Frauen bewegen Landwirtschaft - Veränderte Rollenbilder von Frauen in landwirtschaftlichen Familienbetrieben von Veronika Grossenbacher ...

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Der kritische Agrarbericht 2019

Frauen bewegen Landwirtschaft
Veränderte Rollenbilder von Frauen in landwirtschaftlichen Familienbetrieben

von Veronika Grossenbacher

                       Der Umbruch in der Landwirtschaft im globalen Kontext stellt Frauen – und mit ihnen die Männer–
                       auf ihren Höfen zunehmend vor widersprüchliche Herausforderungen hinsichtlich Partnerschaft,
                       Familie und Betrieb. Wirtschaftliche und gesellschaftliche Veränderungen weichen traditionelle Rol-
                       lenvorstellungen sowie die Arbeitsteilung in Familie und Betrieb auf. Die Rollen von Frauen auf den
                       landwirtschaftlichen Betrieben werden vielseitiger und vielfältiger – und damit anspruchsvoller.
                       Für Frauen besteht die Herausforderung in der Vereinbarkeit dieses »Zugewinns« mit partnerschaft-
                       lichen Rollenvorstellungen, Quantität und Qualität ihrer Arbeit sowie der individuellen Leistbarkeit
                       im beruflichen wie privaten Alltag. Der nachfolgende Beitrag geht diesen Veränderungsprozessen
                       weiblicher Lebens- und Arbeitsrealitäten nach, unter anderem anhand von Selbst- und Fremdzu-
                       weisungen, wie sie sich im Sprach- und Begriffsgebrauch niederschlagen.

Setzt man sich mit der Rolle von Frauen in landwirt-            tin war damals noch nicht im Sprachgebrauch. In mei-
schaftlichen Familienbetrieben auseinander, bedarf es           nem Lehrabschlusszeugnis steht zwar: »Der Inhaber
zunächst einer Begriffsklärung, bevor die verschiede-           ist berechtigt, den Titel ›Landwirt‹ zu führen.« Land-
nen Rollen mit all ihren Erwartungen und Zuweisun-              wirt war jedoch der Begriff, den man nur in schrift-
gen beschrieben werden. Wenn wir eine Annäherung                licher Form verwendet hat. Die Landwirtin gab es of-
an die unterschiedlichen Begriffsverständnisse und              fiziell noch gar nicht. In meinem schweizerischen und
Identitäten suchen, dann vor allem, damit wir einander          süddeutschen Sprachraum pflegte man damals nur
richtig verstehen und auch richtig verstanden werden.           die Begriffe »Bauer« und »Bäuerin«. Damit waren Be-
Dabei geht es nicht um den Versuch einer Vereinheitli-          ruf und Rollenbezeichnung gleichermaßen festgelegt.
chung von Begriffsverständnissen. Es geht vielmehr um           Mit meiner Berufswahl hatte ich mich für einen Beruf
die Bewusstmachung des unterschiedlichen Sprach-                entschieden, nicht aber für eine Rolle, wie es die weib-
und Begriffsgebrauchs von Frauen in der Landwirt-               liche Bezeichnung »Bäuerin« assoziierte. Nun, mei-
schaft und damit von potenziellen Missverständnissen.           nem Umfeld erklärte ich dann einfach, dass ich »Bau-
                                                                erin« werden würde. »Bäuerin« war ein anderer Beruf
Wer bin ich? Was bin ich?                                       und vor allem eine andere Rolle. Ich lernte »Bauerin«!
                                                                   Beschäftigt man/frau sich mit den Identitäten von
Betriebsleiterin? Landwirtin? Bäuerin? Mitunterneh-             Frauen in der Landwirtschaft im deutschsprachigen
merin? Betriebsinhaberin? Landfrau? Hoferbin? Mit-              Raum, so stellt man fest, dass sowohl das Selbstver-
helfende Familienangehörige? Unternehmerin? Oder,               ständnis als auch die Fremdzuweisungen in den un-
oder, oder …?                                                   terschiedlichen deutschsprachigen Regionen ganz un-
   Als ich in den 1980er-Jahren eine landwirtschaftli-          terschiedlich sind. In Vorbereitung einer Tagung, die
che Ausbildung absolviert habe, war ich im landwirt-            2017 in Schwäbisch Hall stattfand (siehe Kasten), frag-
schaftlich-dörflichen Umfeld eine noch ungewohnte               te ich eine österreichische Agraringenieurin, was sie
Exotin. »So, dann wirst Du also Bäuerin«, lautete die           beruflich mache. Sie antwortete: »Ich bin Biobäuerin.«
Reaktion der Menschen, wenn ich erzählte, dass ich              Fragt man im nördlichen Deutschland Frauen, welche
eine landwirtschaftliche Ausbildung mache. »Nein«,              »über die Liebe« zur Landwirtschaft gekommen sind,
sagte ich, und suchte nach einem passenden Begriff              ist die Wahrscheinlichkeit verhältnismäßig groß, dass
für das, was ich da werden wollte. Landwirt/Landwir-            sie antworten: »Ich bin Landwirtin«, auch wenn sie

