Ratsbericht - Konrad-Adenauer-Stiftung

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Ratsbericht - Konrad-Adenauer-Stiftung
Mai 2021

Ratsbericht
Europabüro Brüssel

Die EU zwischen positiver Frühjahrsbilanz und
harten Sanktionen

Sondertagung des Europäischen Rates am 24. und 25. Mai 2021

Dr. Hardy Ostry, Jana Bernhardt, Anton Degenfeld, Kai Gläser, Lena Kromm, Sophia Pena Pereira

Der Sondergipfel des Europäischen Rates, der -        Präsidenten Alexander Lukaschenko eingestuft
anders als der letzte reguläre Gipfel der Staats-     wird. Die belarussischen Behörden verhafteten
und Regierungschefs - in Präsenzform in Brüs-         den jungen Mann sowie seine Partnerin, welche
sel stattfand, beschäftigte sich wie im Vorfeld       ebenfalls mit an Bord war.
geplant mit den Themenschwerpunkten CO-
                                                      Dies ist jedoch nur die jüngste Eskalation im belas-
VID-19, Klimawandel und außenpolitischen
                                                      teten Verhältnis zwischen der Europäischen Union
Fragen. Letzterer Themenkomplex gewann am
                                                      und Belarus. Mit einem aufgrund zahlreicher Un-
Tag vor dem Zusammentreffen der EU-Spitzen
                                                      regelmäßigkeiten unglaubwürdigen und internati-
jedoch signifikant an Bedeutung, als die bela-
                                                      onal nicht anerkannten Wahlergebnisses fiel Bela-
russischen Behörden ein Passagierflugzeug auf
                                                      rus erneut im August 2020 negativ auf. Die bela-
einem innereuropäischen Flug unter dem Vor-
                                                      russische Oppositionsführerin Swetlana Tichan-
wand einer Bombendrohung zur Landung
                                                      owskaja wurde nach ihrer Beschwerde gegen das
zwangen, um einen Regimekritiker und seine
                                                      offizielle Wahlergebnis sieben Stunden festgehal-
Lebensgefährtin festzunehmen. In seltener Ei-
                                                      ten, anschließend zur Ausreise gezwungen und
nigkeit verurteilte der Europäische Rat sowohl
                                                      lebt seither im Exil in Litauen. Auf die augenschein-
die erzwungene Landung als auch die Fest-
                                                      liche Wahlfälschung folgten heftige Proteste, wel-
nahme des Oppositionellen und kündigte wei-
                                                      che gewaltsam niedergeschlagen wurden. Es wur-
tere Sanktionen gegen Belarus an. Mit Blick
                                                      den zahlreiche Menschen festgenommen und ge-
auf die Entwicklung der Pandemie sowie die
                                                      foltert, viele wurden verletzt, zwei Menschen star-
gemeinsamen Klimaziele der Union herrschte
                                                      ben in Polizeigewahrsam.
Zuversicht, dass in den kommenden Wochen
und Monaten weitere Ziele erreicht werden             Am Montag wies Belarus zudem lettische Diplo-
können.                                               maten aus, nachdem sich die Staatsspitze in Riga
                                                      wiederholt öffentlich mit der belarussischen Op-
Außenpolitik                                          position solidarisiert hatte. Als Reaktion auf die
                                                      Entscheidung seitens Belarus teilte das lettische
Hintergrund
                                                      Außenministerium mit, dass die im Land lebenden
Am Sonntag, dem 23. Mai, wurde ein Flugzeug der       belarussischen Diplomaten Lettland verlassen
Linie RyanAir in der belarussischen Hauptstadt        müssen und erst zurückkehren dürfen, wenn sich
Minsk zur Landung gezwungen. Es flog die Route        die Beziehungen zwischen beiden Ländern nor-
Athen-Vilnius, als es über Belarus unter Begleitung   malisiert hätten.
eines Kampfflugzeuges umgeleitet wurde. Grund
                                                      Neben Lettland forderten auch Litauen und Polen
hierfür war eine angebliche Bombendrohung ge-
                                                      schärfere Sanktionen gegen das gemeinsame
gen das Flugzeug. An Bord befand sich Roman
                                                      Nachbarland. Die EU hatte bereits im vergange-
Protassevitch, der aufgrund seines regierungskri-
                                                      nen Jahr Schwierigkeiten, Sanktionen gegen Bela-
tischen medialen Engagements als Oppositionel-
ler und damit Gegner des belarussischen Langzeit-
Ratsbericht - Konrad-Adenauer-Stiftung
Konrad-Adenauer-Stiftung e. V.
