Der Klima-Handel Dicke Luft vor dem Energiegipfel: Industriebosse und Wirtschaftsverbände wehren sich gegen die ambitionierten Umweltschutzpläne ...

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Der Klima-Handel Dicke Luft vor dem Energiegipfel: Industriebosse und Wirtschaftsverbände wehren sich gegen die ambitionierten Umweltschutzpläne ...
Deutschland

                                                                                                     ENERGIEPOLITIK

                                    Der Klima-Handel
     Dicke Luft vor dem Energiegipfel: Industriebosse und Wirtschaftsverbände wehren sich gegen die
            ambitionierten Umweltschutzpläne der Kanzlerin. Sie warnen vor Jobverlust und
     drohen mit Abwanderung. Angela Merkel will den Streit nutzen, um den Atomausstieg zu kippen.

E
       s war eine schöne Abschiedsgala
       für Angela Merkel. Ein letztes Mal
       gab sie am Mittwoch vergangener
Woche die Chefrepräsentantin der euro-
päischen Staatengemeinschaft. Ein letztes
Mal durfte sie vor der beeindruckenden
Kulisse des Brüsseler EU-Parlaments von
den ganz großen Dingen sprechen: von Eu-
ropa als Friedensbündnis, vom gemeinsa-
men Streben nach Freiheit und Wohlstand,
von der Rettung des Weltklimas.
   Am Ende waren selbst die abgebrühtes-
ten Eurokraten von Dankbarkeit und sogar
einer Spur Rührung beseelt. Minutenlang
toste Beifall für die scheidende Rats-
präsidentin. Polnische Konservative, fran-
zösische Kommunisten und selbst einige
                                                         PETER MACDIARMID / GETTY IMAGES

britische Europa-Hasser hatten sich re-
spektvoll von ihren Plätzen erhoben.
   Der Grünen-Fraktionsvorsitzende Da-
niel Cohn-Bendit lobte Merkel für ihr
„sehr gutes Ergebnis“. Graham Watson,
Chef der europäischen Liberalen, dankte
für eine „große Präsidentschaft“. Merkels
verdienstvolles Schaffen sei für ihn auf im-
mer „unvergesslich“.                                                                       Kanzlerin Merkel, Staatsgäste*: Ehrgeizige Ziele vorgegeben
   Tatsächlich dürfte auch der Regierungs-
chefin das Ereignis noch lange im Ge-
dächtnis bleiben: als Höhepunkt ihrer
Kanzlerschaft. Sechs Monate lang hat
sich Merkel als Weltstaatsfrau präsentiert,
die vor allem rastlos damit beschäftigt war,
die Erde vor dem drohenden Klimakollaps
zu retten. Doch spätestens am Dienstag
dieser Woche wird sie wieder im Maschi-
nenraum anstrengender Innenpolitik an-
kommen.
   Morgens um zehn Uhr haben sich eine
Reihe einflussreicher Herrschaften im
Kanzleramt angesagt. Beim Energiegipfel
in der Regierungszentrale soll geklärt wer-
den, wie die weitreichenden Zusagen der
Kanzlerin in der Klimapolitik umgesetzt
werden können. Und ob überhaupt.
   Schließlich verging in den vergangenen
Monaten kaum ein Tag, an dem Merkel
nicht die Gefahren eines weltweiten Tem-
peraturanstiegs beschwor: „Wir müssen
jetzt umsteuern.“ Ihr Engagement für den
Umweltschutz trug ihr in der Bevölkerung
                                                         MARCO-URBAN.DE

große Zustimmung ein.
* Mit Italiens Premierminister Romano Prodi, Russlands
Präsidenten Wladimir Putin, US-Präsident George W.
Bush und Kanadas Premierminister Stephen Harper beim
G-8-Gipfel im Juni in Heiligendamm.                                                        Energiebosse Rauscher, Claassen, Roels, Bernotat (2006): Sorge um den Standort

