Quo Vadis austria? Auswirkungen der Staatsschulden auf die Zukunft Österreichs

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Quo Vadis austria? Auswirkungen der Staatsschulden auf die Zukunft Österreichs
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         Quo Vadis Austria?
                Auswirkungen der Staatsschulden
                      auf die Zukunft Österreichs

www.iv-net.at
Quo Vadis austria? Auswirkungen der Staatsschulden auf die Zukunft Österreichs
„Wir sollen alle Tage sparen
und brauchen alle Tage mehr“
                      Faust II, 1.Akt
Quo Vadis austria? Auswirkungen der Staatsschulden auf die Zukunft Österreichs
INHALTSVERZEICHNIS

Vorwort                                                              4

Auswirkungen der Staatsschulden auf die Zukunft Österreichs:
Fakten & Handlungsbedarf auf einen Blick                             6

Staatsschulden: Der Status Quo                                      11
  Die Budgetsünden der Vergangenheit                                12
  Die ganze Wahrheit                                                14
  Österreichs Staatsschulden im internationalen Vergleich           15
  Kosten und Nutzen von Staatsschulden                              17
  Staatsschulden und Finanzmarktkrise                               19

Wo gibt es die gröSSte Ausgabendynamik?                            21
  Ausgaben für „Alterung“                                          23
  Föderalismus und Staatsschulden                                  27
  Umweltausgaben und Staatsschulden                                29

Kosten und Grenzen der Verschuldungsdynamik                        31
  Die Nachhaltigkeitslücke für Österreich                          32
  Die Auswirkungen auf das Rating der Bundesanleihen               34
  Die Grenzen der Verschuldungsdynamik: Fiscal Space               36
  Die Verschuldung der gesamten Volkswirtschaft                    38

Wie können die Schulden gesenkt werden?                            40
  Strukturreformen zur nachhaltigen Konsolidierung                 41
  Einführung automatischer Fiskalregeln                            46
  Privatisierungspotenziale                                        48

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Vorwort
Quo Vadis Austria?

Die Finanzmarktkrise, die Eurokrise und die weltweiten Ungleichgewichte zwischen Schuldner- und Gläubi-
gerstaaten haben uns deutlich vor Augen geführt, dass Überkonsum und Leben auf Pump auf Dauer in eine
Sackgasse führen. Wir sehen heute, dass Schulden ohne Rückzahlungsperspektive, Ausgaben ohne realis-
tischen Planungshorizont und das Vertreten von unrealistischen Wachstumserwartungen der falsche Weg
sind. Ein solcher politischer Weg schmälert den wirtschaftspolitischen Spielraum für Zukunftsausgaben in
den Bereichen Bildung, Forschung, Infrastruktur und Umwelt, verhindert die Vorsorge für Mehrausgaben,
die aufgrund der Alterung der Bevölkerung noch unweigerlich auf uns zukommen, und beraubt uns der
Möglichkeit für notwendige Sofortmaßnahmen im Falle einer neuerlichen Wirtschaftskrise.

Diese Broschüre zeigt auf, dass nicht nur Griechenland und die anderen „Peripherieländer“ der Eurozone
oder die einstige „Konsumlokomotive“ USA in einer historischen Verschuldungskrise stecken, sondern dass
auch Österreich die negativen Auswirkungen einer über Jahrzehnte angehäuften Staatsverschuldung bewäl-
tigen muss.. Die Folgen der langjährigen Defizit-Politik sind eine effektive Schuldenquote von nahezu 90%
des BIP, eine Nachhaltigkeitslücke von jährlich fast 5% des BIP und eine Ausgabenstruktur, die Großteils
auf Verwaltung, Transfers und Bedienung der Staatsschulden statt auf lebenswichtige Investitionen in
Zukunftsbereiche aufgebaut ist.

„Quo Vadis Austria?“ soll Antworten geben auf die berechtigte Frage vieler Menschen in unserem Land,
wohin der Weg der nahezu ungebremsten öffentlichen Verschuldung in den nächsten Jahren und Jahrzehn-
ten führt und warum (und wie) die Politik massiv gefordert ist, kraftvoll und entschlossen neue Weichen zu
stellen. Wie mit der umfassenden IV-Broschüre zum Thema „Wohlstand, Armut und Umverteilung in Ös-
terreich“ soll mit „Quo Vadis Austria?“ ein Beitrag dazu geleistet werden, dass drängende wirtschafts- und
gesellschaftspolitische Herausforderungen sachlich und tabufrei diskutiert werden können und dass der
Wunsch nach einer dringend notwendigen konsequenten Zukunftsgestaltung von der Politik nicht überhört
wird.

     Dr. Veit Sorger                  Mag. Christoph Neumayer                   Dr. Clemens Wallner
         Präsident                           Generalsekretär               Wirtschaftspolitischer Koordinator
der Industriellenvereinigung           der Industriellenvereinigung          der Industriellenvereinigung

                                                                                                    Vorwort | 5
Auswirkungen der
Staatsschulden auf die
Zukunft Österreichs:
Fakten & Handlungsbedarf
auf einen Blick
FAKTEN & ZAHLEN
Die Schuldenquote des Staates ist seit den 70er Jahren um das beinahe Vierfache angestiegen (von 18,8
Prozent des BIP im Jahr 1970 auf 72,3 Prozent des BIP im Jahr 2010).
Die Zinszahlungen für die Staatsschuld machen allein für das Bundesbudget heute bereits knapp 7,8 Mrd.
Euro (2011) bzw. 11,1 Prozent der gesamten Ausgaben aus. Bis 2015 wird dieser Ausgabenposten laut Finanz-
ministerium auf Grund der steigenden Zinsen sogar auf annähernd 10 Mrd. Euro steigen.

Die Schuldenquote von aktuell 72,3 Prozent des BIP ist nicht die ganze Wahrheit.
Wenn man die gesamten Schulden der ausgegliederten Einheiten wie ÖBB, ASFINAG, BIG und der marktbe-
stimmten Gemeindebetriebe (Infrastrukturbetriebe der Gemeinden, Gemeindeverbände, Wiener Wohnen)
miteinrechnet, die trotz Revision noch immer nicht in der Staatsschuldenquote aufscheinen, für die jedoch
die öffentliche Hand haftet, dann beträgt die Schuldenquote im Jahr 2010 bereits 87 Prozent.

Österreich hat die sechsthöchste Schuldenquote der EU.
Schlechter als Österreich schneiden nur die Problemfälle Griechenland, Belgien, Irland, Italien und Portu-
gal ab. Selbst andere „Problemkandidaten“ wie Spanien und Ungarn liegen deutlich besser als Österreich.
Weltweit weisen nur noch Japan, die USA und Island eine höhere Schuldenquote auf.

Eine hohe Staatsschuldenquote hat negative Auswirkung auf das Wirtschaftswachstum.
Internationale und empirische Vergleiche belegen, dass bei einer Staatsschuldenquote von über 90 Prozent
des BIP das Wachstum im Durchschnitt um ein Prozent geringer ausfällt. Inklusive der ausgegliederten
Budgeteinheiten wird Österreich diese Schwelle bereits 2012 erreichen.

Die realpolitische Anwendung des „Keynesianismus“ hat in Österreich versagt.
Die keynesianische Bedingung, dass in „guten Zeiten“ Überschüsse erwirtschaftet werden, um die Schul-
den abzubauen, hat in der österreichischen politischen Realität niemals Einzug gefunden. Nach 40 Jahren
Schuldenaufbau in Österreich kann man feststellen, dass das zusätzlich angepeilte Wachstum nicht ausge-
reicht hat, um die Schulden zu finanzieren.

Bereits knapp 80 Prozent der österreichischen Staatsschulden sind in ausländischem Besitz.
Damit müssen konsequenterweise jene, die Budgetdefizite als Wachstumsmotor anpreisen, die steigende
Verflechtung und die Dynamik der internationalen Finanzmärkte gutheißen. Die Dynamik ist rasant: 1995
waren erst 30 Prozent der heimischen Staatsschulden in ausländischem Besitz. Verglichen mit den anderen
EU-Mitgliedstaaten hat nur Finnland einen noch höheren Anteil an Staatsschulden in ausländischem Besitz.

Eine höhere Staatsverschuldung geht stets mit einer höheren privaten Sparquote, also einer geringeren
Investitions- und Konsumdynamik einher.
Nicht mehr, sondern weniger Schulden schaffen dauerhaft Nachfrage und damit einen nachhaltigen Aus-
stieg aus der Krise. Zusätzliche Schulden schaffen nur ein kurzfristiges „Strohfeuer“, dessen Löschung noch
länger dauern wird. Wachstumsdämpfend hingegen würde ein Auslassen der Konsolidierungsbemühungen
wirken. Dann würden die Investoren ihre Unsicherheit für längere Zeit nicht ablegen und wären weniger
investitionsfreudig.

