Ratsbericht - Konrad-Adenauer-Stiftung
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Mai 2021 Ratsbericht Europabüro Brüssel Die EU zwischen positiver Frühjahrsbilanz und harten Sanktionen Sondertagung des Europäischen Rates am 24. und 25. Mai 2021 Dr. Hardy Ostry, Jana Bernhardt, Anton Degenfeld, Kai Gläser, Lena Kromm, Sophia Pena Pereira Der Sondergipfel des Europäischen Rates, der - Präsidenten Alexander Lukaschenko eingestuft anders als der letzte reguläre Gipfel der Staats- wird. Die belarussischen Behörden verhafteten und Regierungschefs - in Präsenzform in Brüs- den jungen Mann sowie seine Partnerin, welche sel stattfand, beschäftigte sich wie im Vorfeld ebenfalls mit an Bord war. geplant mit den Themenschwerpunkten CO- Dies ist jedoch nur die jüngste Eskalation im belas- VID-19, Klimawandel und außenpolitischen teten Verhältnis zwischen der Europäischen Union Fragen. Letzterer Themenkomplex gewann am und Belarus. Mit einem aufgrund zahlreicher Un- Tag vor dem Zusammentreffen der EU-Spitzen regelmäßigkeiten unglaubwürdigen und internati- jedoch signifikant an Bedeutung, als die bela- onal nicht anerkannten Wahlergebnisses fiel Bela- russischen Behörden ein Passagierflugzeug auf rus erneut im August 2020 negativ auf. Die bela- einem innereuropäischen Flug unter dem Vor- russische Oppositionsführerin Swetlana Tichan- wand einer Bombendrohung zur Landung owskaja wurde nach ihrer Beschwerde gegen das zwangen, um einen Regimekritiker und seine offizielle Wahlergebnis sieben Stunden festgehal- Lebensgefährtin festzunehmen. In seltener Ei- ten, anschließend zur Ausreise gezwungen und nigkeit verurteilte der Europäische Rat sowohl lebt seither im Exil in Litauen. Auf die augenschein- die erzwungene Landung als auch die Fest- liche Wahlfälschung folgten heftige Proteste, wel- nahme des Oppositionellen und kündigte wei- che gewaltsam niedergeschlagen wurden. Es wur- tere Sanktionen gegen Belarus an. Mit Blick den zahlreiche Menschen festgenommen und ge- auf die Entwicklung der Pandemie sowie die foltert, viele wurden verletzt, zwei Menschen star- gemeinsamen Klimaziele der Union herrschte ben in Polizeigewahrsam. Zuversicht, dass in den kommenden Wochen und Monaten weitere Ziele erreicht werden Am Montag wies Belarus zudem lettische Diplo- können. maten aus, nachdem sich die Staatsspitze in Riga wiederholt öffentlich mit der belarussischen Op- Außenpolitik position solidarisiert hatte. Als Reaktion auf die Entscheidung seitens Belarus teilte das lettische Hintergrund Außenministerium mit, dass die im Land lebenden Am Sonntag, dem 23. Mai, wurde ein Flugzeug der belarussischen Diplomaten Lettland verlassen Linie RyanAir in der belarussischen Hauptstadt müssen und erst zurückkehren dürfen, wenn sich Minsk zur Landung gezwungen. Es flog die Route die Beziehungen zwischen beiden Ländern nor- Athen-Vilnius, als es über Belarus unter Begleitung malisiert hätten. eines Kampfflugzeuges umgeleitet wurde. Grund Neben Lettland forderten auch Litauen und Polen hierfür war eine angebliche Bombendrohung ge- schärfere Sanktionen gegen das gemeinsame gen das Flugzeug. An Bord befand sich Roman Nachbarland. Die EU hatte bereits im vergange- Protassevitch, der aufgrund seines regierungskri- nen Jahr Schwierigkeiten, Sanktionen gegen Bela- tischen medialen Engagements als Oppositionel- ler und damit Gegner des belarussischen Langzeit-
