PLEA BARGAINING Ein Rechtsvergleich - JKU ePUB

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PLEA BARGAINING
                                        Eingereicht von
                                        Julia Wolfmair

                                        Angefertigt am
                                        Institut für
Ein Rechtsvergleich                     Strafrechtswissenschaften

                                        Beurteiler / Beurteilerin
                                        Mag.a Dr.in Lisa
                                        Schmollmüller

                                        Februar, 2023

Diplomarbeit
zur Erlangung des akademischen Grades
Magistra der Rechtswissenschaften
im Diplomstudium

Rechtswissenschaften

                                        JOHANNES KEPLER
                                        UNIVERSITÄT LINZ
                                        Altenberger Straße 69
                                        4040 Linz, Österreich
                                        www.jku.at
Genderklausel

In dieser Diplomarbeit wird bei Personenbezeichnungen und personenbezogenen
Hauptwörtern aus Gründen der besseren Lesbarkeit das generische Maskulinum
verwendet. Weibliche und anderweitige Geschlechteridentitäten werden dabei
ausdrücklich mitgemeint.

03. Februar 2023                      Julia Wolfmair                          2/59
Abkürzungsverzeichnis

Abs                Absatz

aF                 alte Fassung

AnwBl              Anwaltsblatt

Art                Artikel

bspw               beispielsweise

B-VG               Bundes-Verfassungsgesetz

bzw                beziehungsweise

dh                 das heißt

EGMR               Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte

EMRK               Europäische Menschenrechtskonvention

etc                et cetera

f                  folgend

ff                 fortfolgend

FRCP               Federal Rule of Criminal Procedure

HS                 Halbsatz

iHv                in Höhe von

iSd                im Sinne der/des

iVm                in Verbindung mit

JBl                Juristische Blätter

lit                littera

OGH                Oberster Gerichtshof

ÖJZ                Österreichische Juristen Zeitung

RDG                Richter- und Staatsanwaltschaftsdienstgesetz

Rz                 Randziffer

RZ                 Richterzeitung

S                  Seite

03. Februar 2023                                  Julia Wolfmair   3/59
sog                sogenannt

StA                Staatsanwaltschaft

StGB               Strafgesetzbuch

StGG               Staatsgrundgesetz

StPO               Strafprozessordnung

ua                 unter anderem

vs                 versus

VfGH               Verfassungsgerichtshof

Vgl                Vergleiche

WiJ                Journal der Wirtschaftsstrafrechtlichen Vereinigung

WK                 Wiener Kommentar

Z                  Ziffer

zB                 zum Beispiel

ZfRV               Zeitschrift    für   Europarecht,        Internationales   Privatrecht   und

                   Rechtsvergleichung

ZIS                Zeitschrift für internationale Strafrechtsdogmatik

03. Februar 2023                                    Julia Wolfmair                                4/59
Inhaltsverzeichnis

I.     Einleitung ............................................................................................................................... 9

II.    Überblick amerikanisches Strafverfahren ........................................................................ 11

      A.   Rechtsquellen und Kompetenzen .................................................................................... 11

      B.   Behörden und Gerichte im Strafverfahren........................................................................ 11

      C.   Der Verfahrensablauf im Jury-Trial .................................................................................. 13
           1.      Was ist ein Trial Case/ Wann liegt einer vor? ........................................................... 13
           2.      Das Vorverfahren ...................................................................................................... 14
           3.      Das Trial-Verfahren................................................................................................... 14
                   a)   Anklageeröffnungsverfahren (arraignment) ....................................................................................15

                   b)   Prozessuale Anträge vor dem eigentlichen Gerichtsverfahren .......................................................15

                   c)   Juryverzicht .....................................................................................................................................15

                   d)   Auswahl und Inpflichtnahme der Jury .............................................................................................15

                   e)   Eröffnungserklärungen der Parteien ...............................................................................................16

                   f)   Beweisverfahren .............................................................................................................................16

                   g)   Schlusserklärungen der Parteien ....................................................................................................17

                   h)   Instruktion der Jury..........................................................................................................................17

                   i)   Spruch der Jury (verdict) .................................................................................................................17

                   j)   Aufhebung des Schuldspruchs durch das Gericht /Retrial..............................................................18

                   k)   Verurteilung (sentencing) ................................................................................................................18

III. Prozessabsprachen in Amerika / Plea Bargaining .......................................................... 19

      A.   Allgemeines ...................................................................................................................... 19

      B.   Definition .......................................................................................................................... 20

      C.   Verhandlungsstruktur ....................................................................................................... 21

      D.   Wann kann es zu einem Plea Bargaining kommen?........................................................ 21
           1.      Interesse des Anklägers am Bargaining ................................................................... 21
           2.      Interesse des Verteidigers am Bargaining ................................................................ 22
           3.      Interesse des Richters am Bargaining ...................................................................... 22
           4.      Interesse des Angeklagten am Bargaining ............................................................... 23

      E.   Inhalt des Bargaining........................................................................................................ 23

      F.   Wie wird verhandelt? ........................................................................................................ 24

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1.       Verhandlungen in Ankläger-Verteidiger-Beziehung .................................................. 24
          2.       Verhandlung in Verteidiger-Angeklagten-Beziehung ................................................ 25

     G. Aufgabe des Richters beim Plea Bargaining .................................................................... 26
          1.       Verhandlungen in Richter-Ankläger-Beziehung ........................................................ 26
          2.       Annahme des Guilty Plea ......................................................................................... 27

     H.   Erscheinungsformen ........................................................................................................ 28
          1.       Sentence Bargaining................................................................................................. 28
                   a)    Allgemeines.....................................................................................................................................28

                   b)    Beispiele..........................................................................................................................................28

          2.       Charge Bargaining .................................................................................................... 29
                   a)    Allgemeines.....................................................................................................................................29

                   b)    Beispiele..........................................................................................................................................29

          3.       Count Bargaining ...................................................................................................... 30
                   a)    Allgemeines.....................................................................................................................................30

                   b)    Beispiele..........................................................................................................................................30

          4.       Fact Bargaining ......................................................................................................... 30
          5.       Judge Shopping ........................................................................................................ 31

IV. Kritik und Rechtfertigung ................................................................................................... 32

     A.   Kritik ................................................................................................................................. 32
          1.       Risiko für Fehlurteile ................................................................................................. 33
          2.       Rechtsverzicht .......................................................................................................... 35

     B.   Rechtfertigung .................................................................................................................. 35

V.     Rechtsvergleich mit den Absprachen in Österreich ....................................................... 37

     A.   Allgemeines über Absprachen in Österreich .................................................................... 37
          1.       Zulässigkeit von Absprachen in Österreich............................................................... 37
          2.       Begriff der Absprache in Österreich .......................................................................... 37
          3.       Erscheinungsformen ................................................................................................. 38
          4.       Beteiligte ................................................................................................................... 39
          5.       Konsequenzen bei unzulässigen Absprachen .......................................................... 39
          6.       Versuch der Rechtfertigung von Absprachen ........................................................... 39

     B.   Wesentliche Unterschiede zum Plea Bargaining ............................................................. 40

     C.   Plea Bargaining und die österreichischen Verfahrensgrundsätze.................................... 41
          1.       Grundsatz der materiellen Wahrheit § 3 StPO.......................................................... 41