Die Staatsausgaben haben sich in den vergangenen Jahrzehnten schwerpunktmäßig von Investitionsausga-
ben in Richtung Konsumausgaben entwickelt.
Die öffentlichen Ausgaben für Investitionen sind in den vergangenen 35 Jahren um über 2 Prozentpunk-
te des BIP zurückgegangen und haben sich damit fast halbiert. Im Gegensatz dazu sind die Ausgaben für

                                                                        Zusammenfassung der wichtigsten Fakten | 7
Transfers im gleichen Zeitraum um fast 9 Prozentpunkte des BIP gestiegen. Staatsschulden wurden also
  weitgehend für konsumptive statt für investive Zwecke aufgenommen.

  Durch die demographische Entwicklung in Österreich wird das Wirtschaftswachstum in Zukunft stark sin-
  ken. Die sich verändernden Bevölkerungsstrukturen werden die öffentlichen Finanzen vor große Heraus-
  forderungen stellen.
  Laut Projektionen der EU-Kommission wird das potenzielle BIP-Wachstum in Österreich von derzeit 2,2
  Prozent auf 1,5 Prozent (real) im Jahr 2060 zurückgehen. Kommt heute noch eine über 65jährige Person auf
  vier Personen im erwerbsfähigen Alter (15 - 64 Jahre), sind es 2060 nur noch 2 Personen im erwerbsfähigen
  Alter, die auf eine über 65jährige Person kommen. Insgesamt steigen die öffentlichen Ausgaben für Pensi-
  onen, Gesundheit und Pflege somit von derzeit 19,6 Prozent des BIP auf insgesamt 29,3 Prozent des BIP im
  Jahr 2050 um ganze 9,7 Prozentpunkte des BIP bis 2050. Das ergäbe zu heutigen Preisen einen Mehrauf-
  wand von knapp 27 Mrd. Euro.

  Mit dem Argument einer angeblich höheren Produktivitätsentwicklung wird versucht, den Reformbedarf
  der Alterssicherungssysteme zu leugnen.
  Die Fakten belegen jedoch genau das Gegenteil: In den vergangenen 30 Jahren ist die Arbeitsproduktivi-
  tät in Österreich durchschnittlich um 1,6 Prozent gewachsen und in den letzten 15 Jahren sogar nur um 1,5
  Prozent pro Jahr gestiegen. Die Tendenz ist also klar fallend. Um keinen Reformbedarf anzunehmen, müsste
  die Arbeitsproduktivität jedoch bis 2060 um mindestens 2,2 Prozent steigen. Die Annahme eines solchen
  gegenteiligen Trends ist völlig utopisch.

  Der Föderalismus hat sich als nicht unwesentlicher Treiber der Schuldendynamik herauskristallisiert.
  Die Dynamik der Schuldenentwicklung der Länder übersteigt seit dem Jahr 2004 jene des Bundes bei wei-
  tem. Von 2005 bis 2011 steigen die Schulden des Bundes um 28 Prozent, jene der Länder haben sich jedoch
  im gleichen Zeitraum bereits mehr als verdoppelt.

  Für die zu erwartenden finanziellen Mehrbelastungen der Klimapolitik sind in den öffentlichen Haushalten
  bislang noch keine Vorsorgen getroffen worden.
  Unmittelbar budgetrelevant sind Kosten, die mit der Erfüllung des nationalen Kyoto-Ziels verbunden sind.
  Diese nachstehenden Kosten entstehen ausschließlich aus Emissionen (über den Zielwerten), die den pri-
  vaten Haushalten und dem Verkehr zuzurechnen sind, da die Industrie dem Emissionshandel unterliegt und
  allfällige eigene Mehr-Emissionen selbst bezahlen muss.

  Den öffentlichen Haushalten droht eine dramatische Lücke zwischen zukünftigen Einnahmen und zukünfti-
  gen Ausgaben von über 6 Prozent des BIP.
  Der Mittelwert aller Langfrist-Berechnungen für Österreich ergibt eine „Nachhaltigkeitslücke“ von 6,14 Pro-
  zent des BIP. Das bedeutet, wir müssen bei ausbleibenden Strukturreformen die Steuern und Abgaben um
  6,14 Prozent des BIP erhöhen, um den Staatshaushalt künftig zu konsolidieren. Das wäre eine Erhöhung der
  gesamten Steuerlast um 14 Prozent oder um aktuell (2010) 17,5 Mrd. Euro. Das sind die wahren Kosten eines
  Nichtanpackens der notwendigen Strukturreformen.

  Österreich muss eine Staatsschuldenquote von 338 Prozent des BIP im Jahr 2060 befürchten.
  Wenn die „Nachhaltigkeitslücke“ nicht geschlossen wird oder wenn keine substanziellen Gegenmaßnah-
  men ergriffen werden (z.B. rasche Budgetkonsolidierung bzw. Strukturreformen), würde die Schuldenquote
  in Österreich laut EU-Kommission bis 2060 von derzeit 72 Prozent auf knapp 338 Prozent des BIP steigen.

8 | Zusammenfassung der wichtigsten Fakten
Die österreichischen Staatsanleihen würden ohne Reformen der öffentlichen Haushalte spätestens ab 2050
einen „Junk Bond“ -Status erreichen.
Ohne Strukturreformen würde sich das Sovereign-Rating der österreichischen Bundesanleihen laut Stan-
dard & Poor‘s vom derzeitigen AAA Rating bereits ab 2020 in Richtung AA verschlechtern und dann allmäh-
lich bis 2050 sogar auf ein „Speculative Grade“ (sogenannter „Junk Bond“) der Kategorie „BB+“ oder darun-
ter verschlechtern. Damit würde Österreichs Bonität im Jahr 2050 mit jener des heutigen Griechenland oder
Portugal gleichgesetzt werden.

Ab einer gewissen Verschuldungsgrenze ist die Schuldendynamik nicht mehr aufzuhalten.
Ab einer Schuldenquote zwischen 171 und 187 Prozent des BIP wird laut den Berechnungen des IWF die
Schuldendynamik in Österreich so instabil, dass sie auch mit großen Politikanstrengungen kaum mehr
zurückgefahren werden kann. Aufgrund der dramatischen Schuldenprojektionen durch die demographische
Entwicklung hätte Österreich diesen fiskalischen Spielraum („Fiscal Space“) bis zu einem unkontrollierba-
ren Staatshaushalt bereits rund um das Jahr 2035 komplett verspielt.

Eine niedrige Steuer- und Abgabenquote ist eine wichtige Versicherungsprämie gegen zu erwartende
steigende Altersausgaben.
Eine niedrige Steuer- und Abgabenquote ist genauso wie eine niedrige Schuldenquote die beste Versi-
cherungsprämie des Staates gegen drohende Mehrausgaben in der Zukunft. Sie verleiht dem Staat einen
letzten Ausweg („last resort“), die Abgaben maßvoll zu erhöhen, ohne das Wachstumspotenzial bedrohlich
zu verringern, wenn jeglicher Spielraum für Ausgabensenkungen bereits genutzt wurde. Leider hat sich
Österreich mit der weltweit sechsthöchsten Steuer- und Abgabenquote auch dahingehend nur eine sehr
bescheidene Zukunftsversicherung erarbeitet.

Auch über Exporte und Leistungsbilanzüberschüsse kann für drohende Altersausgaben vorgesorgt werden.
Ein Budgetüberschuss reflektiert den Konsumverzicht des Staates. Bei einem Leistungsbilanzüberschuss
übt jedoch die gesamte Volkswirtschaft einen Konsumverzicht aus. Ein Konsumverzicht der Volkswirtschaft
kann hilfreich sein, wenn Altlasten (vergangene Leistungsbilanzdefizite) abgebaut werden müssen oder für
sinkende Produktionspotenziale in der Zukunft (etwa durch die Alterung der Bevölkerung) vorgesorgt wird.
Österreich hat durch die ständigen Leistungsbilanzdefizite in den Jahrzehnten vor der Jahrhundertwende
hier noch eine negative Bilanz („Internationale Vermögensposition“ von -12 Prozent des BIP). Die Leis-
tungsbilanzüberschüsse des vergangenen Jahrzehnts müssen also fortgesetzt werden.

