Pilze in Westsibirien - eine Kostprobe - Europäischer Pilztag
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Pilze in Westsibirien - eine Kostprobe von Dr. Norbert Amelang, Potthäger Damm 13, 17498 Helmshagen (n.amelang@web.de) Der nachfolgende Aufsatz entstand unter den Eindrücken einer ca. drei- wöchigen geoökologisch-boden- kundlichen Exkursion durch den Sü- den Westsibiriens von Novosibirsk bis ins Altaigebirge im August 2002. Be- obachtungen auf den Märkten, Befra- gungen unter unseren 12 russischen Exkursionsbegleitern und eigene Pilz- kartierungen sowie die Auswertung mitgebrachter Literatur bilden den fachlichen Hintergrund der nachfol- genden Ausführungen. Insbesondere angeregt durch die Erfahrungen der Reise soll das Verhältnis der sibiri- schen Bevölkerung (oft Russen), die seit Generationen hier leben, zu Pil- zen beschrieben und dem der deut- schen gegenübergestellt werden. Pilzsaison im Novosibirsker Raum und weiter südlich ist von Juli bis in den September hinein. Etwas früher als in Mitteleuropa, weil es danach durch die kontinentale Lage sehr schnell kalt wird. Die Hauptzeit ist der August. Viel unberührte Natur ver- spricht eine reiche Pilzernte und so ist es nicht verwunderlich, dass die Pilze bei der Bevölkerung eine große Rolle spielen. Sie sind ein willkommener Zusatz zu den nicht im Übermaß vor- handenen Lebensmitteln, somit auch Handelsware und werden auf den Märkten und am Straßenrand in Mas- sen angeboten. Hauptsächlich handelt es sich hier um den Pfifferling (Cantharellus ciba- rius, Lisihka nastoåwaå) und den Getrocknete Steinpilze auf dem Markt von Barnaul Wolligen Milchling (Lactarius vellere- Alle Fotos dieser Arbeit von Norbert Amelang us, Skripica), die in frischem Zustand verkauft werden. Der ebenfalls gern gegessene Märkten verkauft. Heute ist jedoch eine deutliche Kahle Krempling (Paxillus involutus, Svinuwka Zunahme des Verkaufs zu verzeichnen. Als Ursa- tonkaä) war zum Reisezeitpunkt nicht auf dem che werden insbesondere sozio-ökonomische Markt, allerdings gab es Steinpilze (Boletus edu- Probleme benannt. Durch den Pilzverkauf soll ei- lis, Belyj grib), vorwiegend in getrockneter Form. ne zusätzliche Einnahmequelle genutzt werden. Interessant ist die hier vollzogene Entwicklung In den ländlichen Regionen, auch beim Straßen- der letzten Jahre. Pilze werden seit langem, also verkauf, scheint das relativ problemlos zu sein. auch schon zu Zeiten der Sowjetmacht, auf den Kritischer ist die Situation auf kleineren Märkten Der Tintling 2 (2003) Seite 15
Tabelle 1: Vergleich russischer und deutscher Pilzbücher hinsichtlich ihrer Essbarkeitsangaben (1) aus MONTAG PEROVA, N. W. CHASKEVITCH, JU. MICHAEL, HENNIG, BON (1988): (1999) (1993): Flora des G. (2002): Das KREISEL (ab1978): Hand- Pareys Buch Salair Gebirges große Buch der Pilze buch für Pilzfreunde (1) der Pilze (1) Pilzarten gesamt 449 144 1255 1230 davon essbar [%] 37,4 75 43 15 giftig [%] 3,5 8,3 7 13,3 in den Städten. Hier paart sich die Notlage, aus z.B. aus Großbritannien, Deutschland und Itali- der heraus Pilze zum Gelderwerb verkauft wer- en. Die in ihnen widergespiegelte Pilzflora ist da- den, häufig mit einer schlechten Pilzkenntnis. mit typisch für Mitteleuropa, vielleicht noch für Staatliche Kontrollen fehlen, durchaus mit Osteuropa. Die sibirischen Besonderheiten, auch Deutschland zu vergleichen, aber auch die Mög- hinsichtlich der Speisepilze (z.B. häufige Suillus- lichkeiten für eine Pilzberatung oder andere Aus- Arten wie S. plorans, S. sibiricus, S. viscidus, Bo- kunftsstellen sind nicht vorhanden. Über dadurch letinus asiaticus u.a.) werden darin nicht berück- auftretende Vergiftungen ist allerdings nicht be- sichtigt. Interessant ist in diesem Zusammenhang richtet worden. die Aussage von PEROVA (1993, S. 9), dass Suil- lus viscidus und Boletinus asiaticus von den Ein- Nach Berichten von erfahrenen Pilzsammlern heimischen nicht gesammelt werden, obwohl sie stammen ihre eigenen Kenntnisse aus überliefer- essbar sind und auch nicht selten. ten Erfahrungen in der Familie. Die Weitergabe von Wissen innerhalb dieser Gemeinschaft Welche Pilze werden aber nun gegessen? scheint ein recht großes Artenspektrum zu umfas- Einige Arten wurden bereits bei den aufgezähl- sen. Es werden sehr viele unterschiedliche Arten ten Marktpilzen erwähnt. Schon hier fällt auf, dass gesammelt, deutlich mehr als im Durchschnitt in Deutschland, und diese können wohl auch alle mit einem russischen Namen benannt werden. Das ist insofern erwäh- nenswert, da Pilzbücher in der Re- gel nicht benutzt werden und sich auch selten im persönlichen Besitz befinden. So benannte eine befrag- te Person neben ihrer Großmutter als Informationsquelle noch 2 Pla- kate (Gift- und Speisepilze) in der Kinderklinik von Novosibirsk, die heute allerdings dort nicht mehr vorhandenen sind. Pilzbestimmungsbücher recht un- terschiedlicher Qualität und Ko- sten (ca. 3 bis 7 Ä) gab es in ver- schiedenen Buchläden zu kaufen. Verlegt waren alle diese Bücher im russischsprechenden Osteuropa (Moskau, Minsk), unter anderem auch überarbeitete Billigdrucke Der Wollige Milchling (Lactarius vellereus), ein typischer Marktpilz in Westsibirien, gilt in Deutschland allgemein als ungenießbar Der Tintling 2 (2003) Seite 16
darunter uns wohlbekannte Speisepilze sind, Ergänzung zur Tabelle auf der nächstenSeite: aber auch solche (Wolliger Milchling, Kahler (1) in Europa nur noch in Finnland nachgewiesen Krempling), die in Deutschland nicht unbedingt (2) tödlich giftig, enthält Amatoxine wie der Grü- gegessen werden. Die Liste der letztgenannten ne Knollenblätterpilz Kategorie, in Russland (CHASKEVITCH 2002, (3) alle anderen vorkommenden Suillus-Arten PEROVA 1993) als essbar eingestuft, lässt sich werden bevorzugt gesammelt, ebenso wie Bole- fortsetzen: tus- und Leccinum-Arten Olivbrauner Milchling (Lactarius turpis, Gruqd´ (4) hohe radioaktive Cäsium Gehalte olivkogo hernyj), Birken-Reizker (Lactarius torminosus, Volnu‚ka (RIEDLINGER 1997). Deutlich wird diese Auftei- roqovaä), lung auch, wenn man sich die in der Literatur un- Rotbrauner Milchling (L. rufus, Gorßku‚ka), terschiedlich beschriebene Essbarkeit der Pilze in Flaumiger Milchling (L. pubescens, Belänka), den beiden Tabellen ansieht. Stink-Täubling (Russula foetens, Valuj) und viele Eine Ursache der von Sibirien nach Westen ab- andere. nehmenden Mykophilie liegt neben tiefen histo- rischen Wurzeln auch in der dort heute noch stär- Alle diese Arten sind scharf, bitter oder durch an- keren Naturverbundenheit der Menschen als in dere Eigenschaften nicht ohne besondere Vorbe- Mittel- und Westeuropa. Hier steht eine Region handlung essbar. Obwohl diese Pilze nach ent- mit Erscheinungen starker Urbanisierung und sprechender Behandlung sehr schmackhaft sein Überproduktion von Lebensmitteln einer ande- können, sind