Psychosomatik in der Allgemeinmedizin - Erfahrungen in der Weiterbildung Allgemeinmedizin

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Psychosomatik in der Allgemeinmedizin - Erfahrungen in der Weiterbildung Allgemeinmedizin
Fortbildung

                                            Psychosomatik in der Allgemeinmedizin
                                            Erfahrungen in der Weiterbildung Allgemeinmedizin
                                            Dr. med. Wolfgang Hönmann

                                                                                                                                     chen Grundversorgung praxisnah darzu-
                                                                                                                                     stellen. Ebenso werden Entspannungsver-
                                                                                                                                     fahren erläutert und praktisch geübt. Auf
                                                                                                                                     zwei Themenbereiche soll im Folgenden
                                                                                                                                     näher eingegangen werden:
                                                                                                                                     1. Das Balance-Modell nach N. Peseschki-
                                                                                                                                        an und seine Anwendung in der Praxis.
                                                                                                                                     2. Wege der Kommunikation: Fünf Stufen
                                                                                                                                        des Gespräches und die Interaktionssta-
                                                                                                                                        dien.

                                                                                                                                     1. Das Balance-Modell nach
                                                                                                                                        Peseschkian und seine
                                                                                                                                        Anwendung in der Praxis
                                            Einleitung                                   ma Psychosomatik in der Allgemeinmedi-
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                                                                                         zin etabliert.                              Nach Rudolf [4] sind es vier Ebenen, auf
                                            Die Psychosomatische Grundversorgung                                                     die sich der Fokus des Arztes beim
                                            gehört schon seit Jahren (1995) zum Aus-     Das Weiterbildungsangebot                   Betrachten des Patienten richtet:
                                            bildungsteil der Weiterbildung zum Fach-     an der Akademie der LÄKH                    • Die biologische Ebene – Naturwissen-
                                            arzt für Allgemeinmedizin [1]. Seit 2005                                                    schaftlich ausgerichtete Medizin.
                                            ist die von der Bundesärztekammer vor-       Die Akademie für Ärztliche Fort- und Wei-   • Die personale Ebene – Das erlebende
                                            geschriebene „Psychosomatische Grund-        terbildung Bad Nauheim der Landesärzte-        Subjekt, Persönlichkeit.
                                            versorgung“ Pflichtteil der Weiterbil-       kammer Hessen (LÄKH) bietet drei Kurse      • Die interpersonale Ebene – Soziale Na-
                                            dungsordnung zum Facharzt für Allge-         an, die speziell an den Bedürfnissen der       tur mit ihren Beziehungserfahrungen.
                                            meinmedizin [2]. Damit ist gleichzeitig      Allgemeinmedizin ausgerichtet sind          • Die soziokulturelle Ebene – Kulturspe-
                                            der vorgesehene Kurs von der Kassenärzt-     (Abb. 1 führt zu Inhalten und Anmel-           zifische Werte, Normen und Ziele der
                                            lichen Vereinigung anerkannt, die Abrech-    dung). Dieser Erfahrungsbericht bezieht        Gemeinschaft.
                                            nungsziffern 35100 und 35110 (Psycho-        sich auf die Kurse A und B. Dazu gehören    Damit wird die Grundlage einer Bio-Psy-
                                            somatisches Erstgespräch und psychoso-       20 Stunden Theorie, 30 Stunden Interven-    cho-Sozialen Medizin beschrieben, wobei
                                            matische Behandlung) als Kassenarzt ab-      tionstechniken und 30 Stunden Balint-       die biologische Krankheit aus psychologi-
                                            zurechnen. Auch in der neuen Weiterbil-      Gruppe. Es geht darum, den angehenden       scher Sicht, das psychologische Gesche-
                                            dungsordnung ist die Psychosomatische        Allgemeinmedizinern aus der Praxis he-      hen aus soziologischer Perspektive und
                                            Grundversorgung Bestandteil der Weiter-      raus die besondere Sichtweise der Psycho-   das psychologische Krankheitsgeschehen
                                            bildung zum Facharzt für Allgemeinmedi-      somatik näher zu bringen. Somit ist dies    aus     biologisch-naturwissenschaftlicher
                                            zin geblieben [3]. Somit hat sich das The-   ein Angebot, eigene Fälle der Hausärztli-   Warte betrachtet wird. „Die Leib-Seele-
                                                                                                                                     Polarisierung erscheint dann als überflüs-
                                             Abb. 1: Akademie für Ärztliche Fort- und Weiterbildung                                  siges Scheinproblem“ [4].
                                                                                                                                     Diese Sichtweise deckt sich gut mit der
                                             Psychosomatische Grundversorgung für die Kurs-Weiterbildung
                                                                                                                                     Auffassung der Positiven Psychotherapie
                                             Allgemeinmedizin
                                                                                                                                     nach N. Peseschkian [5]. Im Zentrum
                                             Termine:               Kurs A: Termin auf Anfrage                                       steht dabei das Balance-Modell (Abb. 2).
                                                                    Kurs B: Fr., 23.09.–Sa., 24.09.2021                              Danach verfügt jeder Mensch über vier
                                                                    Kurs C: Sa., 05.02.2022                                          verschiedene Lebensbereiche. Diese prä-
                                                                                                                                     gen seine Persönlichkeit, beeinflussen die
                                             Information            Joanna Jerusalem                                                 Lebenszufriedenheit, das Selbstwertge-
                                             und Anmeldung:         Fon: 06032 782-203                                               fühl, den Umgang mit Konflikten und He-
                                                                                                            Der QR-Code führt
                                                                    E-Mail: joanna.jerusalem@laekh.de                                rausforderungen.
                                                                                                            direkt zu Inhalten
                                                                                                            und Anmeldung.           Bei diesem ganzheitlichen Menschenbild
                                                                                                                                     spricht man von biologisch-körperlichen,

