Psychodynamische Gruppentherapie bei Tinnitus-Betroffenen

Die Seite wird erstellt Devid Schweizer
 
WEITER LESEN
Psychodynamische Gruppentherapie bei Tinnitus-Betroffenen
Schwerpunktthema

Psychodynamische Gruppentherapie
bei Tinnitus-Betroffenen
von Dr. med. Helmut Schaaf, Leitender Oberarzt der Tinnitus-Klinik und des Gleichgewichtsinstituts Dr. Hesse, Bad Arolsen

      Elemente der kognitiven Verhaltenstherapie gelten als der Königsweg in der Tinnitus-Therapie.
      Darüber hinaus haben psychodynamische Ansätze durchaus ihre Stärken, auch bei Patientinnen und
      Patienten mit einem sehr belastenden Tinnitus. Psychodynamische Verfahren haben methodisch die
      Besonderheit, dass sie – nach meist langer Selbsterfahrung der Therapeuten – den Interaktionen
      zwischen den Patienten und dem Therapeuten eine zentrale Bedeutung zumessen. Dr. med. Helmut
      Schaaf schildert im folgenden Artikel Ausschnitte und Situationen aus der derart gestalteten Grup-
      pentherapie.

Elemente der kognitiven Verhaltenstherapie
gelten als der Königsweg in der Tinnitus-
Therapie. Deswegen arbeiten viele Kliniken
bei Tinnitus-Betroffenen entlang eines ver-
haltenstherapeutischen Manuals. Dafür gibt
es viele gute Gründe, die an anderer Stelle
ausgeführt, aber auch hinterfragt werden
können (Schaaf in: Hesse, 2015). So müssen
sowohl der Therapeut als auch der Patient von
dem Vorgehen überzeugt sein und der Patient
muss eine Veränderung wünschen (Svitak et
al., 2001). Ein passiv „hinnahmebereiter“
Patient (Horn, 2018) allein wird kaum von
der Therapie profitieren.

Unstrittig ist, dass eine ausreichende Aufklä-
rung (Counseling) im Sinne einer Erklärung
der Hörwahrnehmung die Grundlage jeder
Therapie bei Patientinnen und Patienten
mit Tinnitus ist. Dies kann Patienten mit
einem Tinnitus-Leiden befähigen, auch Lö-
sungsmöglichkeiten für Problemstellungen
zu erarbeiten, die über die Neurootologie
hinausgehen.

Auf dieser Grundlage arbeitet das Team in
der Tinnitus-Klinik Dr. Hesse seit über zehn
Jahren mit einem überwiegend psychodyna-         Eine Gruppentherapie-                             Dabei bittet ein Patient um die Hilfe der
mischen Ansatz in einer dreimal wöchentlich      Doppelstunde                                      Gruppe für seine Rückfallprophylaxe. Er
stattfindenden Gruppentherapie von jeweils                                                         hatte einen massiven Verbrennungsunfall
der Dauer einer Doppelstunde. Dabei geht         Es steht mal wieder ein Abschied an. Nach der     mit Beteiligung des Mittelohres vor vielen
es manchmal auch um Tinnitus. Vor allem          Eingangsrunde, die der Autor ritualisiert mit     Jahren erlitten. Lange war er mit den Folgen
aber stehen die grundlegenden Themen im          einer Klangkugel und Fragen an jeden und          der Verbrennungen konfrontiert, ehe er
Beziehungsgefüge der seelischen Gesundheit       jede einleitet, sollen alle Beteiligten einzeln   seine Höreinschränkungen und den Tinnitus
im Fokus, deren Vernachlässigungen oder Stö-     diese Fragen beantworten:                         bemerken konnte. Zu lange hatte er sich
rungen zum Leiden am und mit dem Tinnitus        • Bin ich bereit, aktiv mitzuarbeiten?            danach zum Leidwesen seiner Umgebung
führen können.                                   • Habe ich ein Thema für die Gruppe?              nach innen und in einen Substanzmissbrauch