sie in der deutschen Küche kaum ren gegenüber, wo Wildpflanzen und Pilze noch oder nur sehr selten zu finden. Diese Erfahrung eine notwendige, wichtige Ergänzung der hat sich schon in den 50er Jahren der bekannte Ernährung darstellen. Damit sind die Begriffe My- Pionier unter den Ethnomykologen R. GORDON kophilie und Mykophobie aber auch sozio-öko- WASSON zunutze gemacht, der die Menschen in nomisch determiniert. mykophobe und mykophile Gruppen teilte Die bekannte Meinung, dass es in Sibirien weni- Der Stink-Täubling (Russula foetens) ist ein scharfer Pilz, der nur entsprechend vorbehandelt essbar ist. Der Tintling 2 (2003) Seite 17
Tabelle 2: Bewertung ausgewählter Pilzarten hinsichtlich ihrer Essbarkeit Pilzart (lat.) dt. Name Bewertung nach Bew. n. MICHAEL, Bewertung PEROVA (1993) HENNIG, KREISEL nach BON (1983 ff.) (1988) Amanita muscaria (L.: Fr.) Fliegenpilz giftig giftig giftig Pers. Boletinus asiaticus Singer Asiatischer essbar, wird aber (1) (1) Schuppenröhrling nicht gesammelt Cantharellus cibarius Fr.: Pfifferling, essbar essbar essbar Fr. Eierschwamm Cantharellus cinereus Pers.: Grauer Leistling ungenießbar essbar essbar Fr. Cantharellus tubaeformis Trompeten- ungenießbar essbar essbar (Bull.: Fr.) Fr. Pfifferling Clitocybe gibba (Pers.: Fr.) Ockerbrauner essbar, wird aber essbar essbar P. Kumm. Trichterling nicht gesammelt Cortinarius allutus Secr. ex Bereifter essbar geringwertig - Fr. (ss. M. Moser, non ss. J.E.Lge) Schleimkopf Cortinarius caninus (Fr.) Fr. Rostbrauner Dick- essbar essbar ohne Bedeutung fuß als Speisepilz Cortinarius delibutus Fr. Blaublättriger essbar essbar, jedoch ge- essbar Schleimfuß ringwertig Cortinarius purpurascens Purpurfleckender essbar essbar nicht empfeh- (Fr.) Fr. Klumpfuss lenswert Galerina marginata Gift-Häubling ungenießbar (2) giftig giftig (Batsch) Kühner Hypholoma sublateritium Ziegelroter giftig bedingt essbar giftverdächtig (Fr.) Quél. Schwefelkopf Inocybe calamistrata (Fr.: Blaufüßiger giftig schwach giftig giftverdächtig Fr.) Gillet Rißpilz Laccaria laccata (Scop.: Fr.) Roter Lacktrichter- essbar, wird aber essbar essbar, (4) Berk. & Broome ling nicht gesammelt Lactarius torminosus Birken Milchling essbar essbar nach beson- giftig (Schaeff.:Fr.) Gray ss.J.E. Lge derer Zubereitung Lactarius turpis (Weinm.) Olivbrauner essbar essbar nach beson- ungenießbar Fr. Milchling derer Zubereitung Lactarius vellereus (Fr.) Fr. Wolliger Milchling, essbar ungenießbar, scharf kaum genieß- Erdschieber gebraten evtl essbar bar Lepiota aspera (Pers.: Fr.) Spitzschuppiger giftig ungenießbar schwach giftig Quél. Schirmling Paxillus involutus (Batsch: Kahler Krempling essbar unverträglich, roh giftig Fr.) Fr. giftig Pholiota aurivella (Batsch: Hochthronender essbar essbar, unbekömmlich Fr.) P. Kumm. Schüppling minderwertig Pholiota squarrosa (O.F. Sparriger essbar essbar nach ungenießbar oder Müll.: Fr.) P. Kumm. Schüppling Überbrühen schwach giftig Pleurotus ostreatus (Jacq.: Austernseitling essbar, wird aber essbar essbar Fr.) P. Kumm. nicht gesammelt Pluteus salicinus (Pers.: Fr.) Graugrüner Dach- essbar - giftig, halluzi- P. Kumm. pilz nogen Russula foetens Fr. Stink-Täubling essbar essbar nach beson- giftig derer Zubereitung Suillus flavidus (Fr.: Fr.) Sin- Moor-Röhrling essbar, wird aber essbar - ger nicht gesammelt Suillus luteus (L.: Fr.) Gray Butterpilz essbar, gern essbar essbar, nicht emp- gesammelt fehlenswert Suillus viscidus (Fr. & Hök) Grauer essbar, wird aber - essbar Rauschert nicht gesammelt (3) Der Tintling 2 (2003) Seite 18
