Raus aus dem Informationsdilemma - PANTOPIX

Die Seite wird erstellt Horst Kremer
 
WEITER LESEN
Raus aus dem Informationsdilemma - PANTOPIX
Schwerpunkt          31

            Raus aus dem
        Informationsdilemma
    Wissensgraphen zählen zu den Top-Trends der angewandten Künstlichen Intelligenz. Auch in der
    Technischen Kommunikation wird immer häufiger darüber gesprochen. Doch was genau versteht
       man darunter? Und wofür lassen sie sich einsetzen, etwa im Maschinen- und Anlagenbau?
                                              text Martin Ley und Karsten Schrempp

                 Das Zusammenführen unterschiedlicher
                 Informationen aus unterschiedlichen In­
                 formationssilos gewinnt an Bedeutung.
                 Anhand einer Simulation lässt sich dies de­
                 monstrieren. Am Beispiel der Anlage von
                 fischertechnik (abb. 01) kann man durch­
                 spielen, wie sich insbesondere modulare
                 Technische Dokumentation aus Content-
                 Management-Systemen der Technischen
                 Redaktionen intelligent vernetzen und
                 über ein zentrales Portal bereitstellen las­
                 sen. Der technologische Schlüssel in die­
                 sem Anwendungsszenario ist iiRDS, der
                 von der tekom entwickelte Standard zur
                 branchen- und herstellerübergreifenden
                 Klassifikation von Informationen [1].                                                                    abb. 01 Die Fabrik­
                     Das von uns skizzierte Szenario [1] wirft          Aus Sicht eines Maschinenbauunterneh­ simulation von fischer-
                 drei Fragen auf:                                       mens könnten diese Fragen auch allgemei­ technik kann als
                 1. Ist das Thema der Informations­                     ner formuliert werden: Welche Relevanz Muster dienen, wie
                                                                                                                      sich Informationen
                     vernetzung auf komplexe Industrie­-                hat die Informationsvernetzung für einen
                                                                                                                      intelligent vernetzen
                     ­güter wie Anlagen begrenzt, also                  Komponentenhersteller? Welche Anwen­ lassen.
                      darauf, wenn Informationen von                    dungsfälle lassen sich identifizieren, um foto fischertechnik
                      Lieferanten in ein Gesamtsystem                   den Mehrwert der Informationsvernetzung
                      integriert werden?                                zu illustrieren?
                 2. Betrifft die Informationsvernetzung                     Versetzen wir uns in die Situation eines
                      ausschließlich technische                         fiktiven Maschinenbauunternehmens. Es ist
                      Informationen aus den Technischen                 spezialisiert auf die Entwicklung, die Ferti­
                      Redaktionen?                                      gung und den Vertrieb von Hydraulikpum­
                 3. Welche Rolle spielt iiRDS im                        pen. Einzelne Pumpen werden in Anlagen
                      Zusammenhang der                                  wie unserer Anlage von fischertechnik ver­
                      Informations­vernetzung?                          baut – manchmal nur eine einzige Pumpe >

                 Dr. Martin Ley ist Professor für Informations­                                Karsten Schrempp studierte Mathematik und
                 management an der Hochschule München. Seine                                   Philosophie an der Eberhard-Karls-Universität
                 Schwerpunkte in Forschung und Lehre gelten der                                Tübingen. Inzwischen liegen mehr als 20 Jahre
                 Strukturierung und Standardisierung von Technischer                           Selbstständigkeit in und mit verschiedenen
                 Dokumentation sowie dem Einsatz semantischer                                  nam­haften Unternehmen im Bereich der Technische
                 Technologien (nicht nur) in der Technischen                                   Kommunikation hinter ihm. 2012 gründete er
                 Kommunikation. Er leitet den Studiengang Tech­-                               PANTOPIX, um konsequent seinen Weg der topic­
                 nische Redaktion und Kommunikation sowie das                                  orientierten und wissensnetzbasierten Informations­
                 berufsbegleitende gleichnamige Zertifikat. Seit 2021                          erfassung und -bereitstellung in Kundenprojekten
                 ist er Partner und Senior Berater bei PANTOPIX.                               umzusetzen.
                 martin.ley@hm.edu, www.hm.edu/trk                                             karsten.schrempp@pantopix.com, www.pantopix.com