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Agrarkultur

                                                                    nen Europas – und so vielfältig sind die Rollen und die
  Frauen bewegen Landwirtschaft –                                   Namen für Frauen und Männer in der Landwirtschaft.
  Landwirtschaft bewegt Frauen                                        Es gibt viele ganz unterschiedliche Bereiche, welche
                                                                    den Sprach- und Begriffsgebrauch von Frauen (und
  Der vorliegende Beitrag geht zurück auf die 3. Interna-           Männern) in der Landwirtschaft definieren:
  tionale deutschsprachige Tagung zum Thema Frauen
  in der Landwirtschaft, die vom 4. bis 6. April 2017 in            ■   Ausbildung und Berufsbezeichnungen definieren
  Schwäbisch Hall stattfand. Veranstalter waren das                     vergleichsweise genau, wie man/frau sich nennen
  Evangelische Bauernwerk in Württemberg und die                        darf, wie der Beruf lautet. Allein der Alltagssprach-
  Agrarsoziale Gesellschaft. 165 Frauen – Praktikerinnen,               gebrauch sieht manchmal anderes aus.
  Beraterinnen, Wissenschaftlerinnen, Journalistinnen               ■   Rolle/Status: Der Alltagssprachgebrauch orientiert
  und Vertreterinnen von Verbänden – aus Österreich,                    sich überwiegend an der Rolle bzw. am Status der
  der Schweiz, Südtirol, den Niederlanden und Deutsch-                  betreffenden Frau auf dem Hof.
  land trafen sich zum Austausch über Forschungser-                 ■   Tätigkeit/Arbeit: Ebenso prägt die Tätigkeit bzw.
  gebnisse und Praxisberichte zu den Rollen von Frauen                  die Arbeit, die eine Frau auf einem Hof ausübt, den
  in landwirtschaftlichen Betrieben. Die Tagung bot ein                 Sprachgebrauch.
  Forum mit breitem Wissens- und Erfahrungsaustausch                ■   Rechtsbereiche/Gesetze: Verschiedene Rechtsbe-
  für alle jene, die sich in Theorie und Praxis mit Gender-             reiche und Gesetze definieren, wer ein Landwirt/
  fragen in der Landwirtschaft befassen und sich für die                eine Landwirtin ist und wer nicht (z. B. Steuerrecht,
  Veränderung der Situation von Frauen in der Landwirt-                 Alterssicherung, Unfallversicherung). Was das eine
  schaft interessieren. Die Tagung ist dokumentiert in                  Gesetz als Landwirt/-in definiert, sieht in einem an-
  dem von Ines Fahning, Veronika Grossenbacher, Tanja                   deren Gesetz manchmal wieder anders aus. Einheit-
  Mölders und Brigitte Wotha herausgegebenen Band:                      liche, rechtsbereichübergreifende Begrifflichkeiten
  Frauen bewegen Landwirtschaft – Landwirtschaft                        gibt es nicht.
  bewegt Frauen Waldenburg-Hohenbuch und Göttingen                  ■   Erwerbsstatistiken/Agrarberichte pflegen wiederum
  2017 (Bezug über: frauentagung2017@hohebuch.de).                      andere Definitionen.
                                                                    ■   Tradition und Sprachgebrauch eines Landes/einer
                                                                        Region beeinflussen den Begriffsgebrauch stark.
nie eine landwirtschaftliche Lehre gemacht haben. Im                ■   Lebensgefühl/Lebensweise: Manch ein Begriffsge-
Süden Deutschlands liegt man begrifflich irgendwo                       brauch ist auch Ausdruck eines Lebensgefühls bzw.
dazwischen. Eine gelernte oder studierte Landwirtin                     der Lebens- oder Wirtschaftsweise.
bezeichnet sich hier entweder als »Landwirtin« oder                 ■   Änderungen der Begriffsverständnisse im Lauf der
als »Landwirtschaftliche Betriebsleiterin«. Frauen, die                 Zeit: Wo sich landwirtschaftliche Strukturen ver-
über einen Partner (»über die Liebe«) in die Land-                      ändern, verändern sich auch die Identitäten und
wirtschaft gekommen sind und sich im Betrieb mit                        damit die Bezeichnung von Menschen in der Land-
engagieren, verstehen sich eher als Bäuerinnen – das                    wirtschaft.
mittlerweile aber auch nur noch bedingt.
   Das sind nur einige Beispiele von vielen, die auf-               Berufsbezeichnungen von Frauen in Land-
zeigen, wie unterschiedlich wir im deutschen Sprach-                und Hauswirtschaft
raum Bezeichnungen für Frauen in der Landwirt-
schaft verwenden. So vielfältig die Landschaften und                Die Berufsbezeichnungen von Frauen in Land- und
die Mentalitäten, so vielfältig ist auch die Landwirt-              Hauswirtschaft im deutschsprachigen Raum unter-
schaft in den verschiedenen deutschsprachigen Regio-                scheiden sich wie folgt (Tab.1):

