Raffael in Berlin Die Madonnen der Gemäldegalerie Die Meisterwerke aus dem Kupferstichkabinett
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Raffael in Berlin Die Madonnen der Gemäldegalerie Die Meisterwerke aus dem Kupferstichkabinett Für das Kupferstichkabinett – Staatliche Museen zu Berlin herausgegeben von Dagmar Korbacher
Inhalt 4 Vorwort Michael Eissenhauer 6 Vom Alten Museum zum Kulturforum Die Inszenierung der Raffael-Madonnen in Berlin (1830 – 2020) Alexandra Enzensberger 18 Raffael im Berliner Kupferstichkabinett Dagmar Korbacher 26 Eckdaten zu Raffaels Leben und seinen »Berliner« Werken 28 Katalog Georg Josef Dietz, Alexandra Enzensberger, Dagmar Korbacher, Luise Maul 60 Literaturverzeichnis 63 Bildnachweis · Impressum
Vorwort Zu Ehren Raffaels (Urbino 1483–1520 Rom) und anläss- Tapisserien des Bode-Museums« dokumentiert, in der lich seines 500. Todesjahrs widmen die Staatlichen Rotunde des Alten Museums und im »Raffael-Saal« des Museen zu Berlin dem großen Meister der italienischen Bode-Museums – dem heutigen »Gobelin-Saal«. Renaissance unter dem Titel »Raffael in Berlin« gleich Bei diesem großen Festreigen rund um das Raf- mehrere Ausstellungen am Kulturforum. Das Jubilä- fael-Jubiläum wurden wir auf vielfältige Weise unter- umsjahr 2020 gibt uns einen würdigen Anlass, die Ber- stützt. So wäre das Forschungsprojekt von Alexandra liner Sammlungsbestände neu zu betrachten, zu erfor- Enzensberger zu den Raffael-Tapisserien ohne die schen und unserem Publikum vorzustellen. Kooperation mit Gerhard Wolf und dem Kunsthistori- Die Gemäldegalerie zeigt mit »Raffael in Berlin. schen Institut in Florenz – Max-Planck-Institut nicht Die Madonnen der Gemäldegalerie« (13. Dezember möglich gewesen. Ebenso freue ich mich, dass wir ein 2019–26. April 2020) die fünf Madonnenbilder Raffaels weiteres Mal mit der Italienischen Botschaft in Berlin aus eigenem Bestand und setzt diese in Dialog mit kooperieren konnten. Mein Dank gilt hier vor allem bedeutenden Leihgaben aus der National Gallery in dem Botschafter S.E. Luigi Mattiolo sowie Francesco London – Raffaels Madonna of the Pinks – und dem Leone. Unsere Ausstellungen werden von einem wei- Berliner Kupferstichkabinett. Die Ausstellung ermög- terführenden und vertiefenden Vortragsprogramm licht eine anregende Auseinandersetzung mit Raffaels sowie einem Konzert mit Renaissancemusik berei- frühen Madonnendarstellungen. Zugleich stehen der chert, das in Zusammenarbeit mit dem Italienischen Raffael-Kult zu Beginn des 19. Jahrhunderts und seine Kulturinstitut in Berlin (Istituto Italiano di Cultura) Bedeutung für die Berliner Sammlungsgeschichte im erarbeitet und veranstaltet wird. Hierfür danke ich Fokus. Einen weiteren Blick auf die Raffael-Rezeption besonders Michela de Riso und Stefanie Hamm. des 19. Jahrhunderts bietet die Kabinettausstellung Mein größter Dank gilt meinen Kolleginnen und des Kupferstichkabinetts in der Gemäldegalerie. Sie Kollegen aus der Gemäldegalerie, dem Kupferstichka- zeigt »Das Leben Raffaels« (14. Januar–26. April 2020) binett und der Generaldirektion, die in enger Vernet- in einem zwölfteiligen Zyklus, der von Johannes Rie- zung die verschiedenen Ausstellungen sowie die penhausen zu großen Teilen im Jahr 1833 und somit zugehörigen Publikationen ersonnen und umgesetzt nach der Auffindung seiner Gebeine im Pantheon in haben; allen voran den beiden Kuratorinnen Alexan- Rom illustriert wurde. dra Enzensberger und Dagmar Korbacher, zudem vor Das Kupferstichkabinett präsentiert mit »Raffael allem Susanne Anger, Roberto Contini, Georg Josef in Berlin. Meisterwerke aus dem Kupferstichkabinett« Dietz, Maren Eichhorn-Johannsen, Ira Fröhlich, Svea (28. Februar–1. Juni 2020) rund 100 Werke der Zeichen- Janzen, Nuria Jetter, Henry Kaap, Carolin Marie kunst und der Druckgraphik, die Raffaels vielfältiges Kreutzfeldt, Teresa Laudert, Marika Mäder, Silvia künstlerisches Schaffen beleuchten. Das Zentrum Massa, Luise Maul, Anna Pfäfflin, Julie Rowlins, Ute dieser Ausstellung bildet eine erlesene Auswahl eigen- Stehr, Mara Weiß und Sigrid Wollmeiner. händiger Zeichnungen Raffaels, die in Berlin verwahrt Ich lade Sie ein, den Berliner Raffael in all seinen werden. Diese äußerst selten präsentierten Studien in Facetten zu entdecken – seine Meisterwerke in unse- unterschiedlichen Techniken zählen zu den Kostbarkei- ren Sammlungen und die Faszination, die er bis heute ten des Kupferstichkabinetts. Die Sonderausstellungen auf uns ausübt. der Gemäldegalerie und des Kupferstichkabinetts füh- ren vor Augen, welchen Reichtum die Sammlungen der Staatlichen Museen zu Berlin trotz ihrer Kriegsver- Michael Eissenhauer luste von neun hochbedeutenden Tapisserien nach Ent- Generaldirektor der Staatlichen Museen zu Berlin würfen Raffaels vorzuweisen haben. Sie hingen einst, Direktor der Gemäldegalerie und der Skulpturensammlung mit wie die Publikation »Apostel in Preußen. Die Raffael- Museum für Byzantinische Kunst 5
Alexandra Enzensberger Vom Alten Museum zum Kulturforum Die Inszenierung der Raffael-Madonnen in Berlin (1830 –2020) Einleitung: Raffael in der Gemäldegalerie Berlin für Raffael in Preußen muss aber vor allem auch als ein generationsübergreifendes dynastisches Projekt Die Raffael-Madonnen der Gemäldegalerie in Berlin von Vater und Sohn verstanden werden, von König erzählen einen Teil der bewegten Geschichte ihrer Friedrich Wilhelm III. und seinem Sohn Friedrich Sammlung. Wie gelangten diese Werke nach Berlin Wilhelm IV.4 Davon zeugt bis heute in Potsdam auch und warum wurden gleich fünf Madonnen-Bildnisse der Raffaelsaal in der Orangerie von Sanssouci – ein in der Gründungsphase des Museums erworben? Wel- Raffael-Gesamtkunstwerk –, in dem Friedrich Wil- che Form der Inszenierung wählte das Museum zu helm IV. die Sammlung seines Vaters mit Kopien verschiedenen Zeiten für diese Objekte und welche berühmter Werke Raffaels durch deutsche Künstler Botschaften und Blicke auf Raffael steckten in diesen des 19. Jahrhunderts ergänzte.5 Zahlreiche Gesandte Präsentationen? Jedem der Gemälde wohnt seine und Botschafter wurden in ganz Europa eingesetzt, eigene Geschichte inne und sie beginnt jeweils mit um möglichst viele Werke von Raffael für die königli- einer erfolgreichen Erwerbung. Zugleich erzählt der che Sammlung und das Berliner Museum zu kaufen.6 Bestand an Werken Raffaels aber auch für uns heute Die fünf Raffael-Madonnen wurden in einem Zeit- »unsichtbare Geschichten«: welche Werke wurden raum von 33 Jahren angekauft, vom ersten Ankauf vielleicht bewusst nicht erworben, welche Ankäufe 1821 (Madonna Solly) bis zum letzten Ankauf 1854 scheiterten und welche Kunstwerke sind heute nicht (Madonna