Pflanzenschutzmittel im Feldbau: Einsatz und Gewässerrisiken von 2009 bis 2018
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U m w e l t Pflanzenschutzmittel im Feldbau: Einsatz und Gewässerrisiken von 2009 bis 2018 Laura de Baan, Judith F. Blom und Otto Daniel Agroscope, 8820 Wädenswil, Schweiz Auskünfte: Laura de Baan, E-Mail: laura.debaan@agroscope.admin.ch https://doi.org/10.34776/afs11-162g Publikationsdatum: 10. August 2020 Oberflächengewässer bereichern die Agrarlandschaft. (Fotoquelle: www.123rf.com) Zusammenfassung Der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln (PSM) im Risikopotentiale. Im Untersuchungszeitraum hat sich Feldbau wird im Rahmen des Agrarumweltmonito- das Spektrum an PSM-Wirkstoffen, die im Feldbau zur rings der Schweiz seit 2009 jährlich erfasst. Anhand Verfügung standen und angewendet wurden, ver- dieser Daten wurde die applizierte Wirkstoffmenge ändert. Es zeigte sich, dass einige Wirkstoffe, obwohl pro Kultur von 2009 bis 2018 berechnet und mithilfe in geringeren Mengen eingesetzt, Risiko-dominierend der kulturspezifischen Anbauflächen die schweizweit sein können, während andere zwar in grösseren Men- eingesetzte Wirkstoffmenge im Feldbau ermittelt. gen eingesetzt werden, aber nur geringe Auswirkun- Die Risikopotentiale dieses PSM-Einsatzes für Ober- gen auf das Risikopotential für Oberflächengewässer flächengewässer wurden mit dem Modell SYNOPS haben. Die Studie zeigt, dass sich im Feldbau die analysiert. Der Einsatz von Herbiziden und Fungiziden Risikopotentiale für Oberflächengewässer im Unter- im Feldbau nahm in diesem Zeitraum kontinuierlich suchungszeitraum hauptsächlich durch die Wahl der ab. Bei den Insektiziden machte der auf Kartoffeln PSM-Wirkstoffe und die vermehrt verfügten Auflagen eingesetzte Wirkstoff Paraffinöl den Grossteil der Ein- verändert haben. Eine Analyse der Risiken in Spezial- satzmenge aus. Ohne dessen Berücksichtigung nahm kulturen bedarf einer grösseren Informationsbasis. die eingesetzte Insektizid-Menge seit 2012 ebenfalls Eine breitere Erfassung, verbesserte Zugänglichkeit ab. Die Risikopotentiale zeigten bei Herbiziden einen und die zunehmende Digitalisierung in der Landwirt- konstanten, bei Fungiziden einen abnehmenden und schaft könnten dazu beitragen, in Zukunft eine reprä- bei Insektiziden einen ansteigenden Trend. Wurden in sentative Datenbasis für alle Kulturen zu schaffen. der Berechnung auch die Effekte der in der Zulassung verfügten Auflagen zur Risikominderung berücksich- Key words: use of plant protection products, aquatic tigt, zeigte sich eine teils deutliche Reduktion aller risk, risk mitigation, time series. Agrarforschung Schweiz 11: 162–174, 2020 162
Pflanzenschutzmittel im Feldbau: Einsatz und G ewässerrisiken von 2009 bis 2018 | Umwelt Einleitung Das Risikopotential von PSM ergibt sich aus der einge- setzten Menge, der modellierten Konzentration der Pflanzenschutzmittel (PSM) werden zum Schutz von PSM in Oberflächengewässern und der Ökotoxizität Nutzpflanzen vor Schadorganismen eingesetzt. Die der eingesetzten PSM. Dank der Weiterentwicklung des meisten PSM sind «biologisch aktiv» und greifen in den Modells SYNOPS für Schweizer Umwelt- und Standort- Stoffwechsel und die Biologie von Organismen ein. Da- bedingungen (de Baan 2020) ist es basierend auf den durch können auch Nebenwirkungen auf Mensch, Tier Daten zum Einsatz der PSM im Feldbau nun möglich, und Umwelt entstehen. Mit dem Ziel unerwünschte Ne- die Risikopotentiale für Oberflächengewässer von 2009 benwirkungen zu verhindern, dürfen PSM erst verkauft bis 2018 darzustellen. Damit kann erstmals die wichtige und verwendet werden, wenn sie ein umfangreiches Frage untersucht werden, ob sich durch die Verände- Zulassungsverfahren durchlaufen haben. Zudem wird rungen im Rahmen der Zulassung und der agrarpoliti- durch agrarpolitische Massnahmen angestrebt, den Ein- schen Massnahmen die Menge der eingesetzten PSM satz und die Risiken von PSM zu senken. Zulassungsver- verändert hat, oder aber auch deren Risikopotential. fahren und agrarpolitische Massnahmen wurden in den Zudem kann aufgezeigt werden, wie gross der Beitrag letzten Jahrzehnten laufend verfeinert und angepasst, der verschiedenen Kulturen an die Risikopotentiale war, aber eine Analyse der Auswirkungen auf den PSM-Ein- und ob es Wirkstoffe gab, welche das Risikopotential satz in der Landwirtschaft und das damit verbundene dominierten. Risikopotential der PSM für Oberflächengewässer fehlt. Die Zulassung der PSM beeinflusst das Risikopotential Die jährlich verkaufte Menge PSM, die vom Bundes- für Oberflächengewässer durch die Bewilligung von amt für Landwirtschaft erfasst und veröffentlicht wird PSM, aber auch durch Anwendungsvorschriften und (BLW 2020a), zeigt eine allgemeine Entwicklung auf. Auflagen, welche den PSM-Eintrag via Drift und Ab- Von 2008 bis 2018 war der Verkauf von Herbiziden ab- schwemmung in Oberflächengewässer reduzieren. Die nehmend (–33 %), von Fungiziden leicht zunehmend wissenschaftliche Grundlage solcher Auflagen wurde (+6 %) und von Insektiziden (inklusive Mineralöle) über kontinuierlich verbessert und seit 2011 werden solche die Jahre schwankend ohne deutlichen Trend. Im Jahr Auflagen vermehrt im Rahmen der gezielten Überprü- 2018 wurden anteilsmässig 28 % Herbizide, 49 % Fungi- fung erlassen. Die Auflagen (beispielsweise unbehan- zide, 14 % Insektizide und 9 % andere PSM verkauft. Die delte Pufferzonen, Abstandsauflagen) haben zum Ziel, Angaben zu den Verkaufsmengen der PSM lassen aber das von einer PSM-Anwendung in einer Kultur ausge- keine Rückschlüsse auf den realen Einsatz in der Land- hende Risikopotential für Oberflächengewässer auf ein wirtschaft zu, da PSM auch in anderen Anwendungs- gemäss Pflanzenschutzmittelverordnung (PSMV 2020) gebieten eingesetzt werden. Zudem fehlen mehrjährige akzeptables Risiko zu senken. Diese Auflagen werden Angaben darüber, welche Mengen an PSM in spezifi- als sehr wichtig für eine Reduktion der Risiken in den schen landwirtschaftlichen Kulturen eingesetzt werden. Oberflächengewässern betrachtet. Ihre Wirksamkeit ist Der Einsatz der PSM in landwirtschaftlichen Kulturen in vielen Einzelstudien belegt, jedoch fehlt eine Analyse wird seit 2009 im Rahmen des