Ratsbericht                                                                                      Mai 2021     2
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rus zu verhängen. Es bestehen bereits ein Waffen-     landung in Minsk. Es sei nun von großer Wichtig-
embargo und eine Einreise- und Kontosperrung          keit, Maßnahmen gegen Belarus zu ergreifen. Auf
von Vertretern des belarussischen Staates. Diese      Sanktionen gegen sowohl Individuen als auch
sind auf einer Listung aufgeführt, welche derzeit     „Wirtschaftseinheiten“ bestanden die Staats- und
88 Personen und Wirtschaftseinheiten, die in Ver-     Regierungschefs.
bindung mit dem Regime stehen, umfasst. Diese
                                                      Die Einigung über Maßnahmen erfolgte schneller
Listung wurde aufgrund der Niederschlagung der
                                                      als üblich bei Treffen des Europäischen Rates. Be-
Opposition als Sanktionsinstrument etabliert.
                                                      reits während des gemeinsamen Abendessens
Auch gegen das benachbarte Russland - dem             der Staats- und Regierungschefs wurde eine Eini-
engsten Verbündeten des belarussischen Re-            gung erzielt. Noch vor 22 Uhr legte sich der Euro-
gimes - bestehen bereits Sanktionen aufgrund der      päische Rat auf eine klare und einheitliche Posi-
rechtswidrigen, disruptiven und provokativen rus-     tion gegenüber der Zwangslandung fest, was die
sischen Aktivitäten gegenüber der EU, ihren Mit-      wahrgenommene Bedeutung des Ereignisses
gliedsstaaten und darüber hinaus. Desinformati-       deutlich unterstreicht. Der Europäische Rat verur-
onskampagnen, der Konflikt in der Ostukraine,         teilt die Zwangslandung des Ryanair-Fluges in
Hackerangriffe sowie der jüngst verrichtete Gift-     Minsk am 23. Mai 2021 aufs Schärfste, da sie die
anschlag auf den russischen oppositionellen Poli-     zivile Flugsicherheit zwischen zwei EU-Hauptstäd-
tiker Alexej Nawalny haben die Beziehungen zwi-       ten gefährdet habe. Angeprangert wurde zudem,
schen Russland und der EU nachhaltig beschädigt.      dass der oppositionelle Journalist Raman Pratase-
                                                      witsch zusammen mit seiner Partnerin von bela-
Den Ratsgipfel nutzten die Europäischen Staats-
                                                      russischen Behörden festgenommen und inhaf-
und Regierungschefs darüber hinaus auch, um ei-
                                                      tiert wurde. Der Europäische Rat fordert die sofor-
nen weiteren außenpolitischen Brennpunkt ihre
                                                      tige Freilassung der beiden Inhaftierten sowie die
Aufmerksamkeit zu widmen: Überzeugend gaben
                                                      Gewährleistung ihrer Bewegungsfreiheit. Zudem
sie ihre Zustimmung zu der am vergangenen Wo-
                                                      fordert er die Internationale Zivilluftfahrtorganisa-
chenende beschlossenen Waffenruhe im Nahen
                                                      tion (ICAO) auf, diesen nicht hinnehmbaren Vorfall
Osten zwischen der Israel und der radikal-islamis-
                                                      umgehend zu untersuchen. Alle in der EU ansässi-
tischen Hamas zum Ausdruck. Ratspräsident Mi-
                                                      gen Luftfahrtunternehmen hält er an, den Über-
chel bekräftigte die europäische Unterstützung
                                                      flug von Belarus zu vermeiden.