                                                                      Zusammenfassung der wichtigsten Fakten | 9
SCHLUSSFOLGERUNGEN & HANDLUNGSBEDARF

  Effektive Maßnahmen zur Budgetkonsolidierung und Strukturreformen müssen so schnell wie möglich
  umgesetzt werden, um den öffentlichen Haushalt wieder auf nachhaltige Pfade zu leiten.

  Je länger Fiskalkonsolidierungsmaßnahmen und Strukturreformen aufgeschoben werden, desto kostspieli-
  ger werden die Reformen zu einem späteren Zeitpunkt ausfallen.
  Der Nachhaltigkeitsbericht der Europäischen Kommission geht davon aus, dass jede Verschiebung der Kon-
  solidierung um 5 Jahre die Nachhaltigkeitslücke um 0,5 Prozentpunkte vergrößert.

  Strukturreformen erfordern in Österreich vor allem das Pensions-, Gesundheits- und Pflegesystem. Beim
  Gesundheits- und Pflegesystem fehlen gänzlich längerfristige Strategien zu deren finanzieller Absicherung.
  Beim Pensionssystem müssen die eingeleiteten Reformen auch gänzlich umgesetzt werden.

  Die Reformen bei der Verwaltung des Staates und bei den Förderungen und Subventionen müssen rasch
  angegangen werden.

  Die europäische Strategie zur Verbesserung der Nachhaltigkeit in den öffentlichen Finanzen verfolgt eine
  3-Säulen-Strategie, die auch in Österreich halten muss.
  1) Defizit- und Schuldenreduktion, 2) Erhöhung der Beschäftigungsquoten und 3) Reform der Sozialsysteme.

  Der Föderalismus ist neben den Altersausgaben wesentlicher Treiber der Schuldendynamik. Eine umfas-
  sende Staatsaufgabenreform wird immer dringender.

  Neben einer strengeren Ausgestaltung der österreichischen „Schuldenbremse“ (neben der mittelfristigen
  Fixierung der Ausgabenobergrenzen auf vier Jahre muss auch ein nachhaltiger struktureller Überschuss
  nach schwedischem Modell als Zielvorgabe gesetzt werden) bedarf es auch der Einbindung der Länder und
  der Sozialversicherungssysteme in diese Regelung.

  Für die drohenden Ausgaben der Verfehlung der Klimareduktionsziele sind budgetäre Rückstellungen zu
  bilden. Hier drohen mittelfristig zusätzliche Budgetausgaben, weil die privaten Haushalte keinem Emissi-
  onshandel unterliegen.

  Eine niedrige Steuer- und Abgabenquote ist genauso wie eine niedrige Schuldenquote die beste Versiche-
  rungsprämie des Staates. Um Spielraum für die steigende Dynamik bei den Staatsausgaben zu gewähren,
  muss die Steuer- und Abgabenquote gesenkt werden.

  Die negative internationale Vermögensposition macht deutlich, dass nicht nur der Staat, sondern auch die
  österreichische Volkswirtschaft als Ganzes einen Überschuss in Form von Leistungsbilanzüberschüssen
  erzielen muss, um den „Überkonsum“ aus den vergangenen Jahren zu kompensieren und für die Alterung
  der Bevölkerung vorzusorgen.

10 | Zusammenfassung der wichtigsten Fakten
Ausgaben für die lokale Polizei und das Feuerwehrwesen sAowie verschiedene andere Gemeinde-
dienstleistungen.

      Staatsschulden:
      Der Status Quo
      Österreich hat in den vergangen Jahrzehnten den „Keynesianismus“ nur einseitig angewendet.
      Nachfrageausfälle wurden mit Ausgaben kompensiert. Aber die zweite, zweifellos mühevollere
      Seite des Keynesianismus, nämlich den Schuldenabbau und Überschüsse in „guten Zeiten“,
      wurde stets ausgeblendet. Das rächt sich in Zeiten, in denen Österreich kurzfristig starke Kon-
      junkturimpulse benötigt hatte, um das Wachstum wieder anzustoßen, während wir zugleich
      mittelfristig für steigende Altersausgaben vorsorgen müssen.
Die Budgetsünden der Vergangenheit

  Es ist eine bekannte Budgetweisheit, dass die größten Budgetsünden in guten Zeiten gemacht werden.
  Wenn man die Zahlen für Österreich in den vergangenen 40 Jahren analysiert, erkennt man, dass das als
  Glättung der Konjunkturzyklen gedachte keynesianische „Defizit-Spending“ nur eindimensional eingesetzt
  und der zweite Aspekt, der Schuldenabbau in Wachstumszeiten, nie durchgeführt wurde. Seit 1970 konnte
  in keinem einzigen Jahr (!) ein Budgetüberschuss erwirtschaftet werden. Die Folge war ein dramatischer
  Anstieg der Schuldenquote des Staates (von 18,8 Prozent des BIP im Jahr 1970 auf 72,3 Prozent des BIP im
  Jahr 2010) und der Zinszahlungen für die Staatsschuld, die allein für das Bundesbudget heute bereits knapp
  7,8 Mrd. Euro (2011) kostet. Bis 2015 wird dieser Ausgabenposten laut Finanzministerium auf Grund der
  steigenden Zinsen sogar auf annähernd 10 Mrd. Euro steigen.

                                                      Staatsschuldenquote und Zinszahlungen
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               Staatschuldenquote in % des BIP

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                                                  0                                                                  0
                                                      1970

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                                                                                                              2010

  Zinsen sind Ausgaben für die Vergangenheit.
  Sie schmälern den Ausgabenspielraum für die BUDGET FÜR VERGANGENHEIT VS. BUDGET FÜR ZUKUNFT
  Zukunft. Die Finanzierungskosten der Staats-   Ohne Zinszahlungen könnten wir die Ausgaben für
  schuld verschlingen heute einen beträchtlichen Pflichtschulen und Wissenschaft & Forschung verdoppeln:
                                                 (Budgetausgaben 2011)
  Teil der Staatsausgaben. Insgesamt gibt der
  Bund heute bereits 11,1 Prozent seiner gesam-
  ten Ausgaben für Zinszahlungen und somit für                                            3,4       Pflichtschulen
  Budgetsünden und Verpflichtungen der Vergan-        Zinsendienst                7,6
                                                  für die Schulden     7,8
  genheit aus. Das raubt dem Budget im Zeitalter                      Mrd.
                                                                                 Mrd.
  des Wissens und der Globalisierung einen                                                          Wissenschaft
                                                                                          4,2       und Forschung
  wichtigen Spielraum für dringend notwendige
  Zukunftsausgaben. So kosten dem Bund heute
  beispielsweise die Zinszahlungen mehr als die
  gesamten Ausgaben für das Pflichtschulwesen
  und für Wissenschaft und Forschung. Der Bund
  zahlt mehr für die Vergangenheit als für die
                                                                                             Quelle: BMF, Budgetbericht 2011
  Zukunft.

12 | Die Budgetsünden der Vergangenheit
Die Zinskosten nehmen dem Bundesbud-              Ein weiteres anschauliches Beispiel:
get aber auch einen wichtigen Spielraum
für wachstums- und zukunftsfördernde
Steuerentlastungen. So könnten zum
Beispiel mit jährlich zusätzlichen 7,3 Mrd.
                                                                                                                                                                                                                  Alle Arbeitnehmer/innen und
Euro im Bundeshaushalt alle Arbeitneh-                                                                                                                                                                            Pensionist/innen, die weniger als
                                                 Zinszahlungen für
mer/innen und Pensionist/innen, die                 Staatsschulden   7,8                             7,3                                                                                                          40.000 Euro brutto pro Jahr
                                                                     Mrd.                           Mrd.                                                                                                          verdienen, von der Lohnsteuer
weniger als 40.000 Euro brutto pro Jahr                                                                                                                                                                           befreien (= 84% aller
verdienen, gänzlich von der Lohnsteuer                                                                                                                                                                            Lohnsteuerpflichtigen!)
befreit werden. Das sind stolze 84 Prozent
aller Lohnsteuerpflichtigen, die dann von
der Lohnsteuer befreit wären. Was das
für ein nachhaltiges Wirtschaftswachs-
tum bedeuten würde, bedarf wohl keiner
näheren Erläuterung.                                                              Quelle: BMF, Statistik Austria (Lohnsteuerstatistik 2009)

Wie sehr der Zinseszinseffekt der Staatsschulden die Spielräume der Staatsausgaben einengt, ist daran zu
erkennen, dass der Staat ohne Zinszahlungen seit 1989 bis zur Finanzmarktkrise (mit Ausnahme der Jahre
1993 - 1996) ständig Überschüsse erzielt hat (sogenannte „Primärüberschüsse“, also Budgetsaldi minus
Zinszahlungen) und trotzdem eine Neuverschuldung produzierte. Die Steuerzahler hatten zwar öfters einen
ausgeglichenen Haushalt erwirtschaftet, aber trotzdem gab es auf Grund der zusätzlichen Zinslasten aus
der Vergangenheit ständig Budgetdefizite. Das ist ein wesentlicher Aspekt der Generationenungerechtig-
keit.