04/21
32     Schwerpunkt

                                                                                                                    Die Informationsvernetzung ist folglich
                                                                                                                    nicht nur relevant für komplexe Systeme
       Kleines Glossar                                                                                              und große Anlagen oder Industriegüter.
                                                                                                                    Auch Maschinenbauunternehmen stehen
        Grundlegende Konzepte der semantischen Modellierung                                                         vor dieser Herausforderung. In diesem Bei­
        Graph                  repräsentiert Informationen in Form von Knoten und Kanten.                           trag werden wir unser vereinfachtes Sze­
        i4-Dilemma             besagt, dass „irgendjemand“ „irgendeine Information“ „irgendwo“ abgelegt             nario nutzen, um in die Vernetzung und
                               hat, was dazu führt, dass ein Unternehmen nicht weiß, was es weiß.                   Virtualisierung von zum Teil heterogenen
        Identifier             ist ein Identifikator, der eine Entität eindeutig bestimmt.                          Informationen einzuführen. Dazu bedienen
        Inference              beschreibt den Vorgang, wie neue Relationen zwischen Entitäten systematisch          wir uns des Ansatzes der Wissensgraphen
                               auf Basis eines Graphen ermittelt werden.                                            (knowledge graph). Wir gehen auf die Kon­
        Knowledge graph        enthält ein kontrolliertes Vokabular, eine oder mehrere Ontologien und
                                                                                                                    zepte und Methoden der semantischen Mo­
                               Instanzdaten, um Wissen einer Domäne verfügbar zu machen.                            dellierung ein und skizzieren eine mögliche
                                                                                                                    IT-Architektur. Am Ende des Beitrags geben
        Label                  ist die menschenlesbare Bezeichnung einer Entität.
                                                                                                                    wir einen Ausblick, welche weiteren Szena­
        Mashup                 bezeichnet eine Kombination von (Teilen von) zentral gepflegten Ontologien,
                                                                                                                    rien für unseren Ansatz denkbar wären und
                               die für eine bestimmte Anwendung spezialisiert ist (auch als Custom Scheme
                                                                                                                    mit welchen Zielen dieser Ansatz typischer­
                               bekannt).
                                                                                                                    weise verfolgt wird. Ein kleines Glossar der
        Network effect         besagt, dass ein Graph wächst und erweitert werden kann.
                                                                                                                    grundlegenden Konzepte findet sich in Ta­
        Ontology               ist die formale Repräsentation von Wissen in Form von Klassen sowie deren            belle 01.
                               Beziehungen.
        OWL                    steht für Web Ontology Language und ist eine formale Beschreibungssprache,           In Zeilen und Spalten
