München - Münchner Stadtmuseum

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münchen

                       Mittel Punkt Europa
                      Deutsche Filme 2018
                 Woodfall Film Productions
                   Film und Psychoanalyse
                       Architekturfilmtage
                               Konrad Wolf
                               Bavaria Film
                           Eckhart Schmidt
                             Paul Newman
                         Ingemo Engström
                        Hirokazu Kore-eda
2019 | Heft 36

                          Michael Pfleghar
                     Herbert Achternbusch
                        Heddy Honigmann
                               Enno Patalas
Eintrittspreise                                           sierten und mit 1,45 € frankierten DIN A5-Briefum-
4 € (3 € für MFZ-Mitglieder). Ab 120 Minuten Film-        schlages an die Adresse des Filmmuseums. WebCalen-
länge oder mit Gästen: 1 € Aufschlag. Ab 180 Minuten,     dar: tinyurl.com/fmm-cal, Twitter: @filmmuseummuc.
mit Live-Musik oder bei 3D: 2 € Aufschlag. Die Kasse
öffnet jeweils 60 Minuten vor und schließt 30 Minu-       Mitgliedschaft
ten nach Beginn der Vorstellung. Bei allen öffentlichen   Wer sich für die Arbeit des Filmmuseums interessiert,
Veranstaltungen verbleibt ein Kartenkontingent für den    kann Mitglied im Verein der Freunde des Filmmuseums
freien Verkauf an der Abendkasse. Die Vorstellungen       München, dem Münchner Filmzentrum e.V. (MFZ) wer-
beginnen pünktlich ohne Vorprogramm.                      den. Mitgliedsanträge sind an der Kinokasse erhältlich.
                                                          Der Jahresbeitrag beträgt 20 € und berechtigt zum
Kartenreservierung                                        ermäßigten Eintritt ins Filmmuseum sowie zur Teil-
Kartenreservierungen sind bis zu vier Wochen im Vor-      nahme an den Mitgliederversammlungen des MFZ, in
aus möglich und können unter der Telefonnummer            denen die Programmplanungen des Filmmuseums
089/23396450 auf Band gesprochen werden. Vorbe-           diskutiert und Projekte entwickelt werden. Weitere
stellte Karten müssen bis 20 Minuten vor Vorstellungs-    Informationen erhalten Sie unter Tel. 089 / 2713354
beginn an der Kasse abgeholt worden sein, ansonsten       und www.muenchner-filmzentrum.de.
verfällt die Reservierung.
                                                          Rollstuhlfahrer / Hörgeschädigte
Kartenvorverkauf                                          Der Kinosaal und die Behindertentoilette im Unterge-
Karten können bis zu vier Wochen im Voraus gekauft        schoss sind über einen Aufzug barrierefrei zugänglich.
werden. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass un-       Das Kino ist mit einer Induktionsschleife für Hörgeräte-
mittelbar vor Vorstellungsbeginn bei starkem Besu-        besitzer ausgestattet. Der Empfang ist auf den Plätzen
cherandrang kein Kartenvorverkauf erfolgt. Karten         am Anfang und Ende der Sitzreihen am besten.
behalten ihre Gültigkeit nur bis Vorstellungsbeginn. An
der Abendkasse können vorverkaufte Karten bis 20 Mi-      Mobiltelefone
nuten vor Vorstellungsbeginn gegen Kostenerstattung       Die Benutzung von Mobiltelefonen während der Veran-
wieder zurückgegeben werden.                              staltungen ist nicht gestattet. Dies schließt auch das
                                                          Lesen von E-Mails etc. ein.
Programmabonnement
Das Kinoprogrammheft und unseren Newsletter kön-          Verkehrsanbindung
nen Sie unter www.muenchner-stadtmuseum.de/film           Sie erreichen das Filmmuseum in 5 Gehminuten vom
kostenlos abonnieren. Das Programmheft wird an            U/S-Bahnhof Marienplatz oder in 7 Gehminuten vom
Mitglieder des MFZ auf Wunsch kostenlos versandt.         U-Bahnhof und der Trambahnhaltestelle Sendlinger Tor.
Ansonsten bitten wir um die Zusendung eines adres-        Die Buslinien 52 und 62 halten am St.-Jakobs-Platz.

Mitgliederversammlungen des Münchner Filmzentrums e. V. (MFZ)
Die für alle Interessierten öffentlichen Mitgliederversammlungen des Fördervereins des Filmmuseums finden
einmal im Monat montags um 19.00 Uhr im Gotischen Zimmer des Ignaz-Günther-Hauses (St.-Jakobs-Platz 20,
80331 München, 1. Stock) statt. Termine: 11. März 2019, 8. April 2019, 6. Mai 2019, 3. Juni 2019 und
8. Juli 2019. Informationen: kontakt@muenchner-filmzentrum.de.

Open Scene am Donnerstag
Die Termine am Donnerstag sind teilweise für aktuelle Veranstaltungen reserviert. Das Programm wird
etwa acht Tage vorher festgelegt und in den Schaukästen an der Kinokasse, im E-Mail-Newsletter, unter
www.muenchner-stadtmuseum.de/film/open-scene.html, auf Facebook, auf Twitter und durch Ankündigungen in
der Tagespresse bekannt gegeben.

Impressum
Landeshauptstadt München. Filmmuseum im Münchner Stadtmuseum, St.-Jakobs-Platz 1, 80331 München,
089/23320538, E-Mail: filmmuseum@muenchen.de · Redaktion: Stefan Drößler, Claudia Engelhardt, Christoph
Michel, Klaus Volkmer · Gestaltung: KOSCH Werbeagentur, München · Druck: Weber Offset GmbH, München
Woodfall, Bavaria, Achternbusch, Kore-eda, Enno Patalas

Schon seit langem überlegten wir, ein Filmprogramm mit Klassikern des briti-                               2 Rückblick
schen Kinos zu zeigen. Gerade in Zeiten, in denen über den Brexit gestritten
                                                                                              3 Mittel Punkt Europa
wird, gerät der unaufgeregte und genaue Blick auf das Alltagsleben, Rebellen-
tum und die britischen Eigenarten etwas aus den Augen. Die Fokussierung auf                  8 Deutsche Filme 2018
die Klassiker der Woodfall Film Productions ermöglicht nun die (Wieder-)Be-
gegnung mit legendären Filmen, die in neu restaurierten Fassungen vorliegen         13 Woodfall Film Productions
und aus heutiger Sicht auch deshalb interessant sind, weil sie für viele Schau-
spielerinnen und Schauspieler das Sprungbrett zu großen Karrieren bildeten.            18 Film und Psychoanalyse
    Weiterverfolgt wird die Geschichte einer anderen Produktionsfirma, die –
anders als Woodfall – immer noch sehr aktiv ist: Die Bavaria Film GmbH. Nach-                20 Architekturfilmtage
dem wir die Vorläufer-Firma Emelka, aus der sie hervorgegangen ist, zum
Jahresanfang 2019 ausführlicher gewürdigt haben, konzentrieren wir uns nun                             24 Konrad Wolf
auf die Phase zwischen Ende der 1960er und Mitte der 1980er Jahre, als bei
                                                                                                      32 Bavaria Film
der Bavaria – durchaus in Zusammenarbeit mit dem öffentlich-rechtlichen
Fernsehsender WDR – innovative Autorenfilme entstanden sind, die den Neuen                       35 Eckhart Schmidt
Deutschen Film geprägt haben. Fünf Filme von Franz Peter Wirth, Reinhard
Hauff, Volker Vogeler, Rainer Werner Fassbinder und Tankred Dorst zeigen Aus-                        36 Paul Newman
einandersetzungen mit deutscher Heimat und deutscher Geschichte, die sich
deutlich abheben vom Klischee des konventionellen Heimatfilms. Nachdem                         47 Ingemo Engström
das Filmprogramm zum 80. Geburtstag von Herbert Achternbusch viel Anklang
gefunden hat, setzen wir auch diese Reihe fort mit weiteren Werken, die nur                   53 Hirokazu Kore-eda
selten zu sehen sind und im Filmmuseum archiviert wurden.
     Einer der schönsten Filme des letzten Jahres war SHOPLIFTERS von Hiro-                     60 Michael Pfleghar
kazu Kore-eda, der mit der Goldenen Palme in Cannes ausgezeichnet wurde.
                                                                                          64 Herbert Achternbusch
Bereits 2004 hat das Filmmuseum diesem Filmemacher eine Retrospektive
gewidmet und vor allem die Dokumentarfilme aus seiner Anfangszeit präsen-
                                                                                               67 Heddy Honigmann
tiert. Damals hatte er erst vier Spielfilme gedreht, die schon sein außerordent-
liches Talent erkennen ließen. Inzwischen sind viele großartige Filme hinzuge-                     69 Zuschauerkino
kommen, die auf Festivals stets zu den Höhepunkten zählten, aber oft nicht
den Weg ins deutsche Kino fanden. Grund genug für uns, nun einmal alle                         70 Aufbruch ins Jetzt
Spielfilme von Kore-eda zusammenzubringen und zudem seinen außerhalb
Japans noch kaum gezeigten Film über das Gedenken an den Atombomben-                                  71 Enno Patalas
abwurf auf Hiroshima aufzuführen.
    Unser Juli-Programm widmen wir ganz dem Wirken von Enno Patalas, der                      83 Kalenderübersicht
das Filmmuseum von 1973 bis 1994 geleitet hat und am 7. August 2018
verstorben ist. Gezeigt werden Beispiele von Restaurierungen, an denen er
viele Jahre lang gearbeitet hat, Filme, die ihm besonders wichtig waren und
über die er geschrieben hat, Filmkopien aus der Sammlung des Filmmuseums,
die er erworben hat und auf die er besonders stolz war, und neben Werken, in
denen er als Darsteller mitwirkte, vor allem seine wunderbaren Essayfilme, die     R = Regie · B = Drehbuch · K = Ka-
                                                                                   mera · M = Musik · S = Schnitt · T =
meist in Zusammenarbeit mit seiner Frau Frieda Grafe entstanden sind. Wir          Ton · D = Darsteller · P = Produktion
sind froh, dass die unnachahmliche Art von Patalas, über Film zu sprechen und      OF = Originalfassung · OmU = Origi-
Geschichten dazu zu erzählen, auf diese Weise erhalten geblieben ist und nun       nalfassung mit Untertiteln · OmeU =
                                                                                   Originalfassung mit englischen Unter-
zumindest auf der Leinwand des Filmmuseums erlebt werden kann.                     titeln · OmfU = Originalfassung mit
   Wir wünschen Ihnen spannende, vergnügliche, aufschlussreiche und                französischen Unter­ titeln · OmÜ =
                                                                                   Originalfassung mit deutscher Über-
nachdenkliche Kinoerlebnisse mit Filmen für ein anspruchsvolles Publikum.          setzung · dtF = deutsche Synchron-
                                                                                   fassung · \ = Live-Musik­begleitung
Ihr Filmmuseum
                                                                                   2 = Einführung · = Zu Gast
Rückblick
Rückblick