14     Tinnitus-Forum 1–2022
Psychodynamische Gruppentherapie bei Tinnitus-Betroffenen
Schwerpunktthema

geflüchtet. Erst seit Kurzem wurde es für ihn         benden, viel Platz bis zur nächsten Frage zu                 durchstarten wollte, als wenn nichts wäre
möglich, sich wieder in die Alltagstauglichkeit       lassen. Die Erwartungen sind meistens höher                  und einfach keine Kontrolle über meinen
helfen zu lassen.                                     als das, was sich im Verlauf als realistisch und             Körper und mein Hören bekomme.
                                                      sinnvoll erweist.                                        •   weil ich mich in meiner Arbeit und in
Da alle in der Gruppe einverstanden sind und                                                                       meiner Beziehung so verloren habe, dass
eine Rückfallprophylaxe nie zu früh begonnen          Dieses Mal lasse ich die Frage im Raum ein                   ich in einen Burn-out oder – wie ich jetzt
werden kann, nehmen wir das Anliegen auf.             wenig wirken. Da wir in den letzten Wochen                   weiß – eine Depression gerutscht bin,
Wie immer, wenn darüber hinaus keine spon-            gut gearbeitet haben, ist es möglich, die                    die mich in direkten Kontakt zum Sen-
tanen Ideen aufkommen, arbeiten wir dabei             Frage zu erweitern und jede und jeden in der                 senmann gebracht hat (wobei mir jede
entlang des „Briefes an uns selbst“. Dieser           Gruppe zu fragen: „Bitte hören Sie einmal                    Perspektive verloren gegangen ist).
soll sonst spätestens bei Entlassung von              tief hinein, warum Sie wirklich in die Klinik            •   weil ich wegen meiner Angsterkrankung
den Patienten „an sich selbst“ geschrieben            gekommen sind“ – wobei die Betonung auf                      nach der an sich erfolgreichen Bestrah-
werden (D´Amelio, Schaaf, Kranz, 2022; siehe          „wirklich“ liegt (Abb. 1).                                   lung meines Akustikusneurinoms nicht
auch Rezension auf Seite 19).                                                                                      mehr auf die Beine gekommen, weiter
                                                      Ich bin wirklich in die Klinik gekommen,                     unsicher und auch nach eineinhalb Jahren
Der Brief an mich selbst                              • weil ich gedacht habe, ich würde alles                     nicht wieder ins Lot gekommen bin.
                                                          für meine Familie tun, indem ich gear-               •   weil ich versucht habe, nach dem Ende
In dem „Brief an sich selbst“ wird zu Beginn              beitet und gearbeitet habe. Dabei habe                   der Lebensarbeitszeit an den Ort meiner
– und jetzt in der Gruppe für alle – als erstes           ich meine Frau und einen meiner beiden                   Träume zu kommen und dort festgestellt
folgende Frage gestellt: „Was habe ich, als ich           Söhne verloren und in einem nicht enden                  habe, dass alles anders ist, als ich dachte
(vor geraumer Zeit) in diese Klinik gekommen              wollenden Rosenkrieg keinen Boden                        und nun beziehungslos an der dröhnen-
bin, erwartet?“                                           mehr unter den Füßen behalten.                           den Umwelt verzweifle.
                                                      • weil ich nach meiner Lymphdrüsenerkran-                •   weil ich als Selbstständiger am Ende
Wenn wir dies schriftlich und mit kleinen                 kung/Tumorerkrankung (Morbus Hodg-                       selbst und ständig alles gegen die Wand
Auszeiten bearbeiten, bitte ich die Mitschrei-            kin) im ersten Drittel meines Lebens so                  gefahren habe.

                                                weil ich wegen meiner                   weil ich trotz lebensbe-
                                                Angsterkrankung nicht                   drohlicher Erkrankung
                                                 mehr auf die Beine                     durchstarten und Kon-
                                                   gekommen bin                          trolle haben wollte
              weil ich den Ort                                                                                                weil ich über meine
            meiner Träume in der                                                                                             Bemühungen den Kon-
            Ferne gesucht habe                                                                                               takt zu Frau und Sohn
                                                                                                                                 verloren habe

      weil ich „selbst“ und                                                                                                         weil ich in Kontakt
      „ständig“ alles gegen                                                                                                        mit dem Sensenmann
       die Wand gefahren                                                                                                              gekommen bin
               habe

              weil ich mich nach                                                                                             weil ich nach meinem
             einem unerfüllbaren                                                                                              Verbrennungsunfall
             Kinderwunsch in die                                                                                             lange versucht habe,
            nicht erfüllende Arbeit                                                                                           alles mit mir alleine
                gestürzt habe                                                                                                    auszumachen
                                                weil mir nach dem Tod                        weil es etwas gibt,
                                                 meiner Frau nur noch                        worüber ich in der
                                                verlässlich der Tinnitus                     Gruppe nicht reden
                                                     geblieben ist                                  kann

     Abb. 1: Szene aus einer Gruppentherapie: Ich bin wirklich in die Klinik gekommen, ...

