Prävention der Pflegebedürftigkeit - Sozialversicherung

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Prävention der Pflegebedürftigkeit - Sozialversicherung
Health System Watch ı Prävention der Pflegebedürftigkeit

     Prävention der Pflegebedürftigkeit
      Angesichts der demographischen Entwicklungen stellt die wachsende Anzahl von
      Personen mit Bedarf an Langzeitpflege oder -betreuung die öffentlichen wie auch
    viele private Haushalte vor zunehmende Herausforderungen. Dies führt zur Frage der

                                                         –
                 Sinnhaftigkeit und des Nutzens von Präventionsmaßnahmen.

                       Text: Monika Riedel, Nikolaus Heimerl, Institut für Höhere Studien 1

Einleitung2                             zu vermeiden oder ihre Eintrittswahr-     dem Zusammenspiel der erlebten
Der Begriff Pflege versteht sich im     scheinlichkeit bzw. ihr Ausmaß zu         positiven und negativen Einfluss-
vorliegenden Beitrag als Langzeit-      reduzieren. Im Gesundheitsbereich         faktoren über den Lebenszyklus und
pflege und -betreuung im Kontext des    bedeutet dies, Krankheiten mithilfe       stellt sich dementsprechend als ein
fortgeschrittenen Alters, typischer-    spezifischer Interventionen bei einzel-   mehrdimensionales Konstrukt dar.
weise erst deutlich nach Eintritt des   nen Personen oder auf der Bevöl-          Neben dem Fehlen von Krankheit und
Pensionsalters. Pflegebedürftigkeit     kerungsebene vorzubeugen, indem           Krankheitssymptomen sowie dem
in jüngeren Jahren sowie temporä-       ihre Entstehung verhindert, zeitlich      Vorhandensein eines ausreichenden
re Pflegebedürftigkeit – die übliche    hinausgeschoben oder ihre Progres-        funktionalen Status gewinnen auch
Abgrenzung liegt bei sechs Mona-        sion eingedämmt wird (Hurrelmann          Dimensionen an Bedeutung, die nicht
ten – sind nicht Gegenstand dieses      et al. 2018a). Im Bereich der Pflege      mehr primär medizinisch determiniert
Beitrags.                               stehen dabei weniger spezifische          sind, wie die Möglichkeit zur aktiven,
                                        Krankheiten, sondern viel mehr die        selbstverantwortlichen und persönlich
Grundsätzliches zur Prävention          Pflegebedürftigkeit aufgrund des Ver-     zufriedenstellenden Lebensgestal-
von Pflegebedürftigkeit                 lusts körperlicher und/oder geistiger     tung, die gelingende Bewältigung
Unter Prävention werden Aktivitäten     Fähigkeiten im Fokus.                     von Belastungen und Krisen und ein
                                                                                                                           Foto: Getty Images

und Maßnahmen verstanden, die               Die Prävention von Pflegebedürf-      individuell angemessenes System
darauf abzielen, vorhersehbare un-      tigkeit ist weiter gefasst als ledig-     medizinisch-pflegerischer und sozialer
erwünschte Zustände in der Zukunft      lich die Prävention von Krankheiten.      Unterstützung. Hieraus lassen sich
durch Eingreifen in der Gegenwart       Gesundheit im Alter ergibt sich aus       spezifische Ansatzpunkte und Ziele

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Prävention der Pflegebedürftigkeit - Sozialversicherung
der Prävention im Alter ableiten, die                        Pflegebedürftigkeit oder chronische                 kommunale Setting und die „Lebens-
auch als Ziele der Prävention von                            Krankheiten vorliegen, um eben den                  welt Pflegeheim“, also jene Bereiche,
Pflegebedürftigkeit gelten können                            Anstieg der Pflegebedürftigkeit zu                  auf die sich auch die für Deutschland
(Fonds Gesundes Österreich 2018;                             verlangsamen oder aufzuhalten (ZPQ                  am Ende des Artikels ausgeführten
Kruse 2018):                                                 2021). Präventionspotenziale be-                    Entwicklungen beziehen.
 Vermeidung körperlicher und                               stehen damit bis ins hohe Alter, wie                   Im Folgenden werden zwei
   psychischer Erkrankungen                                  auch ein aktueller deutscher Bericht                wesentliche Ursachen von Pflege-
 Erhaltung der körperlichen und                            zeigt (GKV-Spitzenverband 2020a).                   bedürftigkeit hinsichtlich Präventions-
   geistigen Leistungsfähigkeit                                  Bezogen auf den Ansatzpunkt der                 bemühungen diskutiert, nämlich de-
 Erhaltung einer aktiven, selbststän-                      Interventionen können Präventions-                  menzielle Erkrankungen und Stürze.
   digen Lebensführung                                       programme entweder das Individuum
 Aufrechterhaltung eines angemes-                          wählen, um das individuelle (Risiko-)               Präventionspotenzial am
   senen Unterstützungssystems                               Verhalten zu beeinflussen (Verhal-                  Beispiel von Demenz
                                                             tensprävention, beispielsweise ein                  Derzeit ist nicht absehbar, ob es in
Präventionsinterventionen können                             Nikotin-Entwöhnungsprogramm),                       naher Zukunft möglich sein wird,
an unterschiedlichen Betrachtungs-                           oder es wird auf den Gesundheitszu-                 Demenzerkrankungen zu heilen oder
ebenen ansetzen. Die weit verbreitete                        stand einer Personengruppe abgezielt                durch entsprechende Behandlung
Einteilung in Primär-, Sekundär- und                         (Verhältnisprävention, beispielsweise               den Krankheitsverlauf substanziell
Tertiärprävention berücksichtigt                             ein Programm für altersgerechte                     rückgängig zu machen. Dies gilt auch
einerseits den Zeitpunkt, an dem                             Menüplanung in Pflegeheimen). Ver-                  für die Untergruppe des Alzheimer-
präventive Maßnahmen ansetzen,                               hältnisprävention versucht demnach,                 Typs, die rund 70 bis 80 Prozent der
und andererseits ihre Zielsetzung,                           die ökologischen, sozialen, ökono-                  Demenzerkrankungen ausmacht.
was in Folge auch zu unterschied-                            mischen oder kulturellen Umwelt-                    Aufgrund dessen kommt effektiver
lichen Zielgruppen führt (Tabelle 1).                        bedingungen so zu verändern, dass                   Primär- wie auch Sekundärprävention
Die einschlägige Literatur hierzu                            die Entstehung und Entwicklung von                  hohe Bedeutung zu. Es wird heute
orientiert sich vornehmlich an medi-                         Krankheiten oder unerwünschten                      davon ausgegangen, dass sich die für
zinischen Gesichtspunkten, und ein                           Ereignissen erschwert wird (Leppin                  die Demenzerkrankung ursächlichen
allgemeingültiges, operationalisier-                         2018).                                              molekularen Prozesse langsam über
bares Verständnis für die pflegerische                           Im Rahmen des sogenannten
Prävention besteht derzeit nicht. Im                         Setting- oder Lebenswelt-Ansatzes
Verständnis des deutschen Zentrums                           kombinieren einerseits zielgruppen-
für Qualität in der Pflege soll Präven-                      spezifische Maßnahmen Verhaltens-                   1
                                                                                                                   Frühere Ausgaben von Health System Watch sind abrufbar
tion in der Pflege dem Fortschreiten                         und vor allem Verhältnisprävention,                   im Internet unter: http://www.ihs.ac.at.
                                                                                                                 2
                                                                                                                    Dieser Aufsatz baut großteils auf Erkenntnissen auf, die
von Pflegebedürftigkeit entgegen-                            und es wird andererseits die Brücke
                                                                                                                   die Autorin gemeinsam mit Sophie Fößleitner und Markus
wirken und zur Stabilisierung der                            zwischen Gesundheitsförderung und                     Kraus im Zuge eines früheren Projektes gewonnen hat
gesundheitlichen Situation beitragen.                        Krankheitsprävention geschlagen                       (Riedel et al. 2020), denen auch für die kritische Durchsicht
                                                                                                                   des vorliegenden Berichts gedankt sei. Aus Platzgründen
Damit kann Prävention auch noch                              (ZPQ 2021). Im Pflegekontext betrifft                 wird darauf verzichtet, an jeder einzelnen relevanten Stelle
nützen, wenn bereits Gebrechlichkeit,                        der Setting-Ansatz vor allem das                      auf diesen früheren Bericht zu verweisen.