  2

            11. September 2018: Pianistin Masako Ohta und Filmwissenschaftlerin    3. Oktober 2018: Thomas Fraps führt mit Hilfe aus dem Publikum in die
            Valentine Robert präsentieren im Filmmuseum ein Programm mit           Zauberkunst ein und stellt im Rahmen der Reihe »Zauberkunst und
            »Lebenden Bildern« in der Frühgeschichte des Kinos.                    Film« das Werk des Filmpioniers Georges Méliès vor.

            25. Oktober 2018: Der Geräuschemacher Max Bauer erläutert auf Ein-     2. November 2018: Werner Herzog überreicht seinen Filmpreis an Lilia-
            ladung des Münchner Filmzentrums und des Figurentheaterfestivals       na Díaz Castillo und Estephania Bonnett Alonso für ihr kreatives Engage-
            seine Arbeit am Beispiel der Live-Vertonung eines Films.               ment, Workshops für junge Filmemacher zu organisieren.

            20. Dezember 2018: Elena Alvarez Lutz und Klaus Volkmer, der zu sei-   10. Januar 2019: Die »Living Sculptures« Gilbert & George und Regis-
            ner Verabschiedung nach 36 Jahren Mitarbeit ins Filmmuseum einge-      seur Philip Haas eröffnen mit ihren Filmen die Reihe »Künstlerkino«, die
            laden hatte und zwei Wunschfilme vorstellte.                           in Zusammenarbeit mit »Kino der Kunst« präsentiert wurde.
Mittel Punkt Europa Filmfest
Was verbirgt sich hinter dem Kürzel »V4« – eine Rakete,      Spiel der Laiendarsteller vor der Kulisse des postrevolu-
eine Vitaminkombination? Keineswegs. Es steht für die        tionären Kiew aus, ins Bild gesetzt von Sebastian Tha-
Visegrád-Staaten Tschechien, Slowakei, Polen und Un-         lers ruhiger, präziser Kamera. Er ist der Sohn von Wolf-
garn. Aus ihnen stammen die Filme des »Mittel Punkt          gang Thaler, dem Stamm-Kameramann des begnadeten

                                                                                                                                                       Mittel Punkt Europa
Europa Festivals«. Im Jahr 1335 trafen sich in der un-       Österreich-Sezierers Ulrich Seidl.
garischen Stadt Visegrád am Donauknie die Könige von             Europa in der Krise: ŠPINA (SCHMUTZIG) spielt
Böhmen, Ungarn und Polen. Dieser Tradition folgend           überwiegend hinter den abschreckend düsteren Mau-
unterzeichneten Polen, Ungarn und die damalige               ern der psychiatrischen Klinik von Bratislava. Hier findet
Tschechoslowakei am 15. Februar 1991 ein Freihan-            sich die 17-jährige Lena nach einem Selbstmordver-
delsabkommen – »V4« war geboren, die sogenannte              such wieder. Die Lebensfreude des jungen Mädchens
Visegrád-Gruppe, die sich nicht nur wirtschaftlich, son-     wurde jäh durch eine Vergewaltigung erstickt. Sie woll-
dern auch politisch untereinander abstimmt.                  te die ungeheuerliche Tat verschweigen, bis sie dem
    Welche Position aber vertreten die Kulturschaffen-       Trauma nicht länger standhielt. Neben diesem Spielfilm                                         3
den dieser vier mittelosteuropäischen Länder? Es             ist die slowakische Regisseurin Tereza Nvotová auch
drängt sich der Eindruck permanenter Überforderung           mit einer reizvoll subjektiven Dokumentation vertreten:
auf, wenn man den Protagonistinnen und Protagonisten         In MEČIAR rekonstruiert die 30-Jährige ihre Kindheit
der dritten Ausgabe des »Mittel Punkt Europa Film-           und Jugend unter dem scheinbar ewigen Regierungs-
fests« bei der Bewältigung ihres Alltags zusieht. Das gilt   chef und Parteivorsitzenden, Juristen und Amateurbo-
auch für das diesjährige Festival-Gastland, den EU-As-       xer Vladimír Mečiar.
piranten Ukraine: In STRIMHOLOV (FALLING) kommt                  Eine baldige Einlieferung ins Sanatorium fast wün-
der hoffnungsvolle Jungkomponist Anton gerade aus            schen möchte man der angespannten, finanziell klam-
der Entzugsklinik. Schon als Junge mit »Du Mozart!«          men berufstätigen Mutter und betrogenen Ehefrau
angesprochen, setzte er sich selbst ständig beim Kom-        Anna in EGY NAP (EIN TAG). Zsófia Szilágyis Etüde
ponieren unter Druck, obwohl er wusste, dass »Musik          eines typisch weiblichen Überforderungsmusters zieht
nicht geschrieben, sondern entdeckt wird«. Gegen das         das Publikum unerbittlich in eine Spirale der Aggression
besessene Weiterschreiben habe ihm nur die »systemi-         hinein. Nicht nur in Budapest, auch in Warschau liegen
sche Vergiftung« durch Alkohol und Drogen geholfen,          die Nerven blank: Paweł Maślonas Episodenfilm ATAK
erklärt er seiner Freundin Katja – nun ist er wieder cle-    PANIKI (PANIKATTACKE) zeigt bei aller haarsträubenden
an. Mit der desillusionierten Maidan-Aktivistin erhofft      Situationskomik die menschenfeindliche Kehrseite der
sich Anton einen Tag vor seiner Einberufung eine bes-        sich amerikanisch-dynamisch gerierenden Hauptstadt.
sere Zukunft – vielleicht in Polen? Noch könnten sie         Ähnlich, nur sehr viel ernster, taten dies bereits die
sich Bustickets besorgen und dem nicht erklärten Krieg       Warschau-Porträts 11 MINUT von Jerzy Skolimowski
in der Ukraine Richtung Westen entfliehen. Marina Ste-       oder OBCE CIAŁO (FREMDKÖRPER) von Krzysztof Za-
panskas Debütfilm zeichnet sich durch das intensive          nussi.
                                                                                                                          ATAK PANIKI (PANIKATTACKE)
Mittel Punkt Europa