Agrarumweltmonitorings ihrer Wirksamkeit im Kontext der Veränderungen der erhoben (ZA-AUI 2020). Die Erhebungen gelten im Feld- Zulassung und der realen Pflanzenschutz-Praxis. bau als repräsentativ, während bei anderen Kulturgrup- Auch im Hinblick auf den «Aktionsplan zur Risikore- pen die Stichprobe grösser sein müsste, um regionale duktion und nachhaltigen Anwendung von Pflanzen- Unterschiede oder die grosse Variabilität der Kulturen schutzmitteln» (AP PSM) mit dem Ziel, das Risikopoten- und Anbauverfahren repräsentativ abbilden zu können tial ausgehend von einer Referenzperiode bis 2027 um (de Baan, Spycher und Daniel 2015). Da der Feldbau in- 50 % zu reduzieren (Bundesrat 2017), liefert diese Studie klusive Wiesen und Weiden mit 83 % einen grossen An- wichtige Erkenntnisse. Neben den kulturspezifischen teil der landwirtschaftlichen Nutzfläche ausmacht, ist Entwicklungen im PSM-Einsatz im Feldbau und deren zu erwarten, dass sich die Trends der Verkaufszahlen im Risikopotentiale für Oberflächengewässer, werden auch Einsatz der PSM im Feldbau widerspiegeln, möglicher- die Grenzen der Interpretation der Auswertungen aus- weise sogar auf der Ebene von einzelnen Kulturen. Bis- geleuchtet. her fehlt eine Analyse der langfristigen Entwicklung des PSM-Einsatzes in den Kulturen des Feldbaus und damit die Möglichkeit, den PSM-Einsatz im Kontext der Ver- änderungen von Zulassung und agrarpolitischen Mass- nahmen darzustellen. Agrarforschung Schweiz 11: 162–174, 2020 163
Pflanzenschutzmittel im Feldbau: Einsatz und G ewässerrisiken von 2009 bis 2018 | Umwelt Material und Methoden (Sommerweizen, Sommergerste, Hafer, Dinkel, Rog- gen, Triticale) 59,7 Betriebe, Mais 129,8 Betriebe, Raps Die Grundlage dieser Studie bilden die Feldkalender- 55,1 Betriebe, Raps Extenso 16,6 Betriebe, Kartoffeln einträge von Betrieben, die sich am Agrarumweltmoni- 44,5 Betriebe, Zuckerrüben 55,9 Betriebe, Futterrüben toring beteiligen. Die Zusammensetzung der Betriebe 13,7 Betriebe, Hülsenfrüchte (Erbsen, Ackerbohnen, änderte sich teilweise über die Zeit, da die Beteiligung Lupinen) 30,5 Betriebe und Wiesen (Wiesen, Weiden, zwar entschädigt wird, aber freiwillig ist. Anhand dieser Brachen) 91,0 Betriebe. Daten werden in der Zentralen Auswertung von Agrar- umweltindikatoren (ZA-AUI) verschiedene Indikatoren Berechnung PSM-Einsatz berechnet, unter anderem zum PSM-Einsatz und zu den Aus dem AUI-Datensatz wurden folgende Kennzahlen PSM-Risiken. Die Feldkalender enthalten pro Schlag zum PSM-Einsatz im Feldbau berechnet: (eine zusammenhängende Fläche, auf der jeweils nur eine bestimmte Kultur angebaut wird) Angaben zu den Die Wirkstoffmenge erfasst pro Betrieb und Kultur eingesetzten PSM, wie Produktname, Anwendungsmen- die jährlich applizierte Wirkstoffmenge (in kg/ha) für ge und Datum der Anwendung. Herbizide, Fungizide und Insektizide. Dabei wurde pro Betrieb, Kultur und Jahr die Summe aller eingesetzten Charakterisierung und Repräsentativität Wirkstoffe pro Wirkstoffgruppe (in kg) berechnet und der AUI-Daten durch die Anbaufläche der jeweiligen Kultur auf dem Nicht alle Anbauregionen und alle Kulturgruppen sind Betrieb (in ha) dividiert. Für die Berechnung der Wirk- im ZA-AUI-Datensatz gleichermassen gut abgedeckt. stoffmenge wurden auch unbehandelte Schläge be- Sehr viele Betriebe liefern Daten für den Feldbau (in- rücksichtigt. Die flächengewichtete Wirkstoffmenge klusive Wiesen, Weiden und Brachen), während andere ist eine Hochrechnung der schweizweit in einer Kultur Kulturtypen (Obstbau und Reben) in einem etwas ge- eingesetzten Wirkstoffmenge (in Tonnen) für Herbizide, ringerem Umfang vertreten sind. Untervertreten sind Fungizide und Insektizide. Dabei wurde der Mittelwert Betriebe, die Daten zu Freilandgemüse (Salat, Kohl, Ka- der Wirkstoffmenge über alle Betriebe (in kg/ha), die die rotten, Zwiebeln, Spinat, Spargel etc.), anderen Kulturen jeweilige Kultur anbauten, gebildet und mit der gesam- wie z. B. Beeren oder Sonnenblumen, sowie Daten zum ten Anbaufläche der Kultur in der Schweiz (BFS 2020; biologischen Anbau von Kulturen mit anspruchsvollem BLW 2019) multipliziert. Pflanzenschutz (z. B. Obst, Reben, Gemüse, Kartoffeln, Raps) liefern. Ausserhalb der Kulturen im Feldbau ist un- Die Anzahl an Interventionen gibt Auskunft darüber, wie klar, wie repräsentativ die Daten für die durchschnitt- häufig PSM eingesetzt werden. Für jeden Betrieb wurde liche Schweizer Pflanzenschutzmittelpraxis sind. berechnet, wie viele Spritz-Durchfahrten in einer Kultur Daher stammen alle in dieser Studie analysierten Daten pro Jahr für Herbizide, Fungizide und Insektizide statt- (im Folgenden als AUI-Datensatz bezeichnet) aus dem fanden (z. B. die Anzahl an Interventionen für Fungizide Feldbau (inklusive Wiesen, Weiden und Brachen), wobei im Winterweizen). Tankmischungen mit verschiedenen Betriebe mit biologischem Anbau nicht berücksichtigt Wirkstoffgruppen (z. B. Insektiziden und Fungiziden) wurden. Saatbeizmittel wurden wegen der lückenhaf- wurden getrennt gezählt und als zwei Interventionen ten Daten ebenfalls nicht analysiert. Im Untersuchungs- behandelt. Für die Berechnung der durchschnittlichen zeitraum 2009 bis 2018 gab es pro Jahr zwischen 231–276 Anzahl an Interventionen wurden unbehandelte Schlä- Betriebe (durchschnittlich 254), welche auswertbare Da- ge berücksichtigt. ten für den Feldbau lieferten. Im AUI-Datensatz wurde während dieser Jahre durchschnittlich eine Fläche von Der Anteil von PSM-Anwendungen mit Auflagen (in %) knapp 6´500 ha im Feldbau erfasst. Das ist in etwa 0,74 % gibt an, bei wie vielen PSM-Anwendungen im AUI-Da- der gesamtschweizerischen Feldbau-Fläche (inklusive tensatz eines Jahres laut jeweiligem Stand der Zulas- Wiesen, Weiden und Brachen). Für die Berechnung des sung eine Auflage verfügt worden ist. Hierfür wurden Risikopotentials wurde durchschnittlich die folgende die PSM-Angaben im AUI-Datensatz mit den im Pflan- Anzahl an Betrieben pro Jahr und Kultur analysiert, wo- zenschutzmittelverzeichnis aufgeführten Auflagen der bei ein Betrieb meistens Daten zu mehreren Kulturen lie- Jahre 2009–2018 für Drift und Abschwemmung ergänzt, ferte: Winterweizen 55,8 Betriebe pro Jahr, Winterwei- wobei jeweils der Stand der Zulassung am Anfang eines zen Extenso 94,6 Betriebe, Wintergerste 43,8 Betriebe, Kalenderjahres verwendet wurde (BLW 2020b). Falls ein Wintergerste Extenso 45,4 Betriebe, Übriges Getreide PSM-Produkt in einer Kultur für verschiedene Indikatio- Agrarforschung Schweiz 11: 162–174, 2020 164