Gliederung von Präventionsmaßnahmen                                                                                                                          Tabelle 1

                                                      Primärprävention                     Sekundärprävention                             Tertiärprävention

                                                                                   in Frühstadien der Krankheit bzw. nach     nach Manifestation/Akutbehandlung
                                         vor Eintreten der Krankheit bzw. des
  Zeitpunkt der Intervention                                                       erstmaligem Eintritt des unerwünschten     einer Krankheit bzw. nach mehrmaligem
                                         unerwünschten Ereignisses
                                                                                   Ereignisses                                Eintritt eines unerwünschten Ereignisses
                                                                                   Krankheitseindämmung, Verhinderung
                                         Verringerung der Inzidenz von Krankhei-                                              Verhinderung von Folgeschäden oder
  Ziel der Intervention                                                            eines wiederholten Eintritts eines
                                         ten bzw. unerwünschten Ereignissen                                                   Rückfällen
                                                                                   unerwünschten Ereignisses

  Adressat*innen der                     Gesunde bzw. Personen ohne                                                           Patient*innen mit chronischer Beein-
                                                                                   Akutpatient*innen
  Intervention                           Symptomatik                                                                          trächtigung, Rehabilitand*innen

Quelle: IHS-Darstellung angelehnt an Leppin (2018).

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Health System Watch ı Prävention der Pflegebedürftigkeit

einen Zeitraum von über 30 Jahren                          weil beim Zeitpunkt der Erstdiagnose     der insgesamten Krankheitslast zu-
entwickeln. Damit steht theoretisch                        noch Verbesserungspotenzial besteht.     gerechnet werden kann (siehe Grafik).
ein langes Zeitfenster für eine Früh-                      Ausgehend von der konservative-          Zudem müsste einer der quantitativ
erkennung der Erkrankung zur Ver-                          ren, älteren Einschätzung lässt die      bedeutendsten Faktoren – niedrige
fügung, bereits lange vor der sympto-                      demografische Entwicklung bis 2050       Bildung – bereits in Kindheit und Ju-
matischen Ausprägung (Jessen 2018).                        einen Anstieg der Personenanzahl mit     gend im Sinne der Prävention mitbe-
    Die große Verbreitung von demen­                       demenzieller Erkrankung in Österreich    dacht werden, was die Zugänglichkeit
ziellen Erkrankungen im Alter sowie                        auf etwa 260.000 erwarten (BMASGK        für Präventionsstrategien im Pflege-
der daraus entstehende Betreuungs-                         2018). Auch wirtschaftlich ist die Be-   kontext unrealistisch macht.
druck, besonders bei fortgeschrit-                         deutung von Demenz messbar: Die              Somit besteht zumindest bei
tener Krankheit, erklären das Inter-                       WHO schätzt, dass die gesellschaft-      einem Bruchteil der demenziellen
esse an Präventionspotenzialen für                         lichen Kosten durch Demenzerkran-        Erkrankungen die Möglichkeit, ihrem
Demenz. In Österreich sind bereits                         kungen im Jahr 2015 rund 1,1 Pro-        Auftreten präventiv entgegenzuwir-
rund 63,5 Prozent der in Pflegehei-                        zent der globalen Wirtschaftsleistung    ken, wobei entsprechende Interventi-
men wohnenden Personen von einer                           entsprachen (WHO 2019).                  onen an den potenziell vermeidbaren
demenziellen Erkrankung betroffen                              Livingston et al. (2017) kommen      Faktoren ansetzen. Um wirkungsvolle
(Höfler et al. 2015). Die gesamte Zahl                     übereinstimmend mit früheren Stu-        Präventionsmaßnahmen zu identi-
der Erkrankten in Österreich wurde                         dien zur Auffassung, dass zwar rund      fizieren, bewertet eine Guideline der
bislang mit rund 130.000 angenom-                          zwei Drittel aller Demenzerkrankun-      Weltgesundheitsorganisation (WHO)
men (Sütterlin et al. 2011). Eine neue                     gen auf Risikofaktoren zurückgehen,      mögliche Maßnahmen und formuliert
Untersuchung berücksichtigt neben                          die nicht beeinflussbar sind, dass       Empfehlungen, die sich teils auf die
der Verschreibung von Antidementiva                        aber bis zu einem Drittel der Erkran-    noch gesunde Bevölkerung, teils auf
auch andere Faktoren3 und schätzt                          kungen auf potenziell modifizierbare     Personen beziehen, die bereits von
die Zahl der Erkrankten in Österreich                      Risikofaktoren zurückgeht. Letztere      milden kognitiven Einschränkungen
auf 175.000 bis 200.000 Personen                           spannen dabei ein thematisch breites     betroffen sind (WHO 2019). Exempla-
oder ca. 2,3 Prozent der Bevölkerung                       und über die gesamte Lebensspan-         rische „starke“ Empfehlungen4 zu den
(Wurm et al. 2020). Zudem ist von                          ne reichendes Feld auf, wobei den        Risikofaktoren, die auch in höherem
einer gewissen diagnostischen Dun-                         einzelnen Faktoren jeweils nur ein       Alter Präventionsmaßnahmen zu-
kelziffer auszugehen, unter anderem,                       vergleichsweise geringer Anteil an       gänglich sind, sind die folgenden:

Potenziell modifizierbare und nicht modifizierbare Risikofaktoren für Demenz                                                          Grafik

                                                                                                              8 % niedrige Bildung

                                        65 % nicht
                                        modifizierbar                                                         9 % Gehörverlust

                                                            35 % potentiell                                   2 % Bluthochdruck
                                                            modifizierbar
                                                                                                              1 % Übergewicht/Adipositas
                                                                                                              5 % Rauchen

                                                                                                              4 % Depression
          Jugend                                                                                              3 % körperliche Inaktivität
          mittleres Alter                                                                                     2 % soziale Inaktivität
          hohes Alter                                                                                         1 % Diabetes

Quelle: Daten Livingston et al. (2017), IHS Darstellung.

                                                                              44
   Körperliche Aktivität sollte Er-         Aktivität, also jene Faktoren, die auch   aufbauend, liegen in einigen Ländern
     wachsenen mit normaler kognitiver        aus anderen Kontexten heraus zur          Leitlinien für Sturzvermeidung vor,
     Leistung empfohlen werden, um            Gesundheitsförderung und Krank-           wie etwa in Österreich für Kranken-
     das Risiko für kognitiven Abbau zu       heitsprävention empfohlen werden,         häuser und Pflegeheime (MUG und
     vermindern.                              tragen zur Eindämmung vermeidbarer        LKH-Universitätsklinikum Graz 2018).
    Erwachsenen, die Tabak konsu-           Demenz bei, sind vergleichsweise              Tabelle 2 fasst aktuelle systemati-
      mieren, sollten Interventionen zur      kostengünstig und mit wenig Risi-         sche Reviews seit 2020 zusammen.
      Tabakentwöhnung angeboten               ken behaftet (Montero-Odasso et al.       Die in den Reviews untersuchten Stu-
      werden. Verringerter Tabakkonsum        2020).                                    dien unterscheiden sich hinsichtlich
      kann neben anderen gesundheit-                                                    der Art der Präventionsprogramme,
      lichen Vorteilen auch das Risiko        Sturzprophylaxe                           des Settings, in dem die Program-
      für kognitiven Abbau und Demenz         Risikofaktoren für Stürze lassen sich     me stattfinden, sowie bezüglich der
      verringern.                             internen Faktoren, wie altersphysio-      Ergebnismessung und naturgemäß
     Gesunde, ausgewogene Ernährung         logischen oder krankheitsbedingten        weniger bezüglich der Altersgruppe
       sollte allen Erwachsenen empfohlen
       werden.
      Vitamine B und E, mehrfach un-        Ausgewogene Ernährung und altersangepasste
        gesättigte Fettsäuren und Multi-
        komplex-Supplementierung sollten
                                              körperliche Aktivität, also jene Faktoren, die auch aus
        für die Reduktion des Risikos eines   anderen Kontexten heraus zur Gesundheitsförderung
        kognitiven Abbaus und/oder einer
        Demenz nicht empfohlen werden.
                                              und Krankheitsprävention empfohlen werden, tragen zur
       Die leitliniengerechte Behandlung    Eindämmung vermeidbarer Demenz bei.
         von Diabetes in Form von Medika-
         menten und/oder Lebensstil-Inter-
         ventionen sollte Erwachsenen mit     Veränderungen sowie der Einnahme          der Pflegebedürftigen, in der Regel
         Diabetes angeboten werden.           bestimmter Medikamente, und ex-           Personen ab 60 oder 65 Jahren. Prä-
                                              ternen Faktoren, wie Gefahrenquellen      ventionsprogramme können anhand
Allerdings bewertet die WHO in kei-           in der Umgebung, zuordnen. Das            der vom Prevention of Falls Network
nem der behandelten Maßnahmenfel-             Zusammenspiel verschiedener Risiko-       Europe (Lamb et al. 2011) entwickel-
der die Qualität der Evidenz als hoch,        faktoren erhöht die Gefahr zu stürzen:    ten Taxonomie unterschieden wer-
und entsprechend werden weitere,              Ein Alter über 80 Jahren sowie Stürze     den: Bei Einzelinterventionen (single
hier nicht wiedergegebene Empfeh-             im vergangenen halben Jahr gehen          interventions) kommt nur ein Bereich
lungen zum Teil nur bedingt ausge-            bei Bewohner*innen von Pflegehei-         von Interventionen zur Anwendung,
sprochen, also jeweils eingeschränkt          men mit einem etwa vierfach erhöh-        in den aktuellen systematischen
auf bestimmte Personengruppen.                ten Sturzrisiko einher. Bei Personen      Reviews fast immer körperliches
Hierzu zählt beispielsweise die Emp-          mit Demenzerkrankung steigt das           Training. Werden Interventionen aus
fehlung bezüglich Alkoholabusus:              Risiko beispielsweise mit der Zahl der    mehreren Bereichen in einem Prä-
Personen mit normaler Kognition und           eingenommenen psychoaktiv wirken-         ventionsprogramm kombiniert (z.B.
milden kognitiven Einschränkungen             den Medikamente bis zum Zehnfa-           körperliches Training und medika-
sollten Interventionen angeboten              chen (MUG und LKH-Universitätskli-        mentöse Behandlung oder Vitamin D-
werden, die sich auf die Reduktion            nikum Graz 2018).                         Supplementierung), spricht man von
oder gänzliches Einstellen von ge-                Programme zur Sturzvermeidung         einer multiplen Intervention (multiple
fährlichem und schädlichem Alkohol-           in der älteren Bevölkerung setzen         interventions). Multiple Interventions-
konsum richten, um neben anderen              daher an unterschiedlichen Risikofak-     programme, bei denen die Interven-
günstigen Gesundheitseffekten auch            toren an, wie etwa schlechte Balan-       tionen auf jedes Individuum einzeln
das Risiko für kognitiven Abbau und/          ce und/oder Mobilität, schlechtes
oder Demenz zu reduzieren.                    Sehvermögen und schlecht sichtbare
     Zusammenfassend lässt sich               Gefahrenquellen, aber auch Polyphar-      3
                                                                                          Konkret wird einberechnet, dass nur für manche Demenz-
festhalten, dass zwar nur ein Teil der        mazie.                                      formen eine Therapie zugelassen ist und Antidementiva
Inzidenz demenzieller Erkrankungen                Die Sturzprophylaxe gehört zu den       nach der Diagnose häufig nicht durchgehend eingenom-
Präventionsmaßnahmen zugänglich               am häufigsten untersuchten Maß-             men werden.
                                                                                        4
                                                                                           Abhängig von Qualität und Umfang der vorliegenden
ist. Aber ausgewogene Ernährung               nahmenbereichen der Primärpräven-           Evidenz klassifiziert die WHO ihre Empfehlungen als stark,
und altersangepasste körperliche              tion von Pflegebedürftigkeit. Darauf        moderat oder situationsabhängig.

