POLYTECHNIK - Familien stärken - Stiftung Polytechnische Gesellschaft
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POLYTECHNIK I N F O R M A T I O N E N A U S D E R S T I F T U N G P O LY T E C H N I S C H E G E S E L L S C H A F T F R A N K F U R T A M M A I N AUSGABE 1 / 2021 Familien stärken
Das Titelbild zeigt drei Mitglieder der Familie Mansoor aus Frankfurt-Nied, die der Stiftung Polytechnische Gesellschaft schon seit vielen Jahren eng verbunden ist. Mehr hierzu erfahren Sie auf den Seiten 22 und 23. »Kinder sind unsere Zukunft, und jedes Kind hat das Recht auf einen gleichberechtigten Zugang zur Bildung.« E L K E B Ü D E N B E N D E R , Z I TAT A U S D E M G R U S S WO RT Z U M D I G I TA L E N D I E ST E RW E G - STA N D O RTTAG I M F E B R U A R 2 0 2 1
INHALT 5 P R O F. D R . R O L A N D K A E H L B R A N D T FAMILIEN STÄRKEN – EINE LOHNENSWERTE 14 STIMMEN ZUM THEMA STIFTUNGSAUFGABE Familienbildung als ein zentrales WAS BEDEUTET FAMILIE? Betätigungsfeld unserer Stiftungsarbeit Diese Frage beantworteten uns Menschen aus unserem Stiftungsumfeld 8 MELANIE WEIMER 16 INTERVIEW MIT DER PASSENDEN BRILLE AUF ERFOLGS- DIE SICHT DER FAMILIEN AUF KURS DIE WILLKOMMENSTAGE Wie ressourcenorientierte Familienbildung Ein Gespräch mit einer ehemaligen Teilnehmerin Eltern und Kinder stärkt über ihre Erfahrungen im Projekt 12 19 P R O F. D R . S A B I N E A N D R E S E N BERND ECKHARDT UNTERSTÜTZUNG DAS DIESTERWEG-STIPEN- VON ANFANG AN DIUM: VIELE STANDORTE, EIN GEMEINSAMES ZIEL Das Projekt Babylotse Frankfurt am Main erreicht Familien zum frühestmöglichen Zeitpunkt Ob analog, hybrid oder digital: Das Familien- stipendium wird inzwischen bundesweit an 13 Standorten angeboten 22 ALEXANDER JÜRGS WAS MACHT EIGENTLICH … ? Eine polytechnische Familie im Porträt 24 RÜCKBLICK NAMEN UND NACHRICHTEN Kurzinformationen aus der Stiftung
EDITORIAL Liebe Leserinnen und Leser, »Familie«: dieser Begriff löst wohl bei den meisten von uns Gefühle aus. Familie kann Vertrauen, Rückhalt und Unterstützung bedeuten, sie kann aber auch mit weniger posi- tiven Assoziationen verknüpft sein. Doch ganz gleich, wie die persönliche Sicht auf die Familie ausfällt, feststeht: Die Familie ist eine der zentralen Bezugsgruppen und Instan- zen im Leben. Sie prägt und beeinflusst uns in vielerlei Hinsicht. Auch in der Arbeit der Stiftung Polytechnische Gesellschaft spielt die Familie eine entschei- dende Rolle. Denn: Familien mit Rat und Tat dabei zu unterstützen, Bildungsbegleiter ihrer Kinder zu sein, das ist schon lange und ist gerade auch in diesen, pandemiebedingt beson- ders herausfordernden Zeiten ein zentrales Anliegen unserer Stiftung. Sie möchte Fami- lien darin stärken, ihre Kinder auf ihrem Bildungsweg erfolgreich an die Hand zu nehmen; »Familien stärken« lautet daher der Titel dieser Ausgabe unseres Stiftungsmagazins. Weshalb und wie die Stiftung Polytechnische Gesellschaft das ganz konkret tut, erfahren Sie im Artikel unseres Vorstandsvorsitzenden Prof. Dr. Roland Kaehlbrandt. Die Leiterin des Projekts Willkommenstage in der frühen Elternzeit, Melanie Weimer, richtet als Gastautorin in diesem Heft ihren geschulten Blick auf die Frage, wie ressourcenorien- tierte Familienbildung Eltern und Kinder stärkt. Das Projekt Babylotse Frankfurt am Main erreicht und unterstützt Familien zum frühestmöglichen Zeitpunkt: direkt in den Ge- burtskliniken. Prof. Dr. Sabine Andresen hat das Projekt gemeinsam mit ihrem Team von der Goethe-Universität Frankfurt am Main evaluiert und berichtet in dieser Ausgabe von ihren Erkenntnissen; zudem spricht eine Mutter im Interview über ihre persönlichen Erfahrungen als ehemalige Teilnehmerin an den Willkommenstagen. Freuen Sie sich weiterhin auf einen Beitrag darüber, wie das Diesterweg-Stipendium für Kinder und ihre Eltern Familien inzwischen nicht nur in Frankfurt, sondern auch überregional erreicht und fördert – und lernen Sie in unserer Porträtreihe »Was macht eigentlich …?« eine Fami- lie kennen, deren Weg sich schon oft mit dem der Stiftung Polytechnische Gesellschaft gekreuzt hat. Viel Spaß beim Lesen dieser Ausgabe wünscht Ihnen KAROLINE LEIBFRIED Information und Kommunikation Stiftung Polytechnische Gesellschaft
FAMILIEN STÄRKEN – EINE LOHNENSWERTE STIFTUNGSAUFGABE Familienbildung ist in der deutschen Stiftungswelt noch keine sehr verbreitete Form der Förderung. Wir »entdeckten« dieses so wichtige Betätigungsfeld in der Aufbauphase unserer Stiftung – durch viele Gesprächskontakte in der Fachszene der Familienbil- dung in Frankfurt. Unsere praktische Erfahrung sagt: Eine res- sourcenorientierte Familienförderung ist nachhaltig wirkungsvoll. V O N P R O F. D R . R O L A N D K A E H L B R A N D T 5
Schwerpunkt In Gesprächen mit Kindergartenleiterinnen wurden wir zu Beginn unserer Stiftungs- arbeit an die Frühförderstellen in der Stadt weitervermittelt. Sie empfahlen uns, Kontakt zu den Familienbildungsstätten aufzunehmen. Die Familienbildungsstät- ten waren bis dato nicht auf unserem Radarschirm gewesen. Wir verstanden rasch, dass sie ideale frühe Brückenbauer zu jungen Familien sind; früh deshalb, weil sie gleich nach der Geburt der Kinder mit ihren Angeboten zur Verfügung stehen, also in der so entscheidenden frühkindlichen Phase, in der so viel richtig und so viel falsch gemacht werden kann: Auf den Anfang kommt es an. Die Familienbildungsstätten waren ihrerseits auf der Suche nach Projekten, die ihnen den Kontakt zu Familien in schwierigen Lebenslagen erleichtern konnten, denn diese Familien sind nicht leicht zu erreichen. So kamen wir zusammen: Familienbildungs- stätten und die Stiftung. Wir machten uns daran, ein für Frankfurt maßgeschneidertes Brückenprojekt für sogenannte Schwellenfamilien zu entwickeln. Daraus wurde nach anderthalbjähriger Vorbereitung das Projekt Willkommenstage in der frühen Elternzeit, ein Unterstützungsangebot für Familien während des ersten Lebensjahrs des Kindes, an dem bislang knapp 1.000 Personen in Frankfurt teilgenommen haben. Da inzwischen den Willkommenstagen mit dem Projekt Babylotse ein nachweislich erfolgreiches Screening-Projekt in den Frankfurter Geburtskliniken vorgeschaltet werden konnte, schließt sich gewissermaßen auf höchst sinnvolle Weise der Kreis unseres Stiftungs- engagements im Bereich der Frühen Hilfen. »Unser Motto: Ermutigung bewirkt Befähigung.