Plötzlicher Herztod beim Sport - Deutsche Herzstiftung

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Plötzlicher Herztod beim Sport - Deutsche Herzstiftung
Plötzlicher Herztod beim Sport
     Prof. Dr. med. Jürgen Scharhag, Abteilung für Sportmedizin, Leistungsphysiologie und
                  Prävention, Institut für Sportwissenschaft, Universität Wien
         Dr. med. Philipp Bohm, Universitäres Herzzentrum, Universitätsspital Zürich

Sport und körperliche Aktivität sind gesund. Re-     körperlich aktive Menschen länger leben, ist
gelmäßig betrieben wird zum Beispiel das Auf-        auch auf die verringerte Sterblichkeit an Herz-
treten von Krebs- oder Herz-Kreislauf-Erkran-        Kreislauf-Erkrankungen im Alter zwischen
kungen verringert. Bereits mäßige körperliche        50 und 70 Jahren zurückzuführen.
Aktivität zeigt positive Effekte. So konnte in ei-   Für Patienten mit koronarer Herzkrankheit
ner wissenschaftlichen Studie an über 415 000        oder mit Herzschwäche ist regelmäßiges Aus-
Männern und Frauen in Taiwan gezeigt wer-            dauertraining (z. B. Gehen, Walken, Radfahren,
den, dass tägliche mäßige körperliche Akti-          Joggen) ein wesentlicher Teil der Therapie,
vität von 20 Minuten die Gesamtsterblichkeit         wobei allerdings der Kardiologe bzw. Sport-
über einen Zeitraum von 8 Jahren um ca. 10 %         kardiologe vorgeben muss, wie sehr sich der
gesenkt hat, bei gleicher Dauer, aber höherer        Patient belasten darf.
Intensität sogar um 30 %. Ehemalige Leistungs-       Andererseits wird immer wieder auch über
sportler, insbesondere Ausdauersportler, leben       dramatische Herztodesfälle beim Sport berich-
im Durchschnitt länger als Nichtsportler. Dass       tet. Dass intensive, erschöpfende körperliche

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Plötzlicher Herztod beim Sport - Deutsche Herzstiftung
Belastungen zum Tod führen können, zeigt           und mehr ältere Personen in Sportvereinen ak-
die Legende des antiken Marathonlaufs, als der     tiv werden.
Bote Pheidippides, der etwa 40 km gerannt war,     Weltweit sind Männer deutlich häufiger be-
um auf dem Athener Marktplatz den Sieg über        troffen als Frauen. Nach Daten des deutschen
die Perser zu verkünden, zusammenbrach. Ein        Registers zum plötzlichen Herztod beim
bekannter Todesfall der heutigen Zeit ist der      Sport (Sudden Cardiac Death Register, SCD-
des 28-jährigen kamerunischen Fußball-Natio-       Deutschland: www.scd-deutschland.de) sind
nalspielers Marc-Vivien Foé, der 2003 während      96 % der betroffenen Sportler Männer. Hinsicht-
des Halbfinale-Länderspiels beim Confedera­        lich der Ursache ist zu unterscheiden zwischen
tions Cup in Frankreich vor laufenden Kameras      Sportlern und Sportlerinnen unter 35 Jahren
einen plötzlichen Herztod starb.                   und darüber.
                                                   Bei Sportlerinnen und Sportlern unter 35 Jah-
  Ursachen des plötzlichen Herztods                ren sind die häufigsten Ursachen eines plötz-
                                                   lichen Herztods beim Sport Erkrankungen des
             beim Sport                            Herzmuskels, der Herzklappen, der Haupt-
Über den plötzlichen Herztod beim Sport wur-       schlagader (Aorta) oder der Herzkranzgefäße.
de in den letzten Jahren viel geforscht, sodass    Veränderungen im Erbgut können zu einer
neue Erkenntnisse über Häufigkeit, Ursachen        krankhaften Herzmuskelverdickung (Hyper­
und Vorbeugung gewonnen werden konnten.            trophe Cardiomyopathie, s. S. 26ff.) oder Um­
Je nach Studie liegt die Häufigkeit des plötzli-   bau­prozessen der rechten Herzkammer
chen Herztods beim Sport zwischen 0,7 und          (Arrhythmogene rechtsventrikuläre Cardio­
3,0 Todesfällen pro 100 000 Sporttreibenden        myo­pathie, s. S. 30f.) führen. Sie können wäh-
pro Jahr. In Zukunft könnte die Häufigkeit des     rend des Sports durch die hohe Belastung,
plötzlichen Herztods zunehmen, wenn mehr           hohe Herzfrequenz sowie den erhöhten Sauer­