                                                                                                                                Tinnitus-Forum 1–2022     15
Schwerpunktthema

• weil ich mich nach meinem nicht erfüllba-       zu adressieren. Wir übernehmen es, diesen        Familie, mit Geschwistern, im Umgang mit
  ren Kinderwunsch in die Arbeit gestürzt         nach ca. drei Wochen an den Patienten zu         Kollegen und mit Freunden ist es aber mög-
  und dabei alles um mich herum außer             schicken. Dies geschieht unabhängig von dem      lich, dies in der psychotherapeutischen Arbeit
  Acht gelassen habe – auch mich selbst.          formalen Entlassungsbrief, der in der Regel,     zu spiegeln und vor allem zu bearbeiten. Dies
• weil mir nach dem Tod meiner Frau               aber auf einer anderen Ebene, vor der Entlas-    macht insbesondere dann Sinn, wenn es sich
  und nach einem langen erfolgreichen             sung mit den Patienten besprochen wird.          um Problem-Konstellationen handelt, die
  Berufsleben jetzt nur noch der Tinnitus                                                          entweder zum Leiden am Tinnitus geführt
  geblieben ist.                                  Diesem Patienten war es wichtig, die aus         haben oder das Leiden aufrechterhalten. In
• Dazwischen nimmt eine Patientin Anteil,         der Traumatherapie gelernten Ansätze wei-        diesem Sinne dürfen die Mitpatientinnen
  die aus gutem Grund selbst in dieser            terzuführen und dem Tinnitus dabei die ihm       und -patienten und die Therapeutinnen und
  relativ vertrauten Gruppe lieber nichts         zukommende Bedeutung auch als „Hinweis-          Therapeuten auch als „Ersatzspieler auf Zeit“
  von ihrer Geschichte erzählt.                   Signal“ zu würdigen. Am regelmäßigsten           verstanden werden.
                                                  und am erfolgreichsten wird die hier erlernte
Da der Patient, der um Unterstützung bittet,      Progressive Muskelrelaxation nach Jacobson       Eine weitere Grundannahme ist, dass Gefühle
selbst nur vage Vorstellungen äußert, bitte ich   durchgeführt.                                    und Beziehungen eine Schlüsselstellung im
zunächst die Gruppe, für ihn zu überlegen,                                                         Heilungsprozess, auch in der Tinnitus-Be-
was ihm konkret geholfen haben könnte und         Woher komme ich? Wo will ich                     handlung, haben. An der Oberfläche äußern
was sich verändert hat. Wir lassen ihn die        hin? Was brauche ich dazu?                       sich diese oft als Wut, Ärger, Enttäuschung,
Rückmeldungen an der Flipchart so notieren,                                                        Sprachlosigkeit, Schweigen, Klagen, innere
ohne dass die anderen das sehen können.           Vorausgegangen sind Gruppensitzungen, in         Anspannung, innere Unruhe, ineffektive
Dies soll ihn schützen und ihm die Gelegen-       denen die Patienten in wechselnden Konstel-      Umtriebigkeit und eben auch im Leiden am
heit geben, selbst zu entscheiden, was er         lationen in Beziehung getreten sind. Dabei       Tinnitus. Letzteres – nicht der Tinnitus selbst
annehmen kann. Im Anschluss stellt er vor,        kann es durchaus auch zu Auseinanderset-         – kann psychodynamisch als frühes Warn-
was er gehört und was davon angekommen            zungen und Konflikten mit Reinszenierungen       zeichen im seelischen Gefüge verstanden
ist. Dann kann die nächste, daraus abgeleitete    alter Beziehungsmuster, Verwicklungen und        werden. In der Fachsprache würde man es
und entscheidende Frage gestellt werden:          Verwechslungen (Übertragungen) kommen.           als „Korrelat der Signalangst“ bezeichnen
„Und was davon werden Sie im Alltag, das          Oft sind dazu Rollenspiele, Kommunika-           (Schaaf in: Hesse, 2015; Schaaf in: D’Amelio,
heißt alle Tage, umsetzen?“                       tionsproben und gerne das Loben der schon        Schaaf, Kranz, 2022). Den Therapeuten fällt
                                                  vorhandenen Fähigkeiten und Eigenschaften        dabei die Aufgabe zu, die Interaktionen in der
Wenn wir diesen Brief an die Patientin oder       durch die Mitpatienten hilfreich. Es bestätigt   Gruppe und auch die eigene Rolle zu reflek-
den Patienten selbst in der Gruppe, im Einzel-    sich in der Regel die Grundannahme, dass         tieren, um dies der Bearbeitung dienlich zu
gespräch oder als „Hausaufgabe“ erstellen         sich alles, was sich „draußen“ in Bezie-         machen. Wichtig ist, dass die Hoffnung auf-
lassen, bitten wir die Patienten, den Brief in    hungsstrukturen zeigt, auch im Klinikalltag      kommen kann, dass es Lösungen gibt, die ein
einen verschlossenen Umschlag an sich selbst      wiederholt. Anders als zu Hause, in der          Leben auch mit Tinnitus möglich machen.