« Was wir als Stiftung beim Aufbau des Projekts Willkommenstage in der frühen Eltern- zeit lernten, war die »Ressourcenorientierung«, die für eine ganze Reihe unserer Stif- tungsprojekte kennzeichnend wurde. Was meint der Begriff? Vieles in unserem Bildungs- und Erziehungssystem ist auf das Aufspüren von Defiziten ausgerichtet. Die Familie aber grundsätzlich als Ressource anzusehen, auch in schwierigen Lagen nach Kräfte- feldern Ausschau zu halten und vorrangig das Potenzial innerhalb der Familie zu stär- ken statt Defizite zu bemängeln – das erwies sich als erfolgreiche Herangehensweise. Familie zu stärken heißt, ihre Stärken zu erkennen und genau daran anzusetzen. Dass dies im Übrigen auch generell für Familien gilt, unterstreicht die Tatsache, dass Familien immer noch und wohl auch weiterhin die entscheidende Instanz für den Lebensweg und auch den Bildungsweg ihrer Kinder sind. Pädagogische Studien, zum Beispiel jene von Prof. Dr. Werner Sacher, haben gezeigt, dass der Einfluss der Familien den größten Anteil an den Bildungsverläufen hat, ganz gleich, wie stark Schule und Kita den Alltag prägen mögen. Familien zu stärken lohnt. Unser Motto: Ermutigung bewirkt Befähigung. Für die Stiftung Polytechnische Gesellschaft als Bildungsstiftung war deshalb die Fami- lie auch über unser erstes Projekt hinaus von großem Interesse, und zwar gerade im Bereich der Bildung, nicht nur unter sozialen Gesichtspunkten: Man kann guten Gewissens sagen, dass die Partnerschaft der Stiftung mit den beteiligten Familienbil- dungsstätten zu fruchtbaren Diskussionen über den Bildungsbegriff geführt hat. Denn letztlich sind die Familienbildungsstätten eben auch und gerade Bildungseinrichtun- gen. Und so ist es erfreulich und passend, dass eine von ihnen, das Zentrum Familie im Haus der Volksarbeit, als Kooperationspartner im Diesterweg-Stipendium für Kin- der und ihre Eltern wirkt und Kurse für Kinder und Eltern auch zu gesellschaftlichen und sogar historischen Themen anbietet. Wer weiß denn auch besser, wie Familien anzusprechen sind? 6
Polytechnik | Ausgabe 1 / 2021 Familien sind die wichtigste Instanz auch für den schulischen Erfolg der Kinder. Bildungs- projekte für Kinder sollten daher auch die Eltern miteinbeziehen. Das ist oft zu hören; aber nicht so oft wird es konsequent betrieben. Die Stiftung Polytechnische Gesellschaft hat sich entschieden, Eltern und Kinder auf ihrem Bildungsweg gemeinsam zu fördern. Denn wenn man nur die Kinder fördert, könnten sie sich auf ihrem Bildungsweg von ih- ren Eltern entfernen. Konflikte sind dann oft unvermeidbar. Andersherum wird ein Schuh daraus: Für Eltern und Kinder gemeinsam die Bildungschancen ihrer Umgebung erlebbar zu machen lautet die Aufgabe, die wir uns in der Stiftung mit dem Diesterweg- Stipendium für Kinder und ihre Eltern gestellt haben. Auch dies ist ein Brückenprojekt: Porträt einer Familie der Diesterweg-Generation 2018–2020. Es geht nicht darum, eine neue Institution zu schaffen, sondern eine Brücke zu Ange- boten in der Stadt zu schlagen. Denn fast alles ist schon da, es muss aber erschlossen werden. Unsere Erfahrung zeigt: Der Weg zur Bildung braucht Begleitung. Und auch hier wieder geht es vordringlich darum, Potenzial zu wecken, und nicht darum, Hin- dernisse zu beklagen. Rund 3.000 Menschen werden bis Ende des Jahres 2021 durch das Diesterweg-Stipendium gefördert worden sein. Sie haben sich auf ihren eigenen Bildungsweg in Deutschland gemacht. Es war eine gute Weichenstellung für die Stiftung Polytechnische Gesellschaft, die Familie großzuschreiben. Inzwischen kennen wir viele Geschichten eines gelungenen Aufstiegs durch Bildung. Mit vielen Familien steht die Stiftung auch noch nach Jah- ren in Kontakt und verfolgt so ihren erfolgreichen Bildungsweg. Gerade erleben wir, wie Jugendliche und junge Erwachsene, die schon als Kinder an den Familienpro- jekten teilgenommen hatten, der Stiftung ihr Engagement anbieten. Sie sind überaus kompetente Unterstützer, denn sie wissen aus eigener Erfahrung, worum es geht. Fa- milien zu stärken – ein lohnenswertes, weil erfolgversprechendes Engagement, gerade auch für private Stiftungen. Prof. Dr. Roland Kaehlbrandt ist Vorstandsvorsitzender der Stiftung Polytechnische Gesellschaft Frankfurt am Main. 7
Gastbeitrag MIT DER PAS- SENDEN BRILLE AUF ERFOLGS- KURS Wie ressourcenorientierte Familienbildung Eltern und Kinder stärkt. VON MELANIE WEIMER Auf das Thema Familie schaut jeder durch seine Kenntnisse und Fähigkeiten, um ihre Erziehung so eigene »Brille«. Die einen sehen Familien zuneh- gestalten zu können, dass ihre Kinder sich opti- mend unter Druck, weisen auf die jährlich steigende mal entwickeln. Der Soll-Zustand ist ein definiertes Zahl von gemeldeten Kindeswohlgefährdungen hin, Maß an Wissen und Können, das sich wie beim befürchten gar die Erosion der Familie. Andere Autoführerschein in Theorie und Praxis aneignen, wiederum betrachten die Familie nach wie vor als überprüfen und bescheinigen lässt. Zum Erwerb Keimzelle der Gesellschaft, als erste und wich- des Autoführerscheins besucht man die Fahrschule; tigste Sozialisationsinstanz, als Garant unserer Zu- analog dazu könnte man für den Elternführerschein kunft. Welche Sichtweise das »richtigere« Bild in der Elternschule pauken, bis alle Defizite aus- ergibt, die durch die dunkel getönte oder diejenige gemerzt sind. In der Tat gab und gibt es teils noch durch die rosarote Brille, lässt sich unmöglich all- heute Institutionen mit diesem Titel. Nach dem gemein beantworten. Die viel wichtigere Frage für Ersten Weltkrieg zogen junge Frauen in die Städte, pädagogische Fachkräfte ist jedoch ohnehin eine um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Fern von ganz andere: Wie können wir Familien wirksam ihren Müttern, Tanten und Großmüttern hatten sie unterstützen? dort weder Vorbilder noch familiäre Unterstüt- zung, als sie selbst Kinder bekamen. So entstanden Familienbildung hat den Auftrag, Eltern in ihrer die Mütterschulen. Später wurden sie auf Eltern- Erziehungskompetenz zu stärken, zu gelingenden schulen ausgeweitet, die wiederum die Vorläufer Familienbeziehungen beizutragen und so die ge- der heutigen Familienbildungsstätten sind. Eltern- sunde Entwicklung von Kindern zu fördern. Wer schulen, die noch immer so bezeichnet werden, mit dem Problemblick an diese Aufgaben heran- gibt es heute vor allem angegliedert an die Ent- geht, entdeckt schnell Entwicklungsdefizite von Kin- bindungskliniken. dern und Erziehungsschwierigkeiten der Eltern als pädagogische Handlungsfelder. Seit den Siebzi- Unrealistisch wäre es, den defizitorientierten Blick gerjahren taucht immer wieder die Forderung gänzlich bannen zu wollen – es hängt vom Kon- nach einem »Elternführerschein« auf. Die Logik text ab, welche »Brille« wo am angemessensten scheint bestechend: Eltern brauchen bestimmte ist. Unzweifelhaft notwendig ist das Identifizieren 8
Polytechnik | Ausgabe 1 / 2021 Die Willkommenstage in der frühen Eltern- zeit bieten Eltern gezielte Unterstützung im ersten Jahr nach der Geburt ihres Kindes. »Jedes Kind ist exzellent – und Eltern sind die Experten ihrer Kinder.« » E A R LY - E X C E L L E N C E « - A N S A T Z 9