03. Februar 2023                                                                 Julia Wolfmair                                                                         6/59
a)    Absprachen in Österreich im Lichte des § 3 StPO ..........................................................................42

                   b)    Amerikanische Absprachen im Lichte des § 3 StPO.......................................................................43

          2.       Legalitätsprinzip ........................................................................................................ 43
                   a)    Verfassungsrechtlich normiertes Legalitätsprinzip ..........................................................................43

                   b)    Strafprozessuales Legalitätsprinzip ................................................................................................43

                   c)    Absprachen          in    Österreich        im     Lichte      des      verfassungsrechtlich             normierten         und
                         strafprozessualen Legalitätsprinzips ...............................................................................................44

                   d)    Amerikanische            Absprachen          im     Lichte      des     verfassungsrechtlich             normierten         und
                         strafprozessualen Legalitätsprinzips ...............................................................................................45

          3.       Grundsatz des rechtlichen Gehörs ........................................................................... 45
                   a)    Absprachen in Österreich im Lichte des rechtlichen Gehörs ..........................................................45

                   b)    Amerikanische Absprachen im Lichte des rechtlichen Gehörs .......................................................46

          4.       Recht auf Verteidigung ............................................................................................. 46
                   a)    Absprachen in Österreich im Lichte des § 7 Abs 1 StPO................................................................46

                   b)    Amerikanische Absprachen im Lichte des § 7 Abs 1 StPO ............................................................46

          5.       Nemo-tenetur-Grundsatz .......................................................................................... 47
                   a)    Absprachen in Österreich im Lichte des nemo-tenetur-Grundsatzes .............................................47

                   b)    Amerikanische Absprachen im Lichte des nemo-tenetur-Grundsatzes ..........................................48

          6.       Unschuldsvermutung ................................................................................................ 48
                   a)    Absprachen in Österreich im Lichte der Unschuldsvermutung .......................................................48

                   b)    Amerikanische Absprachen im Lichte der Unschuldsvermutung ....................................................49

          7.       Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter und die
                   Laiengerichtsbarkeit .................................................................................................. 49
                   a)    Absprachen in Österreich im Lichte des gesetzlichen Richters ......................................................49

                   b)    Amerikanische Absprachen im Lichte des gesetzlichen Richters ...................................................50

          8.       Öffentlichkeit und Mündlichkeit ................................................................................. 50
                   a)    Absprachen in Österreich im Lichte des § 12 StPO ........................................................................51

                   b)    Amerikanische Absprachen im Lichte des § 12 StPO.....................................................................51

          9.       Unmittelbarkeitsgrundsatz ........................................................................................ 51
                   a)    Absprachen in Österreich im Lichte des Unmittelbarkeitsgrundsatzes ...........................................52

                   b)    Amerikanische Absprachen im Lichte des Unmittelbarkeitsgrundsatzes ........................................52

          10. Freie Beweiswürdigung und der Zweifelsgrundsatz ................................................. 53
                   a)    Absprachen          in    Österreich         im     Lichte      der     freien     Beweiswürdigung              sowie       des
                         Zweifelsgrundsatzes .......................................................................................................................54

                   b)    Amerikanische            Absprachen          im     Lichte      der     freien     Beweiswürdigung              sowie       des
                         Zweifelsgrundsatzes .......................................................................................................................54

          11. Gleichheitsgrundsatz ................................................................................................ 54

03. Februar 2023                                                              Julia Wolfmair                                                                     7/59
a)   Absprachen in Österreich im Lichte des Gleichheitsgrundsatzes ...................................................54

                   b)   Amerikanische Absprachen im Lichte des Gleichheitsgrundsatzes ................................................55

VI. Conclusio ............................................................................................................................. 56

Literaturverzeichnis ................................................................................................................... 57

03. Februar 2023                                                    Julia Wolfmair                                                       8/59
I. Einleitung

Während in Österreich Prozessabsprachen die Ausnahme von der Regel sind, werden
diese international sehr häufig praktiziert. Dies bedeutet aber nicht, dass Absprachen in
Österreich nicht stattfinden. Vielmehr hat sie der OGH in einem obiter dictum für
unzulässig erklärt. Grund dafür ist, dass Absprachen die österreichischen
Prozessgrundsätze aushöhlen, zumal sie mit den meisten Verfahrensgrundsätzen
unvereinbar sind.1

Einen schönen Kontrast zu der österreichischen Absprachenpraxis bildet die
amerikanische Praxis, denn das sog plea bargaining ist ein wesentlicher und
unverzichtbarer Bestandteil des amerikanischen Strafverfahrens. Etwa 90 – 95% der
Strafverfolgungen in Amerika enden nicht mit einem ordentlichen Verfahren, sondern mit
einem sog guilty plea,2 also einer Erklärung des Angeklagten, in der er sich schuldig im
Sinne der Anklage bekennt. Diese guilty pleas resultieren aber nicht aus einer erhöhten
Geständniswilligkeit der Angeklagten, vielmehr sind sie das Ergebnis der in Amerika
üblichen (außergerichtlichen) Verhandlungen zwischen dem öffentlichen Ankläger und
dem Angeklagten (sog plea bargaining). Kommt es in Folge eines plea bargaining zur
Abgabe eines guilty pleas, erhält der Ankläger ein für ihn günstiges Schuldeingeständnis
des Angeklagten und der Angeklagte bekommt im Gegenzug dafür Zugeständnisse in
verschiedenster Art (Win-Win-Situation).3

Das plea bargaining stellt in den USA zwar die gängige Verfahrenspraxis dar, die
Zulässigkeit derartiger Absprachen ist aber dennoch umstritten. Um einen Vorgeschmack
auf die häufigsten Kritikpunkte zu geben, ist die Missbrauchsanfälligkeit der
Absprachenverhandlung, die in der Regel zwischen Ankläger und Verteidiger des
Angeklagten stattfindet, der umfassende Rechtsverzicht durch den Angeklagten und das
hohe Fehlurteilrisiko zu nennen. Fragen um ein generelles Verbot des plea bargaining
oder bloß einschränkende Bedingungen stehen daher in dauernder Diskussion.4 Der
wesentliche Vorteil des plea bargaining ist, dass das in Amerika sehr aufwendige
Strafverfahren mit Geschworenen verkürzt wird bzw gar nicht erst stattfindet und damit
Ressourcen eingespart werden können, was wiederum zur Folge hat, dass die enorme
Anzahl an Strafsachen überhaupt erledigt werden kann.

Meine Diplomarbeit soll zunächst einen groben Überblick über die Struktur und den Gang
eines amerikanischen Strafverfahrens verschaffen. In der Folge wird das plea bargaining
aufgrund der besonderen Bedeutung im amerikanischen Strafverfahren im Detail erörtert
und die verschiedenen Ausformungen anhand von realen Beispielen plastisch dargestellt.
Weiters werden die Hauptkritikpunkte und die Gründe anhand welcher das plea
bargaining gerechtfertigt wird einander gegenübergestellt.