                                            Online-Ausgabe | Hessisches Ärzteblatt 9/2021
Fortbildung

rational-intellektuellen, sozio-emotionalen     Abb 2: Das Balance-Modell – mit Energie/Zeit-Aufwand, nach [5]
und geistig-spirituellen Sphären und Fä-
higkeiten [6]. Das Potenzial zu allen vier
Fähigkeiten ist in jedem Menschen ange-                                             Körper, Gesundheit
legt und wird durch Erziehung, Umwelt                                                Mittel der Sinne
und Sozialisation entweder besonders be-                                                  100%
tont oder vernachlässigt. Ziel ist eine aus-
gewogene Balance, die durch gleichmäßi-           Sinn, Zukunft, Fantasie                                          Leistung, Beruf

                                                                             100%

                                                                                                         100%
ges Einbringen von Zeit und Energie in die-        Mittel der Vorstellung                                       Mittel des Verstandes
se Lebensbereiche erfolgt [7]. Zu diesen                und Intuition
vier Bereichen der Lebensenergie, Aktivi-
täten und Reaktionen gehören:
                                                                                          100%
• Körperliche Aktivität wie Ernährung,
    Bewegung, Schlaf-Wachrhythmus, Aus-                                         Kontakt, Beziehungen
    sehen, Ästhetik sowie Körperkontakt                                          Mittel der Tradition,
    und Sexualität. Frage: Wie wichtig ist                                  Erfahrung und Kommunikation
    dieser Bereich, wie viel Selbstwert-
    gefühl erhalten Sie hierdurch?              Anamnese zur Funktionalität des Symptoms
• Berufliche Leistung wie Beruf, Ausbil-
    dung, Wirtschaftlichkeit und Haushalt.      Körper, Sinne,      Wenn der Körper sprechen könnte, was würde er Ihnen aktuell
    Frage: Wie viel Selbstwertbestätigung       Gesundheit          sagen?
    erhalten Sie durch Ihren Beruf?             Leistung, Beruf     Was machen Sie anders, seit Sie die Symptome haben?
• Beziehung und Kontaktgestaltung in
                                                Kontakt,            Wie hat sich die Beziehung zum Partner, zur Familie und
    Partnerschaft, Familie und Freundes-
                                                Beziehungen         Freunden durch die Symptome verändert?
    kreis sowie soziales Engagement z. B.
    auch gegenüber Fremden. Frage: Ge-          Sinn, Zukunft,      Wie haben sich die Symptome auf Ihre Sicht der Zukunft, auf Ihre
    ben Ihnen Partner und Kinder Selbst-        Fantasie            Überzeugungen und Lebensziele ausgewirkt?
    wertbestätigung?
• Sinn, Zukunft und Religionsausübung,
    Lebensphilosophie, Meditation und          Erwachsene im Arbeitsfeld und in Bezie-        Was ist in der jüngeren Zeit alles auf Sie
    Zielsetzungen, Ideen und Visionen für      hungen sowie ältere Menschen mit typi-         und Ihre Familie zugekommen? Bitte nen-
