Pilze in Westsibirien - eine Kostprobe - Europäischer Pilztag

 
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Pilze in Westsibirien - eine Kostprobe
     von Dr. Norbert Amelang, Potthäger Damm 13, 17498 Helmshagen (n.amelang@web.de)

Der nachfolgende Aufsatz entstand
unter den Eindrücken einer ca. drei-
wöchigen        geoökologisch-boden-
kundlichen Exkursion durch den Sü-
den Westsibiriens von Novosibirsk bis
ins Altaigebirge im August 2002. Be-
obachtungen auf den Märkten, Befra-
gungen unter unseren 12 russischen
Exkursionsbegleitern und eigene Pilz-
kartierungen sowie die Auswertung
mitgebrachter Literatur bilden den
fachlichen Hintergrund der nachfol-
genden Ausführungen. Insbesondere
angeregt durch die Erfahrungen der
Reise soll das Verhältnis der sibiri-
schen Bevölkerung (oft Russen), die
seit Generationen hier leben, zu Pil-
zen beschrieben und dem der deut-
schen gegenübergestellt werden.
Pilzsaison im Novosibirsker Raum
und weiter südlich ist von Juli bis in
den September hinein. Etwas früher
als in Mitteleuropa, weil es danach
durch die kontinentale Lage sehr
schnell kalt wird. Die Hauptzeit ist
der August. Viel unberührte Natur ver-
spricht eine reiche Pilzernte und so ist
es nicht verwunderlich, dass die Pilze
bei der Bevölkerung eine große Rolle
spielen. Sie sind ein willkommener
Zusatz zu den nicht im Übermaß vor-
handenen Lebensmitteln, somit auch
Handelsware und werden auf den
Märkten und am Straßenrand in Mas-
sen angeboten.
Hauptsächlich handelt es sich hier
um den Pfifferling (Cantharellus ciba-
rius, Lisihka nastoåwaå) und den              Getrocknete Steinpilze auf dem Markt von Barnaul
Wolligen Milchling (Lactarius vellere-          Alle Fotos dieser Arbeit von Norbert Amelang
us, Skripica), die in frischem Zustand
verkauft werden. Der ebenfalls gern gegessene Märkten verkauft. Heute ist jedoch eine deutliche
Kahle Krempling (Paxillus involutus, Svinuwka Zunahme des Verkaufs zu verzeichnen. Als Ursa-
tonkaä) war zum Reisezeitpunkt nicht auf dem che werden insbesondere sozio-ökonomische
Markt, allerdings gab es Steinpilze (Boletus edu- Probleme benannt. Durch den Pilzverkauf soll ei-
lis, Belyj grib), vorwiegend in getrockneter Form. ne zusätzliche Einnahmequelle genutzt werden.
Interessant ist die hier vollzogene Entwicklung In den ländlichen Regionen, auch beim Straßen-
der letzten Jahre. Pilze werden seit langem, also verkauf, scheint das relativ problemlos zu sein.
auch schon zu Zeiten der Sowjetmacht, auf den Kritischer ist die Situation auf kleineren Märkten

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Tabelle 1: Vergleich russischer und deutscher Pilzbücher hinsichtlich ihrer Essbarkeitsangaben
(1) aus MONTAG PEROVA, N. W.             CHASKEVITCH, JU.       MICHAEL, HENNIG,            BON (1988):
(1999)           (1993): Flora des       G. (2002): Das         KREISEL (ab1978): Hand-     Pareys Buch
                 Salair Gebirges         große Buch der Pilze   buch für Pilzfreunde (1)    der Pilze (1)
Pilzarten gesamt 449                     144                    1255                        1230
davon essbar [%] 37,4                    75                     43                          15
giftig [%]       3,5                     8,3                    7                           13,3