  Tab. 1: Berufsbezeichnungen von Frauen in Land- und Hauswirtschaft im deutschsprachigen Raum

                     Deutschland              Schweiz                     Österreich                   Südtirol
  Landwirtschaft     Landwirt/-in             Landwirt/-in                Facharbeiter/-in             Fachfrau/-mann
                                                                          Landwirtschaft               für Landwirtschaft
  Hauswirtschaft     Ländliche                Fachfrau/-mann              Facharbeiter/-in länd-       Fachkraft für Ernährungs-
                     Hauswirtschafter/-in     für Hauswirtschaft          liches Betriebs- und Haus-   wirtschaft/hauswirtschaft-
                                              Diplomierte Bäuerin         haltsmanagement              liche Dienstleistungen
                                                                                                       Neu seit 2016:
                                                                                                       Bäuerinnenschule Südtirol

                                                                                                                                    311
Der kritische Agrarbericht 2019

   Tab. 2: Berufs- bzw. Rollenbezeichnungen

                 Deutschland                            Schweiz                               Österreich                        Südtirol
   Bäuerin       • Traditionell: die Frauenrolle in     • Traditionell bis Gegenwart:         • Frau heiratet in Hof und        Frauen in
                   der Landwirtschaft, unabhängig         mitarbeitende Frau eines Land-        Familie ein                     der Land-
                   von Eigentumsverhältnissen und         wirts                               • Bäuerin = berufstätige          wirtschaft
                   Berufsausbildung                     • Ausbildung: diplomierte Bäuerin       Frau
                 • Heute: mitarbeitende Frau              mit Fachausweis
                   eines Landwirts (»B-Rolle«) –
                   im Süden mehr als im Norden
   Landwirtin    • Ausbildungsberuf: Landwirt/-in       • Ausbildungsberuf: Landwirt/-in      Begriff wird wenig benutzt        Nicht
                 • Teilweise Bezeichnung der Frau       • Traditionell: nicht gebräuchlich                                      gebräuchlich
                   eines Landwirts (unabhängig          • Heute: als Berufsbezeichnung
                   von ihrer Ausbildung) – eher im        gebräuchlicher
                   Norden gebräuchlich
   Betriebs-     • Frau, meist mit landwirtschaft-      • Frau, die unabhängig von ihrer      • Frau, die formal einen          Weniger
   leiterin        licher Ausbildung, die einen land-     Ausbildung einen landwirt-            Betrieb leitet                  gebräuchlich
                   wirtschaftlichen Betrieb führt und     schaftlichen Betrieb führt und      • Ca. 40 Prozent Betriebsleite-
                   ihn nach außen vertritt (A-Rolle)      ihn nach außen vertritt (A-Rolle)     rinnen (sozial und pensions-
                 • Acht Prozent Betriebsleiterinnen                                             rechtliche Überlegungen)

   In diesen unterschiedlichen Berufsbezeichnungen                       Darum differenziere ich bei den Mitunternehmerin-
sind im Länder und Regionen übergreifenden Dialog                        nen weitere Rollen.
potenzielle »Missverständnisse« bereits angelegt. Das
verstärkt sich noch, wenn wir weitere Bezeichnungen                      Typ I: Landwirtschaftliche Betriebsleiterinnen
von Frauen in der Landwirtschaft betrachten.                             Landwirtschaftliche Betriebsleiterinnen sind Frauen