nannten Sachverhaltes hinsichtlich des allgemei- (Amanita muscaria, Muxomor krasnyj) sehr wohl- nen Verhältnisses zu Pilzen zu sein. Dazu passt schmeckend und bekömmlich sei. Eine der Be- die von einem russischen Exkursionsteilnehmer fragten berichtete sogar glaubhaft, dass sie Teile gemachte Bemerkung, dass in Westsibirien fast von jungen Fliegenpilzen roh isst und diese ihr alle Pilze gegessen, zumindest aber verfüttert nicht schaden. Sie hat das auch schon anderen im werden. Freundeskreis gezeigt und dabei Resonanz gefun- Auch wenn in Deutschland fast jährlich von den. Ob die mögliche halluzinogene Wirkung schweren Vergiftungsfällen berichtet wird, wobei hierbei als Motivation eine Bedeutung hat, war meist Menschen aus Russland, vielleicht auch nicht ersichtlich, schien aber nicht vordergründig aus Sibirien, sich am Grünen Knollenblätterpilz zu sein. (Amanita phalloides, Poganka blednaä) vergiften, Einschränkend sei jedoch darauf verwiesen, dass unterstreicht das in erster Linie die geringe das Essen von Fliegenpilzen nicht sonderlich ver- Hemmschwelle im Umgang mit Pilzen. Nicht zu breitet ist und doch mehr die Ausnahme bildet. bestreiten ist allerdings die geringer werdende Auch gegenüber Kindern, so wurde berichtet, Häufigkeit des Grünen Knollenblätterpilzes nach wird der Fliegenpilz, ähnlich wie bei uns, als Osten, der ja ein typischer Eichenbegleiter ist, Giftpilz bekannt gemacht. Ob bei Fliegenpilzen aber, jedoch seltener, auch bei anderen Bäumen in Sibirien der Anteil giftiger Bestandteile gegenü- in kontinentaleren Klimaten vorkommen kann. ber den halluzinogen wirkenden geringer ist als LEBEDEVA (1949) benennt Funde bis in das Altai- in Mitteleuropa, wird zwar gelegentlich erwähnt, Gebiet im Süden Westsibiriens. ist aber eine offene Frage und bedarf exakter che- Die Tabelle 2 zeigt aber auch, dass man nicht mischer Untersuchungen. grundsätzlich jeden Pilz sammelt bzw. isst. Es wird, und das ist auch ein Eindruck aus den Ge- Interessant sind auch die Unterschiede in der Zu- sprächen, verantwortungsbewusst auf der Basis bereitung von Pilzen in Sibirien und bei uns. Ins- einer relativ guten Pilzkenntnis gehandelt. besondere die dort verwendeten Konservierungs- In Sibirien werden keine giftigen Pilze zu Speise- methoden wie das Einsalzen, Silieren (Säuern) zwecken genutzt, aber die erwähnte Hemm- oder Marinieren sind in Deutschland nahezu in schwelle im Umgang mit Pilzen ist hier deutlich Vergessenheit geraten. Bei uns werden Pilze geringer als in Deutschland. So ist dort mehrfach noch getrocknet oder eingefroren, aber sogar das berichtet worden, dass der nach dem Abkochen Einwecken ist schon aus der Mode gekommen. (bis zu 1/2 Stunde) scharf gebratene Fliegenpilz Bekannt ist, dass bei den oben angeführten Reiz- kern und Täub- Der Fliegenpilz (Amanita muscaria) - ein umstrittener Pilz in vielerlei Hinsicht lingen je nach Schärfe und Ge- halt an Bitter- stoffen eine un- terschiedlich lange Wässe- rung, manchmal auch ein Abko- chen vorgenom- men wird. Der uns auf unserer Reise begleiten- de Botaniker DR. N. LASH- CHINSKY erläu- terte für den Wolligen Milch- ling zwei unter- schiedliche Me- thoden beim Einsalzen: 1 (2003) S. 19