                                                                                                                                              LAJKÓ (EIN ROM IM WELTALL)
     4

                          Waren es in den vergangenen Jahren vor allem un-       Dieter Brinkmann in anderem Zusammenhang. Das
                      garische Filme, die im Ausland reüssierten, wie László     Filmexperiment unternimmt genau eine solche quellen-
                      Nemes' SAUL FIA (SON OF SAUL) oder Ildikó Enyedis          gestützte Erkundung: Es zeichnet nach, wie dieses
                      TESTRÖL ÉS LÉLEKRÖL (KÖRPER UND SEELE), konnte             epochale Ereignis in den fünf Ländern wahrgenommen
                      zuletzt das polnische Kino bedeutende internationale       und – je nach herrschender Ideologie – interpretiert
                      Erfolge verzeichnen: 2018 erhielten Małgorzata Szu-        wurde. Ergänzt wird die Vorführung durch eine Diskus-
                      mowska den Silbernen Bären für TWARZ (FRATZE) und          sion mit Historikern und Angehörigen des studenti-
                      Oscar-Preisträger Paweł Pawlikowski unter anderem          schen Projektkurses »Sprung ins Ungewisse – Der
                      den Europäischen Filmpreis sowie den Preis für die         Prager Frühling im Spiegel internationaler Medien«.
                      beste Regie in Cannes für ZIMNA WOJNA (COLD WAR                Sprünge ins reizvoll Unbekannte unserer östlichen
                      – DER BREITENGRAD DER LIEBE). Und Wojciech Smar-           Nachbarschaft sind das Beste, was das »Mittel Punkt
                      zowskis kirchenkritisches Drama KLER lockte mehr als       Europa Filmfest« seinem Publikum verheißen kann –
                      fünf Millionen Zuschauer in die heimischen Kinos. Doch     beginnend mit Balázs Lengyels unorthodoxer Komödie
                      der polnische Kulturminister Piotr Glinski hat noch Grö-   LAJKÓ (EIN ROM IM WELTALL). Darin wird 1957 nach
                      ßeres vor, er möchte die seit 1955 existierenden sechs     dem Vorbild der Sputnik-Hündin Laika, des ersten Le-
                      staatlichen Produktionsfirmen zu einem einzigen Unter-     bewesens im Orbit, ein ahnungsloser Ungar auf sowje-
                      nehmen zusammenführen. Offenbar erhofft sich die           tisches Geheiß in den Weltraum geschossen. So steil,
                      Regierung unter anderem eine stärkere Hinwendung zu        wie Lajkó in die Hemisphäre aufsteigt, so rasant zerfal-
                      massentauglichen Sujets. Im Mai letzten Jahres sagte       len alle ideologischen Konstrukte.     Katrin Hillgruber
                      der 80-jährige Regie-Doyen Jerzy Skolimowski bei der
                      Retrospektive seines Gesamtwerks im Filmmuseum             Lajkó – Cigány az űrben (Ein Rom im Weltraum) |
                      München: »Unter meinen Kollegen gibt es ein gewisses       Ungarn 2018 | R: Balázs Lengyel | B: Balázs Lengyel,
                      Zögern, wie man mit der neuen Situation umgehen soll.      Balázs Lovas | K: György Réder | M: Ádám Balázs | D:
                      Wir spüren von der Regierung aus Druck, die sich soge-     Tamás Keresztes, József Gyabronka, Tibor Pálffy, Nora
                      nannte patriotische Epen über nicht unbedingt helden-      Trokán, Sergej Onopko | 90 min | OmeU | 1957 läuft auf
                      hafte Figuren der polnischen Geschichte wünscht.«          dem Weltraumbahnhof in Baikonur das Sputnikpro-
                          Keinesfalls heldenhafte Figuren stehen im Zentrum      gramm auf Hochtouren. Die Sowjetunion beschließt,
                      des tschechisch-slowakisch-bulgarisch-ungarisch-pol-       dass dem kurz zuvor invadierten Bruderstaat Ungarn
                      nischen Filmexperiments OKUPÁCIA 1968 (OKKUPATI-           die große Ehre zuteil werden soll, einen Kandidaten für
                      ON 1968): In fünf gänzlich subjektiven und ästhetisch      den ersten Kosmonauten der Welt ins Rennen zu schi-
                      eigenwilligen Beiträgen reflektieren Filmemacher die       cken. Der Präsident einer Produktionsgenossenschaft
                      Niederschlagung des Prager Frühlings aus der Pers-         weiß auch schon genau, wer sich dafür bestens eignet:
                      pektive der ehemaligen Okkupantenstaaten. Von »Er-         Lajos Serbán, seines Zeichens »Zigeuner« und bekannt
                      kundungen für die Präzisierung des Gefühls für einen       als Lajkó. Seit seiner Kindheit träumt er davon, ins Welt-
                      Aufstand« sprach 1971 der Dichter und Essayist Rolf        all zu fliegen, und arbeitet an entsprechenden Raketen-
experimenten, die stets fehlschlagen. Politisch korrekt    Nagyi projekt (Granny Project) | Ungarn 2017 | R:
ist in dieser schwarzen Komödie nichts. Lajkó schießt      Bálint Révész | B: Meredith Colchester, Bálint Révész,
versehentlich seine Mutter ins Weltall, und ein schwuler   Ruben Woodin-Dechamps | K: Ruben Woodin-Dechamps
Brežnev erzwingt den Bruderkuss. Kein Gag ist zu           | M: Albert Márkos | Mit: Meredith Colchester, Rosanne
schräg, kein Lacher zu abseitig, um Hass, Nationalis-      Colchester, Bálint Révész, Gudrun Dechamps, Ruben
mus und politische Ideologien ad absurdum zu führen.       Woodin-Dechamps, Lívia Révész | 89 min | OmeU | Drei

                                                                                                                       Mittel Punkt Europa
 Donnerstag, 28. Februar 2019, 19.00 Uhr                  junge Männer machen sich mit ihren Großmüttern auf
                                                           den Weg in die Vergangenheit: die britische Ex-Spionin
Špina (Schmutzig) | Slowakei 2017 | R: Tereza Nvoto-       Zan, die in ihren Jugendtagebüchern von Hitler und
vá | B: Barbora Námerová, Tereza Nvotová | K: Marek        Mussolini schwärmte, die verschmitzte Lívia, eine un-
Dvořák | M: Jonatán Pastirčák | D: Dominika Morávko-       garische Holocaust-Überlebende, und Gudrun, die mit
vá-Zeleníková, Anna Rakovská, Anna Šišková, Róbert         der deutschen Vergangenheit und ihrem eigenen Agie-
Jakab, Lubos Veselý | 87 min | OmeU | Schmutziggrau        ren hadert. In den Lebensgeschichten aller drei Frauen
wie die Mauern der psychiatrischen Klinik in Bratislava,   spielt der Zweite Weltkrieg eine besondere Rolle. Doch
so schmutziggrau sieht es auch in Lena selbst aus, die     GRANNY PROJECT serviert nicht wie andere dokumen-                5
hier nach einem Suizidversuch behandelt wird. Elektro-     tarische Zeitzeugenprojekte die eine historische Wahr-
schocks und Medikamente treiben die Siebzehnjährige        heit. Vielmehr konkurrieren die Erzählungen der Groß-
immer tiefer in die innere Abschottung. Dabei versprach    mütter bisweilen miteinander. Was geschieht, wenn die
ihr das Leben noch kurz zuvor Freiheit und Abenteuer       drei Frauen aufeinandertreffen? Wie beeinflussen ihre
– bis sie von ihrem Nachhilfelehrer vergewaltigt wurde.    Erinnerungen die Gegenwart und so auch die Freund-
Dieses Stigma haftet an ihr, wie Schmutz, der sich nicht   schaft ihrer Enkel? GRANNY PROJECT ist ein dokumen-
abwaschen lässt. Wer ist Opfer, wer ist Täter? Die Gren-   tarisches Roadmovie und ein verspielter Dialog zwi-
zen in Lenas Innerem verwischen, sie bewegt sich auf       schen den Generationen, der angstfrei Tabus begegnet.
einem schmalen Grat zwischen Verzweiflung und Hoff-         Samstag, 2. März 2019, 18.30 Uhr | Zu Gast:
nung. Tereza Nvotovás Spielfilmdebüt schildert nicht       Produzent László Kántor
nur die Facetten eines Missbrauchs, sondern ist zu-
gleich eine erschütternde Kritik am Umgang mit psy-        Strimholov (Falling) | Ukraine 2017 | R+B: Marina
chisch Kranken in der Slowakei.                            Stepanska | K: Sebastian Thaler | M: Mykyta Moiseev |
 Freitag, 1. März 2019, 18.30 Uhr | Zu Gast: Tereza       D: Larysa Rusnak, Christian Boris, Darja Plachtiy, Andriy
Nvotová                                                    Seleckyj, Oleg Mosijčuk | 105 min | OmeU | Der Mitt-
                                                           zwanziger Anton kann endlich die triste, halbverfallene
Atak paniki (Panikattacke) | Polen 2017 | R: Paweł         Entzugsklinik verlassen. In Begleitung seines fürsorg-
Maślona | B: Paweł Maślona, Aleksandra Pisula, Bartło-     lich-strengen Großvaters kehrt er in dessen Haus auf
miej Kotschedoff, Anna Gronowska| K: Cezary Stolecki |     dem Land und schließlich nach Kiew zurück, um seine
M: Radzimir Dębski | D: Artur Żmijewski, Dorota Segda,     Arbeit als Komponist wiederaufzunehmen. Eines Abends
Nicolas Bro, Magdalena Popłaska, Grzegorz Damiecki |       lernt er Katja kennen. Die einst so hoffnungsvolle Mai-
100 min | OmeU | Warschau am Rande des Nervenzu-           dan-Aktivistin sieht für sich in der Ukraine keine Zu-
sammenbruchs: In dem vielbeachteten, tragikomischen        kunft mehr. Kann die erwachende Liebe zu Anton sie
Debütfilm zeigt Paweł Maślona in sieben scheinbar un-      umstimmen? In ihrem Spielfilmdebüt reflektiert Marina
zusammenhängenden Episoden, wie seine Zeitgenos-           Stepanska die Erfahrungen mit der jüngsten politischen
sen durchdrehen. Ob der Computernerd mit seiner allzu      Entwicklung in ihrem Heimatland. Die Regisseurin
hundefreundlichen Mutter am Frühstückstisch sitzen         drehte mit Laiendarstellern, »um auf deren Gesichtern
muss, eine Urlauberin zwischen viel zu dicken Nach-        die Geschichte hervortreten zu lassen«, wie sie in einem
barn im Flugzeug eingequetscht wird oder eine attrak-      Interview sagte. Dadurch erlangt das ruhige, hervorra-
tive Rothaarige keine Mühe scheut, um einem Verehrer       gend gefilmte Drama aus dem postrevolutionären Kiew
gegenüber ihren Beruf geheim zu halten: Maślonas           eine ganz besondere Authentizität.
Protagonisten werden durch die absurden Zumutungen          Samstag, 2. März 2019, 21.00 Uhr | Zu Gast: Marina
des Großstadtalltags an jenen Siedepunkt getrieben, an     Stepanska
dem Panik auszubrechen droht. Das temporeiche Sit-
tengemälde einer Gesellschaft im Ausnahmezustand.          Best of FAMU | Die 1947 gegründete berühmte Prager
 Freitag, 1. März 2019, 21.00 Uhr                         Filmhochschule FAMU (tschechisch: Filmová a televizní
fakulta Akademie múzických umění) präsentiert eine
                      Auswahl ihrer besten Kurzfilme verschiedener Genres
                      aus den letzten zwei Jahren. Vier der jungen Filmschaf-
                      fenden stellen ihre Filme selbst vor: Plody mraků
                      (Früchte der Wolken) | 2017 | R+B+K: Kateřina Kar-
                      hánková | 11 min | ohne Dialog – Praha očima cizinců
Mittel Punkt Europa