in den Städten. Hier paart sich die Notlage, aus      z.B. aus Großbritannien, Deutschland und Itali-
der heraus Pilze zum Gelderwerb verkauft wer-         en. Die in ihnen widergespiegelte Pilzflora ist da-
den, häufig mit einer schlechten Pilzkenntnis.        mit typisch für Mitteleuropa, vielleicht noch für
Staatliche Kontrollen fehlen, durchaus mit            Osteuropa. Die sibirischen Besonderheiten, auch
Deutschland zu vergleichen, aber auch die Mög-        hinsichtlich der Speisepilze (z.B. häufige Suillus-
lichkeiten für eine Pilzberatung oder andere Aus-     Arten wie S. plorans, S. sibiricus, S. viscidus, Bo-
kunftsstellen sind nicht vorhanden. Über dadurch      letinus asiaticus u.a.) werden darin nicht berück-
auftretende Vergiftungen ist allerdings nicht be-     sichtigt. Interessant ist in diesem Zusammenhang
richtet worden.                                       die Aussage von PEROVA (1993, S. 9), dass Suil-
                                                      lus viscidus und Boletinus asiaticus von den Ein-
Nach Berichten von erfahrenen Pilzsammlern
                                                      heimischen nicht gesammelt werden, obwohl sie
stammen ihre eigenen Kenntnisse aus überliefer-
                                                      essbar sind und auch nicht selten.
ten Erfahrungen in der Familie. Die Weitergabe
von Wissen innerhalb dieser Gemeinschaft              Welche Pilze werden aber nun gegessen?
scheint ein recht großes Artenspektrum zu umfas-      Einige Arten wurden bereits bei den aufgezähl-
sen. Es werden sehr viele unterschiedliche Arten      ten Marktpilzen erwähnt. Schon hier fällt auf, dass
gesammelt, deutlich mehr als im
Durchschnitt in Deutschland, und
diese können wohl auch alle mit
einem russischen Namen benannt
werden. Das ist insofern erwäh-
nenswert, da Pilzbücher in der Re-
gel nicht benutzt werden und sich
auch selten im persönlichen Besitz
befinden. So benannte eine befrag-
te Person neben ihrer Großmutter
als Informationsquelle noch 2 Pla-
kate (Gift- und Speisepilze) in der
Kinderklinik von Novosibirsk, die
heute allerdings dort nicht mehr
vorhandenen sind.
Pilzbestimmungsbücher recht un-
terschiedlicher Qualität und Ko-
sten (ca. 3 bis 7 Ä) gab es in ver-
schiedenen Buchläden zu kaufen.
Verlegt waren alle diese Bücher im
russischsprechenden Osteuropa
(Moskau, Minsk), unter anderem
auch überarbeitete Billigdrucke

  Der Wollige Milchling (Lactarius
      vellereus), ein typischer
  Marktpilz in Westsibirien, gilt in
    Deutschland allgemein als
            ungenießbar

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darunter uns wohlbekannte Speisepilze sind,           Ergänzung zur Tabelle auf der nächstenSeite:
aber auch solche (Wolliger Milchling, Kahler          (1) in Europa nur noch in Finnland nachgewiesen
Krempling), die in Deutschland nicht unbedingt        (2) tödlich giftig, enthält Amatoxine wie der Grü-
gegessen werden. Die Liste der letztgenannten         ne Knollenblätterpilz
Kategorie, in Russland (CHASKEVITCH 2002,             (3) alle anderen vorkommenden Suillus-Arten
PEROVA 1993) als essbar eingestuft, lässt sich        werden bevorzugt gesammelt, ebenso wie Bole-
fortsetzen:                                           tus- und Leccinum-Arten
Olivbrauner Milchling (Lactarius turpis, Gruqd´       (4) hohe radioaktive Cäsium Gehalte
  olivkogo hernyj),
Birken-Reizker (Lactarius torminosus, Volnu‚ka         (RIEDLINGER 1997). Deutlich wird diese Auftei-
  roqovaä),                                            lung auch, wenn man sich die in der Literatur un-
Rotbrauner Milchling (L. rufus, Gorßku‚ka),            terschiedlich beschriebene Essbarkeit der Pilze in
Flaumiger Milchling (L. pubescens, Belänka),           den beiden Tabellen ansieht.
Stink-Täubling (Russula foetens, Valuj) und viele      Eine Ursache der von Sibirien nach Westen ab-
  andere.                                              nehmenden Mykophilie liegt neben tiefen histo-
                                                       rischen Wurzeln auch in der dort heute noch stär-
Alle diese Arten sind scharf, bitter oder durch an-    keren Naturverbundenheit der Menschen als in
dere Eigenschaften nicht ohne besondere Vorbe-         Mittel- und Westeuropa. Hier steht eine Region
handlung essbar. Obwohl diese Pilze nach ent-          mit Erscheinungen starker Urbanisierung und
sprechender Behandlung sehr schmackhaft sein           Überproduktion von Lebensmitteln einer ande-
können, sind sie in der deutschen Küche kaum           ren gegenüber, wo Wildpflanzen und Pilze noch
oder nur sehr selten zu finden. Diese Erfahrung        eine notwendige, wichtige Ergänzung der
hat sich schon in den 50er Jahren der bekannte         Ernährung darstellen. Damit sind die Begriffe My-
Pionier unter den Ethnomykologen R. GORDON             kophilie und Mykophobie aber auch sozio-öko-
WASSON zunutze gemacht, der die Menschen in            nomisch determiniert.
mykophobe und mykophile Gruppen teilte                 Die bekannte Meinung, dass es in Sibirien weni-