Terranuova).7 mehr erhalten, weil sie im Zweiten Weltkrieg verloren Betrachten wir also die heute vorhandenen Werke gingen? (Abb. 1) Raffaels in der Gemäldegalerie, so könnte man Die Madonnen der Gemäldegalerie, die alle dem meinen, dass sich Berlin speziell nur für das Frühwerk Frühwerk Raffaels aus den Jahren 1500 bis 1508 zuzu- des Künstlers interessiert habe. Doch dem ist nicht so. ordnen sind, wurden in der ersten Hälfte des 19. Jahr- Der Eindruck entsteht vielmehr, weil die Madonnen hunderts erworben. Sie zeugen vom Kult um Raffael im Gegensatz zu anderen Werken noch erhalten sind. in der Romantik, als die italienische Malerei des 14. Eigentlich zählten auch bedeutsame Werke aus Raffa- und 15. Jahrhunderts wiederentdeckt wurde. Der els Hauptwerk zur Sammlung: die neun »Raffael-Ta- »göttliche Raffael« war im 19. Jahrhundert von jedem pisserien« (um 1540 in Brüssel gewoben), die 1844 aus Museum heiß begehrt und Berlin bildete keine Aus- London angekauft wurden und zunächst für rund 50 nahme. In ihrer programmatischen Denkschrift »Die Jahre in der Rotunde des Alten Museums präsentiert Aufgaben der Berliner Galerie« von 1828 erklärten wurden, bevor ein eigener Saal im Kaiser-Fried- Karl Friedrich Schinkel, der Architekt des ersten Berli- rich-Museum, dem heutigen Bode-Museum, für sie ner Museums und Gustav Friedrich Waagen, sein ers- geschaffen wurde (Abb. 2).8 Seit dem Zweiten Welt- ter Direktor, warum ein Museum eines oder besser, krieg zählen sie zu den Kriegsverlusten der Samm- gleich mehrere Werke Raffaels besitzen müsse:1 Raf- lung und es ist davon auszugehen, dass sie 1945 wahr- faels Kunst sei »würdige Nahrung und Gelegenheit zu scheinlich einem Brand im Flakbunker Friedrichshain immer feinerer Ausbildung«, sein Geist erfreue das zum Opfer fielen.9 Publikum, der Kunstsinn werde geweckt. Das berühmte Indem wir die Geschichten der Raffael-Madonnen Diktum von Schinkel zur Kunsterziehung lautete: »Erst betrachten und ihre verschiedenen Inszenierungen an erfreuen, dann belehren«.2 Und in der 1830 eröffneten den wechselnden Orten der Gemäldegalerie, sehen Gemäldegalerie im Königlichen Museum, dem heuti- wir zugleich, wie jede Zeit ihren ganz eigenen Blick gen Alten Museum, bediente die Kunst Raffaels gewis- auf Raffael gesucht und gefunden hat. Museale Insze- sermaßen genau diese Idee.3 Die Sammelleidenschaft nierung reflektiert stets das Bild, das sich eine Gesell- 6
1 Blick in die Ausstellung »Raffael in Berlin. Die Madonnen der Gemäldegalerie« (13. Dezember 2019– 26. April 2020), Fotografie: David von Becker 2 Der Raffael-Saal im Kaiser-Fried- rich-Museum (heute Bode-Museum) bei seiner Einrichtung und vor Eröff- nung 1904, in: SMB-ZA, V/Fotosamm- lung, 2.4/691 schaft von einem Künstler und seiner Kunst, aber Ankäufe der Raffael-Madonnen für die Gemäldegalerie auch immer zugleich von sich selbst macht.10 Insofern (1821–1854) bilden die fünf Inszenierungsgeschichten der Madon- nen jeweils einzelne museale Entscheidungen ab, doch Die Pläne für eine Gemäldegalerie in Berlin reichen sie reflektieren darüber hinaus auch sich wandelnde bis 1797 zurück, als der Archäologe Aloys Hirt zum Vorstellungen darüber, wie ein Museum Kunst zu ver- Geburtstag von König Friedrich Wilhelm II. in einem schiedenen Zeiten präsentiert. Wir wollen jetzt die Festvortrag ein Museum mit den erlesensten Kunst- zentralen Stationen der Raffael-Madonnen ab 1830 werken aus den königlichen Schlössern als Schule des betrachten, vom Königlichen Museum (heute Altes Geschmacks für die Nation visionierte.11 Um den Plan Museum) über das Kaiser-Friedrich-Museum (heute eines solchen Museums mit einem Überblick über die Bode-Museum) ab 1904, die Zäsur des Zweiten Welt- Geschichte der Kunst in die Tat umzusetzen, mussten kriegs samt Auslagerung der Objekte in den Flakbunker viele neue Gemälde angekauft werden.12 Mit dem Friedrichshain, später ins Bergwerk Kaiseroda-Mer- Ankauf der Sammlung Giustiniani 1815 gelang ein ers- kers in Thüringen und zuletzt in den von der amerika- ter großer Coup, allerdings fehlten in dieser Gemälde- nischen Militärregierung eingerichteten »Central Art kollektion mit Hauptwerken des römischen Spätbarock Collecting Point« in Wiesbaden. 1956 kehren sie in die noch Werke der italienischen Hochrenaissance – ins- Gemäldegalerie nach Berlin-Dahlem zurück und sind besondere Raffael –, die so viel mehr dem Geschmack seit der Eröffnung der Gemäldegalerie 1998 am Kul- des klassizistischen Preußen entsprachen.13 Und so turforum zu sehen. wird die Erwerbung der Sammlung des englischen 7
3 Grundriss der Gemäldegalerie aus dem Verzeichnis von Gustav Friedrich Doch gelang dieser Ankauf der Madonna Terranuova Waagen von 1830 erst rund 12 Jahre später und zwar ganz ausdrücklich auf königlichen Wunsch (Vgl. Kat.-Nr. 7). Eigentlich war der Künstler Carl Wilhelm Götzloff damit beauf- Kaufmanns Edward Solly, nach dessen Bankrott, tragt worden, einen sich abzeichnenden Verkauf durch Ankauf Preußens 1821 mit Werken der frühen umgehend nach Berlin zu melden; aber schließlich italienischen Malerei zu einem Glücksfall für das in war es der Kupferstecher Eugen Eduard Schäffer, des- Planung befindliche Museum.14 In dieser Sammlung sen Meldung vom preußischen Gesandten in Neapel befand sich auch die erste der Raffael-Madonnen, die und späteren Außenminister, Albrecht von Bernstorff, in den Besitz der Berliner Museen gelangte: seine an Friedrich Wilhelm IV. vermittelt wurde.20 Auch »Maria mit dem Kind«, die uns heute aufgrund ihres dem Generaldirektor Olfers war das Gemälde aus sei- Vorbesitzers als Madonna Solly bekannt ist (Vgl. ner Zeit als Gesandter in Italien bekannt. Mit 37.500 Kat.-Nr. 2).15 Als zweites Madonnenbildnis Raffaels Talern war es das mit Abstand teuerste Bild, das in der wurde 1827 die Madonna Colonna erworben, also noch Ära Waagen erworben wurde. Der König streckte die drei Jahre vor Eröffnung des Königlichen Museums Summe aus seiner Privatschatulle vor, ließ es sich (Vgl. Kat.-Nr. 8).16 Aus der Sammlung des Baron von dann aber in vier Raten aus dem sogenannten Dispo- der Ropp in Mitau (Baltenland) wurde 1829 die Maria sitionsfond zurückerstatten.21 mit dem segnenden Kind und den Heiligen Hieronymus und Franziskus als drittes Madonnen-Gemälde Raffa- els für das erste königliche Museum in Berlin ange- Die Raffael-Ausstellung 1848 in der Rotunde kauft (Vgl. Kat.-Nr. 3).17 Diese drei Gemälde wurden des Alten Museums seit Eröffnung des Museums im ersten Obergeschoss des Königlichen Museums präsentiert (Abb. 3). Mit 1830 wurde das von Karl Friedrich Schinkel erbaute der Madonna Diotallevi erwarb Gustav Friedrich Waa- Museum an einem der prominentesten Orte Berlins – gen während seiner Italienreise 1842 bei dem Marquis Unter den Linden und gegenüber dem Schloss – eröff- Diotallevi die vierte Madonna Raffaels (Vgl. Kat.-Nr. 4).18 net und seine Rotunde bildete das Zentrum des Baus. Schon bei dieser »Einkaufsreise« des Direktors der Eben dort zeigte Gustav Friedrich Waagen 1848 eine Gemäldegalerie wollte Waagen eigentlich das berühmte ganz besondere Ausstellung: eine Raffael Ausstellung Tondo Raffaels, die Madonna Terranuova erwerben.19 und zugleich eine der ersten monografischen »Block- 8