                          Primärüberschüsse seit 1970
                          in % des BIP
                      4
                                                                                                       Quelle: BMF (exkl. ÖBB Kapitalerhöhung und Schuldenreduktion im Jahr 2004 in der Höhe von 7,5 Mrd. Euro)

                      3
                                         Überschüsse
                      2

                      1

                     -0

                     -1

                     -2
                                                        Defizite
                     -3
                          1970
                          1972
                          1974
                          1976
                          1978
                          1980
                          1982
                          1984
                          1986
                          1988
                          1990
                          1992
                          1994
                          1996
                          1998
                          2000
                          2002
                          2004
                          2006
                          2008
                          2010

                                                                               Die Budgetsünden der Vergangenheit | 13
Die ganze Wahrheit

   Allerdings ist die Schuldenquote von aktuell 72,3 Prozent des BIP (2010) nicht die ganze Wahrheit. Wenn
   man die gesamten Schulden der ausgegliederten Einheiten wie ÖBB, ASFINAG, BIG, und der marktbe-
   stimmten Gemeindebetriebe (Infrastrukturbetriebe der Gemeinden, Gemeindeverbände, Wiener Wohnen)
   miteinrechnet, die trotz Revision noch immer nicht in der Staatsschuldenquote aufscheinen, für die jedoch
   die öffentliche Hand haftet, dann beträgt die Schuldenquote im Jahr 2010 bereits 87 Prozent.1

   Ausgliederung in zwei Wellen

   Die erste Ausgliederungswelle erfolgte 1994, als die gesamten Schulden der ÖBB aus den Bundesschulden
   ausgegliedert wurden. Die zweite Welle erfolgte im Zuge des Euro-Beitritts. Um die Maastricht-Kriterien
   zum Euro-Beitritt zu erreichen, hat Österreich ab 1997 noch einmal massiv Schulden aus dem Sektor Staat
   ausgelagert. Das ist besonders gut an dem Vergleich der Wertschöpfungsquoten des Sektors Staat bei den
   damaligen Euro-Beitrittsländern zu erkennen (Anteil der Wertschöpfung des Sektors Staat an der gesamten
   Wertschöpfung). Diese Praxis war in Österreich besonders ausgeprägt, wie die folgende Graphik veran-
   schaulicht. In Österreich ist die Quote im Jahr 1997 drastischer gesunken als bei allen anderen damaligen
   Euro-Kandidaten, weil die ASFINAG, zahlreiche Gemeindebetriebe (in den Bereichen der Wasser-, Abwas-
   ser-, und Müllversorgung und Wohnbauten) und die Krankenanstalten-Betriebsgesellschaften vom „Sektor
   Staat“ und somit von den Staatsschulden ausgegliedert wurden.

                       STAATLICHE BUDGETAUSGLIEDERUNGEN 1995 - 2000
                       (Wertschöpfungsquote des Sektors Staat)

                20
                                                                                                                                                  Dänemark

                 17                                                                                                                               Portugal
                                                                                                                                                  Frankreich
                                                                                                                                                  Finnland

                 14
                                                                                                                                                  Belgien
                                                                                                                                                  Niederlande Italien
                                                                                                                                                  Vereinigtes Königreich
                                                                                                                                                  Österreich
                  11
                                                                                                                                                  Deutschland

                                                                                                                                                  Irland
                   8
                                                                                                                                                           Quelle: Eurostat

                  5            1995                  1996                  1997                  1998                 1999                  2000

   1) Die einzigen ausgegliederten Schulden, die abgebaut werden konnten, waren jene der ÖIAG. Durch die erfolgreichen Privatisierungen seit 1995 konnte der Schuldenstand der
      ÖIAG von bis zu 7 Mrd. Euro bis 2005 auf Null gesenkt werden.

14 | Die ganze Wahrheit
Exkurs: Revision der Staatsschuldenzahlen durch Eurostat vom März 2011

Die aufgrund der neuen, strengeren Regeln der EU-Statistikbehörde Eurostat notwendig gewordene
Anpassung der Staatsschuldenberechnung2 im März 2011 umfasst bei weitem nicht alle ausgegliederten
Staatsschulden. Die Schulden der ÖBB werden erst ab dem Jahr 2007 zu 70 Prozent den Staatsschulden
zugerechnet, da sich der Staat erst 2007 explizit dazu verpflichtet hat, die aufgenommenen Schulden der
ÖBB für Infrastrukturinvestitionen über die gesamte Laufzeit zu zumindest 70 Prozent zu übernehmen.
Hier hätte man konsequenterweise auch die gesamten Verbindlichkeiten aus der Zeit vor 2007 dem Staat
zurechnen müssen. Mit der gänzlichen Anrechnung von dann rund 24 Mrd. Euro Gesamtschulden der ÖBB
ist mit der ESVG-Revision im Jahr 2013 zu rechnen. Weiters wurden im März 2011 die Verbindlichkeiten der
Landes-Krankenanstalten dem Staatsschuldenstand zugerechnet. Bisher sind zwar immer schon jene staat-
lichen Förderungen, die direkt an die Krankenanstalten gegangen sind, defizitwirksam geworden, nicht aber
jene Beträge, die sie selbst als Schulden aufgenommen hatten. Inklusive eines Teils der Schulden der „Bad
Bank“ der Kommunalkredit (KA Finanz) und der Wohnbau Burgenland GmbH wurden im März 2011 knapp
9,5 Mrd. Euro an Schulden der ausgegliederten Einheiten des Staates den Staatsschulden zugeführt. Das hat
die Staatsschuldenquote im Jahr 2010 von 68,5 Prozent auf 72,3 Prozent des BIP erhöht. Außer in Öster-
reich musste EU-weit nur in Portugal und dem Vereinigten Königreich der Schuldenstand durch Eurostat
nennenswert neu angepasst werden.

Nach der Staatsschulden-Revision sinkt die Schuldenquote der ausgegliederten Einheiten von 17,5 Prozent
des BIP im Jahr 2010 auf 14,8 Prozent des BIP.3

                                  FINANZVERBINDLICHKEITEN VON AUSGEGLIEDERTEN
                                  ÖFFENTLICHEN UNTERNEHMEN
                                  nach Eurostat-Revision im März 2011 (in % des BIP)
                             18                                                                                                                                                                   Gemeindebetriebe*
                                                                                                                                                                                                  BIG
                             16                                                                      14,8                                                                                         ÖBB
                                                                                13,7          14,3                                                                                                ASFINAG
                             14                13,2

                             12
                                                                                                            Quelle: Budgetbericht 2011 (Tab.21), Staatsschuldenbericht 2009, Statistik Austria
              in % des BIP

                             10
                             8
                             6
                             4
                             2
                             0
                                           2007                               2008       2009        2010
                                  * für 2010 extrapolierte Werte der Jahre 2007-2009

2) Im Herbst 2010 veröffentlichte Eurostat-Handbuch "Manual on Government Deficit and Debt"
3) Diese 3,4 Prozentpunkte des BIP erhöhen die Staatsschuldenquote um den gleichen Betrag.

                                                                                                                                                                                                 Die ganze Wahrheit | 15
Somit wurden weniger als ein Viertel (23 Prozent) aller ausgegliederten Einheiten wieder in das Budget
  zurück überführt. Im Zuge einer kompletten Revision der sogenannten „ESVG-Regeln“ durch Eurostat im
  Jahr 2014 könnten die gesamten ÖBB-Schulden von derzeit rund 20 Mrd. Euro den Staatsschulden zuge-
  rechnet werden. Dabei werden diese laut Prognose bis dahin schon auf 24 Mrd. Euro angewachsen sein. Die
  restlichen „Schattenhaushalte“ umfassen die Schulden der ASFINAG (Straßenbaugesellschaft des Bundes)
  in der Höhe von derzeit 12 Mrd. Euro, der BIG (Bundesimmobiliengesellschaft) in der Höhe von 3,6 Mrd.
  Euro und der ausgegliederten Gemeindebetriebe in der Höhe von 12,5 Mrd. Euro (2009).