der Zwei-Staaten Lösung und kündigte an, dass
die EU und ihre internationalen Partner weiterhin     Der Europäische Rat ersucht den Rat darüber hin-
an einer Redynamisierung des politischen Prozes-      aus, so bald wie möglich weitere Listen von Perso-
ses in der Region arbeiten würden.                    nen und Wirtschaftseinheiten auf der Grundlage
                                                      des einschlägigen Sanktionsrahmens anzuneh-
Entwicklung
                                                      men. Außerdem fordert er ihn auf, weitere ge-
Bereits bei Ankunft zum Ratstreffen hatte Ratsprä-    zielte Wirtschaftssanktionen zu beschließen, und
sident Michel die Zwangslandung als „internatio-      ersucht den Hohen Vertreter und die Kommission,
nalen Skandal“ bezeichnet. Zivile europäische Le-     zu diesem Zweck unverzüglich Vorschläge zu un-
ben wären in Gefahr gebracht worden, ebenso sei       terbreiten. Notwendige Maßnahmen sollen sei-
es eine Gefährdung der internationalen Sicher-        tens des Rates ergriffen werden, um das Überflie-
heit. Kanzlerin Angela Merkel nannte den Vorfall      gen des EU-Luftraums durch belarussische Flug-
ein „beispielloses Vorgehen der belarussischen        gesellschaften zu unterbinden und in Belarus re-
Autoritäten“ und forderte die sofortige Freilas-      gistrierten Luftfahrtunternehmen die Start- und
sung des oppositionellen Journalisten und seiner      Landerechte in der EU zu entziehen. Zuletzt be-
Partnerin. Sie sprach sich zu diesem Zeitpunkt be-    kundete der Europäische Rat seine Solidarität mit
reits für weitere Listungen sowie eine internatio-    Lettland, nachdem lettische Diplomaten unge-
nale Untersuchung des Vorfalls aus. Kommissi-         rechtfertigt ausgewiesen worden waren.
onspräsidentin Ursula von der Leyen sprach von
                                                      Vor diesen jüngsten Ereignissen in Belarus stand
einer nicht hinzunehmenden und inakzeptablen
                                                      Russland als wichtigster außenpolitischer Punkt
„Entführung“ des Flugzeuges, worauf eine „starke
                                                      auf der Agenda des Europäischen Rates. Dies
Antwort“ sowie ernste Konsequenzen folgen wür-
                                                      wurde allerdings stark von eben diesen Ereignis-
den. Der Hohe Vertreter der EU für Außen- und Si-
                                                      sen überschattet. Voraussichtlich wird die Ratsta-
cherheitspolitik, Josep Borrell, zeigte sich ebenso
                                                      gung im Juni 2021 dazu dienen, sich intensiv mit
stark verärgert und verlangte eine sofortige Ant-
                                                      den EU-Russland-Beziehungen auseinanderge-
wort auf die inakzeptable Handlung der Zwangs-
                                                      setzt werden. Hierzu sollen der Hohe Vertreter
Konrad-Adenauer-Stiftung e. V.
Ratsbericht                                                                                     Mai 2021     3
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und die Kommission einen Bericht zur Bestands-        Die schnelle, einheitliche und scharfe Reaktion sei-
aufnahme in Einklang mit den fünf Grundsätzen         tens der Staats- und Regierungschefs ist eine Sel-
der Politik der EU gegenüber Russland vorlegen.       tenheit, sollte es aber - um sich außenpolitisch be-
Zu folgenden Schlussfolgerungen kam der Euro-         haupten zu können - nicht bleiben. Vor diesem
päische Rat diesbezüglich: Die rechtswidrigen,        Hintergrund könnte dem Juni-Rat und den darin
provokativen und disruptiven russischen Aktivitä-     vorgesehen Verhandlungen über die EU-Russ-
ten gegenüber der EU, ihren Mitgliedsstaaten und      land-Beziehungen besondere Bedeutung zukom-
darüber hinaus werden vom Europäischen Rat            men. Wenngleich der Schwerpunkt der Gespräche
scharf verurteilt. Die Reaktion sowie Position der    somit um Belarus kreiste, war Russland so etwas
Tschechischen Republik wird solidarisch unter-        wie der Weiße Elefant im Raum. Für die EU und die
stützt. Tschechien hatte vor wenigen Wochen           geopolitische Kommission von der Leyen stellt
nach Abschluss einer Untersuchung, welche eine        Belarus insofern einen Lackmustest dar: Wie um-
russische Beteiligung an einer Detonation in ei-      gehen mit Staaten, die bar jeder Diplomatie offen,
nem tschechischen Munitionslager nahelegt,            zynisch und unmissverständlich deutlich machen,
mehrere russische Diplomaten des Landes ver-          was sie von Europas Werten halten?!