4 Titelblatt des Katalogs von Gustav 5 Der wunderbare Fischzug, Tapisse- Friedrich Waagen zur Raffael-Sonder- rie entworfen von Raffael, gewoben in ausstellung von 1848 Brüssel, um 1540, Wolle und Seide und vergoldete Metallfäden, 394 x 442 cm (Verlustkatalog Gemäldegalerie buster-Ausstellungen« der Museumsgeschichte, wie Berlin 1995, Inv.-Nr. 1251) Bénédicte Savoy sie zurecht genannt hat (Abb. 4).22 Der Zeitpunkt war politisch äußerst brisant, denn die Ausstellung öffnete ihre Pforten im März 1848, in die- sem Revolutionsmonat mit Unruhen vor dem gegen- »preußischen Apostel« – die Bildmotive der Tapisse- überliegenden Berliner Schloss. Gustav Friedrich rien zeigten die Apostelgeschichte – überbrachten Waagen präsentierte in der Rotunde des Alten Muse- dem preußischen Rheinland mit seinem damals stark ums den neuesten Ankauf der Berliner Museen, der anti-preußischen Bürgertum eine Botschaft: Mit 1844 in London durch den Preußischen Gesandten einem Teil der Einnahmen der Ausstellung in Berlin Christian Karl Josias von Bunsen getätigt worden war wollen wir das nationale Symbol vollenden helfen. und nun an diesem von Schinkel als »Heiligtum« Dadurch stellten die »Apostel in Preußen«, wie ich sie bestimmten Ort gezeigt wurde: die neun Raffael-Ta- nenne, auch ein Instrument dar, mit dem ein konfes- pisserien (Abb. 5). Diese wurden mit zahlreichen sioneller Konflikt durch ein Kunstereignis diploma- Kopien und Stichen nach Raffael aus königlichem tisch verhandelt wurde. Deshalb ist diese Raffael-Aus- Besitz sowie einigen Handzeichnungen aus dem Kup- stellung von so zentraler Bedeutung. Für die Rezeption ferstichkabinett präsentiert.23 Es bleibt rätselhaft, der Raffael-Madonnen in dieser Frühphase des Berli- warum Waagen nicht auch die vier Raffael-Madonnen ner Museums zeigt sie aber auch, wie sehr das Haupt- in die Ausstellung integrierte, die sich doch bereits in werk Raffaels, vertreten durch die neu erworbenen der Gemäldegalerie im ersten Obergeschoss befan- Tapisserien, im Mittelpunkt stand und es Waagen vor den.24 allem um eine Erzählung im Sinne einer Entwick- An der 1848-Ausstellung war noch anderes bemer- lungsgeschichte des Künstlers ging – dafür eigneten kenswert. Ein Museumseintritt war damals nicht sich die Kopien und Stiche, indem sie ein breiteres üblich, aber bei dieser Ausstellung wurde um Spen- Bild des Schaffens des Künstlers vermitteln konnten.26 den gebeten und das nicht für einen Berliner Zweck, Waagen formulierte es in der Einleitung zum Begleit- sondern ausdrücklich auch für die Fertigstellung des katalog der Ausstellung wie folgt: »Bekanntlich hat Kölner Doms – dem großen architektonischen Pro- schon der hochseelige König, welcher für die Werke jekt, in dem nationale Einigungsbestrebungen kulmi- des großen Raphael eine besondere Vorliebe besaß, nierten.25 Diese Raffael-Ausstellung hatte also erklär- eine beträchtliche Anzahl von Copien nach den in den termaßen eine kulturpolitische Funktion. Die verschiedenen Bildersammlungen Europas vorhande- 9
6 Karl Friedrich Schinkel, Entwurfs- skizzen zu Tabernakelrahmen, um 1827, Graphitstift, Feder in Braun auf Papier, Kupferstichkabinett, Staatliche Museen zu Berlin, SM 41e.299 7 Leerer Bilderrahmen (1827–1830, 8 Entwurf zur Hängung der Gemäldegalerie, R. I. Nr. 266) von Karl Raffael-Gemälde auf einer Bilder- Friedrich Schinkel für die Madonna wand, Skizze von Jakob Schlesinger Colonna in der Ausstellung »Raffael in von 1854, in: SMB-ZA, I/GG 57, Bl. 44 Berlin. Die Madonnen der Gemäldega- lerie« (13. Dezember 2019–26. April 2020), Fotografie: David von Becker 10
nen Gemälden desselben, meist von sehr tüchtigen Künstlern, ausführen lassen. Mit Einschluß der auf Befehl Sr. Majestät des Königs gemachten Copien nach einem Hauptwerk Raphaels aus dessen erster Epoche, so wie nach der »Disputa«, nach dem berühm- ten, unter dem Namen des »Spasimo di Sicilia« bei den Kunstfreunden bekannten Werks und der »Gala- tea«, Hauptwerken aus der reifsten Epoche Raphaels, endlich durch die Erwerbung der Teppiche nach den Cartons desselben Meisters, ist Berlin gegenwärtig zu einem Reichthum von Nachbildungen Raphaelischer Schöpfungen gelangt, wie ihn kein anderer Ort aufzu- weisen hat. Die von allen diesen und einigen in Privat- besitz befindlichen Copien, bei welchen der Besitzer jedesmal angegeben worden ist, gebildete Ausstellung gewährt daher allen Kunstfreunden den seltnen Vor- theil und den großen Genuß, die künstlerische Ent- wicklung Raphaels in ihrer ganzen Stufenfolge zu überblicken.«27 Es sollte noch 72 Jahre dauern, bis alle Raffael- Werke der Gemäldegalerie zum ersten Mal gemein- sam gezeigt wurden. Dies ereignete sich 1920 im Rah- men des Festakts zum 400. Todestag des Künstlers im Kaiser-Friedrich-Museum, dem Ort an den die Gemäl- degalerie 1904 umzog. Inszenierungswandel: von Schinkel zu Bode Der Umzug der Gemäldegalerie vom Alten Museum ins Kaiser-Friedrich-Museum, dem heutigen Bode-Mu- seum, bedeutet zugleich einen radikalen Wandel im Inszenierungskonzept. Karl Friedrich Schinkel schuf 9 (oben) Hängung der Raffael- 10 Hängung der Raffael-Madonnen im Alten Museum prunkvolle Räumlichkeiten in fest- Madonnen in Raum 45 des Kaiser- in Raum 45 des Kaiser-Friedrich- lichem Rot und Gold, welche den Bildern einen Friedrich-Museums, um 1904 –1910, in: Museums, um 1926–1933, in: äußeren architektonischen Rahmen verliehen und er SMB-ZA, V/Fotosammlung, 2.4/676 SMB-ZA, V/Fotosammlung, 2.4/728 gestaltete darüber hinaus auch Bilderrahmen für zahl- reiche Gemälde.28 Diese Bilderrahmen waren gedacht als eine Verbindung von Bauwerk und Kunstwerk, hin zu einem kulturhistorischen Ansatz. Bode kombi- alles wirkte als Einheit.29 So schuf Schinkel auch Rah- nierte Gemälde und Skulpturen und die Kunstwerke men für Raffaels Madonna Colonna und Madonna sollten gemeinsam in Räumen gezeigt werden, die den Solly, die im Vergleich zu anderen seiner Rahmenent- Besucher atmosphärisch an den Ort ihrer Entstehung würfe außergewöhnlich prächtig waren (Abb. 6 und versetzten – nach Florenz, nach Venedig, nach Rom. vgl. Kat.-Nrn. 2 und 8). 