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Der Klima-Handel Dicke Luft vor dem Energiegipfel: Industriebosse und Wirtschaftsverbände wehren sich gegen die ambitionierten Umweltschutzpläne ...
Merkel, die sich sonst gern im Unge-         Ruf der Union als Umweltpartei zu festigen                       schützer zum Energiegipfel eingeladen. Für
fähren verliert, hat sich in der Klimapolitik   und damit vor allem in den Städten neue                          die Bundesregierung sitzen neben Merkel
erstaunlich festgelegt. Den Kampf gegen         Wählerschichten zu erschließen.                                  und Kanzleramtschef Thomas de Maizière
die Treibhausgase hat sie zum zentralen           Auf Merkels Betreiben hin hat sich die                         auch die Kabinettsmitglieder Michael Glos
Thema ihrer Kanzlerschaft gemacht. Dass         Europäische Union Anfang März das Ziel                           (Wirtschaft), Sigmar Gabriel (Umwelt) und
es ihr ernst ist, hat die promovierte Physi-    gesetzt, den Ausstoß von klimaschädli-                           Annette Schavan (Forschung) am Tisch.
kerin schon als Umweltministerin unter          chem Kohlendioxid drastisch zu reduzie-                             Es geht um die Frage, wie sich die dritt-
Helmut Kohl gezeigt.                            ren. Deutschland soll dabei eine Vorreiter-                      größte Volkswirtschaft der Welt künftig mit
   Noch in diesem Jahr will sie nach Grön-      rolle übernehmen.                                                Energie versorgt und dabei gleichzeitig das
land reisen, um die Folgen der weltweiten         Auf welche Weise, soll an diesem Diens-                        Klima schützt. Ist es möglich, wirtschaftlich
Erwärmung vor Ort zu erleben. Das Er-           tag besprochen werden. Die Kanzlerin hat                         zu wachsen, ohne die Erdatmosphäre wei-
eignis wird vermutlich schöne Fernsehbil-       Vertreter der Stromversorger, der großen                         ter zu schädigen? Wie viel Verzicht kann
der ergeben – und so dabei helfen, den          Industriekonzerne sowie Verbraucher-                             Unternehmen und Verbrauchern zugemu-

                                                                                                                  Deutscher Energiemix
                                                                                                                  Anteil der Energieträger
                                                                                                                  am Primärenergieverbrauch 2006
                                                                                                                   erneuerbare Energien / Sonstige
                                                                                                                                    5,0

                                                                                                                     Kernenergie
                                                                                                                             12,6         Mineralöl
                                                                                                                  Braunkohle                  35,7
                                                                                                                         10,9        %
                                                                                                                     Steinkohle
                                                                                                                          13,0       Erdgas
                                                                                                                                       22,8

                                                                                                                 tet werden? Ist es klug, aus der Atomkraft
                                                                                                                 auszusteigen, obwohl sie, im Gegensatz zu
                                                                                                                 Kohle, Öl und Gas, praktisch keinen Kli-
                                                                                                                 maschaden verursacht?
                                                                                                                    Die Atomkraft ist der zentrale Streit-
                                                                                                                 punkt, auch wenn das Kanzleramt so tut,
                                                                                                                 als sei das nur ein Thema unter vielen.
                                                                                                                 Merkel ist davon überzeugt, dass sie ihre
                                                                                                                 ehrgeizigen Klimaziele nur erreichen kann,
                                                                                                                 wenn die Atomkraftwerke länger laufen
                                                                                                                 als von der rot-grünen Regierung be-
                                                                                                                 schlossen. Für die SPD dagegen ist der
                                                                                                                 Atomausstieg nicht verhandelbar – derzeit.
                                                                                                                    Doch Merkel hegt die Hoffnung, die De-
                                                                                                                 batte um die Atomkraft neu zu beleben.
                                                                                                                 Der Streit um die Einhaltung der Klima-
                                                                                                                 ziele soll ihr dabei helfen, den von SPD
                                                                                                                 und Grünen beschlossenen Ausstieg aus
                                                                                                                 der Kernenergie rückgängig zu machen.
                                                                                                                    Große Fortschritte wird es deshalb am
                                                                                                                 Dienstag nicht geben, so viel steht fest. Die
                                                                                                                 Runde ist tief zerstritten. Das Kanzleramt
                                                                                                                 selbst rechnet mit einem Minimalkonsens.
                                                                                                                 Er wäre schon ein Erfolg, wenn wenigstens
                                                                                                                 der Umgangston friedlich bliebe.
                                                                                                                    Vor allem in der Wirtschaft gibt es Wi-
                                                                                                                 derstand gegen die Klimaschutzpläne.
                                                                                                                 „Die Politik macht ständig neue unrealis-
                                                                                                                 tische Vorgaben“, kritisierte BASF-Chef
                                                                                              HANS-GÜNTHER OED

