Psychoterror im Namen der Liebe

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Psychoterror im Namen der Liebe
BEHARRLICHE VERFOLGUNG

                                        Stalking: In manchen Fällen standen Täter und Opfer in einer vermutlich intimen Beziehung und sind nun getrennt.

                                           Psychoterror im Namen der Liebe
                                        Stalking ist ein Phänomen, das ein wiederholtes, widerrechtliches Nachstellen, Belästigen oder Terrorisieren
                                        einer Person beschreibt. Eine Beleuchtung aus polizeilichem, psychologischem und juristischem Blickwinkel.

                                              nrufe, Kurznachrichten, E-Mails,      häufig, aber nicht zwingend, mit ande-     und versuchte, mit mir in Kontakt zu

                                        A     Geschenke – und das unzählige
                                              Male pro Tag: Stalker bombardie-
                                        ren ihre Opfer mit Nachrichten oder
                                                                                    ren strafrechtlich relevanten Delikten
                                                                                    auf“, sagt Warisch, „etwa Körperverlet-
                                                                                    zung, Nötigung, gefährliche Drohung,
                                                                                                                               treten. Sie stalkte meine Familie, be-
                                                                                                                               schimpfte mich, suchte Kontakt zu mei-
                                                                                                                               ner Frau, wollte unbedingt an meinem
                                        vermeintlichen Liebesbotschaften, lau-      Cybermobbing, Üble Nachrede, Belei-        Leben teilhaben. Mein Alltag wurde
                                        ern ihnen auf, beobachten sie, wollen       digung, Sachbeschädigung oder Urkun-       enorm beeinträchtigt. Man fängt an,
                                        unbedingt Kontakt herstellen. Viele         denunterdrückung“. Frauen sind häufi-      sich buchstäblich vor jeder SMS zu
                                        Opfer reagieren auf diese Kontaktver-       ger betroffen als Männer, zumindest er-    fürchten, man geht beim Hintereingang
                                        suche, zumindest anfangs, denken, die       statten sie häufiger Anzeige.              aus dem Haus, um dieser Person nicht
                                        Situation so beenden zu können. Doch           Über die Dunkelziffer lässt sich nur    in die Arme zu laufen, man versucht
                                        ist das erst das Salz in der Suppe der      spekulieren. Haben etwa Männer             Orte zu meiden, an denen man sie zu-
                                        Täter. Nicht jedes Nachstellen ist gleich   größere Probleme damit, sich in einer      fällig treffen könnte. Eine Situation, die
                                        als Stalking zu werten. Polizeilich gese-   Opferrolle zu sehen? Sind ihnen die        belastet. Auch das Privatleben.“
                                        hen versteht man darunter „die wider-       Vorfälle peinlich und sie schweigen            Das kennt Petra Warisch vom Op-
                                        rechtliche beharrliche Verfolgung einer     darüber? Für die Psyche der Männer ist     ferschutz aus ihrer täglichen Arbeit:
                                        Person“, sagt Petra Warisch, BA, Ex-        das eine ebenso schwere Belastung, wie     „Die Auswirkungen für Opfer auf phy-
                                        pertin im Bundeskriminalamt für Kri-        der Fall Thomas E. (Name von der Re-       sischer, psychischer wie sozialer Ebene
                                        minalprävention und Opferschutz.            daktion geändert) verdeutlicht.            sind ähnlich wie jene bei traumatischen
                                                                                                                               Erlebnissen. Sie können sich in post-
                                           Die Grundlagen. Beharrlich wird ei-         Ein Betroffener erzählt. „Anfangs       traumatischen       Belastungsstörungen
                                        ne Person verfolgt, wenn die Lebens-        war mir der Stalking-Charakter der         oder Stress-Symptomen zeigen. Die
                                        führung unzumutbar beeinträchtigt und       Handlungen dieser Person gar nicht als     psychischen Folgen können dazu
                                        dieses Verhalten über längere Zeit hin-     solches bewusst. Es war eine nette Kol-    führen, dass Opfer sich isolieren und
                                        durch fortgesetzt wird. Dies kann durch     legin, mit der ich viel zusammengear-      immer mehr den Kontakt zur Umwelt
                                        Aufsuchen von räumlicher Nähe, im           beitet habe. Irgendwann nahm sie viel      verlieren. Durch die Dauer und Häufig-
                                        Wege eines Kommunikationsmittels            Raum in meinem Leben ein. Ein Ge-          keit der Tathandlungen entsteht eine
                                        oder über dritte Personen erfolgen.         spräch darüber machte sie wütend, also     Beeinträchtigung der Lebensgestaltung
                                        Weiters erfüllt das Bestellen von Waren     brach ich den Kontakt ab. Ein Schritt,     – auch wenn sie keine (lebens-)gefähr-
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                                        oder Dienstleistungen unter Verwen-         den sie nie verstehen wollte. Der Terror   lichen Auswirkungen für die Opfer ha-
                                        dung personenbezogener Daten der ge-        begann: Oft mehr als 10 SMS pro Stun-      ben, führen sie zu Angst, Schlafstörun-
                                        schädigten Person den Tatbestand ge-        de – Belanglosigkeiten, Beschimpfun-       gen, Albträumen, Magenbeschwerden
                                        nauso, wenn man andere Personen ver-        gen, Entschuldigungen. Manchmal            und sonstigen körperlichen Schmer-
                                        anlasst, mit dem Opfer Kontakt aufzu-       stand sie vor der Haustüre, einige Male    zen.“ Stalking, ein Psychoterror im Na-
                                        nehmen.                                     war sie in meiner Wohngegend unter-        men der Liebe, hinterlässt seine Spuren
                                           1.726 Stalking-Straftaten wurden         wegs und schickte mir Fotos davon,         an der Psyche des Opfers.
                                        2019 laut Bundeskriminalamt verzeich-       dann erschien sie an meinem Arbeits-           Die klinische Psychologin Dr. Astrid
                                        net, 1.716 waren es 2018. „Stalking tritt   platz. Sie forschte mein Umfeld aus        Bartolot-Zips erkennt „desaströse Fol-

