POLITISCHER SONDERBERICHT - Projektland: Hanns-Seidel-Stiftung
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POLITISCHER SONDERBERICHT Projektland: KROATIEN Datum: 24.07.2020 Das Ergebnis der Parlamentswahl in Kroatien: Entgegen allen Erwartungen Die Mitte-Rechts HDZ bildet alleine Regierung ohne „Heimatbewegung“, aber mit Serbenpartei SDSS SDP im Tiefflug, bleibt Opposition, wo neues grün-linkes Zivilaktivisten-Bündnis „Mozemo“ mitmischt EUROPÄISCHE VISION KROATIENS: EIN WAHLSIEG, DER VERPFLICHTET Der Ausgang der Wahl für die 10. Legislaturperiode des kroatischen Parlaments (Hrvatski sabor) gestaltete sich als eine Überraschung sowohl für die politischen Akteure als auch die Beobachter, einschließlich der Meinungsforscher. Die Europawahl im Mai 2019 und die Präsidentschaftswahl im Dezember 2019/Januar 2020 haben bereits einen Trend der Schwächung der regierenden HDZ und die Stärkung der oppositionellen SDP angedeutet. Diesen Trend haben noch kurz vor der Wahl kroatische Meinungsmacher und Meinungsforscher bestätigt. Statt eines Sieges der linksliberalen, SDP-geführten „Restart“-Koalition oder eines Kopf-an-Kopf- Rennens zwischen der HDZ und der „Restart“-Koalition ist die HDZ als klarer Sieger aus der Wahl hervorgegangen. WAHLSYSTEM1 UND WAHLERGEBNIS Das bipolare kroatische Parteiensystem – wie es sich seit dem Ende der 1990er Jahren etablierte – ist trotz Rückgangs der Wählerzustimmung für die beiden „großen“ Parteien grundsätzlich unverändert geblieben: zwei große Parteien, die sich als rechte Mitte verstehende HDZ und die mitte-links positionierte SDP. Diese beiden Parteien haben im Parlament auch weiterhin etwa zweidrittel der insgesamt 151 aller Mandate. Das restliche Drittel besetzen unterschiedliche Parteienbündnisse: das nationalistisch-populistische Bündnis „Heimatbewegung“ („Domovinski pokret“ des Folkpopsängers Miroslav Škoro (der bei der Präsidentschaftswahl 2019/2020 nur knapp hinter der zweitplatzierten ex-Staatspräsidentin Grabar-Kitarović blieb und den Einstieg in die Stichwahl knapp verfehlte, der kirchennahe konservative 1 Das Land ist in 10 Wahlkreise aufgeteilt. In einem zusätzlichen 11. Wahlkreis wählen die Auslandskroaten*innen (feste 3 Mandaten), im 12. Wahlkreis die Angehörigen der insgesamt 22 ethnischen Minderheiten (feste 8 Mandate, davon stehen 3 der serbischen Minderheit zu). Gewählt werden können Parteilisten nach dem Proporzwahlsystem. Hierbei ist es möglich eine zusätzliche Präferenzstimme auf der gewählten Wahlliste zu vergeben. Der mit Präferenzstimme angekreuzte Kandidat muss mindestens 10 Prozent der jeweiligen Liste eigenständig gewonnen haben. Hanns-Seidel-Stiftung_Politischer Sonderbericht_Kroatien_2020 1
Zusammenschuss parteiloser Politiker MOST („Die Brücke“) sowie das links-grüne Parteienbündnis „Mozemo“ („Wir können es“2). Bei einer Wahlbeteiligung von 46,90 Prozent der Wähler (Rückgang um mehr als 5 Prozent ggü. der letzten Parlamentswahl 2016) konnte die HDZ 37,3 Prozentpunkte oder ganze 66 Parlamentssitze gewinnen, während die SDP-geführte Koalition „Restart“ mit 24,9 Prozentpunkten 41 Parlamentssitze gewann. Die drittplatzierte „Heimatbewegung“ konnte mit 10,9 Prozentpunkten 16 Parlamentssitze erreichen. Das Bündnis MOST, dem eine Konsolidierung vor der Wahl gelang, konnte 8 Mandate bestätigen. Die aus sechs Parteien bestehende links-grüne