                                                                                                                 Jürgen Hambrecht vergangene Woche im
                                                                                                                 SPIEGEL-Gespräch. Umweltminister Ga-
                                                                                                                 briel keilte zurück und beschimpfte ihn als
                                                                                                                 „Wirtschaftsstalinisten“. Das Unbehagen
Braunkohlekraftwerk (in Bergheim bei Köln): Energie künftig effizienter einsetzen                                der großen Strombosse Wulf Bernotat
                                                      d e r   s p i e g e l   2 7 / 2 0 0 7                                                                23
Der Klima-Handel Dicke Luft vor dem Energiegipfel: Industriebosse und Wirtschaftsverbände wehren sich gegen die ambitionierten Umweltschutzpläne ...
Deutschland

(E.on), Harry Roels (RWE), Utz Claassen                                            die Geschichte bei, wonach er als Spar-
(EnBW) und Klaus Rauscher (Vattenfall)                                             fuchs immer gleich den Stecker seines
wächst. „Der Regierung fehlt es an Ausge-                                          Fernsehgeräts aus der Dose zieht.
wogenheit, Vernunft und Realismus“,                                                   Die Vertreter der Industrie freilich ah-
sprang Bernotat seinem BASF-Kollegen                                               nen, dass es damit nicht getan ist. Sie er-
bei. Vattenfall-Chef Rauscher klagt: „Die                                          warten einen massiven Eingriff in ihre Pro-
Energiepolitik dieser Regierung ist eine                                           duktionsbedingungen. Es sei unmöglich,
Anti-Energiepolitik.“                                                              die Energieproduktivität um 3 Prozent
   In einem Papier des Bundesverbandes                                             jährlich zu steigern. Schon heute ließe sich
der Deutschen Industrie (BDI) ist von ei-                                          nur mit Anstrengungen eine jährliche Ver-
ner „schleichenden Deindustrialisierung“                                           besserung von 0,9 Prozent erreichen.
die Rede. Es ist der erste fundamentale                                               Zwar gibt es auch Branchen und Kon-
Streit zwischen Merkel und der Wirtschaft.                                         zerne, für die die Ziele kein Problem sind.
   Hatten sich die Industriefunktionäre bis-                                       Aber energieintensive Sparten wie die
lang mit Kritik an der Regierung zurück-                                           Stahlindustrie sehen keine Möglichkeit
gehalten, erinnert die Rhetorik plötzlich                                          mehr, den Verbrauch von Koks und Kohle
wieder an die alten Schlachten gegen das                                           noch nennenswert zu verringern. Sollte die
rot-grüne Vorgängerkabinett. Von „Hor-                                             Bundesregierung mit ihrem Plan Ernst ma-
rorszenarien“ ist die Rede und von „Angst-                                         chen, drohen sie, wäre man gezwungen, die
macherei“. Merkel sieht sich dem Vorwurf                                           Produktion ins Ausland zu verlagern.
ausgesetzt, sie gefährde die Wettbewerbs-                                             Gleichzeitig weist die Industrie immer
fähigkeit des Standorts, vernichte Arbeits-                                        wieder darauf hin, dass Deutschland in Sa-
plätze und würge die Konjunktur ab.                                                chen Energieeffizienz gut aufgestellt sei.
   Die Sorgen der Wirtschaft scheinen                                              Die Unternehmen hätten bereits in den
nicht unbegründet zu sein. Die Kanzlerin                                           vergangenen Jahren große Anstrengungen
hat im emotionalen Überschwang ihrer                                               unternommen, sparsamer mit den teuren
Ratspräsidentschaft ehrgeizige Ziele vor-                                          Ressourcen umzugehen. Die Energiepro-
gegeben. Bis 2020 will die EU den Ausstoß                                          duktivität hat seit 1990 um fast 25 Prozent
von Kohlendioxid um 30 Prozent gegen-                                              zugenommen. Die Wirtschaft ist in dieser

                                                                                                                                                               Erleuchtetes Berlin bei Nacht: Wie viel Verzicht

                                                                                                                                                               den kommenden Jahren eingehalten wer-
                                                                                                                                                               den könnten. Ihr „Maßnahmen-Mix“ soll,
                                                                                                                                                               so Gabriel, „eine Effizienzrevolution aus-
                                                                                                                                                               lösen“. Er ist sich sicher, dass sich so bis
                                                                                                                                                               2020 Energiekosten von 50 Milliarden Euro
                                                                                                                                                               im Jahr einsparen lassen. Der Ausstoß von
                                                                                                                                                               Kohlendioxid könnte um 270 Millionen
                                                                                                                                                               Tonnen jährlich zurückgehen.
                                                LIESA JOHANNSSEN / PHOTOTHEK.NET