Gastbeitrag von Defiziten, zum Beispiel in kinderärztlichen Früh- diglich eine Nachsorgehebamme. Die Babylotsin erkennungsuntersuchungen oder bei der Beur- respektierte und erfüllte diesen einzigen Wunsch teilung von Gefährdungsmeldungen im Jugendamt. der Mutter. Nach gleich zwei guten Erfahrungen Darüber, ob im System Schule die nach wie vor mit der Hilfe von Fachkräften – einer Babylotsin, gern genutzte Defizitbrille wirklich eine bildungsför- die ihr nichts gegen ihren Willen aufzudrängen ver- dernde Sichtweise begünstigt, lässt sich dagegen suchte, und einer Hebamme, die sie einfühlsam streiten. In der Familienbildung jedenfalls ist der im Wochenbett betreute – war die Mutter bereit für Paradigmenwechsel vom defizit- zum ressourcen- einen nächsten Schritt. Sie kam von sich aus wie- orientierten Ansatz auf breiter Front längst erfolgt. der auf die Babylotsinnen zu und bat um weitere Der »Early-Excellence«-Ansatz, der in struktur- Unterstützung. schwachen Regionen Großbritanniens entwickelt wurde und in Deutschland zum prägenden Kon- Wenn Eltern den ehrlich wert- zept der Kinder- und Familienzentren wurde, baut auf zwei entschieden ressourcenorientierten Grund- schätzenden Blick von Fachkräften annahmen auf: Jedes Kind ist exzellent – und spüren statt kritisiert und belehrt Eltern sind die Experten ihrer Kinder. In der Video- zu werden, entwickeln sie eine arbeit mit »Marte Meo«, einem Ansatz, der wört- lich übersetzt »aus eigener Kraft« bedeutet, werden viel größere Bereitschaft, sich gerade Eltern aus dem aufgenommenen Filmmaterial auch den schwierigen Themen ausschließlich die gelungenen Sequenzen gezeigt – zu öffnen. selbst wenn das nur einige Sekunden einer Spiel- situation oder eines Blickkontakts zwischen ihnen Die Willkommenstage in der frühen Elternzeit för- und ihrem Kind sein sollten. Das gleiche Prinzip dern mit der »Ressourcen-Brille« viele Schätze bei heißt im Frühe-Hilfen-Ansatz STEEP »seeing is Eltern und Kindern zutage. So waren die Mütter- believing«. Beide Konzepte spüren die oft verdeckten cafés für eine Mutter, die finanziell und familiär mit Ressourcen der Eltern auf, machen Momente des allerlei Herausforderungen zu kämpfen hatte, und Gelingens im Bild oder Video sichtbar und nutzen ihre kleine Tochter, die an einem seltenen und diese Schlüsselsituationen als Grundlage für die schweren genetischen Defekt litt, eine wohltuende weitere pädagogische Beratungsarbeit. Der als sehr Oase im stürmischen Alltag. Nur hier konnte die wirksam evaluierte Erziehungskurs »Starke Eltern – Mutter ihr Kind einfach als fröhliches Baby unter Starke Kinder« verdeutlicht die Ressourcenorien- anderen Babys erleben. In Beobachtungseinhei- tierung schon in der Überschrift. Jeder Kursabend ten erkannte sie, dass die Tochter sich trotz ihrer steht unter einem positiv formulierten Motto. Das körperlichen Beeinträchtigungen in ihrem eige- erste lautet: »Achte auf die positiven Seiten des nen Tempo entwickelte und trotz ihrer Schwerhörig- Kindes!« keit mit Neugier und Freude die Welt entdeckte. So gewann die Mutter den positiven Blick zurück, Ist das nicht alles Sozialromantik? Die rosarote der hinter den Sorgen eines mehr als einjährigen Brille, die alle zweifellos in Familien vorhandenen Diagnostikmarathons verloren zu gehen drohte, und Probleme einfach nur ausblendet oder schönfärbt? konnte ihre Tochter wieder mit ganz anderem Die Praxis zeigt: Das Gegenteil ist der Fall. Wenn Selbstvertrauen in deren Entwicklung begleiten – Eltern den ehrlich wertschätzenden Blick von die viel positiver verlief, als anfangs zu befürch- Fachkräften spüren statt kritisiert und belehrt zu ten stand. werden, entwickeln sie eine viel größere Bereit- schaft, sich gerade auch schwierigen Themen zu Dass sich das Diesterweg-Stipendium für Kinder öffnen. Die Familienprojekte in der Präventi- und ihre Eltern zu einem bundesweiten Export- onskette der Stiftung Polytechnische Gesellschaft schlager entwickelt hat, liegt sicherlich auch daran, bauen auf diesem Prinzip auf. Die Babylotsen dass hier die Ressourcenorientierung bereits im gehen in den Entbindungskliniken zwar aktiv auf Titel beginnt. Wer täte sich nicht leichter damit, ein Familien mit Belastungen zu, richten ihre Bera- Stipendium und damit eine Auszeichnung anzu- tung jedoch immer daran aus, was die Eltern selbst nehmen, als um Hilfe bitten zu müssen? Das allein als Unterstützungsbedarf formulieren. So hätte wäre allerdings noch nicht viel mehr als ein cle- eine unerfahrenere Fachkraft einer Mutter in schwie- verer Marketingkniff. Ressourcenorientierung in rigen Lebensumständen sicherlich eine ganze der Begleitung von Familien am Übergang von Reihe an Empfehlungen mit Nachdruck ans Herz der Grund- in die weiterführende Schule bedeutet gelegt; die Mutter selbst aber wünschte sich le- viel mehr. Das dreigliedrige deutsche Schulsystem 10
Polytechnik | Ausgabe 1 / 2021 Die Willkommenstage in der frühen Elternzeit fördern mit der »Ressourcen-Brille« viele Schätze bei Eltern und Kindern zutage. separiert früh und ist nicht besonders durchlässig, scheidung für eine Gesamtschule und ermöglichte was zwangsläufig schon im Grundschulalter den dem künstlerisch begabten Mädchen zudem Zei- bangen Blick fördert. So machte sich eine indische chenunterricht. In der Folge blühte nicht nur das Familie, deren eher schüchterne Tochter im Halb- Mädchen auf, die ganze Familie blickte sichtlich jahreszeugnis in der vierten Klasse keine so guten gestärkt in die Zukunft. Noten hatte, große Sorgen. Würde es trotzdem irgendwie fürs Gymnasium »reichen«? Und falls Wer sich also das nächste Mal Sorgen um Familien nicht, wäre dann ihrer Tochter nicht automatisch macht – um Familie und Bildung im Allgemeinen schon die Zukunft verbaut? Gespräche mit der gan- oder um eine konkrete Familie aus dem privaten zen Familie, in denen der Vater feststellte, dass oder beruflichen Umfeld im Speziellen –, möge es er ja selbst trotz seiner gar nicht geradlinigen Bil- einfach einmal ausprobieren und versuchsweise dungsbiografie einen guten Weg gefunden hatte, die Brille wechseln. Die Chancen stehen gut, dass brachten einen Perspektivwechsel. Mit dem ressour- durch die andere Färbung plötzlich unerwartete cenorientierten Blick änderten sich die Fragen: Potenziale und neue Wege sichtbar werden. In welcher Schulform kann sich unser Kind am Melanie Weimer leitet das Projekt Willkommstage in der wohlsten fühlen und sein Potenzial am besten ent- frühen Elternzeit. Sie ist Diplom-Pädagogin, GfG-Geburts- falten? Was sind die Interessen und die Stärken vorbereiterin, GfG-Familienbegleiterin, Systemische unserer Tochter und wie können wir sie darin un- Beraterin (DGSF), Systemische Supervisorin (SG) und terstützen? So traf die Familie schließlich die Ent- Kinderschutzfachkraft. 11