1
  OGH 24.08.2004, 11 Os 77/04.
2
  Velten in Fuchs/Ratz, WK StPO Nach § 1 Rz 86.
3
  Schmid, Strafverfahren und Strafrecht in den Vereinigten Staaten: Eine Einführung2 (1993), 59.
4
  Schmid, Strafverfahren und Strafrecht in den Vereinigten Staaten2, 59.
03. Februar 2023                                        Julia Wolfmair                             9/59
Im Anschluss werde ich die in Österreich existierende Absprachenpraxis, deren
Zulässigkeit, die gängigen Erscheinungsformen sowie die wesentlichen Unterschiede zum
amerikanischen plea bargaining erläutern. Zumal sich die Kritik in Österreich primär auf
die Unvereinbarkeit der Absprachen mit den österreichischen Verfahrensgrundsätzen
bezieht, sollen diese im Einzelnen kurz und knapp erklärt und deren Verletzung durch die
in Österreich stattfindenden Absprachen aufgezeigt werden. Da das amerikanische
System die meisten der österreichischen Prozessgrundsätze nicht kennt und das
amerikanische plea bargaining oftmals als Vorbild für das österreichische Strafverfahren
betrachtet wird, soll weiters auch auf die Vereinbarkeit der Verfahrensgrundsätze mit
einem amerikanischen (Absprachen)System eingegangen werden.

Am Ende meiner Diplomarbeit werde ich versuchen, eine Antwort auf die Frage zu geben,
ob und inwiefern ein amerikanisches System eines plea bargaining in Österreich
implementierbar wäre.

03. Februar 2023                             Julia Wolfmair                                10/59
II. Überblick amerikanisches Strafverfahren

Im Vergleich mit dem österreichischen Strafverfahren erkennt man, dass der
amerikanische Strafprozess einige Besonderheiten aufweist, die in Österreich nicht
denkbar wären. Zum einen handelt sich um einen Parteiprozess (adversatorisches
Verfahren), was bedeutet, dass den Parteien, also Ankläger, Verteidiger und Angeklagtem
die Durchführung einer Verhandlung sowie die Beweisführung obliegt.5 Der Ankläger ist
zwar zur objektiven Wahrheitserforschung verpflichtet, ihm geht es aber vor allem darum,
eine Verurteilung des Angeklagten zu erzielen. Der Richter hat in einer Hauptverhandlung
darauf zu achten, dass sich die Prozessbeteiligten an die Regeln halten, ihm kann daher
lediglich die Funktion eines Schiedsrichters beigemessen werden. Zudem ist die
Verfahrensbeendigung mittels einem plea of guilty nahezu gang und gäbe.6 In diesem
Kapitel geht es darum, einen Überblick über die Besonderheiten sowie den Gang eines
Strafverfahrens in den USA zu verschaffen.

A. Rechtsquellen und Kompetenzen

Die im Jahr 1787 in Philadelphia errichtete Bundesverfassung ist auch heute noch,
ergänzt durch Verfassungszusätze (Amendments), in Kraft und enthält wesentliche
Bestimmungen für das Strafverfahren auf Bundesebene. Die sogenannte Bill of Rights,
die 1791 eingefügt wurde (Amendments I-X), legt die grundlegenden Freiheitsrechte der
Bürger fest und stellt die bedeutendste Erweiterung der Verfassung dar.7 Jeder
Bundesstaat hat zudem eine eigene Verfassung mit einer für das einzelstaatliche
Strafverfahren relevanten Bill of Rights, welche jedoch in der Regel die Rechte der
Bundesverfassung wiederholen.8

Art III Section 2 der Bundesverfassung sieht vor, dass die Strafsachen im Zusammenhang
mit dem Bundesrecht, also betreffend die Verfassung, Gesetze der USA etc, der
Bundesgerichtsbarkeit obliegen. In den übrigen Angelegenheiten, die in der Regel die
Mehrheit bilden (etwa 95% aller Strafsachen), sind die Einzelstaaten zuständig. Es ist
daher stets zu differenzieren, ob es sich um eine Angelegenheit auf Bundesebene oder
auf Ebene der Einzelstaaten handelt.9

B. Behörden und Gerichte im Strafverfahren

Da das Prozessrecht in den meisten Fällen in die Kompetenz der Einzelstaaten fällt, lässt
sich ableiten, dass die Organisation und Ausgestaltung der Strafverfolgung in den 50

5
  Müller, Probleme um eine gesetzliche Regelung der Absprachen im Strafverfahren, Band 4 (2008), 328;
Reinbacher, Das Strafrechtssystem der USA: Eine Untersuchung zur Strafgewalt im föderativen Staat, Band 5
(2010), 171; Velten in Fuchs/Ratz, WK StPO Nach § 1 Rz 86.
6
  Herrmann in Jung, Der Strafprozess im Spiegel ausländischer Verfahrensordnungen (1989), 134.
7
  Schmid, Strafverfahren und Strafrecht in den Vereinigten Staaten2, 20.
8
  Schmid, Strafverfahren und Strafrecht in den Vereinigten Staaten2, 23.
9
  Schmid, Strafverfahren und Strafrecht in den Vereinigten Staaten2, 20; Kodek, Erfahrungen bei der StA New
York, RZ 1991, 130.
03. Februar 2023                                       Julia Wolfmair                                         11/59
Bundesstaaten sehr unterschiedlich erfolgt. Aus diesem Grund kann hier nur ein grober
Überblick über die Behördenstruktur im Strafverfahren gegeben werden.10

Wie auch im kontinentaleuropäischen Raum, braucht es für die Einleitung eines
Strafverfahrens in den USA, Ermittlungen durch die Polizei. Diese muss einen
Verdächtigen ermitteln und dessen Spuren sicherstellen. Die Polizei sammelt die
Grundlagen für das gerichtliche Verfahren. Üblicherweise wird das Strafverfahren mit der
Verhaftung des Verdächtigen durch die Polizei eröffnet, sie spielt daher bei den
Zwangsmaßnahmen (arrest, search and seizure) eine bedeutsame Rolle.11

Das amerikanische Strafverfahren ist ein Anklageprozess. Im Bereich der
Bundesgerichtsbarkeit üben, die vom Präsidenten ernannten, U.S. Attorneys die
Anklagefunktion in ihren Gerichtsbezirken aus.12 In den Verfahren, die der
einzelstaatlichen Gerichtsbarkeit unterliegen, ist der Ankläger in den meisten Staaten der
auf Bezirksebene tätige und in politischer Wahl gewählte Bezirksanwalt (district
attorney). Zudem verfügt jeder Bundesstaat über einen Generalstaatsanwalt, der die
Spitze der Anklagebehörde bildet. Seine Funktion ist mit einem Justizminister
vergleichbar.13 Die Aufgabe des Anklägers im Strafverfahren ist es, die Schuld des
Angeklagten über jeden vernünftigen Zweifel hinaus (beyond any reasonable doubt) zu
beweisen und damit in möglichst vielen Fällen eine Verurteilung zu erreichen. Der
Ankläger hat einen großen Ermessensspielraum (prosecutorial discretion) was die
Anklageerhebung betrifft. Erfährt der Ankläger von einer Straftat, ist er in seiner
Entscheidung frei, ob er Anklage erhebt oder den Fall einstellt. Grund für dieses weite
Ermessen ist das fehlende Legalitätsprinzip im amerikanischen Recht. Eine Anklage
soll jedoch nur erhoben werden, wenn sie auch im öffentlichen Interesse liegt, was ua
einen hinreichenden Tatverdacht erfordert. Zudem darf die Anklageerhebung nicht in
diskriminierender Weise erfolgen. Das Ermessen des Anklägers ist gesetzlich nicht
geregelt, es fehlen daher auch Möglichkeiten eine Anklage erzwingen zu können. Manche
Staaten sehen allerdings vor, dass die sog grand jury auch ohne Ankläger eine Anklage
formulieren kann, aber dazu später mehr.14