                                                                45
Health System Watch ı Prävention der Pflegebedürftigkeit

Aktuelle systematische Reviews zur Sturzprophylaxe                                                                                                                        Tabelle 2

                    Analyse-       Anzahl                         Programm-
 Quelle                                              Setting                        Intervention                     Outcome Parameter                 Ergebnis
                    Art            Programme                      typ

                                                                                                                     Sturzrate, Anzahl (wieder-
                                                                                    kT, sichere Wohnum­
                                                                                                                     holt) stürzender Personen,        Günstiger Effekt auf Sturzrate,
 Hopewell et                                                                        gebung, Überprüfung der
                    SR, MA         41                zH           mf                                                 Knochenbrüche, Hospitali-         Anzahl wiederholter Stürze,
 al. 2020                                                                           Medikation, psychologi-
                                                                                                                     sierung, gesundheitsbezo-         Sturzrisiko
                                                                                    sche Interventionen
                                                                                                                     gene Lebensqualität

                                                                                    kT, Schulungen, sichere
                                                                                                                                                       Günstige Effekte auf Sturzrate
                                                                                    Wohnumgebung, Über-
                                                                                                                     Sturzrate,                        und Anzahl stürzender
                                                                                    prüfung der Medikation,
 Lee et al. 2020    SR, MA         45                zH           mf                                                 Anzahl stürzender                 Personen. kT und sichere
                                                                                    Mobilitätshilfe,
                                                                                                                     Personen                          Wohnumgebung sind
                                                                                    „vision and psychological
                                                                                                                                                       besonders effektiv
                                                                                    ­management“

                                                                                    Mit Beteiligung von All-         Anteil stürzender Perso-          Kein signifikanter Effekt auf den
                                                                                    gemeinmediziner*innen.           nen, Anteil wiederholt            Anteil (wiederholt) stürzender
 Mackenzie et                      21, 19 für
                    SR, MA                           zH           gemischt          Schulung, Überprüfung            stürzender Personen,              Personen, signifikanter Effekt
 al. 2020                          MA
                                                                                    und Beurteilung von              Anteil von Stürzen mit            auf den Anteil von Stürzen mit
                                                                                    Sturzrisken, kT etc.             Verletzung                        Verletzung

 Sherrington et                    116, 54 für
                    SR, MA                           zH           e                 kT                               Sturzrate                         Günstiger Effekt auf Sturzrate
 al. 2020                          MA

                                                                                                                     Risiko-Verhältnis von             Günstiger Effekt auf Stürze und
 Wong et al.
                    SR, MA         12                zH           e                 kT                               Stürzen und von Knochen-          Knochenbrüche, mit stärkerem
 2020
                                                                                                                     brüchen                           Effekt bei Frauen

                                                                                    kT, Personalschulung,
                                                                                                                     Stürze, Anzahl stürzender         Günstiger Effekt auf Stürze,
 Gulka et al.                                                                       Überprüfung der Medika-
                    SR, MA         36                P            e, m, mf                                           Personen, Anzahl wieder-          Anzahl (wiederholt) stürzender
 2020                                                                               tion, sichere Wohnum­
                                                                                                                     holt stürzender Personen          Personen, Sturzrisiko
                                                                                    gebung etc.

                                                                                                                                                       Günstiger Effekt von Balance-­
                                                                                                                                                       Übungen, Training mit
                                                                                                                     Anzahl von Stürzen, Anzahl
 Schoberer                                                                                                                                             technischen Geräten und kT
                                                                                                                     stürzender Personen,
 und Breimaier      SR, MA         23                P            e                 kT                                                                 über einen Zeitraum von über
                                                                                                                     Verletzungen, Angst vor
 2020                                                                                                                                                  6 Monaten. Bei gebrechlichen
                                                                                                                     Stürzen, Lebensqualität
                                                                                                                                                       Personen kann kT Sturzrate
                                                                                                                                                       erhöhen

                                                                                                                     körperliche Aktivität,
 Jian-Yu et al.                                                                     kT, sichere Wohnum­                                                Keine Evidenz für günstige
                    SR             6                 P, zH        e                                                  Stürze, Angst vor Stürzen,
 2020                                                                               gebung                                                             Effekte
                                                                                                                     Lebensqualität

                                                                                    kT, sichere Wohnumge-
                                                                                                                                                       Keine eindeutig günstigen
                                                                                    bung, Überprüfung der
 Senderovich                                                                                                         Sturzrate,                        Effekte. Auf Individuen
                    SR             13 + 21 SR        P, zH        e, m, mf          Medikation, Behandlung
 und Tsai 2020                                                                                                       Sturzrisikofaktoren               angepasste Interventionen ­
                                                                                    von orthostasischer
                                                                                                                                                       sind am effektivsten
                                                                                    Hypotonie

                                                                                                                                                       kT kann die Anzahl stürzender
 Sibley et al.                     169, 73 für                                                                       Anzahl stürzender                 Personen reduzieren. Effektivi-
                    SR, MA                           P, zH        e                 kT
 2021                              MA                                                                                Personen                          tät unterscheidet sich je nach
                                                                                                                                                       genauer Art des Trainings

                                                                                                                     Anzahl von Stürzen, Anzahl
                                                                                                                     stürzender Personen, Sturz-
 Papalia et al.                                                                                                      raten, Balance, Angst vor         Günstige Effekte auf Balance
                    SR, MA         16                kA           e                 kT
 2020                                                                                                                Stürzen, Lebensqualität,          und Sturzraten
                                                                                                                     körperliche Fähigkeiten,
                                                                                                                     „balance confidence“