Gastbeitrag UNTERSTÜTZUNG VON ANFANG AN Das Projekt Babylotse Frankfurt am Main erreicht Familien zum frühestmöglichen Zeitpunkt: direkt in den Geburtskliniken. V O N P R O F. D R . S A B I N E A N D R E S E N Passgenaue Hilfestellung und Be- ratung für frischgebackene Eltern bietet das Programm Babylotse. In Frankfurt kommen pro Jahr circa 13.000 Kinder will diese Lücke schließen und Familien zum frühest- zur Welt. Bundesweite Forschungen zeigen, dass möglichen Zeitpunkt direkt in den Geburtskliniken rund 25 bis 30 Prozent der Familien mit Neugebo- erreichen. renen zusätzlichen Informations- und Unterstüt- zungsbedarf haben. Wichtig für Familien in dieser Das Programm verfolgt einen universellen, primär- Lebenssituation sind Anlaufstellen, in denen sie an- präventiven Ansatz, der sich auch klar in der Hal- dere Eltern treffen, dass sie Sozialberatung erhalten tung der Babylotsinnen zeigt, und es bietet allen oder in spezialisierte Beratungsangebote vermit- Eltern kostenfreie, niedrigschwellige Unterstüt- telt werden. Das Projekt Babylotse Frankfurt am Main zung an, auf die sie freiwillig zurückgreifen können. 12
Polytechnik | Ausgabe 1 / 2021 Wir, ein Forschungsteam der Goethe-Universität gang eröffnet. Mütter, die von einer Babylotsin be- Frankfurt am Main, haben den Lotsendienst vom gleitet wurden, berichten von der Erfahrung, dass Sommer 2018 bis zum Herbst 2020 evaluiert und da- sie besprechen konnten, was sie brauchten. bei auch nach dem unterschiedlichen Bedarf von Familien mit Neugeborenen gefragt. Die Ergebnisse Drittens gelingt es den Babylotsinnen, Zweifel der sind sehr ermutigend für das Projekt in Frankfurt. Mütter und Väter zu überwinden. Sie schaffen auf diese Art Zugänge in allen Frankfurter Geburtsklini- Erstens erreichen die Babylotsinnen die Eltern und ken. Ihr Angebot steht grundsätzlich allen Fami- reichen ihnen eine Hand – ein Bild, das viele Müt- lien offen. In besonderer Weise richtet sich das ter in den Interviews verwendeten, um die elemen- Unterstützungsangebot aber an Familien in psycho- tare Unterstützung zu beschreiben. Die Mütter sozial belasteten Lebenslagen. Uns ist aufgefallen, berichteten von vielen positiven Erfahrungen mit den dass nicht allen Eltern ihr Anspruch auf eine Bera- Babylotsinnen, von deren Ruhe und Übersicht. tung durch die Babylotsinnen bewusst war. Dabei Dies erweist sich als wichtig in einer Situation, in der spielen verschiedene soziale, strukturelle und indi- viele Mütter in ihrer neuen Rolle einen sehr hohen viduelle Faktoren eine Rolle. Wichtig ist, gut zu Anspruch an sich selbst stellen. Die befragten Müt- unterscheiden, ob Mütter keinen Kontakt zu einer ter thematisierten ihre Unsicherheit und die Un- Babylotsin hatten, weil es Hürden bei der Inan- ruhe auf der Geburtsstation. Eine große Stärke des spruchnahme gab oder weil sie auf andere Unter- Programms ist, dass die Babylotsinnen in dieser stützung zurückgreifen konnten. Phase Zeit und Zuwendung für vertrauliche Gesprä- che mit den Müttern mitbringen und auf die unter- Zu den Hürden gehören auch fehlende Sprachkennt- schiedlichsten Themenbereiche eingehen können. nisse. Dies konnte mit einem Netz von vermitteln- den Angeboten abgemildert werden (Sprachmittle- rinnen aus SABA- und Diesterweg-Stipendium), Finden Eltern aber es ist wichtig, weiterhin auf sprachliche Barrie- ren zu achten. Ein zentrales Problem für viele Mütter und Väter ist die schwierige, bisweilen unzu- Gehör für ihre indi- mutbare Wohnsituation für Familien in Frankfurt am Main. viduellen Bedarfs- Insgesamt aber gelingt es den Babylotsinnen, eine lagen, wird ein guter Brücke zwischen Gesundheits- und Sozialwesen zu errichten – und davon profitieren Neugeborene Zugang eröffnet. mit ihren Müttern und Vätern. Das professionelle Handeln der Frankfurter Babylotsinnen wird auch von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Geburtskliniken als bereichernd und entlastend be- Zweitens wurde deutlich, dass die Babylotsinnen schrieben. den Bedarf von Eltern und Neugeborenen gut erkennen und ihn aufgreifen. Mütter und Väter be- Maßgeblich für die Vermittlungsarbeit der Baby- richteten in den Interviews von Krisen und Ver- lotsinnen bleibt aber ihr möglichst früher und direk- letzlichkeiten in der ersten Familienzeit, die sich ter Zugang zu den Familien, auch pränatal. Als in unterschiedlicher Intensität zeigten. Deutlich hilfreiches Instrument zur Kontaktanbahnung hat wurde, dass die Fülle von Informationen zum Zeit- sich die Überreichung der Willkommenspakete punkt rund um die Geburt überfordern kann. Oft erwiesen. Weitere derartige Zugänge würden die fehlt dann die nötige Kapazität für die Suche nach Arbeit der Babylotsinnen erleichtern. Daran gilt guten Angeboten. Doch der Bedarf von Famili- es weiter zu arbeiten. en mit Neugeborenen ist vielfältig und nicht allen Eltern schon vor der Geburt bewusst. Daher ist Prof. Dr. Sabine Andresen ist Professorin für Sozialpädagogik und Familienforschung an der Goethe-Universität Frankfurt es eine Herausforderung für den Lotsendienst, (wer- am Main. Gemeinsam mit ihrem Forschungsteam hat sie das dende) Eltern bereits in der Geburtsklinik für die Projekt Babylotse vom Sommer 2018 bis zum Herbst 2020 Krisen und Verletzlichkeiten der ersten Familien- wissenschaftlich begleitet und evaluiert. zeit zu sensibilisieren. Finden Eltern Gehör für ihre individuellen Bedarfslagen, wird ein guter Zu- 13
Stimmen zum Thema WAS BEDEUTET FAMILIE? Diese Frage beantworteten uns Menschen aus unserem Stiftungsumfeld. »Familien zeichnen sich für mich dadurch aus, dass Eltern für ihre Kinder und Kinder für ihre Eltern Verantwortung übernehmen. Unter diese Definition fallen alle Formen von Familie.« EBRAHIM SHARIFI (42) Diesterweg-Vater der Generation 2018 – 2020 und Elektrotechniker im Bereich Energie und Gebäudetechnik »Familien sind vielfältig und bunt, sie formen Gesellschaft und sind system- relevant. In der Familie können Kin- der und Eltern Selbstwirksamkeit und Beteiligung erleben – das macht sie stark für Demokratie.« INES WEIRAUCH (51) Leiterin des Zentrums Familie im Haus der Volksarbeit e. V. 14
Polytechnik | Ausgabe 1 / 2021 »Die Familienmitglieder gehören zu den wichtigsten Personen im Leben, da man von ihnen lernen kann, mit ihnen Spaß haben und ihnen alles er- zählen kann. Kurz gefasst: Die Familie ist immer für einen da.« YA F E T E S H E T E B I R A R A ( 1 3 ) Diesterweg-Stipendiat der Generation 2018 – 2020 und derzeit Teilnehmer am Programm Diesterweg plus, Schüler an der Freiherr- vom-Stein-Schule »Familie bedeutet im besten Fall Geborgenheit und An- sporn. Sie vermittelt uns Ideen von der Welt, die wir aber auch verändern dürfen.« B E AT E M O R A N ( 5 8 ) Projektleiterin des Diesterweg-Stipendiums für Eltern und ihre Kinder bei der Stiftung Polytechnische Gesellschaft »Für mich ist die Familie mein Zuhause. Die Werte meiner Familie beruhen auf bedingungsloser Liebe und auf den Traditionen meiner Vorfahren, die ich in den verschiedenen Rol- len als Mutter, Ehefrau, ältere Schwester und Tochter weiterlebe.« N E TA N A D J A KA U F M A N N ( 3 1 ) Stadtteil-Botschafterin der Generation 2011 – 2012 und Junge Polytechnikerin 15