                                                                      Bedrohliche Herzrhythmusstörungen 2019   73
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Zahl an SPHT

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                     Abb. 1: Verteilung der mit Sport verbundenen Herztodesfälle (SPHT)
                     in Deutschland nach verschiedenen Sportarten (Registerdaten SCD-
                     Deutschland 2012–2014)

 stoffbedarf des Herzens lebensbedrohliche                         Syndrom) oder elektrischen Herzerkrankun-
 Herzrhythmusstörungen auslösen. Herzklap-                         gen (z. B. Brugada-Syndrom, Long-QT-Syn­
 penerkrankungen verursachen durch einen                           drom, s. S. 46ff.) ein erhöhtes Risiko für einen
 unzureichenden Klappenschluss (Herzklap­                          plötzlichen Herztod beim Sport.
 peninsuffizienz) mit ständigem Rückfluss des                      Eine weitere bedeutsame Ursache des plötz-
 Bluts in das Herz oder durch eine unzureichen-                    lichen Herztods des jungen, aber auch des äl-
 de Klappenöffnung (Herzklappenstenose)                            teren Sportlers ist die Herzmuskelentzündung
 krankhaft erhöhten Druck im Herzen. Beim                          (Myokarditis, s. S. 12). Eine Myokarditis kann
 Sport können wegen der Unterversorgung des                        bereits bei banalen Infekten als Begleiterkran-
 Herzmuskels mit Sauerstoff lebensbedrohliche                      kung auftreten, ohne dass in Ruhe Herzbe-
 Herzrhythmusstörungen auftreten. Das kann                         schwerden gespürt werden. Entzündliche Ver-
 auch der Fall sein bei falsch bzw. krankhaft an-                  änderungen des Herzmuskels bei Myokarditis
 gelegten Herzkranzgefäßen (Koronaranoma­                          können eine elektrische Instabilität der be-
 lien, Myokardbrücken).                                            troffenen Herzmuskelzellen mit sich bringen,
 Aber auch bei einem gesunden Herzmuskel                           die bei höherer Belastung des Herzens eine
 besteht bei angeborenen Erkrankungen des                          lebensbedrohliche Herzrhythmusstörung aus-
 Reizleitungssystems des Herzens (z. B. WPW-                       lösen kann.

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Interessant ist, dass in der Registerstudie
zum plötzlichen Herztod beim Sport (SCD-                            5
Deutschland, Bohm, Ph. et al.: Data from a                          0
38 % ungeklärt
                                                       29 % KHK
                                                       15 % Verdacht auf KHK
                                                       8%    Myokarditis
                                                       3%    Cardiomyopathien
                                                       3 %	nicht geklärter plötzlicher Tod
                                                            (trotz Autopsie)
                                                       1%    Ionenkanalerkrankung
                                                       2%    Koronaranomalie
                                                       1%    andere (nicht kardial)

                                                   Abb. 3A: Ursachen von mit Sport verbundenen plötz­
                                                   lichen Herztodesfällen in Deutschland (144 Fälle)
                                                   und 3B: bei Sportlern im Alter von maximal 35 Jahren
                                                   (37 Fälle), s. S. 77

