik finden sich unter www.sadap.org.za/ndp 6 Diese Regel erlaubt es der generische Industrie alle notwendigen Schritte zu unternehmen, damit sie bei Ablauf des Patents sofort auf den Markt gehen kann. 7 WT/MIN(01)/DEC/W/2 8 www.globalfundatm.org 9 www3.who.int/whosis/cmh/cmh_report/e/pdf/ cmh_english.zip 10 www.who.int/medicines/organization/par/edl/access- hivdrugs.shtml 11 Siehe auch: Südafrika 2: Klage gegen Pharmam o- nopol, Pharma-Brief 6/2002, S. 7 6
Uganda: Prävention als einzige Lösung Die Ärztin Dr. Catherine Kyobutungi aus Uganda berichtet Was bedeutet AIDS im sie nicht erhältlich sind! Auf nationaler ugandischen Kontext? Ebene wurden verschiedene Initiativen Uganda zählt zu den Län- gestartet, um den Zugang zu ARV Me- dern, die durch die AIDS- dikamenten für die Betroffenen zu Epidemie schwer betroffen verbessern. Eine gemeinsame Initiative sind. 1982 wurde der erste von WHO und UNICEF zum Zugang zu AIDS-Fall diagnostiziert. AIDS-Medikamenten führte von 1998- Heute leben 1,4 Millionen 2000 ein Pilotprojekt durch, um die Menschen mit HIV/AIDS, sozialen, klinischen, pharmaökonomi- das sind 6,7% der Ge- schen und kulturellen Probleme rund samtbevölkerung. Über um die ARV-Therapie abzuklären. Die 800.000 UganderInnen Initiative hatte die erklärte Absicht, den sind seither gestorben und schnelleren Zugang zu ARV- haben über 1,7 Millionen Medikamenten zu ermöglichen. Doch Waisenkinder hinterlassen. erste Berichte zeigen, dass sie nur im Schneckentempo vorwärtskommt. Z.B. Die meisten ugandischen ÄrztInnen wurden innerhalb von 18 Monaten weni- haben keine praktischen Erfahrungen ger als 1.000 PatientInnen behandelt. mit antiretroviralen Medikamenten 75% der PatientInnen waren nach (ARV) aus dem einfachen Grund, weil WHO-Definition im AIDS-Stadium 3 oder 4 und 13% mussten wegen zu hoher Norah war eine 24 jährige Frau, die auf dem Lande auf- Kosten auf weniger wirksame Medika- gewachsen war. Neun Jahre hatte sie die Schule be- mente umgestellt werden. Selbst die sucht und war seit ungefähr zwei Jahren mit einem hö- billigste Kombinationstherapie war teu- heren Armeeoffizier verheiratet, der seine erste Frau bei rer als ein Monatsgehalt für die meisten der Geburt ihres Kindes verloren hatte. Norah fühlte höheren Staatsangestellten. Auch profi- sich seit sechs Monaten unwohl, erst dann wurde bei ihr tierte nur ein kleiner Teil der Bevölke- Tuberkulose diagnostiziert. rung, denn alle fünf Behandlungszentren Die Familie hegte aus mehreren Gründen Zweifel an befinden sich in der Hauptstadt Kampa- dieser „TB-Diagnose“. Sie wussten, dass Norah AIDS la oder seinen Vororten. hatte und so dachten sie, die ÄrztInnen hätten die Sa- che mit der Tuberkulose nur „erfunden“ weil sie Angst Die harte Wirklichkeit hatten, der Patientin die Wahrheit zu sagen. Deshalb Wie die medizinische Praxis meistens nahm Norah ihre TB-Medikamente auch nur sehr unre- aussieht zeigt die Krankheitsgeschichte gelmäßig ein. Norah wurde aus der Stadt zum Haus ih- von Norah (siehe Kasten). rer Eltern auf dem Lande transportiert, damit man die Kosten für den teuren Transport einer Leiche sparte, Diese Fall zeigt verschiedene Dinge auf, denn sterben würde sie, da waren sich die Verwandten mit denen sich die Gesellschaft, Patien- sicher. Sie landete aber in einem Landkrankenhaus, tInnen, ihre Familien und Gesundheits- weil ihr Zustand sich verschlechterte, sie sich aber personal auseinandersetzen müssen. „weigerte“, einfach zu sterben. Nachdem wir sicherge- Einige verdienen es, herausgehoben zu stellt hatten, dass sie ihre TB-Medikamente regelmäßig werden: einnahm, konnte sie nach ein paar Wochen aus dem ♥ Kultur: Die Rolle, die Familien für die Krankenhaus entlassen werden. Sie schloss die TB- Entscheidungen von Individuen bedeu- Behandlung nach acht Monaten ab und wurde für fast tet. zwei Jahre wieder „gesund“. Später starb sie dann an ♥ Asymmetrische Verhältnisse: Frau- Hirnhautentzündung, aber immerhin drei Jahre später en haben kaum „Verhandlungsmacht“, als vorhergesehen. um sichereren Sex haben zu können. 7