Konrad-Adenauer-Stiftung e. V. Ratsbericht Mai 2021 2 2 rus zu verhängen. Es bestehen bereits ein Waffen- landung in Minsk. Es sei nun von großer Wichtig- embargo und eine Einreise- und Kontosperrung keit, Maßnahmen gegen Belarus zu ergreifen. Auf von Vertretern des belarussischen Staates. Diese Sanktionen gegen sowohl Individuen als auch sind auf einer Listung aufgeführt, welche derzeit „Wirtschaftseinheiten“ bestanden die Staats- und 88 Personen und Wirtschaftseinheiten, die in Ver- Regierungschefs. bindung mit dem Regime stehen, umfasst. Diese Die Einigung über Maßnahmen erfolgte schneller Listung wurde aufgrund der Niederschlagung der als üblich bei Treffen des Europäischen Rates. Be- Opposition als Sanktionsinstrument etabliert. reits während des gemeinsamen Abendessens Auch gegen das benachbarte Russland - dem der Staats- und Regierungschefs wurde eine Eini- engsten Verbündeten des belarussischen Re- gung erzielt. Noch vor 22 Uhr legte sich der Euro- gimes - bestehen bereits Sanktionen aufgrund der päische Rat auf eine klare und einheitliche Posi- rechtswidrigen, disruptiven und provokativen rus- tion gegenüber der Zwangslandung fest, was die sischen Aktivitäten gegenüber der EU, ihren Mit- wahrgenommene Bedeutung des Ereignisses gliedsstaaten und darüber hinaus. Desinformati- deutlich unterstreicht. Der Europäische Rat verur- onskampagnen, der Konflikt in der Ostukraine, teilt die Zwangslandung des Ryanair-Fluges in Hackerangriffe sowie der jüngst verrichtete Gift- Minsk am 23. Mai 2021 aufs Schärfste, da sie die anschlag auf den russischen oppositionellen Poli- zivile Flugsicherheit zwischen zwei EU-Hauptstäd- tiker Alexej Nawalny haben die Beziehungen zwi- ten gefährdet habe. Angeprangert wurde zudem, schen Russland und der EU nachhaltig beschädigt. dass der oppositionelle Journalist Raman Pratase- witsch zusammen mit seiner Partnerin von bela- Den Ratsgipfel nutzten die Europäischen Staats- russischen Behörden festgenommen und inhaf- und Regierungschefs darüber hinaus auch, um ei- tiert wurde. Der Europäische Rat fordert die sofor- nen weiteren außenpolitischen Brennpunkt ihre tige Freilassung der beiden Inhaftierten sowie die Aufmerksamkeit zu widmen: Überzeugend gaben Gewährleistung ihrer Bewegungsfreiheit. Zudem sie ihre Zustimmung zu der am vergangenen Wo- fordert er die Internationale Zivilluftfahrtorganisa- chenende beschlossenen Waffenruhe im Nahen tion (ICAO) auf, diesen nicht hinnehmbaren Vorfall Osten zwischen der Israel und der radikal-islamis- umgehend zu untersuchen. Alle in der EU ansässi- tischen Hamas zum Ausdruck. Ratspräsident Mi- gen Luftfahrtunternehmen hält er an, den Über- chel bekräftigte die europäische Unterstützung flug von Belarus zu vermeiden. der Zwei-Staaten Lösung und kündigte an, dass die EU und ihre internationalen Partner weiterhin Der Europäische Rat ersucht den Rat darüber hin- an einer Redynamisierung des politischen Prozes- aus, so bald wie möglich weitere Listen von Perso- ses in der Region arbeiten würden. nen und Wirtschaftseinheiten auf der Grundlage des einschlägigen Sanktionsrahmens anzuneh- Entwicklung men. Außerdem fordert er ihn auf, weitere ge- Bereits bei Ankunft zum Ratstreffen hatte Ratsprä- zielte Wirtschaftssanktionen