   Nachfolgend nähern wir uns exemplarisch den Be-                       mit meist landwirtschaftlicher Ausbildung, die einen
rufs- bzw. Rollenbezeichnungen »Bäuerin«, »Land-                         landwirtschaftlichen Betrieb führen und nach außen
wirtin« und »Betriebsleiterin« an (Tab.2).                               vertreten, den sie meist im Zuge des innerfamiliären
   Der Eindruck, den diese tabellarische Gegenüber-                      Generationenwechsels übernommen haben. Acht bis
stellung hinterlässt, täuscht. Denn trotz der aufgezeig-                 neun Prozent der landwirtschaftlichen Betriebsleiter
ten Unterschiede im gängigen Sprachgebrauch lassen                       in Deutschland sind weiblich.
sich die verschiedenen Bezeichnungen von Frauen                             Die rollenspezifischen Herausforderungen für die-
in der Landwirtschaft im deutschsprachigen Raum                          se Frauen lassen sich folgenden Bereichen zuordnen:
kaum einheitlich abgrenzen, nicht einmal innerhalb                       Konflikte in der Familie, Partnerschaft, Vereinbarkeit
eines engeren Sprachraumes. Je nach Perspektive des                      von Betrieb, Familie und Haushalt, Kraft und Technik
Betrachters/der Betrachterin, werden auch innerhalb                      sowie Wahrnehmung im sozialen Umfeld. Betriebslei-
eines Sprachraumes Bezeichnungen von Frauen in der                       terinnen müssen nach wie vor Vätern, Berufskollegen
Landwirtschaft unterschiedlich verwendet. Die Varia-                     oder ihrem Umfeld »beweisen«, dass sie Landwirt-
bilität steigt zudem, wenn man die Zeitdimension mit                     schaft und Betriebsleitung können, auch wenn in den
hinzunimmt: Wo sich Strukturen verändern, wie in                         letzten 20 bis 30 Jahren hier nicht mehr jede Frau an
der Landwirtschaft der letzten Jahrzehnte, verändern                     allen Fronten kämpfen muss. Kompetente landwirt-
sich Identitäten und damit auch der Sprachgebrauch                       schaftlich ausgebildete Frauen sind heute akzeptierter
und mit ihm Deutung und Interpretation landwirt-                         als noch vor Jahren.
schaftlicher Berufs- und Rollenbezeichnungen.                               Betriebsleiterinnen mit landwirtschaftlichen Part-
                                                                         nern finden sich jedoch nicht selten in einer Konkur-
Rolle der Frau im Familienbetrieb                                        renzsituation mit ihren ebenfalls landwirtschaftlich
                                                                         kompetenten Partnern. Wo sie und er klar getrennte
Frauen im landwirtschaftlichen Familienbetrieb las-                      Verantwortungsbereiche haben, ist die Konkurrenz
sen sich nicht mehr allein auf die traditionelle Rolle                   nicht so ausgeprägt, wie dort, wo scheinbar gemein-
der eingeheirateten Ehefrau und Mitarbeiterin im                         sam verantwortet wird. Männer tun sich nach wie
Betrieb festlegen. Im Folgenden unterscheide ich                         vor schwer mit ihren landwirtschaftlich kompetenten
zwei Grundtypen von Frauenrollen und ihre spezi-                         Frauen auf Augenhöhe oder wo gar sie die A-Rolle
fischen Herausforderungen: »Landwirtschaftliche                          und er die B-Rolle innehat. Spätestens mit der Famili-
Betriebsleiterinnen« und »Frauen als Mitunterneh-                        engründung und der Geburt des ersten Kindes finden
merinnen«. Die Vielfalt an Rollen ist ungleich größer.                   sich Betriebsleiterinnen mit Partnern im Betrieb häu-