30 Der Tabernakelrahmen der Sein Konzept des sogenannten »Stilraums« schloss Madonna Colonna ist der einzige heute noch erhaltene auch die Rahmungen der Gemälde ein. Diese sollten Rahmen für die Berliner Raffael-Madonnen, den nicht mehr historisierend sein, sondern im Idealfall Schinkel geschaffen hat (Abb. 7 und vgl. Kat.-Nr. 8). authentisch historisch. So versah Bode die Raffael-Ma- Schinkel entwarf die Rahmen der Raffael-Madonnen donnen mit originalen Rahmen aus der Renaissance. im Stil von Renaissance-Rahmen. Eine Skizze des Auf zwei Fotografien können wir sehen, wie sich das Restaurators Johann Jakob Schlesinger gibt uns eine Rahmungs- und Hängungskonzept für die Raffael-Ma- Vorstellung davon, wie die Raffael-Madonnen 1854 auf donnen im Kaiser-Friedrich-Museum veränderte: von einer »Bilderwand« angeordnet waren, kombiniert einer Petersburger Hängung (die Madonna Terranuova u.a. mit Kopien nach Raffaels Bildnis von Papst Julius dabei noch in einem Barockrahmen) hin zu einem II. sowie seinem Johannes der Täufer (Abb. 8).31 Wandensemble mit Rahmungen, die möglichst nah an Das Gegenprogramm findet sich ein halbes Jahr- jene heranreichen sollten, die in der Renaissance tat- hundert später bei Wilhelm Bode. Im 1904 eröffneten sächlich verwendet wurden (Abb. 9 und 10). Schinkels Kaiser-Friedrich-Museum entschied er sich als Direk- Bilderrahmen gehörten mit dem Umzug ins Kai- tor für eine Wende in der Inszenierungspraxis: von ser-Friedrich-Museum der Vergangenheit an und mit einer Entwicklungsgeschichte der Kunst im Museum ihnen sein dazugehöriges Museumskonzept. 11
11 Einladung zur »Raffael-Feier« 12 Blick in den Raffael-Saal mit den anlässlich des 400. Todestages des Tapisserien und Madonnen des Künst- Künstlers am 6. April 1920 im Raffael- lers aus dem Bestand der Gemälde Saal des Kaiser-Friedrich-Museums, galerie am 6. April 1920, in: SMB-ZA, in: SMB-ZA, I/GG 190, Bl. 293 I/GG 190, Bl. 300 Festakt zum 400. Todestag Raffaels im »Raffael-Saal« historiker und Raffaelforscher Oskar Fischel geladen, des Kaiser-Friedrich-Museums der einen Vortrag mit dem Titel »Zu Raphaels Gedächtnis. Rede bei der deutschen Raphael-Feier am Am 6. April 1920 fand um 12 Uhr mittags im »Raffa- 6. April 1920« hielt, der im Anschluss als Denkschrift el-Saal« des Kaiser-Friedrich-Museums, in dem seit an einen ausgewählten Kreis verschickt wurde.38 1904 die Raffael-Tapisserien hingen, der Festakt zu Fischel ging es darum, eine Entwicklungsgeschichte Ehren des Todestags des Künstlers statt.32 Die einlei- des Künstlers zu erzählen – von den frühen Anfängen, tende Ansprache hielt der Minister für Wissenschaft, repräsentiert durch die Madonnen, hin zum »heroi- Kunst und Volksbildung, Konrad Hänisch, es folgte schen« Stil, für den die Tapisserien standen. Der bio- eine Festrede von Oskar Fischel und begleitet wurde graphische Abriss und Ritt durch das künstlerische die Feier vom Madrigal-Chor des Instituts für Kirchen- Schaffen Raffaels dienten Fischel dazu, die Tapisse- musik (Abb. 11).33 Im Zusammenhang mit der Insze- rien als dessen Höhepunkte zu preisen.39 Zu diesem nierungsgeschichte der Raffael-Madonnen ist dieser Anlass wurde also einmalig der gesamte Bestand der Anlass insofern besonders erwähnenswert, als hier Gemäldegalerie an Werken Raffaels, die Madonnen zum ersten und einzigen Mal die Gemälde mit den und die Tapisserien, in einem Raum gezeigt. Dies Tapisserien gemeinsam präsentiert wurden.34 Dies konnte sich später nicht wiederholen, da es mit dem war Bodes Einfall, der dem Minister für Wissenschaft, Zweiten Weltkrieg zum Verlust der neun Raffael-Ta- Kunst und Volksbildung diese kleine Ausstellung pisserien kam. zum Festakt folgendermaßen im Vorfeld angekündigt hatte: »Die Feier soll im Raphael-Tapeten-Saal des Kai- ser-Friedrich-Museums stattfinden, den ich zu diesem Die amerikanische Tour der Raffael-Madonnen: Zweck durch Verwendung Raphaelscher Kunstwerke Vom »Central Art Collecting Point« in Wiesbaden noch besonders festlich zu gestalten beabsichtige.«35 in die USA Der Saal war seit seiner Eröffnung 1904 mit einem rundherum laufenden Chorgestühl an den Längssei- Eine Fotografie aus dem Archiv der National Gallery of ten und der Stirnwand eingerichtet und ließ die Tapis- Art in Washington trägt den Titel »Examination of serien vor einer hellblau-gräulichen Wandfarbe wir- paintings in Munich« und ist auf den 28.–30. Mai. ken.36 Die fünf Madonnen-Gemälde wurden für den 1948 datiert (Abb. 13).40 Hier wird eine der fünf Berliner Festakt auf der Holzvertäfelung des Raumes an der Madonnen, die Madonna Solly, nach ihrer Rückkehr Stirnwand gezeigt und standen stellvertretend für das von einer Wanderausstellung durch die USA unter Frühwerk des Künstlers (Abb. 12).37 Das Hauptwerk dem Titel »Paintings from the Berlin Museums« in Raffaels hing in Form der neun Tapisserien direkt München untersucht, die in Kooperation mit dem über der Vertäfelung. Als Festredner war der Kunst- US-amerikanischen Department of the Army organi- 12
13 Begutachtung der Madonna Solly 14 Rückseite von Raffaels Bilderrah- in München, 28.–30. Mai 1948, in: men der Maria mit dem segnenden Kind National Gallery of Art, Washington, und den Heiligen Hieronymus und Fran- DC, Gallery Archives, RG26B, Audio- ziskus mit einem Stempel des Zoll- visual Records, General Events, amts Wiesbaden 26B4_34_031 siert worden war. Am Ende des Zweiten Weltkriegs wurden bedeutende Werke der Berliner Museen in den von der amerikanischen Militärregierung eingerichte- ten »Central Art Collecting Point« in Wiesbaden ge- bracht und dort zum Teil ausgestellt – übrigens unter anderem auch die Büste der Nofretete. Auf der Rück- seite von einer der Berliner Madonnen, der Maria mit dem segnenden Kind und den Heiligen Hieronymus und Franziskus, findet sich noch der Stempel des Zollamts Wiesbaden, auf dem wir lesen (Abb. 14): »Zollamtlich abgefertigt«. 202 Gemälde der Berliner Sammlungen wurden dann im Dezember 1945 in die National Gallery of Art in Washington transportiert – »for safekeeping« –, doch auf Druck der Öffentlichkeit wurde eine erste 15 Besucheransturm in der Ausstel- 16 Drei der Berliner Raffael- Hälfte 1948 zurück nach Deutschland gebracht, die lung »Paintings from the Berlin Muse- Madonnen in der Liste der ausgestell- zweite folgte im Frühjahr 1949.41 Zuvor aber wurden ums« in der National Gallery of Art, ten Werke der Ausstellung »Paintings sie für die kurze Dauer von etwas über einen Monat, Washington, DC, Gallery Archives from the Berlin Museums« (17. März– vom 17. März bis 25. April 1948, in der National Gallery RG26B, Audiovisual Records, General 18. April 1948), National Gallery of Art, of Art gezeigt. In den 40 Tagen kamen 964.970 Besu- Events, 26B4_29_003 Washington DC cher, was einen absoluten Besucherrekord darstellte (Abb. 15). Auf der Liste der ausgestellten Gemälde fin- den wir drei der Berliner Madonnen (Abb. 16): die Madonna Solly, die Madonna Terranuova und die Madonna Diotallevi.42 Die anderen beiden Madonnen 13