zu beschließen, und sident Michel die Zwangslandung als „internatio- ersucht den Hohen Vertreter und die Kommission, nalen Skandal“ bezeichnet. Zivile europäische Le- zu diesem Zweck unverzüglich Vorschläge zu un- ben wären in Gefahr gebracht worden, ebenso sei terbreiten. Notwendige Maßnahmen sollen sei- es eine Gefährdung der internationalen Sicher- tens des Rates ergriffen werden, um das Überflie- heit. Kanzlerin Angela Merkel nannte den Vorfall gen des EU-Luftraums durch belarussische Flug- ein „beispielloses Vorgehen der belarussischen gesellschaften zu unterbinden und in Belarus re- Autoritäten“ und forderte die sofortige Freilas- gistrierten Luftfahrtunternehmen die Start- und sung des oppositionellen Journalisten und seiner Landerechte in der EU zu entziehen. Zuletzt be- Partnerin. Sie sprach sich zu diesem Zeitpunkt be- kundete der Europäische Rat seine Solidarität mit reits für weitere Listungen sowie eine internatio- Lettland, nachdem lettische Diplomaten unge- nale Untersuchung des Vorfalls aus. Kommissi- rechtfertigt ausgewiesen worden waren. onspräsidentin Ursula von der Leyen sprach von Vor diesen jüngsten Ereignissen in Belarus stand einer nicht hinzunehmenden und inakzeptablen Russland als wichtigster außenpolitischer Punkt „Entführung“ des Flugzeuges, worauf eine „starke auf der Agenda des Europäischen Rates. Dies Antwort“ sowie ernste Konsequenzen folgen wür- wurde allerdings stark von eben diesen Ereignis- den. Der Hohe Vertreter der EU für Außen- und Si- sen überschattet. Voraussichtlich wird die Ratsta- cherheitspolitik, Josep Borrell, zeigte sich ebenso gung im Juni 2021 dazu dienen, sich intensiv mit stark verärgert und verlangte eine sofortige Ant- den EU-Russland-Beziehungen auseinanderge- wort auf die inakzeptable Handlung der Zwangs- setzt werden. Hierzu sollen der Hohe Vertreter
Konrad-Adenauer-Stiftung e. V. Ratsbericht Mai 2021 3 3 und die Kommission einen Bericht zur Bestands- Die schnelle, einheitliche und scharfe Reaktion sei- aufnahme in Einklang mit den fünf Grundsätzen tens der Staats- und Regierungschefs ist eine Sel- der Politik der EU gegenüber Russland vorlegen. tenheit, sollte es aber - um sich außenpolitisch be- Zu folgenden Schlussfolgerungen kam der Euro- haupten zu können - nicht bleiben. Vor diesem päische Rat diesbezüglich: Die rechtswidrigen, Hintergrund könnte dem Juni-Rat und den darin provokativen und disruptiven russischen Aktivitä- vorgesehen Verhandlungen über die EU-Russ- ten gegenüber der EU, ihren Mitgliedsstaaten und land-Beziehungen besondere Bedeutung zukom- darüber hinaus werden vom Europäischen Rat men. Wenngleich der Schwerpunkt der Gespräche scharf verurteilt. Die Reaktion sowie Position der somit um Belarus kreiste, war Russland so etwas Tschechischen Republik wird solidarisch unter- wie der Weiße Elefant im Raum. Für die EU und die stützt. Tschechien hatte vor wenigen Wochen geopolitische Kommission von der Leyen stellt nach Abschluss einer Untersuchung, welche eine Belarus insofern einen Lackmustest dar: Wie um- russische Beteiligung an einer Detonation in ei- gehen mit Staaten, die bar jeder Diplomatie offen, nem tschechischen Munitionslager nahelegt, zynisch und unmissverständlich deutlich machen, mehrere russische Diplomaten des Landes ver- was sie von Europas Werten