    das Leben, Umgang mit dem Tod. Fra-        schen Beschwerden in der „dritten Le-          nen Sie chronologisch Ereignisse nach fol-
    ge: Wie viel Raum nimmt die Fantasie       benshälfte“ wie auch Todesfälle. Dies spie-    genden Gesichtspunkten:
    ein, z. B. Lesen, Musik, Glauben, Nach-    gelt die bio-psycho-soziale Herausforde-       1) Körperlich/gesundheitlich: z. B.
    denken über den Sinn des Lebens? [7]       rung der Hausärztin oder des Hausarztes            Beschwerden, Symptome, Unfälle,
Eine Ausgewogenheit dieser vier Lebens-        und unterstreicht ihre/seine diesbezügli-          Krankheiten.
felder sind nach Peseschkian ein wesentli-     che Kompetenz [9]. Unter diesem Aspekt         2) Beruflich/finanziell: z. B. Arbeits-
cher Beitrag für Gesundheit und Resi-          ergibt sich für die Allgemeinmedizin eine          platzwechsel/-verlust, Stress, Mob-
lienz. Insofern kann das Modell ein Bei-       besondere Anamnese, die nach Verände-              bing, Überforderung, Hausbau, Um-
spiel für Salutogenese und Gesundheit          rungen oder Verlusten in diesen vier Berei-        züge, Schulden.
sein [8]. Sind alle vier Bereiche ausgegli-    chen des Balance-Modells fragt.                3) Partnerschaftlich/familiär/Freundes-
chen, der Mensch im Gleichgewicht, so          ► In der psychosomatischen Sprechstun-             kreis: z. B. Trennung von Eltern/Part-
kann er auf diese Qualitäten aufbauen          de sollte primär nicht nach Problemen              ner (Scheidung), Kinder, Enttäu-
und darauf bei Belastungen zurückgrei-         oder Konflikten gefragt werden, sondern            schungen, Freunde.
fen. Bei den psychischen und psychoso-         eher neutral nach Dingen oder Ereignis-        4) Todesfälle: z. B. Verwandte, Freunde,
matischen Störungen, die uns in der allge-     sen, die auf einen Menschen zugekommen             Nachbarn, Kollegen.
meinärztlichen Praxis begegnen, ist meist      sind. Die häufig zu erlebende Abwehr des       Wichtige lebensgeschichtliche Daten kön-
ein Ungleichgewicht dieser Lebensfelder        Patienten bezüglich „psycho“-somati-           nen so schnell erfasst und im therapeuti-
zu finden.                                     scher Zusammenhänge wird dadurch we-           schen Gespräch besprochen werden.
► Auslöser sind regelhaft Veränderungen        niger aktiviert oder verstärkt.
im Leben oder Verluste, nach denen der                                                        Patienten sollen Lösungen eigenständig
Hausarzt immer fragen sollte.                  Psychosomatische Anamnese                      finden und formulieren
Hausärztliche Tätigkeit umfasst sämtliche      für die Allgemeinmedizin                       Unser aller medizinische „Sozialisation“ ist
Lebensbereiche eines Menschen mit ihren        Ein Gespräch mit Patienten zur psychoso-       in der Regel geprägt durch die Überzeu-
dynamischen Entwicklungsphasen. In der         matischen Anamnese kann sich an folgen-        gung, dem hilfesuchenden Patienten Ant-
Praxis begegnen Kinder und Jugendliche,        den Punkten orientieren, vgl. [5]:             worten zu geben, meist in Form von Medi-