Plattform „Mozemo“ bekam 7 Prozent der Wählerstimmen und wird im Sabor von 7 Abgeordneten vertreten werden. Ein um die liberal-zentristische Partei „Pametno“ versammeltes Wahlbündnis schaffte den Einstieg ins Parlament mit 3 Mandaten. Im Parlament werden auch zwei Splitterparteien mit je einem Mandat vertreter sein: - die liberale HNS (bisher Koalitionspartner der HDZ) sowie „Die Reformisten“, angeführt vom ehemaligen HNS-Vorsitzenden Radimir Cacic. WAHLSTRATEGIE DER HDZ: HIN ZUR KONSERVATIVEN MITTE Der neu-alte Ministerpräsident Andrej Plenković hat die HDZ strategisch geschickt durch die Wahl gesteuert, offenbar die schlechten Erfahrungen bei der Europa- und der Präsidentschaftswahl berücksichtigend. Die HDZ und Plenković bedienten sich einer Strategie, die sie auch bei der Parlamentswahl 2016 angewandt hatten: zunächst sicherte sich Plenković die Unterstützung der Parteibasis bei einer innerparteilichen Wahl Mitte März, wo er sich mit 80 Prozent Zustimmung nicht nur gegen eine Kampfkandidatur seines Widersachers Miro Kovač, ehemaliger Außen- und Europaminister, sondern auch den rechten Parteiflügel durchsetzen konnte. Einige Befürworter des rechten Kurses konnten sich nicht mehr mit einer Orientierung Partei hin zur konservativen Mitte zufriedengeben und suchen nun Raum für ihr politisches Handeln im Rahmen des Bündnisses „Heimatbewegung“. Bei der Erstellung der Wahllisten berücksichtigten die HDZ und Plenković einen breiten Kreis alter und neuer Gesichter: etwa den kurz vor dem Ausbruch der Coronavirus- Pandemie ernannten populären Gesundheitsminister Vili Beros, als auch den ehemaligen Europaabgeordneten Davor Ivo Stier, der bei der innerparteilichen Wahl zum Team des Herausforderers von Plenković, gehörte. Selbst Kovač war als Kandidat aufgestellt, hätte allerdings nur über Präferenzstimmen den Einzug ins Parlament schaffen können, was ihm nicht gelang. Da die HDZ mit Ausnahme dreier Wahlkreise allein angetreten ist, war man bei den Wahllisten nicht auf Kompromisse mit anderen Parteien angewiesen. Trotz Unwägbarkeiten der Corona-Krise konnte die bisherige Regierungspartei mit dem guten Management der erster Pandemiewelle punkten. Weitere Risikofaktoren für die HDZ waren auch die durch die Pandemie bedingt schwache Tourismussaison sowie die ab dem Herbst zu erwartenden wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen des Lockdowns. Vor diesem Hintergrund entschied sich die Regierungspartei für einen etwas vorgezogenen Termin der Parlamentswahl3. Plenković konnte in einem personalisierten Wahlkampf unter dem 2 Die Plattform wurde nach dem Vorbild der spanischen Partei Podemos genannt (We can) 3 Der Sabor war am 14.10.2016 konstituiert. Das Mandat dauert vier Jahre, demnächst sollen die Wahlen spätestens zwei Monate nach dem Ende des Mandats stattfinden. Das Parlament kann aufgelöst werden, wenn die Mehrheit aller Abgeordneten dies abstimmt. Dies passierte am 18. Mai. Am 20.5. schrieb Staatspräsident Milanovic für den 5. Juli aus. Hanns-Seidel-Stiftung_Politischer Sonderbericht_Kroatien_2020 2