halten?! wiesen, was von Moskau mit harten Gegenmaß- nahmen beantwortet wurde. Beziehungen EU-Vereinigtes Königreich Kommentar Wie erwartet, herrschte beim Thema “Beziehun- gen zwischen der Europäischen Union und dem Das Vorgehen in Belarus wird nicht nur als stark Vereinigten Königreich” allgemeine Übereinstim- undemokratisch wahrgenommen, sondern ver- mung. Das Inkrafttreten des am 1. Mai vom Euro- stößt zudem gegen Menschenrechte. Es stellt sich päischen Parlament ratifizierten Handels- und Ko- gegen die Pressefreiheit und markiert einen gra- operationsabkommens wurde begrüßt und die vierenden Eingriff in sowohl den zivilen Luftver- Wichtigkeit der Umsetzung desselben von allen kehr sowie das internationalen Luftfahrtrecht. Zu- Seiten betont. dem gefährdet es die Bewegungsfreiheit von EU- Bürgerinnen und Bürgern und deren Sicherheits- Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gefühl. Neben den überfälligen eigenen Sanktio- forderte die britische Regierung zudem dazu auf, nen sollte die EU prüfen, in welcher Weise ein die im Januar letzten Jahres unterzeichnete Aus- Schulterschluss mit den internationalen Partnern trittsvereinbarung (Brexit Withdrawal Agreement) möglich ist, um das Regime in Minsk zu isolieren. und besonders das darin enthaltene Nordirland- Protokoll zu respektieren und zu implementieren. Der polnische Ministerpräsident, Mateusz Mora- Das Protokoll sei die einzige Möglichkeit, sowohl wiecki, spricht von einem Akt des „Staatsterroris- den Frieden in Nordirland aufrechtzuerhalten als mus“. Charles Michel empfindet die Geschehnisse auch die Integrität des europäischen Binnen- als einen Angriff auf die „europäische Souveräni- markts zu wahren, so von der Leyen. Ratspräsi- tät“. Das Ausmaß der Sanktionen ist ebenso über- dent Michel pflichtete ihr bei und betonte, dass raschend wie die schnelle Einigung, welche natür- gute Beziehungen mit London die Umsetzung des lich auf die einheitliche Position der Staats- und Abkommens in Wortlaut und Sinn erfordern wür- Regierungschefs zurückgeht. Es werden zudem den. Stimmen laut, die von einer „Mitwisserschaft“ Russlands ausgehen. Fraglich ist, inwieweit Lu- Die in den letzten Wochen in der britischen Regie- kashenko noch unabhängig vom Kreml agiert und rung aufgekommenen Rufe nach mehr Flexibilität inwieweit die Geschehnisse – vollständig ohne beim Umgang mit den Handelsaspekten des Wissen oder gar Unterstützung des Kremls hätten Brexits auf Seiten der EU wurde hiermit eine Ab- stattfinden können. Die Tatsache, dass neben den sage erteilt. Dem fügte von der Leyen hinzu, dass beiden festgenommen Oppositionsangehörigen nicht das in London viel kritisierte Nordirland-Pro- drei weitere Passagiere mit belarussischen und tokoll, sondern der Brexit-Prozess selbst für Prob- russischen Pässen nach der außerplanmäßigen leme sorgen würde. Hierdurch brachte sie wahr- Zwischenlandung die Weiterreise nach Vilnius scheinlich das unter den Gipfel-Teilnehmern vor- nicht antraten, werfen zumindest Fragen auf. handene Unverständnis gegenüber der britischen Haltung, ein bereits unterschriebenes Abkommen Die Europäische Union hat ihre Handlungsfähig- nachbessern zu wollen, zum Ausdruck. keit in der Belarus-Frage unter Beweis stellen kön- nen. Dennoch muss sie sich auf internationaler Die Schlussfolgerungen des Gipfels halten fest, Bühne weiter beweisen, um als geopolitischer Ak- dass die Europäische Union ein enges und part- teur souverän und bestimmt auftreten zu können. nerschaftliches Verhältnis mit dem Vereinigten