wiesen, was von Moskau mit harten Gegenmaß-
nahmen beantwortet wurde.                             Beziehungen EU-Vereinigtes Königreich
Kommentar                                             Wie erwartet, herrschte beim Thema “Beziehun-
                                                      gen zwischen der Europäischen Union und dem
Das Vorgehen in Belarus wird nicht nur als stark
                                                      Vereinigten Königreich” allgemeine Übereinstim-
undemokratisch wahrgenommen, sondern ver-
                                                      mung. Das Inkrafttreten des am 1. Mai vom Euro-
stößt zudem gegen Menschenrechte. Es stellt sich
                                                      päischen Parlament ratifizierten Handels- und Ko-
gegen die Pressefreiheit und markiert einen gra-
                                                      operationsabkommens wurde begrüßt und die
vierenden Eingriff in sowohl den zivilen Luftver-
                                                      Wichtigkeit der Umsetzung desselben von allen
kehr sowie das internationalen Luftfahrtrecht. Zu-
                                                      Seiten betont.
dem gefährdet es die Bewegungsfreiheit von EU-
Bürgerinnen und Bürgern und deren Sicherheits-        Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen
gefühl. Neben den überfälligen eigenen Sanktio-       forderte die britische Regierung zudem dazu auf,
nen sollte die EU prüfen, in welcher Weise ein        die im Januar letzten Jahres unterzeichnete Aus-
Schulterschluss mit den internationalen Partnern      trittsvereinbarung (Brexit Withdrawal Agreement)
möglich ist, um das Regime in Minsk zu isolieren.     und besonders das darin enthaltene Nordirland-
                                                      Protokoll zu respektieren und zu implementieren.
Der polnische Ministerpräsident, Mateusz Mora-
                                                      Das Protokoll sei die einzige Möglichkeit, sowohl
wiecki, spricht von einem Akt des „Staatsterroris-
                                                      den Frieden in Nordirland aufrechtzuerhalten als
mus“. Charles Michel empfindet die Geschehnisse
                                                      auch die Integrität des europäischen Binnen-
als einen Angriff auf die „europäische Souveräni-
                                                      markts zu wahren, so von der Leyen. Ratspräsi-
tät“. Das Ausmaß der Sanktionen ist ebenso über-
                                                      dent Michel pflichtete ihr bei und betonte, dass
raschend wie die schnelle Einigung, welche natür-
                                                      gute Beziehungen mit London die Umsetzung des
lich auf die einheitliche Position der Staats- und
                                                      Abkommens in Wortlaut und Sinn erfordern wür-
Regierungschefs zurückgeht. Es werden zudem
                                                      den.
Stimmen laut, die von einer „Mitwisserschaft“
Russlands ausgehen. Fraglich ist, inwieweit Lu-       Die in den letzten Wochen in der britischen Regie-
kashenko noch unabhängig vom Kreml agiert und         rung aufgekommenen Rufe nach mehr Flexibilität
inwieweit die Geschehnisse – vollständig ohne         beim Umgang mit den Handelsaspekten des
Wissen oder gar Unterstützung des Kremls hätten       Brexits auf Seiten der EU wurde hiermit eine Ab-
stattfinden können. Die Tatsache, dass neben den      sage erteilt. Dem fügte von der Leyen hinzu, dass
beiden festgenommen Oppositionsangehörigen            nicht das in London viel kritisierte Nordirland-Pro-
drei weitere Passagiere mit belarussischen und        tokoll, sondern der Brexit-Prozess selbst für Prob-
russischen Pässen nach der außerplanmäßigen           leme sorgen würde. Hierdurch brachte sie wahr-
Zwischenlandung die Weiterreise nach Vilnius          scheinlich das unter den Gipfel-Teilnehmern vor-
nicht antraten, werfen zumindest Fragen auf.          handene Unverständnis gegenüber der britischen
                                                      Haltung, ein bereits unterschriebenes Abkommen
Die Europäische Union hat ihre Handlungsfähig-
                                                      nachbessern zu wollen, zum Ausdruck.
keit in der Belarus-Frage unter Beweis stellen kön-
nen. Dennoch muss sie sich auf internationaler        Die Schlussfolgerungen des Gipfels halten fest,
Bühne weiter beweisen, um als geopolitischer Ak-      dass die Europäische Union ein enges und part-
teur souverän und bestimmt auftreten zu können.       nerschaftliches Verhältnis mit dem Vereinigten
Konrad-Adenauer-Stiftung e. V.