♥ Stigmatisierung versus Pragmatis- heitspersonals, Beachtung traditioneller mus: Entscheidungen, die Kosten spa- Praktiken wie Beschneidung). ren sollen, wie z.B. PatientInnen mit ♥ Verringerung von Geschlechtskrank- nach Hause zu nehmen, werden heiten (bessere Erkennung und Behand- manchmal als Stigmatisierung interpre- lung). tiert. ♥ Verringerung der Mutter-Kind- ♥ Die Verzweifelung und Hoffnungslo- Übertragung durch besser Entbindungs- sigkeit die Familien und Individuen aus- praktiken sowohl im formellen als auch halten müssen. im informellen Sektor. ♥ Die unterschiedlichen Wahrnehmun- ♥ Stärkung des Individuums (Erzie- gen von Laien und Gesundheitsperso- hung, Armutsbekämpfung, Schutzge- nal, was AIDS ist. setze usw.) ♥ Die „Behandlungsoptionen“, über die Die Verringerung der gesundheitlichen ugandische ÄrztInnen verfügen: Die und sozioökonomischen Effekte von Bekämpfung von opportunistischen HIV/AIDS für Betroffene, Familien und Infektionen. Gemeinden durch verbesserte Pflege, ♥ Die täglichen Herausforderungen: Unterstützung und Schutz der Bürger- Kleine Wunder heute und morgen eine rechte von Kranken spielte eine wichtige Niederlage (der Tod). Rolle. Prävention die einzige Lösung? Die Möglichkeiten des Landes auf die Epidemie zur reagieren wurden durch Die AIDS -Prävention zählt zu den Er- mehrere Faktoren verbessert: folgsgeschichten in Uganda. Dafür gibt ♥ Soziale Mobilisierung aller Sektoren es eine Reihe von Gründen: der Gesellschaft. ♥ Die sichtbare Bereitschaft und das ♥ Stärkung der Informationsbasis. Engagement der führenden Regie- rungsmitglieder, AIDS zu bekämpfen. ♥ Ein begleitendes Forschungspro- gramm. ♥ Bereits 1986 wurde eine nationalen Körperschaft ins Leben gerufen , die Erfolge später zum Nationalen AIDS-Kontroll- programm des Gesundheitsministeri- Das ugandische Programm kann deutli- ums ausgebaut wurde. Schließlich ein che Erfolge vorweisen: Immer weniger multisektorieller Ansatz durch die U- Teilnehmerinnen des Programms für ganda AIDS commission, die dem Büro werdende Mütter sind HIV-positiv. Men- des Präsidenten zugeordnet ist. schen die sich das erste Mal auf HIV ♥ Das frühe Aufräumen mit dem Vorur- testen lassen, sind immer seltener posi- teil, AIDS wäre nur ein Problem für tiv, wie eine Auswertung des größten „Risikogruppen“ durch eine Kampagne. freiwilligen Beratungs- und Testpro- Weil heterosexuelle Übertragung vor- gramms des AIDS Information Centre herrschend war, war fast jeder dem An- AIC ergab. Weiterhin ergab eine Kohor- steckungsrisiko ausgesetzt. tenstudie im Masaka-Distrikt, dass sich die Rate der Neuansteckungen von Folgende Strategien wurden angewandt, 1990 bis 1998 von 7,6 auf 3,2 pro 1000 um die Verbreitung von HIV zu stoppen: Menschen verringert hatte. ♥ Werbung für Änderungen im Sexual- Auch Verhaltensstudien zeigen positive verhalten (Abstinenz, gegenseitiges Trends: Der Kondomgebrauch und das Vertrauen, sicherer Sex). Alter beim ersten Geschlechtsverkehr ♥ Reduzierung der Übertragung durch nehmen zu, die Zahl der Sexualpartne- Blut (sichere Bluttransfusionen, AIDS- rInnen ab. Fast alle Menschen wissen, Tests auch für des „informelle“ Gesund- wie AIDS übertragen wird und wie man sich davor schützen kann. 8
Die „Ugandische Erfolgsgeschichte“ ansteckenden Krankheiten gehört es, wird unter Wissenschaftlern heiß debat- die Ansteckungsquellen zu begrenzen tiert. Insbesondere, ob die erzielten (1,4 Millionen UganderInnen sind HIV- Erfolge wirklich durch die durchgeführ- positiv). Die einzige Art, die Ansteckung ten Maßnahmen erzielt wurden. Den- auszuschließen ist, die Betroffenen zu noch darf nicht übersehen werden, dass behandeln – die Alternative hieße, ab- die Interventionen auf dem vorhandenen zuwarten, bis sie alle gestorben sind! Wissen über die HIV-Übertragung beruh- Ohne Behandlung würde uns das AIDS- ten. Kausalität ist auch durch die bes- Problem in