Konrad-Adenauer-Stiftung e. V. Ratsbericht Mai 2021 4 4 Königreich auf der Basis des Kooperationsabkom- dischen Hersteller nicht zu verlängern, und be- mens und der Austrittsvereinbarung wünscht, be- schreitet darüber hinaus den Rechtsweg gegen tont aber erneut, dass Nicht-Mitgliedsstaaten das Unternehmen. nicht dieselben Privilegien eines vollwertigen EU- Da die grundsätzlich positive Entwicklung der ver- Mitglieds erhalten können. Die europäisch-briti- gangenen Wochen die Hoffnung auf einen mehr schen Beziehungen sollen weder die Autonomie oder weniger normalen Sommer geweckt hat, des europäischen Entscheidungsprozesses noch kam dem bereits während des letzten (virtuellen) die Integrität des Binnenmarkts noch die Zoll- Zusammentreffens der Staats- und Regierungs- union gefährden. Die EU stehe zudem bereit, von chefs andiskutierten „EU-Impfzertifikat“ (EU Digital den in den geschlossenen Verträgen vorgesehe- COVID certificate) in den vergangenen Tagen er- nen legalen Mitteln Gebrauch zu machen, um dies höhte Aufmerksamkeit zu. Nachdem mehrere of- zu verhindern, so Ratspräsident Michel. Die Be- fene Fragen im Ministerrat sowie im Europäischen sprechungen endeten mit der Versicherung, dass Parlament geklärt werden konnten, gaben die In- die Europäische Union und ihre Mitgliedsstaaten stitutionen in der vergangenen Woche grünes bei dieser Angelegenheit weiterhin geeint voran- Licht für die Umsetzung. So soll das elektronische schreiten werden. Zertifikat die praktisch uneingeschränkte Mobilität innerhalb der EU wiederherstellen – allerdings COVID-19-Pandemie nur, wenn der Inhaber des Zertifikats vollständig Hintergrund mit einem von der Europäischen Arzneimittel- agentur (EMA) zugelassenen Impfstoff immuni- Etwas mehr als ein Jahr nach Ausbruch der siert wurde. Die Einigung ist noch nicht offiziell von Corona-Pandemie sowie den damit verbundenen den Institutionen angenommen, dies gilt nach den Einschränkungen und Eindämmungsmaßnahmen abgeschlossenen Trilog-Verhandlungen jedoch als erlebten die meisten Mitgliedsstaaten der Europä- Formsache. ischen Union zuletzt eine über mehrere Wochen anhaltende positive Entwicklung der relevanten Entwicklung Indikatoren (Zahl der Neuinfektionen, Zahl der Am zweiten Tag des EU-Sondergipfels stimmten Krankenhauseinweisungen und Zahl der an oder sich die 27 EU-Staats- und Regierungschefs zu- mit COVID-19 verstorbenen Patienten). Neben sai- nächst über das weitere Vorgehen in der Corona- sonalen Effekten und zeitweise wieder verschärf- Pandemie ab. Obwohl sich die Ausgangsposition ten Schutzmaßnahmen führen Experten dies erst- im Vergleich zum letzten Ratsgipfel erkennbar ver- mals auch auf das Impftempo zurück, welches in bessert hat, wiesen zahlreiche Politikerinnen und den vergangenen Wochen in der gesamten EU Politiker schon in den Tagen vor Beginn des Gip- deutlich angezogen hat. So hat im Schnitt mittler- fels darauf hin, dass man gesamteuropäisch zwar weile gut ein Drittel der EU-Bürger mindestens auf einem guten Weg sei, die Pandemie jedoch eine Impfdosis erhalten – wobei die Zahlen zwi- noch nicht überwunden