Slogan „Sicheres Kroatien“ mit viel Selbstbewusstsein, Sachlichkeit und Hinweis auf die Leistung der Regierung profitieren. Sein ruhiges, souveränes Auftreten und seine sachliche Überlegenheit in TV-Duellen mit dem Herausforderer, dem SDP- Vorsitzenden Bernardić, wurde von den Wählern offenbar honoriert. Dies hat sich für Plenković auch gelohnt, denn die Regierungsbildung fiel recht zügig aus und zwar ohne die befürchtete Zwangskoalition mit der nationalistischen Skoro-partei. Im Vorfeld der Wahl hat Skoro den Rücktritt von Plenkovic zu Bedingung für die Partnerschaft gefordert. Weiterhin hoffte Skoro, wichtige Ressorts übernehmen und die Regierungsausrichtung wesentlich beeinflussen zu können, insbesondere durch den Posten des Vizeministerpräsidenten, des Wirtschafts- und Energetikministers sowie des Kulturministers, was die Partei auf den Verhandlungstisch legen wollte. Doch mit 66 Mandaten hat sich die HDZ relativ schnell mit den acht Minderheitenvertreter und zwei Kleinparteien, der HNS und den Reformisten, auf eine parlamentarische Mehrheit einigen können. Die erste konstituierende Sitzung des Parlaments fand am 22. Juli statt. Am 23. Juli folgte im Parlament die Vereidigung der neuen Regierung. Plenković ist sich indes der Herausforderungen seines neuen Mandats bewusst: die Bewältigung nicht nur der Pandemie, sondern deren wirtschaftlichen und sozialen Folgen. Dies hat er am Wahlabend kurz in die Worte gefasst: Dieses Ergebnis verpflichtet uns. DIE SCHWÄCHE DER SDP UND DER AUFSTIEG NEUER POLITISCHEN PLATTFORMEN Im Unterschied zur HDZ konnten die SDP und die Restart-Koalition vom personalisierten Wahlkampf wenig profitieren. Der Mangel an Charisma des Spitzenkandidaten Bernardić sowie die auch in eigenen Reihen als wenig geglückt wahrgenommene Formulierung von Kandidatenlisten wurde auch von Wählern in einigen traditionellen SDP-Hochburgen bestraft. Während des Wahlkampfs vermochte es die SDP nicht, ihre Wählerzielgruppen anzusprechen. Die restlichen Parteien im Wahlbündnis – die Kroatische Bauernpartei HSS, die regionale Istrische Demokratische Partei IDS, die regionale Primorje-Gorska Partei, die Rentnerpartei HSU, die links-aktivistische SNAGA (Kraft) und die liberale GLAS (Stimme) – konnten den von Bernardić geführten, blassen und auf negative Konfrontation ausgerichteten Wahlkampf kaum wesentlich verändern. Aus der Tatsache, dass das Mandat der HDZ-Regierung durch die Affäre „Borg“ und die Insolvenz des größten kroatischen Lebensmittelkonzerns Agrokor belastet war4 und mitunter zum Rücktritt der damaligen Wirtschaftsministerin und Vizeministerpräsidentin Martina Dalić geführt hat, konnte die SDP im Wahlkampf kaum Profit schlagen. Ebenso wenig aus einer Reihe von korruptionslastigen Affären um 11 (von insg. 14) HDZ-Minister, die während der Amtszeit der Regierung Plenković ausgetauscht wurden. All dies führte dazu, dass sich im linken und linksliberalen Spektrum die links-grüne Plattform „Mozemo“ mit 7 Parlamentsmandaten durchsetzen konnte. Zudem führte das breit aufgestellte, aus sechs Parteien bestehende Wahlbündnis „Restart“ zum Profilverlust der SDP. Der SDP-Parteivorsitzende und Spitzenkandidat der Restart-Koalition Bernardić räumte am Wahlabend frühzeitig ein, dass die SDP und die Restart- 4 Die erste große Affäre der Plenkovic-Regierung war mit Interessenkonflikten und der mangelnden Transparenz bei der staatlichen Sanierung des Lebensmittelkonzerns Agrokor verbunden, weswegen die Wirtschaftsministerin und Vizeministerpräsidentin Martina Dalic im Mai 2018 unter dem Druck der Öffentlichkeit zum Rücktritt gezwungen war. Hanns-Seidel-Stiftung_Politischer Sonderbericht_Kroatien_2020 3