                      (Prag, mit den Augen der Fremden gesehen) | 2017
                      | R+B+K: Daria Kashcheeva | 5 min | OmeU – Krvavé
                      pohádky (Blutige Märchen) | 2018 | R+K: Tereza Ko-
                      vandová | B: Lukáš Hrdý,Tereza Kovandová | 8 min |
                      ohne Dialog – Food | 2017 | R+B+K: Michaela Mihalyi
                      | 2 min | ohne Dialog – Prázdniny (Ferien) | 2018 |
                      R+B+K: Filip Blažek | 11 min | ohne Dialog – Kamion
                      (Der Lastwagen) | 2017 | R+B: Michał Blaško, Adam          mona Zmrzlá | 100 min l OmeU | Anfang der 1830er
     6                Mach | K: Adam Mach | D: Peter Havasi | 9 min | OmeU       Jahre kehrt Baron de Caus nach Jahren im Ausland auf
                      – Bo Hai | 2017 | R+B: Dužan Duong | K: Adam Mach          sein Gut in Böhmen zurück. Über alle Maßen ist der
                      | D: Viet Anh Duong, Van Hai Duong, Tomáš Lipský,          geheimnisvolle Edelmann dem Element Wasser ver-
                      Hana Houbová | 25 min | OmeU                               bunden, denn er gleicht nur äußerlich einem Men-
                       Sonntag, 3. März 2019, 18.30 Uhr | Zu Gast:              schen: Er ist in Wahrheit ein »Hastrman«, ein Wasser-
                      Alexandra Hroncová und Filmstudierende der FAMU            geist. Das nasse Element erhält ihn am Leben und
                                                                                 verleiht ihm übermenschliche Kräfte. Als er sich in die
                      Mečiar (The Lust for Power) | Slowakei 2017 | R: Te-       schöne und rebellische Katynka verliebt, offenbart sich
                      reza Nvotová | B: Jozef Krajbich, Tereza Nvotová | K:      ihm ein quälendes Dilemma: Wird er ein Wassergeist
                      Martin Žiaran | M: Jonatán Pastirčák | Mit: Vladimír       bleiben oder kann er die eigenen Grenzen überschrei-
                      Mečiar, Tereza Nvotová, Milan Žitný, Fedor Flašík, Fedor   ten, um ein Mensch zu werden? Leidenschaft, Rebelli-
                      Gál, Petr Pithart | 89 min | OmeU | Mečiar war überall.    on, lebendige Folklore und Naturverehrung, eingebettet
                      Als Kind sei ihr daher nicht klargewesen, dass es sich     in wunderbare Landschaftsbilder vom böhmischen Pa-
                      um einen echten Menschen handelt: So beginnt Tereza        radies – Havelkas Verfilmung des Romans von Miloš
                      Nvotová ihren Dokumentarfilm über die 1990er Jahre         Urban ist romantischer Thriller und geheimnisvoll-ironi-
                      in der Slowakei. Trotz anfänglicher Euphorie geriet das    sche Liebesgeschichte zugleich.
                      Land nach der Wende in eine schwere Krise. Unter der        Mittwoch, 6. März 2019, 18.30 Uhr
                      autokratischen Regierung des Populisten Vladimír
                      Mečiar breiteten sich Korruption und mafiöse Struktu-      Gotowi na wszystko. Exterminator (Exterminator:
                      ren aus. Während die Nachbarländer Polen, Tschechien       Zu allem bereit) | Polen 2018 | R: Michał Rogalski | B:
                      und Ungarn zu den EU-Beitrittsverhandlungen eingela-       Przemysław Jurek, Michał Rogalski, Leszek Bodzak | K:
                      den wurden, blieb die Slowakei wegen zahlreicher Ver-      Kacper Fertacz | M: Jakub Galinski | D: Paweł Doma-
                      stöße gegen Demokratie und Rechtsstaatlichkeit aus-        gała, Krzysztof Czeczot, Piotr Żurawski, Piotr Rogucki,
                      geschlossen. Nvotová rekonstruiert die politische Ent-     Agnieszka Wiedlocha | 117 min | OmeU | Eine Klein-
                      wicklung und verwebt sie mit ihrer eigenen Familienge-     stadt in der polnischen Provinz: Marcyś ist in seinen
                      schichte. Eindringlich zeigt sie, wie leicht und schnell   Dreißigern, aber immer noch nicht recht erwachsen.
                      eine Demokratie auf Abwege geraten kann – ange-            Zum Verdruss seiner Frau begeistert er sich hauptsäch-
                      sichts der europaweiten Erfolge der Populisten gewinnt     lich für Retro-Computerspiele und Heavy-Metal-Musik.
                      der Film an Relevanz über die Grenzen der Slowakei         Dann aber überzeugt ihn die junge Bürgermeisterin, die
                      hinaus.                                                    auf EU Zuschüsse hofft, seine Jugend-Metalband »Ex-
                       Sonntag, 3. März 2019, 21.00 Uhr | Zu Gast: Tereza       terminator« wieder aufleben zu lassen. Doch die drei
                      Nvotová                                                    ehemaligen Bandkollegen sind zerstritten und keines-
                                                                                 wegs »zu allem bereit«, wie es der Filmtitel verheißt: Sie
                      Hastrman | Tschechien 2018 l R: Ondřej Havelka l B:        wollen erst einmal zum Revival überredet werden. Und
                      Ondřej Havelka, Petr Hudský, nach dem Roman von            dann wäre da noch die Bedingung, dass die einge-
                      Miloš Urban | K: Diviš Marek l M: Petr Wajsar l D: Karel   fleischten Hardrocker vor ihrem Comeback zunächst
                      Dobrý, Jiří Lábus, Vladimír Polívka, David Novotný, Si-    die Besucher des regionalen Kartoffelfests mit seichten
Pop-Schlagern unterhalten sollen. Eine schwarze polni-       wiederzugeben. Vor allem dank der Hauptdarstellerin
sche Komödie mit einem Hauch von TRAINSPOTTING               Zsófia Szamosi entfaltet der Debütfilm einen Sog, der
und gehörig bissigem Humor.                                  vielen bekannt vorkommen dürfte.
 Mittwoch, 6. März 2019, 21.00 Uhr                           Freitag, 8. März 2019, 21.00 Uhr

Okupácia 1968 (Okkupation 1968) | Slowakei/Tsche-            Všechno bude (Winterfliegen) | Tschechien 2018 | R:

                                                                                                                       Mittel Punkt Europa
chien/Bulgarien/Ungarn/Polen 2018 | R+B: Linda Dom-          Olmo Omerzu | B: Petr Pýcha | K: Lukáš Milota | M: Ši-
brovszky, Magdalena Szymków, Stephan Komandarev,             mon Holý, Monika Midriaková, Paweł Szamburski | D:
Jevdokia Moskvina, Marie Elisa Scheidt | K: Jakub Ha-        Tomáš Mrvík, Jan František Uher, Eliška Křenková, Len-
lousek, Ákos Nyoszoli, Zuzanna Kernbach, Vesselin            ka Vlasáková, Martin Pechlát | 85 min | OmeU | Im ge-
Hristov | M: Tibor Szemző | 130 (5x26) min | OmU | Fünf      stohlenen Auto begeben sich die minderjährigen Schul-
Kurzfilme aus fünf Ländern, fünf Regisseurinnen und          freunde Mára und Heduš auf eine Reise ohne Ziel quer
Regisseure und ein Ereignis, das sie alle verbindet: die     durch die Republik. Karg und winterlich ist die Land-
gewaltsame Niederschlagung des Prager Frühlings im           schaft, die sie durchfahren, aber groß die Hoffnung der
August 1968. Diese wird zumeist aus der Sicht der            beiden, die so verloren wirken wie übriggebliebene             7
»Opfer« – der Tschechen und Slowaken – erzählt. OK-          Fliegen im Winter. Sehnen sie sich nach Freiheit, su-
KUPATION 1968 nimmt jedoch die »Täter« in den Blick.         chen sie einen Ausweg aus der täglichen Langeweile?
Neben den sowjetischen Soldaten beteiligten sich auch        Jedenfalls fühlt sich das Leben auf freier Strecke ganz
ungarische, polnische, deutsche und bulgarische Ein-         anders an. Mit viel Witz bringt Regisseur Olmo Omerzu
heiten an der Invasion. Fünfzig Jahre nach dem Ein-          frischen Wind in das klassische Coming-of-age-Drama.
marsch reflektieren Filmemacher aus diesen Ländern           Der schelmische Draufgänger Mára und der naive Toll-
deren Besatzerrolle: Wie verhält sich der Einzelne ange-     patsch Heduš geben ein seltsames Paar ab, mit ein-
sichts der großen geschichtlichen Ereignisse? Lässt          nehmendem Charme gespielt von den Newcomern
sich der militärische Eid mit moralischen Grundsätzen        Tomáš Mrvík und Jan František Uher.
und individueller Verantwortung in Einklang bringen?          Samstag, 9. März 2019, 21.00 Uhr | Zu Gast: Tomáš
Die Kurzfilme erzählen ebenso von persönlichen               Mrvík, Jan František Uher
Schicksalen wie von nationalen Perspektiven auf die
Ereignisse von damals.                                       Wieża. Jasny dzień (Tower. A Bright Day) | Polen
 Donnerstag, 7. März 2019, 19.00 Uhr | Anschließend         2017 | R+B: Jagoda Szelc | K: Przemysław Brynkiewicz
Diskussion mit Martin Schulze Wessel, Christiane             | M: Teoniki Rożynek | D: Anna Krotoska, Małgorzata
Brenner und Studierenden                                     Szczerbowska, Anna Zrbrzycki, Dorota Lukasiewicz,
                                                             Rafal Kwietniewsku, Rafal Cieluch | 106 min | OmU |
Egy Nap (Ein Tag) | Ungarn 2018 | R: Zsófia Szilágyi |       Einen sanft irritierenden Psychothriller in strahlendem
B: Réka Mán-Várhegyi, Zsófia Szilágyi | K: Balázs Do-        Sonnenschein präsentiert Jagoda Szelc als ihr Erst-
mokos | M: Máté Balogh | D: Zsófia Szamosi, Leó Füre-        lingswerk. Irgendwo in der sommerlichen Bergland-
di, Ambrus Barcza, Zorka Varga-Blaskó, Márk Gárdos |         schaft der Beskiden erwartet Mula ihre Verwandtschaft,
99 min | OmeU | Anna ist verheiratet, Teilzeitlehrerin für   um die Erstkommunion ihrer Tochter Nina zu feiern.
Italienisch und Vollzeitmutter von drei Kindern. Doch        Unter den Gästen ist auch Mulas Schwester Kaja, das
statt ihr Familienglück genießen zu können, ist die Vier-    schwarze Schaf der Familie. Seit sechs Jahren hat sie
zigjährige im Hamsterrad des Alltags gefangen: Sie           sich nicht mehr blicken lassen, obwohl sie Ninas biolo-
muss den Nachwuchs versorgen und ihn zum Kinder-             gische Mutter ist. Das beunruhigt Mula, da sie befürch-
garten, in die Schule, ins Ballett, zum Fecht- und zum       tet, das Mädchen zu verlieren. Oder führt Kaja etwas
Cellounterricht verfrachten. Dazwischen reibt sie sich       ganz anderes im Schilde? Szelc lässt das Ensemble in
zwischen Arbeit, Haushalt und Geldsorgen auf. Anna           ähnlich klaustrophobisch anmutenden Szenerien zum
bewegt sich ständig im Laufschritt, schimpft, flucht und     Nahkampf antreten wie ihr Regie-Vorbild Roman Po-
hadert. Jedes Hindernis scheint die Familie näher an         lański. Elemente der Science Fiction und der christli-
den Zusammenbruch zu bringen, der sich vor allem             chen Metaphysik verbinden sich zu einem atmosphäri-
wegen der Untreue von Ehemann Szabolcs abzeichnet.           schen Plein-air-Kammerspiel mit überraschendem
Zsófia Szilágyi ist es in diesem so intimen wie realisti-    Ausgang.
schen Drama gelungen, am Ablauf eines Tages das               Sonntag, 10. März 2019, 21.00 Uhr | Zu Gast:
Multitasking im Leben einer Frau und Mutter minutiös         Małgorzata Szczerbowska
Deutsche Filme 2018
                      Wie in den vergangenen Jahren haben wir drei Filmkri-       Bert Rebhandl
                      tiker – in diesem Jahr wieder Margret Köhler aus Mün-
                      chen sowie Bert Rebhandl und Ralf Schenk aus Berlin          1. Transit
                      – gebeten, ihre persönlichen Bestenlisten der deut-             Christian Petzold
                      schen Filme des Jahres 2018 zu erstellen.                    2. Hagazussa – Der Hexenwahn
Deutsche Filme 2018

                           Wie 2017 gab es nur zwei Filme, die drei Nennun-            Lukas Feigelfeld
                      gen erhielten: TRANSIT von Christian Petzold und DER         3. Aggregat
                      HAUPTMANN von Robert Schwentke. Beide gehörten                   Marie Wilke
                      auf Festivals zu den Publikums- und Kritikerfavoriten.       4. SPK Komplex
                      Fünf weitere Filme wurden zwei Mal genannt. Keiner              Gerd Kroske
                      der genannten Filme findet sich in der letztjährigen Hit-    5. Familie Brasch
                      liste der Filmindustrie, die starke Umsatzrückgänge             Annekatrin Hendel
                      verzeichnete und von Titeln wie JIM KNOPF UND LUKAS          6. Seestück
     8                DER LOKOMOTIVFÜHRER (1,8 Millionen verkaufte Ki-                Volker Koepp
                      notickets), DIE KLEINE HEXE (1,5 Millionen), DIESES          7. In My Room
                      BESCHEUERTE HERZ (1,1 Millionen), KLASSENTREF-                  Ulrich Köhler
                      FEN 1.0 (1,1 Millionen), DER VORNAME (1 Million),            8. Kolyma
                      SAUERKRAUTKOMA (1 Million) und 100 DINGE (1 Milli-              Stanislaw Mucha
                      on) angeführt wird.                                          9. Freiheit
                           Die Aufführung im Filmmuseum ist oft die letzte Ge-        Jan Speckenbach
                      legenheit, die ausgewählten Filme (noch einmal) auf         10. Der Hauptmann
                      der großen Kinoleinwand zu sehen. Damit sie auch dem             Robert Schwentke
                      des Deutschen nicht mächtigen Publikum zugänglich
                      sind, laufen die meisten von ihnen mit englischen Un-       Ralf Schenk
                      tertiteln.
                                                                                   1. Transit
                      Margret Köhler                                                  Christian Petzold
                                                                                   2. In My Room
                       1. Das schweigende Klassenzimmer                               Ulrich Köhler
                          Lars Kraume                                              3. Gundermann
                       2. In den Gängen                                                Andreas Dresen
                          Thomas Stuber                                            4. Der Hauptmann
                       3. Der Hauptmann                                               Robert Schwentke
                          Robert Schwentke                                         5. In den Gängen
                       4. 3 Tage in Quiberon                                          Thomas Stuber
                          Emily Atef                                               6. Styx
                       5. Styx                                                        Wolfgang Fischer
                          Wolfgang Fischer                                         7. Seestück
                       6. Transit                                                      Volker Koepp
                          Christian Petzold                                        8. Lomo – The Language of Many Others
                       7. Wackersdorf                                                 Julia Langzoff
                          Oliver Haffner                                           9. Der Prinz und der Dybbuk
                       8. Grüner wird's nicht                                         Elwira Niewiera, Piotr Rosolows
                          Florian Gallenberger                                    10. The Cleaners
                       9. Gundermann                                                  Hans Block, Moritz Riesewieck
                          Andreas Dresen
                      10. Das schönste Mädchen der Welt                           Die Titel in roter Schrift werden im Filmprogramm be-
                          Aaron Lehmann                                           rücksichtigt.
Transit | Deutschland 2018 | R+B: Christian Petzold, nach dem Roman
von Anna Seghers | K: Hans Fromm | M: Stefan Will | D: Franz Rogowski,
Paula Beer, Godehard Giese, Lilien Batman, Maryam Zaree, Barbara
Auer, Matthias Brandt | 102 min | OmeU | Georg, ein von den Deutschen
gejagter Emigrant, entgeht in Paris seiner Verhaftung. Mit den Auswei-
spapieren eines bekannten Schriftstellers, der sich in seinem Hotelzim-
mer umgebracht hat, flieht er nach Marseille. Dort begegnet er der Frau
des Autors, die auf merkwürdige Weise spürt, ihrem Mann nahe zu sein.