  Was die Gemeinden betrifft, kann derzeit die Politik nicht einmal ausschließen, dass es weitere ausgelager-
  te Verbindlichkeiten gibt, die versteckt die öffentlichen Finanzen belasten.4 Dieses Problem der Intranspa-
  renz bei Länder- und Gemeindeschulden muss gelöst werden, etwa indem die Aufnahme von Verbindlich-
  keiten in Länder- und Gemeindebetrieben an die Statistik Austria gemeldet werden muss.

  Österreichs Staatsschulden im internationalen Vergleich

  Die Verschuldung vieler Staaten ist seit einigen Jahrzehnten ein schwelender wirtschaftspolitischer Brand-
  herd, der durch die Wirtschaftskrise, die staatlichen Konjunkturbelebungsmaßnahmen und die steigende
  Risikoaversion der Finanzmärkte zu einem akuten Feuer ausgebrochen ist. Hohe Staatsverschuldungen sind
  dunkle Wolken am Konjunkturhimmel und ein Damokles-Schwert über den drohenden Ausgaben für Alter,
  Pflege und Gesundheit, die uns durch die demographische Entwicklung vor allem in Europa bevorstehen.

  Inklusive der ausgegliederten Einheiten hat Österreich die sechsthöchste Schuldenquote der EU. Schlech-
  ter als Österreich schneiden nur die Problemfälle Griechenland, Belgien, Irland, Italien und Portugal ab.
  Selbst andere „Problemkandidaten“ wie Spanien und Ungarn liegen deutlich besser als Österreich. Welt-
  weit weisen nur noch Japan, die USA und Island eine höhere Schuldenquote auf.

                                   Staatsschuldenquote der EU-Mitgliedstaaten
                                   in % des BIP (2010)

                           150
                                                                                                                     2010
                                                                                                                     Vorkrisenniveau (2007)
                           120

                             90                                                inkl. Ausgliederungen

                             60

                             30
                                                                                                                                                    Quelle: Eurostat

                               0
                                   Griechenland
                                           Italien
                                         Belgien
                                            Irland
                                        Portugal
                                    Deutschland
                                      Frankreich
                                          Ungarn
                                             EU 27
                                                UK
                                      Österreich
                                            Malta
                                    Niederlande
                                          Zypern
                                         Spanien
                                            Polen
                                        Finnland
                                         Lettland
                                      Dänemark
                                       Slowakei
                                      Schweden
                                     Tschechien
                                          Litauen
                                      Slowenien
                                      Rumänien
                                     Luxemburg
                                       Bulgarien
                                          Estland

   4) So haben zum Beispiel 47 Gemeinden in Vorarlberg Immobilien-Gesellschaften ausgelagert, die in dieser Quote nicht aufscheinen. Im Durchschnitt betragen die
      Verbindlichkeiten dieser Gesellschaften nach Angaben der Kontrollabteilung des Landes 3,2 Mio. Euro.

16 | Österreichs Staatsschulden im internationalen Vergleich
Eine zu hohe Staatsschuldenquote hat negative Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum. Der Harvard-
Professor und ehemalige Chefökonom des IWF, Kenneth Rogoff, hat in einer ausführlichen Untersuchung
über 3.700 jährliche Entwicklungen von 44 Ländern über die Zeitdauer von 200 Jahren untersucht und
kommt zu einer klaren Schlussfolgerung5: Solange die Staatsverschuldung noch unter einem Verhältnis
von 90 Prozent des BIP liegt, besteht für das Wirtschaftswachstum wenig Gefahr. Liegt die Verschuldung
allerdings höher, fällt das Wachstum im Durchschnitt um ein Prozent geringer aus. Dieselbe Beobachtung
lässt sich sowohl für entwickelte wie aufstrebende Volkswirtschaften machen.6 Die Wirtschaftskrise hat
viele Staaten an diese kritische Schuldengrenze gebracht oder diese sogar überschreiten lassen. Inklusive
der ausgegliederten Budgeteinheiten wird Österreich diese Schwelle bereits 2012 erreichen.

Kosten und Nutzen von Staatsschulden

Ökonomisch betrachtet sind Staatsschulden dann gerechtfertigt, wenn damit entweder eine Konjunktur-
stabilisierung (Keynesianischer Ansatz) hervorgerufen wird, oder ein Lastenausgleich zwischen den Ge-
nerationen ermöglicht wird. Was kurzfristige Wirkungen anbelangt, so ist die Konjunkturstabilisierung
das Hauptargument für eine Defizitfinanzierung des Staates. Eine antizyklische Fiskalpolitik kann durch
das Wirkenlassen der „automatischen Stabilisatoren“ (z.B. höhere Arbeitslosenkosten bei Konjunkturab-
schwung) Wirtschaftsschwankungen reduzieren.7

Aus längerfristiger Perspektive ist eine Verschuldung des Staates dann gerechtfertigt, wenn die Kredite
für investive Zwecke oder wachstumswirksame Ausgaben verwendet werden („Golden Rule“). Da zukünf-
tige Generationen von den öffentlichen Investitionen profitieren, sollten sie an den Finanzierungslasten
gleichfalls beteiligt werden („intertemporale Äquivalenz“). Das geschieht dann, wenn sie mit ihren zukünf-
tigen Steuerleistungen die öffentlichen Investitionen von heute mitfinanzieren („Schulden von heute sind
Steuern von morgen“). Dabei wird aber unterstellt, dass Investitionen auch direkte und zumindest indirekte
zusätzliche Erträge abwerfen, mit denen die zusätzlichen Schulden finanziert werden können.

Die Empirie zeigt, dass die realpolitische Anwendung des Keynesianismus versagt hat. Seine Bedingung,
dass in „guten Zeiten“ Überschüsse erwirtschaftet werden, um die Schulden abzubauen, hat in der österrei-
chischen politischen Realität niemals Einzug gefunden. Nach 40 Jahren Schuldenaufbau in Österreich kann
man getrost feststellen, dass das zusätzlich angepeilte Wachstum nicht ausgereicht hat, um die Schulden
zu finanzieren. Die Schulden stiegen seit den 70er Jahren schneller als das Wachstum, was sich in einer
steigenden Schuldenquote äußert. Das liegt daran, dass die Wachstumsaussichten zu hoch eingeschätzt, der
Zinseszinseffekt nicht mit einberechnet und die Empirie der österreichischen Realpolitik verkannt wurde.
Sie bestätigt nämlich, dass „sich eher ein Hund einen Wurstvorrat anlegt als eine demokratische Regierung
eine Budgetreserve.“8

5) C. Reinhart; K. Rogoff “Growth in a Time of Debt”; Harvard University, NBER Working Paper No. 15639; 2010
6) Der Grund: Ab einer sehr hohen Verschuldung beginnen die Geldgeber auf den Kapitalmärkten daran zu zweifeln, dass Staaten ihre Schulden problemlos begleichen können.
   Die Investoren verlangen dann eine deutlich höhere Risikoprämie, was die Zinsen in die Höhe treibt. Das wiederum würgt die Investitionen ab und verteuert die Schuldenlast
   weiter. Ein Teufelskreislauf beginnt. Selbst wenn die Regierungen dann alles tun, um die Staatsausgaben zu drosseln, bremst dies die Wirtschaft weiter.
7) Diese automatischen Stabilisatoren sollten aber nicht mit einer zusätzlichen bewussten „diskretionären“ Ausgabenpolitik verwechselt werden. Diskretionäre Maßnahmen
   bei Konjunkturkrisen beeinflussen oft nur die Erwartungen der Wirtschaftssubjekte negativ und verhindern private Investitionen („Crowding-Out“). Außerdem haben sie
   beträchtliche Wirkungsverzögerungen („Time-Lags“) weil bei ihrer Implementierung die tatsächlichen konjunkturellen Wendepunkte nicht bestimmbar sind. Außerdem soll
   eine antizyklische Fiskalpolitik symmetrisch ausgerichtet sein und bei guter Konjunkturlage Budgetüberschüsse generieren.
8) Das Zitat ist angeblich auf Josef Schumpeter als österreichischer Finanzminister zurückzuführen.

                                                                                                                       Kosten und Nutzen von Staatsschulden | 17
Heute kann man die Kreisky-These, mit Staatsschulden die Arbeitslosigkeit nachhaltig senken zu können,
   als überholt betrachten. Die großzügige Schuldenpolitik konnte, rückblickend betrachtet, die Arbeitslosig-
   keit keinesfalls verringern (sh. Graphik). Zurückgeblieben ist lediglich ein Schuldenberg, der heute unseren
   Ausgabenspielraum für die demographische Herausforderung deutlich einschränkt.