Interview DIE SICHT DER FAMILIEN AUF DIE WILLKOMMENSTAGE Jungen Eltern mit besonderen Belastungen Hilfe und Unterstützung zu bieten ist das Ziel des Projekts Willkommenstage in der frühen Elternzeit. Im Dezember 2020 führte Melanie Weimer, die Leiterin des Projekts, ein Gespräch mit einer Mutter, deren Willkommenstage-Durchgang bereits abgeschlossen war. Sie erklärte ihr Einverständnis zur Veröffentlichung des Interviews, da sie sich wünscht, dass auch künftig möglichst viele Fami- lien von dem Angebot profitieren können. INTERVIEW Wie seid ihr damals zu dem Projekt Willkommenstage gekommen? Unsere Nachbarin, die ein paar Monate nach uns in die Wohnung oben eingezogen ist, hat geschwärmt von den Willkommenstagen. Konntest du dir gleich etwas unter den Willkommenstagen vorstellen? Teilweise schon, weil mir die Nachbarin schon einiges erzählt hatte. Nach dem, was Hanna, meine Familienbegleiterin, mir dann später gesagt hat, war ich richtig begeistert. Vor allem das mit dem Väterpädagogen fand ich auch sehr wichtig, dass auch jemand für die Väter da ist. Und auch, dass wir einen Erste-Hilfe-Kurs machen, fand ich super, dieses Babyschwimmen, der Zoo – alles, was ihr da so anbietet, fand ich superklasse. Wie war das, als du Hanna, deine Familien- begleiterin, zum ersten Mal getroffen hast? Schon lange ein verlässlicher Partner für Familien: Im Herbst 2018 fand anlässlich des zehnjährigen Bestehens der Willkommenstage in der frühen El- Bei uns ist eigentlich jeder willkommen. Aber trotz ternzeit ein Jubiläumsfamilientreffen im Frankfurter allem, wenn es dann um so ganz private, persön- Palmengarten statt. 16
Polytechnik | Ausgabe 1 / 2021 wir mit dem Zucker und allem aufgepasst haben, INFO und auch bei den anderen Sachen, den Kranken- geschichten, alles richtig gemacht haben. Die Willkommenstage sind ein präventives Angebot, das Eltern in herausfordernden Lebenssituationen im ersten Lebensjahr ihres Kindes begleitet. Sie werden in ihrer Erziehungskompetenz gestärkt und bei der Bewältigung ihres Alltags unterstützt. Die Wie war für euch als Familie diese verän- Familien werden beraten, lernen vielfältige Hilfsangebote kennen derte Situation in Corona-Zeiten? Und wie und finden so einen Zugang zu den Angeboten Früher Hilfen, auch über die Projektlaufzeit hinaus. Seit dem Projektbeginn im Jahr waren die Willkommenstage für euch in 2008 nahmen bereits 327 Familien mit 1.088 Personen an den dieser Zeit? Willkommenstagen teil. Kooperationspartner sind die Katholische Familienbildung Frankfurt, das Internationale Familienzentrum e.V., An sich war diese Corona-Zeit für uns nicht allzu das Zentrum Familie im Haus der Volksarbeit e. V. und das Frauen- schlimm. Wir sind sehr viel spazieren gegangen, GesundheitsZentrum e. V. als Träger der Familienbildung im haben vieles zusammen mit den Kindern gemacht, KiFaZ Fechenheim. Unterstützt wird das Projekt von der Stadt Frankfurt am Main. Weitere Informationen zum Projekt auf als dann auch der Kindergarten deswegen zu war. www.willkommenstage.de Ich hatte mir schon ein bisschen Sorgen gemacht, wie das jetzt weiterläuft mit den Willkommenstagen, und ich war dann richtig begeistert, als ihr auf die Idee gekommen seid mit diesen Online-Treffen. liche Dinge geht, ist es manchmal ein bisschen Ich fand das sehr gut, wie ihr das alles gedeichselt schwierig, so total offen zu sein. Am Anfang hatte habt, auch mit dem Familiensamstag, dass das ich meine Schwierigkeiten, als ich in der Depres- dann alles dort stattgefunden hat. Vor allem fand sion war, dass Hanna gekommen ist. Ich habe mehr- ich später, als wir dann auch die Spaziergänge mals versucht, ihr abzusagen. Aber sie hat sich machen durften, diese Spaziergänge sehr befrei- nicht abwimmeln lassen. Vielleicht hab’ ich ein end – dass ich dadurch Hanna endlich wieder- bisschen gestutzt, als sie gesagt hat, dass sie regel- sehen konnte. mäßig kommen würde. Die Fragen, die sie mir dann gestellt hat, das war dann irgendwie ein biss- chen krass für mich, vor allem, als sie dann auch Was denkst du denn, was dein Mann über auf die Streitereien zwischen uns Eltern eingegan- die Willkommenstage sagen würde, wenn gen ist. Als sie dann gesagt hat, dass man sich er jetzt hier säße? auch hier Unterstützung holen kann, fand ich das dann wieder total gut. Aber erst wollte ich nicht, Ich glaube schon, dass ihm das einiges gebracht hat, dass sie mich so sieht. Ich wollte nicht, dass sie vor allen Dingen auch dieser Film »Wege aus der sieht, dass ich traurig bin, weil ich auch nicht Brüllfalle«. Das mit dem Film war wirklich sehr wich- erklären konnte, wieso. tig für uns, weil wir jetzt so langsam auch ganz aus der »Brüllfalle« rausgekommen sind dadurch. Es war eine Riesenarbeit, aber mittlerweile ist mein Und hat sich das Gefühl dann im Lauf der Mann auch viel, viel ruhiger geworden. Ich weiß Zeit geändert? nicht, wie wir das sonst geschafft hätten. Und diese Familiensamstage, von denen war mein Mann Für mich war das so: Je öfter sie kam, vor allem, auch immer sehr begeistert und hat sich auch schon als ich dann deprimiert war, umso mehr kam da so darauf gefreut. ein Vertrauen. Auch, weil sie so verständnisvoll war. Man braucht in dem Augenblick so eine Person wie Hanna, die einen auffängt, die nach einer Lö- Haben die Willkommenstage euch auch als sung sucht. So was ist man nicht gewohnt. Paar etwas gebracht? Ich finde schon. Wir sind ja auch in so einer Streite- Wie waren denn die Müttercafés für dich? rei gewesen. Wir hatten uns viel, viel mehr gestrit- ten wegen diesen Erziehungsgeschichten. Seitdem Ich fand die Müttercafés super. Vor allem hat mich wir »Wege aus der Brüllfalle« gesehen haben, seit- dann auch beruhigt, als es um die Beikost ging, dem der Väterpädagoge mit meinem Mann über die die Breie und so weiter, dass wir das bei unserem Essenssituation bei unserem Sohn gesprochen hat, Großen alles richtig gemacht hatten. Auch, dass seitdem auch Hanna sehr oft da war, ist alles sehr viel ruhiger geworden. 17