                                                                            Deutsche Filme 2018
Wird es ihnen gelingen, das Land in Richtung Amerika zu verlassen?
Christian Petzold verlegt Anna Seghers‘ 1944 erschienenen Roman ins
Frankreich der Gegenwart und schafft so eine zeitlose Literaturadaption
von bedrückender Nähe. Wie schon in früheren Filmen bewegen sich
seine Hauptfiguren traumwandlerisch wie Gespenster durch ihr Leben.
Petzold interessiert die Wurzellosigkeit, der Identitätswechsel, das Ver-
steckspiel angesichts existentieller Bedrohungen. (Ralf Schenk)
 Freitag, 8. März 2019, 18.30 Uhr
 Dienstag, 12. März 2019, 21.00 Uhr                                            9

Der Hauptmann | Deutschland 2017 | R+B: Robert Schwentke | K:
Florian Ballhaus | M: Martin Todsharow | D: Max Hubacher, Milan Pe-
schel, Frederick Lau, Bernd Hölscher, Waldemar Kobus | 119 min |
OmeU | Zwei Wochen vor Ende des Zweiten Weltkrieges schlüpft der
Gefreite und Deserteur Willi Herold in die zufällig gefundene Uniform
eines Hauptmanns der Luftwaffe. Von anderen Soldaten und der Bevöl-
kerung umliegender Dörfer wird er tatsächlich für einen Offizier gehalten
und steigert sich in den Wahn der Macht: Er organisiert standrechtliche
Erschießungen und zieht als »Kampfgruppe Herold« mordend durchs
Land. Im Chaos der letzten Kriegstage feiert er seine ganz eigenen Or-
gien. Frei nach authentischen Ereignissen erzählt Robert Schwentke
eine Köpenickiade der Gewalt und des Entsetzens. Konsequent aus der
Täterperspektive, in überhöhendem Schwarzweiß, mit einer klug kom-
ponierten Tonspur gelang ein radikales Kammerspiel über die mentale
Beschaffenheit deutscher Soldaten in Zeiten des vermeintlich kommen-
den Endsiegs. (Ralf Schenk)
 Samstag, 9. März 2019, 18.30 Uhr
 Mittwoch, 13. März 2019, 21.00 Uhr

Aggregat | Deutschland 2018 | R+B: Marie Wilke | K: Alexander Gheo-
rghiu | 92 min | OmeU | In den 1990er Jahren gab es einmal eine kleine
Kontroverse um ein Kunstwerk von Joseph Beuys, das ein paar Abge-
ordnete für den Bundestag kaufen wollten. »Tisch mit Aggregat« wurde
als »Sperrmüll« verunglimpft, die Ausgaben für den Ankauf als Ver-
schwendung diskreditiert. Heute steht der Tisch vor dem Plenarsaal, und
niemand macht mehr großes Aufhebens darum. Für Marie Wilke ergab
sich aus dem Werk eine Assoziation, die ihr zum Titel für ihren neuen
Film verhalf: AGGREGAT handelt von der Demokratie in Deutschland in
Zeiten, in denen es dem Land sehr gut geht, in denen aber doch viele
Menschen das Gefühl einer Krise haben. Marie Wilke beobachtet Ver-
ständigungsprozesse und macht auf diese Weise Andeutungen über
den Aggregatzustand des Gemeinwesens. (Bert Rebhandl)
 Sonntag, 10. März 2019, 18.30 Uhr
Styx | Deutschland 2018 | R: Wolfgang Fischer | B: Ika Künzel, Wolfgang
                      Fischer | K: Benedict Neuenfels | M: Dirk von Lowtzow | D: Susanne
                      Wolff, Gedion Oduor Wekesa, Alexander Beyer, Kelvin Mutuku Ndinda |
                      94 min | Ein eindringliches Kammerspiel auf hoher See um das Thema
                      Migration und Flüchtlinge. Auf ihrem Segeltörn im Südatlantik entdeckt
                      eine deutsche Ärztin ein mit Menschen überladenes havariertes Fi-
                      scherboot. Hunderte von Afrikanern auf dem Weg ins gelobte Land. Sie
                      setzt einen Funkspruch nach dem anderen an die Küstenwache ab,
Deutsche Filme 2018

                      Frachtschiffe ziehen vorbei, aber Hilfe lässt trotz Versprechungen auf
                      sich warten. Wolfgang Fischer schockiert durch dokumentarische Reali-
                      tät und eine Allegorie auf die Widersprüchlichkeit eines verunsicherten
                      und in der Flüchtlingskrise nach Positionen suchenden Europas. Susan-
                      ne Wolff trägt den Film, der zu 80% ohne Dialoge auskommt, mit unge-
                      heurer Präsenz. Keine strahlende Heldin, sondern Zeugin einer Ka-
                      tastrophe, konfrontiert mit unbequemen Wahrheiten. (Margret Köhler)
                       Freitag, 15. März 2019, 18.30 Uhr
     10                Dienstag, 19. März 2019, 21.00 Uhr

                      Gundermann | Deutschland 2018 | R: Andreas Dresen | B: Laila Stieler
                      | K: Andreas Höfer | M: Jens Quandt | D: Alexander Scheer, Anna Unter-
                      berger, Eva Weißenborn, Benjamin Felix Kramme, Kathrin Angerer, Axel
                      Prahl | 127 min | OmeU | Gerhard Gundermann (1955–1998) war Bag-
                      gerfahrer, kritischer Liedermacher – und Inoffizieller Mitarbeiter der
                      Staatssicherheit. Mit seinen Berichten, die er dem jovialen und trinkfreu-
                      digen Führungsoffizier kredenzt, will er die Arbeitsbedingungen verbes-
                      sern helfen und den Arbeitsschutz erhöhen. Aber er schwärzt auch
                      Freunde und Wegbegleiter an – und hat nach der »Wende« vergessen,
                      was ihm so alles aus der Feder floss. Das Porträt eines schillernden
                      Zeitgenossen, von Andreas Dresen mit bestem Gespür für die Wider-
                      sprüchlichkeiten und Eigenheiten des DDR-Alltags in Szene gesetzt. Al-
                      exander Scheer singt Gundermanns Lieder selbst und nimmt sich auch
                      sonst der Figur mit Haut und Haaren an. Die Aufnahmen aus den Tage-
                      bauen im Lausitzer Braunkohlenrevier überzeugen durch ihre atmo-
                      sphärische Dichte: Arbeit und Arbeiter im deutschen Kino – seit langem
                      nicht mehr so gelungen inszeniert wie hier. (Ralf Schenk)
                       Samstag, 16. März 2019, 18.30 Uhr
                       Mittwoch, 20. März 2019, 21.00 Uhr

                      Das schweigende Klassenzimmer | Deutschland 2018 | R+B: Lars
                      Kraume, nach der Erzählung von Dietrich Garstka | K: Jens Harant, Heinz
                      Wehsling | M: Julian Maas, Christoph M. Kaiser | D: Leonard Scheicher,
                      Tom Gramenz, Lena Klenke, Jonas Dassler, Isaiah Michalsk | 111 min |
                      OmeU | Nach DER STAAT GEGEN FRITZ BAUER gelingt Lars Kraume
                      erneut das Kunststück, Herz und Hirn zusammenzubringen. Basierend
                      auf der gleichnamigen Buchvorlage von Dietrich Garstka, einem von 19
                      Schülern, die während des Ungarn-Aufstandes mit einer Schweigemi-
                      nute für die Opfer den rigiden Staatsapparat zum überdrehten Gegen-
                      schlag provozierten, erzählt er vom Mut junger Menschen in der DDR
                      des Jahres 1956. Da keiner die »Rädelsführer« denunzierte, durfte nie-
                      mand das Abitur ablegen. In seiner wuchtigen Intensität erinnert das
                      Drama manchmal an Peter Weirs DER CLUB DER TOTEN DICHTER und
die unbändige Kraft der Jugend. Psychologisch spannende und emotio-
nal mitreißende Fiktionalisierung der wahren Geschichte von Solidarität
und kleinem Widerstand, Freundschaft und Familie. (Margret Köhler)
 Freitag, 22. März 2019, 18.30 Uhr

In My Room | Deutschland 2018 | R+B: Ulrich Köhler | K: Patrick Orth |
D: Hans Löw, Elena Radonicich, Kathrin Resetarits, Felix Knopp, Michael
Wittenborn, Ruth Bickelhaupt | 120 min | OmeU | Armin lebt allein, alle

                                                                           Deutsche Filme 2018
Optionen auf Partnerschaft sind so gut wie verspielt. Als er am Morgen
nach dem Tod seines Vaters aufwacht, ist um ihn herum plötzlich Ruhe.
Die Menschen sind verschwunden. Nur er ist geblieben in einem Univer-
sum der Dinge. Die Natur, die ihn umgibt, kann eine Bürde sein. Oder ein
Geschenk. Und dann kommt doch noch eine Frau ins Spiel. Ulrich Köh-
lers bildgewaltiger Film entwirft eine Dystopie der Möglichkeiten. Span-
nend, beängstigend und komisch zugleich, fragt IN MY ROOM nach dem
Sinn des Lebens, dem Wert der Freiheit, der Verteidigung von Liebe und
Würde. Kann in einer Welt, in der jeder Mensch sein eigener Planet ist,         11
der Wunsch nach Geborgenheit erfüllt werden? Sind wir noch fähig, uns
einem anderen mit Herz und Sinnen zu öffnen? (Ralf Schenk)
 Samstag, 23. März 2019, 18.30 Uhr
 Mittwoch, 27. März 2019, 21.00 Uhr

Seestück | Deutschland 2018 | R: Volker Koepp | B: Volker Koepp, Bar-
bara Frankenstein | K: Uwe Mann | M: Ulrike Haage | 135 min | Volker
Koepps dokumentarisches Lebenswerk besteht in der Erkundung der
östlichen Landschaften Europas. Zuletzt hat er mit IN SARMATIEN eine
Summe über den Raum zwischen Deutschland und Russland vorgelegt.
Nun vermisst er mit SEESTÜCK noch einmal die Küsten der Ostsee,
auch hier war er früher schon des Öfteren, er kennt die Gegend noch
aus der Zeit des Kalten Kriegs, und nun stellt er fest, dass zwischen
Greifswald und Kurischer Nehrung wieder die Angst vor einem denkba-
ren Krieg wächst. Dieser politischen Stimmung steht in SEESTÜCK aber
vielfach der lange Atem der Naturgeschichte entgegen: Das Meer und
das Klima setzen ihren eigenen Rhythmus. (Bert Rebhandl)
 Sonntag, 24. März 2019, 18.30 Uhr