                                                                                      Hessisches Ärzteblatt 9/2021 | Online-Ausgabe
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kation oder Empfehlungen bezüglich sei-       Mut, Konflikten der Patienten nicht aus-     Frage an den Patienten: Wie zufrieden
nes Verhaltens. Im psychosomatischen          zuweichen.                                   sind Sie zur Zeit mit Ihrer Situation? Füh-
Kontext ist hier ein Umdenken nötig, was                                                   len Sie sich ausgeglichen? Wofür wenden
Hausärzte ähnlich wie Psychotherapeuten       Erfassung der Zeit-/Energie-Achse            Sie viel Zeit auf? Wofür hätten Sie gerne
davon abhalten soll, Lösungen für den Pa-     Alle vier Lebensbereiche Körper, Kontakt,    mehr Zeit? Sind Sie der Meinung, dass sie
tienten zu produzieren.                       Leistung, Fantasie/Zukunft ergänzen          allen wichtigen Dingen Ihres Lebens genü-
► Wichtig ist die Erkenntnis: Der Patient     sich. Die einseitige, chronische Überbeto-   gend Zeit einräumen? [5]
findet selbst „seine“ Lösung, die schon in    nung eines Lebensbereiches führt             Der Patient trägt seine individuelle Ein-
ihm steckt. Diese ist ihm nur noch nicht      zwangsläufig zu Problemen in den ande-       schätzung in das Diagramm der Zeit-/Ener-
bewusst. Ärztinnen und Ärzte können Hil-      ren ebenso wichtigen Bereichen. Zeitwei-     gie-Achse ein und beschreibt damit seine
festellung geben, die individuelle Lösung     se kann eine Überbetonung kompensiert        momentane Lebenssituation in Form seiner
zu finden, aber müssen in Konfliktsituatio-   werden, aber nicht auf Dauer.                Energie- und Zeiteinteilung. In Abb. 2 ist
nen keine Lösung präsentieren. Diese          ► Werden Lebensbereiche über längere         das Balance-Modell zusammen mit der
„Botschaft“ entlastet die meisten Kolle-      Zeit einseitig betont, gerät das Leben aus   Zeit-/Energie-Achse mittels Koordinaten-
ginnen und Kollegen ungemein und macht        der Balance.                                 system symbolisiert. Abb. 2a (nach der Li-

 Tab. 1: Verbundenheit – Unterscheidung – Ablösung/Integration
 1. Verbundenheit:            Anbieten und Herstellen der Beziehung/
                              Beziehungsangebot:
                              • Zuhören, Zeit und Geduld haben, Vertrauen aufbauen.
                              • Die Sprache des Patienten sprechen.
                              • Beziehung auf der Ebene von Mensch zu Mensch – Gleichwertigkeit, Augenhöhe.
                              Im Stadium der Verbundenheit entsteht eine Atmosphäre des Vertrauens, der Wertschätzung, des
                              Sich-Angenommen- und Verstanden-Fühlens.
                              Dies kommt dem Klientenzentrierten Gespräch nach Rogers nahe [10]. Folgende Verhaltensweisen
                              werden dort postuliert:
                              • Verbalisierung emotionaler Erlebnisinhalte.
                              • „Non directive“ – keine Lenkung.
                              • Empathie – bedingungsloses Verstehen.
                              • Echtheit und Kongruenz.
                              Wenn dies gelungen ist, kann die nächste Stufe des Gespräches stattfinden. Dann ist der Patient
                              offen und bereit für die Auseinandersetzung mit dem Konflikt.

 2. Unterscheidung            Kernstück der ärztlich-therapeutischen Arbeit. Differenzierungsangebot: Arzt und Patient
                              agieren auf unterschiedlichen Ebenen:
                              • einerseits die ärztliche Kompetenz,
                              • andererseits die hilfesuchenden Patienten.
                              Nach dem Realitätsprinzip nimmt jede Seite verschiedene Standpunkte ein. Es obliegt der
                              Sachkunde der Ärztin oder des Arztes, diese unterschiedlichen Positionen offen gegenüberstellen
                              und dabei eine Auseinandersetzung mit dem aktuellen Konflikt zu ermöglichen.
                              „Die Lösung liegt im Patienten“: Gegensätzlichkeiten sind angesprochen und offen dargestellt. Nun
                              muss das Gespräch beendet werden.
                              Hier kommt der letzte Schritt.
 3. Ablösung/Integration      • Zusammenfassen des bisher Erreichten – was ist der Konsens?
                              • Was ist noch offen geblieben und kann später neu aufgegriffen werden?
                              • Was nehme ich als Ärztin oder Arzt an neuen Informationen mit?
                              • Was habe als Ärztin oder Arzt aus dem Gespräch gelernt?
                              • Hilfe zur Selbsthilfe – Zielerweiterung.
                              • Eigenverantwortung stärken.
                              So können Patienten verabschiedet und in die Eigenverantwortung entlassen werden. Meist gibt
                              das auf beiden Seiten ein gutes „Gefühl“. Sollte sich dieses gute Gefühl nicht einstellen, das
                              Problem des Patienten noch nachträglich spürbar sein, wäre die Reflexion mit einem Kollegen
                              hilfreich oder der Fall könnte in der
                              Balint-Gruppe vorgestellt werden.