habe. Um sich diesem schen den einzelnen Mitgliedsstaaten variieren. übergeordneten Ziel schrittweise anzunähern, Durch den Abschluss eines weiteren Vertrags mit seien weitere Anstrengungen notwendig. So BionTech/Pfizer sowie weiteren Zulassungen soll wurde u. a. auch die Impfung von Minderjährigen sichergestellt werden, dass das Impftempo weiter auf dem Gipfeltreffen diskutiert. „We hope for hochgehalten wird und alle impfwilligen EU-Bür- EMA to approve the Biontech/Pfizer vaccines for ger bis Ende des Sommers ein Impfangebot erhal- twelve to fifteen year old children“ äußerte sich ten haben. Der im Rahmen des vergangenen Rats- EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gipfels angekündigte Impffortschritt hat sich also diesbezüglich. Entscheidend im Kampf gegen die bereits eingestellt. Nachdem einzelne nordeuro- Pandemie seien vor allem aber die kontinuierlich päische Länder (z.B. Dänemark) das Vakzin von laufenden Bemühungen zur Steigerung der Impf- AstraZeneca aufgrund selten auftretender, stoffproduktion und die damit einhergehende schwerwiegender Nebenwirkungen aus der natio- ausreichende Verfügbarkeit der Vakzine innerhalb nalen Impfstrategie gestrichen hatten, wurden die der Europäischen Union, schlussfolgerte der Euro- frei gewordenen Dosen zuletzt auf andere Mit- päische Rat. gliedsstaaten verteilt, um eine Verimpfung sicher- zustellen und zugleich die Verschwendung des Das digitale COVID-Zertifikat als Teil der Öffnungs- Wirkstoffs zu verhindern. Aufgrund nicht vertrags- strategie der EU-Kommission soll ein weiteres In- gerechter Lieferungen beschloss die EU-Kommis- strument auf dem Weg zur allmählichen Wieder- sion jedoch, den Vertrag mit dem britisch-schwe- herstellung eines sicheren gesellschaftlichen Le-
Konrad-Adenauer-Stiftung e. V. Ratsbericht Mai 2021 5 5 bens sein, insbesondere auf dem Weg hin zur Rei- Kommentar sefreiheit innerhalb der EU. Im Hinblick auf die Er- Die europaweite Entwicklung des Infektionsge- leichterung der Freizügigkeit fordert der Europäi- schehens stimmt vorsichtig optimistisch. Die EU- sche Rat in seiner Schlussfolgerung daher eine Impfkampagne erzielt große Fortschritte, bis Ende Überarbeitung der Reiseempfehlungen innerhalb dieser Woche sollen 140 Millionen Menschen in der Europäischen Union bis Mitte nächsten Mo- der Europäischen Union ihre Erstimpfung erhal- nats. Die bereits überarbeitete Empfehlung des ten haben. Damit wären nahezu 46 Prozent der er- Rates zu nicht unbedingt notwendigen Reisen in wachsenen Bevölkerung mindestens einmal ge- die EU wurden vor diesem Hintergrund begrüßt. impft. Außerdem wird noch in diesem Monat eine Der Sommer ist die beliebteste Reisezeit in allen Entscheidung der EU-Arzneimittelbehörde (EMA) EU-Staaten. Das Zertifikat eröffne „[…] die Mög- über die Zulassung des Corona-Impfstoffs von lichkeit, dass wir alle unsere Grundfreiheiten wie- BioNTech/Pfizer für Kinder ab zwölf Jahren erwar- der zurückbekommen und endlich wieder frei rei- tet. Auch US-Pharmahersteller Moderna will nach sen können“ sagte der österreichische Bundes- Angaben des Vorstandschefs Stéphane Bancel An- kanzler Sebastian Kurz im Vorfeld des EU-Sonder- fang Juni Impfstoffzulassungen für Kinder und Ju- gipfels in Brüssel. Insbesondere für Tourismuslän- gendliche beantragen. der wie Österreich