Pflanzenschutzmittel im Feldbau: Einsatz und G ewässerrisiken von 2009 bis 2018 | Umwelt nen (d.h. Schadorganismen) zugelassen war, wurde die ETR durch zehn dividiert, um akute und chronische Ef- jeweils maximal verfügte Auflage berechnet. Schliesslich fekte gleichwertig zu berücksichtigen. Die Risikopoten- wurde pro Kultur, Jahr und Wirkstoffgruppe der Anteil tiale wurden getrennt berechnet für Herbizide, Fungi- an allen Wirkstoffapplikationen berechnet, bei denen zide und Insektizide. das entsprechende Produkt laut PSM-Verzeichnis eine Da der Eintrag von PSM in Gewässer von Umweltbe- Auflage bezüglich Abschwemmung oder Abdrift hatte dingungen (z. B. Hangneigung oder Klima) beeinflusst (z. B. der Anteil an PSM-Anwendungen mit Auflagen bei wird, wurden für die Schweiz repräsentative Umwelt- Insektiziden auf Raps). szenarien definiert. Im Rahmen einer Sensitivitätsana- lyse wurden pro untersuchter Kulturgruppe 618–9193 Berechnung des Risikopotentials verschiedene Umweltszenarien getestet und am Schluss für Oberflächengewässer eine Auswahl von einem repräsentativen Set an Umwelt- Die Berechnung des Risikopotentials für Oberflächenge- bedingungen pro Kultur definiert (de Baan 2020). Für wässer erfolgte mit dem Modell SYNOPS (Gutsche und den Feldbau wurden 79 Umweltszenarien definiert, mit Strassemeyer 2007; Strassemeyer et al. 2017). Das Modell denen jeweils die Risiken für jede Spritzfolge im AUI-Da- berechnete für jede Pflanzenschutzmittelanwendung tensatz berechnet wurden. Für jede Spritzfolge wurde aus dem analysierten AUI-Datensatz den potenziellen schliesslich das 90. Perzentil über die 79 errechneten Ri- Eintrag aus einem behandelten Schlag in Oberflächen- sikopotentiale ermittelt, wobei als Gewichtungsfaktor gewässer (Exposition) über die vier Eintragspfade Drift, berücksichtigt wurde, wie häufig diese Umweltbedin- Abschwemmung, Erosion und Drainage. Anschliessend gungen jeweils in der Schweiz auftreten. Dem 90. Per- wurde das Risikopotential berechnet, welches mit der zentil liegt eine bestimmte Kombination an Umweltbe- so modellierten Konzentration im Oberflächengewässer dingungen und Bodeneigenschaften zugrunde, die als verbunden ist. Das heisst, dass das Risikopotential lokal realistisches worst-case-Szenario betrachtet wird. Für das von einem behandelten Schlag ausgehende Risiko das Oberflächengewässer wurde ein 1 m breites und für Gewässerorganismen beschreibt. Für jede Applika- 30 cm tiefes Gewässer angenommen mit konstantem tion wurde das Risikopotential mit und ohne die verfüg- Gewässervolumen. Um die Risiko-dominierenden Wirk- ten spezifischen Auflagen für Drift und Abschwemmung stoffe zu identifizieren, wurde jeweils pro Spritzfolge berechnet. pro Schlag berechnet, welcher Wirkstoff die höchsten In SYNOPS wurde das Risikopotential pro Wirkstoff als Risikopotentiale zeigte (ohne Berücksichtigung von Mi- «exposure-toxicity-ratio» (ETR) berechnet, d. h. als der schungseffekten). Quotient aus Exposition und Toxizität. Für die Toxizität Falls auf einem Betrieb mehrere Felder mit derselben wurden in standardisierten Laborexperimenten ermit- Kultur bestellt wurden, wurde zuerst das Risikopotential telte toxische Konzentrationen von Stellvertreterorga- pro Kultur, Betrieb und Wirkstoffgruppe berechnet. In nismen verwendet (z.B. LC50, d.h. die Konzentration bei einem weiteren Schritt wurde der Median der Risiko- der 50 % Mortalität beobachtet wurde; NOEC, d. h. die potentiale über alle Betriebe, die diese Kultur angebaut Konzentration, bei der keine chronischen Effekte fest- haben, ermittelt. Berechnet wurde demnach das mitt- gestellt wurden). Als Stellvertreterorganismen für akute lere Risikopotential einer Kultur über alle ZA-AUI Be- und chronische Effekte wurden Wasserflöhe, Fische und triebe. Am Schluss wurde der Median-Wert pro Kultur Sedimentorganismen, bei den akuten Effekten wurden mit der Anbaufläche der Kultur im jeweiligen Jahr (in zudem Algen und Wasserlinsen betrachtet. Die Daten ha) multipliziert (flächengewichtete Risikopotentiale). zur Toxizität sowie zu den chemischen Eigenschaften Um das Risikopotential von PSM zu senken, wurden im stammen aus der Pesticide Property Database (PPDB: Rahmen der Zulassung von PSM für Anwendungen, bei Lewis et al. 2016). Diese Daten wurden überprüft und denen allfällige Einträge via Drift und Abschwemmung teilweise korrigiert. Neben den Effekten von einzelnen ein Risiko für Wasserorganismen darstellen, ein Abstand Wirkstoffen, wurden auch Effekte von Mischungen von zu Oberflächengewässern vorgeschrieben. Der Ab- mehreren Wirkstoffen, welche auf dem gleichen Schlag stand für Drift variiert mit dem möglichen Risiko eines appliziert wurden, berücksichtigt. Schliesslich wurde pro PSM-Einsatzes und kann je nach Produkt 6, 20, 50 oder Spritzfolge (d.h. die Abfolge von PSM-Applikationen auf 100 m betragen, in früheren Jahren gab es in einzelnen einem Schlag in einem Anbaujahr) der maximale ETR Fällen auch Abstandsauflagen von 10 m. Gleichermassen (akut und chronisch) über alle Wirkstoffe einer Wirk- gibt es Auflagen, um das Risiko von PSM durch allfällige stoffgruppe und über alle Organismengruppen wäh- Abschwemmungseinträge auf Parzellen, die weniger als rend eines Jahres ermittelt. Dabei wurden chronische 100 m von einem Oberflächengewässer entfernt sind, Agrarforschung Schweiz 11: 162–174, 2020 165