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teratur) kann zum Reinschreiben durch Pa-      übt, die den Erfordernissen der hausärztli-   tion zeigen sich in den Traditionen der Be-
tienten kopiert und ggf. vergrößert wer-       chen Bedingungen angepasst ist.               grüßung, Begegnung und Verabschie-
den.                                           Fünf Stufen des Gesprächs spiegeln die In-    dung. Beispiel: „Guten Tag“ zeigt Verbun-
In der Regel ist bei Stress und Burn-out       teraktionsstadien [7] als Strukturvorgabe     denheit; „Wie geht es?“ leitet die Unter-
der Bereich Leistung (Leistungsgesell-         des ärztlichen Gesprächs. Die Ärztin oder     scheidung, also den Austausch über das
schaft) überbetont, sodass Konflikte in        der Arzt haben die Aufgabe:                   noch Unbekannte ein; „Auf Wiedersehen“
den anderen Bereichen deutlich werden:         1) Beobachtung/Distanzierung                  ist Zeichen der Ablösung mit dem
Beziehungskonflikte,      Zukunftsaspekte          → aktives Zuhören.                        Wunsch, sich wiederzusehen.
(Wie soll das weitergehen?), körperliche       2) Inventarisierung                           Eine gelingende Interaktion muss in dieser
Beschwerden. Aus dem Balance-Modell                → Fragen stellen.                         Reihenfolge durchgeführt werden. In
kann dann im therapeutischen Sinne eine        3) Situative Ermutigung                       Tab. 1 werden die drei Stadien weiter aus-
individuelle Empfehlung zu mehr Ausge-             → Ermutigen/Hoffnung geben.               differenziert. Zusammengefasst mit den
glichenheit der Lebensbereiche gegeben         4) Verbalisierung der eigenen Ansicht         fünf Interaktionsstadien ergibt sich daraus
werden: „Bring mehr aktive Energie in die          → Konfliktbearbeitung.                    die Synthese:
anderen Bereiche deines Lebens. Fülle sie      5) Zielerweiterung                            Verbundenheit:       Gesamtprozess      der
aus!“ Somit sollen die zu kurz gekomme-            → Beratung und Handeln.                   Anamnese; Stufen 1–3: Befunderhebung
nen Fähigkeiten reaktiviert werden.            In den zwischenmenschlichen Beziehun-         und Bewertung.
Das Balance-Modell kann u. a. als Gesund-      gen strukturieren außerdem                    Unterscheidung: Therapeutischer Pro-
heitsmodell im Sinne der Salutogenese; als     • Verbundenheit                               zess; Stufe 4: umfassender Sinn, Beratung
Krankheitsmodell im Sinne nicht aktivier-      • Unterscheidung                              im Ambivalenz-Konflikt.
ter Lebensbereiche, als Konfliktverarbei-      • Ablösung/Integration                        Ablösung: Integration von Plus und Minus;
tung sowie Therapiemodell im Sinne einer       das zwischenmenschliche Zusammenle-           Stufe 5: Anteile als Chance für die Zu-
positiven Aktivierung verwendet werden.        ben (N. Peseschkian 1977b, 139ff.). Sie       kunft.
Der Vorteil für Patienten ist die eindeutige   sind gewissermaßen der Kompass für eine       ► Offene Fragen seitens des Arztes oder
Sprache – ohne Fachausdrücke.                  gelungene Kommunikation [5, 7]. Diese         der Ärztin bieten Hilfe zur Selbsthilfe. In
                                               natürlichen Stadien menschlicher Interak-     Tab. 2 werden die fünf Gesprächsstufen in
2. Wege der Kommunikation:
   Struktur des ärztlichen
   Gespräches                                   Tab. 2: Fünf Stufen des Gesprächs und mögliche offene Fragen
                                                1. Stufe:                              • Wie geht es Ihnen?
Schon das empathische Zuhören des Arz-
                                                Beobachtung/                           • Um was geht es Ihnen heute?
tes entlastet den Patienten sehr. Hier spie-
                                                Distanzierung                          • Wie fühlen Sie sich jetzt?
len Zeit, Geduld und Vertrauen eine ent-
                                                                                       • Was hat sich bisher bei Ihnen verändert?
scheidende Rolle. Damit soll eine ärztliche
                                                                                       • Was bewirkt das bei Ihnen?
Haltung ausgedrückt werden. Leider steht
                                                                                       • Wie macht sich das bemerkbar?
diese zu oft im Gegensatz zur Alltagser-
                                                                                       • Wie erleben Sie das?
fahrung in der Praxis. Im Kurs wird in
Kleingruppen eine Gesprächsführung ge-          2. Stufe: Inventarisierung             • Was bedeutet das für Sie in den vier Berei-
                                                Psychosomatische Anamnese                chen des Balance-Modells (siehe Abb. 2)?
                                                                                       • Was ist in der jüngeren Zeit auf Sie zuge-
                                                                                       kommen?
 Ansprechpartner
                                                3. Stufe:                              • Was hat Ihnen bisher geholfen?
 Akademie für ärztliche Fort- und Wei-          Situative Ermutigung/Hoffnung          • Was konnten Sie bisher selbst erledigen?
 terbildung der LÄK Hessen:                                                            • Wie haben Sie das geschafft?
 www.akademie@laekh.de
                                                4. Stufe:                              • Womit kommen Sie alleine nicht zurecht?
 Institute für Allgemeinmedizin an der          Verbalisierung                         • Wo brauchen Sie Hilfe?
 Goethe-Universität Frankfurt am Main           Auftragsklärung, offenes               • Wie könnte ich Ihnen helfen?
 und der Philipps-Universität Marburg           Gespräch, Realitätsprinzip
                                                5. Stufe:                              • Was fällt Ihnen durch unser Gespräch auf?
 Kompetenzzentren Weiterbildung                 Zielerweiterung                        • Was denken Sie über unser Gespräch?
 Allgemeinmedizin: www.kwhessen.de                                                     • Was war wichtig für Sie? Was nehmen Sie
 Koordinierungsstelle Weiterbildung                                                      mit?
 Allgemeinmedizin:                                                                     • Was hat Sie angesprochen?
 www. allgemeinmedizinhessen.de                                                        • Was ist noch offen geblieben?