Hagazussa – Der Hexenwahn | Deutschland 2018 | R+B: Lukas Fei-
gelfeld | K: Mariel Baqueiro | M: MMMD | D: Aleksandra Cwen, Claudia
Martini, Tanja Petrovsky, Haymon Maria Buttinger, Celina Peter | 102
min | OmeU | In einer einsamen Berggegend im späten Mittelalter lebt
eine Frau namens Albrun mit ihrem Kind in einer Hütte. Sie steht im Ruf,
vielleicht eine Hexe zu sein. Die Menschen munkeln, der Vater des Kin-
des könnte der Teufel sein. Sexuelle Spannungen überlagern sich mit
religiösen Vorstellungen und dem Rhythmus der Tage und der Jahres-
zeiten. Lukas Feigelfeld beeindruckt mit einer atmosphärisch dichten
Schauergeschichte in toller Landschaft. HAGAZUSSA (der Titel ist ein
altes Wort für »Hexen«) ist ein herausragendes Beispiel für einen neuen,
jungen deutschen Genrefilm. Eigens erwähnenswert ist der Soundtrack
der griechischen Avantgarde-Formation MMMD: HAGAZUSSA geht
durch Mark und Bein. (Bert Rebhandl)
 Dienstag, 26. März 2019, 21.00 Uhr
3 Tage in Quiberon | Deutschland 2018 | R+B: Emily Atef | K: Thomas
                      Kiennast | M: Christoph M. Kaiser, Julian Maas | D: Marie Bäumer, Birgit
                      Minichmayr, Robert Gwisdek, Charly Hübner, Denis Lavant, Christopher
                      Buchholz | 115 min | Inspiration für Emily Atefs in elegantem schwarz-
                      weiß komponiertes Vier-Personen-Kammerspiel war ein legendäres Ex-
                      klusiv-Interview, das Weltstar Romy Schneider im März 1981 dem
                      »Stern«-Reporter Michael Jürgs und dem Fotografen Robert Lebeck
                      gab. Die in der Bretagne auf Alkoholentzug und Diät gesetzte und von
Deutsche Filme 2018

                      ihrer Freundin begleitete Schauspielerin tanzt drei Tage und Nächte auf
                      einer emotionalen Rasierklinge, sie öffnet sich vertrauensvoll, zieht kei-
                      ne Grenzen, lässt sich manipulieren. Marie Bäumer spielt diese in sich
                      Zerrissene mit großer Zärtlichkeit und Leichtigkeit, gleichzeitig mit
                      Schwermut, Schutzlosigkeit und Schmerz. Ein berührendes Stimmungs-
                      bild der Gefühle, die Momentaufnahme eines in der Seele beschädigten
                      Menschen, der nach Leben und Liebe hungert. (Margret Köhler)
                       Freitag, 29. März 2019, 18.30 Uhr
     12                Dienstag, 2. April 2019, 21.00 Uhr

                      In den Gängen | Deutschland 2018 | R: Thomas Stuber | B: Clemens
                      Meyer, Thomas Stuber, nach der Kurzgeschichte von Clemens Meyer |
                      D: Franz Rogowski, Sandra Hüller, Peter Kurth, Andreas Leupold, Micha-
                      el Specht, Ramona Kunze-Libnow | 125 min | OmeU | Liebe kann über-
                      all passieren, auch in der nüchternen Atmosphäre eines Großmarkts in
                      Sachsen, wo sich zwei verlorene Seelen unter flackernden Neonleuch-
                      ten und zwischen hohen Regalen finden. Thomas Stubers nie larmoyan-
                      te, sondern zwischen verhaltenem Humor und leiser Melancholie lavie-
                      rende Adaption von Clemens Meyers Kurzgeschichte aus dem 2008
                      erschienenen Erzählband »Die Nacht, die Lichter« ist die zärtliche Be-
                      trachtung dreier Menschen im Strudel des Alltags und ihrer Sehnsucht
                      nach einem anderen Leben. Jeder trägt sein Päckchen aus der Vergan-
                      genheit. Aus ihrer Existenz herauskatapultierte Wendeverlierer, die sich
                      neu orientieren müssen. Exzellente Darsteller wie Franz Rogowski und
                      Sandra Hüller sowie Peter Kurth als tragische Vaterfigur, pointierte Dia-
                      loge und eine erfrischende Portion Poesie verzaubern. (Margret Köhler)
                       Samstag, 30. März 2019, 18.30 Uhr
                       Mittwoch, 3. April 2019, 21.00 Uhr

                      SPK Komplex | Deutschland 2018 | R+B: Gerd Kroske | K: Susanne
                      Schüle, Anne Misselwitz | M: Sounding Situations | 116 min | OmeU |
                      Das »Sozialistische Patientenkollektiv« wurde 1970 in Heidelberg ge-
                      gründet. Der Arzt Wolfgang Huber zog damit eine Konsequenz aus
                      1968: Damals wurde alles politisch, also auch die (psychische) Gesund-
                      heit. Inspiriert durch italienische Vorbilder, suchten die Mitglieder des
                      SPKs nach Behandlungsmethoden zwischen Therapie und Gesell-
                      schaftsveränderung. Querverbindungen zur außerparlamentarischen
                      Opposition und schließlich zum Linksterrorismus lagen nahe. Gerd Kro-
                      ske rekonstruiert mit Interviews und mit dem spärlichen Archivmaterial
                      von damals ein bedeutendes Kapitel aus der Geschichte der revolutio-
                      nären deutschen Linken nach 1968, und öffnet Reflexionshorizonte bis
                      in die Gegenwart. (Bert Rebhandl)
                       Sonntag, 31. März 2019, 18.30 Uhr
Look Back on Woodfall

                                                                                                                                                      Woodfall Film Productions
Dreharbeiten zu A TASTE OF HONEY

                                                                                                                                                        13

                                   Hätte es Woodfall Film Productions nicht gegeben, so      stieg in die Mittelschicht und das Aufbegehren der Ju-
                                   hätte man diese unabhängige Produktionsfirma erfin-       gend gegen Autoritäten. Diese Lebenswirklichkeiten
                                   den müssen. Denn ohne sie wäre in England eine gan-       boten keinen erfolgversprechenden Unterhaltungsstoff
                                   zen Schicht, die Arbeiterklasse, und eine ganze Region,   für angenehme Kinoabende, und dennoch zählen Filme
                                   der industrialisierte Norden, nicht in das allgemeine     wie SATURDAY NIGHT AND SUNDAY MORNING (1960)
                                   Bewusstsein gerückt worden. Die Ende der 1950er           von Karel Reisz, THE LONELINESS OF THE LONG DIS-
                                   Jahre bis in die 1960er Jahre hinein entstandenen Fil-    TANCE RUNNER (1962) von Tony Richardson und KES
                                   me der Woodfall Film Productions blicken auf die          (1969) von Ken Loach heute zu den großen Klassikern
                                   Schattenseite Englands. Zugegebenermaßen muss             des britischen Kinos.
                                   man sich etwas mehr bemühen als sonst und auf Um-             Die Gründer von Woodfall Film Productions waren
                                   gangssprache, Dialekte und anderen Wortbedeutungen        1958 der Londoner Bühnenautor John Osborne, der in
                                   einlassen (z.B. sagt man dort zum »dinner« »tea«),        Yorkshire geborene Regisseur Tony Richardson sowie
                                   wenn man Protagonisten folgen will, die bis auf wenige    der Kanadier Harry Saltzman, der die Firma jedoch
                                   Ausnahmen Laiendarsteller aus der Region waren.           nach drei gemeinsamen Produktionen verließ und ab
                                   Auch muss man bereit sein, sich mit Themen auseinan-      1962 James-Bond-Filme produzierte. Osborne wollte
                                   derzusetzen, die im England der Nachkriegszeit von        sein Bühnenstück »Look Back in Anger« mit der Haupt-
                                   Tabus geprägt waren: Teenagerschwangerschaften,           figur Jimmy Porter als zornigem jungen Mann, der in
                                   Abtreibung, Homosexualität, ein äußerst rüder Umgang      desolaten Verhältnissen nicht nur verbal um sich
                                   zwischen Männern und Frauen (häusliche Gewalt inklu-      schlägt, für die Leinwand adaptieren. Der schon be-
                                   sive), der unvermeidliche Alkoholkonsum, harte und        kannte Schauspieler Richard Burton spielte darin die
                                   stupide Arbeit in den Fabriken und Bergwerken, Armut      Hauptrolle, auch die restliche Besetzung bestand nicht
                                   und beengtes Wohnen, die Sehnsucht nach dem Auf-          aus Laien. Dem Film merkt man die Herkunft von der
Bühne zwar noch an – er ist wortlastig, von Burton noch   waren. Der erste Spielfilm von Reisz, der von Woodfall
                                                                in leichter Theatermanier gesprochen und spielt zu gro-   produzierte Film SATURDAY NIGHT AND SUNDAY MOR-
                                                                ßen Teilen in sehr überschaubaren Räumen –, aber          NING (1960) steht in dieser dokumentarischen Tradition
                                                                dem Film wohnt eine enorme Kraft inne, die lange          und entstand ausschließlich an Originalschauplätzen.
                                                                nachwirkt. LOOK BACK IN ANGER markierte den Beginn        Auch der Kameramann Walter Lassally kam vom Free
                                                                des Genres kitchen sink drama, benannt nach dem           Cinema. Er war experimentierfreudig, besaß ein gutes
                                                                Spülstein in der Küche, die meist den Lebensmittel-       Gespür für die Lichtstimmungen, konnte flexibel mit
                                                                punkt und wichtigsten Ort der Wohnung darstellt. Os-      improvisierenden Darstellerinnen und Darstellern arbei-
                                                                borne und andere junge Dramatiker, die der Arbeiter-      ten und drehte am liebsten im Freien. Er fotografierte
                                                                klasse entstammten und die zur selben Zeit soziale        für Woodfall A TASTE OF HONEY (1961), THE LONE-
Woodfall Film Productions