   „Mir bereiten ein paar Milliarden Staatsschulden weniger
   schlaflose Nächte als ein paar hunderttausend Arbeitslose.“
     								                                                     Bruno Kreisky

                          Die Versprechungen der Schuldenpolitik
                Schuldenquote in % des BIP                                  Arbeitslosenquote in % der unselbstständig Beschäftigten*

                    80                                                                                                 8
                                                                                           Arbeitslosenquote

                    70                                                                                                 7

                    60                                                                                                 6
                                                                  Schuldenquote
                    50                                                                                                 5

                    40                                                                                                 4

                    30                                                                                                 3

                    20                                                                                                 2

                     10                                                                                                1
                                                                                                                           Quelle: WIFO

                      0                                                                                                0
                          1970

                                     1975

                                             1980

                                                    1985

                                                           1990

                                                                     1995

                                                                                    2000

                                                                                                  2005

                                                                                                               2010

                                                                                                *nationale Definition

   Ein weiterer Aspekt, mit dem in der Vergangenheit oft die Begebung von Staatsanleihen gerechtfertigt
   wurde, ist die Finanzierung der privaten Haushalte mit sicheren Zinserträgen. Noch Anfang der 90er Jahre
   wurde argumentiert, dass die privaten Haushalte als Gläubiger von den Staatsanleihen profierten. Die Ent-
   wicklung der Gläubigerstruktur der Staatsschulden spricht jedoch auch hier eine eindeutige Sprache: Waren
   1995 erst 30 Prozent der Staatsschulden in ausländischem Besitz, sind es heute bereits knapp 80 Prozent.
   Verglichen mit den anderen EU-Mitgliedstaaten hat nur Finnland einen noch höheren Anteil an Staats-
   schulden in ausländischem Besitz.

18 | Eine Kosten / Nutzenanalyse
Das bedeutet zwar, dass die Internationalisierung der Finanzmärkte dem Staat die Möglichkeit gegeben
hat, sich effizient und kostengünstiger zu Refinanzierung und Anleihen auf den globalen Finanzmärkten
zu platzieren. Es bedeutet aber auch, dass die alte Rechtfertigung für Staatsschulden, die Bürger profi-
tieren als Gläubiger von den sicheren Zinsen des Staates, heute nicht mehr zählt. Heute fließen mit den
Zinszahlungen der Staatsschulden jährlich bereits über 6 Mrd. Euro an volkswirtschaftlicher Rendite über
die Einkommensbilanz (eine Teilbilanz der Leistungsbilanz) ins Ausland. Das bedeutet, die Volkwirtschaft
muss um 6 Mrd. Euro mehr exportieren oder um 6 Mrd. Euro an Mehrerträgen aus Auslandsbeteiligungen
der Unternehmen erwirtschaften, um diesen Abfluss wieder zu kompensieren.9

                            Gläubigerstruktur der Staatsverschuldung
                            Staatsschulden in ausländischem Besitz (in % der gesamten Finanzverbindlichkeiten des Staates)
                      90

                      80
                                                                                                                                      78%

                      70

                      60

                      50

                      40

                                                                                                                                             Quelle: Staatsschuldenausschuss
                             30%
                      30

                      20
                             1995
                                    1996
                                            1997
                                                   1998
                                                           1999
                                                                  2000
                                                                          2001
                                                                                 2002
                                                                                         2003
                                                                                                2004
                                                                                                        2005
                                                                                                               2006
                                                                                                                       2007
                                                                                                                              2008
                                                                                                                                      2009

Staatsschulden und Finanzmarktkrise

Neben den hohen Zinslasten der Staatsschulden, die Ausgabenspielräume des Staates für Zukunftsinvesti-
tionen (Wissensgesellschaft) oder Altersausgaben (demographische Entwicklung) deutlich verringern, hat
eine steigende Staatsverschuldung besonders in Zeiten der Finanzmarktkrise zusätzliche negative Effekte
auf die Volkswirtschaft. Durch die hohe Nachfrage des Staates nach Kapital wird die Kreditklemme bei den
Unternehmen weiter verschärft („crowding out“) und Investitionen unterbleiben. Bis in die 1990er-Jahre
dominierte in der Wissenschaft die Vermutung, dass Staatsschulden langfristig positive Auswirkungen auf
das Wachstum haben, und dass man im Zuge von Konsolidierungen mit negativen gesamtwirtschaftlichen
Nachfrageeffekten rechnen muss – den sogenannten „Keynesianischen Effekt“. Aber seit Beginn der 1990er
erkennt die moderne Makroökonomie an, dass im Rahmen von Budgetkonsolidierungen Wachstumsver-
luste nicht nur vermieden werden, sondern dass sogar expansive Effekte induziert werden könnten – soge-
nannte „nicht-keynesianische Effekte“.

9) Eine ähnliche Neubewertung der Kosten-Nutzen-Analyse muss übrigens im Pensionssystem vorgenommen werden. Hier wird ein Problembereich vernachlässigt, der immer
   mehr an Bedeutung gewinnt: Schon derzeit hat eine nicht unerhebliche Zahl von Pensionisten, nämlich rund 12 Prozent aller Leistungsempfänger der gesetzlichen Pensions-
   versicherung, einen Wohnsitz im Ausland. Damit fließt ein immer größerer Teil der Pensionsverpflichtungen des Staates ins Ausland (derzeit rund 700 Mio. Euro) und erhöht
   dort die Nachfrage und nicht mehr in Österreich.

                                                                                                                        Staatsschulden und Finanzmarktkrise | 19
Diese positiven Wachstumseffekte sind sowohl angebotsseitig als auch nachfrageseitig. Eine nachhaltige
   Konsolidierung stärkt erstens die Wettbewerbsfähigkeit und damit die Dynamik für mehr Wachstum, und
   zweitens erwarten die Haushalte bei einer glaubwürdigen Konsolidierungspolitik eine geringe zukünftige
   steuerliche Belastung, was wiederum nachhaltige Nachfrageeffekte schafft. Die EZB hat kürzlich nachge-
   wiesen, dass eine höhere Staatsverschuldung stets mit einer höheren privaten Sparquote, also einer gerin-
   geren Investitions- und Konsumdynamik einhergeht.10 Das bedeutet: nicht mehr Schulden, sondern weniger
   Schulden schaffen dauerhaft Nachfrage und damit einen nachhaltigen Ausstieg aus der Krise. Zusätzliche
   Schulden schaffen nur ein kurzfristiges „Strohfeuer“, dessen Löschung noch länger dauern wird. Wachs-
   tumsdämpfend hingegen würde ein Auslassen der Konsolidierungsbemühungen wirken. Dann würden die
   Investoren ihre Unsicherheit für längere Zeit nicht ablegen und wären damit weniger investitionsfreudig.

   Die Lehren aus dem „New Deal“

   Jene, die einen „New Deal“ für Europa nach dem Vorbild der USA in den 30er Jahren zur Überwindung der
   „Great Depression“ fordern, vergessen, dass wir uns in Europa bereits seit Mitte der 70er Jahre in einem
   Dauerzustand des „New Deals“ befinden und ständig unser sinkendes strukturelles Wachstumspotenzial
   mit einer keynesianischen Schuldenpolitik zu übertünchen versuchen – selbst in Konjunkturhochphasen.
   Sie vergessen aber auch, dass der damalige „New Deal“ in den USA alles andere als erfolgreich war. Nach
   einigen Jahren scheinbarer, durch öffentliche Ausgaben getragener, Erholung waren in den 30er Jahren
   die privaten Investitionen so niedrig wie in keinem anderen Jahrzehnt, seit darüber Statistik geführt wurde
   und die Wirtschaft 1937 stärker eingebrochen war als jemals zuvor. Der Grund: Die Unternehmen befürch-
   teten wegen der „New-Deal“-Politik (v.a. Mindestlöhne, Preiskontrollen, Spitzensteuersatz von über 75
   Prozent und öffentliche Investitions- und Beschäftigungsprogramme) Steuererhöhungen und Inflation und
   hielten sich deshalb mit privaten Investitionen zurück. In Umfragen glaubten damals nur mehr 7 Prozent
   der Amerikaner an eine Rückkehr zur freien Marktwirtschaft und fast 93 Prozent erwarteten eine weitere
   Einschränkung privatwirtschaftlichen Handelns. Die massiven und dauerhaften öffentlichen Investitionen
   verhinderten nachhaltige private Investitionen.11 Erst 1946 und in den folgenden Jahren erreichten die pri-
   vaten Investitionen durch eine glaubwürdige Abkehr der „New-Deal“-Politik ein Niveau, das wieder eine
   prosperierende Wirtschaft ermöglichte. Die Investitionsrate stieg von 5 Prozent im Jahr 1945 auf 14,7 Prozent
   in den Jahren 1946 und 1947 und schließlich auf 17,9 Prozent 1948.