Ratsbericht                                                                                      Mai 2021     4
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Königreich auf der Basis des Kooperationsabkom-      dischen Hersteller nicht zu verlängern, und be-
mens und der Austrittsvereinbarung wünscht, be-      schreitet darüber hinaus den Rechtsweg gegen
tont aber erneut, dass Nicht-Mitgliedsstaaten        das Unternehmen.
nicht dieselben Privilegien eines vollwertigen EU-
                                                     Da die grundsätzlich positive Entwicklung der ver-
Mitglieds erhalten können. Die europäisch-briti-
                                                     gangenen Wochen die Hoffnung auf einen mehr
schen Beziehungen sollen weder die Autonomie
                                                     oder weniger normalen Sommer geweckt hat,
des europäischen Entscheidungsprozesses noch
                                                     kam dem bereits während des letzten (virtuellen)
die Integrität des Binnenmarkts noch die Zoll-
                                                     Zusammentreffens der Staats- und Regierungs-
union gefährden. Die EU stehe zudem bereit, von
                                                     chefs andiskutierten „EU-Impfzertifikat“ (EU Digital
den in den geschlossenen Verträgen vorgesehe-
                                                     COVID certificate) in den vergangenen Tagen er-
nen legalen Mitteln Gebrauch zu machen, um dies
                                                     höhte Aufmerksamkeit zu. Nachdem mehrere of-
zu verhindern, so Ratspräsident Michel. Die Be-
                                                     fene Fragen im Ministerrat sowie im Europäischen
sprechungen endeten mit der Versicherung, dass
                                                     Parlament geklärt werden konnten, gaben die In-
die Europäische Union und ihre Mitgliedsstaaten
                                                     stitutionen in der vergangenen Woche grünes
bei dieser Angelegenheit weiterhin geeint voran-
                                                     Licht für die Umsetzung. So soll das elektronische
schreiten werden.
                                                     Zertifikat die praktisch uneingeschränkte Mobilität
                                                     innerhalb der EU wiederherstellen – allerdings
COVID-19-Pandemie
                                                     nur, wenn der Inhaber des Zertifikats vollständig
Hintergrund                                          mit einem von der Europäischen Arzneimittel-
                                                     agentur (EMA) zugelassenen Impfstoff immuni-
Etwas mehr als ein Jahr nach Ausbruch der
                                                     siert wurde. Die Einigung ist noch nicht offiziell von
Corona-Pandemie sowie den damit verbundenen
                                                     den Institutionen angenommen, dies gilt nach den
Einschränkungen und Eindämmungsmaßnahmen
                                                     abgeschlossenen Trilog-Verhandlungen jedoch als
erlebten die meisten Mitgliedsstaaten der Europä-
                                                     Formsache.
ischen Union zuletzt eine über mehrere Wochen
anhaltende positive Entwicklung der relevanten       Entwicklung
Indikatoren (Zahl der Neuinfektionen, Zahl der
                                                     Am zweiten Tag des EU-Sondergipfels stimmten
Krankenhauseinweisungen und Zahl der an oder
                                                     sich die 27 EU-Staats- und Regierungschefs zu-
mit COVID-19 verstorbenen Patienten). Neben sai-
                                                     nächst über das weitere Vorgehen in der Corona-
sonalen Effekten und zeitweise wieder verschärf-
                                                     Pandemie ab. Obwohl sich die Ausgangsposition
ten Schutzmaßnahmen führen Experten dies erst-
                                                     im Vergleich zum letzten Ratsgipfel erkennbar ver-
mals auch auf das Impftempo zurück, welches in
                                                     bessert hat, wiesen zahlreiche Politikerinnen und
den vergangenen Wochen in der gesamten EU
                                                     Politiker schon in den Tagen vor Beginn des Gip-
deutlich angezogen hat. So hat im Schnitt mittler-
                                                     fels darauf hin, dass man gesamteuropäisch zwar
weile gut ein Drittel der EU-Bürger mindestens
                                                     auf einem guten Weg sei, die Pandemie jedoch
eine Impfdosis erhalten – wobei die Zahlen zwi-
                                                     noch nicht überwunden habe. Um sich diesem
schen den einzelnen Mitgliedsstaaten variieren.