Der Stink-Täubling (Russula foetens) ist ein scharfer Pilz, der nur entsprechend vorbehandelt essbar ist.

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Tabelle 2: Bewertung ausgewählter Pilzarten hinsichtlich ihrer Essbarkeit

Pilzart (lat.)                  dt. Name               Bewertung nach        Bew. n. MICHAEL,       Bewertung
                                                       PEROVA (1993)         HENNIG, KREISEL        nach BON
                                                                             (1983 ff.)             (1988)
Amanita muscaria (L.: Fr.)      Fliegenpilz            giftig                giftig                 giftig
Pers.
Boletinus asiaticus Singer          Asiatischer        essbar, wird aber     (1)                    (1)
                                    Schuppenröhrling   nicht gesammelt
Cantharellus cibarius Fr.:          Pfifferling,       essbar                essbar                 essbar
Fr.                                 Eierschwamm
Cantharellus cinereus Pers.: Grauer Leistling          ungenießbar           essbar                 essbar
Fr.
Cantharellus tubaeformis            Trompeten-         ungenießbar           essbar                 essbar
(Bull.: Fr.) Fr.                    Pfifferling
Clitocybe gibba (Pers.: Fr.) Ockerbrauner              essbar, wird aber     essbar                 essbar
P. Kumm.                            Trichterling       nicht gesammelt
Cortinarius allutus Secr. ex Bereifter                 essbar                geringwertig           -
Fr. (ss. M. Moser, non ss. J.E.Lge) Schleimkopf
Cortinarius caninus (Fr.) Fr. Rostbrauner Dick-        essbar                essbar             ohne Bedeutung
                                    fuß                                                         als Speisepilz
Cortinarius delibutus Fr.           Blaublättriger     essbar                essbar, jedoch ge- essbar
                                    Schleimfuß                               ringwertig
Cortinarius purpurascens            Purpurfleckender   essbar                essbar             nicht empfeh-
(Fr.) Fr.                           Klumpfuss                                                   lenswert
Galerina marginata                  Gift-Häubling      ungenießbar (2)       giftig             giftig
(Batsch) Kühner
Hypholoma sublateritium             Ziegelroter        giftig                bedingt essbar         giftverdächtig
(Fr.) Quél.                         Schwefelkopf
Inocybe calamistrata (Fr.:          Blaufüßiger        giftig                schwach giftig         giftverdächtig
Fr.) Gillet                         Rißpilz
Laccaria laccata (Scop.: Fr.) Roter Lacktrichter-      essbar, wird aber     essbar                 essbar, (4)
Berk. & Broome                      ling               nicht gesammelt
Lactarius torminosus                Birken Milchling   essbar                essbar nach beson-     giftig
(Schaeff.:Fr.) Gray ss.J.E. Lge                                              derer Zubereitung
Lactarius turpis (Weinm.) Olivbrauner                  essbar                essbar nach beson-     ungenießbar
Fr.                                 Milchling                                derer Zubereitung
Lactarius vellereus (Fr.) Fr. Wolliger Milchling,      essbar                ungenießbar, scharf    kaum genieß-
                                    Erdschieber                              gebraten evtl essbar   bar
Lepiota aspera (Pers.: Fr.)         Spitzschuppiger    giftig                ungenießbar            schwach giftig
Quél.                               Schirmling
Paxillus involutus (Batsch: Kahler Krempling           essbar                unverträglich, roh     giftig
Fr.) Fr.                                                                     giftig
Pholiota aurivella (Batsch: Hochthronender             essbar                essbar,                unbekömmlich
Fr.) P. Kumm.                       Schüppling                               minderwertig
Pholiota squarrosa (O.F.            Sparriger          essbar                essbar nach            ungenießbar oder
Müll.: Fr.) P. Kumm.                Schüppling                               Überbrühen             schwach giftig
Pleurotus ostreatus (Jacq.: Austernseitling            essbar, wird aber     essbar                 essbar
Fr.) P. Kumm.                                          nicht gesammelt
Pluteus salicinus (Pers.: Fr.) Graugrüner Dach-        essbar                -                  giftig, halluzi-
P. Kumm.                            pilz                                                        nogen
Russula foetens Fr.                 Stink-Täubling     essbar                essbar nach beson- giftig
                                                                             derer Zubereitung
Suillus flavidus (Fr.: Fr.) Sin- Moor-Röhrling         essbar, wird aber     essbar             -
ger                                                    nicht gesammelt
Suillus luteus (L.: Fr.) Gray Butterpilz               essbar, gern          essbar                 essbar, nicht emp-
                                                       gesammelt                                    fehlenswert
Suillus viscidus (Fr. & Hök)    Grauer                 essbar, wird aber     -                      essbar
Rauschert                                              nicht gesammelt (3)