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Agrarkultur

fig auf einmal in der B-Rolle wieder. Sie haben zwar         ten Beruf, zumeist in Teilzeit mit durchschnittlich
die Hälfte der beruflichen Welt erobert, ihre Männer         einer halben Stelle. Bei einer Ausweitung der Berufs-
jedoch nicht die Hälfte der Familien- und Hausarbeit.        tätigkeit reduzieren Frauen zwangsläufig die (Mit-)
                                                             Arbeit im landwirtschaftlichen Betrieb. Eine Heraus-
Typ II: Frauen als Mitunternehmerinnen                       forderung für die betreffenden Frauen besteht jedoch
Diese Frauen kommen in erster Linie über die Liebe           darin, dass die Reduzierung der betrieblichen Arbeit
in die Landwirtschaft. Den weitaus größten Teil der          geringer ausfällt als der zeitliche Mehraufwand für die
Frauen in der Landwirtschaft führte ihr Weg über             externe Berufstätigkeit.
die Heirat eines Landwirts auf einen Hof. Sie arbei-
ten nach wie vor größtenteils im landwirtschaftlichen        Mitunternehmerinnen, die einen eigenständigen
Betrieb mit. Wir sprechen hier mehrheitlich von den          Betriebszweig aufgebaut haben
Frauen, welche man traditionell als »Bäuerinnen« be-         Wo Frauen innerbetrieblich eigene Betriebszweige
zeichnen würde. Sie übernehmen Aufgaben in Fami-             aufgebaut haben, stehen diese vor ähnlichen Heraus-
lie, Haushalt, Betrieb und gesellschaftlichem Umfeld.        forderungen wie die Frauen, welche neben der be-
   Die erste Herausforderung, die sich diesen Frauen         trieblichen Arbeit noch außerbetrieblicher Beschäfti-
stellt, ist es, auf dem Hof und in der Familie ihren Platz   gung nachgehen. Eine florierende Direktvermarktung,
und ihre Rolle zu finden, wo sie auf ein bereits eingeüb-    zufriedene Gäste bei Urlaub auf dem Bauernhof, Hof-
tes Zweigenerationenteam treffen. Im Gegenzug sind           bäckerei und Hofcafé verlangen den vollen Einsatz der
Mann, Schwiegereltern und manchmal Geschwister               Frauen. Die Mehrfachbelastung der Frauen geht auf
herausgefordert, Platz zu schaffen, Aufgaben neu zu          Dauer jedoch einher mit Erschöpfung, wenn mit dem
(ver-)teilen. Den Männern bzw. Söhnen kommt in
diesem Prozess eine Schlüsselrolle zu. Frauen, die auf
einen Hof einheiraten, brauchen einen Partner, der             Folgerungen      & Forderungen
ihnen mehr Gewicht gibt, als den eigenen Eltern und
Geschwistern. Es muss ein Loyalitätstransfer von der           ■   In der Landwirtschaft ist die Eindeutigkeit von Rol-
Ursprungsfamilie auf die neue Kernfamilie stattfinden.             lenzuweisungen für Frauen größeren Gestaltungs-
   Gemäß einer Studie des Rheinischen Land-                        möglichkeiten, -notwendigkeiten und einer Vielfalt
Frauenverbandes und des Westfälisch-Lippischen                     von Erwartungen gewichen.