                               um Wissen in Form von Ontologien explizit zu repräsentieren.                         Die für unser Pumpenbeispiel relevanten
        RDF                    steht für Resource Description Framework und dient dem standardisierten              Informationen lassen sich normalerwei­
                               Austausch von Informationen (insbesondere im WWW).                                   se sehr gut in tabellarischer Form darstel­
        RDFS                   steht für Resource Description Framework Schema und regelt, wie                      len (tab. 02). Woher diese Informationen
                               RDF-Informationen beschrieben werden.                                                stammen und wie sie den „Weg in die Tabel­
        SKOS                   steht für Simple Knowledge Organization System und ist ein Standard für              le“ gefunden haben, sei an dieser Stelle aus­
                               die Repräsentation eines kontrollierten Vokabulars (zum Beispiel in einem            geklammert, wir kommen später darauf zu­
                               Thesaurus).                                                                          rück. Verwunderlich wäre aber nicht, wenn
        Thesaurus              enthält das Vokabular eines Wissensbereichs in kontrollierter Form.                  eine Person diese Informationen von Hand
        Triple                 besteht aus Subjekt, Prädikat und Objekt und ist die grundlegende                    zusammengetragen und in einer Excel-Liste
                               Datenstruktur von RDF.                                                               aufbereitet hätte.
                                                                                                                        Für die (meisten) Personen ist die Inter­
       tab. 01 quelle Martin Ley und Karsten Schrempp
                                                                                                                    pretation von Tabelle 02 relativ simpel: Der
                                                                                                                    Tabellenkopf gibt an, welche Eigenschaften
     > pro Anlage, manchmal mehrere Pumpen in                  ist, an welchem Ort der Welt die Anlage              (wie „Produktlinie“ oder „Anlage“) eine Hy­
       verschiedenen Teilanlagen, manchmal auch                steht und auch, welche technischen Anfor­            draulikpumpe hat. Jede Zeile steht für eine
       Pumpen verschiedener Pumpentypen mit                    derungen die Pumpe in der Anlage reali­              konkrete Hydraulikpumpe. In den Tabel­
       unterschiedlicher technischer Spezifikation.            sieren muss. Vielleicht weiß das Unterneh­           lenzellen schließlich stehen für jede Pum­
          Über seine Produkte weiß unser fikti­                men sogar, wann diese Pumpe das Ende                 pe Spalte für Spalte die konkreten Werte je­
       ves Unternehmen ziemlich viel. Es weiß                  ihres Lebenszyklus erreicht hat und durch            ner Eigenschaften (zum Beispiel in Zeile 1
       etwa, welche Hydraulikpumpen zu wel­                    eine neue ersetzt werden sollte. In unserem          der Wert „TurboPelot“ für die Eigenschaft
       chen Produktlinien gehören und nach wel­                herstellenden Unternehmen weiß also „ir­             „Produktlinie“). Für einen Computer ist die
       cher Spezifikation sie gebaut werden. Da­               gendjemand“, dass „irgendeine Informati­             Auswertung einer derartigen Tabelle zwar
       rüber hinaus weiß es, in welcher Anlage                 on“ „irgendwo“ existiert. Nennen wir diese           auch möglich, aber was, wenn die Spalten
       eine spezifische Hydraulikpumpe verbaut                 Situation das „i4-Dilemma“.                          vertauscht, die laufenden Nummern nicht