                                        ÖFFENTLICHE SICHERHEIT 3-4/21                                                                                                57
Psychoterror im Namen der Liebe
S TA L K I N G

                               gen. Schwerwiegende psychische Fol-
                               geschäden können entstehen. Betroffe-
                               ne können durch die fortwährend erleb-
                               te Stress-Situation Belastungsreaktio-
                               nen entwickeln.

                                  Der psychologische Blickwinkel. Was
                               steckt hinter Stalking-Verhalten? Was
                               geht im Kopf der Täter vor? Für die
                               Psychologinnen Mag. Stephanie Stab-
                               bauer und Mag. Christina Weger vom
                               24-Stunden-Frauennotruf der Stadt
                               Wien hat es u. a. mit fehlendem Selbst-
                               wert zu tun: „Grundsätzlich geht es dar-
                               um, den Kontakt zum Opfer in irgend-
                               einer Form zu erzwingen und die be-
                               troffene Person damit zu quälen oder
                               ängstigen. Dazu neigen vor allem Per-
                               sonen, die in ihrer Kindheit nicht ge-
                               lernt haben, mit Zurückweisung, Tren-         Anrufe, Kurznachrichten, E-Mails, Geschenke – mehrmals pro Tag: Stalker
                               nung und Kränkung umzugehen und               bombardieren ihre Opfer mit Nachrichten oder vermeintlichen Liebesbotschaften.
                               daher versuchen, über Stalking-Verhal-
                               ten die Beziehung aufrechtzuerhalten.         schen Besitzdenken bezüglich einer an-        Kein eigenständiges Krankheitsbild.
                               Entwicklungspsychologisch kann man            deren Person. Auslösend ist meist eine     Medizinisch gibt es keine eindeutige
                               das als Bindungsverhalten mit dem Ziel        narzisstische Kränkung. Der Stalker        Zuordnung zu einem Krankheitsbild.
                               der Selbstwertstabilisierung verstehen.“      fühlt sich durch die Zurückweisung ge-     „Es sind unterschiedliche dahinterlie-
                                  Gemäß Bartolot-Zips unterscheidet          kränkt, möchte das Opfer zermürben         gende Diagnosen denkbar: Störungen
                               man grob zwei Stalking-Kategorien.            und in die Erfüllung seiner Ansprüche      aus dem Schizophrenen-Spektrum,
                               „Erstens: Täter und Opfer standen in ei-      zwingen.“                                  Störungen des Sozialverhaltens und
                               ner, vermutlich intimen, Beziehung und            Dies geschieht laut dem Team des       Persönlichkeitsstörungen oder Depres-
                               sind nunmehr getrennt. Das Opfer ak-          24-Stunden-Frauennotrufs Wien auf          sionen. Prinzipiell kann jemand auch
                               zeptiert die Trennung nicht, oder nicht       sehr unterschiedliche Weise: Stalking      rechtlich gesehen ein Stalker sein und
                               so, wie sie vollzogen wurde. Zweitens:        zeigt sich in Form von Kontaktversu-       medizinisch keine Diagnose erhalten.“
                               Der Täter kennt das Opfer nicht oder          chen über Kommunikationsmedien,            Das lässt sich auch von klinischer Seite
                               kaum, überträgt aber bestimmte Eigen-         über Dritte wie Freunde, Kollegen oder     bestätigen: „Es handelt sich nicht um
                               schaften auf dieses, z. B. aus früheren       Familienmitglieder sowie persönlich        eine einzeln umschriebene Diagnose,
                               Erlebnissen mit anderen Personen. Hier        durch Auflauern vor der Wohnung oder       sondern um ein Phänomen, das ein wie-
                               existieren dann etwa Rachegedanken            Auftauchen am Arbeitsplatz, oder mit-      derholtes widerrechtliches Nachstellen,
                               oder die Idee, sich das Opfer besitzhaft      tels Bestellungen, die im Namen der        Belästigen oder Terrorisieren einer Per-
                               einzuverleiben.“ Zudem lassen sich            gestalkten Person getätigt werden. Häu-    son beschreibt, das psychische, manch-
                               fünf Stalking-Typen unterscheiden (sie-       fig kommt es zu einer Kombination der      mal auch physische, Gewalt inkludiert“,
                               he Kasten). „Die Ursache liegt immer          Stalking-Formen mit unterschiedlicher      sagt Bartolot-Zips. „Einige Täter wei-
                               in einem realitätsfernen bis pathologi-       Ausprägung.                                sen eine erhebliche psychische Erkran-