Dem Gerichtsverfahren ist ein sog Vorprüfungsverfahren vorgelagert. Das
Vorprüfungsverfahren schützt die Gerichte vor Überlastung und soll verhindern, dass
Personen aufgrund unberechtigter Anklagen vor Gericht landen. Die Behörden in diesem
Verfahren sind der Magistrat und die grand jury. Magistrate sind neutrale Justizpersonen,
die von den Strafverfolgungsbehörden und Verwaltungsbehörden unabhängig sind. Die
grand jury ist eine Mischung aus Untersuchungs-, Anklage- und Gerichtsbehörde, welche
in der Regel aus 12 bis 23 Mitglieder besteht.15

10
   Schmid, Strafverfahren und Strafrecht in den Vereinigten Staaten2, 35.
11
   Schmid, Strafverfahren und Strafrecht in den Vereinigten Staaten2, 38; Kodek, Erfahrungen bei der StA
New York, RZ 1991, 130.
12
   Schmid, Strafverfahren und Strafrecht in den Vereinigten Staaten2, 39 f; Reinbacher, Das Strafrechtssystem
der USA, 172.
13
    Herrmann in Jung, Der Strafprozess im Spiegel ausländischer Verfahrensordnungen, 136; Schmid,
Strafverfahren und Strafrecht in den Vereinigten Staaten2, 39 f.
14
   Schmid, Strafverfahren und Strafrecht in den Vereinigten Staaten2, 40 ff; Schumann, Der Handel mit
Gerechtigkeit: Funktionsprobleme der Strafjustiz und ihre Lösungen – am Beispiel des amerikanischen plea
bargaining (1977), 96; Herrmann in Jung, Der Strafprozess im Spiegel ausländischer Verfahrensordnungen,
138; Reinbacher, Das Strafrechtssystem der USA, 172.
15
   Schmid, Strafverfahren und Strafrecht in den Vereinigten Staaten2, 42 f.
03. Februar 2023                                        Julia Wolfmair                                          12/59
Auf Bundesebene gibt es für das Gerichtsverfahren in jedem der 50 Bundesstaaten
mindestens ein Bundesbezirksgericht (U.S. District Court), wo in der Regel ein
Einzelrichter entscheidet. Eine Geschworenenbank (jury) ist nur bei einem sog trial case
beizuziehen, der Angeklagte hat aber das Recht, auf die Beiziehung der jury zu
verzichten. Rechtsmittel gegen Urteile der Bundesbezirksgerichte gehen an die sog
Bundesappellationsgerichte (U.S. Courts of Appeals). Der oberste Gerichtshof
(Supreme Court), welcher über Berufungen in Bundessachen und in beschränktem Maße
auch über die Verfassungsmäßigkeit von einzelstaatlichen Urteilen entscheidet, bildet die
Spitze der amerikanischen (Bundes)Justiz.16

Das Gerichtssystem auf einzelstaatlicher Ebene ist etwas komplizierter. Lower courts
bilden mit lokalen Richtern und Gerichten die unterste Schicht der Gerichtshierarchie.
Einzelrichter entscheiden hier über bloß geringfügige Delikte (misdemeanors). Superior
courts entscheiden auf Bezirksebene über schwerere Delikte (ua trial cases mit jury) und
über Berufungen gegen Entscheidungen der lower courts. Urteile der superior courts
können bei, in allen Bundesstaaten vorhandenen, Appellationsgerichten bekämpft
werden.17

C. Der Verfahrensablauf im Jury-Trial

Auch was den Verfahrensablauf angeht, ist es schwer diesen genau zu skizzieren, zumal
die Bundesstaaten unterschiedliche Regeln für unterschiedliche Verfahren vorsehen. Das
häufigste und in den USA wichtigste Verfahren ist das jury trial, weswegen im Folgenden
die grobe Struktur eines solchen trials erläutert werden soll.

1. Was ist ein Trial Case/ Wann liegt einer vor?

Art III Abs 3 der Verfassung der Vereinigten Staaten 1787 sieht vor, dass alle Verbrechen
(...) von Geschworenengerichten zu entscheiden sind. Der 6. Verfassungszusatz
verleiht dem Angeklagten in allen Strafsachen das Recht auf einen Prozess vor einem
unparteiischen Geschworenengericht des Tatortstaates/-bezirkes. Jedoch sind entgegen
der Verfassung, nicht alle Straftaten trial cases, welche die Beiziehung einer jury
erfordern. Geschworene werden vielmehr nur bei schweren Delikten (sog serious
offenses) beigezogen, geringfügige Delikte (petty offenses) werden ohne jury
entschieden.18 Wann ein Geschworenengericht zuständig ist, beurteilt sich nach der für
das Delikt angedrohten Strafe, wobei grundsätzlich auf Bundesebene eine Freiheitsstrafe
von mehr als sechs Monaten ausreichend ist. Liegen die Voraussetzungen für die
Beiziehung einer jury vor, hat der Angeklagte aber das Recht auf das jury-trial zu

16
    Schmid, Strafverfahren und Strafrecht in den Vereinigten Staaten2, 46; Kodek, Erfahrungen bei der StA
New York, RZ 1991, 130.
17
    Schmid, Strafverfahren und Strafrecht in den Vereinigten Staaten2, 47 f; Kodek, Erfahrungen bei der StA
New York, RZ 1991, 130.
18
   Rosenkranz, Die Jury im US-amerikanischen Prozessrecht, ZfRV 2012, 85; Schmid, Strafverfahren und
Strafrecht in den Vereinigten Staaten2, 50 f.
03. Februar 2023                                       Julia Wolfmair                                         13/59
verzichten.19 Die jury-Garantie gilt grundsätzlich auch in einzelstaatlichen Verfahren, die
erforderliche Schwere der Tat ist allerdings unterschiedlich ausgestaltet.20

2. Das Vorverfahren

Voraussetzung für die Durchführung eines Hauptverfahrens vor Gericht ist, dass die
Strafsache im Vorprüfungsverfahren überprüft wurde. Der Ankläger kann daher nicht
sofort Anklage bei Gericht erheben. In der Regel gelangt eine Strafsache zuerst an den
Magistrat. Das Verfahren kann direkt durch eine Strafanzeige aber auch, wie in den
meisten Fällen, durch Verhaftung einer verdächtigen Person eingeleitet werden.21 Der
Magistrat entscheidet über die Entlassung des Beschuldigten gegen Kaution bzw über die
Verhängung der Untersuchungshaft. Der Beschuldigte kann, außer bei minderwichtigen
Delikten, eine Voruntersuchung (preliminary hearing) verlangen, wobei der Magistrat den
Beschuldigten und mögliche Zeugen verhört und dabei feststellt, ob ein ausreichender
Tatverdacht (probable cause) vorliegt, der einen Prozess rechtfertigt. Liegt ein probable
cause vor, überweist der Magistrat den Fall mittels Überweisungsbeschluss zu Gericht,
ansonsten wird die Strafklage der Polizei abgewiesen.22