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nannten Sachverhaltes hinsichtlich des allgemei-     (Amanita muscaria, Muxomor krasnyj) sehr wohl-
nen Verhältnisses zu Pilzen zu sein. Dazu passt      schmeckend und bekömmlich sei. Eine der Be-
die von einem russischen Exkursionsteilnehmer        fragten berichtete sogar glaubhaft, dass sie Teile
gemachte Bemerkung, dass in Westsibirien fast        von jungen Fliegenpilzen roh isst und diese ihr
alle Pilze gegessen, zumindest aber verfüttert       nicht schaden. Sie hat das auch schon anderen im
werden.                                              Freundeskreis gezeigt und dabei Resonanz gefun-
Auch wenn in Deutschland fast jährlich von           den. Ob die mögliche halluzinogene Wirkung
schweren Vergiftungsfällen berichtet wird, wobei     hierbei als Motivation eine Bedeutung hat, war
meist Menschen aus Russland, vielleicht auch         nicht ersichtlich, schien aber nicht vordergründig
aus Sibirien, sich am Grünen Knollenblätterpilz      zu sein.
(Amanita phalloides, Poganka blednaä) vergiften,     Einschränkend sei jedoch darauf verwiesen, dass
unterstreicht das in erster Linie die geringe        das Essen von Fliegenpilzen nicht sonderlich ver-
Hemmschwelle im Umgang mit Pilzen. Nicht zu          breitet ist und doch mehr die Ausnahme bildet.
bestreiten ist allerdings die geringer werdende      Auch gegenüber Kindern, so wurde berichtet,
Häufigkeit des Grünen Knollenblätterpilzes nach      wird der Fliegenpilz, ähnlich wie bei uns, als
Osten, der ja ein typischer Eichenbegleiter ist,     Giftpilz bekannt gemacht. Ob bei Fliegenpilzen
aber, jedoch seltener, auch bei anderen Bäumen       in Sibirien der Anteil giftiger Bestandteile gegenü-
in kontinentaleren Klimaten vorkommen kann.          ber den halluzinogen wirkenden geringer ist als
LEBEDEVA (1949) benennt Funde bis in das Altai-      in Mitteleuropa, wird zwar gelegentlich erwähnt,
Gebiet im Süden Westsibiriens.                       ist aber eine offene Frage und bedarf exakter che-
Die Tabelle 2 zeigt aber auch, dass man nicht        mischer Untersuchungen.
grundsätzlich jeden Pilz sammelt bzw. isst. Es
wird, und das ist auch ein Eindruck aus den Ge-    Interessant sind auch die Unterschiede in der Zu-
sprächen, verantwortungsbewusst auf der Basis      bereitung von Pilzen in Sibirien und bei uns. Ins-
einer relativ guten Pilzkenntnis gehandelt.        besondere die dort verwendeten Konservierungs-
In Sibirien werden keine giftigen Pilze zu Speise- methoden wie das Einsalzen, Silieren (Säuern)
zwecken genutzt, aber die erwähnte Hemm-           oder Marinieren sind in Deutschland nahezu in
schwelle im Umgang mit Pilzen ist hier deutlich    Vergessenheit geraten. Bei uns werden Pilze
geringer als in Deutschland. So ist dort mehrfach  noch getrocknet oder eingefroren, aber sogar das
berichtet worden, dass der nach dem Abkochen       Einwecken ist schon aus der Mode gekommen.
(bis zu 1/2 Stunde) scharf gebratene Fliegenpilz   Bekannt ist, dass bei den oben angeführten Reiz-
                                                                                    kern und Täub-
  Der Fliegenpilz (Amanita muscaria) - ein umstrittener Pilz in vielerlei Hinsicht lingen je nach
                                                                                    Schärfe und Ge-
                                                                                    halt an Bitter-
                                                                                    stoffen eine un-
                                                                                    terschiedlich
                                                                                    lange    Wässe-
                                                                                    rung, manchmal
                                                                                    auch ein Abko-
                                                                                    chen vorgenom-
                                                                                    men wird. Der
                                                                                    uns auf unserer
                                                                                    Reise begleiten-
                                                                                    de     Botaniker
                                                                                    DR. N. LASH-
                                                                                    CHINSKY erläu-
                                                                                    terte für den
                                                                                    Wolligen Milch-
                                                                                    ling zwei unter-
                                                                                    schiedliche Me-
                                                                                    thoden      beim
                                                                                    Einsalzen:

                                                                                         1 (2003) S. 19
1. langsame Methode                                   tuellen Gebrauch des Fliegenpilzes gibt es keine
Die gesäuberten Pilze werden ca. 12 Stunden ge-       Berichte. Der Schamanimus ist insbesondere bei
wässert. Dann wird das Wasser abgepresst, die         den traditionell lebenden Menschen, wie den
Pilze werden gesalzen und gewürzt und in einem        Nomaden, verbreitet. Trotz einer Wiederbele-
Steintopf mit Leinentuch, Holzbrettchen und           bung des Schamanimus in den letzten Jahren ist
Stein abgedeckt. Die Salzlake muss die Pilze voll-    zumindest in der hier bereisten Republik Altai, in
ständig bedecken. Nach ca. 40 Tagen sind die Pil-     der es auch noch eine größere Zahl von Noma-
ze fertig.                                            den gibt, nichts über den Gebrauch von Fliegen-
2. schnelle Methode                                   pilzen bekannt.
Die gesäuberten Pilze werden ca. 20 min. ge-          Anders sieht allerdings die Bedeutung dieses Pil-
kocht. Danach werden sie wie oben beschrieben         zes aus, die er hier in der Medizin spielt. So wird
4-5 Tage in eine Salz- und Würzmischung einge-        der Fliegenpilz laut Aussage einer Heilpraktikerin
legt und können dann gegessen werden.                 aus dem Novosibirsker Raum unter anderem ge-
                                                      gen Krebs, (Schild?)Drüsenerkrankungen und
Auch ohne Wässern, dafür aber scharf gebraten
                                                      Rheuma erfolgreich eingesetzt. Dabei wird der
soll seiner Meinung nach dieser Milchling gut
                                                      Pilz sowohl in frischem Zustand verabreicht, wie
schmecken, wie übrigens auch BEYER (2002)
                                                      auch als alkoholischer Auszug. Hierfür werden 2-
schreibt.
                                                      3 Fliegenpilze in eine Flasche Alkohol gegeben.
Nachzulesen ist über die verschiedenen Konser-
                                                      Nach mehreren Tagen ist dieser Alkohol dann so-
vierungsmethoden neben CHASKEVITCH (2002)
                                                      wohl für innere als auch äußere Anwendungen
unter anderem bei MICHAEL, HENNIG, KREISEL
                                                      nutzbar. Sie selbst hat mit derartigen Behandlun-
(1983, Bd. 1, S. 41-43) und bei GRÖGER (1981,
                                                      gen schwerkranken Menschen schon in kurzer
S. 87-101), also in Deutschland durchaus be-
                                                      Zeit Genesung verschafft. Auf ähnliche Sachver-
kannte Verfahren. Insbesondere sonst un-
                                                      halte in der traditionellen westlichen Medizin
bekömmliche Reizker, die in Massen auf den si-
                                                      verweisen u.a. LELLEY (1997) und MOLITORIS
birischen Märkten angeboten werden, können so
                                                      (2002). Auch die Bemerkung der Heilpraktikerin,
zu bekömmlichen Pilzmahlzeiten verändert wer-
                                                      dass Rentiere bei Verdauungsproblemen Fliegen-
den. Für die Verarbeitung zu Pilzsalaten, aber
                                                      pilze fressen, soll hier erwähnt werden.
auch für andere Zubereitungen sind diese Pilze
hervorragend geeignet. Nach eigenen Erfahrun-         Gut bekannt ist die Wirkung des Schiefen Schil-
gen geht beim oben beschriebenen Einsalzen viel       lerporlings (Inonotus obliquus, Haga) gegen
des ursprünglichen Pilzgeschmacks verloren. In-       Krebserkrankungen. Dieser Pilz ist in den weit
teressanter sind das Silieren oder das Marinieren.    verbreiteten Birkenwäldern der Waldsteppe Sibi-
Sicherlich ist auch die Zeitdauer des Erhitzens der   riens gut zu finden. Im Novosibirsker Raum ist
Pilze hinsichtlich ihrer Bekömmlichkeit von Be-       der Tschagapilz als Pulver im Handel erhältlich,
deutung. Nach KREISEL (mündl. Mitteilung) wer-        in Westrussland hingegen als Flüssigkonzentrat.
den Pilze in Russland in der Regel deutlich länger    In frischer Form kann er in zentimetergroße
geschmort als bei uns. Damit wäre auch erklär-        Stücke zerkleinert zusammen mit Brombeerblät-
bar, warum der bei uns schon lange nicht mehr         tern einige Minuten gekocht werden und ergibt
als Speisepilz geltende Kahle Krempling in Russ-      dann einen wohlschmeckenden Tee.
land noch immer ein beliebter Marktpilz ist. Ver-
                                                      Gefunden wurde im Zentralaltai an Larix sibirica
mutlich werden durch die längere Erhitzung die
                                                      der seltene Laricifomes officinalis (Bitterer Lär-
für die allergischen Überreaktionen verantwortli-
                                                      chen-Baumschwamm), dessen Agaricinsäure
chen Eiweißstoffe so verändert, dass von ihnen
                                                      auch heute in der klassischen Medizin noch ein-
keine gefährliche Wirkung mehr ausgehen kann.
                                                      gesetzt wird (MOLITORIS 2002). Nach LELLEY
Neben der Rolle, welche die Pilze als Nahrung         (1997) gehört er zu den ältesten und meistver-
für die Menschen spielen, ist ihre Bedeutung in       breiteten Heilpilzen außerhalb Ostasiens. Über
der Religion und Medizin bekannt. So wird im          seinen unmittelbaren Einsatz in der sibirischen
Zusammenhang mit dem Schamanimus in Sibiri-           Volksmedizin ist auf der Exkursion nichts bekannt
en immer wieder der Fliegenpilz erwähnt (BAU-         geworden.
ER, KLAPP, ROSENBOHM 2002, RÄTSCH 1998
u.a.). Diese Informationen beziehen sich aber ge-     Schlussbemerkung
nerell auf historische Erfahrungen. Über den ak-      Die Sibirienexkursion führte durch verschieden-