Pflanzenschutzmittel im Feldbau: Einsatz und G ewässerrisiken von 2009 bis 2018 | Umwelt zu mindern, wenn die PSM-Anwendung nicht auf einer Resultate ebenen Fläche mit < 2 % Neigung erfolgt, oder die Flä- che niedriger liegt als das Oberflächengewässer. Bis 2018 Flächengewichtete Wirkstoffmengen wurden Produkte mit einem potentiellen Risiko wegen Die flächengewichteten Wirkstoffmengen im Feldbau Abschwemmung mit der Auflage versehen, einen 6 m (Abb. 1) unterscheiden sich stark je nach Kultur und breiten bewachsenen und unbehandelten Pufferstrei- Wirkstoffgruppe der PSM. Bei den Herbiziden wurden fen entlang von Gewässern einzurichten. Um den Effekt im Untersuchungszeitraum im Feldbau je nach Erhe- von Risikominderungsmassnahmen auf die Risikopoten- bungsjahr zwischen 328 und 476 t verwendet, wobei die tiale aufzuzeigen, wurden zwei separate SYNOPS-Be- eingesetzten Wirkstoffmengen kontinuierlich von 2012 rechnungen durchgeführt: einmal mit und einmal ohne bis 2018 um knapp 31 % sanken. Generell lässt sich eine Berücksichtigung der im PSM-Verzeichnis des jeweiligen Reduktion des Herbizideinsatzes in fast allen Kulturen Jahres festgelegten Auflagen zur Reduktion der Drift beobachten, eine grössere Abnahme gab es zwischen und Abschwemmung für die einzelnen PSM-Anwendun- 2009 und 2018 bei Wiesen und Weiden (–16,9 t) und gen. Dabei wurde angenommen, dass ein 6 m breiter in den Kulturen Mais (–28,4 t), Winterweizen (–20,1 t) bewachsener Pufferstreifen den Eintrag von Abschwem- und Winterweizen Extenso (–19,8 t). Bei den Fungiziden mung um 50 % reduziert (Weisung BLW 2020c; basierend wurden im Feldbau pro Jahr zwischen 99 und 146 t ein- auf Hanke et al. 2013). Der Driftreduzierende Effekt von gesetzt. Verglichen mit 2009 sank 2018 die eingesetzte unbehandelten Pufferstreifen wurde basierend auf den Fungizid-Menge um knapp 27 %. Während der Fungizid- Drift–Messungen von Rautmann, Streloke und Winkler einsatz beim Winterweizen trotz der jährlichen Schwan- (2001) berechnet und lag je nach Distanz vom Feld zum kungen insgesamt um fast 19 t rückläufig war, stieg der Gewässer und Auflage zwischen 0 % und 94 %). Fungizideinsatz bei Zuckerrüben während dieser Zeit Herbizide Fungizide 140 flächengewichtete Wirkstoffmenge [t] flächengewichtete Wirkstoffmenge [t] 400 120 100 300 80 200 60 40 100 20 0 0 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 Insektizide 50 flächengewichtete Wirkstoffmenge [t] Zuckerrüben Futterrüben 40 Raps Raps Extenso 30 Mais Winterweizen 20 Winterweizen Extenso Wintergerste 10 Wintergerste Extenso Wiesen, Weiden, Brachen 0 Kartoffeln Hülsenfrüchte 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 Übriges Getreide Abb. 1 | Flächengewichtete Wirkstoffmenge von 2009 bis 2018 im Feldbau, getrennt nach Herbiziden, Fungiziden und Insektiziden. Agrarforschung Schweiz 11: 162–174, 2020 166
Pflanzenschutzmittel im Feldbau: Einsatz und G ewässerrisiken von 2009 bis 2018 | Umwelt kontinuierlich um über 8 t an. Insektizide, die häufig Flächengewichtete Risikopotentiale von PSM schon in niedrigen Dosierungen hochwirksam sind, wur- in Oberflächengewässern den in viel geringeren Mengen als Herbizide und Fun- Die flächengewichteten Risikopotentiale (ETR × Flächen gizide eingesetzt. Eine Ausnahme war der Einsatz von der Kulturen im Feldbau) zeigten, dass Herbizide grös- Paraffinöl im Kartoffelanbau, welches > 99 % der jähr- sere Risikopotentiale als Insektizide, und Insektizide lich eingesetzten Wirkstoffmenge ausmachte. Abgese- grössere als Fungizide aufwiesen (Abb. 2). Bei den Her- hen vom Insektizid-Einsatz in Kartoffeln (graue Farbe in biziden traten die höchsten flächengewichteten Risiko- Abb. 1), konnte über alle anderen Kulturen gesehen ein potentiale im Mais, Raps und Wintergerste (inklusive Anstieg des Insektizid-Einsatzes bis 2012 auf 10,8 t und Extenso) auf. Dagegen führten Herbizidanwendungen ein Rückgang bis 2018 auf 4,0 t verzeichnet werden. Dies in Wiesen und Weiden nur zu einem sehr geringen flä- entspricht einer Reduktion von 63 % seit 2012. chengewichteten Risikopotential. Bei den Fungiziden Herbizide Herbizide 3500 3500 3000 3000 Risikopotential × 10³ Risikopotential × 10³ flächengewichtetes flächengewichtetes 2500 2500 2000 2000 1500 1500 1000 1000 500 500 0 0 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 Fungizide Fungizide 70 70 60 60 Risikopotential × 10³ Risikopotential × 10³ flächengewichtetes flächengewichtetes 50 50 40 40 30 30 20 20 10 10 0 0 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 Insektizide Insektizide 300 300 250 250 Risikopotential × 10³ Risikopotential × 10³ flächengewichtetes flächengewichtetes 200 200 150 150 100 100 50 50 0 0 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 Zuckerrüben Raps Mais W.Weizen Ext. W.Gerste Ext. Kartoffeln Übr. Getreide Futterrüben Raps Extenso W.Weizen W.Gerste Wiesen Hülsenfrüchte Abb. 2 | Flächengewichtete Risikopotentiale für Oberflächengewässer von 2009 bis 2018, ausgehend von Herbizid-, Fungizid- und Insektizidanwendungen ohne Abstandsauflagen (links) und mit Abstandsauflagen (rechts). Der schwarze Pfeil zeigt den Mittelwert des Risikopotentials zwischen 2012 und 2015, der graue Pfeil markiert 50 % dieses Mittelwertes (W.Weizen = Winterweizen; W.Gerste = Wintergerste; Ext. = Extenso; Übr. Getreide = Übriges Getreide) Agrarforschung Schweiz 11: 162–174, 2020 167
Pflanzenschutzmittel im Feldbau: Einsatz und G ewässerrisiken von 2009 bis 2018 | Umwelt wurden in Winterweizen und Wintergerste die höchs- Risikopotentials im Jahr 2014 im Vergleich zum Jahr 2013 ten flächengewichteten Risikopotentiale beobachtet; zu verzeichnen. Dies war deutlich sichtbar ohne Berück- einen eher geringen Anteil am Risikopotential hatte sichtigung der Abstandsauflagen, jedoch weniger stark der Einsatz von Fungiziden in Kartoffeln und «Übri- mit deren Berücksichtigung, da sich beim Insektizidein- gem Getreide». Bei den Insektizidanwendungen wurde satz im Raps das Risikopotential durch die Auflagen der das flächengewichtete Risikopotential hauptsächlich PSM-Zulassung stark reduzierte. Das Risikopotential be- durch die PSM-Applikationen im Raps verursacht. Die rechnet mit Auflagen war im Raps im Jahr 2018 45 % Insektizid-Applikationen in Kartoffeln und Zuckerrüben tiefer als ohne Auflagen. hatten nur sehr geringe Auswirkungen auf das flächen- gewichtete Risikopotential. Einsatz von PSM im Feldbau mit Abstandsauflagen Ohne Berücksichtigung der Abstandsauflagen der Im Zeitraum von 2009 bis 2018 wurden viele neue Auf- PSM-Zulassung (Abb. 2, links) blieb das Risikopotential lagen verfügt. Bei allen Kulturen nahm der Anteil der durch Herbizide zwischen 2009 und 2018 relativ unver- PSM-Anwendungen im AUI-Datensatz, bei welchen die ändert, jedoch mit jährlichen Schwankungen. Die Ab- eingesetzten PSM Abstandsauflagen hatten, deutlich standsauflagen der PSM-Zulassung zeigten eine