                                                                                                                                                                  Zunächst einmal will die Regierung zu-
                                                                                                                                                               sätzliches Geld spendieren, um die Sanie-
                                                                                                                                  HOERNLEIN / / VARIO IMAGES

                                                                                                                                                               rung von schlechtgedämmten Altbauten
                                                                                                                                                               voranzutreiben. Statt wie bislang 1,4 Mil-
                                                                                                                                                               liarden Euro Förderung soll es künftig drei
                                                                                                                                                               Milliarden Euro geben.
                                                                                                                                                                  Stromfressende Nachtspeicherheizungen
                                                                                                                                                               oder normale Glühbirnen wiederum ge-
Klima-Kontrahenten Gabriel, Hambrecht: „Unrealistische Vorgaben“                                                                                               hören nach der Vorstellung von Gabriels
                                                                                                                                                               Fachbeamten verboten. Die Industrie soll
über dem Jahr 1990 reduzieren. Deutsch-                                            Zeit um etwa 27 Prozent gewachsen, der                                      gezwungen werden, sparsamere Haushalts-
land soll sogar 40 Prozent einsparen.                                              Primärenergieverbrauch hingegen um drei                                     und Elektrogeräte zu entwickeln. Zusätz-
   Bislang hatte die Bundesregierung den                                           Prozent geschrumpft. „Wir haben unsere                                      lich plant er einen massiven Ausbau der
Eindruck erweckt, als seien die Einspar-                                           Hausaufgaben gemacht“, versichert Die-                                      Kraft-Wärme-Kopplung. Den Energiever-
ziele ohne allzu großen Verzicht zu errei-                                         ter Ameling, Präsident der Wirtschaftsver-                                  sorgern will er vorschreiben, alte Kraft-
chen. Sie ging davon aus, dass Energie                                             einigung Stahl. „Wir brauchen keinen öko-                                   werke durch Anlagen zu ersetzen, die so-
künftig sehr viel effizienter eingesetzt wird                                      logischen Umbau, wir brauchen eine wett-                                    wohl Strom als auch Wärme produzieren.
als bislang. Die Deutschen sollten nicht                                           bewerbsfähige Volkswirtschaft.“                                                Auch auf die Autoindustrie, mit 750 000
länger durch veraltete Technik oder Nach-                                             Und so war es nur eine Frage der Zeit,                                   Beschäftigten eine der wichtigsten Wirt-
lässigkeit Energie verplempern. Wenn sich                                          bis der Konflikt zwischen Bundesregierung                                   schaftsbranchen, kämen massive Verände-
die sogenannte Energieproduktivität jähr-                                          und Wirtschaft offen ausbrechen würde.                                      rungen zu. Volkswagen, BMW, Mercedes
lich um drei Prozent erhöhe, sei das Pro-                                          Schon bei der Vorbereitung des Energie-                                     und Audi sollen ihre Motoren so weiter-
blem zum größten Teil gelöst.                                                      gipfels zeichneten sich die Konflikte ab.                                   entwickeln, dass die Autos künftig mit ei-
   Als anschauliches Beispiel für produkti-                                        Sobald Unterhändler des Umweltministers                                     nem Anteil von 10 Prozent Biokraftstoff
veren Energieeinsatz dienen der Kanzlerin                                          mit Vertretern der Industrie in einem                                       im Benzin fahren können. Sogar ein Bio-
die Energiesparbirnen, mit denen sie – an-                                         Raum saßen, wurde die Stimmung eisig.                                       spritanteil von 17 Prozent ist im Gespräch.
geblich nur mit geringem Komfortverlust –                                             Die Fachbeamten der Regierung haben                                         Insgesamt soll der durchschnittliche Ver-
neuerdings ihre Privatwohnung ausleuch-                                            bereits eine ganze Reihe von Ideen ent-                                     brauch der Autoflotte in Deutschland von
te. Umweltminister Gabriel steuert gern                                            wickelt, wie die Vorgaben der Kanzlerin in                                  heute 8,3 Litern Benzin auf 100 Kilometern
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Der Klima-Handel Dicke Luft vor dem Energiegipfel: Industriebosse und Wirtschaftsverbände wehren sich gegen die ambitionierten Umweltschutzpläne ...
reografie des Energiegipfels sieht vor, dass
                                                                                                              Wirtschaftsminister Glos und Umweltmi-
                                                                                                              nister Gabriel den Auftrag zur gemeinsa-
                                                                                                              men Entwicklung eines „integrierten Ener-
                                                                                                              gie- und Klimaschutzkonzeptes“ erhalten.
                                                                                                              Dass sich die beiden im Detail einig wer-
                                                                                                              den können, glaubt niemand.
                                                                                                                 Die Strategie des Kanzleramts ist klar:
                                                                                                              Merkel will keinesfalls von ihren ehrgeizi-
                                                                                                              gen Klimaschutzplänen abrücken. Doch
                                                                                                              zum Erreichen ihrer Ziele denkt sie an ei-
                                                                                                              nen Weg, der ihr in der Koalition mit der
                                                                                                              SPD derzeit noch verbaut sei: eben eine
                                                                                                              Renaissance der Kernenergie.
                                                                                                                 So ließ das Kanzleramt für den Energie-
                                                                                                              gipfel schon mal ein Szenario durchrech-
                                                                                                              nen, wonach längere Laufzeiten für die
                                                                                                              deutschen Atommeiler nicht nur dem Kli-
                                                                                                              maschutz, sondern auch den Anforderun-
                                                                                                              gen der Wirtschaft gerecht würden.
                                                                                                                 „Nach Preisen, Kosten, CO2 und Ver-
                                                                                                              sorgungssicherheit bietet das Kernkraft-
                                                                                                              werksszenario die besten Ergebnisse“,
                                                                                                              heißt es in einer Zusammenfassung der
                                                                                                              Studie. Ohne Atomstrom wäre das Klima-
                                                                                                              ziel „nur zu hohen Kosten“ erreichbar.
                                                                                                                 Das Ergebnis ist ganz im Sinne der
                                                                                                              Kanzlerin. Merkel setzt darauf, das ram-