                                                                                                   Wirksam kann in der Gruppentherapie – un-
                                                                                                   abhängig von der sonstigen therapeutischen
                                                                                                   Ausrichtung – die Erfahrung werden (Horn,
                                                                                                   2018),
                                                                                                   • dass man in einem strukturierten Rahmen
                                                                                                      wohlwollenden und vertrauenswürdigen
                                                                                                      Menschen gegenübersitzt,
                                                                                                   • denen man sich mitteilen kann,
                                                                                                   • die bereit sind, das Problem mit anzu-
                                                                                                      schauen,
                                                                                                   • und die als Weggefährten oder soli-
                                                                                                      darische Leidensgenossen dabei sind,
                                                                                                      Erfahrungen und Erlebnisse, die unter die
                                                                                                      Haut gehen (und Betroffenheit auslösen
                                                                                                      können), mitzuerleben.

                                                                                                   Psychodynamische Verfahren haben metho-
                                                                                                   disch die Besonderheit, dass sie – nach meist
                                                                                                   langer Selbsterfahrung der Therapeuten – den
                                                                                                   Interaktionen zwischen den Patienten und
                                                                                                   dem Therapeuten eine zentrale Bedeutung
                                                                                                   zumessen. Dies gilt bewusst auch für non-
                                                                                                   verbale Beziehungsangebote und -konstella-