Oft werden Ergebnisse, die an ambitionierten         werden. So konnte in Italien durch die Einfüh-
und/oder älteren Hobbysportlern gewonnen             rung einer ab 1982 gesetzlich verpflichtenden,
werden, auf Hochleistungssportler übertra-           jährlichen Sporttauglichkeitsuntersuchung für
gen. Umgekehrt ist es schwierig, von Hoch-           Wettkampfsportler aller Klassen und Diszi­
leistungssportlern Rückschlüsse auf den Brei-        plinen die Häufigkeit des plötzlichen Herztods
ten- und Gesundheitssport zu ziehen. Anhand          beim Sport über mehr als zwei Jahrzehnte kon-
der wissenschaftlichen Studien ist festzuhalten,     tinuierlich gesenkt werden: von 3,6 auf 0,4 To-
dass Marathon oder Ultra-Ausdauerwettkämp-           desfälle pro 100 000 Sporttreibende und Jahr.
fe eine hohe Belastung für Herz und Kreislauf        In Deutschland gibt es zwar keine gesetzlich
darstellen. Deshalb sollten nur Sportler an den      verpflichtende Sporttauglichkeitsuntersuchung
Start gehen, deren Herzgesundheit ärztlich           für Wettkampfsportler. Doch besteht seit 1970
nachgewiesen ist.                                    über den ehemaligen Deutschen Sportbund
Man kann davon ausgehen, dass der gut trai-          (DSB) und jetzigen Deutschen Olympischen
nierte und gesunde Ausdauersportler sein Herz        Sportbund (DOSB) sowie über die Lan-
akut nicht schädigt. Liegen jedoch Herz-Kreis-       dessportbünde ein ebenfalls bewährtes Un-
lauf-Erkrankungen vor, ist das Risiko für eine       tersuchungssystem für Leistungssportler auf
akute Herzschädigung oder gar einen plötzli-         Kaderebene: in der Regel körperliche Untersu-
chen Herztod deutlich erhöht.                        chung, Ruhe-EKG, Belastungs-EKG, Echokar-
                                                     diographie, Labor- und gegebenenfalls weitere
                     Vorbeugung                      Untersuchungen.
                                                     Für Breiten- und Gesundheitssportler gibt es
Durch eine Sporttauglichkeitsuntersuchung            Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für
(sportmedizinisch-kardiologische Vorsorgeun-         Sportmedizin und Prävention (DGSP) sowie
tersuchung) können bei Sporttreibenden Ur-           der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie
sachen des plötzlichen Herztods erkannt und          (ESC). Empfohlen wird auf jeden Fall das Ruhe-
plötzliche Herztodesfälle im Sport verringert        EKG. Zusätzlich sollen Belastungs-EKG und

76    Bedrohliche Herzrhythmusstörungen 2019
24 % Myokarditis
                                                     22 % ungeklärt
                                                     16 % KHK
                                                     14 % Cardiomyopathien
                                                     14 %	nicht geklärter plötzlicher Tod
                                                           (trotz Autopsie)
                                                     8%    Koronaranomalie
                                                     2%    Brugada-Syndrom