                                                                                     Hessisches Ärzteblatt 9/2021 | Online-Ausgabe
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Form von Fragen an den Patienten darge-      hausärztlich tätigen Kolleginnen und Kol-                Dr. med.
stellt.                                      legen näher zu bringen und damit die Sen-    Wolfgang Hönmann
                                             sibilität und Sichtweise auf den „ganzen             Facharzt für
Ausblick                                     Menschen“ zu schärfen. Die positiven          Allgemeinmedizin/
                                             Rückmeldungen und nicht zuletzt auch              Psychotherapie,
Mein Anliegen war, meine langjährigen Er-    die fruchtbare Bearbeitung eigener Fälle       Kelkheim/Taunus

                                                                                                                                      Foto: privat
fahrungen als Leiter der Kurse „Psychoso-    in den Balint-Gruppen haben mir noch             E-Mail: wolfgang
matische Grundversorgung“ der Akade-         einmal verdeutlicht, wie wichtig es ist,       @whoenmann.de
mie für Ärztliche Fort- und Weiterbildung    psychosomatisch zu denken und „den
der LÄKH in Bad Nauheim zu skizzieren        ganzen Menschen im Blick“ zu haben. Mit      Der Autor ist Weiterbildungsbefugter für
und einen kleinen Einblick in die Arbeits-   diesem Verständnis können Allgemeinme-       Allgemeinmedizin und für Psychotherapie
weise zu geben. Wir haben versucht, psy-     dizin und hausärztliches Anliegen gelin-     an der WIAP (Wiesbadener Akademie für
chosomatisches Denken und Erleben den        gen.                                         Psychotherapie).

