QUO VADIS, AIDA? - Begleitendes Unterrichtsmaterial - Ein Film von Jasmila Žbanić - schulkino.at
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QUO VADIS, AIDA? Ein Film von Jasmila Žbanić Themen: Krieg, Genozid, Jugoslawienkriege, Bosnienkrieg, UNO Unterrichtsfächer: Geschichte, Politische Bildung, B/K/S, Philosophie, Ethik Begleitendes Unterrichtsmaterial
Synopsis Bosnien, Juli 1995. Aida ist Lehrerin und arbeitet als Übersetzerin für die UN in der Kleinstadt Srebrenica. Als die serbische Armee die Stadt einnimmt, gehört ihre Familie zu den Tausenden von Menschen, die im UN-Lager Schutz suchen. Aida hat als Dolmetscherin in den Verhandlungen Zugang zu entscheidenden Informationen. Sie versucht dabei, Lügen und Wahrheiten auseinanderzuhalten, um herauszufinden, wie sie ihre Familie und ihre Mitbürger*innen retten könnte. Die Lage spitzt sich zu, als ihr Ehemann, Direktor der örtlichen Schule, Srebrenica bei den Verhandlungen mit dem bosnisch-serbischen General Ratko Mladić vertreten soll. Aidas Schicksal steht für das einer ganzen Generation von Frauen, die den Krieg in Bosnien überlebt haben. Mehr als 8000 – fast ausschließlich männliche – Zivilisten wurden bei dem als Genozid eingestuften Massa- ker von Srebrenica von der bosnisch-serbischen Armee ermordet. Neben den grausamen Taten der Armee von Ratko Mladić wurde im Zusammenhang mit dem Massaker auch die Rolle der Vereinten Nationen scharf kritisiert. Zum 25. Mal jährte sich das Massaker von Srebrenica im Juli 2020 und bis heute erscheint es unbegreiflich, dass es vor den Augen der Staatengemeinschaft, mitten in Europa, zu einer solchen Katastro- phe kommen konnte. Der neue Film der bosnischen Regisseurin Jasmila Žbanić (Goldener Bär für ‚Grbavica‘) wurde von der internationalen Kritik als ein Höhepunkt der Filmfestivals in Venedig und Toronto bejubelt. Žbanićs wuchti- ger Film ist atemberaubend spannend und zeichnet sich durch seinen feministischen Blick aus: Hier kämpft eine starke Frau wie eine Löwin auf aussichtslosem Posten in der männlichen Welt des Krieges. Unvergesslich bleibt der durchdringende Blick dieser Frau und das tief berührende Ende. Eine andere Welt, eine Welt des Miteinanders, scheint möglich.
Cast Jasna Đuričić – Aida Selmanagić Izudin Bajrović – Nihad Selmanagić Boris Ler – Hamdija Dino Bajrović – Ejo Boris Isaković – Ratko Mladić Johan Heldenbergh – Thomas Karremans Edita Malovčić – Vesna Emir Hadžihafizbegović – Joka (Anm.: reale Personen kursiv) Stab Bosnien-Herzegowina, Deutschland, Frankreich, Österreich, Polen, Rumänien, Niederlande, Norwegen / 2020 / 103 Minuten Regie: Jasmila Žbanić Drehuch: Jasmila Žbanić Kamera: Christine A. Maier Musik: Antoni Komasa-Łazarkiewicz Schnitt: Jarosław Kamiński Ton: Igor Čamo Produzenten: Deblokada (Damir Ibrahimović, Jasmila Žbanić), coop99 filmproduktion (Bruno Wagner, Barbara Albert, Antonin Svaboda), Di- gital Cube (Cristian Nicolescu), N279 Entertainment (Els Vandevorst), Razor Film (Roman Paul, Gerhard Meixner), Extreme Emotions (Ewa Puszczyńska), Indie Prod (Nicolas Eschbach, [Eric Névé], Margot Ju- vénal, Simon Gabriele), Tordenfilm (Ingunn Sundelin, Eric Vogel), TRT (Ibrahim Eren), ZDF Arte, ORF, BHRT
Regiestatement „Dieser Film handelt von einer Frau, die in einem von Männern dominierten Krieg zwischen die Fronten geraten ist. Es geht um Mut, Liebe und Widerstandskraft – und auch darum, was passiert, wenn wir nicht rechtzeitig auf Warn- signale reagieren. Ich habe den Krieg in Bosnien überlebt. An einem Tag hat man alles, und am nächsten existiert fast nichts mehr von dem, was man kennt. Nur weil wir be- stimmte Dinge für unvorstellbar halten, heißt das nicht, dass sie nicht geschehen können.“ – Regisseurin Jasmila Žbanić Hintergrund Die Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien bestand von 1945 (nach dem 2. Weltkrieg) und war ein sozialistischer (kommunistischer) blockfreier Staat (dh. keinem der westlichen oder östlichen Militärblöcke zugehörig und demnach neutral) in Südosteuropa. Vor allem nach dem Tod des diktatorischen Staatschefs Josip Broz Tito 1980 begann der Zusammenhalt innerhalb des Staates zu bröckeln. 