16     Tinnitus-Forum 1–2022
Schwerpunktthema

tionen. Die Arbeit vonseiten des Therapeuten
ist dabei fokussiert auf das Erleben in der
Psychotherapie-Situation, wohl wissend, dass
beim Leiden am Tinnitus die Kommunikation
mit dem Patienten oft nur „über den Tinnitus“
möglich ist. Der Tinnitus kann in der therapeu-
tischen Beziehung lange zwischen Therapeut
und Patient stehen. Das heißt, dass der The-
rapeut für sich und später mit dem Patienten
übersetzen muss, was im Tinnitus-Leiden
ausgedrückt sein könnte. Dabei geht es nicht
darum, alles zu deuten, was wahrgenommen
wird. Wichtig ist in aller Regel, im Hier und
Jetzt zu bleiben. Besonderheiten sollten nur
angesprochen werden, wenn dies produktiv
erscheint – und wenn dies mit einer positiven
Intervention (Maßnahme) verbunden werden
kann (D´Amelio, Schaaf, Kranz, 2022).
                                                      Abb. 2: Woher komme ich? Was brauche ich dazu? Wo will ich hin? Bilder veröffentlicht mit
In unserem Fallbeispiel vorangegangen war             Genehmigung von D. K.
eine intensive und über das Wochenende vor-
bereitete Gruppentherapie zu drei biografisch
und psychodynamisch gemeinten Fragen:
• Woher komme ich?
• Wo will ich hin?                                oder desjenigen, die/der das Symbol vorstellt.         Eindrucksvoll war eine bildlich dargestellte
• Was brauche ich dazu?                           Dieser kann oft über den Anschein und den              Sequenz, die auch in der Gruppe extreme
                                                  Moment hinauswirken.                                   Reaktionen ausgelöst hat (Abb. 2). In der
Dazu wurden die Patientinnen und Patienten                                                               tiefen Verzweiflung, Berührung und Entwick-
vor dem Wochenende eingeladen, Symbole            So erweist sich ein geknotetes Halstuch als            lung musste der Prozess mitgetragen werden,
für diese drei Stationen zu finden und – bei      Verbindung zwischen Herkommen und Hin-                 auch wenn schon für den Verlauf eine positive
ausreichendem Vertrauen – in der Gruppe           wollen schon mal als Knoten im Kopf, der erst          Perspektive sichtbar war.
vorzustellen. Das kann auf den ersten Blick       mal aufgelöst werden muss. Eine Patientin
auch sehr banal erscheinen. Meist aber entwi-     konnte am Ende als Symbol ihre Kastanie                Im Nachhinein sah der Patient auch im ersten
ckelt das Symbol in der Würdigung und Inter-      mitnehmen, die sie zu Hause einpflanzen                Bild doch schon ein Licht am Ende des Tun-
pretation durch die Gruppe, psychotherapeu-       wird, um deren Wachstum zu begleiten, damit            nels, auch wenn es durch den Sensenmann
tisches Nachfragen und gegebenenfalls durch       sie sich ungefähr genauso lange Zeit für die           noch sehr verstellt war. Geholfen hat auch
Umgruppieren der Symbole einen anderen            Veränderung geben kann wie die Kastanie                seine „Schlitzohrigkeit“, die ihm zu „großen
Kontakt zur psychischen Situation derjenigen      braucht, um zu wachsen (auszutreiben).                 Ohren“ verhelfen und in eine sonnigere

                                                         ER HAT’S FAUSTDICK HINTER DEN OHREN. SIE HAUCHDÜNN.
                                                         Wir machen das Leben hörbar besser.
                                                         Die MEDICLIN Bosenberg Kliniken sind spezialisiert auf die Reha von Hörschädigungen,
                                                         Tinnitus und Cochlea-Implantate. Es ist unser Ziel, unseren Patienten ein neues Hören
                                                         zu ermöglichen – und damit eine bessere Lebensqualität. Hört sich das nicht gut an?

                                                         MEDICLIN BOSENBERG KLINIKEN · 66606 ST. WENDEL
                                                         Chefarzt Dr. Harald Seidler (selbst CI- und HG-Träger)
                                                         Telefon 0 68 51 / 14 - 261 · Telefax 0 68 51 / 14 - 300
                                                         info.bosenberg@mediclin.de · www.bosenberg-kliniken.de