                                                     übergeordneten Ziel schrittweise anzunähern,
Durch den Abschluss eines weiteren Vertrags mit
                                                     seien weitere Anstrengungen notwendig. So
BionTech/Pfizer sowie weiteren Zulassungen soll
                                                     wurde u. a. auch die Impfung von Minderjährigen
sichergestellt werden, dass das Impftempo weiter
                                                     auf dem Gipfeltreffen diskutiert. „We hope for
hochgehalten wird und alle impfwilligen EU-Bür-
                                                     EMA to approve the Biontech/Pfizer vaccines for
ger bis Ende des Sommers ein Impfangebot erhal-
                                                     twelve to fifteen year old children“ äußerte sich
ten haben. Der im Rahmen des vergangenen Rats-
                                                     EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen
gipfels angekündigte Impffortschritt hat sich also
                                                     diesbezüglich. Entscheidend im Kampf gegen die
bereits eingestellt. Nachdem einzelne nordeuro-
                                                     Pandemie seien vor allem aber die kontinuierlich
päische Länder (z.B. Dänemark) das Vakzin von
                                                     laufenden Bemühungen zur Steigerung der Impf-
AstraZeneca aufgrund selten auftretender,
                                                     stoffproduktion und die damit einhergehende
schwerwiegender Nebenwirkungen aus der natio-
                                                     ausreichende Verfügbarkeit der Vakzine innerhalb
nalen Impfstrategie gestrichen hatten, wurden die
                                                     der Europäischen Union, schlussfolgerte der Euro-
frei gewordenen Dosen zuletzt auf andere Mit-
                                                     päische Rat.
gliedsstaaten verteilt, um eine Verimpfung sicher-
zustellen und zugleich die Verschwendung des         Das digitale COVID-Zertifikat als Teil der Öffnungs-
Wirkstoffs zu verhindern. Aufgrund nicht vertrags-   strategie der EU-Kommission soll ein weiteres In-
gerechter Lieferungen beschloss die EU-Kommis-       strument auf dem Weg zur allmählichen Wieder-
sion jedoch, den Vertrag mit dem britisch-schwe-     herstellung eines sicheren gesellschaftlichen Le-
Konrad-Adenauer-Stiftung e. V.
Ratsbericht                                                                                       Mai 2021    5
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bens sein, insbesondere auf dem Weg hin zur Rei-       Kommentar
sefreiheit innerhalb der EU. Im Hinblick auf die Er-
                                                       Die europaweite Entwicklung des Infektionsge-
leichterung der Freizügigkeit fordert der Europäi-
                                                       schehens stimmt vorsichtig optimistisch. Die EU-
sche Rat in seiner Schlussfolgerung daher eine
                                                       Impfkampagne erzielt große Fortschritte, bis Ende
Überarbeitung der Reiseempfehlungen innerhalb
                                                       dieser Woche sollen 140 Millionen Menschen in
der Europäischen Union bis Mitte nächsten Mo-
                                                       der Europäischen Union ihre Erstimpfung erhal-
nats. Die bereits überarbeitete Empfehlung des
                                                       ten haben. Damit wären nahezu 46 Prozent der er-
Rates zu nicht unbedingt notwendigen Reisen in
                                                       wachsenen Bevölkerung mindestens einmal ge-
die EU wurden vor diesem Hintergrund begrüßt.
                                                       impft. Außerdem wird noch in diesem Monat eine
Der Sommer ist die beliebteste Reisezeit in allen      Entscheidung der EU-Arzneimittelbehörde (EMA)
EU-Staaten. Das Zertifikat eröffne „[…] die Mög-       über die Zulassung des Corona-Impfstoffs von
lichkeit, dass wir alle unsere Grundfreiheiten wie-    BioNTech/Pfizer für Kinder ab zwölf Jahren erwar-
der zurückbekommen und endlich wieder frei rei-        tet. Auch US-Pharmahersteller Moderna will nach
sen können“ sagte der österreichische Bundes-          Angaben des Vorstandschefs Stéphane Bancel An-
kanzler Sebastian Kurz im Vorfeld des EU-Sonder-       fang Juni Impfstoffzulassungen für Kinder und Ju-
gipfels in Brüssel. Insbesondere für Tourismuslän-     gendliche beantragen.
der wie Österreich sei das „EU-Impfzertifikat“
                                                       Ob der jüngste Trend stabil bleibt, wird sich in den
wichtig, da nicht zuletzt viele Arbeitsplätze vom
                                                       nächsten Wochen und Monaten zeigen. Vorsicht
Tourismussektor abhingen, so Kurz weiter. Die
                                                       ist weiterhin vor den Corona-Mutanten geboten.