                                                                Entfremdung und Klassenkonflikte thematisierten, wur-     LINESS OF THE LONG DISTANCE RUNNER (1962) und
                                                                den die angry young men genannt.                          TOM JONES (1963).
                                                                     Neben dem Theater floss eine weitere Entwicklung         Eine der wenigen Frauen, die sich im Umfeld der
                                                                in die Produktionen der Woodfall Film Productions ein:    angry young men behaupten konnte, war die aus Sal-
                                                                Der Versuch im britischen Dokumentarfilm, mit mobilen     ford stammende Dramatikerin Shelagh Delaney. Sie
                                                                Kameras und Direktton Alltagsrealität, insbesondere die   schrieb bereits mit 19 Jahren ihr Theaterstück »A Taste
                                                                der Working-Class-Jugend, ganz unvermittelt und un-       of Honey«, das 1961 von Tony Richardson verfilmt wur-
                                                                geschönt abzubilden. Free Cinema nannte sich die Be-      de. Nach zwei Studioproduktionen wollte Richardson
                                                                wegung, nachdem dieser Name zunächst nur als Titel        zurück zu seinen filmischen Wurzeln und endlich ganz
                                                                von sechs Programmen mit überwiegend kurzen Doku-         on location drehen. Für die Hauptrolle der Jo, eines ein-
 14                                                             mentarfilmen gedient hatte, die zwischen 1956 und         fachen Mädchens aus der Gegend um Salford bei Man-
                                                                1958 im National Film Theatre in London gezeigt wur-      chester, suchte er keine Schauspielerin, sondern ein
                                                                den. Initiatoren waren damals Tony Richardson und der     unbekanntes Gesicht und fand angeblich unter 2.000
                                                                Tscheche Karel Reisz, die mit eigenen Filmen vertreten    Bewerberinnen die junge Rita Tushingham. Sie debü-
                            SATURDAY NIGHT AND SUNDAY MORNING
tierte in A TASTE OF HONEY und trug entscheidend zum      schen, der an seiner rauen und gewaltvollen Umgebung
Erfolg des Films bei: Vor allem ihre ausdrucksstarken     zu zerbrechen droht. Der bekennende Trotzkist Loach
»funny eyes« machen sie auf der Leinwand unverwech-       entwickelte mit KES die sozialkritischen Anfänge der
selbar. Rita Tushingham steht für viele andere, heute     Woodfall-Produktionen konsequent weiter und wurde
bekannte Darstellerinnen und Darsteller, die in Filmen    zu einem der bedeutendsten Vertreter des politisch en-
der Woodfall Film Productions ihren ersten Auftritt ab-   gagierten europäischen Autorenkinos der Gegenwart.
solvierten. Tom Courtenay spielte den jugendlichen        Mit KES endet 1969 die Zeit der sozialkritischen Filme
Straftäter Colin in THE LONELINESS OF THE LONG DIS-       der Woodfall Film Productions, die ab 1970 ausschließ-
TANCE RUNNER, Alan Bates war in Richardsons THE           lich Filme von Tony Richardson produzierte, der sich
ENTERTAINER (1960) zu sehen, Jacqueline Bisset,           nach dem mit vier Oscars ausgezeichneten TOM JO-

                                                                                                                       Woodfall Film Productions
Jane Birkin und Charlotte Rampling hatten kleine Ne-      NES zunehmend dem Unterhaltungskino zuwandte.
benrollen in THE KNACK ... AND HOW TO GET IT (1965)       Seine letzte Arbeit war die hochkarätig besetzte
von Richard Lester, Michael York trat in dem Episoden-    John-Irving-Verfilmung THE HOTEL NEW HAMPSHIRE
film RED, WHITE AND ZERO (1967) auf. Für sie alle         (1984).
waren die Woodfall-Filme ein Sprungbrett für ihre wei-                                        Claudia Engelhardt
tere Karriere.
     Tony Richardsons satirischer Historienfilm TOM JO-   Look Back in Anger (Blick zurück im Zorn) | GB
NES (1963) und Richard Lesters verspieltes Pop-Mär-       1959 | R: Tony Richardson | B: Nigel Kneale, nach dem
chen THE KNACK … AND HOW TO GET IT erweiterten            Stück von John Osborne | K: Oswald Morris | M: Chris
das Spektrum der Woodfall-Filme um eine komödianti-       Barber | D: Richard Burton, Mary Ure, Claire Bloom,
sche Note, die über den Kitchen-Sink-Realismus der                                                                       15
                                                          Edith Evans, Gary Raymond | 98 min | OF | Richard
bisherigen Filme hinausging: Die Protagonisten ver-       Burton verkörpert den als Akademiker aus der Arbeiter-
zweifeln hier nicht mehr an den widrigen Lebensbedin-     klasse gescheiterten Jimmy Porter, der in einer Jazz-
gungen ihrer Umwelt, im Mittelpunkt steht nicht mehr      band Trompete spielt und mit seinem Freund Cliff auf
»die Welt der Erwachsenen, der Angehörigen der bür-       dem Markt einen Süßigkeitenstand betreibt. Er verwei-
gerlichen Klasse, um die sich alles dreht und gegen die   gert sich den Konventionen der Mittelklasse, die seine
gezürnt und protestiert wurde« (Dietrich Kuhlbrodt). Es   Frau Alison jedoch einfordert. Ihre quälenden Auseinan-
geht nun um Jugendliche, die ihr Anderssein ausleben      dersetzungen, die häusliche Gewalt und die sporadi-
und der Gesellschaft ihren Stempel aufdrücken. Neue       schen Ausbruchsversuche aus gegenseitiger Abhän-
popartige Elemente werden eingeführt und brechen die      gigkeit enden jeweils in zynischer Resignation. Der Film
Filmwirklichkeit auf: So unterbricht Tom Jones sein ei-   erweitert den klaustrophobischen Schauplatz des Büh-
genes Handeln und spricht direkt in die Kamera,           nenstücks, die enge Mansardenwohnung, um Außen-
Richard Lester setzt die Phantasien seiner Protagonis-    szenen und bindet das Geschehen in die beklemmend
ten in surreale Traumbilder um. Sie bereiten den My-      realistische Milieustudie der Arbeiterstadt Derby in den
thos des »Swinging London« vor, der auch durch die        Midlands ein.
nun verwandten Popmusik-Soundtracks die Jugend-            Dienstag, 12. März 2019, 18.30 Uhr
kultur der 1960er Jahre prägte. Mit TOM JONES, der         Freitag, 15. März 2019, 21.00 Uhr
auch in amerikanischen Kinos erfolgreich war, zog auch
erstmals Farbe in die bisher in Schwarzweiß gedrehte      Saturday Night and Sunday Morning (Samstag-
Welt der Woodfall-Produktionen ein.                       nacht bis Sonntagmorgen) | GB 1960 | R: Karel Reisz
     Ebenfalls in Farbe drehen musste der vom Fernse-     | B: Alan Sillitoe, nach seinem Roman | K: Freddie Fran-
hen kommende Ken Loach seinen einzigen Film für           cis | M: John Dankworth | D: Albert Finney, Shirley Anne
Woodfall, KES. Loach wollte die Geschichte um den         Field, Rachel Roberts, Hylda Baker, Norman Rossington
unverstandenen Jungen Billy Casper, der durch die Auf-    | 90 min | OF | Der von der Presse als »britischer Marlon
zucht eines Falken erstmals einen Sinn im Leben er-       Brando« gehandelte Albert Finney spielt Arthur Seaton,
fährt, in Schwarzweiß drehen, doch der Verleiher United   der sich gegen die Werte seiner Elterngeneration auf-
Artists bestand auf Farbe – die Kameramann Chris          lehnt und sich nicht mit dem tristen Alltag abfinden will.
Menges dann wieder entsprechend entsättigte. KES          Angesiedelt in Nottingham, ist der Film einer der ersten
offenbart durch seine schonungslose Direktheit eine       britischen Produktionen, die sich ernsthaft mit dem Le-
selten so berührend und wahrhaftig dargestellte Ein-      ben der Arbeiterklasse auseinandersetzen und Themen
samkeit und Verzweiflung eines sensiblen jungen Men-      wie Sex und Abtreibung aufgreifen. In der Eröffnungs-
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