   Anreize für private Investitionen und nicht die Schaffung dauerhafter öffentlicher Nachfrage sind der
   Schlüssel zur Überwindung von Wirtschaftskrisen. Private Investitionen lassen sich aber nicht durch die
   Politik verordnen, sondern werden nur dann getätigt, wenn die Politik glaubwürdige und nachhaltig wachs-
   tumsfreundliche Rahmenbedingungen in Aussicht stellt. Nun gilt es die privaten Investitionen, die im
   Krisenjahr 2009 real um 12,7 Prozent ausmachten wieder dauerhaft zu steigern, damit sie die Grundlage für
   einen selbstragenden Aufschwung bilden können.

   10) C. Nickel; I. Vansteenkiste: „Fiscal policies, the current account and Ricardian equivalence”; ECB-Working paper 935; September 2008
   11) Roosevelt war im übrigen über die geringen privaten Investitionen so erbost, dass er das FBI anwies, nach einer möglichen kriminellen Verschwörung der Unternehmen gegen
       die Regierung zu ermitteln, was – wenig überraschend – keine Ergebnisse zu Tage förderte. Siehe: Robert Higgs: „Depression, War and Cold War“; Oxford University Press,
       2006

20 | Staatsschulden und Finanzmarktkrise
Ausgaben für die lokale Polizei und das Feuerwehrwesen sAowie verschiedene andere Gemeinde-
dienstleistungen.

      Wo gibt es die gröSSte
      Ausgabendynamik?
      Die Staatsausgaben haben sich in den vergangenen Jahrzehnten schwerpunktmäßig von Inves-
      titionsausgaben in Richtung Konsumausgaben entwickelt. Die demographische Entwicklung
      in Österreich wird die öffentlichen Finanzen vor große Herausforderungen stellen. Der Föde-
      ralismus hat sich als nicht unwesentlicher Treiber der Schuldendynamik herauskristallisiert.
      Zusätzliche Herausforderungen bringen auch Umweltausgaben.
Die Ausgaben des Staates (Bund, Länder und Gemeinden) haben sich in den vergangen Jahrzehnten stark
   zugunsten der Sozialtransfers und zuungunsten der Investitionen entwickelt. Die öffentlichen Ausgaben
   für Investitionen sind inklusive der Beiträge der ausgegliederten Einheiten wie ÖBB, ASFINAG, BIG und
   Gemeindebetriebe in den vergangenen 35 Jahren um über 2 Prozentpunkte des BIP zurückgegangen (von
   4,8 Prozent im Jahr 1976 auf 2,7 Prozent im Jahr 2009) und haben sich damit fast halbiert. Im Gegensatz dazu
   sind die Ausgaben für Transfers im gleichen Zeitraum um fast 9 Prozentpunkte des BIP (von 24,8 Prozent
   im Jahr 1976 auf 33,6 Prozent im Jahr 2009) gestiegen. Die Staatsausgaben haben sich also schrittweise
   von investiven, produktiven Ausgaben (sogenannten „Zukunftsausgaben“) schwerpunktmäßig in Richtung
   unproduktiver Umverteilungsausgaben entwickelt.12

                                         Veränderung der Staatsausgaben
                                         (in Prozentpunkten des BIP, indexiert 1976=0)
                                   10
                                                                                                                               Transfers

                                     5

                                     0
                                                                                                         Investitionen

                                                                                                                                                         Quelle: WIFO, Statistik Austria
                                   -5
                                             1976

                                                           1980

                                                                         1985

                                                                                       1990

                                                                                                      1995

                                                                                                                    2000

                                                                                                                                  2005

                                                                                                                                                2009

                         KONSUMIEREN ?                                                                                              INVESTIEREN ?

                                                                                        oder

   12) Dementsprechend besorgniserregend ist das Bild heute: Österreich verfügt heute über den viertniedrigsten Anteil an produktiven Staatsausgaben (Infrastruktur, Bildung,
       Forschung) von über 30 OECD-Ländern. Nur 14,4 Prozent der gesamten Staatsausgaben gehen heute in diese Zukunftsbereiche. Spitzenreiter Südkorea liegt bei 33 Prozent, die
       USA bei 23 Prozent (WIFO, Pitlik 2008).

22 | Die dynamische Entwicklung
Eine Trendumkehr ist nicht abzusehen, und die großen Ausgabendynamiken werden sich, ceteris paribus,
leider auch in Zukunft in den unproduktiven Bereichen abspielen. Bei den Ausgabenzuwächsen des Staates
im Durchschnitt der vergangenen 10 Jahre übertrafen die Bereiche Sachtransfers (v.a. Gesundheitswesen)
und Subventionen (v.a. öffentliche Unternehmen wie ÖBB) mit je 5 Prozent sogar das nominelle Trend-BIP-
Wachstum von etwa 4 Prozent (2 Prozent reales Potenzialwachstum und 2 Prozent Inflation).13 In Zukunft
werden uns zusätzlich dazu noch drei große Ausgabenblöcke vor Herausforderungen stellen: Die Alters-
ausgaben („Ageing“), der Föderalismus und die Umweltausgaben.

Ausgaben für „ALterung“

Durch sich verändernde Bevölkerungsstrukturen werden die öffentlichen Finanzen vor große Heraus-
forderungen gestellt. Eine geringere Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter (durch geringeres Arbeits-
kräfteangebot) führt einerseits langfristig zu einem geringeren potenziellen Wirtschaftswachstum als
heute. Laut Projektionen des Ageing-Reports der EU-Kommission aus dem Jahr 200914 wird das potenzielle
BIP-Wachstum in Österreich von 2,2 Prozent im Jahr 2007 auf 1,5 Prozent (real) im Jahr 2060 zurückgehen
(derselbe Trend wie in den EU27). Andererseits belastet eine fortschreitende Alterung der Bevölkerung die
öffentlichen Finanzen, indem Druck auf altersabhängige Ausgabenkategorien entsteht. Kommt heute noch
eine 65+jährige Person auf vier Personen im erwerbsfähigen Alter (15-64 Jahre), sind es 2060 nur noch zwei
Personen im erwerbsfähigen Alter, die auf eine 65+jährige Person kommen. Diese Dynamik bringt langfris-
tig höhere öffentlichen Ausgaben für Pensionen, Gesundheit und Pflege.

Szenario „Null-Migration“

Nachdem die Projektion der Ausgaben bis 2060 Unsicherheiten unterliegt, werden für alle Kategorien
(außer Arbeitslosenbeihilfen) neben den Basisszenarien (dies sind die wahrscheinlichsten) zusätzliche
Szenarien mit sich ändernden Annahmen gerechnet – so genannte Sensibilitätsanalysen. Bei den Pensions-
ausgaben für Österreich bringt beispielsweise die Annahme einer Null-Migration die größte Veränderung
im Vergleich zum Basisszenario. Der somit angenommen Wegfall potenzieller Arbeitskräfte belastet die
Pensionsausgaben im Jahr 2060 um +5,3 Prozentpunkte des BIP mehr.

In ihrem Basisszenario geht der Ageing-Report der EU-Kommission von der optimistischen Annahme aus,
dass die Immigration bis 2030 auf dem Niveau von 30.000 bis 35.000 (Netto-)Einwanderern pro Jahr verhar-
ren wird. Erst zwischen 2030 und 2035 wird ein Rückgang auf unter 30.000 projiziert. Österreich würde über
den gesamten Zeitraum eine deutlich höhere Immigrationsquote verzeichnen als Deutschland, Großbritan-
nien, Frankreich, Belgien, die Niederlande oder die skandinavischen Länder. Die Sensitivitätsanalyse des
Ageing-Report zeigt, dass Immigration ein ganz wesentlicher Faktor der relativ günstigen Projektion der
Pensionskosten in Österreich wäre.