                                                                      BEHARRLICHE VERFOLGUNG
                                    Die fünf Stalking-Typen                  winnen wollen. Diese Hauptgruppe          das Opfer verantwortlich macht.
                                                                             umfasst etwa die Hälfte aller Fälle.      • Der psychopathische/sadistische Stal-
                                    Neben der Tatsache, dass manche          • Der beziehungssuchende Stalker:         ker: mit krankhafter Persönlichkeits-
                                Opfer ihre Stalker – etwa aus früheren       meist aus dem Bekannten- oder Kolle-      struktur, der sich am Leid des Opfers
                                Beziehungen – kennen, und andere             genkreis, der unter so etwas wie Lie-     ergötzt.
                                wiederum keinen Schimmer haben, um           beswahn leidet.                              In den drei letzten Kategorien fehlt
                                wen es sich eigentlich handeln könnte,       • Der intellektuell zurückgebliebene      es an Empathie. Der Täter ist nicht in
                                was oft etwa bei Stars, Politikern oder      Stalker: geistig minderbegabt, aber       der Lage, zu erfassen, was er beim Op-
                                Ärzten der Fall ist, lassen sich die Täter   meist ohne böse Ansicht. Aufgrund         fer auslöst, oder es ist ihm egal, oder es
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                                nach Astrid Bartolot-Zips, klinische         von ungenügender Sozialkompetenz          bereitet ihm sogar Lust. Viele Opfer
                                Psychologin, Psychotherapeutin und           werden Grenzen überschritten.             von emotionalem Missbrauch sind dies
                                Paartherapeutin in fünf Gruppen klassi-      • Der rachsüchtige Stalker: der sein      seit ihrer Kindheit oder frühem Er-
                                fizieren:                                    Opfer meist im weiteren Kreis sucht       wachsenenleben. Die resultierenden
                                • Der zurückgewiesene Stalker: meist         und sich selbst in der Opferrolle und     Folgen oder eine Ko-Abhängigkeit ist
                                Ex-Partner, die ihren Partner zurückge-      im Unrecht sieht, wofür er wiederum       psychotherapeutisch behandelbar.