                                                                                                                     „incremental cost-­               kT ist kosteneffizient in der
                                                                                                                     effectiveness ratio“, Kosten      Sturzprävention. Einzel­
 Winser et al.
                    SR             12                kA           e, mf             kT                               pro qualitätskorrigiertem         interventionen sind kosten-
 2020
                                                                                                                     Lebensjahr, Kosten-Nutzen-        effizienter als multifaktorielle
                                                                                                                     Verhältnis                        Interventionen

Anmerkungen: SR: Systematic Review; MA: Meta-Analyse; zH: zu Hause; P: Pflegeheim; e: Einzelintervention; m: multiple Intervention; mf: multifaktorielle Intervention,
kT: körperliches Training, kA: keine Angabe

                                                                                            46
abgestimmt werden, werden als             moderater Intensität, im Gruppen-Set-     Eine strukturierte Befragung, meist
multifaktorielle Interventionen (multi-   ting und mit Follow-up im häuslichen      verbunden mit einem multidimen-
factorial interventions) bezeichnet.      Umfeld werden demnach als kosten-         sionalen Assessment, erfasst die Be-
    Die aktuellen Reviews untermau-       effektive Intervention angesehen,         darfe und mündet in eine individuelle
ern die Bedeutung von körperlichem        um Stürze bei älteren Erwachsenen         Formulierung von Präventionszielen
Training für die Sturzprophylaxe, so      (60 Jahre oder älter) zu vermeiden.       und Beratungsangeboten. Der Zweck
auch allein sieben systematische          Allerdings ist davon auszugehen,          von PHB besteht darin, die Gesund-
Reviews zu körperlichem Training als      dass der Effekt abebbt, sobald das        heit zu fördern und das Eintreten
Einzelintervention. Beispielsweise        Training eingestellt wird.                von Krankheiten oder Körper- oder
schließen Wong et al. (2020), dass in         Die Menge der unterschiedlichen       Geisteszuständen, die die selbststän-
der häuslichen Umgebung Trainings-        Interventionen zur Sturzprophylaxe        dige Lebensführung erschweren, zu
programme die Sturzwahrscheinlich-        erfordert, auf kritische Aspekte bei      verhindern, abzumildern oder hinaus-
keit um bis zu einem Drittel senken       der Umsetzung zu achten. So können        zuzögern (Renz und Meinck 2018).
können, andere Reviews berichten          Bewegungsprogramme bei gebrech-               Verpflichtend werden PHB nur
häufig von schwächeren Effekten.          lichen Personen sogar die Sturzwahr-      in wenigen Ländern angeboten: In
Nur bei Frauen, nicht aber bei Ein-       scheinlichkeit steigern, wenn die         Dänemark der Bevölkerung ab einem
schluss von Männern und Frauen,           Übungen unzureichend angepasst            Alter von 80 (früher: 75) Jahren, in
berichten Wong et al. (2020) über         oder ohne professionelle Begleitung       Schweden beschränkt auf den Raum
Effektivität bezüglich Frakturen. Fünf    ausgeführt werden. Zur Stärkung von       Stockholm, und in Australien der
systematische Reviews über multi-         Muskelmasse und Koordination wer-         Bevölkerung ab 75 Jahren, allerdings
faktorielle Interventionen weisen auf     den sie aber dennoch mehrheitlich als     wahlweise in der Wohnung oder in
die Effektivität von Programmen zur       wichtig angesehen, was die konkrete       der hausärztlichen Praxis. Das im Ver-
Sturzprophylaxe hin, die im häus-         Gestaltung der geeigneten Program-        einigten Königreich seit den 1990er
lichen Setting zum Teil ebenfalls von     me – beispielsweise inklusive Balan-      Jahren im hausärztlichen Kontext be-
Effektstärken bis zu einem Drittel        cetraining – besonders wichtig macht      stehende Angebot der „75-years-and-
berichten.                                (Schoberer und Breimaier 2020).           over checks“ wurde im Jahr 2004
    Ein Review fokussiert auf Pro-        Diese Aspekte werden in der Evidenz-      mangels überzeugender Evaluations-
gramme zur Sturzprophylaxe, in            basierten Leitlinie Sturzprophylaxe für   ergebnisse wieder gestrichen (Riedel
denen Hausärzt*innen eine aktive          Krankenhäuser und Langzeitpflege-         et al. 2020).
Rolle einnehmen (Mackenzie et al.         einrichtungen ebenfalls berücksichtigt        Je nach der Ausgestaltung der
2020). Die umgesetzten Interventio-       (MUG und LKH-Universitätsklinikum         nationalen Versorgungslandschaft
nen bestehen neben körperlichem           Graz 2018).                               führen in vielen Ländern Pflege-
Training auch aus der Überprüfung             Die beiden folgenden Abschnitte       kräfte (insbesondere Community
und Beurteilung von Sturzrisiken. Es      widmen sich Präventionsmaßnah-            Nurses5) oder multiprofessionelle
wurde festgestellt, dass die Maß-         men, konkret den in einigen Ländern       Teams die PHB durch. In den Teams
nahmen zwar nicht die generelle           durchgeführten präventiven Hausbe-        können neben Pflegepersonen auch
Sturzhäufigkeit, aber doch Stürze mit     suchen und den jüngeren Entwicklun-       Personen der Berufsgruppen Sozial-
Verletzungsfolgen reduziert haben.        gen bezüglich Prävention von Pflege-      arbeit, Physio- und Ergotherapie oder
    Winser et al. (2020) analysieren      bedürftigkeit in Deutschland.             dem medizinischen Fachgebiet der
als einziger der aktuellen Reviews die                                              Geriatrie vertreten sein. Die organi-
Kosteneffizienz. Konkret analysieren      Ansätze für Prävention von                satorische Anbindung der PHB-Pro-
sie die Dosierung von körperlichem        Pflegebedürftigkeit: Präventive           gramme erfolgt je nach nationalem
Training als Einzel- wie auch multiple    Hausbesuche                               Gesundheits- und Pflegesystem an
Intervention, z.B. in Kombination mit     Präventive Hausbesuche (PHB)              die Primärversorgung oder das Pfle-
der Beurteilung und Behandlung von        erfassen systematisch individuelle        gesystem (Riedel et al. 2020).
Seh- oder Hörbeeinträchtigungen           Bedarfe älterer, im häuslichen Umfeld
oder medikamentöser Anpassung.            lebender Menschen; das Angebot für
Von zwölf im Review berücksichtigten      den Hausbesuch erfolgt in der Regel
Studien deuten sieben auf Kosten-         für eine bestimmte Altersgruppe, also     5
                                                                                        Community Nurses sind Pflegekräfte, die außerhalb des
                                                                                        Krankenhauses, also in anderen Settings wie Schulen,
effektivität hin. Alle kosteneffektiven   unabhängig von einem auslösen-
                                                                                        Familien oder Gemeinden zum Einsatz kommen. Eine
Programme beinhalten Stärkungs-           den Ereignis wie einem Sturz oder             anerkannte exakte Definition besteht nicht, aber es sind
übungen für die unteren Gliedmaßen        einem Krankenhausaufenthalt. Die              auch alternative Begrifflichkeiten wie Public Health Nurse
                                                                                        oder District Nurse gebräuchlich (Riedel et al. 2020). Das
und Balancetrainings. Zwei 60-minü-       Teilnahme der potenziell Pflegebe-            aktuelle Regierungsprogramm sieht in Österreich eine
tige Trainingseinheiten pro Woche bei     dürftigen ist grundsätzlich freiwillig.       Wiedereinführung von Community Nurses vor.