Spitzzeile Lorem Ipsum Dolores Est Gemeinsam Spaß haben und gemein- sam lernen: die Willkommenssamstage für die ganze Familie. Wenn du auf deine zwei Kinder schaust, Habt ihr an dem KESS-Kurs beide was würdest du denn sagen – mit Blick auf teilgenommen? den Kleinen, mit Blick auf den Großen –, was haben denen die Willkommenstage Natürlich. Mir ist es wichtig, dass wir das als Paar gemeinsam machen, damit wir beide dasselbe mit- gebracht? nehmen können und das auch zusammen erleben Ruhigere Eltern [ lacht ]. Ruhigere Eltern, die nicht können. Es stärkt uns ja auch als Paar hinterher, so schnell hochgehen. So ab und an immer noch, damit wir gemeinsam am selben Strang in der Er- aber halt nicht mehr so abrupt und nicht mehr so ziehung ziehen. Es ist ja auch für die Kinder wich- schnell. Dass wir uns halt mehr zusammenreißen. tig, dass die Eltern am selben Strang in der Erziehung ziehen und dass sie genau dasselbe machen. Jetzt ist das Jahr ja vorbei. Wie geht es denn für euch weiter nach den Willkommens- Was würdest du einer schwangeren Frau tagen? Hast du sonst noch Anlaufstellen sagen, die noch nicht so sicher ist, ob sie an kennengelernt, von denen du sagst, die wer- den Willkommenstagen teilnehmen soll? de ich auch weiter nutzen? Also in Bezug auf die Familienbildungsstätte: dass Den Elternkurs »KESS erziehen« fand ich supergut, sie einfach für einen da sind, um einem aus dieser weil wir da viele Rollenspiele gemacht haben. Da Depression, dieser Traurigkeit, diesen Problematiken, kann man sich auch besser in das Kind hineinver- die sich in der Erziehung entwickeln, rauszuhelfen setzen. Seitdem wir in dem KESS-Kurs sind, hat auf verschiedenen Wegen. Dass sie Eltern zeigen, mein Mann noch viel stärker an sich gearbeitet. Durch wie man am besten mit der Erziehung umgeht, so, den KESS-Kurs habe ich jetzt auch Georgina [ eine dass nicht nur sie selbst gestärkt werden, sondern Familienbegleiterin an einem anderen Standort ] an auch ihre Beziehung an sich gestärkt wird. Und dieser Stelle. Und meine Familienbildungsstätte vor allen Dingen, dass es auch für die Kinder etwas ist ja immer noch eine Anlaufstelle, da finden ja Gutes ist und dass auch die Kinder dadurch ge- immer noch Kurse statt. Man kann immer wieder stärkt werden. Und dass man dadurch auch viel, viel hierherkommen und irgendwelche Kurse buchen. besser mit den Kindern umgeht und dass die Kin- Und auch von der Erziehungsberatung haben wir der dann auch viel, viel besser hören. Auch, wenn ja beim Familiensamstag die Visitenkarte bekom- es gerade noch so schwierig ist, weil man so viele men. Und Hanna hat ja auch gesagt, wir dürfen uns Fehler vorher gemacht hat. Und: Je früher man in weiterhin melden, wenn etwas sein sollte, was ich ein Projekt wie die Willkommenstage reinkommt, sehr toll finde. je früher man daran arbeitet, umso besser ist es für die gesamte Familie. Das würde ich sagen. Vielen Dank für das Gespräch! 18
Polytechnik | Ausgabe 1 / 2021 DAS DIESTERWEG- STIPENDIUM: VIELE STANDORTE, EIN GEMEINSAMES ZIEL Der »Anker mit Flügeln«, ent- standen im Rahmen des digi- talen Diesterweg-Standorttags, soll die Wirkung des Diester- weg-Stipendiums symbolisieren: Er soll Sicherheit und Stütze im (Schul-)Alltag sein und zugleich Flügel zum Wachsen und Entwickeln verleihen. Das Diesterweg-Stipendium wird inzwischen überregional angeboten. Analog, hybrid oder digital: Der diesjährige Diesterweg-Standort- tag bot Einblicke in verschiedene kreative Herangehensweisen bei der Ausrichtung des Programms. VON BERND ECKHARDT 19
Bericht 13 STA N D O RT E B U N D E S W E I T Als erstes Familienstipendium in Deutschland wurde das Diesterweg-Stipendium von der Stif- tung Polytechnische Gesellschaft in Frankfurt am Main entwickelt. Mittlerweile wird es bundes- weit an 13 Standorten angeboten: Berlin-Marzahn, Berlin-Spandau, Darmstadt, Dortmund, Duisburg, Frankfurt, Hamburg, Hanau, Hannover, Leipzig, Offenbach, Osnabrück und Trier. Eine Umfrage hatte ergeben, dass drei Viertel aller Standorte mithilfe von Videokonferenzen und Messenger-Diensten Kontakt zu Kindern und Eltern hergestellt hatten, mit hohen Zufriedenheitswerten. Schnell war klar: Die Vorteile wiegen die einschrän- kenden Momente dieser technisch vermittelten Kommunikation auf. Denn sie bietet die Möglichkeit, sich auch kurzfristig und häufiger zu verabreden, Das Diesterweg-Stipendium – 2008 von der Stiftung mit einem höheren Grad an Beteiligung aller Famili- Polytechnische Gesellschaft in Frankfurt am Main enmitglieder. Etwas mehr als die Hälfte der Stand- entwickelt – zielt darauf ab, Kindern mit gutem Leis- orte hat die Stipendiaten inzwischen mit der gleichen tungspotenzial, aber noch förderungswürdigen Hardware ausgestattet, meist mit Laptops und in Deutschkenntnissen eine ihren Begabungen ent- der Regel in Verbindung mit einer Schulung zum sprechende Schullaufbahn zu ermöglichen und Erwerb von nicht nur technisch verstandener Me- ihre Eltern als Bildungsbegleiter zu stärken. Die dienkompetenz. Auch eine Vielzahl neuer analoger Wirksamkeit des Familienstipendiums ist mehr- Maßnahmen wurde initiiert und ausprobiert. Dazu fach belegt worden. Sein Erfolg lässt sich aber auch gehört beispielsweise der Versand von Aktions- daran ablesen, dass das Projekt in den vergange- päckchen mit Anregungen für die Freizeitgestaltung nen Jahren erfolgreich an zwölf weitere Standorte und zur Lernunterstützung – oft als Vorbereitung transferiert wurde. eines dann folgenden Treffs im Digitalen; im Ergeb- nis also ein hybrides Format. Um die Kohärenz der Weiterentwicklung des Bil- dungsstipendiums für Familien zu sichern, treffen Die Beziehung zu Kindern und Eltern einer neuen sich die Diesterweg-Standorte einmal im Jahr. Generation unter Lockdown-Bedingungen von Be- Der letzte Austausch, der im Frühjahr 2021 corona- ginn an ausschließlich auf digitalem Wege herzustel- bedingt erstmals als Videokonferenz stattfand, len war für einige Standorte eine besondere Her- beschäftigte sich mit der Frage: »Begegnungs- und ausforderung. Es galt die Frage zu beantworten, wie Betreuungskonzepte: analog, digital, hybrid – die bisherigen in Präsenz stattfindenden Veran- was funktioniert?«. Die Tagung belegte, dass alle staltungen in digitale Formate transformiert werden Standorte auch in herausfordernden Zeiten nichts könnten, ohne dass dabei die für das Diesterweg- unversucht lassen, um die Bindung zu den Familien Programm charakteristischen Wirkungen und Effek- zu pflegen. te verloren gehen. Das Beziehungslernen – der gemeinsame Kontakt sowie das emotionale Erleben in sozialen Beziehungen – fördert das, was die 20
Polytechnik | Ausgabe 1 / 2021 positive Psychologie Selbstwirksamkeitserfahrung an Stipendiaten und Geschwister und sollte durch nennt. Sie ist die Basis für ein Wissen über die Tipps für die Strukturierung des Homeschooling- eigenen Fähigkeiten und Fertigkeiten, die sowohl Alltags, Hilfestellung für erfolgreiches Lernen und die Identitätsentwicklung als auch den Umgang Unterstützung für eine gelungene Internetrecherche mit künftigen Herausforderungen begünstigt. Vor der Überforderung entgegenwirken. Danach be- diesem Hintergrund war ein größerer Abschnitt stand dreimal wöchentlich die Möglichkeit, indivi- der Tagung den darauf bezogenen Fragen gewidmet: duell Fragen zu stellen – für alle Kinder und zu Wie gestalten wir unsere digitalen Treffen bezie- allen Fächern –, die ein kundiger und geduldiger hungsorientiert mit Blick auf eine aktive Teilnahme Pate beantwortete. In zwei halbstündigen Phasen und Mitwirkung der Diesterweg-Eltern? Wie kön- erteilten Ehrenamtliche angelehnt an den Schulstoff nen wir mit allen Sinnen auch online lernen? Praxis- Aufbauunterricht in den Fächern Deutsch, Eng- beispiele von verschiedenen