                               ÖFFENTLICHE SICHERHEIT 3-4/21                                                                                                   59
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BEHARRLICHE VERFOLGUNG

                                     kung auf, die etwa wahnhaft ist oder im                                            Verhalten ins Spiel kommt. Ein poli-
                                     Zusammenhang mit einer narzisstischen                                              zeiliches Einschreiten wird hier
                                     Persönlichkeitsstörung steht.“                                                     schwieriger.“

                                        Gibt es den typischen Stalker? „We-                                                 Die gesetzliche Situation in Öster-
                                     sentlich ist, dass die Autonomie und                                               reich. Erleichtert hat ein strafrechtliches
                                     Eigenständigkeit des anderen Men-                                                  Vorgehen gegen Stalker die Veranke-
                                     schen nicht akzeptiert werden kann.                                                rung des Anti-Stalking-Gesetzes im
                                     Welchen Teil von ‚Nein‘ kannst du                                                  StGB im Jahr 2006. Damit sollte einer-
                                     nicht verstehen? Subjektiv steckt der                                              seits dem gestiegenen Respekt vor der
                                     Täter bezüglich des Opfers in den ‚ro-                                             Persönlichkeit eines Menschen und sei-
                                     ten Zahlen‘, es scheint ihm etwas zu                                               nem Recht auf Selbstbestimmung
                                     schulden. Diese ,Schuld‘ kann einen                                                Rechnung getragen werden. Anderer-
                                     nachvollziehbaren Hintergrund haben,                                               seits sollte der Opferschutz auch im zi-
                                     etwa bei einer bösen Trennung im Vor-                                              vilrechtlichen Bereich gestärkt werden,
                                     feld. Trotzdem ist sie eine Illusion,                                              indem ein Einschreiten der Sicherheits-
                                     weil eine Beziehung immer auf beider-                                              behörden bei der Vollziehung einstwei-
                                     seitiger Freiwilligkeit beruht“, sagt                                              liger Verfügungen ermöglicht wird, um
                                     Bartolot-Zips.                                                                     eine effektive Durchsetzung des Ver-
                                                                                                                        bots der persönlichen Kontaktaufnah-
                                        Eine     Gefährlichkeitseinschätzung                                            me, der Verfolgung und des Aufent-
                                     muss durch die Zusammenschau der                                                   halts an bestimmten Orten sicherzustel-
                                                                               Stalking: Männer sehen sich zunächst
                                     individuellen Faktoren vorgenommen        oft nicht als Opfer.                     len. „Seither stellt § 107a Absatz 1
                                     werden. Wichtige Kriterien hierfür sind                                            StGB das „widerrechtliche beharrliche
                                     laut den Mitarbeiterinnen des 24-Stun-                                             Verfolgen“ einer Person unter Strafe“,
                                     den-Frauennotrufs Wien das Vorliegen       S TA L K I N G - B E R AT U N G         erklärt MMag. Alexander Rösch,
                                     einer psychischen Erkrankung, auch         24-Stunden Frauennotruf                 L.L.M. vom Bundesministerium für
                                     Suchterkrankungen, die Vorgeschichte       der Stadt Wien 01/71719                 Justiz. „Was darunter zu verstehen ist,
                                     mit Gewalttätigkeit, konkrete Drohun-      frauennotruf@wien.at                    wird in Absatz 2 definiert“ – und wurde
                                     gen und die aktuelle Fixierung auf das                                             zuvor schon ausgeführt. Allesamt
                                     Opfer, aber auch die Entfernung zwi-       Frauenhelpline Österreich               Handlungen, die vielleicht per se noch
                                     schen Täter und Opfer. Das Umfeld          Tel.: 0800222555                        nicht als strafbar wahrgenommen wer-
                                     wird als weitere Möglichkeit gesehen,      www.frauenhelpline.at                   den. Wichtig ist das große Gesamtbild
                                     mit dem Opfer über Umwege in Kon-                                                  der Situation. Gemeinsame Vorausset-
                                     takt zu treten oder dazu verwendet, ein    Verein Frauen beraten Frauen            zungen aller Fälle sind dabei die Fort-
                                     Opfer unter Druck zu setzen, wenn ein      Beratungstelefon        01/5876750      setzung des Verhaltens über längere
                                     naher Angehöriger bedroht wird.            www.frauenberatenfrauen.at              Zeit und dessen Eignung, die betroffene
                                        Aus der Fachliteratur geht hervor,                                              Person in ihrer Lebensführung unzu-
                                     dass Stalking-Opfer zu über 85 Prozent     Gewaltschutzzentren und Interventi-     mutbar zu beeinträchtigen. (vgl.
                                     Frauen und die Stalkenden zu 80 Pro-       onsstellen in Österreich                Schwaighofer in Höpfel/Ratz, WK [2.
                                     zent Männer sind. Dennoch sind auch        Bundesweit gesetzlich anerkannte        Aufl.] StGB § 107a, Stand 27.4.2020,
                                     männliche und gleichgeschlechtliche        Opferschutzeinrichtungen (anonym)       rdb.at.)
                                     Opfer bekannt. „In der Therapie be-        www.gewaltschutzzentrum.at                  Das Verhalten muss demnach die
                                     merke ich, dass speziell Männer mit                                                Lebensgestaltung des Opfers nicht
                                     hohem gesellschaftlichem Status gele-      Männerberatung – psychologische,        tatsächlich beeinträchtigen; es genügt
                                     gentlich in einen weiblichen Aufmerk-      psychotherapeutische, soziale und       vielmehr, dass es dazu geeignet ist – et-
                                     samkeitsfokus geraten, der an Stalking     juristische Hilfe unter 01 603 28 28,   wa, wenn sich das Opfer nicht mehr
                                                                                www.maenner.at
                                     grenzt“, sagt Bartolot-Zips. „Zumeist                                              traut, das Telefon abzuheben, sich nicht
                                     genügen klare Worte der Verweige-                                                  mehr anders zu helfen weiß, als die Te-
                                                                                WEISSER RING – Verbrechensopfer-
                                     rung und die Einstellung jeglichen                                                 lefonnummer oder E-Mail-Adresse zu
                                                                                hilfe. Opfer-Notruf 0800 112 112
                                     Kontakts. Gelegentlich erleben Männer      (kostenlos und rund um die Uhr),        ändern, soziale Kontakte abbricht, wenn
                                     dies dennoch grundsätzlich als schmei-     www.weisser-ring.at                     es die Wohnung nicht mehr ohne Be-
                                     chelhaft. Manche Männer werden zu                                                  gleitung verlässt oder gar seinen Wohn-
                                     Stalking-Opfern, indem sie sich auf                                                sitz verlegt oder seine Arbeitsstelle auf-
FOTO: HIGHWAYSTARZ/STOCK.ADOBE.COM