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Health System Watch ı Prävention der Pflegebedürftigkeit

                                                                                            der Krankenversicherung im Pflege-
                                                                                            stärkungsgesetz II verpflichtet, ein
                                                                                            deutschlandweit einheitliches, struk-
                                                                                            turiertes Verfahren für die Klärung der
                                                                                            Notwendigkeit von Rehabilitations-
                                                                                            maßnahmen umzusetzen (MDS und
                                                                                            GKV-Spitzenverband 2018).
                                                                                                Auf weitere Entwicklungen für den
                                                                                            häuslichen Bereich und die stationäre
                                                                                            Pflege wird in den folgenden Ab-
                                                                                            schnitten eingegangen.

                                                                                            Prävention in der häuslichen Pflege
                                                                                            Studien zu Prävention und Gesund-
                                                                                            heitsförderung in der häuslichen
Um die Sturzwahrscheinlichkeit nicht zu steigern, müssen Bewegungsprogramme                 Langzeitpflege sind auch auf inter-
für gebrechliche Personen entsprechend angepasst oder mit professioneller                   nationaler Ebene noch sehr rar, wobei
Begleitung ausgeführt werden.                                                               hier neben den bereits genannten
                                                                                            Herausforderungen auch die Schwie-
                                                                                            rigkeit zum Tragen kommt, geeignete
     Evaluationen messen den Erfolg            (Stuck et al. 2002, Elkan et al. 2001)       Personen zur Teilnahme zu bewegen
an gesundheitlichen oder Funktions-            und neuere (Huss et al. 2008, Mayo-          (Stichwort kognitive Beeinträchti-
parametern oder anhand spezifischer            Wilson et al. 2014) kritischer bezüg-        gung). Dementsprechend wenige ge-
Ereignisse, operationalisiert durch            lich identifizierter Effekte. Signifikante   sicherte Wirksamkeitsnachweise für
Erhalt der Selbsthilfekompetenz,               Effekte in der gewünschten Richtung          Prävention in der ambulanten Pflege
Vermeidung oder Verzögerung von                sind rar, teils nur bei Subgruppen           liegen noch vor. Zur Vorbereitung
Pflegeheim- oder Klinikaufenthal-              feststellbar, und meist so klein, dass       für die Maßnahmenentwicklung in
ten, Reduktion von Mortalität oder             keine Einsparungen im Versorgungs-           den deutschen Pflegekassen wurden
gesteigerter Lebensqualität. Steigt            system messbar sind. Jüngere                 ein umfassender Literaturüberblick
die Inanspruchnahme von Pflegeleis-            Studien kommen aber häufig aus               durchgeführt sowie Daten-Auswer-
tungen nach PHB, muss dies keine               Ländern (Dänemark, Niederlande,              tungen vorgenommen, aus denen
mangelnde Effektivität ausdrücken,             Deutschland), in denen eine ver-             die folgenden Erkenntnisse abgeleitet
sondern kann Ausdruck dafür sein,              gleichsweise hohe Qualität in der            wurden (GKV-Spitzenverband 2020a):
dass Bedarf gedeckt wird, der bereits          Regelversorgung zu vermuten ist,              Die Basisausrichtung soll sich nach

zuvor bestand. Insofern sind anhand            und somit Verbesserungen schwe-                 den individuellen Gegebenheiten
von gesundheitlichen oder Funktions-           rer erzielbar sind. Dies könnte die             (Erkrankungen und Beeinträchti-
parametern gemessene Resultate                 schwächeren Ergebnisse in jüngeren              gungen, Lebensverhältnisse und
eindeutiger zu interpretieren. Die             Studien miterklären.                            Biografie, Wissen, Kompetenzen,
meisten Analysen beziehen sich                                                                 Einstellungen und Werte) richten,
auf bestimmte Altersgruppen (über              Ansätze zur Prävention gegen                    und auch Präventionsziele und
80 Jahre, über 65 Jahre). Ob bereits           Pflegebedürftigkeit: Entwicklun-                Maßnahmen sind individuell zu
vorliegende Beeinträchtigungen als             gen in Deutschland                              eruieren.
Ausschluss- oder als Einschluss-               In den letzten Jahren wurde die Stär-         Hauptaugenmerk soll auf funktio-

kriterium definiert werden, ist unter-         kung der Prävention im Pflegebereich            nalen Fähigkeiten und Alltagsbe-
schiedlich und könnte zur Heterogeni-          in Deutschland stärker in den Fokus             wältigung liegen, nicht auf Erkran-
tät der Ergebnisse beitragen (Renz             genommen. So wird beispielsweise                kungen.
und Meinck 2018).                              bei der Feststellung von Pflegebe-            Dieses erfordert ein – im Idealfall

     Wohl auch aufgrund der Unter-             dürftigkeit u.a. geprüft, ob und ggf.           multiprofessionelles – qualifiziertes
schiede in den einzelnen Program-              welche zumutbaren und notwendi-                 Assessment.
men besteht keine einheitliche                 gen Präventionsmaßnahmen den                  Individuelle Maßnahmen wie ab-
                                                                                                                                       Foto: Getty Images

Beurteilung der Effizienz und Effek-           Gesundheitszustand verbessern und               gestimmte Bewegungsübungen
tivität von PHB-Programmen. Ältere             die gesundheitlichen Ressourcen und             oder der Einsatz von Hilfsmitteln
systematische Reviews beurteilen               Fähigkeiten stärken könnten. Hier-              sind zunächst in professioneller
PHB-Programme tendenziell positiver            zu wurde der Medizinische Dienst                Begleitung einzuüben, mit dem Ziel