Literatur zum Artikel:

Psychosomatik in der Allgemeinmedizin
[1] Kursbuch Allgemeinmedizin, 3. Auf-            Psychotherapie – Lehrbuch für Ärz-      Hüther, G.: Die Macht der inneren Bilder,
    lage Bundesärztekammer 1998                   te und Psychologen, Springer 3. Aufl.   Vandenhoeck & Ruprecht, 9. Aufl. 2015
                                                  2007
[2] Kurs Weiterbildung Allgemeinmedi-                                                     Köhler, Thomas: Psychosomatische
    zin WBO 2005, Bundesärztekammer                                                       Krankheiten, Kohlhammer, 3. Aufl. 1995
    2005                                     Weiterführende Literatur
                                                                                          Mentzos, Stavros: Lehrbuch der Psycho-
[3] Muster Kursbuch Psychosomatische         Ahrens, Stephan; Schneider, Wolfgang         dynamik, Vandenhoeck & Ruprecht,
    Grundversorgung Bundesärztekam-          (Hrsg.): Lehrbuch der Psychotherapie         2. Aufl. 2009
    mer 2018                                 und Psychosomatischen Medizin, Schat-
                                             tauer 2. Aufl. 2002                          Rudolf Gerd: Wie Menschen sind – An-
[4] Rudolf, G. Psychotherapeutische                                                       thropologie aus psychotherapeutischer
    Medizin und Psychosomatik, Thieme        Arbeitskreis PISO (Hrsg.): Somatoforme       Sicht, Schattauer 2015
    4.Aufl. 2000                             Störungen Band 2, Hogrefe 2012
                                                                                          Schubert, Christian: Psychoneuroimmu-
[5] Peseschkian, N. Psychosomatik und        Bauer, J.: Das Gedächtnis des Körpers, Se-   nologie und Psychotherapie, Schattauer,
    Positive Psychotherapie Fischer 6.       rie Piper 2004                               2. Aufl. 2015
    Auflage 2005
                                             Brisch, Karl Heinz: Bindungstheorie. In:     Strauß B., Nolte T.: Bindungsforschung.
[6] Peseschkian, N. Positive Familien-       Uexküll, Psychosomatische Medizin, Ur-       In: Egle, Heim, von Känel (Hrsg.): Psy-
    therapie, Fischer 1997                   ban und Fischer, 7. Aufl. 2011               chosomatik Neurobiologisch fundiert
                                                                                          und evidenzbasiert, Lehr- und Handbuch
[7] Peseschkian/Remmers, Positive Psy-       Henningsen, Gerd Rudolf Peter: Somato-       Kohlhammer, 2020, 1. Aufl.
    chotherapie, Reinhardt 2013              forme Störungen, Schattauer 1998
                                                                                          Tress, Kruse, Ott: Psychosomatische
[8] Jork K., Peseschkian N.: Salutogene-     Hoffmann, Sven Olaf; Hochapfel, Frank R.     Grundversorgung – Kompendium der in-
    se und Positive Psychotherapie, Hu-      (Hrsg.): Neurotische Störungen und psy-      terpersonellen Medizin, Schattauer, 3.
    ber 2. Aufl. 2006                        chosomatische Medizin, Schattauer,           Aufl. 2004
                                             8. Aufl. 2009
[9] Hönmann W.: Arbeitsunterlagen                                                         Was erhält Menschen gesund? Antonov-
    Kurs A, LÄKH Bad Nauheim 2019            Hüther, G.: Biologie der Angst, Sammlung     skys Modell der Salutogenese. Bundes-
                                             Vandenhoeck, 7. Aufl. 2007                   zentrale für gesundheitliche Aufklärung,
[10] Eckert, J. Gesprächspsychotherapie.                                                  Band 6
     In: Reimer, Eckert, Hautzinger, Wilke

Online-Ausgabe | Hessisches Ärzteblatt 9/2021
Fortbildung

Abb 2a: Energie/Zeit-Aufwand – zum Reinschreiben durch Patienten, nach [5]

                                                         Körper
                                                         100 %

      Fantasie /
       Zukunft 100 %                                                                             100 % Leistung

                                                         100 %
                                                        Kontakte

                                                                             Hessisches Ärzteblatt 9/2021 | Online-Ausgabe
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