LandFrauenverbandes aus dem Jahr 2016 sind die                 ■   Frauenrollen in der Landwirtschaft sind vielfältiger
Arbeitsschwerpunkte dieser Frauen das Agrarbü-                     geworden. Die entsprechenden Veränderungen auf
ro (77 Prozent), Einsatz als »Springer« (74 Prozent)               der männlichen Seite hinken jedoch hinterher.
sowie Stallarbeit (64 Prozent). Nur 30 Prozent helfen          ■   Im Bereich der Care-Arbeit haben es Veränderungen
im Ackerbau mit. Sonstige Tätigkeiten schlagen mit                 bis heute schwer. Noch immer stehen Frauen für die
fünf Prozent zu Buche. Die Springertätigkeit verlangt              »Soft Skills« traditionell höher in der Pflicht als Män-
vielseitige Kompetenzen, da eine Vielzahl von Arbei-               ner. Beide Geschlechter sind hier gefordert, mehr
ten beherrscht werden muss, und ein Höchstmaß an                   Freiheit in der Rollenfindung zu suchen – zum Wohle
Flexibilität, da die Abrufbarkeit fast jederzeit möglich           von Frauen und Männern und für diejenigen, für die
sein muss – trotz der Vielzahl und Vielfalt an regu-               sie Sorge tragen.
lären Tätigkeiten dieser Frauen.                               ■   Die Kompetenzen für Kommunikation und Konflikt-
                                                                   management werden nicht den heutigen Anforde-
Mitunternehmerin, mitarbeitend und zugleich engagiert              rungen entsprechend ausgebildet. Berufliche Ausbil-
im erlernten Beruf                                                 dung ist nach wie vor zu einseitig fachspezifisch aus-
Das Beispiel Nordrhein-Westfalen zeigt, welcher                    gerichtet. Innerpsychische und soziale Kompetenzen
Wandel die Rolle der Mitunternehmerinnen in den                    finden in Lehrplänen und Ausbildung zu wenig
zurückliegenden Jahren erfahren hat. Frauen in der                 Berücksichtigung und Gewichtung.
Landwirtschaft verfügen heute mehrheitlich (63 Pro-            ■   Wirkliche Freiheit in der Rollengestaltung in land-
zent) über berufliche Qualifikationen außerhalb der                wirtschaftlichen Familienbetrieben braucht eine
»grünen« Berufsfelder und sind damit Quereinstei-                  stärkere Sensibilisierung für Geschlechterrollen
gerinnen in der Landwirtschaft. Die Doppelorientie-                in der Selbstwahrnehmung und Selbstdarstellung
rung in der Erwerbsarbeit – sowohl als Mitarbeiten-                sowie die Verankerung von Soft Skills in Schul-,
de im landwirtschaftlichen Familienbetrieb als auch                Aus- und Weiterbildung. Politik, Bildungs- und Wei-
als außerlandwirtschaftlich Berufstätige – hat sich                terbildungsträger sind hier gefordert, in Dialog zu
in den letzten zehn Jahren rasant erhöht. In Nord-                 treten und entsprechende Rahmenbedingungen und
rhein-Westfalen arbeitet mehr als jede dritte Bäuerin              Bildungsangebote zu schaffen.
(36 Prozent) außerlandwirtschaftlich in ihrem erlern-