Schlussfolgerungen des Europäischen Rates, die
                                                       Die bereits zugelassenen Vakzine bieten zwar
Bemühungen um einen koordinierten Ansatz
                                                       grundsätzlich einen Schutz gegen die Mutanten
noch vor dem Sommer fortzusetzen und das Zer-
                                                       und Varianten des Coronavirus, wenngleich es in
tifikat damit zeitnah einzuführen, kommt dieser
                                                       der Wirksamkeit bedeutende Unterschiede gibt.
Einschätzung entgegen.
                                                       Die internationale Zusammenarbeit als Instru-
Allgemeiner Konsens herrschte während des Gip-
                                                       ment im Kampf gegen die Pandemie bleibt für die
feltreffens darüber, dass die EU im Kampf gegen
                                                       Europäische Union auch weiterhin ein zentraler
die Pandemie auch weiterhin die COVAX-Fazilität
                                                       Punkt. Daher unterstützt die EU u. a. die Einleitung
für einen weltweit fairen Zugang zu sicheren und
                                                       eines WHO-Verfahrens zur Ausarbeitung eines
wirksamen COVID-19-Impfstoffen unterstützt. Mit
                                                       Pandemievertrages. Das Engagement im Rahmen
der Absicht eines verstärkten globalen Engage-
                                                       der COVAX Initiative bleibt bestehen und soll wei-
ments befinden sich die EU und ihre Mitgliedsstaa-
                                                       ter ausgebaut werden. Bisher konnten von euro-
ten im Einklang mit der vier Tage zuvor getroffe-
                                                       päischer Seite im Schnitt 50 Prozent der Impfstoff-
nen Erklärung von Rom des Welt-Gesundheitsgip-
                                                       dosen in mehr als 40 Länder weltweit exportiert
fels. Auf dem im Februar stattgefundenen digita-
                                                       werden.
len G7-Gipfel kündigte die EU zuletzt an, die im
Rahmen des „Team Europa“ zunächst zugesagten
                                                       Klimawandel
500 Millionen Euro Unterstützung auf 1 Milliarde
Euro zu verdoppeln. Die EU als größter Exporteur       Hintergrund
von COVID-19-Vakzinen in Drittländer werde da-
                                                       Der Aktualität der außenpolitischen Themen ge-
her ihre Bemühungen fortsetzen, die globalen
                                                       schuldet, wurde dem Thema Klima im Vorfeld we-
Produktionskapazitäten für Impfstoffe zu erhöhen
                                                       niger Beachtung als sonst üblich geschenkt. Den-
und bedürftige Länder zu unterstützen mit dem
                                                       noch lohnt sich ein kurzer Blick auf die Entwicklun-
Ziel, bis Jahresende 100 Millionen Dosen zu spen-
                                                       gen der vergangenen Wochen.
den. Ebenso solle die Impfstoffentwicklung und
der Aufbau örtlicher Impfstofffabriken in Afrika       Zur Erinnerung: Beim letzten Ratsgipfel unter Lei-
unterstützt werden. Diese Initiative strebe an, die    tung der deutschen Ratspräsidentschaft im De-
mRNA-Technologie auf den südlichen Nachbar-            zember 2020 verständigten sich die Staats- und
kontinent zu bringen. Vor diesem Hintergrund sei       Regierungschefs nach langwierigen Verhandlun-
auch die Bedeutsamkeit und Notwendigkeit eines         gen auf die Verschärfung des Klimaziels für 2030.
verstärkten Engagements in Lateinamerika von           Damit billigte der Rat das von der Kommission vor-
vielen Staats- und Regierungschefs mehrfach un-        geschlagene 55-Prozent-Ziel für 2030 als Zwi-
terstrichen worden, hob EU-Ratspräsident Charles       schenziel auf dem Weg zur angestrebten Kli-
Michel in der anschließenden Pressekonferenz           maneutralität bis 2050. Neben der Einigung auf
hervor.                                                das Klimaziel wurde außerdem der Druck erhöht,
                                                       das Klimagesetz baldmöglichst zu erlassen.
Konrad-Adenauer-Stiftung e. V.