Weiters ist nach bzw neben der Vorprüfung durch den Magistraten eine Vorprüfung
durch die grand jury möglich. Das grand-jury-Verfahren soll den Beschuldigten vor
unberechtigten Anklagen schützen und einer Überlastung der Gerichte vorbeugen, indem
die Tatsachenbasis der Anklageschrift überprüft wird. Zwingend vorgesehen ist diese
Vorprüfung auf Bundesebene bei Delikten, die mit der Todesstrafe bedroht sind (sog
capital crimes). In den Bundesstaaten gibt es unterschiedliche Voraussetzungen, wann
ein Anspruch auf eine Prüfung durch die grand jury besteht. Nur etwa die Hälfte aller
Bundesstaaten sieht eine Einrichtung wie die grand jury vor. Die Institution der grand jury
wurde stark zurückgedrängt, da ein Überweisungsbeschluss ihrerseits in den meisten
Staaten keine Voraussetzung mehr für eine Anklageerhebung durch den öffentlichen
Ankläger ist. Für einen solchen Überweisungbeschluss zum Gericht bedarf es der
Stimmen von mindestens 12 Geschworenen. Findet keine Vorprüfung durch die grand
jury statt, verfasst der Ankläger eine Anklageschrift, wodurch der Fall ebenso vor Gericht
gelangt.23

3. Das Trial-Verfahren

Im Anschluss an das Vorprüfungsverfahren geht die Strafsache an das zuständige
Gericht. Das Gerichtsverfahren umfasst folgende Stadien:24

19
   Schmid, Strafverfahren und Strafrecht in den Vereinigten Staaten2, 50 f.
20
   Schmid, Strafverfahren und Strafrecht in den Vereinigten Staaten2, 52.
21
   Schumann, Der Handel mit Gerechtigkeit, 86.
22
   Schmid, Strafverfahren und Strafrecht in den Vereinigten Staaten2, 53 f.
23
   Schmid, Strafverfahren und Strafrecht in den Vereinigten Staaten2, 54 ff; Rosenkranz, Die Jury im US-
amerikanischen Prozessrecht, ZfRV 2012, 85.
24
   Schmid, Strafverfahren und Strafrecht in den Vereinigten Staaten2, 57.
03. Februar 2023                                     Julia Wolfmair                                        14/59
a) Anklageeröffnungsverfahren (arraignment)
Nach Einlangen eines Überweisungsbeschlusses oder einer Anklage bei Gericht kommt
es zum Anklageeröffnungsverfahren. Der Angeklagte wird erstmals vor Gericht über den
Gegenstand der Anklage, seine Rechte und Möglichkeiten informiert.25 Der Angeklagte
darf dazu, in Form sog pleas, persönlich und freiwillig Stellung nehmen. Er kann sich
dabei als nicht schuldig (plea of not guilty) bekennen, was zu einem trial führt, in
welchem über die Schuldfrage entschieden wird. Auch ein Schuldbekenntnis, mit der
Folge eines sofortigen Schuldspruchs ist möglich (plea of guilty). Die dritte Möglichkeit ist
die Erklärung „kein Bestreiten“ („nolo contendere“), welche ebenfalls in der Regel zu
einem sofortigen Schuldspruch führt. Für ein nolo contendere ist im Vorhinein aber
grundsätzlich die Zustimmung des Gerichts einzuholen.26

b) Prozessuale Anträge vor dem eigentlichen Gerichtsverfahren
Der Richter hat die Möglichkeit aufgrund eines Antrags einer Partei, vor Beginn des trials,
also noch im Vorstadium, den Überweisungsbeschluss bzw die Anklage zurückzuweisen.
Nicht nur die Verteidigung, sondern auch der Ankläger kann einen solchen Antrag
erheben, wenn er die Beweislage für unzureichend erachtet.27

c) Juryverzicht
Die Möglichkeit eines Juryverzichtes gibt es sowohl auf Bundesebene als auch auf Ebene
der Einzelstaaten. Auf Bundesebene ist ein Verzicht nur mit Zustimmung von Gericht und
Ankläger, schriftlich durch den Angeklagten zulässig. Die Einzelstaaten legen die
Möglichkeiten eines Verzichts auf die jury unterschiedlich fest. In manchen Staaten kann
immer verzichtet werden, in anderen ist ein Verzicht nur bei den capital crimes
ausgeschlossen. Konnte der Angeklagte wirksam auf die jury verzichten, wird das
Verfahren von einem Einzelrichter geführt, der allein über die Schuldfrage entscheidet.28

d) Auswahl und Inpflichtnahme der Jury
Die jury besteht in der Regel aus zwölf Laien, wobei seit 1970 im Bundesstrafverfahren
auch Geschworenenbanken mit mindestens sechs Geschworenen zulässig sind.29 Die
Geschworenen werden aus der Liste der Geschworenen des jeweiligen Gerichtsbezirkes
per Los ermittelt. Die so bestimmten Geschworenen werden hinsichtlich ihrer Eignung
vom zuständigen Richter und den Parteien überprüft, wobei es darum geht im Ergebnis
eine unparteiische und unbeeinflusste jury zu bekommen (sog voir-dire-Verfahren).
Einzelne Geschworene können dabei von ihrem Amt befreit, aber auch von den Parteien
(grundlos) abgelehnt werden.30 Konnte nach dem voir-dire-Verfahren eine jury gebildet

25
   Kodek, Erfahrungen bei der StA New York, RZ 1991, 130.
26
    Schmid, Strafverfahren und Strafrecht in den Vereinigten Staaten2, 58; Müller, Probleme um eine
gesetzliche Regelung der Absprachen im Strafverfahren, 334; Ransiek, Zur Urteilsabsprache im Strafprozess:
ein amerikanischer Fall, ZIS 3/2008,117; Miller/Wright/Turner/Levine, Criminal Procedures: Cases, Statutes
and Executive Materials6 (2019), 987.
27
   Schmid, Strafverfahren und Strafrecht in den Vereinigten Staaten2, 61.
28
   Schmid, Strafverfahren und Strafrecht in den Vereinigten Staaten2, 65; Herrmann in Jung, Der Strafprozess
im Spiegel ausländischer Verfahrensordnungen, 146.
29
   Rosenkranz, Die Jury im US-amerikanischen Prozessrecht, ZfRV 2012, 85.
30
   Schmid, Strafverfahren und Strafrecht in den Vereinigten Staaten2, 66 f; Rosenkranz, Die Jury im US-
amerikanischen Prozessrecht, ZfRV 2012, 86.
03. Februar 2023                                       Julia Wolfmair                                          15/59
werden, werden die Geschworenen vom Gericht vereidigt und über ihre Tätigkeit als
Geschworene, nämlich das Fällen eines Urteils (verdict), aufgeklärt.31