                                                                                                 SILVESTRIS
                                                                                                              ponierte Image der Atomenergie mit Hilfe
                                                                                                              der Klimaschutzdebatte aufzubessern. Die
ist den Deutschen zumutbar?                                                                                   Strategie der Kanzlerin habe zum Ziel,
                                                                                                              eine „didaktische Lernkurve zugunsten der
   bis 2020 auf 6,5 Liter gesenkt werden. Dazu    mal an die Wirtschaft denken. „Ein State-                   Kernkraft“ hinzubekommen, wie es ein
   ist auch die Umstellung der Kraftfahr-         ment der Bundeskanzlerin, dass Klima-                       enger Berater Merkels formuliert. Im Be-
   zeugsteuer von der bisherigen Hubraum-         schutz nur dann erfolgreich sein kann und                   wusstsein der Bürger soll Atomkraft zum
   Bemessung auf eine CO2-Regelung ge-            ein Energiekonzept auch nur dann trag-                      Ökostrom mutieren, auch wenn der Plan
   plant. Klimafreundliche Autos sollen ihre      fähig, wenn ökonomische und ökologische                     mit dem Brand im Kraftwerk Krümmel
   Besitzer künftig weit weniger Steuern kos-     und soziale Aspekte gleichzeitig berück-                    Ende vergangener Woche einen empfind-
   ten als große Spritfresser.                    sichtigt wären, wäre sehr hilfreich, wenn                   lichen Image-Dämpfer erhielt.
      Einige dieser Ideen sollen Eingang in ein   nicht erforderlich.“                                           Am Ende, so die Hoffnung des Kanz-
   sogenanntes Klimaschutzbeschleunigungs-           Von Wirtschaftsminister Glos, sonst ihr                  leramts, würden sich womöglich auch
   gesetz finden, auf das sich Merkel, Ga-        natürlicher Verbündeter, fühlen sich die                    Umweltminister Gabriel und die SPD be-
   briel und Wirtschaftsminister Michael Glos     Top-Manager im Stich gelassen. Schon vor                    kehren lassen. Merkels Wunsch nach län-
   am vergangenen Freitag im Grundsatz ver-       Wochen habe der Minister in der ihm ei-                     geren Laufzeiten für bereits gebaute Atom-
   ständigten. Insgesamt soll es etwa 20 Punk-    genen Offenheit bei einem Treffen verra-                    kraftwerke könnte sich dann erfüllen.
   te umfassen. Noch in diesem Herbst will        ten, im Gegensatz zu den anwesenden Ex-                        Sollten sich die Genossen einer Kehrt-
   die Regierung das Gesetz auf den Weg           perten seines Hauses vom Thema gar                          wende in der Atompolitik verweigern, will
   bringen.                                       nichts zu verstehen. „Das ist witzig, das                   Merkel sie im kommenden Bundestags-
      Auf die Industriebosse wirken derlei Plä-   war auch charmant, wie er seine Schwäche                    wahlkampf zum Thema machen. Ihre Stra-
   ne wie ein Schock. In den vergangenen          so zugegeben hat“, sagt ein Industriever-                   tegen glauben, dass die Einstellung in
   Wochen haben Beamte die Ideen in meh-          treter, „aber das reicht einfach nicht aus.“                der Bevölkerung bereits im Jahr 2009