13) Die Europäische Kommission präsentierte 2009 zum dritten Mal (seit 2001) eine Aktualisierung der Langfristprojektionen altersabhängiger öffentlicher Ausgaben in der
    gesamten EU und Norwegen. Dabei werden auf Basis von neuesten Demographieprojektionen von Eurostat (EUROPOP2008) und gemeinsamer Annahmen und Methodo-
    logien die langfristigen Effekte der Bevölkerungsalterung auf die Ausgabenkategorien Pensionen, Gesundheit, Pflege, Bildung und Arbeitslosenbeihilfen berechnet (unter
    no-policy-change Annahmen). Die Projektionen altersabhängiger Ausgaben in der EU sollen die Basis bilden, die wirtschaftlichen und budgetären Herausforderungen durch
    die Bevölkerungsalterung und dem daraus resultierenden potenziellen Reformbedarf in den Sozialsystemen aufzuzeigen.
14) Die Bevölkerung 0-24 nimmt um 7 Prozent ab.

                                                                                                                                        Ausgaben für „Alterung“ | 23
Die höchsten Ausgaben der altersabhängigen Ausgabenkategorien sind im Bereich Pensionen zu verzeich-
   nen.15 Das Ausgangsniveau der Pensionsausgaben in Prozent des BIP in Österreich ist nach Italien und
   Frankreich das dritthöchste der EU. Zwar ist die Ausgabendynamik bis 2060 laut EU-Kommission in Öster-
   reich (+1,3 Prozentpunkte des BIP) viel verhaltener als im EU-Durchschnitt (+2,2 Prozentpunkte des BIP),
   was insbesondere auf die Pensionsreformen der letzten Jahre in Österreich zurückzuführen ist, doch sind
   bei den Berechnungen noch nicht die jüngste Verlängerung der „Hacklerregelung“ über das Jahr 2010 hin-
   aus und auch nicht die Auswirkungen der Krise mit einbezogen. Außerdem wird in dem Ageing-Report die
   österreichische politische Praxis zum Teil schwer verkannt. Das ist daran zu erkennen, dass mit der Kür-
   zung der „benefit ratio“ (Höhe der durchschnittlichen Pension gemessen am durchschnittlichen Erwerbs-
   einkommen) von aktuell 54,2 Prozent auf 38,5 Prozent (2060) eine sehr unrealistische Annahme getroffen
   wurde. Sie ist signifikant stärker als im Durchschnitt der EU15 und geht davon aus, dass die Pensionen, wie
   gesetzlich verankert, nur mit dem VPI angepasst werden.16 Nach den jüngsten Erfahrungen mit Nachbesse-
   rungen ist dies in Zweifel zu ziehen. Ohne diesen „benefit-ratio-effect“ würden die Pensionsausgaben im
   Jahr 2060 laut Ageing-Report um 4,9 Prozentpunkte des BIP höher liegen und nicht nur um 1,3 Prozentpunk-
   te. Daher sollte bei der Berechnung der Langfrist-Prognose der Pensionsausgaben der Bericht der Pensions-
   sicherungskommission vom September 2010 herangezogen werden.

   Die drei Ageing-Ausgabenbereiche

   PENSIONEN
   Laut Bericht der Pensionssicherungskommission vom September 2010 steigen die gesamten Pensionsausga-
   ben (inkl. Beamtenpensionen und Ausgleichszulagen) um ganze 3,4 Prozentpunkte des BIP von 11,4 Prozent
   des BIP im Jahr 2010 auf 14,8 Prozent im Jahr 2050.

   GESUNDHEIT
   Bei den öffentlichen Ausgaben für Gesundheit hat die Rating-Agentur Standard & Poor’s17 zusätzlich zu den
   demographiebedingten Mehrausgaben der EU-Kommission noch die nicht-demographischen Elemente der
   Kostensteigerungen berücksichtigt (technischer Fortschritt, medizinische Versorgung), die Hauptmotor der
   Kostenentwicklung in der Vergangenheit waren. Dadurch ergibt sich ein wesentlich realitätsnäheres Bild
   als im EU-Kommissionsbericht, und die öffentlichen Gesundheitsausgaben steigen um über 80 Prozent von
   6,9 Prozent des BIP im Jahr 2010 auf 12,6 Prozent des BIP im Jahr 2050.

   PFLEGE
   Bei der Pflege (Long-Term-Care) steigen die öffentlichen Ausgaben laut EU-Kommission bis 2050 sogar um
   über 85 Prozent (oder um 1,1 Prozentpunkte) von derzeit 1,4 Prozent des BIP auf 2,4 Prozent des BIP im Jahr
   2050. Das WIFO rechnet alleine bei den öffentlichen Sachleistungen für Pflege mit einer Verdreifachung von
   0,5 Prozent auf 1,5 Prozent des BIP bis 2030.

   Insgesamt steigen die öffentlichen Ausgaben für Pensionen, Gesundheit und Pflege somit von derzeit 19,6
   Prozent des BIP auf insgesamt 29,3 Prozent des BIP im Jahr 2050 um ganze 9,7 Prozentpunkte des BIP. Das
   ergäbe zu heutigen Preisen einen Mehraufwand von knapp 27 Mrd. Euro (!).

   15) Dieser Bereich reagiert durch das in Österreich vorherrschende Umlageverfahren (die heutigen Beiträge der Pflichtversicherten werden für die heutigen Pensionsansprüche
       der Leistungsbezieher verwendet) besonders sensibel auf die Alterung der Bevölkerung.
   16) Dies war die Absicht der Pensionsreform 2005, die für die Pensionen sinnvoller Weise nur den Teuerungsausgleich sicherstellen wollte, nicht aber einen Anteil der
       Pensionisten an Produktivitäts- und Realeinkommenssteigerungen der Volkswirtschaft.
   17) Global Ageing Report 2010

24 | Ausgaben für „Alterung“
Langfristprojektionen der staatlichen Altersausgaben
                               in Österreich
                               (% des BIP)
                         35
                                                                                                                             29,3%
                         30
                                                                                                                            Pflege

                        25

                                                                                                                                     Quelle: EU-Kommission 2009 (Pflege); Standard & Poor's 2010 (Gesundheit);
                               19,6%
                                                                                                                        Gesundheit
                        20

                         15

                                                                                                                                     Pensionssicherungskommission 2010 (Pensionen)
                         10                                                                    Investitionen

                                                                                                                        Pensionen
                          5

                          0
                              2010

                                               2015

                                                                 2020

                                                                                    2025

                                                                                                      2030

                                                                                                                 2040

                                                                                                                                 2050
Pensionen und Staatsschulden

Zwar ist in der ursprünglichen Konzeption des ASVG vorgesehen, dass die Ausgaben der Sozialversicherung
gemäß Versicherungsprinzip durch die Prämien, also die Beiträge der Beschäftigten gedeckt sein sollten18,
aber die gelebte österreichischen Praxis sieht anders aus. Die Einnahmen wachsen proportional mit dem
Wachstum der Lohnsumme, aber die Ausgaben entwickeln sich mit einer zusätzlichen dramatischen Dyna-
mik. Der Fehlbetrag muss mit Steuergeldern gefüllt werden. Die aktuellen Projektionen der Pensionssiche-
rungsreformkommission bestätigen dieses Bild für die Zukunft:

 Die Beitragseinnahmen der Pensionsversicherung (Einnahmen ohne Bundesmittel und Bundesbeitrag –
  also ohne Quersubventionen des Budgets) steigen minimal von aktuell 8,5 Prozent des BIP auf 8,7 Pro-
  zent des BIP im Jahr 2050.

 Bei der Krankenversicherung ist die Einnahmendynamik ident und bleibt damit bei rund 2,6 Prozent des
  BIP bis 2050.

 Bei den Pflegeausgaben gibt es derzeit überhaupt keine Versicherungseinnahmen, da es bis jetzt von der
  Politik verabsäumt wurde, eine nachhaltige Pflegeversicherung zu etablieren. Damit sind sämtliche Aus-
  gaben sofort budgetwirksam.

Gekoppelt mit der oben beschriebenen dramatischen Ausgabendynamik ergibt das folgendes Bild: Die Dif-
ferenz aus Ausgaben und Einnahmen der staatlichen Pensions- und Krankenversicherung, die mit Steuer-
geldern abgedeckt werden muss, explodiert damit von aktuell 8,5 Prozent des BIP auf 18 Prozent des BIP im
Jahr 2050. Das ergibt budgetäre Mehrkosten von 27 Mrd. Euro nach heutigen Wert. Alleine die

18) Mit der Ausnahme der volkswirtschaftlichen wichtigen Ersatzzeiten für z.B. Kindererziehung oder Wehrdienst

                                                                                                                               Ausgaben für „Alterung“ | 25
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