Ratsbericht                                                                                        Mai 2021    6
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Kurz vor dem Klimagipfel von Joe Biden erfolgte          seinem Vorhaben, die Leitlinien sowie die Zukunft
schließlich im sechsten Trilog (Verhandlungsrunde        der Lastenteilungsverordnung erneut zu behan-
zwischen Kommission, Rat und EU-Parlament) am            deln. Zum Hintergrund: Das EU-Klimaziel gilt nicht
Morgen des 21. Aprils eine informelle Einigung           pauschal für alle Mitgliedsstaaten. Im Rahmen der
über das EU-Klimagesetz. In dem Klimagesetz wird         Lastenverteilung innerhalb der EU orientiert sich
rechtlich festgeschrieben, dass die EU bis 2050 kli-     jedes Land an einem eigenen Zielwert. Ärmere
maneutral wird und bis 2030 ihre Netto-Treib-            Mitgliedsstaaten fordern, dass sich dieser Zielwert
hausgasemissionen um 55 Prozent gegenüber                im Wesentlichen an der wirtschaftlichen Leis-
1990 senken muss. Die Ergebnisse wurden da-              tungskraft des jeweiligen Landes orientiert.
raufhin Anfang Mai durch die EU-Botschafter im
                                                         Die Frage nach der Lastenverteilung – also die
Ausschuss der Ständigen Vertreter (COREPER) ge-
                                                         Frage, welcher Mitgliedsstaat wie viel Treibhaus-
billigt. Das Parlament wird die Einigung voraus-
                                                         gase einsparen muss – bleibt jedoch weiterhin
sichtlich im Juni annehmen. Die Verhandlungsfüh-
                                                         umstritten. Entgegen dem Entwurf sprachen sich
rer beschlossen außerdem die vom Parlament
                                                         die Staats- und Regierungschefs nicht für die nati-
vorgeschlagene Einrichtung eines unabhängigen
                                                         onalen Ziele, die breit angelegte Lastenteilung so-
wissenschaftlichen Gremiums, dem 15 hochrangi-
                                                         wie die bestehenden Kriterien für die Lastentei-
gen wissenschaftliche Sachverständigen angehö-
                                                         lung aus. Wie zu erwarten war, bremste Polens
ren, die bei der Ausrichtung der EU-Politik auf die
                                                         Premierminister Mateusz Morawiecki das Vorha-
Klimaziele beraten sollen. Zudem soll es für den
                                                         ben aus und ließ die vorbereiteten Punkte zur Las-
Zeitraum 2030 bis 2050 ein Treibhausgas-Budget
                                                         tenteilung aus dem Text streichen. In der finalen
(die zu erwartenden Treibhausgasemissionen) ge-
                                                         Schlussfolgerung heißt es nun, dass der Rat das
ben, das als Basis für ein neues Klimaziel 2040 die-
                                                         Thema nach der Veröffentlichung der legislativen
nen soll.
                                                         Vorschläge wieder aufgreifen wird.
Die Einigung zum Klimagesetz ist somit das letzte
                                                         Kommentar
Puzzleteil für die legislativen Vorschläge des Fit for
55-Pakets, das am 14. Juli vorgestellt wird.             Charles Michel und Ursula von der Leyen zeigten
                                                         sich bei der abschließenden Pressekonferenz trotz
Entwicklung
                                                         der herrschenden Uneinigkeit zwischen den Mit-
Nun geht es um Richtungsentscheidungen und die           gliedsstaaten zuversichtlich. Eine tiefgehende Dis-
konkrete Umsetzung. „Wir müssen diskutieren,             kussion zur Lastenteilung kann und wird erst dann
wie wir die Ziele erreichen“, so von der Leyen. Ein      geben, wenn die Kommissionsvorschläge auf dem
geleakter Entwurf der Schlussfolgerungen des Ra-         Tisch liegen.
tes verriet bereits im Vorfeld, dass die im Dezem-
                                                         Der Widerstand Polens gibt jedoch bereits einen
ber beschlossenen Punkte nicht erneut zur Dis-
                                                         Vorgeschmack auf die späteren Verhandlungen zu
kussion stehen werden. Es sollte vielmehr darum
                                                         den legislativen Vorschlägen im Herbst. EU-Diplo-
gehen, die Dezemberbeschlüsse noch einmal zu
                                                         maten vermuten, dass sich Polen dadurch noch
bestätigen und Leitlinien für das Legislativpaket
                                                         weitere Hilfen für den Kohleausstieg sichern will.
abzustimmen. Damit folgte der Europäische Rat

Konrad-Adenauer-Stiftung e. V.
Dr. Hardy Ostry
Leiter
Europabüro Brüssel
www.kas.de/bruessel

hardy.ostry@kas.de

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