   reren vertraulichen Sitzungen mit Vertre-         Aus Sicht der Wirtschaftslobby gibt es                   zugunsten der Atomenergie kippen könn-
   tern der Industrie und der Verbände be-        nur eine Lösung, wie sich der Merkel-Plan                   te. Umfragen zeigen bereits, dass sich die
   sprochen; immer wieder brachte die Indu-       zumindest teilweise verwirklichen lässt:                    Stimmung dreht. Den Ausstieg vom Aus-
   strie ihre Bedenken vor.                       Der von der rot-grünen Vorgängerregie-                      stieg würde Merkel dann in der kommen-
      Mit einer Flut von Protestbriefen und       rung beschlossene Atomausstieg müsse                        den Legislaturperiode beschließen – zu-
   Studien deckten sie Kanzleramt und Wirt-       rückgängig gemacht werden, so schnell wie                   sammen mit der FDP als neuem Bünd-
   schaftsministerium ein. Der Verband der        möglich. Das wollen sie auch beim Ener-                     nispartner.
   Elektrizitätswirtschaft warnt in einem         giegipfel klarmachen – wohlwissend, dass                       Als Vorteil gilt, dass das Thema Klima-
   Schreiben vor drastischen Jobverlusten:        der Koalitionsvertrag von Union und SPD                     schutz sehr langfristiger Planung bedarf.
   „Es wird deutlich, dass nationale Allein-      einen solchen Schritt nicht hergibt.                        So kann Merkel einer Überprüfung der
   gänge dem Klima nicht helfen, bei der             Der Druck aus der Wirtschaft setzt die                   von ihr versprochenen Klimaziele gelas-
   deutschen Industrie jedoch zwangsläufig        Kanzlerin unter Zugzwang. Einerseits will                   sen entgegensehen. Um das Jahr 2020 als
   zu Produktionseinschränkungen und Stand-       sie sich nicht dem Verdacht der Wirt-                       Kanzlerin zu erleben, müsste sie noch drei
   ortverlagerungen führen werden.“               schaftsfeindlichkeit aussetzen. Andererseits                Bundestagswahlen überstehen und sich
      Die Wirtschaftsvereinigung Metalle,         aber hat sie öffentlich mehrfach beteuert,                  weitere 13 Jahre im Amt behaupten.
   sonst meist treu an der Seite der Union,       wie ernst es ihr mit dem Umweltschutz sei.                              Alexander Jung, Roland Nelles,
   forderte Kanzleramtschef Thomas de Mai-        Und wieder einmal spielt die Kanzlerin auf                         Alexander Neubacher, Ralf Neukirch,
                                                                                                                                       Wolfgang Reuter
   zière auf, die Kanzlerin solle endlich auch    Zeit. Die vom Kanzleramt erdachte Cho-
                                                        d e r   s p i e g e l   2 7 / 2 0 0 7                                                          25
Der Klima-Handel Dicke Luft vor dem Energiegipfel: Industriebosse und Wirtschaftsverbände wehren sich gegen die ambitionierten Umweltschutzpläne ... Der Klima-Handel Dicke Luft vor dem Energiegipfel: Industriebosse und Wirtschaftsverbände wehren sich gegen die ambitionierten Umweltschutzpläne ... Der Klima-Handel Dicke Luft vor dem Energiegipfel: Industriebosse und Wirtschaftsverbände wehren sich gegen die ambitionierten Umweltschutzpläne ...
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