e) Eröffnungserklärungen der Parteien
Das eigentliche trial beginnt mit dem Eröffnungsplädoyer des Anklägers32, wobei er
den Sachverhalt schildert und einen Überblick über die Beweise gibt, mit denen er die
Schuld des Angeklagten belegen will. Im Anschluss kann der Verteidiger darlegen,
weshalb die Beweise des Anklägers aus seiner Sicht nicht für einen Schuldspruch
ausreichen und welche Gegenbeweise er vorbringen wird. Aus taktischen Gründen wird
sich der Verteidiger beim Eröffnungsplädoyer wohl aber meist zurückhalten.33 Hier ist
noch kurz zu erwähnen, dass es in Amerika keine Fälle einer notwendigen
Verteidigung gibt. Auch bei schwersten Verbrechen hat der Angeklagte daher die
Möglichkeit, auf Beiziehung eines Verteidigers zu verzichten, vorausgesetzt er kennt die
Folgen eines solchen Verzichts. In diesem Fall muss sich der Angeklagte selbst
verteidigen, was für einen juristischen Laien nahezu unmöglich ist.34

f)   Beweisverfahren
Im Anschluss an die Eröffnungsplädoyers folgt das Beweisverfahren. Der Ankläger
beginnt mit der Präsentation der Belastungsbeweise. Ein Unterschied zu den
kontinentaleuropäischen Verfahren ist, dass in den USA Belastungszeugen primär vom
Ankläger und nicht vom Richter befragt werden. Der Richter ist zwar zur Befragung
befugt, nimmt aber nur selten von dieser Befugnis Gebrauch, was auf den Grundsatz des
Parteiprozesses zurückzuführen ist.35

Nach Vorlage der Belastungsbeweise hat die Verteidigung die Möglichkeit das Gericht im
Zuge eines Kreuzverhörs davon zu überzeugen, dass die Beweise gegen den
Angeklagten nicht haltbar sind. Ein Kreuzverhör findet unmittelbar nach der
Haupteinvernahme eines Zeugen statt. Anschließend an das Kreuzverhör kann der
Belastungszeuge wieder durch den Ankläger befragt werden, worauf wiederum ein
Kreuzverhör folgen kann usw.36 Der Verteidiger hat in diesem Verfahrensstadium weiters
die Möglichkeit, die Abweisung der Anklage zu beantragen. Gibt das Gericht dem Antrag
statt oder ist es selbst der Überzeugung, dass die Beweislage des Anklägers
unzureichend ist, folgt ein Freispruch.37

Wird der Antrag auf Abweisung der Anklage hingegen abgelehnt38 und ist der Ankläger
mit der Darstellung seiner Sachverhaltshypothese fertig, ist die Verteidigung mit der
Präsentation ihrer Entlastungsbeweise am Zug, worunter auch die eventuelle Aussage
des Angeklagten fällt.39 Die Entlastungszeugen werden zunächst in einem Hauptverhör

31
   Schmid, Strafverfahren und Strafrecht in den Vereinigten Staaten2, 69; Rosenkranz, Die Jury im US-
amerikanischen Prozessrecht, ZfRV 2012, 86.
32
   Herrmann in Jung, Der Strafprozess im Spiegel ausländischer Verfahrensordnungen, 157.
33
   Schmid, Strafverfahren und Strafrecht in den Vereinigten Staaten2, 69 f.
34
   Herrmann in Jung, Der Strafprozess im Spiegel ausländischer Verfahrensordnungen, 144.
35
   Schmid, Strafverfahren und Strafrecht in den Vereinigten Staaten2, 70.
36
   Herrmann in Jung, Der Strafprozess im Spiegel ausländischer Verfahrensordnungen, 152.
37
   Schmid, Strafverfahren und Strafrecht in den Vereinigten Staaten2, 73.
38
   Schmid, Strafverfahren und Strafrecht in den Vereinigten Staaten2, 74.
39
   Herrmann in Jung, Der Strafprozess im Spiegel ausländischer Verfahrensordnungen, 158.
03. Februar 2023                                    Julia Wolfmair                                      16/59
durch den Verteidiger und anschließend in einem Kreuzverhör durch den Ankläger
befragt. Das Kreuzverhör dient demnach immer der Erschütterung von Hypothese bzw
Gegenhypothese.40

g) Schlusserklärungen der Parteien
Nach dem Beweisverfahren folgen die von Anklage und Verteidigung an die
Geschworenen gerichteten Schlussplädoyers, in denen sie darlegen, weshalb sie von
der Schuld bzw Unschuld des Angeklagten überzeugt sind. Auf Bundesebene hat der
Ankläger das erste Wort, ihm folgt der Verteidiger mit seinem Plädoyer, danach kommt
wieder der Ankläger zu Wort. Auf einzelstaatlicher Ebene herrscht hinsichtlich der
Reihenfolge der Schlusserklärungen jedoch Uneinheitlichkeit.41

h) Instruktion der Jury
Die jury entscheidet in der Regel allein über die Schuldfrage. Dafür muss das Gericht
den Geschworenen die erforderlichen Instruktionen erteilen. In vielen Staaten darf sich
der Richter bei diesen Instruktionen nur auf Rechtsfragen, nicht aber auf die Beweislage
und die Tatfrage beziehen. Dem Richter ist es allerdings gestattet, die Beweise
zusammenzufassen und zu kommentieren. Jedoch muss er dabei sicherstellen, dass die
jury nicht an seine Ausführungen gebunden ist. Die Beschränkungen hinsichtlich der
Instruktionen haben zum Ziel, eine richterliche Beeinflussung der jury zu verhindern.42

i)   Spruch der Jury (verdict)
Nach den Instruktionen folgt die geheime Beratung der jury. Wie auch im österreichischen
Prozessrecht vorgesehen, gibt es die Möglichkeit weitere Instruktionen vom Gericht zu
verlangen, wenn es bei der Beratung Unklarheiten gibt.43 Grundsätzlich wird für einen
Schuldspruch bzw Freispruch Einstimmigkeit der jury verlangt. Die Einzelstaaten
begnügen sich jedoch häufig mit einer bloßen Mehrheit.44 Weitere Voraussetzung für
einen Schuldspruch ist, dass die jury in den präsentierten Beweisen Elemente der
vermeintlich begangenen Straftat wiederfindet. Die jury kann den Angeklagten wegen des
angeklagten Delikts freisprechen oder einen Schuldspruch fällen. Befinden die
Geschworenen den Angeklagten für schuldig, unterscheidet man den Schuldspruch iSd
Anklage (guilty on all charges), den teilweisen Schuldspruch iSd Anklage (guilty on some
of the charges) oder den Schuldspruch wegen eines minderschweren Deliktes (guilty of a
lesser offense). In Fällen, in denen dem Angeklagten die Fähigkeit fehlt, das Unrecht
seiner Tat einsehen zu können, kann ihn die jury unschuldig wegen mangelnder
Zurechnungsfähigkeit (not guilty by reason of insanity) erklären. Der Spruch hat stets
schriftlich zu erfolgen und muss sich auf das Angeklagte beschränken.