                                                         © best-photo – istockphoto.com

                                                                                                                             Tinnitus-Forum 1–2022   17
Schwerpunktthema

Umgebung führen könnte. Manchmal ist es           lungen davon ab, wie das Verhältnis von            Letztlich hängt der Verlauf einer Therapie bei
auch besser, im gegenseitigen Einverständnis      Anforderungen – sowohl von außen als auch          Tinnitus-Patienten natürlich auch von den
seine Symbole nicht in der Gruppe, sondern        von sich selbst – zu den Ressourcen steht.         Möglichkeiten und Ressourcen der jeweili-
eher in der Einzeltherapie darzustellen, oder                                                        gen Anbieter oder Kliniken ab. Dabei sind
erst noch einmal mitzunehmen.                     Letztere basieren wesentlich                       die im Kasten aufgelisteten Manuale sicher
                                                  • auf dem Beziehungsgefüge in der Paar-            gute Wegweiser für die Therapeutinnen und
Die in der Gruppe vorgestellten Symbole               beziehung oder in der Familie,                 Therapeuten. Sie ermöglichen, ersetzen aber
beziehungsweise Bilder haben unter an-            • dem Beziehungsgefüge zu den Freunden             nicht die Therapie. Schließlich geht es nicht
derem auch dazu geführt, dass ein großes              – so welche vorhanden sind,                    nur um das Symptom Tinnitus, sondern um
Verständnis und Vertrauen für die weitere         • den Herausforderungen und Anforderun-            den betroffenen Patienten, der verstanden
Gruppenarbeit entstanden ist. Dahinter durf-          gen im Beruf                                   und begleitet werden möchte – auch das
ten bis dahin erlebte Konflikte und durchaus      • und nicht zuletzt auf der körperlichen           ist der Unterschied zwischen Counseling,
normale neurotische Einengungen sowie so              Gesundheit,                                    dem Abarbeiten von Manualen und Psycho-
manche Verhaltensmuster zurückstehen. So                                                             therapie.
konnte man und frau sich in der Gruppe auch       vorausgesetzt, die materielle Absicherung
schwach zeigen, ohne bei den anderen Stärke       reicht aus, damit die darüber hinausgehenden
oder Ablehnung auszulösen. Deswegen konn-         Bedürfnisse zur Geltung kommen dürfen.
te selbst eine Patientin, die „schon immer“                                                              Der Autor:                       l
kein Vertrauen zu anderen entwickeln konnte       Wahrscheinlich ist eine solche Gruppenarbeit
und geübt ist, entlang der Bedürfnisse der an-    auch nur oder besser möglich, wenn das
deren zu agieren, ein bisschen mehr wirklich      grundlegende Bedürfnis nach Wissen und
„bei sich und bei den anderen sein“.              die dazu gehörige Psychoedukation (Ver-
                                                  mittlung der psychologischen Grundlagen
Zwischendurch kamen „der Tinnitus“ und            bezüglich des Tinnitus), das Erlernen eines
die Tinnitus-Wahrnehmung („Wie erlebt ihr         Entspannungsverfahrens und in der Klinik
das?“) auch zu seinem Recht, wobei wir            des Autors auch die Hörtherapie ebenfalls
uns da grundlegend an dem Modell aus              Teil des Klinikalltags sein dürfen. Ziel dabei         Dr. med. Helmut Schaaf
der „Kleinen Einführung in die Tinnitus-          ist, dass am Ende jeder zumindest seine                Leitender Oberarzt der Tinnitus-Klinik
Wahrnehmung“ orientieren (Schaaf, DTL-            eigene Tinnitus-Entwicklung verstehen und              Dr. Hesse und der Gleichgewichts-
Broschüre). Im Wesentlichen geht es dabei         möglichst auch seinen eigenen Hörbefund                ambulanz der Tinnitus-Klinik Dr. Hesse
um die Hörfilter-Prozesse, die dafür sorgen,      erklären kann. Trotzdem kommt es auch                  im Stadtkrankenhaus Bad Arolsen
dass der Tinnitus mit seinen maximal 15 dB        immer wieder vor, dass es nötig wird, das              Große Allee 50
Verdeckbarkeit (nach Abzug der Hörschwelle)       Tinnitus-Modell auch in seinem organischen             34454 Bad Arolsen
nicht mehr Raum als nötig in der Wahrneh-         Anteil in Gruppensitzungen zu integrieren,             www.drhschaaf.de
mung einnehmen kann. Dabei hängen die             und dass der Therapeut gegebenenfalls zu
Hörfilter-Funktionen nach unseren Vorstel-        Sachfragen Stellung nehmen kann.

                                                                                                         Das Literaturverzeichnis kann unter
                                                                                                         dem Stichwort „Schaaf, TF 1/2022“
     Manuale zum Thema Tinnitus (Literatur für Fachleute)                                Book-Open       bei der TF-Redaktion angefordert
                                                                                                         werden.
     D’Amelio, R., Schaaf, H., Kranz, D.: Module für die Tinnitus-Behandlung.
     Hogrefe Verlag, Göttingen, 2022

     Weise, C., Kleinstäuber, M., Kaldo, V., Andersson, G.: Mit Tinnitus leben lernen.
     Ein Manual für Therapeuten und Betroffene. Springer, Heidelberg, 2016

     Hesse, G., Schaaf, H.: Manual der Hörtherapie. Thieme-Verlag, Stuttgart, 2012

     Kröner-Herwig, B., Jäger, B., Goebel, G.: Tinnitus. Kognitiv-verhaltenstherapeutisches
     Behandlungsmanual. Beltz, Weinheim, Basel, 2010

                           DTL: Bessere Chancen für ein besseres Leben!

18      Tinnitus-Forum 1–2022
Sie können auch lesen