sei das „EU-Impfzertifikat“ Ob der jüngste Trend stabil bleibt, wird sich in den wichtig, da nicht zuletzt viele Arbeitsplätze vom nächsten Wochen und Monaten zeigen. Vorsicht Tourismussektor abhingen, so Kurz weiter. Die ist weiterhin vor den Corona-Mutanten geboten. Schlussfolgerungen des Europäischen Rates, die Die bereits zugelassenen Vakzine bieten zwar Bemühungen um einen koordinierten Ansatz grundsätzlich einen Schutz gegen die Mutanten noch vor dem Sommer fortzusetzen und das Zer- und Varianten des Coronavirus, wenngleich es in tifikat damit zeitnah einzuführen, kommt dieser der Wirksamkeit bedeutende Unterschiede gibt. Einschätzung entgegen. Die internationale Zusammenarbeit als Instru- Allgemeiner Konsens herrschte während des Gip- ment im Kampf gegen die Pandemie bleibt für die feltreffens darüber, dass die EU im Kampf gegen Europäische Union auch weiterhin ein zentraler die Pandemie auch weiterhin die COVAX-Fazilität Punkt. Daher unterstützt die EU u. a. die Einleitung für einen weltweit fairen Zugang zu sicheren und eines WHO-Verfahrens zur Ausarbeitung eines wirksamen COVID-19-Impfstoffen unterstützt. Mit Pandemievertrages. Das Engagement im Rahmen der Absicht eines verstärkten globalen Engage- der COVAX Initiative bleibt bestehen und soll wei- ments befinden sich die EU und ihre Mitgliedsstaa- ter ausgebaut werden. Bisher konnten von euro- ten im Einklang mit der vier Tage zuvor getroffe- päischer Seite im Schnitt 50 Prozent der Impfstoff- nen Erklärung von Rom des Welt-Gesundheitsgip- dosen in mehr als 40 Länder weltweit exportiert fels. Auf dem im Februar stattgefundenen digita- werden. len G7-Gipfel kündigte die EU zuletzt an, die im Rahmen des „Team Europa“ zunächst zugesagten Klimawandel 500 Millionen Euro Unterstützung auf 1 Milliarde Euro zu verdoppeln. Die EU als größter Exporteur Hintergrund von COVID-19-Vakzinen in Drittländer werde da- Der Aktualität der außenpolitischen Themen ge- her ihre Bemühungen fortsetzen, die globalen schuldet, wurde dem Thema Klima im Vorfeld we- Produktionskapazitäten für Impfstoffe zu erhöhen niger Beachtung als sonst üblich geschenkt. Den- und bedürftige Länder zu unterstützen mit dem noch lohnt sich ein kurzer Blick auf die Entwicklun- Ziel, bis Jahresende 100 Millionen Dosen zu spen- gen der vergangenen Wochen. den. Ebenso solle die Impfstoffentwicklung und der Aufbau örtlicher Impfstofffabriken in Afrika Zur Erinnerung: Beim letzten Ratsgipfel unter Lei- unterstützt werden. Diese Initiative strebe an, die tung der deutschen Ratspräsidentschaft im De- mRNA-Technologie auf den südlichen Nachbar- zember 2020 verständigten sich die Staats- und kontinent zu bringen. Vor diesem Hintergrund sei Regierungschefs nach langwierigen Verhandlun- auch die Bedeutsamkeit und Notwendigkeit eines gen auf die Verschärfung des Klimaziels für 2030. verstärkten Engagements in Lateinamerika von Damit billigte der Rat das von der Kommission vor- vielen Staats- und Regierungschefs mehrfach un- geschlagene 55-Prozent-Ziel für 2030 als Zwi- terstrichen worden, hob EU-Ratspräsident Charles schenziel auf dem Weg zur angestrebten Kli- Michel in der anschließenden Pressekonferenz maneutralität bis 2050. Neben der Einigung auf hervor. das Klimaziel wurde außerdem der Druck erhöht, das Klimagesetz baldmöglichst zu erlassen.