Echokardiographie bei älteren Sportlern mit
einem oder mehreren Risikofaktoren für Herz-
Kreislauf-Erkrankungen durchgeführt werden
oder auch bei Sportlern, die sich intensiven            Was tun bei Herzstillstand?
Belastungen aussetzen.
Um eine bestmögliche Vorsorgeuntersuchung        Meistens tritt ein plötzlicher Herztod beim
und Beratung von Sportlern und sportlich ak-     Sport durch Kammerflimmern auf. Bei Kam-
tiven Herz-Kreislauf-Patienten zu gewährleis-    merflimmern schlägt das Herz völlig chaotisch
ten, haben die Deutsche Gesellschaft für Kar­    mit mehr als 350 Schlägen pro Minute, sodass
diologie (DGK) und die Deutsche Gesellschaft     der Herzmuskel nicht mehr pumpen kann,
für Sportmedizin und Prävention 2018 eine      sondern nur noch flimmert. Durch einen Elek-
gemeinsame Zusatzqualifikation Sportkardio­      troschock mit einem Defibrillator kann das
logie eingeführt.                                Kammerflimmern beendet werden. Der Erfolg,
                                                 wieder einen regelrechten Herzschlag zu errei-
   Sportmedizinisch-kardiologische               chen, ist umso höher, je frühzeitiger der Defi-
                                                 brillator eingesetzt wird. Deshalb ist es wün-
        Vorsorgeuntersuchung                     schenswert, dass an vielbesuchten Sportstätten
Zur sportmedizinisch-kardiologischen Vorsor-     automatische externe Defibrillatoren (AED)
geuntersuchung gehört als Basisuntersuchung      vorhanden und leicht zugänglich sind. Bei ei-
die ärztliche Befragung zum aktuellen Gesund-    nem plötzlichen Herzstillstand muss sofort mit
heitszustand, zu etwaigen Erkrankungen so-       Herzdruckmassage begonnen werden, bis ein
wie zur Sport- und Trainingsvorgeschichte, die   AED, der die Ersthelfer durch automatische An-
körperliche Untersuchung und ein Ruhe-EKG.       sagen anleitet, das Herz wieder in Gang setzt
Weitere empfehlenswerte Untersuchungen           und in einen stabilen Rhythmus bringt. Die
sind ein Belastungs-EKG und eine Ultraschall-    hohe Bedeutung der Wiederbelebung zeigen
untersuchung des Herzens (Abb. 4, S. 78).        auch die Daten des SCD-Registers.

                                                                    Bedrohliche Herzrhythmusstörungen 2019   77
Vorgeschichte – Untersuchung – Ruhe-EKG

       unter                                     über                             Leistungs-
      35 Jahre                                  35 Jahre                           sportler

     Echokardio-                                Belastungs-                     Belastungs-
       graphie                                     EKG                             EKG

     Belastungs-                                Echokardio-                     Echokardio-
        EKG                                       graphie                         graphie

 n   Stress-Echokardiographie, MRT, CT/Koronar-CT
 n    angzeit-EKG, externer Eventrecorder,
     L
     gegebenenfalls implantierter Eventrecorder
 n   EPU, Herzkatheteruntersuchung
Abb. 4: Empfehlungen für Herz-Kreislauf-Untersuchungen bei Sportlern. Gelb: Empfohlene Basisuntersuchung,
blau: empfohlene Zusatzuntersuchung bei erstmaliger sportkardiologischer Vorsorgeuntersuchung,
grün: ergänzende Untersuchungen bei Auffälligkeiten. Modifiziert nach Kindermann und Dickhuth 2006

               Zusammenfassung
Beim plötzlichen Herztod im Sport denkt man            Erkrankungen des Herzens und Herzmuskel-
zunächst an spektakuläre Fälle. Zu wenig be-           entzündungen sowie zunehmend auch schon
kannt ist, dass das Risiko der allgemeinen Be-         die koronare Herzkrankheit. Bei Sportlern über
völkerung höher ist, wenn sie nicht auf uner-          35 Jahren ist die koronare Herzkrankheit die
kannte Herzkrankheiten untersucht wurde.               Hauptursache.
Sportmedizinische kardiologische Vorsorge-             Wenn ein Herzstillstand eingetreten ist, hängt
untersuchungen können dieses Risiko mini-              das Leben davon ab, ob sofort mit Herzdruck-
mieren. Besonders wichtig sind solche Unter-           massage begonnen und diese so lange fortge-
suchungen bei älteren Patienten, die mit Sport         führt wird, bis ein automatischer externer Defi-
beginnen, und bei Patienten mit Herzerkran-            brillator das Herz wieder anwerfen kann.
kungen.
Ursachen des mit dem Sport verbundenen
plötzlichen Herztods sind bei jüngeren Sport-          Weitere Literatur kann bei der Herzstiftung angefor­
lern Herzmuskelerkrankungen, elektrische               dert werden.

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