Koalition ein schlechtes Ergebnis erzielt hätten, und zog mit einer Rücktrittsankündigung am folgenden Tag die Konsequenzen. Die "Heimatbewegung - Miroslav Škoro", wie der volle Name des Parteienbündnisses lautet, wurde im Februar 2020 gegründet, nachdem der Folkpopsänger, ehemalige Abgeordnete der HDZ und Privatunternehmer bei der Präsidentschaftswahl 2019/2020 mit fast 25 Prozent der Wählerstimmen nur knapp die Stichwahl verfehlte. Zur "Heimatbewegung“ gehören neben Škoro sechs Kleinparteien: die Kroatischen Souverenisten, die Rentnerpartei, die "HRAST - Bewegung für ein erfolgreiches Kroatien", die Grüne Liste, die Kroatische Konservative Partei, der Block für Kroatien. Mit dem Spitzenkandidaten Škoro positionierte sich das Bündnis rechts von der HDZ und versteht sich als Gegenstück zu den "etablierten politischen Eliten". Er beruft sich allerdings wie die HDZ auf Tudjmans Erbe sowie auf konservative Familienwerte, den Schutz ungeborenen Lebens und betont nationalen Patriotismus. Eine Überraschung der Parlamentswahl ist der Einzug der Plattform MOZEMO ("Wir können es") ins Parlament, die vorwiegend aus zivilgesellschaftlichen Aktivistinnen und Aktivisten besteht. Deren Engagement begann 2009 als Studentenprotest gegen die Kommerzialisierung der Hochschulbildung und setzte als Widerstand gegen den wegen Korruption angeklagten Zagreber Oberbürgermeister Milan Bandić fort. Die Plattform wurde wenige Wochen vor der Parlamentswahl gegründet. MOZEMO bekam mit geschicktem Auftreten als links-grüne Alternative und Neuerscheinung rasch die Aufmerksamkeit der Medien und der Wähler. Mit 7 Abgeordneten schaffte es erstmals in der Geschichte des kroatischen Parlaments eine Gruppierung, sich links von der SDP parlamentarisch zu etablieren. Ein weiteres zentristisches Bündnis dreier Parteien - "Pametno" ("Klug"), "Fokus" und die "Partei mit Vor- und Nachnamen" der ehemaligen Leiterin der Kommission für Interessenskonflikte Dalija Oreskovic5] - entspringt ebenfalls zivilgesellschaftlichem Engagement. Ob das Bündnis als geschlossene parlamentarische Gruppe fortbestehen bleibt, ist offen. REKORDNIEDRIGE WAHLBETEILIGUNG UND WER DAVON PROFITIERT HAT Obwohl eine große Wahlbeteiligung wegen der COVID-19 Pandemie nicht zu erwarten war, ist der rekordniedrige Urnengang von 46,9 Prozent auch durch andere Faktoren bedingt gewesen. Im Vergleich zu den Parlamentswahlen 2000, also vor 20 Jahren, lag die Wahlbeteiligung bei 75,2 Prozentpunkte. Damals sind eine Million Bürger mehr als diesjährige 1.638.497 zu Urne gegangen. Bei der letzten Parlamentswahl vor vier Jahren waren es noch 52,59 Prozent, was mit dem Regierungssturz ein Jahr nach der Parlamentswahl 2015 als die Wahlbeteiligung bei 60,82 Prozent lag, zu erklären ist. Die Gesamteinwohnerzahl Kroatiens beträgt rund 4 Millionen, wovon 3.674.695 registrierte Wahlberechtigte in Kroatien leben und 184.786 im Ausland. Die Pandemie ist nur einer der erklärenden Faktoren für die niedrige Wahlbeteiligung. Der andere hängt mit der Tatsache zusammen, dass es der HDZ offenbar gelungen ist, eigenen Wähler trotz der Pandemie, dem Erdbeben in der Hauptstadt Zagreb, der Juli-Hitze und dem Beginn der Sommersaison zu mobilisieren. Jedoch den größten Entzug der eigenen Wähler hat die SDP erleben müssen. Im Vergleich zu den Wahlen 2016 erhielt die SDP 222.000 Stimmen weniger. 5 Ehemalige Vorsitzende der Kommission zur Feststellung des Interessenkonflikts Hanns-Seidel-Stiftung_Politischer Sonderbericht_Kroatien_2020 4