       Tabellarische Darstellung des „Produktwissens“
        Zeile     Bezeichnung           Produktlinie        Förderleistung (l/min)      Anlage       Standort          End of       erforderliche Förderleistung
                                                            bei 1000 U/min                                             Life (EoL)   (l/min) bei 1000 U/min
        1         WT-P-001              TurboPelot          45                          PANL-01      München           2025         42,5

        2         WT-P-002              TurboPelot          15                          PANL-02      Wudongde          2026         12,5
        3         WT-DS-001             StreamOne           100                         PANL-03      Saltstraumen      2031         78
        4         WT-P-004              TurboPelot          30                          PANL-01      München           2029         32,5

       tab. 02 quelle Martin Ley und Karsten Schrempp

                                                                                                                                                              04/21
Schwerpunkt    33

einheitlich oder die Bezeichnungen der Ei­
genschaften und/oder Eigenschaftswerte
unterschiedlich sind? Was, wenn die Infor­                                                                   istVerbautIn
mationen auf weitere Tabellen verteilt sind?                                              WT-P-001                                   PANL-01
Wie lassen sich dann die entsprechenden
Abhängigkeiten sowohl darstellen als auch
maschinell verarbeiten?                                 gehörtZuProduktlinie
                                                                                                 hatFörderleistung
Der Graph als Lösungsansatz
Halten wir zunächst fest, dass die Interpre­
tation unserer Informationen über drei Grö­
ßen erfolgt: die Zeile, die Spalte und den ei­               Turbo
                                                                                           45 l/min
                                                             Pelot
gentlichen Wert in der Zelle. Diese drei
Größen müssen miteinander koordiniert
werden. Dies erfolgt über Identifikatoren
(identifier) der korrespondierenden Entitä­      abb. 02 Graph-basierte Repräsentation von Tripeln. quelle Martin Ley und Karsten Schrempp
ten; einen für die Zeile, einen für den Tabel­
lenkopf der jeweiligen Spalte und einen für      Betrachten wir aber zunächst die ersten fünf          sentieren (abb. 02). Die Knoten des Gra­
den Wert in der Zelle. Übertragen auf die        Spalten von Zeile 1 aus Tabelle 02, so kön­           phen stehen dabei für das Subjekt alterna­
Aussage „Die Hydraulikpumpe WT-P-001             nen wir den Informationsgehalt als ein Set            tiv für die Objekte, die Kanten entsprechen
hat die Förderleistung 45 l/min.“ bedeutet       an Tripeln wiedergeben (tab. 03, s. 34).              den Prädikaten.
dies, dass wir drei Entitäten haben, das Sub­       Aus Gründen der Lesbarkeit haben wir                   Besonders interessant wird es, wenn wir
jekt „Hydraulikpumpe WT-P-001“, das Prä­         das Subjekt „Hydraulikpumpe WT-P-001“                 die weiteren Spalten aus Tabelle 02 betrach­
dikat „hat Förderleistung“ und das Objekt        etwas vereinfacht repräsentiert – später              ten. So weiß unser Maschinenbauunterneh­
„45 l/min“. Jede Aussage in unserer Tabel­       mehr dazu. Zur besseren Veranschaulichung             men zusätzlich zu den bereits beschriebe­
le lässt sich folglich als Triple aus den drei   bietet es sich an, den Informationsgehalt in          nen Sachverhalten, dass unsere Anlage von
Größen Subjekt-Prädikat-Objekt darstellen.       Form eines gerichteten Graphen zu reprä­              fischertechnik, in die unsere Hydraulikpum­ >

 Unsere neuronale
 Translation Engine spricht
 sogar „Maschinenbau“.

                  www.gds.eu/de/fachuebersetzungen

  FACHÜBERSETZUNG
  TERMINOLOGIE
  LOKALISIERUNG
  DOLMETSCHEN
  BERATUNG & SCHULUNG
34   Schwerpunkt

                                                                                    > pe WT-P-001 verbaut ist, in München steht,
                                                                                      eine Pumpe mit Förderleistung von 42,5 l/
     Aussagen in Form von Tripeln                                                     min benötigt und die aktuell verbaute Pum­
                                                                                      pe im Jahr 2025 das Ende ihres Produktle­
      Subjekt                            Prädikat                  Objekt             benszyklus (End of Life, EoL) erreicht hat.
      Hydraulikpumpe                     hatBezeichnung            WT-P-001           Unsere Aussagen lassen sich also erweitern
      Hydraulikpumpe WT-P-001            gehörtZuProduktlinie      TurboPelot         (tab. 04). Ergänzt haben wir auch die Aus­
      Hydraulikpumpe WT-P-001            hatFörderleistung         45 l/min           sage, dass unsere Anlage unter einem ande­
      Hydraulikpumpe WT-P-001            istVerbautIn              PANL-01
                                                                                      ren Namen geführt wird („MUC-FTA-01“
                                                                                      anstelle von „PANL-01“). Falls es sich um
     tab. 03 quelle Martin Ley und Karsten Schrempp
                                                                                      ein und dieselbe Entität handelt und somit
                                                                                      dessen „identifier“ einmalig ist, ist das un­
                                                                                      problematisch. Es handelt sich lediglich um
                                                                                      unterschiedliche Benennungen (label). Zu­
     Produktwissen ergänzt um                                                         dem haben weitere vertriebsrelevante Aus­