deut- zu, so zum Beispiel auch bei den Insektiziden, welche liche risikomindernde Wirkung, das Risikopotential sank in Raps eingesetzt wurden (Abb. 3). Der Anteil der In- kontinuierlich seit 2012 mit einer grösseren Reduktion sektizid-Anwendungen in Raps mit Driftauflagen lag im Jahr 2013 bei fast allen Kulturen. Das Risikopotential während 2009 bis 2012 zwischen 13,2–15,8 % (Abb. 3, konnte durch die Auflagen im Jahr 2018 bei Mais um links), der grösste Teil davon waren PSM mit 20 m-Ab- 42 % gegenüber einer Berechnung ohne Auflagen ge- standsauflagen. Ab 2013 stieg der Anteil der Anwen- senkt werden, bei Wintergerste und Wintergerste Ex- dungen, die eine Drift-Abstandsauflage besassen, tenso war das Risikopotential 2018 um 49 %, resp. 44 % stark an, seit 2015 lag deren Anteil zwischen 76,5 und und bei Kartoffeln um 44 % tiefer als ohne Auflagen 85,3 %. Seit 2015 wurden zudem viele Insektizide mit (Abb. 2; rechts mit Auflagen). Bei den Fungiziden war sehr hohen Abstandsauflagen verwendet, knapp 20 % kein eindeutiger Trend ersichtlich, auffällig war hier nur der 2015 und 2016 eingesetzten Insektizide hatten eine eine grössere Reduktion des Risikopotentials vom Jahr Abstandsauflage von 100 m. Seit 2013 wurden bei der 2012 zum Jahr 2013, sichtbar sowohl mit als auch ohne Behandlung von Raps Insektizide verwendet, bei denen Berücksichtigung der Abstandsauflagen der PSM-Zulas- eine 6 m-Abschwemmungsauflage verfügt worden ist sung. Bei den Fungiziden verringerte sich das Risikopo- (Abb. 3, rechts). Zwischen 2013 und 2016 stieg deren tential durch die Anwendung von Abstandsauflagen vor Anteil von 19 % auf knapp 62 %. Im Jahr 2018 waren ca. allem beim Winterweizen um etwa 37 % im Jahr 2018 50 % aller verwendeten Produkte mit solch einer Auf- verglichen mit dem Risikopotential berechnet ohne Auf- lage versehen. lagen. Bei den Insektiziden war ein starker Anstieg des 100 100 m 100 50 m 80 20 m 80 % Anwendungen mit Auflagen % Anwendungen mit Auflagen 10 m 60 6m 60 40 40 20 20 0 0 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 Abb. 3 | PSM-Anwendungen mit Abstandsauflagen 2009–2018 am Beispiel des Insektizid-Einsatzes im Raps. links: Drift, rechts: Abschwemmung. Agrarforschung Schweiz 11: 162–174, 2020 168
Pflanzenschutzmittel im Feldbau: Einsatz und G ewässerrisiken von 2009 bis 2018 | Umwelt Risiko-dominierende Wirkstoffe in 2014), Spiroxamine aus der Gruppe der Spiroketalami- Eine Kultur kann mit einer unterschiedlichen Auswahl ne (maximal 33,8 % in 2011), Fenpropidin aus der Gruppe an PSM behandelt werden. Je nach Spritzfolge domi- der Piperidine (maximal 18,7% in 2009) und Prochloraz, nierten andere Wirkstoffe das Risikopotential. Welche welches zu den Imidazolen gehört (maximal 11,6 % in Wirkstoffe Risiko-dominierend waren und wie sich der 2009; Abb. 4, oben rechts). In fast allen analysierten Jah- Anteil der von ihnen dominierten Spritzfolgen von 2009 ren dominierten diese vier Wirkstoffe die Risiken auf bis 2018 veränderte, ist in Abbildung 4 anhand von drei 58 bis 70 % der Schläge im Winterweizen, im Jahr 2015 Beispielen dargestellt. waren es dagegen nur 42 % der Schläge. Dagegen stieg Bei den Herbiziden für den Anbau von Wintergerste war im Jahr 2015 der Anteil Schläge, auf denen das Poly- zu Beginn des Untersuchungszeitraums das Harnstoff- saccharid Laminarin die Risiken dominierte, von 3,7% derivat Isoproturon der Risiko-dominierende Wirkstoff (2014) auf 12,8 %. (maximal 44,7 % der Schläge in 2009, Abb. 4, oben links). Bei den in Raps eingesetzten Insektiziden waren bis 2011 Während dessen Anteil kontinuierlich kleiner wurde (8 % am häufigsten die Pyrethroide Bifenthrin und Cyperme- in 2018), stieg zeitgleich der Anteil an Spritzfolgen, der thrin und das Neonikotinoid Thiacloprid Risiko-dominie- durch das Diflufenican, einem Pyridincarbonsäureamid, rend (Abb. 4, unten). Der Anteil von Schlägen, bei denen dominiert wurde (von 13,7 % in 2009 auf 44,2 % in 2018). Bifenthrin das Risiko dominierte lag maximal bei 40,5 % Der Phenylharnstoff Chlorotoluron war in durchschnitt- (2011), der von Cypermethrin bei 41,5 % (2009) und der lich 18.5 % der Spritzfolgen der dominierende Wirkstoff von Thiacloprid bei 18,3 % (2011). Ab 2013 waren die (minimal 4,3 % in 2010, maximal 24,1 % in 2014). Organophosphate Chlorpyrifos und Chlorpyrifos-methyl Die Risiko-dominierenden Fungizide im Winterweizen als Insektizide im Raps zugelassen und dominierten oft waren auf vielen Schlägen Chlorothalonil, welches zu das Risiko in den Spritzfolgen in den darauffolgenden den Chloronitrilen gehört (maximal 33,3% der Schläge Jahren (zusammen maximal bei 58,7 % in 2017). Wintergerste: Herbizide Winterweizen: Fungizide 100 Andere 100 Andere Flufenacet Laminarin bei denen Wirkstoff Risiko dominiert bei denen Wirkstoff Risiko dominiert 80 Pendimethalin 80 Chlorothalonil Glyphosat Spiroxamine Anteil Spritzfolgen (%) Anteil Spritzfolgen (%) Diflufenican Fenpropidin 60 Ioxynil 60 Prothioconazol Isoproturon Prochloraz 40 Chlortoluron 40 Epoxiconazol Tribenuron Cyproconazol Thifensulfuron Pyraclostrobin 20 Florasulam 20 Bixafen 0 0 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 Raps: Insektizide 100 Andere Chlorpyrifos−methyl bei denen Wirkstoff Risiko dominiert 80 Chlorpyrifos Pymetrozin Anteil Spritzfolgen (%) Thiacloprid 60 Etofenprox Bifenthrin 40 lambda−Cyhalothrin Deltamethrin Cypermethrin 20 0 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 Abb. 4 | Anteil der Spritzfolgen (%) von 2009 bis 2018, bei denen der jeweilige Wirkstoff unter Berücksichtigung der Abstandsauflagen das Risiko dominierte, am Beispiel Herbiziden in der Wintergerste, Fungiziden im Winterweizen und Insektiziden im Raps. Agrarforschung Schweiz 11: 162–174, 2020 169