40
   Herrmann in Jung, Der Strafprozess im Spiegel ausländischer Verfahrensordnungen, 152 f.
41
   Schmid, Strafverfahren und Strafrecht in den Vereinigten Staaten2, 74; Herrmann in Jung, Der Strafprozess
im Spiegel ausländischer Verfahrensordnungen, 138.
42
   Schmid, Strafverfahren und Strafrecht in den Vereinigten Staaten2, 74 f; Rosenkranz, Die Jury im US-
amerikanischen Prozessrecht, ZfRV 2012, 87.
43
   Schmid, Strafverfahren und Strafrecht in den Vereinigten Staaten2, 76 f.
44
   Rosenkranz, Die Jury im US-amerikanischen Prozessrecht, ZfRV 2012, 85.
03. Februar 2023                                       Julia Wolfmair                                          17/59
Kommt es trotz bereits begonnenem Verfahren nicht zu einem Spruch der
Geschworenen, liegt ein sog mistrial vor. Häufigster Grund für ein mistrial ist die
Uneinigkeit der jury, wenn also Einstimmigkeit nicht erzielt werden kann.45 Kommt es zu
keinem Spruch der Geschworenen, hat der Ankläger die Möglichkeit, erneut Anklage zu
erheben, was zu einem neuen Verfahren mit neuen Geschworenen führt. Er kann den
Angeklagten auch gehen lassen. Dies stellt aber keinen Freispruch des Angeklagten dar
und eine erneute Strafverfolgung ist damit nicht ausgeschlossen.46

j)   Aufhebung des Schuldspruchs durch das Gericht /Retrial
Ist der Richter der Auffassung, dass der Schuldspruch der Geschworenen unrichtig ist,
hat er verschiedene Möglichkeiten, um einzugreifen. Er kann den Schuldspruch
beispielsweise ablehnen, wenn damit seiner Ansicht nach das Recht verletzt werden
würde. Folge ist eine erneute Beratung der jury. Fand im Verfahren ein plea bargaining
(siehe später) statt und kam es in der Folge zu einem Schuldspruch der jury, so sehen
manche Prozessordnungen vor der gerichtlichen Verurteilung (sentencing) die Möglichkeit
eines Rückzugs des guilty pleas vor. Der Schuldspruch wird sodann vom Gericht
aufgehoben.47

Ähnlich dem österreichischen Verfahrensrecht, sehen manche Prozessordnungen der
Bundesstaaten die Anordnung eines new trials bei Hervorkommen neuer Beweismittel
nach dem jury verdict bzw nach dem gesamten trial vor (sog retrial). Wird ein neues
Verfahren angeordnet, gelangt der Fall vor eine neue jury.48

k) Verurteilung (sentencing)
Nach einem Schuldspruch durch die jury gelangt das Verfahren in ein neues Stadium, in
welchem sich das Gericht (üblicherweise allein) mit der zu verhängenden Strafe
beschäftigt.49 Da sich bis zu diesem Zeitpunkt das Verfahren nur mit der Schuld bzw
Unschuld des Angeklagten befasst hat, kommt es vor der Verurteilung durch das Gericht
erneut zu einer Befragung des Angeklagten (sentence hearing). Wie diese Befragung im
Genauen ausgestaltet ist, ist in den Bundesstaaten unterschiedlich geregelt.50

45
   Schmid, Strafverfahren und Strafrecht in den Vereinigten Staaten2, 76 f.
46
    Lawteryx, What Causes a Mistrial & What Happens Next? https://www.lawteryx.com/knowledge-
center/criminal-law/what-causes-mistrial/ (28.12.2022).
47
   Schmid, Strafverfahren und Strafrecht in den Vereinigten Staaten2, 77 f.
48
   Rosenkranz, Die Jury im US-amerikanischen Prozessrecht, ZfRV 2012, 89; Schmid, Strafverfahren und
Strafrecht in den Vereinigten Staaten2, 77 f.
49
   Rosenkranz, Die Jury im US-amerikanischen Prozessrecht, ZfRV 2012, 86.
50
   Schmid, Strafverfahren und Strafrecht in den Vereinigten Staaten2, 79 f.
03. Februar 2023                                   Julia Wolfmair                                      18/59
III. Prozessabsprachen in Amerika / Plea Bargaining

Dieses eben skizzierte Verfahren kommt allerdings nur in Ausnahmefällen zur
Anwendung. Grund dafür ist die enorme Anzahl an Strafsachen, die das amerikanische
Rechtssystem konfrontiert und überfordert. Abhilfe gegen diese regelrechte Verfahrensflut
verschaffen guilty pleas, die das Ergebnis des sog plea bargaining darstellen.51 Das
plea bargaining wird in der Folge im Detail erläutert.

A. Allgemeines

Eine Hauptverhandlung ist in den USA mehr die Ausnahme als die Regel. Nur etwa 2 –
5% aller Strafsachen werden in einem jury trial erledigt, die restlichen Fälle werden
eingestellt oder mit einem guilty plea beendet.52 Es wird vermutet, dass es in ca. 90% der
Strafverfolgungen in den USA zu einem plea bargaining kommt.53 Wie häufig das
bargaining tatsächlich stattfindet, kann allerdings nicht genau gesagt werden, die
Prozentzahl ergibt sich lediglich daraus, wie häufig ein Schuldbekenntnis abgegeben wird,
unabhängig davon, ob dem Verhandlungen vorangegangen sind oder sich der Angeklagte
von sich aus geständig zeigt (on the nose).54 Zu beachten ist weiters, dass die Häufigkeit
des plea bargaining auch von Bundesstaat zu Bundesstaat verschieden sein kann. Im
Staat New York kommt es im Durchschnitt in 96% aller Straffälle zu einem plea
bargaining, in Pennsylvania sind es nur etwa 67%. Grund dafür sind ua die prozessualen
Verschiedenheiten in den Bundesstaaten.55 Hintergrund der enormen praktischen
Relevanz des plea bargaining ist der Entfall eines sehr aufwendigen und zeitintensiven
jury trials für den Fall, dass der Angeklagte ein plea of guilty abgibt.

Grundlage für die Entwicklung des plea bargaining ist der in Amerika vorgesehene
Parteiprozess (das adversatorische Verfahren). Das bargaining fand anfangs nur informell
statt, wurde aber nach und nach durch höchstgerichtliche Rechtsprechung legalisiert.
In der Entscheidung Santobello gegen New York qualifizierte der U.S. Supreme Court das
plea bargaining sogar als essenziellen und äußerst wünschenswerten Bestandteil des
Strafprozesses.56 Die Hauptbeteiligten am Verhandlungsprozess sind auf der einen Seite
der Ankläger und auf der anderen Seite der Angeklagte bzw sein Verteidiger. Dem
Gericht ist grundsätzlich die Beteiligung an den Absprachen untersagt, seine Aufgabe
beschränkt sich dabei auf die Kontrolle und Annahme des Schuldbekenntnisses des
Angeklagten.57

51
   Ransiek, Zur Urteilsabsprache im Strafprozess, 118.
52
   Kodek, Erfahrungen bei der StA New York, RZ 1991, 130.
53
   Schmid, Strafverfahren und Strafrecht in den Vereinigten Staaten2, 59; Hermann in Jung, Der Strafprozess
im Spiegel ausländischer Verfahrensordnungen, 148; Müller, Probleme um eine gesetzliche Regelung der
Absprachen im Strafverfahren, 334; Velten in Fuchs/Ratz, WK StPO Nach § 1, Rz 86;
Miller/Wright/Turner/Levine, Criminal Procedures6, 979.
54
   Schumann, Der Handel mit Gerechtigkeit, 79.
55
   Schumann, Der Handel mit Gerechtigkeit, 82.
56
   Santobello vs New York, 404 U.S. 257 (1971).
57
   Velten in Fuchs/Ratz, WK StPO Nach § 1, Rz 86; Miller/Wright/Turner/Levine, Criminal Procedures6, 987.
03. Februar 2023                                       Julia Wolfmair                                         19/59
B. Definition