17 Die Anordnung der Raffael- Madonnen im »Raffael-Kabinett« der Gemäldegalerie in Dahlem bei Ausstellungseröffnung am 7. April 1956, Fotosammlung Gemäldegalerie, Staatliche Museen zu Berlin waren in Wiesbaden verblieben, die Maria mit dem seg- tete und sich auch intensiv dem Raffael-Bestand wid- nenden Kind und den Heiligen Hieronymus und Franzis- mete. So erwarb Schleier 1993 beispielsweise den heute kus und die Madonna Colonna. noch verwendeten venezianischen Kassettenrahmen Nach der Tour durch die USA in Museen an 12 aus dem späten 16. Jahrhundert für die Madonna verschiedenen Standorten, unter anderem New York, Colonna im Londoner Kunsthandel und führte mit Philadelphia, Boston und Los Angeles, kehrten die diesem Ankauf den Rahmungsgedanken Bodes fort. Raffael-Madonnen zunächst in den »Central Art Col- lecting Point« zurück.43 Als sie nach Kriegsende schließlich wieder nach Berlin gelangten, bildeten die Die Raffael-Madonnen in der Gemäldegalerie fünf Raffael-Madonnen den einzig verbliebenen am Kulturforum (1998–2020) Bestand von Werken Raffaels in der Gemäldegalerie. Die Tapisserien waren im Flak-Leitbunker Friedrichs- Mit der Zusammenführung der Kunstwerke von Ost- hain untergebracht, der als besonders sicher galt und und West-Berlin am Kulturforum 1998, kam es auch wo daher bedeutende Werke der Skulpturensamm- zu einer Neuordnung der Raffael-Madonnen. Sie wur- lung und der Gemäldegalerie verwahrt worden den zunächst zusammen präsentiert, dann aber in ver- waren.44 Auf einem Plan des ersten Obergeschosses schiedenen Kombinationen in einem kleineren Kabi- des Flak-Leitbunkers sind sie noch als »Raffael Teppi- nett, wobei die Madonna Terranuova als Tondo und che« verzeichnet, doch verliert sich damit ihre Spur. von größerem Format in einem der Italienersäle sepa- rat hing. Roberto Contini kontextualisierte als Kurator für italienische Malerei dabei die Raffael-Madonnen Gemäldegalerie Dahlem: das »Raphael Kabinett« mit anderen Künstlern, die in Perugia zeitgleich tätig waren, und die Madonna Diotallevi wurde seit 2010 im Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges kamen die Bode-Museum gezeigt. Kunstwerke vom »Central Art Collecting Point« in die Mit der Jubiläums-Ausstellung »Raffael in Berlin. Gemäldegalerie Dahlem in West-Berlin. Eine Fotogra- Die Madonnen der Gemäldegalerie« werden die Raffa- fie dokumentiert die Anordnung der Raffael-Madonnen el-Madonnen im 500. Todesjahr des Künstlers erneut im dort neu geschaffenen sogenannten »Raffael-Kabi- gemeinsam in einem Kabinett gezeigt (vgl. Abb. 1). Sie nett« bei Ausstellungseröffnung am 7. April 1956 begegnen sich hier, auch dank der herausragenden (Abb. 17). Hier war den Madonnen ein Raumkompar- Leihgabe der Madonna of the Pinks aus der National timent gewidmet, wobei die Madonna Terranuova Gallery in London und Werken aus der Sammlung des nicht wie noch im Kaiser-Friedrich-Museum das Zen- Kupferstichkabinetts, auf eine neue Weise und reflek- trum der fünf Gemälde bildete. Prägend für die Erfor- tieren ihre wechselvolle Geschichte. Die Ausstellung schung und Präsentation der Raffael-Madonnen erlaubt dadurch einen Blick auf Bilder, die an verschie- wurde Erich Schleier, der von 1971 bis 1999 als Kurator denen Orten »schon immer da waren«, die wir aber für italienische Malerei in der Gemäldegalerie arbei- jetzt, vereint, neu kennenlernen und befragen können. 14
1 Die Denkschrift von Karl Friedrich Schinkel und Gustav Friedrich 31 Siehe zu dieser Anordnung von Stockhausen 2000, S. 184. Waagen von 1828 findet sich abgedruckt in Stock 1930 (Schinkel/ 32 Bereits 100 Jahre zuvor, am 6. April 1820 hatte es einen Festakt zum Waagen [1828] 1930), hier: S. 210. Zu dieser Abhandlung vgl. van Todestag Raffaels in Berlin gegeben, damals aber im Akademiege- Wezel 2001, S. 92–96 und van Wezel 2019, S. 48. bäude. Dabei wurden Kopien nach Werken Raffaels präsentiert. 2 Zu »Schinkels Idealismus. Bildung durch ästhetischen Genuss« Vgl. Enzensberger 2019d, S. 116–117. Zu den Vorbereitungen des vgl. van Wezel 2001, S. 44–52; Schinkel/Waagen [1828] 1930. von Bode initiierten Festakts siehe das Aktenmaterial im Zentral- 3 Vgl. van Wezel 2019, S. 48. archiv der Staatlichen Museen zu Berlin: SMB-ZA, I/GG 190, 4 Zur Rolle von Friedrich Wilhelm III. und Friedrich Wilhelm IV. Bl. 287–321. für ausgewählte Erwerbungen des Museums, das vom Hof des 33 Einladung zum Festakt in: SMB-ZA, I/GG 190, Bl. 293. Die Rede Königs getrennt und dem Kultusministerium unterstellt war vgl. von Oskar Fischel wurde im Nachgang abgedruckt, (Fischel 1920). von Stockhausen 2000, S. 36–42 und zum Interesse von Friedrich 34 Vgl. Enzensberger 2019d, S. 116–117. Wilhelm IV. an Raffael ganz besonders S. 37. 35 Brief von Wilhelm Bode an den Minister für Wissenschaft, Kunst 5 Zum Raffael-Saal in der Orangerie als ein »Kopienmuseum im und Volksbildung (Konrad Hänisch), 25. März 1920, in: SMB-ZA, Zeitalter technischer Reproduzierbarkeit« siehe Savoy 2012. I/GG 190, Bl. 287–289. 6 Vgl. von Stockhausen 2000, S. 78. Zur Ankaufspolitik altitalieni- 36 Von einem »hellblauen Fond« spricht der Artikel »Das neue scher Malerei in Preußen vgl. Skwirblies 2017. Kaiser Friedrich-Museum in Berlin« im General-Anzeiger für 7 Vgl. von Stockhausen 2000, S. 87 und S. 307, Kat. Nr. 352. Düsseldorf und Umgegend vom 18. Oktober 1904, als »grau- 8 Zur Geschichte der Raffael-Tapisserien in Berlin siehe Enzensber- blau« bezeichnet ihn die Norddeutsche Allgemeine Zeitung, 18. ger 2019b und zu ihrer Ausstellungsgeschichte im Alten Museum Oktober 1904, in: SMB ZA KFMV, Bl. 166. Ich danke Svea Janzen, sowie im heutigen Bode-Museum vgl. Enzensberger 2019c und Friedrich-Schiller-Universität Jena, für diese Hinweise. Enzensberger 2019d. 37 Fischel 1920, S. 309 und Ankündigung der Raffael-Feier in Berlin 9 Enzensberger 2019d, S. 117–119. Die Raffael-Tapisserien sind im in der B.Z. vom 1. April 1920 (Nr. 78), in: SMB-ZA, I/GG, Bl. 292. Verlustkatalog der Gemäldegalerie verzeichnet: Verlustkatalog 38 Vgl. Enzensberger 2019d. Die Denkschrift wurde an ausgewähl- Gemäldegalerie 1995, S. 57–58, Katalognummern 1244–1252. te Persönlichkeiten, den Kaiser-Friedrich-Museumsverein, die 10 Zur Frage der Inszenierung von Kunst und insbesondere soge- Akademie der Künste, den Minister für Wissenschaft, Kunst und nannter »Meisterwerke« im Museum vgl. Enzensberger 2019a. Volksbildung sowie die Generalverwaltung verteilt. 