Pflanzenschutzmittel im Feldbau: Einsatz und G ewässerrisiken von 2009 bis 2018 | Umwelt Variabilität von Einsatz und Risiko gen und die durch den Fungizid-Einsatz resultierenden zwischen den Betrieben Risikopotentiale sehr stark. Die oberen Quartile (25 % Sowohl der Einsatz als auch die Risiken von PSM schwank- der Daten liegen über diesem Wert) und die unteren ten nicht nur stark zwischen den Jahren, sondern auch Quartile (25 % der Daten liegen unter diesem Wert) in zwischen den einzelnen Betrieben im gleichen Anbau- den Boxplots liegen teilweise sehr weit auseinander. Im jahr. Abbildung 5 zeigt dies am Beispiel vom Einsatz und Untersuchungszeitraum wurde durchschnittlich eine Risiken von Fungiziden auf Winterweizen, wobei pro 11,7-mal höhere Wirkstoffmenge durch die Betriebe Jahr durchschnittlich 55,8 Betriebe ausgewertet wurden des oberen Quartils als durch die Betriebe des unteren (42 bis 70 Betriebe, nur nicht-Extenso betrachtet). Die Quartils eingesetzt. Das durch den Einsatz von Fungi- Häufigkeit des Einsatzes von Fungiziden auf den Betrie- ziden verursachte Risikopotential schwankte ebenfalls ben im Weizenanbau reichte von 0 bis > 3,5 Interventio- zwischen den Betrieben eines einzelnen Jahres sehr nen pro Jahr. Am Häufigsten wurde 1–2 Mal pro Jahr mit stark. Zwischen 2009 und 2013, mit insgesamt höheren Fungiziden behandelt. Im Zeitraum 2009–2018 hat sich unteren und oberen Quartilen, lag das Risikopotential die Häufigkeit der Fungizid-Anwendungen verändert: der oberen Quartile durchschnittlich 26,4-mal so hoch Der Anteil Betriebe mit ≤ 0,5 Interventionen stieg von wie das der unteren Quartile. In den darauffolgenden wenigen Prozent in den Jahren 2010 bis 2012 auf über Jahren sank das Risikopotential vor allem der unteren, 20 % im Jahr 2018 (Abb. 5, links). In diesem Zeitraum aber auch der oberen Quartile. Durchschnittlich war haben auch die eingesetzten Wirkstoffmengen und die das Risikopotential der Betriebe des oberen Quartils Risikopotentiale (Mediane pro Betrieb) abgenommen dadurch in den Jahren 2014 bis 2018 über 7500-mal so (Abb. 5, Mitte und rechts). Einzelne Jahre zeigten grös- hoch wie das der Betriebe des unteren Quartils. sere Abweichungen. So lag der Anteil an Betrieben mit einer Anzahl von ≥ 1,5 Fungizid-Interventionen im Jahr Diskussion 2012 bei 63,3 %, im Jahr 2015 aber nur bei 35,7 %. Im und Schlussfolgerungen Jahr 2012 lag zudem der Median-Wert der aufgewen- deten Wirkstoffmenge pro Betrieb bei 1,17 kg/ha und Einsatz von PSM der des Risikopotentials bei 1,23, während im Jahr 2015 Bei den Herbiziden waren deutliche Abnahmen ab 2012 beide Werte sehr viel niedriger waren (0,42 kg/ha und sowohl bei den Verkaufsmengen (BLW 2020a) als auch Median-ETR von 0,13). Aber auch innerhalb eines Jahres beim Einsatz von PSM zu verzeichnen. Da bei den Herbi- schwankten die pro Betrieb eingesetzten Wirkstoffmen- ziden der Feldbau ein wichtiges Anwendungsgebiet ist 100 7 ● 6 ● Anteil Betriebe mit Anzahl Interventionen (%) ● 80 6 ● 5 ● ● Wirkstoffmenge [kg/ha] ● 5 ● ● Risikopotential [ETR] ● 4 ● ● 60 ● ● 4 ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● 3 ● 3 ● ● ● ● ● ● ● 40 ● ● ● ● ● ● 2 ● ● 2 20 1 1 0 0 0 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 3 Fung. 1,5 Fung. Abb. 5 | Relative Häufigkeit der Anzahl Interventionen (links), Wirkstoffmenge (Mitte) und Risikopotential (rechts) pro Betrieb für Fungizide im Winterweizenanbau. Die Boxplots zeigen den jeweiligen Median, das untere und obere Quartil (untere und obere Begrenzung der braunen Box, welche 50% der Betriebsdaten umfasst), die Antennen (1,5-facher Interquartilabstand) und einzelne Punkte (Ausreisser mit > 1,5-fachem Interquartilabstand). Agrarforschung Schweiz 11: 162–174, 2020 170
Pflanzenschutzmittel im Feldbau: Einsatz und G ewässerrisiken von 2009 bis 2018 | Umwelt (je nach Jahr wurden 50–60% der verkauften Herbizide Zwischen 2009 und 2018 sank die Verkaufsmenge der im Feldbau eingesetzt), ist diese parallele Entwicklung Herbizide, die der Fungizide nahm leicht zu. Bei den plausibel. Die grösste Wirkstoffmenge an Herbiziden Insektiziden schwankten die verkauften Mengen stark wurde in Zuckerrüben und Mais eingesetzt, es folgten zwischen den Jahren und wiesen keinen deutlichen Wiesen, Weiden und Brachen, Raps, Winterweizen Ex- Trend auf. Der Anteil der eingesetzten (flächengewich- tenso und Kartoffeln. Ausser in Raps Extenso hat die teten) Wirkstoffmenge von PSM im Feldbau (ohne bio- Wirkstoffmenge bei den Herbiziden in allen Kulturen logischen Anbau) an der gesamthaft verkauften Menge abgenommen. machte im 2018 bei den Herbiziden 56 %, den Fungiziden Die im Feldbau eingesetzte Fungizid-Menge nahm ab, 11 % und den Insektiziden 13 % aus. Bislang ist nicht be- obwohl zeitgleich die verkauften Mengen anstiegen kannt, welcher Anteil die verschiedenen Anwendungs- (BLW 2020a). Rund die Hälfte der im Feldbau einge- gebiete (konventioneller und biologischer Feld-, Obst, setzten Fungizide wurden in Kartoffeln eingesetzt. Die Wein-, Gemüsebau sowie nicht-landwirtschaftliche An- Wirkstoffmengen in Winterweizen und Wintergerste wendungen) an den Verkaufsmengen ausmachen. Wür- waren etwas geringer; jene in Zuckerrüben und Raps am de man nur landwirtschaftliche Anwendungen betrach- geringsten. Es zeigte sich, dass innerhalb des Feldbaus ten, wäre der Anteil der im Feldbau eingesetzten PSM neben den Kulturen mit einem vergleichsweise hohen noch höher. Während der Einsatz in den Spezialkulturen Wirkstoffeinsatz pro Fläche (wie z. B. Kartoffeln) auch eher durch die Vielzahl an Interventionen geprägt ist, Kulturen mit einer grossen Anbaufläche (Winterweizen, ist im Feldbau die vergleichsweise viel grössere Anbau- Mais) für die Wirkstoffmenge relevant waren. Bei fast fläche bestimmend. allen Kulturen war eine Abnahme der Wirkstoffmenge Die detaillierte Analyse der eingesetzten Wirkstoffmen- zu sehen, ausser bei Zuckerrüben. Diese Zunahme kann gen im Feldbau erlauben es, den Beitrag der einzelnen wahrscheinlich mit dem angestiegenen Schadensdruck Kulturen im Kontext des Pflanzenschutzes besser zu der Cercospora-Blattfleckenkrankheit erklärt werden, verstehen. Nicht alle Kulturen haben die gleichen Erfor- deren Bekämpfung statt einer einzigen nun mehrere dernisse, eine Verringerung der eingesetzten Wirkstoff- Fungizid-Behandlungen erforderte. menge ist teilweise nicht ohne Ertragseinbussen mög- Bei den Insektiziden nahmen die eingesetzten Wirk- lich, und durch gewisse Schadorganismen, die Bildung stoffmengen mit Ausnahme des Kartoffelbaus bis 2012 von Resistenzen, periodische klimatisch ungünstige zu und danach ab. Bei Kartoffeln, welche die Kultur mit Jahre und andere Faktoren kann die eingesetzte Wirk- dem grössten Einsatz von Insektiziden war, machte vor