1991 erklärten die Teil- republiken Slowenien und Kroatien ihre Unabhängigkeit, es folgten der 10-Tage-Krieg in Slowenien und der Kroatienkrieg von 1991 bis 1995 (Abkommen von Erdut). Mit der Verabschiedung eines Memorandums zur Unabhängigkeit im Oktober 1991 stellte sich auch das Parlament Bosnien und Herzegowinas gegen die serbischen Vertreter. Die bosnischen Serben wiederrum proklamierten in ihrem eigenen Parlament die Serbische Republik in Bosnien und Herzegowina (Republika Srpska). Der darauffolgende Krieg (sowohl zwischen Kroaten und Bosniaken, als auch zwischen Bosniaken und Serben) wurde durch das Abkommen in Dayton im Dezember 1995 als beendet erklärt. Vor allem die Belagerung der Hauptstadt Sarajevo (mit 1425 Tagen die längste Belagerung im 20. Jahrhundert) und der Genozid von Srebrenica (Republika Srpska) gehören zu den einschneidenden Geschehnissen der Jugoslawi- enkriege, die bis heute nachwirken und auch die Rolle der Vereinten Nationen und auch der europäischen Staaten hinterfragt.
„Hintergründe, Motive und Verlauf des Krieges in Bosnien und Herzegowina und anderen Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawiens harren noch einer gründlichen wissenschaftlichen Aufarbeitung. Einer der tieferen Ursachen für den blutigen Zerfall ist darin zu sehen, dass jene Mythen, Geschichtsklitterungen und Halbwahrheiten, die sich um die Verbrechen, die im Zweiten Weltkrieg geschehen sind, niemals dekonstru- iert worden sind. Das kommunistische System des Staatsgründers des II. Jugoslawiens, Josip Broz Tito, glorifizierte den Kampf der Partisanen gegen die deutsche und italieni- sche Besatzungsmacht, aber mit dem Niedergang des Kommunismus tauchten die alten nationalistischen Ideologien wieder auf. Die Folgen der Verdrängung der Geschichte wurden spätestens seit 1991 offenbar und politisch wirksam.“ – Wolfgang Petritsch (Hoher Repräsentant für Bosnien und Herzegowina 1999-2002) Der Bosnienkrieg Mit der internationalen Anerkennung der Unabhängigkeitserklärung Bosniens im April 1992 begannen auch Angriffe des bosnisch-serbischen Teiles der jugoslawischen Volksarmee (JVA). Jede Bevölkerungsgruppe (Kroatien, Serben und Bosniaken) verfügte zu diesem Zeitpunkt schon über eine Armee, wobei die militäri- schen Einheiten auf bosnisch-serbischer und bosnisch-kroatischer Seite auch von der serbischen bzw. kroa- tischen Armee unterstützt wurden. Durch diese Nähe und noch strukturelle Eingliederung der bosnisch-ser- bischen Einheiten in die durchaus stärkere JVA, waren auch binnen kürzester Zeit große Teile Bosniens und Herzegowinas unter deren Kontrolle. Die territoriale Aufteilung Bosniens und Herzegowinas, die mit der Proklamation der Republika Srpska (Serbische Republik in Bosnien und Herzegowina) begonnen hatte, wurde auch von kroatischer Seite unter- stützt, indem versucht wurde, alle mehrheitlich kroatisch besiedelten Gebiete in Bosnien und Herzegowina in der Teilrepublik „Herceg-Bosna“ zu vereinen. Die Mehrheit der bosniakischen (muslimischen) Bevölkerung lehnte diese territoriale Aufteilung des Landes zunächst ab. Als die bosniakische Armee im weiteren Verlauf des 1992 begonnen Krieges von kroatischer und serbischer Seite angegriffen wurde, radikalisierte sich auch die bosniakische Seite und lehnte Kompromisse ab. Sowohl auf serbischer als auch auf kroatischer Seite war das eindeutige Ziel die Eingliederung von Teilen Bosniens und Herzegowinas an Serbien bzw. Kroatien. Der bosniakische Teil der Bevölkerung kämpfte dem- nach an mehreren Fronten. Nach 43 Monaten wurde der Krieg in Bosnien und Herzegowina mit dem Friedensabkommen von Dayton 1995 für beendet erklärt. Doch die tiefen Wunden und Gräben, die dieser Krieg mit hunderttausenden Toten und Vertriebenen verursacht hat, sind bis heute nicht geheilt.