11 Vgl. Bock 1985, S. 13. 39 Fischel 1920. 12 Vgl. Bock 1985, S. 14. 40 Ich danke Kelly Burton (National Gallery of Art, Washington, DC, 13 Bock 1985, S. 14. Gallery Archives) für ihre Unterstützung in Bezug auf das Archiv- 14 Bock 1985, S. 14–15. material zur Ausstellung der Werke der Berliner Museen in der 15 von Stockhausen 2000, S. 87. National Gallery of Art in Washington. 16 von Stockhausen 2000, S. 87. 41 Vgl. Returned Masterworks. Zurückgekehrte Meisterwerke aus 17 Vgl. von Stockhausen 2000, S. 41, S. 87. dem Besitz der Berliner Museen, Ausst.-Kataloge »Central 18 von Stockhausen 2000, S. 307, Kat. Nr. 531. Collecting Point« Landesmuseum Wiesbaden (Herbst-Winter 19 Zur Erwerbungsgeschichte der Madonna Terranuova vgl. von 1948 bzw. Sommer 1949), München 1948 bzw. 1949, jeweils S. 3. Stockhausen 2000, S. 37, S. 72, S. 74, S. 87, S. 96, S. 184, S. 186 42 Diese Raffael-Gemälde sind in der »checklist« zur Ausstellung und S. 307, Kat.-Nr. 352. der National Gallery of Art in Washington von 1948 aufgelistet 20 von Stockhausen 2000, S. 307, Kat.-Nr. 352. (»Army-Nr.« 125, 126, 127). Ich danke Kelly Burton (National 21 Vgl. von Stockhausen, S. 37. Gallery of Art, Gallery Archives) für den Hinweis auf diese Liste. 22 Savoy 2012, S. 226. 43 Die Tour durch die USA fand neben der National Gallery of Art 23 Waagen 1848, S. 3–4. in Washington an folgenden Orten und in diesen Museen statt: 24 Zur Präsentation der Raffael-Tapisserien in der Rotunde des New York, Philadelphia, Boston, Chicago, Detroit Institute of heutigen Alten Museums vgl. Enzensberger 2019c und van Wezel Arts, Cleveland Museum of Art, Minneapolis Institute of Arts, 2019 sowie van Wezel 2018, S. 126–136. M.H. de Young Memorial Museum, San Francisco, Los Angeles 25 Enzensberger 2910c, S. 93–95. County Museum of Art, City Art Museum of Saint Louis, Carnegie 26 Vgl. van Wezel 2019, S. 48–54, hier besonders S. 49. Institute Pittsburgh, Toledo Museum of Art Ohio. 27 Waagen 1848, S. 3–4. 44 Enzensberger 2019d, S. 117–119. Zu den Verlusten der Skulpturen- 28 Bock 1985, S. 16. sammlung und Gemäldegalerie im Zweiten Weltkrieg vgl. Ausst.- 29 Bock 1985, S. 16. Kat. Berlin 2015. 30 Zu den Bilderrahmen von Schinkel vgl. Ausst.-Kat. Berlin 2007, S. 82–85. 15
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Dagmar Korbacher Raffael im Berliner Kupferstichkabinett Die weltgrößte und bedeutendste Sammlung von unternommen, die italienische Abteilung auf- und Zeichnungen Raffaels befindet sich nicht im Berliner auszubauen und gerade auch Werke der größten Kupferstichkabinett. Dies ist umso bedauerlicher, als Meister der italienischen Renaissance für das Kupfer- Mitte des 19. Jahrhunderts die realistische Chance stichkabinett zu gewinnen. Wenige Jahre nach dem bestanden hätte, dem Museum diese einzigartige Stel- verpassten Ankauf der Sammlung Lawrence / Wood- lung zu verschaffen.1 Etwa 1840, also in einer Zeit, in burn gelang es Gustav Friedrich Waagen (1794–1868), der die Bemühungen um den Erwerb von Gemälden dem Direktor der Gemäldegalerie, in Italien während Raffaels in vollem Gange waren und die Wertschät- einer Ankaufsreise für Gemälde auch die knapp 10.000 zung des Künstlers als eines der wichtigsten Meister Handzeichnungen umfassende Sammlung des römi- der Renaissance eine Hochzeit erlebte, entschieden schen Bildhauers und Antikenrestaurators Vincenzo sich die Königlichen Museen gegen den Ankauf der Pacetti (1746–1820) für die Berliner Museen zu erwer- herausragenden Handzeichnungssammlung von Sir ben. Um seine Vorgesetzten in Berlin von der Not- Thomas Lawrence (1769–1830), die berühmt war für wendigkeit des Ankaufs zu überzeugen, führt er in ihre zahlreichen Spitzenwerke von Raffael und Michel- einem Schreiben 1842 den relativen Reichtum von angelo. Dieses Konvolut war nach dem Tod von Law- Zeichnungen der wichtigsten Renaissancemeister an rence und nachdem ein Verkauf an die öffentliche und fügt hinzu, die Sammlung »enthalte viele Zeich- Hand in Großbritannien gescheitert war, über seinen nungen aus der Zeit Raffaels, von diesem 3.«6 Nachlassverwalter vom Kunsthändler Samuel Wood- Durch den Ankauf der Sammlung Pacetti hatte burn (1780/5–1853) erworben und zur weiteren Veräu- sich – während zum Grundstock des Kupferstichkabi- ßerung in Tranchen nach Künstlern aufgeteilt wor- netts keine einzige Raffaelzeichnung zu zählen war – den.2 In Berlin schien man einem Erwerb eigentlich bis 1848 eine kleine Gruppe von Blättern angesam- nicht abgeneigt, doch obwohl die Gelder für den melt, die man für eigenhändige Werke des Meisters Ankauf zur Verfügung gestanden hätten, hatte der hielt. Sie wurden in der großen Raffael-Ausstellung in damalige Generaldirektor Ignaz Maria von Olfers der Rotunde des Alten Museums im Jahr 1848 neben (1793–1871) andere Prioritäten für ihre Verwendung, Tapisserien, gemalten Kopien und druckgraphischen nämlich den systematischen und sehr aufwendigen Reproduktionen nach Raffaels großen Bilderfindun- Ausbau einer Gipsabgusssammlung. So wurden die gen präsentiert: »Auch einige Handzeichnungen von entsprechenden Mittel für den Ankauf bzw. den Trans- Raphael selbst sind hinzugefügt worden, um auch von port von Gipsabgüssen der Dioskuren eingesetzt.3 Die dieser Form seiner künstlerischen Fähigkeit eine Geschichte Raffaels im Berliner Kupferstichkabinett Anschauung zu gewähren.«7 Interessanterweise hebt beginnt also mit einer verhängnisvollen Entschei- Waagen in der Aufzählung der insgesamt neun Blätter dung, die seit spätestens Wilhelm von Bode als Fehl- zwei Federzeichnungen als besonders »geistreich« entscheidung bedauert wird.4 In seinen Lebenserinne- hervor, die aus heutiger Sicht weder als besonders vir- rungen wirft Bode seinem Vorgänger »das Kaprizieren tuos, noch als eigenhändig von Raffael gelten können, auf eine große Kopiensammlung« vor »und die Ver- nämlich den »Entwurf zu dem Carton der wunderbare wendung fast aller der schwachen Mittel darauf zu Fischzug« (Nr. 88, Abb. 18) und »Der ungläubige Tho- einer Zeit, wo die Originale zu den billigsten Preisen mas« (Nr. 89) während die einzige Zeichnung der Aus- gewissermaßen auf der Straße lagen.«5 wahl, bei der sich die Zuschreibung an Raffael bis Was damals versäumt wurde, war in den 180 Jah- heute gehalten hat, »Maria und der Heilige Petrus, ren des Sammelns und der Museumsarbeit nicht wie- halbe Figuren« (Nr. 84, unsere Kat.-Nr. 1) aus seiner der aufzuholen. Zahlreiche Anstrengungen wurden Sicht nicht weiter bemerkenswert erschien.8 18