     Aussagen aus Vertriebssicht                                                      sagen hinzugefügt.
                                                                                         Die Aussagen aus Tabelle 04 lassen sich
                                                                                      ebenfalls als Graphen repräsentieren, und
      Subjekt                            Prädikat                  Objekt
                                                                                      dieser wiederum kann mit unserem ersten
      PANL-01                            hatStandort               München
                                                                                      Graphen aus Abbildung 02, S. 33, kombi­
      PANL-01                            benötigtFörderleistung    42,5 l/min         niert werden. Die Anlage „PANL-01“ fun­
      WT-P-001                           hatEoL                    2025               giert gewissermaßen als Schnittstelle zwi­
      PANL-01                            hatAltLabel               MUC-FTA-01         schen der Produkt- und der Vertriebssicht.
      München                            istTeilVon                Deutschland        Das Ergebnis ist der kombinierte Graph in
      Deutschland                        gehörtZuVertriebsregion   DACH               Abbildung 03. Aufgrund des so genannten
                                                                                      network effects können wir nun weitere In­
     tab. 04 quelle Martin Ley und Karsten Schrempp                                   formationen integrieren aus verschiedenen
                                                                                      Unternehmensbereichen wie der Produkti­
                                                                                      on (zum Beispiel Produktvarianten), dem
                                                                                      Marketing (zum Beispiel Sonderzubehör)
     Ausschnitt aus der                                                               oder dem Service (zum Beispiel Technische

     „Pumpen“-Ontologie                                                               Dokumentation), so dass wir ein mächtiges
                                                                                      Instrument für Schlussfolgerungen erhalten.
      Subjekt                            Prädikat                  Objekt             Graphen maschinenlesbar machen
      Hydraulikpumpe                     istTyp                    Klasse             Was im bisherigen Verlauf des Artikels in­
      Anlage                             istTyp                    Klasse             formell beschrieben wurde, muss, um tat­
      istVerbautIn                       istTyp                    Prädikat           sächlich maschinenlesbar und auswertbar
      Hydraulikpumpe                     istVerbautIn              Anlage             zu sein, formalisiert werden. So genannte
      istVerbautIn                       hatDomäne                 Hydraulikpumpe     Ontologien geben uns hierfür den erforder­
      istVerbautIn                       hatRange                  Anlage             lichen Rahmen. Unter einer Ontologie ver­
                                                                                      stehen wir die formale Beschreibung eines
     tab. 05 quelle Martin Ley und Karsten Schrempp
                                                                                      Weltausschnitts. In ihr wird definiert, wel­
                                                                                      che Arten von Entitäten es in einem Welt­
                                                                                      ausschnitt geben kann und wie diese Entitä­
                                                                                      ten zueinander in Beziehung stehen.
     Konkrete Objekte als                                                                 Verdeutlichen wir uns das an unserem

     Instanzen von Klassen                                                            Pumpenbeispiel und der Aussage „Die Hyd­
                                                                                      raulikpumpe WT-P-001 ist in Anlage PANL-
                                                                                      01 verbaut“. In der Ontologie sind zunächst
      Subjekt                            Prädikat                  Objekt
                                                                                      die Klassen und Relationen zwischen mög­
      WT-P-001                           istTyp                    Hydraulikpumpe
                                                                                      lichen Vertretern der Klassen definiert. Dass
      PANL-01                            istTyp                    Anlage             das Prädikat „istVerbautIn“ zwischen einer
      WT-P-001                           istVerbautIn              PANL-01            Hydraulikpumpe und einer Anlage besteht,
      PANL-01                            enthältProdukt            WT-P-001           wird über so genannte domain restrictions
     tab. 06 quelle Martin Ley und Karsten Schrempp
                                                                                      festgelegt (tab. 05). Wie wir sehen, ist selbst
                                                                                      die Ontologie in der Form Subjekt-Prädikat-
                                                                                      Objekt beschrieben.
                                                                                          Konkrete Objekte wie die Hydraulikpum­
                                                                                      pe „WT-P-001“ oder die Anlage „PANL-01“
                                                                                      können als Instanzen dieser Klassen be­