                                                                                                                          313
Der kritische Agrarbericht 2019

Aufbau des eigenen Betriebszweiges nicht im selben          lenzuweisungen klar, vorgegeben und wenig flexibel,
Maße andere Aufgaben wegfallen.                             gibt es heute mehr Freiheit und vordergründig we-
                                                            niger eindeutig definierte Erwartungen an die Rolle
Frauen, die eigene außerlandwirtschaftliche berufliche      der Frauen. Die »neue« Freiheit fordert Frauen und
Wege gehen                                                  Männer aber auch stärker. Mehr Freiheit und mehr
In Nordrhein-Westfalen geben 17 Prozent der Frau-           Möglichkeit der Rollengestaltung bedeuten gleich-
en an, nicht im landwirtschaftlichen Betrieb tätig zu       zeitig auch mehr Notwendigkeit des Aushandelns
sein. Das sind vor allem junge Frauen, deren »eige-         der Rollen zwischen den Partner untereinander. Eine
ner« Beruf großes persönliches und ökonomisches             Freiheit, die gelernt sein will.
Entwicklungspotenzial bietet und zugleich der hohe
Spezialisierungsgrad des landwirtschaftlichen Betrie-
bes differenziertes spezifisches Fachwissen erfordert.      Verwendete und weiterführende Literatur
   Außerbetriebliche Berufstätigkeit schafft für diese      M. Baur und K. Schraag: Betriebsleiterinnen in der Landwirt-
                                                               schaft – eine Fallstudie in Baden-Württemberg (2014). Zentrale
Frauen größere finanzielle Sicherheit und Unabhän-
                                                               Ergebnisse in: I. Fahning et al. (Hrsg.). Frauen bewegen Land-
gigkeit. Eine Herausforderung besteht darin, dass              wirtschaft – Landwirtschaft bewegt Frauen. Waldenburg-Hohe-
nicht immer von allen, die auf dem Hof arbeiten, die           buch und Göttingen 2017, S. 34–39.
außerlandwirtschaftliche Tätigkeit auch als »Arbeit«        R. Bender: Das Problem hat System. In: I. Fahning et al. (Hrsg.).
anerkannt und geschätzt wird. Problematisch wird es,           Frauen bewegen Landwirtschaft – Landwirtschaft bewegt Frau-
                                                               en. Waldenburg-Hohebuch und Göttingen 2017, S. 128–133.
wenn die Frau von der betrieblichen Kommunikation           H. Brändle und A. Sigel: Family Farming und die Rolle der Frauen.
weitgehend ausgeschlossen ist. Es erfordert viel Kraft         In: I. Fahning et al. (Hrsg.). Frauen bewegen Landwirtschaft –
und Organisation, den Spagat zwischen außerbetrieb-            Landwirtschaft bewegt Frauen. Waldenburg-Hohebuch und
lichem Beruf, betrieblichen Anforderungen und fami-            Göttingen 2017, S. 134–139.
                                                            S. Contzen: Alles in Butter – oder doch nicht? Geschlechtergerechtig-
liären Erfordernissen zu meistern.
                                                               keit auf Landwirtschaftsbetrieben von Frauen. In: I. Fahning et al.
   Auch wenn die Frau eines Landwirts außerbetrieb-            (Hrsg.). Frauen bewegen Landwirtschaft – Landwirtschaft bewegt
lich berufstätig ist, lebt sie trotzdem betrieblichen Er-      Frauen. Waldenburg-Hohebuch und Göttingen 2017, S. 40–55.
folg wie Misserfolg mit. Wo Banken bei Darlehensver-        Rheinischer LandFrauenverband und Westfälisch-Lippischer
trägen die Mitunterschrift der Ehegatten einfordern,           LandFrauenverband (Hrsg.): Frauen in der Landwirtschaft in
                                                               Nordrhein-Westfalen. Münster 2016 (www.wllv.de/fileadmin/