18 Unbekannter Künstler nach Raffael (vielleicht der »calligraphic forger«), Der wunderbare Fischzug, Feder in Braun, Kupferstichkabinett, Staatliche Museen zu Berlin, KdZ 493 Im Jahr 1881 gelang dem Kupferstichkabinett dank der hervorragenden Kontakte seines Direktors Friedrich Lippmann (1838–1903) zur britischen Kunstwelt schließlich aus dem Londoner Kunsthandel der Erwerb einer weiteren Zeichnung von der Hand Raffaels, der mit Silberstift auf grundiertem Papier ausgeführten äußerst exquisiten Figurenstudie Jesuskind und Johan- nesknabe für die Madonna dell’Impannata (Kat.-Nr. 9). Offenbar hat aber dieser – aus heutiger Sicht besonders spektakuläre – Zugewinn aus verschiedenen Gründen im Schatten des nur ein Jahr zuvor erfolgten Ankaufs einer anderen Zeichnung gestanden (Abb. 19), der (heute wissen wir: vermeintlichen) Entwurfszeich- nung für die Madonna Terranuova, also für ein Gemälde, das sich seit 1854 in der Sammlung der Gemäldegalerie befand (Kat.-Nr. 7).9 Dass diese damals so stark in den Vordergrund trat, lag wohl nicht so sehr an der Besonderheit, dass sie sich mit einem ebenfalls in den Berliner Museen verwahrten Werk in Verbin- 19 Berto di Giovanni nach Raffael, dung bringen ließ, sondern vielmehr an dem erbitter- Madonna mit dem Johannesknaben ten Streit, der sich über ihre Zuschreibung an Raffael und weiteren Heiligen (Kopie der entfachte.10 Diese wurde von verschiedenen Kunsthis- Entwurfszeichnung für die Madonna torikern, darunter besonders enthusiastisch und vehe- Terranuova der Berliner Gemälde ment von Friedrich Lippmann vertreten.11 Der italieni- galerie im Musée des Beaux-Arts zu sche Kunstkritiker Giovanni Morelli (1816–1891) (unter Lille), Feder in Braun, Spuren von seinem Pseudonym Ivan Lermolieff ) forderte in ext- schwarzem Stift, Kupferstichkabinett, rem polemischem Widerspruch und zahlreichen Pub- Staatliche Museen zu Berlin, likationen eine Neubewertung des beidseitig bezeich- KdZ 2358 recto neten Blattes als Arbeit von Raffaels Lehrer Perugino.12 19
20 Perugino, Thronender Heiliger (Augustinus?), um 1490/1500, schwar- zer Stift, mit dem Pinsel braun laviert, Konturen zur Übertragung durchna- delt, die Figur im Umriss ausgeschnit- ten und kaschiert, Kupferstichkabinett, Staatliche Museen zu Berlin, KdZ 5070 Oskar Fischel (1870–1939) ist ein Name, der im Zusam- menhang einer Betrachtung über Raffael in Berlin besondere Hervorhebung verdient. Auch wenn die in den Berliner Sammlungen vorhandenen Raffael- Bestände nie in so großer Zahl vorhanden waren, um diese zu einem Mekka für Raffael-Freunde zu machen, so kam man in der Raffael-Forschung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nicht um Berlin herum. Dies ist dem Kunsthistoriker und Hochschullehrer Fischel zu verdanken, der bis heute als einer der wich- tigsten Raffael-Forscher überhaupt gelten darf. Er hat zahlreiche Monographien und wissenschaftliche Bei- träge unter anderem auch zu Raffael als Zeichner vor- gelegt, insbesondere sein monumentales achtbändiges Werk »Raffaels Zeichnungen«, dessen Erscheinen sich über mehrere Jahrzehnte erstreckte und erst zwei Jahre nach seinem Tod 1941 (Fischel starb auf der Flucht vor dem nationalsozialistischen Regime 1939 in London) zum Abschluss gebracht werden konnte.16 Die bereits in der Sammlung des Kupferstichkabinetts vorhandene kleine Gruppe von Raffael-Zeichnungen, die sich 1902 durch den Erwerb der Sammlung Adolf von Beckerath (Kat.-Nrn. 5, 10, 11) um drei Blätter ver- größert hatte, wurde von ihm besprochen, die einzel- nen Werke jeweils in ihren Kontext eingeordnet und Eine Annäherung der beiden Lager, in die sich die publiziert.17 Kunsthistorikerwelt über diese Zuschreibungsfrage Die Schenkung des Kartonfragments der Madonna gespalten hatte, erfolgte erst ab 1902 als der amerika- Terranuova 1921 sollte vorerst der letzte Zugang eines nische Kunsthistoriker Charles Loeser (1864–1928) auf Werks von Raffael sein, den das Kupferstichkabinett die Möglichkeit hinwies, dass das Werk keine Vor-, verzeichnen konnte. Ein Ausbau der Sammlung der sondern doch eher eine Nachzeichnung sei und wohl Raffaelzeichnungen im Kupferstichkabinett erfolgte in weder von Raffael noch Perugino stamme.13 der Nachkriegszeit nur indirekt im Zuge von Neuzu- Vor dem Hintergrund dieses Zuschreibungs- schreibungen von Zeichnungen , die unter anderen streits erscheint ein Zugewinn, den das Kupferstich- Künstlernamen bereits Teil der Sammlung waren. Dies kabinett 1921 verzeichnen konnte, umso bedeuten- geschah vor allem im Westberliner Kupferstichkabinett der. Dem damaligen Direktor Max J. Friedländer in Dahlem. Dorthin waren sämtliche bereits vor dem (1867–1958), zugleich stellvertretender Direktor der Krieg vorhandenen Berliner Raffaelzeichnungen nach Gemäldegalerie, gelang es, das Kartonfragment mit ihrer kriegsbedingten Auslagerung zurückgekehrt. So dem Kopf der Madonna Terranuova (Kat.-Nr. 6) als mag es nur folgerichtig sein, dass sich in Dahlem auch Geschenk für das Museum zu sichern.14 »Ein glück- die zu Beginn des Jahrhunderts mit Fischel so starke licher Zufall hat hier nun Karton und Gemälde in Berliner Tradition der Raffaelforschung in der Person unseren Museen vereinigt; dem Kupferstichkabinett von Matthias Winner fortsetzte. Von 1963–1977 am Kup- mag dies schöne Fragment vollauf ersetzen, was es ferstichkabinett tätig, zunächst als Assistent und Kus- verlor, seit erwiesen ist, daß man an die, vor dreißig tos, ab 1968 als Direktor (bevor er 1977 als Direktor an Jahren erworbene, perugineske Atelierzeichnung die Bibliotheca Hertziana nach Rom wechselte), ist mit der Komposition der Madonna Terranuova weder Winner bis heute ein international geachteter Raffaelex- als Arbeit Raphaels noch seines als Zeichner großen perte. Es gelang ihm nicht nur, mehrere wichtige Blätter Lehrers geglaubt werden darf«15, schreibt Oskar aus dem Umkreis Raffaels anzukaufen, er rückte einige Fischel, als er das Werk wenige Monate nach der Zeichnungen durch eine Neubewertung in den Blick- Schenkung publiziert. punkt und lenkte die Aufmerksamkeit der Forschung 20