Standorten geben lisch und Mathematik. Wöchentlich fand ein Eltern- darauf unterschiedliche Antworten. abend statt, der Beratung zum Umgang mit der neuen Situation, Hilfen bei Konflikten und Heraus- »Natur erleben« in Dortmund forderungen oder Möglichkeiten zum Austausch bot. Am Standort Dortmund führte die Schließung von Einrichtungen zur Verlagerung von Veranstaltun- gen ins Freie – mit dem Nebeneffekt, dass der Bewe- gungsmangel der Kinder durch körperliche Akti- vitäten ausgeglichen werden konnte. Das Projekt, Analog, hybrid Blumenkisten am Bildungszentrum des Projekts- tandorts zu bepflanzen, konnte als Gemeinschafts- und digital erlebnis das Zusammenwachsen der Gruppe stärken ERFOLGREICHE ANTWORTEN und als kreative Gestaltungsaufgabe die Identifi- kation mit dem Stipendium fördern. In festen Grup- der Diesterweg-Standorte auf Fragen zu pen wurden fünf getrennte Beetabschnitte bearbei- aktuellen Themen und Herausforderungen tet, an drei Malstationen der Zaun und die Blumen- kisten farblich verziert. Der Tag klang mit einem gemeinsamen Grillen aus. Das Projekt fördert das Weltwissen in Frankfurt bewusste Erleben der Jahreszeiten, verlangt eine Am Frankfurter Standort wurde schon zu Beginn kontinuierliche Pflege der Beete und den sorgfälti- der Pandemie schnell auf neue Formen der pädago- gen Umgang mit Gartengeräten. Ausflüge mit den gischen Unterstützung umgestellt: Digitale Eltern- Bildungspaten in den Zoo, die Grüne Schule sowie cafés, regelmäßige Telefonsprechstunden oder das Fahrradtouren ergänzen das Programm – mit den Versenden von Bildungspaketen sorgten dafür, Themen Winter, Wetter, Tiere im Jahresverlauf, Tul- dass der Kontakt zu den Familien nicht abriss. Tele- pen basteln sowie die (Online-)Bibliothek erkun- fonmentoren, die die Schüler individuell beim den und nutzen. Ein Gartenheft wird von jedem Sti- Erledigen der Aufgaben im Homeschooling unter- pendiaten als Baustein zur Sprachförderung mit stützen, konnten in den Familien für Entlastung Wortfeldsammlungen, Wortschatzspielen und In- sorgen. Zudem wurde ein mehrteiliges digitales Bil- ternetrecherchen bearbeitet. Abgerundet wird die dungsangebot für die Kinder entwickelt. Beste- Sprachförderung mit diversen Apps zur Lese- und hend aus Weltwissen, gemeinsamem Lesen, Recht- Schreibförderung. So werden sinnliche Erfahrun- schreibtraining und Medienbildung, sorgte es für gen und kognitive Lernprozesse in einem hybriden Enthusiasmus bei den Kindern und Dankbarkeit bei Format integriert. den Eltern. Digitale Stundentafel in Hamburg Analog, hybrid, digital: Die Beispiele aus Dortmund, Zwei Lockdown-Phasen führten im Hamburger Hamburg und Frankfurt veranschaulichen die Band- Diesterweg-Stipendium zur Entwicklung einer diffe- breite an erfolgreichen Antworten der Diesterweg- renzierten digitalen Stundentafel für fünf Wochen- Standorte auf die Themen und Herausforderungen, tage. Vorab wurden die Familien gebeten, per mit denen sich Familien in der heutigen Zeit kon- Gruppen-Messenger Wünsche und Bedarf zu mel- frontiert sehen. Was alle Standorte verbindet, ist der den. Jeder Unterrichtstag begann als Videokonfe- Anspruch, Kinder und Eltern gemeinsam zu för- renz mit einer halbstündigen bewegten Meditation, dern – und sie als Familie zu stärken. um mit Energie und Freude in den Tag zu starten. Bernd Eckhardt ist Beauftragter für Nachhaltigkeit und Die folgende Sequenz »Come together« richtete sich Transfer im Bereich Bildung bei der Stiftung Polytechnische Gesellschaft. 21
Porträt WAS MACHT EIGENTLICH … FAMILIE MANSOOR? Der Vater war Bürger-Akademiker, die Tochter engagierte sich bei den Stadtteil-Botschaftern, die Mutter hat für den Alumnitag einen Hennamalkurs auf die Beine gestellt: Die Mansoors aus Frankfurt-Nied sind der Stiftung Polytechnische Gesellschaft schon seit vielen Jahren verbunden. VON ALEXANDER JÜRGS Dass Amir Mansoor in Frankfurt einen pakistani- 30 Mitglieder weiter im Austausch und planen schen Kulturverein gegründet hat, hängt auch schon für die Nach-Corona-Zeit. »Wir wollen end- mit den Anschlägen auf das World Trade Center lich wieder aktiv werden«, sagt Mansoor. vom 11. September 2001 zusammen. Nach dem Attentat hatte Mansoor gespürt, dass sich etwas Durch den Verein kam er auch mit dem Amt veränderte. Pakistan, das Land, in dem er gebo- für Multikulturelle Angelegenheiten in Kontakt. ren wurde, wurde plötzlich als Gefahr gesehen, als Dessen langjährige Leiterin Helga Nagel schlug das Land, in dem die Terrororganisation al-Qaida Mansoor für das Projekt Bürger-Akademie der Unterschlupf gefunden hatte. Und auch seine Reli- Stiftung Polytechnische Gesellschaft vor. In der gion, der Islam, wurde von vielen nun als Bedro- Bürger-Akademie kommen besonders aktive Eh- hung wahrgenommen. renamtliche zusammen, vernetzen sich und werden weiterqualifiziert. Ende 2012 begann Mansoors Diesen Vorurteilen wollte Mansoor etwas entge- Kurs. »Dieses Programm hat mich wirklich weiter- gensetzen. 2004 gründete er mit einer Handvoll gebracht«, sagt er. »Ich habe dabei viel gelernt, Verbündeter den bis heute aktiven Kulturverein über Fundraising, Teambildung, Rhetorik und vieles PakBann, der 2009 mit dem Integrationspreis der mehr.« Und er hat Menschen kennengelernt, zu Stadt Frankfurt am Main ausgezeichnet wurde. denen er auch heute noch Kontakt hält. Mit der »Wir wollten zeigen, dass Pakistan viele andere Sei- Stiftung fühlt er sich seitdem eng verbunden. ten hat, die mit den Stereotypen nichts gemein haben«, sagt Amir Mansoor. Der Verein wollte Dia- Seiner Tochter Dunya, die 20 Jahre alt ist und ein loge in Gang bringen, mit Menschen, die einen Duales Studium beim Frankfurter Energieversor- ganz anderen kulturellen Hintergrund haben. »Vor- ger Mainova absolviert, geht es genauso. Auch sie urteile gibt es auf allen Seiten«, sagt der 49-jähri- hat einen ganz besonderen »Draht« zur Stiftung. ge Reisekaufmann, der als Jugendlicher nach 2017 wurde sie Stadtteil-Botschafterin, damit ge- Deutschland kam. »Nur, wenn man nicht überein- hörte sie zur sechsten Generation des Projekts, ander, sondern miteinander redet, lernt man sich bei dem engagierte Menschen ihre Ideen zur Weiter- kennen.« Theaterstücke und Kochkurse stellt der entwicklung eines Frankfurter Stadtteils in die Verein auf die Beine, an der Frankfurter Parade Tat umsetzen. Amir Mansoor hatte seine älteste der Kulturen hat er sich mehrmals beteiligt. Und Tochter (die noch zwei Geschwister hat) auf das auch jetzt, während der Pandemie, stehen die rund Programm aufmerksam gemacht. Dunya Mansoor 22