Wahlforscher sind sich einig, dass die SDP bei der Mobilisierung der eigenen Wählerschaft eine schwierige Aufgabe hatte, da ein Teil der SDP-Wähler entweder andere Optionen im mitte-links Spektrum oder sogar die HDZ-Liste gewählt hat, während ein Teil der enttäuschten Wähler einfach vom Wahlrecht kein Gebrauch gemacht hat. Ob es sich um einen kontinuierlichen Trend der niedrigen Wahlbeteiligung handelt oder durch diese Faktoren zu erklären ist, werden die nächsten Parlamentswahlen in vier Jahren zeigen. DIE NEUE HDZ-REGIERUNG: WIE GEHT ES WEITER? Mit Interesse wird die neue Agenda der zweiten Plenković-Regierung erwartet, insbesondere mit Rücksicht darauf, dass die HDZ faktisch alleine die Regierung stellt und nicht wie zum Beginn der ersten Amtszeit 2016 auf zähe Kompromisse mit Koalitionspatnern angewiesen ist. Die angekündigte Verschlankung des Kabinetts setzte Plenković nun auch um. Mehrere Ministerien wurden zusammengelegt, so dass die Regierung nun 16 Ministerien (bisher 20) hat; allerdings liegt der Frauenanteil auch im neuen Kabinett unter 25%. Die Regierung bilden zwölf erfahrene Minister aus der vorherigen Amtszeit wie etwa Finanzminister Maric, Außen- und Europaminister Grlić Radman oder Innenminister Božinović. Einer der vier stellvertretende Ministerpräsidenten, Boris Milosević6, kommt aus der Partei der serbischen ethnischen Minderheit (SDSS - Selbständige demokratische serbische Partei), womit Plenković eine Stärkung politischer Kultur und Toleranz in der kroatischen Gesellschaft signalisiert. Bei der Darstellung der neuen Regierungsagenda für die kommenden vier Jahre hat Plenkovic fünf Ziele genannt: soziale Sicherheit, Zukunftsperspektive, wirtschaftliche Souveränität, gestärkte Staatlichkeit und globale Sichtbarkeit. Eine der ersten Aufgaben der neuen Zusammensetzung des Parlaments wird die Verabschiedung des Gesetzes zum Wiederaufbau von Zagreb nach dem starken Erdbeben am 22. März sein. Weiterhin sollten die Wirtschaftsmaßnahmen zur Bekämpfung der Folgen der COVID-19 Krise verabschiedet werden. Kroatien zählt zu den Ländern, deren Wirtschaft durch die Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung wegen der starken Abhängigkeit vom Tourismus und der mangelnden Diversifizierung der Wirtschaft besonders hart getroffen wurde. Man rechnet mit einer Schrumpfung des BIP von mindestens 10 Prozent. Zu erwarten ist ein deutlicher Anstieg der Arbeitslosigkeit, was zusätzlich durch die Rückkehr von Kroaten, die wegen der Jobsuche massenweise in den letzten Jahren ausgewandert sind. Zu den geplanten Maßnahmen gehört eine Senkung der Einkommen- und Körperschaftsteuer sowie Steuer auf Nahrungsmittel, um den schrumpfenden Privatverbrauch anzukurbeln. Neben der Bekämpfung der Pandemiefolgen bleibt nach wie vor die Fortsetzung der Korruptionsbekämpfung und die Fortsetzung der Reform des Justizwesens eine große Herausforderung7. Eine effizientere und digitalisierte Verwaltung zählt zu den Prioritäten, die die HDZ im Wahlkampf hervorgehoben hat. Daher ist zu erwarten, dass vor den Kommunalwahlen im Mai 2021 eine, auch wenn gemäßigte 6 Milosevic war zweimal Assistenzminister im Verwaltungsministerium und Abgeordneter im Kroatischen Sabor. In der neuen Regierung wird er für Gesellschaftsfragen und Menschenrechte zuständig sein. 7 Nur einen Monat vor den Wahlen sind mehrere hochrangige Ministerialbeamte und Privatunternehmer durch die Antikorruptionsbehörde USKOK wegen Korruptionsverdacht verhaftet worden und befinden sich seitdem in Untersuchungshaft. Hanns-Seidel-Stiftung_Politischer Sonderbericht_Kroatien_2020 5