Unter plea bargaining versteht man ganz allgemein die Vereinbarung zwischen Ankläger
und Angeklagtem, nach der sich der Angeklagte bezüglich des angeklagten oder eines
anderen Delikts geständig zeigt und im Gegenzug dafür Zugeständnisse seitens des
Anklägers erhält. Es handelt sich um eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten, denn für
den Angeklagten reduziert sich das Strafübel und der Ankläger erspart sich
Arbeitsaufwand sowie Zeit und erhält dennoch ein Schuldeingeständnis des
Angeklagten.58 Zu beachten ist, dass das plea bargaining ganz unterschiedliche
Ausformungen haben kann, was vom jeweiligen Bundesstaat, Gerichtsbezirk, Gericht und
sogar Einzelfall abhängig ist. Verhandlungspartner muss daher nicht zwingend der
Ankläger sein, auch ein Richter kann in manchen Staaten grundsätzlich Verhandlung
führen. In vielen Fällen verhandelt der Ankläger auch nicht mit dem Angeklagten selbst,
sondern mit dessen Verteidiger. Für das Schuldeingeständnis kann der Angeklagte
beispielsweise ein umfassendes Geständnis ablegen, es genügt aber auch sich schlicht
und einfach schuldig zu bekennen (guilty plea). Auch die Zugeständnisse seitens des
Anklägers können unterschiedlich ausgestaltet sein, der Ankläger kann zum Beispiel eine
geringere Strafe empfehlen bzw versprechen oder auch den der Anklage
zugrundeliegenden Straftatbestand verändern und damit die Anklage nachträglich
modifizieren. Die verschiedenen Ausformungen des bargainings werden später im Detail
erläutert.59

Der Wesenscharakter des plea bargaining liegt darin, dass dem Angeklagten oder dessen
Verteidiger ein Angebot der Milde gemacht wird für den Fall, dass sich der Angeklagte
kooperativ zeigt. Das Schuldeingeständnis erfolgt somit aufgrund eines Angebots. Der
Angeklagte muss aber nicht auf das Angebot eingehen. Auch gescheiterte
Verhandlungen, die in der Folge zu einem trial führen, sind unter das plea bargaining zu
subsumieren.60 Grund dafür ist, dass unter dem plea bargaining sämtliche Verhandlungen
über das Verfahrensergebnis, zu verstehen sind (auch wenn sie zu keinem guilty plea
führen). Dies zeigt, dass sich die allgemeine Definition des plea barganing auf zahlreiche
Verfahrensabläufe erstreckt und Fälle erfasst, die man im ersten Moment nicht als plea
agreement qualifizieren würde.61

Das     plea    bargaining    findet   meistens     bereits    im     Stadium    des
Anklageeröffnungsverfahrens statt. Absprachen können aber auch noch im späteren
Verfahren erfolgen. Grund für den (oftmals) frühen Zeitpunkt ist, dass das aufwendige
Hauptverfahren mit jury auf ein kurzes Strafzumessungsverfahren reduziert werden
kann.62

58
   Schumann, Der Handel mit Gerechtigkeit, 76 f; Schmid, Strafverfahren und Strafrecht in den Vereinigten
Staaten2, 59; Ransiek, Zur Urteilsabsprache im Strafprozess, 117.
59
   Schumann, Der Handel mit Gerechtigkeit, 77 f.
60
   Schumann, Der Handel mit Gerechtigkeit, 77 f.
61
   Schumann, Der Handel mit Gerechtigkeit, 78 f.
62
   Müller, Probleme um eine gesetzliche Regelung der Absprachen im Strafverfahren, 334.
03. Februar 2023                                      Julia Wolfmair                                        20/59
C. Verhandlungsstruktur

Beim plea bargaining gibt es vier Beteiligte: den Angeklagten, seinen Verteidiger, den
Ankläger und den Richter. Wer die konkreten Verhandlungspartner beim plea bargaining
sind, hängt davon ab, ob der Anklage ein Verbrechen oder Vergehen zugrunde liegt. Bei
einem Verbrechen verhandelt der Ankläger auf erster Ebene in der Regel mit dem
Verteidiger des Angeklagten. Auf zweiter Ebene wird zwischen Verteidiger und
Angeklagtem verhandelt und auf dritter Ebene, sofern es sich um ein sentence bargaining
handelt, zwischen Ankläger und Richter.

Bei einem Vergehen, also einem Delikt für dessen Begehung keine beträchtliche
Freiheitsstrafe angedroht ist, finden Verhandlungen üblicherweise direkt zwischen
Ankläger und Angeklagtem statt, wobei sich aus der Rechtsprechung des Supreme
Courts eine Präferenz für die Zwischenschaltung des Verteidigers erkennen lässt, sofern
einer vorhanden ist. Auf zweiter Verhandlungsebene wird wiederum nur bei einem
sentence bargaining zwischen Ankläger und Richter verhandelt.63

D. Wann kann es zu einem Plea Bargaining kommen?

1. Interesse des Anklägers am Bargaining

Grundsätzlich kommt ein plea bargaining in den USA auch bei den schwersten
Verbrechen in Betracht, dafür braucht es aber die Bereitschaft der an den Verhandlungen
Beteiligten.64

Die Straffälle werden aus Sicht des Anklägers in drei Gruppen unterteilt: 1.) Fälle, die für
ein plea bargaining völlig ungeeignet sind, 2.) Fälle, die sehr wahrscheinlich mit einer
Verurteilung enden und 3.) sonstige Fälle. Typ 1 umfasst Fälle, an denen ein sehr
großes öffentliches Interesse besteht, die außergewöhnlich oder besonders grausam
begangen wurden. Hier finden nur selten Verhandlungen statt. Zum Typ 2 gehören Fälle
mit einfacher Beweislage, die eine Verurteilung des Angeklagten nahelegen. Auch in
dieser Gruppe wird der Ankläger nur selten Interesse an einem plea bargaining haben,
ihm fehlt es an einer Gegenleistung, da er eine Verurteilung auch ohne bargaining
erreichen kann. Typ 3 erfasst die breite Masse der Strafsachen, insbesondere Fälle mit
schlechter Beweislage, illegal beschafften Beweisen sowie aufwendige und aussichtslose
Fälle.65

Ziel des Anklägers ist es stets, ein Verfahren so schnell wie möglich mit einem
Schuldspruch zu beenden. Da in Fällen des Typ 1 und 2 eine Verurteilung in der Regel
naheliegt, hat ein Ankläger nur in Fällen des Typ 3 ein Interesse am plea bargaining.
Insbesondere bei einem Beweisnotstand ist das plea bargaining ein taugliches Mittel, um
dennoch einen Schuldspruch zu erreichen. Typ-3-Fälle sind daher die Art von Fällen, bei

63
   Schumann, Der Handel mit Gerechtigkeit, 85.
64
   Velten in Fuchs/Ratz, WK StPO Nach § 1, Rz 86; Hermann in Jung, Der Strafprozess im Spiegel
ausländischer Verfahrensordnungen, 148.
65
   Schumann, Der Handel mit Gerechtigkeit, 98.
03. Februar 2023                                Julia Wolfmair                                   21/59
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