Die Rolle der Vereinten Nationen (UN) & Genozid Nach mehreren Vorläuferorganisationen wurden schließlich 1945 – nach dem 2. Weltkrieg – die Vereinten Nationen (UN) gegründet, deren Aufgaben sich aus folgenden Bereichen zusammensetzt: Sicherung des Weltfriedens, Einhaltung des Völkerrechts, Schutz der Menschenrechte und Förderung internationaler Zu- sammenarbeit. Die Charta der Vereinten Nationen – deren Rechtsgrundlage – wurde in San Francisco am 26. Juni 1945 von 50 Staaten unterschrieben; zur Zeit zählt die Organisation 193 Mitgliedsstaaten. Nach den schrecklichen Ereignissen des Zweiten Weltkriegs und da zur Zeit der darauffolgenden Nürnberger Prozesse Genozid (im Sinne von Völkermord) noch nicht im internationalen Recht verankert war, entschie- den die neu gegründeten Vereinten Nationen, Genozid als Verbrechen zu definieren und somit strafrechtlich verurteilbar zu machen. In der Generalversammlung der Vereinten Nationen 1946 wurde in der Resolution 96 das Verbrechen des Genozid wie folgt definiert: 96 (1). The Crime of Genocide Genocide is a denial of the right of existence of entire human groups, as homicide is the denial of the right to live of individual human beings; such denial of the right of existence shocks the conscience of mankind, results in great losses to humanity in the form of cultural and other con- tributions represented by these human groups, and is contrary to moral law and to the spirit and aims of the United Nations. Many instances of such crimes of genocide have occurred when racial, religious, po- litical and other groups have been destroyed, entirely or in part. The punishment of the crime of genocide is a matter of international con- cern. The General Assembly, therefore, affirms that genocide is a crime under international law which the civilized world condemns, and for the commission of which principals and accomplices - whether private individuals, public officials or statesmen, and whether the crime is com- mitted on religious, racial, political or any other grounds - are punisha- ble; Invites the Member States to enact the necessary legislation for the prevention and punishment of this crime; Recommends that internatio- nal co-operation be organized between States with a view to facilitating the speedy prevention and punishment of the crime of genocide, and, to this end, Requests the Economic and Social Council to undertake the necessary studies, with a view to drawing up a draft convention on the crime of genocide to be submitted to the next regular session of the General Assembly. – 11 December 1946.
Das konkrete Eingreifen der Vereinten Nationen in Srebrenica begann am 16. April 1993, als Srebrenica und das umliegende Gebiet zur UNO-Schutzzone erklärt wurde. Die ersten UNPROFOR-Soldaten („Blauhel- me“) kamen zwei Tage später nach Srebrenica. Der Auftrag an die UN-Blauhelme war es, die Bevölkerung zu schützen und Waffengewalt nur zur Selbstverteidigung einzusetzen und sich gegenüber Konfliktparteien neutral zu verhalten. Ihre dadurch resultierende leichte Bewaffnung und der Auftrag, den Frieden in einer Region zu schützen, in der es gar keinen gab, erschwerte ihre Rolle ungemein. Die bloße Anwesenheit der UN-Blauhelme war somit weder friedenstiftend noch abschreckend für militärische Angriffe.
(Historische) Figuren im Film / Protagonisten Ratko Mladić Ratko Mladić begann seine Militärkarriere Mitte der 1960er Jahre in der jugos- lawischen Armee (JNA). Als Kommandeur der JNA wurde er 1991 zunächst bei Kämpfen mit kroatischen Einheiten im heutigen Kroatien eingesetzt. Nach der Gründung von militärischen Einheiten der bosnischen Serben (Vojska Republi- ke Srpske) wurde Mladić von Radovan Karadžić (Anm.: Präsident der Republi- ka Srpska) zu deren Oberkommandierenden ernannt. Er war somit der oberste militärische Befehlshaber im Genozid von Srebrenica und wurde noch 1995 als Verantwortlicher für dieses Massaker vor dem UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag wegen Genozid, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und ande- Ratko Mladić Thomas Karremans Thomas Karremans war als Teil des “Dutchbat“ Kommandant der niederlän- dischen Blauhelmtruppen in der UN-Schutzzone in Srebrenica. Der Absolvent der Königlichen Militärakademie der Niederlande, hatte vor seinem Einsatz in Srebrenica internationale Erfahrungen beim UN-Einsatz im Libanon und im NATO-Hauptquartier gesammelt. Beide Einsätze waren sicher nicht vergleich- bar mit seinem Einsatz in der bosnischen UN-Schutzzone. 1999 räumten die UN ein, es sei „falsch gewesen, von dem kleinen holländischen Blauhelm-Ba- taillon zu erwarten, dass es Srebrenica gegen eine enorme Übermacht bos- nisch-serbischer Truppen verteidigt“. Thomas Karremans Die Rolle der niederländischen UN-Blauhelme im Genozid von Srebrenica ist bis heute umstritten, so wurden die Niederlande 2011 vom Gericht in Den Haag verurteilt, am Mord dreier muslimischer Männer 1995 in Srebrenica ver- antwortlich zu sein.