Territorialreform, stattfindet. Sie bezieht sich vor allem auf die Halbierung der Zahl der jetzigen 428 Gemeinden und deren funktionalen Zusammenlegung, was eine Senkung der Zahl der kommunalen Mandatsträger8 und Beschäftigten im Kommunalwesen mit sich zieht. Der Beitritt zur Euro- und zur Schengen-Zone sind seit der Aufnahme Kroatiens in die EU im Jahr 2013 noch zwei weitere große nationale Ziele der kroatischen Politik sowie der Beitritt zur OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung). Für einen Schengen-Beitritt erhielt Kroatien am 22. Oktober 2019 grünes Licht von der EU-Kommission. Für eine Aufnahme in den Wechselkursmechanismus II, einer Art Warteraum für die Einführung des Euro, erhielt Kroatien am 10. Juli grünes Licht durch die Staaten der Eurozone und Vertreter der Europäischen Zentralbank. Der Wechselkurs zwischen der kroatischen Währung Kuna und dem Euro wurde auf 7,53 Kuna pro Euro festgelegt. Im neuen mehrjährigen Finanzrahmen und in NGEU (Next Generation EU) stehen Kroatien 22 Milliarden Euro für die wirtschaftliche Erholung und Investitionen zu, wovon 9,4 Milliarden durch das EU-Instrument Next Generation EU zu beziehen sind. Obwohl es auf den ersten Blick positiv für Kroatien klingt, zeugt es doch, laut einiger Wirtschaftsanalytiker, auch von der Schwäche der kroatischen Wirtschaft im EU- Vergleich. FAZIT: Im zweiten Mandat steht die weitere Reformleistungsfähigkeit von Plenkovic und seiner Regierung auf dem Prüfstand. Plenković konnte bisher die HDZ konsolidieren und auf einen europafreundlichen, zukunftsorientierten Kurs einstimmen im Sinne der EVP-Wertekategorien. Die zweite Regierungsamtszeit bietet ihm die Chance, auf den Weg gebrachte Reformen in der Verwaltung, im Justizwesen, im Gesundheits- und Rentensystem, in der Bildungspolitik und vor allem in der Wirtschaft entschieden zu intensivieren. Insbesondere muss er aber darauf fokussiert werden, Aus- und Abwanderungstendenzen zu stoppen und einen Brain-Drain entgegenzuwirken. Vor allem daran wird der Erfolg seines zweiten Mandats gemessen. Aleksandra Markić Boban Leiterin des Projektbüros Zagreb Bei der Konferenz des Projektbüros Zagreb der Hanns-Seidel-Stiftung und der Kroatischen Paneuropaunion „Aussichten und Herausforderungen an die Europäische Union von heute“ aus Anlass des Europatags 2019 erinnerte Andrej Plenković an den langwierigen Weg, welchen Kroatien „von der europäischen Peripherie zum Vorsitz des EU-Rats“ bewältigt hat. Die Hanns-Seidel-Stiftung begleitete Kroatien auf diesem Weg nach Kräften und bleibt als Mediator und Think-Tank weiterhin bestrebt, das gesellschaftspolitischen Engagement der Jugend, die Stärkung der Dezentralisierung, Verwaltungs- und Justizeffizienz und die Förderung des regionalen, europäischen und internationalen Dialogs mit ihren kroatischen Partnern durch Beratungen, Expertisen, Fachstudien, Studienreisen, Seminare und Konferenzen zu unterstützen. 8 Das Amt der stellvertretenden Ober- und Bürgermeister sowie der stellvertretenden Regierungsbezirkspräsidenten (Vize-Zupan) soll abgeschafft werden. Kroatien ist in 20 Regierungsbezirke (Zupanijas) mit der Hauptstadt Zagreb administrativ aufgeteilt. Darüber hinaus gibt es 428 Gemeinden und 127 Städte. Hanns-Seidel-Stiftung_Politischer Sonderbericht_Kroatien_2020 6