1. langsame Methode tuellen Gebrauch des Fliegenpilzes gibt es keine Die gesäuberten Pilze werden ca. 12 Stunden ge- Berichte. Der Schamanimus ist insbesondere bei wässert. Dann wird das Wasser abgepresst, die den traditionell lebenden Menschen, wie den Pilze werden gesalzen und gewürzt und in einem Nomaden, verbreitet. Trotz einer Wiederbele- Steintopf mit Leinentuch, Holzbrettchen und bung des Schamanimus in den letzten Jahren ist Stein abgedeckt. Die Salzlake muss die Pilze voll- zumindest in der hier bereisten Republik Altai, in ständig bedecken. Nach ca. 40 Tagen sind die Pil- der es auch noch eine größere Zahl von Noma- ze fertig. den gibt, nichts über den Gebrauch von Fliegen- 2. schnelle Methode pilzen bekannt. Die gesäuberten Pilze werden ca. 20 min. ge- Anders sieht allerdings die Bedeutung dieses Pil- kocht. Danach werden sie wie oben beschrieben zes aus, die er hier in der Medizin spielt. So wird 4-5 Tage in eine Salz- und Würzmischung einge- der Fliegenpilz laut Aussage einer Heilpraktikerin legt und können dann gegessen werden. aus dem Novosibirsker Raum unter anderem ge- gen Krebs, (Schild?)Drüsenerkrankungen und Auch ohne Wässern, dafür aber scharf gebraten Rheuma erfolgreich eingesetzt. Dabei wird der soll seiner Meinung nach dieser Milchling gut Pilz sowohl in frischem Zustand verabreicht, wie schmecken, wie übrigens auch BEYER (2002) auch als alkoholischer Auszug. Hierfür werden 2- schreibt. 3 Fliegenpilze in eine Flasche Alkohol gegeben. Nachzulesen ist über die verschiedenen Konser- Nach mehreren Tagen ist dieser Alkohol dann so- vierungsmethoden neben CHASKEVITCH (2002) wohl für innere als auch äußere Anwendungen unter anderem bei MICHAEL, HENNIG, KREISEL nutzbar. Sie selbst hat mit derartigen Behandlun- (1983, Bd. 1, S. 41-43) und bei GRÖGER (1981, gen schwerkranken Menschen schon in kurzer S. 87-101), also in Deutschland durchaus be- Zeit Genesung verschafft. Auf ähnliche Sachver- kannte Verfahren. Insbesondere sonst un- halte in der traditionellen westlichen Medizin bekömmliche Reizker, die in Massen auf den si- verweisen u.a. LELLEY (1997) und MOLITORIS birischen Märkten angeboten werden, können so (2002). Auch die Bemerkung der Heilpraktikerin, zu bekömmlichen Pilzmahlzeiten verändert wer- dass Rentiere bei Verdauungsproblemen Fliegen- den. Für die Verarbeitung zu Pilzsalaten, aber pilze fressen, soll hier erwähnt werden. auch für andere Zubereitungen sind diese Pilze hervorragend geeignet. Nach eigenen Erfahrun- Gut bekannt ist die Wirkung des Schiefen Schil- gen geht beim oben beschriebenen Einsalzen viel lerporlings (Inonotus obliquus, Haga) gegen des ursprünglichen Pilzgeschmacks verloren. In- Krebserkrankungen. Dieser Pilz ist in den weit teressanter sind das Silieren oder das Marinieren. verbreiteten Birkenwäldern der Waldsteppe Sibi- Sicherlich ist auch die Zeitdauer des Erhitzens der riens gut zu finden. Im Novosibirsker Raum ist Pilze hinsichtlich ihrer Bekömmlichkeit von Be- der Tschagapilz als Pulver im Handel erhältlich, deutung. Nach KREISEL (mündl. Mitteilung) wer- in Westrussland hingegen als Flüssigkonzentrat. den Pilze in Russland in der Regel deutlich länger In frischer Form kann er in zentimetergroße geschmort als bei uns. Damit wäre auch erklär- Stücke zerkleinert zusammen mit Brombeerblät- bar, warum der bei uns schon lange nicht mehr tern einige Minuten gekocht werden und ergibt als Speisepilz geltende Kahle Krempling in Russ- dann einen wohlschmeckenden Tee. land noch immer ein beliebter