Arbeitsaufgaben Arbeitsaufgaben vor und während der Filmsichtung 1. Filmtitel Welche Assoziationen ruft der Filmtitel „Quo vadis, Aida?“ hervor? Bei welchen Szenen im Film musstet ihr/musstest du an den Titel des Filmes denken? 2. Filmplakat Welche Assoziationen und Emotionen ruft das Filmplakat hervor? 3. Trailer Welche Assoziationen und Emotionen ruft der Trailer hervor? https://www.youtube.com/watch?v=Z0XJNHnGIwU 4. Filmische Stilmittel Welche Wirkung geht von der Kameraperspektive aus? Ist diese vorwiegend außenstehend und beob achtend oder auch mitten im Geschehen? Auf welche Weise werden Musik, Dialoge und Geräusche verwendet? Welche Wirkung wird dadurch erzielt? Welche Wirkung erzeugt der Rhythmus des Schnittes, zwischen Aida, den UN-Soldaten und den serbischen Streitkräften?
Arbeitsaufgaben nach der Filmsichtung Zur Themenvertiefung: 1. Welche Kriege und Konflikte waren eine direkte Folge des Zerfalls Jugoslawiens? Was versteht man unter dem Begriff der „Jugoslawienkriege“? 2. Welche Aufgeben haben die Vereinten Nationen (UNO) und wie war ihre Rolle im Bosnienkrieg? 3. Welche Rolle spielt das Kriegstribunal von Den Haag im Friedensprozess und in der Aufarbeitung der Jugoslawienkriege? Welche der am Genozid von Srebrenica beteiligten Offiziere und Soldaten wurden ange- klagt und/oder verurteilt? 4. Welche Rolle hatte Österreich zur Zeit des Bosnienkrieges? Welche Form der humanitären Hilfe wurde von österreichischer Seite organisiert? 5. Wie viele Menschen sind zur Zeit des Jugoslawienkriege nach Österreich geflüchtet? Kennt ihr Personen im öffentlichen Leben oder aus eurem persönlichen Umfeld jemanden, der*die aus dem ehemaligen Jugosla- wien nach Österreich geflüchtet ist? Zur Filmanalyse 1. Welche der im Film auftretenden Figuren sind reale Personen? 2. Welche Szenen im Film basieren auf tatsächlich dokumentierten Gesprächen und Ereignissen? 3. Szenenanalyse a. Wodurch unterscheidet sich sie Szene der Gespräche im Fontana Hotel im Film mit den tatsächli chen Aufnahmen aus 1995? Wo liegen die Gemeinsamkeiten? Ratko Mladic - Srebrenica Fontana Hotel - July 12, 1995 https://youtu.be/urpbonh7kj8 b. Von Menschen, die den Genozid in Srebrenica bis heute leugnen, wird Ratko Mladićs Auftritt in den Bussen voller Bosniaken, bei dem er allen eine gute Reise wünscht, als Argument für Ratko Mladić‘s Unschuld verwendet. Wie wird dieser Auftritt Mladićs im Film inszeniert und verarbeitet? Welche Emotionen ruft diese Szene hervor? c. Welche Szene erzeugt am meisten Spannung und durch welche Mittel wird diese erzeugt?
Weiterführende Links: Srebrenica – Mapping genocide and post-genocide society http://srebrenica.famamethodology.net/eng/ Srebrenica report https://www.niod.nl/en/srebrenica-report Internationaler Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien https://www.icty.org/ Vereinte Nationen (UNO) https://www.un.org/ Ratko Mladić in Srebrenica 1995 https://youtu.be/vVkW_cmWBNU Nachbar in Not https://nachbarinnot.orf.at/?story=113 Jasmila Žbanićs Srebrenica-Film: Eine Oscar-Nominierung und die Frage Quo vadis, Bosnia? https://geschichtedergegenwart.ch/jasmila-zbanics-srebrenica-film-eine-oscar-nominierung-und-die-fra- ge-quo-vadis-bosnia/
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