                                     Der Tintling 2 (2003) Seite 20
ste klimatische
und      Vegetati-
onszonen wie
Tundra, Taiga,
Waldsteppe,
Halbwüste und
in die alpine Zo-
ne, alle mit ei-
nem        hohen
Grad an Natür-
lichkeit, durch
die       vorherr-
schend extensi-
ve       Nutzung
kaum geprägt.
Der Pilz-aspekt
in allen Berei-
chen war über-
wältigend und
die     Aufarbei-
tung des mitge-
brachten Mate-
rials wird mich
noch lange an
meine schönste
Pilzwanderung
denken lassen.
Danken möchte
ich den russi-
schen Wissen-              Bitterer Lärchen-Baumschwamm (Laricifomes officinalis), ein Heilpilz
schaftlern    aus
Novosibirsk mit ihren Helfern, die durch hohe LELLEY, J. (1997): Die Heilkraft der Pilze. Gesund
fachliche Kompetenz, hervorragende Logistik durch Mykotherapie. Düsseldorf, München.
und menschliche Wärme dieses Erlebnis ermög- MICHAEL, E., HENNIG, B., KREISEL, H. (1983):
lichten.                                            Handbuch für Pilzfreunde, Band 1, Jena.
                                                    ibid. (1986): Handbuch für Pilzfreunde, Band 2
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Der Fliegenpilz. Traumkult, Märchenzauber, My- klore und Religion. Feddes Repertorium, 113(1-
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burg, Berlin.                                       Pilze (Flora Salairskogo Krä a, Griby). Russische
CHASKEVITCH, JU. G. (2002): Das große Buch Akademie der Wissenschaften, Sibirische Abtei-
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