haften Frauen zudem mit. Umso wichtiger ist hier eine          dateien/aktuelles/FraueninderLandwirtschaft.pdf).
gute Kommunikation in der Familie.                          V. Grossenbacher: Frauen als Betriebsleiterinnen. In: Der kritische
   Neben der bereits beschriebenen Vielfalt berufli-           Agrarbericht 1996, S. 186–192.
chen und betrieblichen Engagements von Frauen in            V. Grossenbacher und I. Fahning: Wer bin ich? Betriebsleiterin,
                                                               Landwirtin, Bäuerin oder…? In: I. Fahning et al. (Hrsg.). Frauen
der Landwirtschaft, ist die Care-Arbeit (Kinderbetreu-
                                                               bewegen Landwirtschaft – Landwirtschaft bewegt Frauen.
ung und Pflege) nach wie vor in weiblicher Hand. Da            Waldenburg-Hohebuch und Göttingen 2017, S. 8–15.
Familien in der Landwirtschaft überdurchschnittlich         H. Kuhlmann: Balanceakt Bäuerin. In: I. Fahning et al. (Hrsg.). Frau-
viele Kinder haben und Pflege in der Landwirtschaft            en bewegen Landwirtschaft – Landwirtschaft bewegt Frauen.
größtenteils im Familienkontext stattfindet, liegt die         Waldenburg-Hohebuch und Göttingen 2017, S. 70–87.
                                                            T. Oedl-Wieser und G. Wiesinger: Landwirtschaftliche Betriebslei-
Care-Leistung von Bäuerinnen über dem Durch-                   terinnen in Österreich. Eine explorative Studie zur Identitäts-
schnitt erwerbstätiger Frauen in Deutschland. Laut der         bildung. Forschungsbericht Nr. 62 der Bundesanstalt für Berg-
Studie in Nordrhein-Westfalen leisten Frauen in der            bauernfragen. Wien 2010.
Landwirtschaft in der Kinderbetreuung durchschnitt-         R. Rossier und L. Reissig: Beitrag der Bäuerinnen für die landwirt-
                                                               schaftlichen Familienbetriebe in der Schweiz. Agroscope Trans-
lich 42 Stunden pro Woche, Großeltern neun Stunden
                                                               fer 21. Ettenhausen 2014.
und Väter 15 Stunde pro Woche. Hier besteht noch            M. Schmitt: Landwirtinnen – Chancen und Risiken von Frauen in
vielseitiger und umfangreicher Entwicklungsbedarf              einem traditionellen Männerberuf. Opladen 1997
gerade auch für Männer, bis die Hälfte des Terrains         Südtiroler Bäuerinnenorganisation: Heint zu Tog Bäuerin sein.
der Familien-und Hausarbeit gewonnen ist, Männer               Bozen 2012 (www.baeuerinnen.it/wir-ueber-uns/broschueren-
                                                               und-publikationen/199-heint-zu-tog.html).
und Frauen Care-Arbeit partnerschaftlich teilen und
Frauen entlastet sind.

Fazit                                                                            Veronika Grossenbacher
                                                                                 Diplom-Agraringenieurin ist Bildungs-
Die Vielfalt der Identitäten und Rollen von Frauen in                            referentin und stellvertretende Geschäfts-
der Landwirtschaft haben sich – abhängig von Aus-                                führerin des Evangelischen Bauernwerks
                                                                                 in Württemberg e.V.
bildung, geprägt von Tradition, Lebensgefühl und
Region – in den letzten 50 Jahren mental und gesell-                             Hohebuch 16, 74638 Waldenburg
schaftsbedingt stark verändert. Waren früher die Rol-                            v.grossenbacher@hohebuch.de

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