Vergleich der Sitzverteilung im Kroatischen Parlament (Hrvatski sabor) nach den Parlamentswahlen 2020 und 2016: Partei: Sitze 2020 Sitze 2016 9 HDZ 66 61 10 „Restart“ – SDP-Koalition 41 54 11 Heimatbewegung 16 12 MOST – die Brücke 8 13 13 Mozemo/Wir können 7 14 Pametno, Fokus, SSIP 3 Reformisten 1 15 HNS 1 16 Zivi zid 8 17 IDS mit Partnern 3 Partei von OB von Zagreb Bandic 2 18 HDSSB 1 Die parteilose Liste/Glasnovic 1 Minderheitenvertreter 8 8 9 HDZ – die Kroatische Demokratische Partei; in drei Wahlkreisen ist sie mit der rechts-liberalen HSLS (Kroatische sozialliberale Partei) in Koalition aufgetreten. 10 Die von der SDP angeführte Restart-Koalition (Sozialdemokratische Partei) umfasst die linkspopulistische HSS (Kroatische Bauernpartei; früher konservative Partei und EVP-Mitglied), die regionale Demokratische Versammlung Istriens (IDS), die HSU (Kroatische Rentnerpartei), die Partei des zivilgesellschaftlichen Aktivismus „Snaga“ (Macht) und die regionale Versammlung Primorje-Goranska 11 Neben der Partei Heimatbewegung von Miroslav Skoro gehören weitere sechs Parteien dem Wahlbündnis „Heimatbewegung“: die Kroatischen Souverenisten, die Rentnerpartei, die "HRAST - Bewegung für ein erfolgreiches Kroatien", die Grüne Liste, die Kroatische Konservative Partei, der Block für Kroatien. 12 Mit vollem Namen „die Brücke parteiloser Wahllisten“ (MOST), die kirchennahe konservative Partei wurde kurz vor den Kommunalwahlen 2012 gegründet. Seit dem Bruch der Regierungskoalition mit der HDZ im April 2017 war sie eine Opposition zur regierenden HDZ im Sabor. Das geplante Wahlbündnis mit der Skoro-Partei ist wegen Meinungsverschiedenheiten geplatzt, so dass die Partei bei den Wahlen alleine aufgetreten ist. 13 Mozemo/Wir können ist eine links-grüne Koalition, die aus folgenden Parteien besteht: Mozemo! Neue Linke, Arbeiterfront, ORaH (Nachhaltige Entwicklung Kroatiens), Zagreb gehört uns, Für die Stadt. Die links-grünen zivilgesellschaftlichen Organisationen und Aktivisten haben sich als Kämpfer für Transparenz, Bürgerrechte und gegen die Korruption herausprofiliert. 14 Das liberal-zentristische Wahlbündnis „Pametno“ besteht aus den Parteien Pametno, Fokus und die Partei mit Vornamen und Namen. 15 Die links-liberale Kroatische Volkspartei, HNS, war im Jahr 2003 die drittstärkste politische Kraft im Lande. In der Plenkovic-Regierung war die HNS der Koalitionspartner der HDZ nach dem Abbruch der Koalition mit der Brücke/MOST. 16 Die Partei des Bürgeraktivisten Sincic rückte immer mehr zum starken Populismus mit stets anarchistischer Rhetorik. Die Partei ist mit einem Abgeordneten im Europaparlament vertreten. 17 Die istrische regionale Partei IDS ist bei dieser Wahl im Rahmen des Wahlbündnisses Restart aufgetreten. 18 HDSSB – Kroatische Demokratische Partei für Slawonien und Baranja; 2005 gegründet, 2011 mit 6 Abgeordneten im Sabor vertreten; jetzt nur noch auf der kommunalen Ebene vertreten Hanns-Seidel-Stiftung_Politischer Sonderbericht_Kroatien_2020 7
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