Marktpilz ist. Ver- Gefunden wurde im Zentralaltai an Larix sibirica mutlich werden durch die längere Erhitzung die der seltene Laricifomes officinalis (Bitterer Lär- für die allergischen Überreaktionen verantwortli- chen-Baumschwamm), dessen Agaricinsäure chen Eiweißstoffe so verändert, dass von ihnen auch heute in der klassischen Medizin noch ein- keine gefährliche Wirkung mehr ausgehen kann. gesetzt wird (MOLITORIS 2002). Nach LELLEY Neben der Rolle, welche die Pilze als Nahrung (1997) gehört er zu den ältesten und meistver- für die Menschen spielen, ist ihre Bedeutung in breiteten Heilpilzen außerhalb Ostasiens. Über der Religion und Medizin bekannt. So wird im seinen unmittelbaren Einsatz in der sibirischen Zusammenhang mit dem Schamanimus in Sibiri- Volksmedizin ist auf der Exkursion nichts bekannt en immer wieder der Fliegenpilz erwähnt (BAU- geworden. ER, KLAPP, ROSENBOHM 2002, RÄTSCH 1998 u.a.). Diese Informationen beziehen sich aber ge- Schlussbemerkung nerell auf historische Erfahrungen. Über den ak- Die Sibirienexkursion führte durch verschieden- Der Tintling 2 (2003) Seite 20
ste klimatische und Vegetati- onszonen wie Tundra, Taiga, Waldsteppe, Halbwüste und in die alpine Zo- ne, alle mit ei- nem hohen Grad an Natür- lichkeit, durch die vorherr- schend extensi- ve Nutzung kaum geprägt. Der Pilz-aspekt in allen Berei- chen war über- wältigend und die Aufarbei- tung des mitge- brachten Mate- rials wird mich noch lange an meine schönste Pilzwanderung denken lassen. Danken möchte ich den russi- schen Wissen- Bitterer Lärchen-Baumschwamm (Laricifomes officinalis), ein Heilpilz schaftlern aus Novosibirsk mit ihren Helfern, die durch hohe LELLEY, J. (1997): Die Heilkraft der Pilze. Gesund fachliche Kompetenz, hervorragende Logistik durch Mykotherapie. Düsseldorf, München. und menschliche Wärme dieses Erlebnis ermög- MICHAEL, E., HENNIG, B., KREISEL, H. (1983): lichten. Handbuch für Pilzfreunde, Band 1, Jena. ibid. (1986): Handbuch für Pilzfreunde, Band 2 Literatur ibid. (1987): Handbuch für Pilzfreunde, Band 3 ANDERSSON, H. (2001): Vergiftung mit Knollen- ibid. (1985): Handbuch für Pilzfreunde, Band 4 blätterpilzen. Tintling, 6(4): 28-32. ibid. (1983): Handbuch für Pilzfreunde, Band 5 BAUER, W., KLAPP, E., ROSENBOHM, A. (2002): MOLITORIS, H. P. (2002): Pilze in Medizin, Fol- Der Fliegenpilz. Traumkult, Märchenzauber, My- klore und Religion. Feddes Repertorium, 113(1- thenrausch. Aarau. 2):165-182. BEYER, H. (2002): Satt und zufrieden mit dem MONTAG, K. (1999): Speisegiftpilze. Tintling, 4 Wolligen Milchling. Tintling, 7(2): 46-47. (4): 18-25. BON, M. (1988): Pareys Buch der Pilze. Ham- PEROVA, N. W. (1993): Flora des Salair Gebirges, burg, Berlin. Pilze (Flora Salairskogo Krä a, Griby). Russische CHASKEVITCH, JU. G. (2002): Das große Buch Akademie der Wissenschaften, Sibirische Abtei- der Pilze (Bol´waä Kniga Gribax). Minsk (russ.). lung, Novosibirsk (russ.). GRÖGER, F. (1981): Pilze und Wildfrüchte selbst- RÄTSCH, C. (1998): Enzyklopädie der psychoak- gesammelt und zubereitet. Leipzig. tiven Pflanzen. Aarau. LEBEDEVA, L. A. (1949): Bestimmungsschlüssel RIEDLINGER, J. T. (Hrsg.) (1997): The sacred von Hutpilzen (Opredelitelß ‚läpohnyx gribov). mushroom seeker. Tributes to R. Gordon Wasson. Moskau, Leningrad (russ.). Rochester, Vermont (engl.). Der Tintling 2 (2003) Seite 21 zurück zum Pilztag
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