Uganda noch lange beschäf- ten epidemiologischen Studien nur tigen. schwer zu beweisen. Wenn Strategien Dr. Catherine Kyobutungi hat in Uganda angewandt wurden, die das individuelle drei Jahre als Ärztin in einem 40-Betten Ansteckungsrisiko an AIDS reduzieren, Krankenhaus auf dem Lande gearbei- zu den gezeigten Erfolgen führen, kann tet. Sie ist Master of Public Health, hat das als vernünftige Ursache-Wirkung eine Zusatzausbildung als AIDS Prä- Schlussfolgerung angesehen werden. ventionsberaterin und beriet in Uganda Der Erfolg Ugandas bei der Bekämpfung Menschen, die einen freiwilligen HIV- von AIDS beruht auf einem aggressiven Test machen wollten, vor und nach dem Präventionsprogramm, das zu immer Test. Momentan promoviert sie am Tro- weniger Neuansteckungen und einer peninstitut der Universität Heidelberg. stetig sinkenden Rate an HIV-Positiven führte. Gleichzeitig verbesserte sich das Wissen der Bevölkerung über die Lesen Sie den Krankheit und das Risikoverhalten än- derte sich. Obwohl es keinen Zweifel Pharma-Brief ? daran geben kann, dass Vorbeugung Zehn Ausgaben pro Jahr mit aktuellen Infor- mationen zu den Geschäfte der Pharmaindust- schon immer besser als (keine) Heilung rie und rationaler Arzneimitteltherapie. Wenn gewesen ist, ist ebenso unstrittig, dass Sie die Arbeit der Pharma-Kampagne unter- Prävention nicht die einzige Lösung des stützen wollen, können Sie Fördermitglied werden. Sie erhalten den Pharma-Brief dann HIV/AIDS Problems in Uganda sein ohne weitere Kosten. kann. Ich werde Fördermitglied und erhalte den Pharma-Brief ohne weitere Kosten: Wie bereits hervorgehoben wurde, q Mein Beitrag ......... € pro Monat kommt die Prävention für einen Teil der (im Jahr mindestens 66 €/ ermäßigt 36 €) Menschen zu spät (6,7% sind HIV- Name: ............................................................. positiv). Andere, wie Norah (Fallstudie, Straße: ............................................................ siehe oben) und viele andere Frauen wie sie und ihre verwaiste Tochter, können Ort: ................................................................. Entscheidungen, die sie vor Ansteckung q Ich erteile Ihnen eine Einzugsermächtigung schützen würden, nicht alleine treffen. für mein Konto und spare der Kampagne damit Verwaltungsaufwand Die Mehrheit der UganderInnen kennt Konto: ....................................... BLZ: ihren Ansteckungsstatus immer noch .................. nicht, einfach, weil der Rat, „positiv zu Institut: leben“, nicht genug Anreiz bietet, sich ................................................................... testen zu lassen. Und Menschen, die Datum: ............... Unterschrift: nicht wissen, ob sie AIDS haben, wer- .............................. den sich immer anders verhalten als Menschen, die um ihren Zustand wis- sen. Zu den grundlegenden Prinzipien der erfolgreichen Prävention der meisten 9
Der Bundeskoordination Internationalismus (BUKO) ist ein Netzwerk von über 200 Dritte Welt Grup- pen in Deutschland. 1980 begann der BUKO eine Kampagne gegen unvertretbare Geschäftspraktiken international tätiger Pharmakonzerne. Die Pharma-Kampagne des BUKO setzt sich für einen rationa- len Gebrauch von Arzneimitteln ein. Sie arbeitet mit ÄrztInnen und PharmazeutInnen, Verbraucher- gruppen und StudentInnen zusammen. Die BUKO Pharma-Kampagne hat durch die Mitarbeit im Netz- werk Health Action International (HAI) Kontakt mit Gruppen in über 70 Ländern in aller Welt. BUKO Pharma-Kampagne, August-Bebel-Str. 62, D-33602 Bielefeld, Fax 0521-63789, mail@bukopharma.de Internet www.bukopharma, Bankverbindung: Sparkasse Bielefeld (BLZ 480 501 61) l Konto: 105 601 l Spendenkonto: 105 627 Impressum: copyright: BUKO Pharma-Kampagne, Beilage zum Pharma-Brief 7-8/2002 Redaktion: Jörg Schaaber, Chris- tian Wagner, Christiane Fischer Übersetzung: Jörg Schaaber Fotos: und Layout: Jörg Schaaber Pharma-Kampagne BUKO ISSN 1618-4580
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