Konrad-Adenauer-Stiftung e. V. Ratsbericht Mai 2021 6 6 Kurz vor dem Klimagipfel von Joe Biden erfolgte seinem Vorhaben, die Leitlinien sowie die Zukunft schließlich im sechsten Trilog (Verhandlungsrunde der Lastenteilungsverordnung erneut zu behan- zwischen Kommission, Rat und EU-Parlament) am deln. Zum Hintergrund: Das EU-Klimaziel gilt nicht Morgen des 21. Aprils eine informelle Einigung pauschal für alle Mitgliedsstaaten. Im Rahmen der über das EU-Klimagesetz. In dem Klimagesetz wird Lastenverteilung innerhalb der EU orientiert sich rechtlich festgeschrieben, dass die EU bis 2050 kli- jedes Land an einem eigenen Zielwert. Ärmere maneutral wird und bis 2030 ihre Netto-Treib- Mitgliedsstaaten fordern, dass sich dieser Zielwert hausgasemissionen um 55 Prozent gegenüber im Wesentlichen an der wirtschaftlichen Leis- 1990 senken muss. Die Ergebnisse wurden da- tungskraft des jeweiligen Landes orientiert. raufhin Anfang Mai durch die EU-Botschafter im Die Frage nach der Lastenverteilung – also die Ausschuss der Ständigen Vertreter (COREPER) ge- Frage, welcher Mitgliedsstaat wie viel Treibhaus- billigt. Das Parlament wird die Einigung voraus- gase einsparen muss – bleibt jedoch weiterhin sichtlich im Juni annehmen. Die Verhandlungsfüh- umstritten. Entgegen dem Entwurf sprachen sich rer beschlossen außerdem die vom Parlament die Staats- und Regierungschefs nicht für die nati- vorgeschlagene Einrichtung eines unabhängigen onalen Ziele, die breit angelegte Lastenteilung so- wissenschaftlichen Gremiums, dem 15 hochrangi- wie die bestehenden Kriterien für die Lastentei- gen wissenschaftliche Sachverständigen angehö- lung aus. Wie zu erwarten war, bremste Polens ren, die bei der Ausrichtung der EU-Politik auf die Premierminister Mateusz Morawiecki das Vorha- Klimaziele beraten sollen. Zudem soll es für den ben aus und ließ die vorbereiteten Punkte zur Las- Zeitraum 2030 bis 2050 ein Treibhausgas-Budget tenteilung aus dem Text streichen. In der finalen (die zu erwartenden Treibhausgasemissionen) ge- Schlussfolgerung heißt es nun, dass der Rat das ben, das als Basis für ein neues Klimaziel 2040 die- Thema nach der Veröffentlichung der legislativen nen soll. Vorschläge wieder aufgreifen wird. Die Einigung zum Klimagesetz ist somit das letzte Kommentar Puzzleteil für die legislativen Vorschläge des Fit for 55-Pakets, das am 14. Juli vorgestellt wird. Charles Michel und Ursula von der Leyen zeigten sich bei der abschließenden Pressekonferenz trotz Entwicklung der herrschenden Uneinigkeit zwischen den Mit- Nun geht es um Richtungsentscheidungen und die gliedsstaaten zuversichtlich. Eine tiefgehende Dis- konkrete Umsetzung. „Wir müssen diskutieren, kussion zur Lastenteilung kann und wird erst dann wie wir die Ziele erreichen“, so von der Leyen. Ein geben, wenn die Kommissionsvorschläge auf dem geleakter Entwurf der Schlussfolgerungen des Ra- Tisch liegen. tes verriet bereits im Vorfeld, dass die im Dezem- Der Widerstand Polens gibt jedoch bereits einen ber beschlossenen Punkte nicht erneut zur Dis- Vorgeschmack auf die späteren Verhandlungen zu kussion stehen werden. Es sollte vielmehr darum den legislativen Vorschlägen im Herbst. EU-Diplo- gehen, die Dezemberbeschlüsse noch einmal zu maten vermuten, dass sich Polen dadurch noch bestätigen und Leitlinien für das Legislativpaket weitere Hilfen für den Kohleausstieg sichern will. abzustimmen. Damit folgte der Europäische Rat Konrad-Adenauer-Stiftung e. V. Dr. Hardy Ostry Leiter Europabüro Brüssel www.kas.de/bruessel hardy.ostry@kas.de Der Text dieses Werkes ist lizenziert unter den Bedingungen von „Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international”, CC BY-SA 4.0 (abrufbar unter: https://creativecom mons.org/licenses/ by-sa/4.0/legalcode.de) www.kas.de
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