                                                                                Österreichischer Bundesverbund für
                                     Affären eingelassen haben und mögli-       Psychotherapie                          gibt. „Die Judikatur verlangt geradezu,
                                     cherweise falsche Versprechungen           www.psychotherapie.at/landesver-        dass Stalking-Opfer Abwehrmaßnah-
                                     machten, was bei den späteren Täterin-     baende                                  men treffen“, ergänzt Mag. Karin Dietz,
                                     nen einen Rachegedanken auslöst.                                                   Juristin beim 24-Stunden-Frauennotruf
                                     Frauen agieren beim Stalking aller-        ZARA – Zivilcourage und Anti-Rassis-    Wien. „Das heißt, damit der Tatbestand
                                     dings selten mit Gewalt. Dennoch müs-      mus-Arbeit                              erfüllt wird, muss eine Telefonnummer
                                     sen auch Männer sich als Opfer defi-       https://zara.or.at                      geändert worden sein oder eine E-Mail-
                                     nieren, etwa, wenn rufschädigendes                                                 Adresse. Denn nur dann ist die Lebens-

                                     ÖFFENTLICHE SICHERHEIT 3-4/21                                                                                             61
Psychoterror im Namen der Liebe
S TA L K I N G

                                                                                       on erstattet werden“, erklärt Petra Wa-
                                                                                       risch vom Bundeskriminalamt. „Zudem
                                                                                       bietet die Kriminalprävention zahlrei-
                                                                                       che Präventionstipps und persönliche
                                                                                       Beratungsgespräche an. Auch die Ge-
                                                                                       waltschutzzentren/Interventionsstellen
                                                                                       in Österreich unterstützen die Opfer
                                                                                       von beharrlicher Verfolgung bei der
                                                                                       Antragstellung auf Einstweilige Verfü-
                                                                                       gung und bieten professionelle Hilfe
                                                                                       an.“