Polytechnik | Ausgabe 1 / 2021 Hier im Bild, von links nach rechts: Vater Amir Mansoor, Tochter Dunja Mansoor und Mutter Salma Mansoor. bewarb sich mit dem Vorschlag, in Nied Kochkurse für Schüler anzubieten – und wurde von der Jury ausgewählt. »Die Arbeit mit den Kindern hat mir großen Spaß gemacht«, erinnert sie sich. Gefreut habe sie »ganz besonders, dass die Kinder nach dem Kurs gemerkt haben, dass Kochen ganz einfach ist und dass man es mit gesunden Zutaten leicht zu Hause selber machen kann.« Und was hat Dunya Mansoor selbst aus dem Projekt gelernt? »Dass es nicht viel braucht, um Gutes in die Welt zu set- zen«, antwortet sie. »Projekte wie die Stadtteil-Bot- schafter können viel bewirken.« Auch Dunyas Mutter Salma, die als Erzieherin ar- beitet, hat mittlerweile eine Verbindung zur Stif- tung. Vor Kurzem hat sie für ein Alumni-Treffen ei- nen Workshop angeboten: Malen mit Henna. »Das ist etwas sehr Typisches für Pakistan und Indien«, erklärt die 49 Jahre alte Salma Mansoor, »zum Bayram-Fest oder zur Hochzeit werden die Hände mit roter Hennafarbe bemalt, dabei entstehen zum Beispiel aufwendige, filigrane Zeichnungen von Blumen.« Weil der Workshop während der Pandemie statt- »Nur, wenn man nicht fand, musste Salma Mansoor ihn ins Internet ver- legen. Die Hennatuben wurden vorher per Post übereinander, sondern verschickt, dazu eine Liste, was man sonst noch für den Workshop benötigt. Salma Mansoor zeigte miteinander redet, lernt allen Workshopteilnehmern per Webcam, wie sie mit den Hennafarben vorgeht. Danach wurden man sich kennen.« die Teilnehmer selbst aktiv, ihre Ergebnisse prä- sentierten sie im Netz. »Am Ende hat alles gut ge- AMIR MANSOOR klappt«, sagt Salma Mansoor. »Wenn alle zusam- menarbeiten, dann macht das riesengroße Freude.« Alexander Jürgs ist Redakteur der Rhein-Main-Zeitung der F.A.Z. 23
Rückblick NAMEN UND NACHRICHTEN Kurzinformationen aus der Stiftung. 3 1 2 M E H R N A C H H A LT I G K E I T I M A L LT A G DEUTSCHLAND SCHREIBT! … Die Nachhaltigkeitspraktiker gin- D I G I TA L U M D I E W E TT E gen im April 2021 in die zweite JUGENDBEGEGNUNG Runde. In dem neuen Stiftungs- Vom 17. bis 20. Juni 2021 stellten F R A N K F U R T – LY O N 2 0 2 1 projekt beschäftigten sich zwölf sich 173 Rechtschreibfans dem junge Menschen aus Frankfurt Finale von Deutschland schreibt!. Wie sieht die nachhaltige Stadt ganz konkret mit der Frage, wie Diesmal drehte sich bei dem di- der Zukunft aus? Zur Beschäfti- sie ihren Alltag nachhaltiger ge- gital ausgerichteten großen Recht- gung mit dieser Frage haben die stalten und ihre Ideen anschlie- schreibwettbewerb alles um eine Stiftung Polytechnische Gesell- ßend an die Öffentlichkeit weiter- beliebte Kinderfigur des Sonn- schaft und das Goethe-Institut tragen können. Ihre selbst ge- tagmorgens in Deutschland: Die Lyon anlässlich des 60-jährigen wählten Ziele reichten von der Maus. Anlässlich ihres 50. Ge- Jubiläums der Städtepartnerschaft burtstags war die Sendung mit zwischen Frankfurt und Lyon der Maus Thema des Wettbe- eine Jugendbegegnung konzipiert. werbstextes. Mit jeweils nur drei 16 junge Menschen aus beiden Fehlern sicherten sich Adelheid Städten kamen von März bis Juni 2021 im Rahmen des hybriden Projektformats regelmäßig mit Vertretern und Akteuren städ- tischer und zivilgesellschaftlicher Initiativen zusammen. Aus deut- scher und aus französischer Perspektive erörterten sie anhand konkreter Praxisbeispiele neue Lösungsansätze für die nachhal- Reduktion von Verpackungsmüll tige Stadtentwicklung und un- über die Produktion selbst her- Goderbauer vom Hans-Carossa- ternahmen spannende Exkursio- gestellter Pflegeprodukte bis hin Gymnasium Landshut und Simone nen. Mehr unter www.sptg.de/ zur Beteiligung an nachhalti- Hinrichs vom Gymnasium Aller- jugendbegegnung-frankfurt- gen Initiativen. Am 2. August möhe Hamburg den Sieg in der lyon-2021. 2021 wurde die zweite Projekt- Kategorie »Lehrkräfte« sowie generation verabschiedet. Ihre den Gesamtsieg des Wettbewerbs. Tipps zu mehr gelebter Nachhal- Vom 30. September bis zum tigkeit im Alltag werden auch 3. Oktober 2021 geht der Wett- auf dem Instagram-Kanal der Stif- bewerb in die nächste Runde. tung veröffentlicht: @sptgffm. Dann können Rechtschreibfans Jugendbegegnung aus der ganzen Welt ihr Können Frankfurt-Lyon 2021 auf www.deutschland-schreibt.de Die nachhaltige Stadt unter Beweis stellen. 24
Polytechnik | Ausgabe 1 / 2021 5 ZEHN JAHRE JAZZ UND IMPROVISIERTE MUSIK IN 4 DIE SCHULE! Junge Menschen durch den parti- SEIT 15 JAHREN: FERIEN, zipativen Charakter von Jazz- DIE SCHLAU MACHEN musik zu erreichen und vielfältige musikpädagogische Impulse 2021 wird der Deutschsommer zu geben ist das Ziel von Jazz und der Stiftung Polytechnische Improvisierte Musik in die Schule! Gesellschaft 15 Jahre alt. Die Die Stiftung initiierte das mittler- »Ferien, die schlau machen« fin- weile an der Musikschule Frank- den inzwischen nicht nur in Frank- furt angesiedelte Projekt in der furt, sondern auch an zahlrei- Absicht, Jazz als kulturelles Erbe chen weiteren Standorten in Hes- der Stadt Frankfurt neu ins Be- sen statt. 2020 wurde eine Wir- wusstsein zu rufen und einen Bei- kungsumfrage zum Projekt trag zur musikalischen und kul- 6 J U N G E PA U L S K I R C H E turellen Bildung junger Menschen Das Projekt Junge Paulskirche zu leisten. 2021 begeht das Pro- bietet Jugendlichen einen Ort, an jekt ein rundes Jubiläum: »Das dem Werte, Errungenschaften Programm wird zehn Jahre alt. und Zukunftsvisionen der Bundes- Das ist beeindruckend und einzig- republik Deutschland benannt, artig. Ich finde, dass euer Enga- diskutiert und gestaltet werden gement sehr wichtig ist, und ich können. Ausgangspunkt ist das weiß, dass die Schüler das auch Grundgesetz als zentraler Text un- hoch schätzen«, gratulierte der serer demokratischen Gesell- legendäre schwedische Jazz- schaft. In die erste Programm- musiker Nils Landgren anlässlich generation wurden Oberstufen- des Projektjubiläums. Ab Herbst schüler aus elf Frankfurter Gym- 2021 wird eine Zusammenar- nasien aufgenommen. Über einen beit zwischen Nils Landgren und Zeitraum von knapp sieben Mo- dem Schüler-Jazzensemble im durchgeführt, an der 236 Kinder, naten widmeten sie sich unter- Rahmen der neuen Jazz-Residenz Jugendliche und junge Erwach- schiedlichen Fragestellungen, der Alten Oper Frankfurt statt- sene teilnahmen. Die Ergebnisse beispielsweise: Wird das Grund- finden. zeigen: Der Deutschsommer gesetz den Anforderungen und wirkt; nach der Teilnahme ver- Bedürfnissen der modernen Ge- besserten sich bei 75 Prozent sellschaft gerecht? Die Jugend- der Befragten die Schulnoten. lichen diskutierten mit Experten 84 Prozent bescheinigten dem unterschiedliche Ansichten, bil- Programm eine Stärkung ihres deten sich eine Meinung zu ihrem Selbstbewusstseins. »Das war ei- Thema und suchten nach einem nes der besten Erlebnisse mei- Konsens. Ihre Überlegungen ner Kindheit, und ich denke auch fassten sie anschließend in einem immer wieder dran«, so ein ehe- Memorandum zusammen, das maliges Deutschsommer-Kind im am 26. Mai in der Frankfurter Rahmen der Umfrage. Paulskirche präsentiert wurde. 25
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