21 Perugino, Hl. Sebastian, um 1505, schwarzer Stift, mit schwarzem Stift quadriert, Zirkeleinstichlöcher, Kupferstichkabinett, Staatliche Museen zu Berlin, KdZ 464 auf sie.18 Seine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Zeichnung des Elefanten Hanno (Abb. 24), einer äußerst qualitätvollen Nachzeichnung nach einem Entwurf Raffaels aus seinem engsten Mitarbeiterkreis, aber auch seine Einordnung und Durchdringung ver- schiedener Werke Raffaels, etwa seiner Fresken im Vati- kan, im Kontext der europäischen Geisteswelt sind von einzigartiger Klugheit und Brillanz. Die vorerst letzte Neuzuschreibung erfolgte erst 1998 nach der Wiedervereinigung der Museen durch unseren Wiener Kollegen Achim Gnann.19 So wurde durch die hier kurz beschriebenen Wechselfälle der Geschichte das Berliner Kupferstichkabinett am Kul- turforum vielleicht nicht zum wichtigsten Ort der Begegnung mit Raffael, doch durch einzelne Glücks- momente, kluges Sammeln und vor allem die wissen- schaftliche Auseinandersetzung mit den Beständen zu einem Museum, an dem man Raffael in nahezu allen seinen Schaffensphasen und all seinen Techni- ken als Zeichner studieren kann. Die 500. Wiederkehr seines Todesjahres bietet hinreichend Anlass, dazu einzuladen, dies zu tun. Über die kleine Gruppe an originalen Zeichnun- gen Raffaels hinaus, die der Katalogteil gesondert vor- stellt, verwahrt das Museum ein beachtliches Konvolut an Blättern von Raffaels engsten Weggefährten. Allein nung Raffaels mit den beiden Heiligen (vgl. Kat.-Nr. 1). von der Hand seines Vaters Giovanni Santi (1435–1494) Darüber hinaus verwahrt das Kupferstichkabinett eine können in Berlin keine Zeichnungen nachgewiesen zarte Figurenstudie des Hl. Sebastian (Abb. 21) in werden. Die jeweils von Konrad Oberhuber und Mina schwarzer Kreide von der Hand Peruginos, für die Gregori als Werke von Giovanni Santi in Betracht gezo- ebenfalls kein Zusammenhang zu einem Gemälde genen Engelsstudien können nach heutigem Erkennt- bekannt ist.22 Beide Blätter tragen Spuren verschiede- nisstand und mangels sicherer Vergleichswerke nicht ner Übertragungsmethoden, was auf eine mehrfache als Zeichnungen des Vaters eingestuft werden.20 Verwendung schließen lässt, die charakteristisch war Von Raffaels Lehrer Perugino (1446–1523) und sei- für Peruginos Werkstattökonomie, und die auf Raffael ner Schule verwahrt das Kupferstichkabinett hingegen prägend gewirkt haben könnte.23 eine Gruppe von Zeichnungen. Hervorzuheben sind Auch die Zeichner der Raffaelschule, neben darunter zwei Blätter von Perugino selbst, etwa die Gianfrancesco Penni (1490–1528) und Giulio Romano Darstellung eines thronenden Heiligen, vielleicht des (1499–1546) vor allem auch Giovanni da Udine (1487– Hl. Augustinus (Abb. 20), deren stark vereinfachte 1564), Perino del Vaga (1501–1547) und Polidoro da Binnenstrukturen und die dicht gesetzte Durchnade- Caravaggio (1492–1543), sind im Kupferstichkabinett lung entlang der Konturlinien auf eine vorgesehene gut mit Werken vertreten. Diese erlauben uns Ein- Übertragung der Figur schließen lassen.21 Während blicke in die Art und Weise, wie Raffael seine Werk- die Datierung des Blattes aufgrund eines bislang feh- statt organisiert hatte. Wir wollen uns hier darauf lenden, im Maßstab übereinstimmenden, konkreten beschränken, auf die Blätter hinzuweisen, die noch Bezugs zu einem ausgeführten Werk offen ist, ist es zu seinen Lebzeiten für gemeinsam ausgeführte Pro- durchaus möglich, dass es in der Zeit entstand bzw. ver- jekte entstanden, also auf Zeichnungen, die – auch wendet wurde, als der junge Raffael in Peruginos Werk- wenn sie von Mitarbeitern stammen – einen sehr statt tätig war. Bei aller Vereinfachung finden sich hier engen Bezug zu Raffael selbst haben. Die Nähe ist ganz ähnliche, charakteristisch umbrische, tiefeinge- teilweise so groß, dass die Forschung Schwierigkei- grabene, runde Schüsselfalten wie auf der frühen Zeich- ten hat, die Entwürfe des Meisters und seiner begab- 21
testen Werkstattmitarbeiter zu unterscheiden. So war beispielsweise das zart mit Rötel beidseitig bezeichnete Blatt mit zwei Figurenstudien, dem Jesuskind und dem Johannesknaben für die Madonna della Perla (Abb. 22), immer wieder auch Raffael selbst zugeschrieben. Aufgrund der etwas weniger schwungvollen Strichführung und der flächigeren sowie an einigen Stellen weniger organischen Dar- stellung der Körper, erkennen wir darin allerdings inzwischen ein Werk Giulio Romanos, das er etwa 1518 in Vorbereitung des Gemäldes ausgeführt haben muss, dessen Zuschreibung ebenfalls zwischen ihm und seinem Meister schwankt.24 Was sich heute als kennerschaftliches Problem darstellt, also eben die Unterscheidung zwischen den Werken Raffaels und seiner Mitarbeiter, war das Ergebnis einer klugen Werkstattorganisation Raffaels, die ihn selbst als eine Art »Manager« sah. Er stellte sicher, dass jedes »Pro- dukt«, das die Werkstatt verließ, als »Raffael« erkenn- bar war und die Qualität eines »Raffael« hatte.25 Wäh- rend er selbst Ideen und Bilderfindungen einbrachte, wusste er zugleich die unterschiedlichen Talente sei- 22 Giulio Romano, Figurenstudien ner begabten Mitarbeiter einzuplanen, zu lenken für das Jesuskind und den Johannes- und zu nutzen und schaffte es so, etliche Großauf- knaben für die »Madonna della Perla«, träge gleichzeitig zu bewältigen. Die Zeichenkunst um 1518, Rötel, Kupferstichkabinett, spielte in diesem Prozess eine wichtige Rolle und Staatliche Museen zu Berlin, KdZ 21551 zwar weniger im Sinne des Kopierens von Vorlagen und stärker als ein kreatives Medium, in dem der »concetto« (die Grundidee) Raffaels visualisiert und weiterentwickelt werden konnte.26 In diesem Zusam- menhang ist auch Gianfrancesco Pennis Kompositi- onsentwurf zur Darstellung von Noahs Dankopfer (Abb. 23), in den Loggien im Vatikan (ca. 1516–1520) zu sehen, den Matthias Winner 1972 für das Kupfer- stichkabinett erwerben konnte.27 Penni scheint darin das von Raffael (vielleicht auch in Form einer konkre- ten, jedoch heute verlorenen Skizze) vorgegebene Bild- programm weiter ausgearbeitet und im Hinblick auf die Licht-Schatten-Verteilung präzisiert zu haben.28 Sowohl diese Zeichnung von Penni als auch die Figu- renstudie Giulio Romanos sind vergleichbar mit Zeich- nungen Raffaels sowohl was ihre jeweilige Technik, als auch was ihre Funktion im Werkprozess angeht. So zeigt beispielsweise Raffaels Pluto (Kat.-Nr. 11), der zwi- schenzeitlich auch Giulio Romano zugeschrieben war, dass auch der Meister den Rötelstift zum Anlegen von Figurenstudien nutzte, sowie verschiedene Blätter im British Museum in London oder im Ashmolean Museum in Oxford, dass auch er die Helldunkel-Zeich- nung als besonders malerische Technik zum Anlegen von Kompositionsentwürfen nutzte.29 23 Giovanni Francesco Penni, Noahs Neben dem werkstattkonformen Weiterentwi- Dankopfer, um 1516–1520, Feder in ckeln von Ideen, blieb auch die Dokumentation eine Braun über schwarzem Stift, mit wichtige Funktion der Zeichnung in Raffaels Betrieb. dem Pinsel braun laviert und weiß Zu den besonderen Publikumslieblingen des Kupfer- gehöht, mit schwarzem Stift quadriert, stichkabinetts aus dem Bereich der Raffaelschule, Kupferstichkabinett, Staatliche Museen zählt ohne Zweifel die Zeichnung mit dem Elefant zu Berlin, KdZ 26354 Hanno (italienisch »Annone«; Abb. 24).30 Es handelt sich um eine dokumentarisch genaue, qualitätvolle 22
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