                                                                                          Verhalten der Opfer. Wesentlich ist,
                                                                                       da sind sich alle befragten Experten ei-
                                                                                       nig, Beweise zu sichern, ein Stalking-
                                                                                       Tagebuch zu führen und das Umfeld zu
                                                                                       benachrichtigen. Dazu konnte sich
                                                                                       schließlich auch das Opfer Thomas E.
                                                                                       durchringen: „Meine Frau ermutigte
                                                                                       mich, ein stückweit mein Umfeld zu in-
Stalking: Betroffene können durch die fortwährend erlebte Stresssituation              formieren. Ich ignorierte jeden Kon-
Belastungsreaktionen entwickeln.                                                       taktversuch von dieser Person konse-
                                                                                       quent, versuchte, ihr keinerlei Informa-
führung beeinträchtigt. Und ganz wich-     Gesetzes        (2006–2020,        Stand:   tionen, auch nicht digital, zugänglich zu
tig ist auch: sobald das Opfer mit dem     1.11.2020). Im Fall von „Cybermob-          machen. Der Schritt zu einer strafrecht-
Täter wieder kommuniziert ‚stellt sich     bing“ gab es 2.133 Verfahren, davon 53      lichen Verfolgung des Ganzen ist für
die Stalking-Uhr wieder auf 0‘.“           Verurteilungen (2016–2020, Stand:           mich nur im äußersten Fall denkbar. Ich
                                           1.11.2020). ‚Zu bedenken ist, dass ne-      will das Thema keinesfalls zu publik
    Spezialfall „Cybermobbing“. Seit       ben einem Freispruch und einer Verur-       machen, weil es mir unangenehm ist.
2016 gibt es weiters den § 107c StGB,      teilung auch die Erledigung mit Diver-      Die Kontaktaufnahmen wurden zwar
der „Cybermobbing“ unter Strafe stellt.    sion, also einer außergerichtlichen Eini-   inzwischen weniger, der Grad an Ag-
Darunter versteht man das bewusste         gung, möglich ist.“ (vgl. Schwaighofer      gressivität darin schwankt sehr, je nach
Beleidigen, Bedrohen, Bloßstellen oder     in Höpfel/Ratz, WK [2. Aufl.] StGB §        meinen Handlungen, die sie doch im-
Belästigen einer Person mit elektroni-     107a, RZ 5, Stand 27.4.2020, rdb.at).       mer mal wieder erfährt, aber ein Ende
schen Kommunikationsmitteln wie dem            Die relativ niedrige Verurteilungsra-   fand dieser Terror bis heute nicht. Viel-
Handy oder im Internet. Oft werden Fo-     te könnte auf diesen Umstand zurück-        leicht wird er das auch nie ...“
to- und Videoplattformen sowie soziale     geführt werden sowie darauf, dass in
Netzwerke dafür missbraucht. Bei die-      vielen Fällen die gesetzlich verlangte         Täterarbeit. Würde man den Tätern
sem Tatbestand wird das Opfer eben-        Beharrlichkeit fehlt. Dennoch kann die      helfen, ließe sich auch den Opfern hel-
falls unzumutbar in der Lebensführung      Tatsache, dass Stalking-Verhalten in-       fen, ist die Juristin Mag. Karin Dietz
beeinträchtigt. 40.063 Verfahren, da-      zwischen strafbar ist, eine abschreck-      vom 24-Stunden-Frauennotruf Wien
von 2.920 Verurteilungen, gab es seit      ende Wirkung auf einige haben. „Die         überzeugt: „Opferzentrierte Täterarbeit
dem Inkrafttreten des Anti-Stalking-       Anzeige kann bei jeder Polizeiinspekti-     wäre ein ganz wichtiger Ansatz.
                                                                                       Präventiv wird dies beim Delikt des
               BEHARRLICHE VERFOLGUNG                                                  Stalkings kaum praktiziert. Das hat ei-
         Tipps der Polizei                 rufliches Umfeld, dass Sie „gestalkt“       nerseits mit den Tätern zu tun, denen es
                                           werden, damit die Kontaktaufnahme           typischerweise an Einsichtsfähigkeit
 • Machen Sie der Stalkerin oder dem       der Stalkerin oder des Stalkers über        mangelt. Und andererseits würde
 Stalker wenn möglich in Anwesenheit       Ihren Bekanntenkreis (neue Telefon-         präventive Sozialarbeit Geld brauchen.
 eines Zeugen unmissverständlich und       nummer, Adresse) nicht zum Erfolg           Ein wichtiges Instrument bietet § 50
 nur einmal klar, dass Sie keinen weite-   führt.                                      StGB, nämlich die Erteilung von Wei-
 ren Kontakt mehr zu ihr oder ihm wol-     • Nehmen Sie keine Pakete oder Ge-          sungen und Anordnung der Be-
 len. Ignorieren Sie die Person dann       schenke der Täterin oder des Täters         währungshilfe. Davon müssten die Ge-
 konsequent.                               entgegen. Dies gilt auch bei unbekann-      richte, meiner Meinung nach, mehr Ge-
 • Dokumentieren Sie alles, was die        ten Absendern.                              brauch machen.“
                                                                                                                                   FOTO: PAOLESE/STOCK.ADOBE.COM