stoffmenge auch wieder ansteigen. Kulturen und deren allem der Wirkstoff Paraffinöl einen Grossteil der ein- Anbauflächen spielen demnach eine grosse Rolle, wenn gesetzten Wirkstoffmenge aus. Paraffinöl, das auch im Strategien zur Reduktion des PSM-Einsatzes gesucht biologischen Anbau zugelassen ist, muss für eine wirksa- werden, auch um zu verstehen, wie Reduktionsziele er- me Behandlung in hoher Dosierung eingesetzt werden. reicht werden können. Dieses Verständnis, welches auch Obwohl nur in durchschnittlich 47 % der Insektizid-Inter- für Spezialkulturen wichtig wäre, erlaubt es, in Zukunft ventionen pro Jahr Paraffinöl bei Kartoffeln eingesetzt Massnahmen zielgerichtet weiterzuentwickeln und zu wurde, lag dessen Anteil an der flächengewichteten priorisieren. Wirkstoffmenge aber durchschnittlich bei > 99 %. Neben Veränderungen in der Zulassung der PSM und der Risikopotential für Oberflächengewässer Umsetzung von agrarpolitischen Massnahmen (Zunah- Die Möglichkeit, Risikopotentiale für Oberflächenge- me der Anbaufläche von Bio- und Extenso-Getreide) war wässer basierend auf den in den Betrieben eingesetzten auch der Rückgang der gesamten Anbaufläche von Ge- Wirkstoffmengen und dem für die Schweiz angepassten treide zwischen 2009 und 2018 ein Grund für die Abnah- Modell SYNOPS zu berechnen, hat bisher gefehlt. Die me der flächengewichteten Wirkstoffmenge im Feldbau. bis anhin vorhandenen Daten zu den Mengen (Verkauf Beim Bio-Getreide Anbau werden kaum PSM eingesetzt, oder Einsatz) widerspiegeln meist nicht eine Ab- oder beim Extenso-Anbau muss auf Insektizide und Fungizide Zunahme von Risiken. Zwar gab es in unserer Studie verzichtet werden. Zudem werden beobachtete Trends gewisse Parallelen, indem beispielsweise die Herbizide oder Schwankungen der eingesetzten Wirkstoffmengen die höchsten Verkaufsmengen und die höchsten Risiko- auch durch den Einsatz anderer PSM, beispielsweise den potentiale aufwiesen. Mehrheitlich zeigten sich aber Ersatz von hochwirksamen PSM mit tiefen Anwendungs- unterschiedliche Verläufe bei den eingesetzten Wirk- raten (z. B. Pyrethroide) durch weniger wirksame PSM mit stoffmengen und den Risikopotentialen. So war das hohe Anwendungsraten (z.B. Paraffinöl) verursacht. Risikopotential bei den Insektiziden höher als bei den Agrarforschung Schweiz 11: 162–174, 2020 171
Pflanzenschutzmittel im Feldbau: Einsatz und G ewässerrisiken von 2009 bis 2018 | Umwelt Fungiziden, obwohl es bei der eingesetzten Wirkstoff- der eingesetzten Fungizide im Winterweizen sehr hoch; menge umgekehrt war. Auch zeigten sich bei den Ri- knapp 70 % der Spritzfolgen wurden durch Chlorothalo- sikopotentialen der Fungizide und der Insektizide von nil, Fenpropidin, Spiroxamine und Prochloraz dominiert. 2009 bis 2018 starke Ab- respektive Zunahmen, welche Im Jahr 2015 wurde dagegen nur ein Drittel der Wirk- bei den eingesetzten Wirkstoffmengen nicht sichtbar stoffmenge im Vergleich zu 2012 eingesetzt, das Risiko- waren. Deshalb ist es wichtig, nicht nur die Mengen zu potential war im 2015 sogar nur ein Zehntel so hoch. betrachten, sondern explizit Risikopotentiale für die Das Spektrum der eingesetzten Wirkstoffe hat sich von Beurteilung von Trends in der Umweltbelastung einzu- 2009 bis 2018 teilweise verändert. Bei den Herbiziden in beziehen. der Wintergerste gab es über die Jahre eine Verschie- Die Veränderung der flächengewichteten Risikopo- bung der Risiko-dominierenden Wirkstoffe von Isopro- tentiale für Oberflächengewässer über die Zeit ist ein turon zum risikoärmeren Wirkstoff Diflufenican. Der Zusammenspiel von mehreren Faktoren. Wichtige Ein- steile Anstieg des Risikopotentials bei den Insektiziden gangsgrössen für die Berechnungen sind neben der An- im Raps ist auf die Wirkstoffe Chlorpyrifos und Chlorpy- baufläche die eingesetzten Wirkstoffmengen und die rifos-methyl zurückzuführen, die 2013 zur Bekämpfung Wirkstoffwahl. Diese sind wiederum von der Wirksam- des Rapsglanzkäfers im Raps zugelassen wurden, da keit der PSM gegen Schadorganismen, der Kultur und dieser Resistenzen gegen Pyrethroide entwickelt hatte. der angebauten Sorte, Witterung, Schaddruck, Pflan- Chlorpyrifos und Chlorpyrifos-methyl sind mittlerweile zenschutzstrategie der Betriebe und den Vorgaben der wegen Umweltbedenken zurückgezogen worden und Zulassung und der Agrarpolitik abhängig. Dazu liefert dürfen ab Juli 2020 nicht mehr verwendet werden. Bei der AUI-Datensatz wichtige Grundlagen. Ein weiteres den Fungiziden wurde im 2015 ein relativ grosser Anteil wichtiges Element ist die Berücksichtigung der für die an Spritzfolgen vom eher risikoarmen Laminarin domi- Schweiz relevanten Standortfaktoren (Bodentyp, Tem- niert, wobei gleichzeitig der Anteil an Spritzfolgen, in peratur, Neigung, Nähe zu Gewässern) zur Modellierung denen die um etwa 3 bis 4 Grössenordnungen risiko- der PSM-Konzentrationen in Oberflächengewässern (de reicheren Wirkstoffe Chlorothalonil, Fenpropidin, Spi- Baan, 2020). Zudem werden in der Zulassung Auflagen roxamine und Prochloraz dominierten, um knapp 30 % erlassen, welche den Austrag von PSM aus den behan- niedriger lag als 2012. Der Einsatz von Chlorothalonil delten Feldern, und damit den Eintrag in die Oberflä- ist seit dem 1. Januar 2020 verboten. Die Zulassung der chengewässer verringern. Letztendlich ist die Wahl der PSM hat somit einen grossen Einfluss auf das Spektrum eingesetzten Wirkstoffe auch wichtig, weil diese ein der einsetzbaren Wirkstoffe. Dadurch werden die Risi- unterschiedliches Verhalten in der Umwelt und eine ken, u.a. auch für die Oberflächengewässer, stark beein- unterschiedliche Ökotoxizität haben. Diese Faktoren flusst. Fehlen geeignete Alternativen, kann dabei jedoch spielen alle eine wichtige Rolle für das Verständnis der auch der Pflanzenschutz erschwert werden. beobachteten Trends der Risikopotentiale für Oberflä- Auch die Auflagen, die in der PSM-Zulassung zur Re- chengewässer. duktion von Drift und Abschwemmung erlassenen Das Risikopotential für Oberflächengewässer hat bei werden, leisteten einen Beitrag zur Risikominderung, den Herbiziden und den Fungiziden über die Zeit abge- ohne Einschränkung des einsetzbaren Wirkstoffspekt- nommen. Der Einfluss der Auflagen der Zulassung war rums. Durch die Auflagen