                                                                    48
selbstständiger Weiterführung und       von allfälligen Anpassungen im Ver-              zielen diese Beratungen auch auf den
    schließlich einer entsprechenden        sorgungsplan vereinbart werden.                  Aspekt der Qualitätssicherung bei be-
    Lebensstiländerung. Freude bei der      Diese Pflegeberatung erfüllt zwar                stehendem Pflegebedarf ab.
    Ausübung bzw. der Einhaltung von        Aufgaben eines Case Managements,
    Verhaltensänderungen erhöhen Mo-        ist aber nicht als dauerhafte Beglei-            Prävention in Pflegeheimen
    tivation und damit Nachhaltigkeit.      tung gedacht, sondern endet auf                  In Deutschland erteilt das Präven-
   Ein kritischer Erfolgsfaktor wird in   Wunsch, nach Zielerreichung oder                 tionsgesetz seit 2016 den für die
     der Ausrichtung der Gesundheits-       wenn durch die Fortführung des Be-               öffentliche Finanzierung der Pflege
     versorgung gesehen. Eine perso-        ratungsprozesses keine Verbesserung              zuständigen Pflegekassen den Auf-
     nenzentrierte Herangehensweise,        der Versorgungsituation zu erwarten              trag, stationären und teilstationären
     die die individuelle Lebenssituation   ist. Die Richtlinien für die Beratung            Pflegeeinrichtungen Präventionsmaß-
     sowie die Präferenzen der betroffe-    gelten deutschlandweit (GKV-Spitzen-             nahmen anzubieten. Jährlich sollen
     nen Personen systematischer einbe-     verband 2020b).                                  Präventionsprogramme und -pro-
     zieht, würde nach Einschätzung der          Deutlich geringeren Umfang hat              jekte in Höhe von rund 21 Mio. EUR
     Autor*innen des auf Deutschland        die Pflegeberatung nach § 37 Abs. 3              durchgeführt werden. Der „Leitfaden
     fokussierten Berichtes allerdings      SGB XI, in der Erschwernisfakto-                 Prävention in stationären Pflegeein-
     erst einerseits entsprechende Per-     ren festgestellt werden, die auf die             richtungen“ des GKV-Spitzenver-
     sonalschulungen und andererseits       Gesundheit der Pflegebedürftigen                 bandes, aktualisiert im Jahre 2018,
     mittelfristig eine umfangreiche An-    und ihrer pflegenden Angehörigen                 legt Kriterien für diese Leistungen der
     passung der organisatorischen und      einwirken. Eine konkrete Bearbeitung             Pflegekassen fest und soll diese bei
     finanziellen Rahmenbedingungen         der Faktoren ist im Rahmen dieser                der Entwicklung und Umsetzung ent-
     erfordern.                             Beratung nicht vorgesehen, sondern               sprechender Angebote unterstützen.
                                            sie soll bei Bedarf an andere Orga-              Als Ziel der Präventionsmaßnahmen
Schon länger bestehen für ältere            nisationen bzw. Maßnahmen wie                    wird die Stärkung der gesundheits-
Personen, die zu Hause leben, unter-        eben die Beratung nach § 7a SBG XI               fördernden Potenziale von Pflegeein-
schiedliche Beratungsschienen bei           vermitteln. Im Gegensatz zur frei-               richtungen definiert, operationalisiert
aktuellem und auch bereits bei sich         willigen Beratung gemäß § 7a SGB                 in zwei Teilzielen. Teilziel 1 lautet „Die
anbahnendem Pflegebedarf. Per-              XI ist diese Beratung verpflichtend,             Anzahl der Pflegeeinrichtungen mit
sonen, die bereits Pflegeleistungen         und zwar für Pflegebedürftige, die               einem Steuerungsgremium, das sich
beziehen oder zumindest einen               keinerlei formale Pflege(sach)leistung           mit der Gesundheitsförderung und
Antrag gestellt haben, können eine          beziehen, sondern ausschließlich                 Prävention der Bewohnerinnen und
Beratung gemäß § 7a Sozialgesetz-           Geldleistungen sowie informelle Pfle-            Bewohner befasst, ist erhöht.“ Als
buch (SGB) XI beantragen. Diese             ge. Das deutsche Gesetz sieht solche             Teilziel 2 wird in den fünf Handlungs-
dient vor allem der Information sowie       verpflichtenden Beratungen regel-                feldern für die Pflegekassen nach
Koordination und Organisation ge-           mäßig vor, je nach Pflegegrad pro                einheitlichem Muster definiert, die
eigneter Leistungen (Erstellung eines       Quartal oder Halbjahr. Offensichtlich            Anzahl der Pflegeeinrichtungen, die
Versorgungsplans). Die Beratung hat
auch einen gesundheitsfördernden
und präventiven Charakter in dem
Sinne, dass ein weiterer Anstieg                                                                                  Zusammenfassung
der individuellen Pflegebedürftigkeit
verlangsamt werden soll. Der Bera-            Der erste Teil dieses Berichts beschreibt den Präventionsbegriff und mögliche Unter-
tungsumfang schließt daher explizit           gliederungen im Kontext der Langzeitpflege und -betreuung. Der zweite Teil greift
auch Maßnahmen zu Prävention und              exemplarisch zwei wesentliche Verursacher von Pflege- bzw. Betreuungsbedarf heraus,
Gesundheitsförderung, Rehabilitation          um das Präventionspotenzial zu diskutieren: Bei demenzieller Erkrankungen wurde bis
und auch Entlastungsleistungen für
                                              zu einem Drittel der Inzidenz als potenziell vermeidbar klassifiziert, allerdings liegen nur
pflegende Angehörige mit ein. Die
                                              teilweise bereits klare Handlungsempfehlungen für die Prävention vor. In der Sturz­
Pflegeberatung erschöpft sich nicht
in einem einzelnen Kontakt, sondern           prophylaxe sollte die Forschung in Zukunft auch stärker auf konkrete Personengruppen
wird auf Wunsch länger tätig: Bei-            abstellen, um die vielversprechenden Programme noch effektiver umsetzen zu können.
spielsweise kann die Veranlassung             Im dritten Teil werden zwei Beispiele für Prävention von Pflegebedürftigkeit vorgestellt,
der mit den Betroffenen ausgewähl-            präventive Hausbesuche sowie einige der jüngst in Deutschland eingeführten Prä-
ten Maßnahmen, ihre Überwachung,              ventionsmaßnahmen.
und in weiterer Folge das Feststellen