 Stalkerin oder der Stalker unternimmt.    • Werden Sie mit dem Auto verfolgt,
 Sichern Sie jede Kontaktaufnahme,         fahren Sie direkt zur nächsten Polizei-        Präventive Rechtsaufklärung. Aus
 Mitteilung und sonstige Beweise wie       dienststelle.                               kriminalpolizeilicher Sicht gibt es die
 Briefe, SMS, E-Mail etc. Diese sind       • Alarmieren Sie in konkreten Bedro-        Möglichkeit der präventiven Rechtsauf-
 bei rechtlichen Schritten wichtig.        hungssituationen unbedingt die Polizei      klärung der Täter, erklärt Petra Wa-
 • Informieren Sie Ihr privates und be-    über den Notruf 133.                        risch: „Dieses Gespräch wird nur von
                                                                                       besonders geschulten Exekutivbediens-

62                                                                                            ÖFFENTLICHE SICHERHEIT 3-4/21
teten durchgeführt, setzt aber die Frei-
willigkeit der Täter voraus. Daneben
gibt es noch die Möglichkeit der An-
tragstellung auf Einstweilige Verfü-
gung, bei deren Genehmigung durch
das örtlich zuständige Bezirksgericht
den Tätern ein Kontaktverbot auferlegt
werden kann.“

   Über die Hemmschwellen, überhaupt
strafrechtlich gegen den Stalker vorzu-
gehen, wissen die psychologischen
Mitarbeiter des 24-Stunden-Frauennot-
ruf Wien nur zu gut Bescheid: Schwie-
rig ist es oft zu verstehen, dass es kei-
nen Sinn macht immer wieder in die
Kommunikation mit dem Täter einzu-
steigen, um ihn vom Aufhören oder der
Sinnlosigkeit seiner Kontaktversuche
zu überzeugen. Umso wichtiger ist es,
konsequent aufzutreten: den Kontakt
einmalig abzubrechen und dann beim
gewählten Weg zu bleiben. Das be-
stätigt auch die Polizei: Ist ein klarer
Verhaltensstopp gesetzt, sollte es kein-
erlei Reaktion auf etwaige Kontaktver-
suche geben. „Sehr oft neigen Opfer
dazu, mit den Tätern eine letzte Aus-
sprache zu führen“, sagt Warisch. „Das
Zustimmen signalisiert, dass das Opfer
den Kontakt doch nicht unterbinden
möchte.“ Es kann zu vielen „letzten
Aussprachen“ kommen. „Auf keinen
Fall sollte man, zum Schutz der Ehre
des Täters, die eigenen Angehörigen
uninformiert lassen“, rät die klinische
Psychologin Astrid Bartolot-Zips.
„Melden Sie einer Vertrauensperson,
wo Sie hingehen, wo Sie sind. Verpfei-
fen Sie den Täter, anstatt ihn zu schüt-
zen. Leiten Sie E-Mails weiter, sodass
auch andere informiert sind, die auf Ih-
rer Seite stehen.

   Totstellen. Der beste Weg, um einen
Stalker wieder los zu werden, ist Tot-
stellen – nicht reagieren, keine Anrufe
entgegennehmen, keine persönlichen
Aussprachen, den Kontakt blockieren,
nicht bei der Tür hereinlassen, bei der
Polizei melden – manchmal genügt die
diesbezügliche Androhung – und sich
Hilfe suchen.“ Laut psychologischem
Dienst des 24-Stunden-Frauennotrufs
Wien hat niemand hat ein Recht, je-
manden zu einem Kontakt zu zwingen.
„Egal, welche dahinterliegende Motiva-
tion sich dafür darstellt, sei es aus Ra-
che, Eifersucht oder Verliebtheit. Sie
allein bestimmen, mit wem Sie Kontakt
haben möchten und in welcher Form.“
        Julia Brunhofer/Herbert Zwickl

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