wurde das Risikopotential für dabei sehr wichtig. Bei den Insektiziden hat das Risiko- Oberflächengewässer bei Herbiziden, Fungiziden und potential, vor allem wegen des Einsatzes der Insektizide Insektiziden beträchtlich verringert. Sowohl die Berech- im Raps, ab dem Jahr 2014 stark zugenommen. Diese nung der Risikopotentiale selbst als auch der Einbezug Zunahme wurde durch die Auflagen der Zulassung je- der Auflagen können aber nicht alle Details berücksich- doch stark gemindert. Für ein besseres Verständnis der tigen. Für die Interpretation der Resultate ist es wichtig Veränderungen der Risikopotentiale ist es notwendig, zu verstehen, dass bezüglich der Berechnung der Effek- die Risikopotentiale für die Wirkstoffgruppen (Herbi- te von Auflagen einige Annahmen getroffen wurden, zide, Fungizide und Insektizide) für die verschiedenen die zu Über- oder Unterschätzungen der Effekte führen Kulturen gesondert zu betrachten. können. Bei der Abschwemmung wurde zum Beispiel Bei den Fungiziden im Winterweizen beispielsweise las- nicht berücksichtigt, dass die Auflagen nur Felder mit sen sich witterungsbedingte Schwankungen im Krank- > 2 % Hangneigung und < 100 m Abstand zum Gewässer heitsdruck und deren Auswirkungen gut erkennen. Im betreffen (BLW, 2020c). Andererseits werden Auflagen Jahr 2012, welches ein feuchtes Jahr war, war sowohl umgesetzt, die sich nicht auf spezifische PSM beziehen, der mengenmässige Einsatz als auch das Risikopotential dann aber auch die Risikopotentiale von PSM ohne Auf- Agrarforschung Schweiz 11: 162–174, 2020 172
Pflanzenschutzmittel im Feldbau: Einsatz und G ewässerrisiken von 2009 bis 2018 | Umwelt lagen reduzieren können (z. B. 6 m bewachsener Puffer- nicht nur im Feldbau, sondern auch bei den Spezialkultu- streifen). Teilweise wurden einzelne Massnahmen auch ren eine repräsentative Datengrundlage vorhanden ist. schon vor dem Erlass von Auflagen in der Zulassung um- Der AP PSM sieht vor, das Risikopotential für Oberflä- gesetzt. Generell würde eine bessere Kenntnis der ef- chengewässer bis 2027 um 50 % gegenüber dem Mittel- fektiven Umsetzung der Auflagen und zusätzlichen risi- wert von 2012 bis 2015 zu reduzieren. In Abbildung 2 komindernden Massnahmen, zum Beispiel via Umfragen sind sowohl der Referenzwert (schwarzer Pfeil) als auch bei den Betrieben oder Kantonen, oder via Luftbildaus- der Zielwert (grauer Pfeil) dargestellt. Nicht nur der wertung helfen, die Wirksamkeit der Risikominderung Rückgang der Einsatzmenge, sondern vor allem die Zu- besser zu beurteilen. nahme an Auflagen ist ein bedeutender Faktor bei der Am Beispiel der Fungizide im Winterweizen wurde ge- Reduktion des Risikopotentials für Oberflächengewäs- zeigt, dass es «Ausreisser»-Betriebe gibt. Bei diesen Be- ser. Unter Berücksichtigung der Abstandsauflagen der trieben lag die eingesetzte Wirkstoffmenge und die Risi- PSM-Zulassung war das Risikopotential der Herbizide im kopotentiale für Oberflächengewässer um ein Vielfaches Jahr 2018 um 28 %, das Risikopotential der Fungizide um höher als die Median-Werte aller analysierten Betriebe 17 % und jenes der Insektizide um 19 % niedriger als der eines Jahres. Grund für die höheren Wirkstoffmengen Referenzwert (Abb. 2, rechts). Die Analysen der Trends der Ausreisser-Betriebe war der Einsatz von Wirkstof- von 2009 bis 2018 zeigen, dass sich die Risikopotentiale fen mit hohen Aufwandmengen pro ha (zum Beispiel schon jetzt reduziert haben. Schwefel). Solche Wirkstoffe sind vergleichsweise wenig Die Risikopotentiale für Oberflächengewässer haben im toxisch für Gewässerorganismen und haben nur einen Vergleich zu reinen Betrachtungen der Mengen (Ver- geringen Einfluss auf das Risikopotential. Der Grund für kauf, Einsatz) einen grossen Mehrwert. Unter anderem die höheren Risikopotentiale der Ausreisser-Betriebe kann der Beitrag von risikomindernden Massnahmen, wird beim vereinzelten Einsatz von eher toxischen Wirk- der Wirkstoffwahl und einer Reduktion im Einsatz stoffen vermutet. Im Winterweizen waren Chlorotha- besser verstanden werden. Mit einer grösseren Diffe- lonil, Prochloraz und Fenpropidin Risiko-dominierend, renzierung der Risikopotentiale, beispielsweise einer wobei Chlorothalonil inzwischen zurückgezogen wurde. separaten Darstellung der Risikopotentiale für Algen, Wir gehen davon aus, dass eine verbesserte Unterstüt- Wasserpflanzen, Krebstiere, Insekten und Fische, oder zung der Betriebe (Aus- und Weiterbildung, Beratung, auch dem Einbezug von terrestrischen Kompartimenten, gezielte Entscheidungshilfen) hinsichtlich des Gebrauchs können die Auswirkungen der PSM auf die Umwelt spe- risikoärmerer Wirkstoffe die Höhe des Risikopotentials zifischer analysiert werden. merklich beeinflussen könnte. Die Entwicklung von al- Die Methode erlaubt es, nicht nur retrospektiv die Ent- ternativen, nicht-chemischen Pflanzenschutzmassnah- wicklungen der Risikopotentiale mit kultur- und stand- men kann einen weiteren wichtigen Beitrag zu Reduk- ortspezifischem Zusatzwissen (z. B. Schaderregerauf- tion des Risikopotentials bieten. treten, Witterung) besser zu verstehen, sondern auch, die Wirkung einzelner Massnahmen im Gesamtkontext Ausblick für die Zukunft besser abschätzen und neue Pflanzen- Die detaillierten Analysen im Feldbau zeigen, dass es schutzstrategien bezüglich der Optimierung des Schut- sehr wichtig ist, genau zu wissen, welche PSM in welcher zes der Umwelt zu beurteilen. n Kultur und in welcher Menge eingesetzt werden. Bei anderen Kulturen fehlen noch zuverlässige Daten zum Einsatz der PSM. Im Rahmen des AP PSM sind verschie- dene Massnahmen in Erarbeitung, um die Erfassung der PSM-Anwendungen zu verbessern. Unter anderem wird ein Verteilschlüssel entwickelt, mit dem Ziel, für jeden Wirkstoff die verkaufte Menge verschiedenen Anwen- dungsgebieten zuweisen zu können und die Relevanz dieser Anwendungsgebiete (sowohl in der Landwirt- schaft als auch ausserhalb) genauer zu kennen. Zudem werden zusätzliche Daten für Gemüse- und Bio-Betriebe erhoben. In Zukunft könnten eine breitere Erfassung, verbesserte Zugänglichkeit und die zunehmende Digi- talisierung in der Landwirtschaft dazu beitragen, dass Agrarforschung Schweiz 11: 162–174, 2020 173
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