                                                                 49
Health System Watch ı Prävention der Pflegebedürftigkeit

Maßnahmen in den jeweiligen Hand-         Dementsprechend gibt der vorlie-         Fazit
lungsfeldern umsetzen, zu erhöhen.        gende Evaluationsbericht auch noch       Den Erfolg von Präventionsmaßnah-
Die fünf Handlungsfelder lauten           nicht übergreifend über derartige        men zu messen ist herausfordernder
Ernährung, körperliche Aktivität, Stär-   Entwicklungen Auskunft. Für das          als die Erfolgsmessung bei vielen
kung kognitiver Ressourcen, psycho-       Berichtsjahr 2019 geben zwar drei        Akut-Behandlungen. Die Prävention
soziale Gesundheit und Prävention         Viertel der teilnehmenden Einrich-       von Pflegebedürftigkeit stellt hierbei
von Gewalt in der Pflege (Seibt-Lucius    tungen an, ihr Präventionsprogramm       keine Ausnahme dar. Dies liegt zum
et al. 2020).                             bereits zu evaluieren, es ist aber       Teil an den vielfältigen Ursachen, die
    Die Verpflichtung der Pflegekas-      unklar, inwieweit diese Evaluation       zu Pflegebedürftigkeit führen können.
sen zum Präventionsangebot ist noch       mehr als nur den Umsetzungsgrad          Das Beispiel Demenz zeigt, wie breit
sehr neu, und wird erst von einem         der Maßnahme und die Beteiligung         gestreut die bekannten Risikofaktoren
kleinen, aber steigenden Anteil der       der pflegebedürftigen Personen ab-       sind, wie vielfältig demnach mögliche
Einrichtungen angenommen. Im Jahr         bildet.                                  Ansatzpunkte für Prävention, und wie
2019 haben die Pflegekassen bei                In Abstimmung zwischen GKV-         gering der Anteil der potenziell später
insgesamt über 14.000 anerkannten         Spitzenverband und den Verbänden         Erkrankenden, die durch eine auf
Einrichtungen in 3.078 Fällen Pflege-     der Pflegekassen ist zukünftig eine      einem einzelnen Risikofaktor fußende
einrichtungen über Gesundheitsför-        kassenübergreifende wissenschaft-        Maßnahme erreichbar sind. Maß-
derung und Prävention informiert und      liche Evaluation der Leistungen          nahmenempfehlungen bleiben daher
beraten. 971 Einrichtungen entschlos-     geplant, Erkenntnisse und Erfahrun-      zum Teil sehr allgemein und häufig
sen sich zum Einstieg in den Gesund-      gen aus der Umsetzung präventiver        auf Lebensstilfaktoren bezogen. Eine
heitsförderungsprozess und wählten        Angebote sollen aus unterschied-         Quantifizierung, wie viel Pflegebedürf-
zum überwiegenden Teil Maßnahmen          lichen Perspektiven – Pflegekassen,      tigkeit mit adäquaten Präventions-
der Bereiche Förderung körperlicher       Pflegeeinrichtungen und Pflegebe-        maßnahmen vermeidbar wäre, ist
Aktivität und Mobilität (81 Prozent)      dürftige – ausgewertet werden und in     somit unrealistisch.
bzw. Förderung kognitiver Leistungen      die Weiterentwicklung des Leitfadens         Prävention von Pflegebedürftigkeit
(71 Prozent). Die Förderungen der         einfließen, die für 2022 geplant ist     stellt daher stärker auf den Erhalt des
Pflegekassen sind zeitlich und finan-     (Seibt-Lucius et al. 2020).              funktionalen Status ab als auf die Ver-
ziell begrenzt. So hatten 40 Prozent           Als weitere Maßnahme in der         meidung konkreter Krankheiten. Auch
der im Jahr 2019 geförderten Projekte     stationären Pflege wurden finan-         bei der zweiten hier dargestellten
eine Laufzeit von maximal einem hal-      zielle Anreize geschaffen, die die       häufigen Ursache für Pflegebedürftig-
ben Jahr und nur 13 Prozent von über      Durchführung von Präventions- und        keit, Stürzen, steht der funktionale
einem Jahr, wobei längere Laufzeit        Rehabilitationsmaßnahmen unter-          Status im Vordergrund. Insofern
meist mit einer umfassenden Evalua-       stützen bzw. bestehenden kontrapro-      erklärt sich der starke Fokus, den die
tion verbunden ist (Seibt-Lucius et al.   duktiven Anreizen entgegenwirken         Literatur auf Lebensstilfaktoren, und
2020).                                    sollen (Stichwort „ins Bett pflegen“).   hier insbesondere körperliche Aktivi-
    Bezüglich der Zielerreichung zeigt    Das Recht der Pflegebedürftigen auf      tät und Bewegung, als wesentliche
der Vergleich der in den Jahren 2018      Rehabilitationsmaßnahmen wurde           Präventionsmaßnahmen legt. Dies
und 2019 verzeichneten Werte, dass        unter bestimmten Umständen ver-          gilt auch, wenn bereits ein gewisses
in allen sechs Indikatoren für die        stärkt. Können Pflegebedürftige nach     Maß an Pflegebedürftigkeit eingetre-
beiden Teilziele die gewünschte Stei-     aktivierenden und rehabilitierenden      ten ist und somit eine Abschwächung
gerung der Anzahl von Einrichtungen       Bemühungen in einen niedrigeren          des fortschreitenden funktionalen
mit den entsprechenden Konzepten          Pflegegrad gestuft werden, erhält        Abbaus das Präventionsziel ist.
bzw. einem Steuerungsgremium              das Pflegeheim einen Bonus von               Eindeutige Empfehlungen für be-
erreicht werden konnte. Beispiels-        2.952 EUR. Allerdings ist der Betrag     stimmte Maßnahmen sind rar. Dies
weise verfügten 2018 ein Zehntel der      zurückzuzahlen, wenn die entspre-        gilt selbst bei international so viel be-
erreichten Einrichtungen über ein         chende Person innerhalb von sechs        forschten Konzepten wie jenem des
Ernährungskonzept, im Jahr 2019           Monaten wieder „hochgestuft“ wird.       präventiven Hausbesuchs, für den
bereits 30 Prozent (Seibt-Lucius et al.   Weiters müssen Krankenkassen der         nach wie vor noch keine eindeutige
2020). Kritisch anzumerken ist, dass      Pflegekasse einen Ausgleichsbetrag       Evidenz vorliegt. 
sich die Ziele derzeit ausschließlich     in Höhe von 3.072 EUR zahlen, wenn
auf Struktur- bzw. Prozessparameter       eine medizinisch notwendige Reha-
beziehen, noch nicht auf Outcomes         bilitationsmaßnahme für pflegebe-        6
                                                                                       https://www.bundesgesundheitsministerium.de/themen/
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