                                                                                                                                04/21
Schwerpunkt   35

schrieben werden. Zwischen beiden Enti­                on können so genannte Unterklassen defi­               03 mit der Klasseninformation. Die konkre­
täten besteht die „ist verbaut in“ Relation.           niert werden, zum Beispiel dass „Hydraulik­            ten Inhalte, die Instanzen, sind durch Kreise
Diese ließe sich als inverse Relation model­           pumpe“ eine Unterklasse von „Pumpe“ ist.               dargestellt, die zugehörigen Klassen durch
lieren, so dass auch gilt „PANL-01 enthält                Ausgerüstet mit diesen Überlegungen                 Rechtecke (abb. 04).
die Hydraulikpumpe WT-P-001“ (tab. 06).                ergänzen wir die graphische Repräsentati­                 Die Ontologie legt sich wie ein Netz über
Als weitere interessante Modellierungsopti­            on unseres Pumpenbeispiels aus Abbildung               unsere Informationen. Zum einen haben wir >

                                                    istVerbautIn                              hatStandort
                                 WT-P-001                                   PANL-01                                   München

        gehörtZuProduktlinie                    hatEOL                                     hatAltLabel                         istTeilVon

                             hatFörderleistung                   benötigtFörderleistung

                Turbo                                                                            MUC-
                                  45 l/min             2025                42,5 l/min                                     DE                      DACH
                Pelot                                                                           FTA-01

                                                                                                                           gehörtZuVertriebsregion

abb. 03 Ein kombinierter Graph (mit unterschiedlichen Bezeichnungen für die Anlage). quelle Martin Ley und Karsten Schrempp

                                  Pumpe

                               istUnterklasse

                                Hydraulik-          istVerbautIn                              hatStandort                                        Vertriebs-
                                                                             Anlage                                      Stadt
                                 pumpe                                                                                                            region

                                   istTyp                                     istTyp                                     istTyp                    istTyp

                                                    istVerbautIn                              hatStandort
                                 WT-P-001                                   PANL-01                                   München

        gehörtZuProduktlinie                    hatEOL                                     hatAltLabel                         istTeilVon

                             hatFörderleistung                   benötigtFörderleistung

                Turbo                                                                            MUC-
                                  45 l/min             2025                42,5 l/min                                     DE                      DACH
                Pelot                                                                           FTA-01

                                                                                                                           gehörtZuVertriebsregion

abb. 04 Direkte / indirekte Aussagen über Objekte (durchgängiger /gestrichelter Pfeil) – unvollständig. quelle Martin Ley und Karsten Schrempp

04/21
36     Schwerpunkt

                                                                                                          tionen wiederum sind tatsächlich in Excel-
            Applikation                                                                                   Listen „vergraben“ und liegen auf verschie­
                                                                                                          denen Laufwerken. Die Herausforderung
            Applikationen für
                                                                                                          unseres Maschinenbauunternehmens be­
            verschiedene
                                                                                                          steht auch darin, die für bestimmte Anfor­
            Anwendungen
                                                                                                          derungen benötigten Informationen intel­
                                                                                                          ligent zu verknüpfen und zentral verfügbar
            Inference &                                                                                   zu machen.
                                                             SELECT * WHERE {                                 In Abbildung 05 skizzieren wir eine
            Query-Engine
                                                              ?sub ?pred ?obj.                            rudimentäre IT-Architektur. An unseren
                                                                 } LIMIT 10
                                                                                                          Überlegungen zur semantischen Modellie­
                                                                                                          rung (Ontologie) und zur Graph-basierten
            Ontologie &                                                                                   Repräsentation halten wir fest. Für die Ver­
            Custome Scheme                                                                                waltung unserer Informationen benötigen
            Klassen                                                                                       wir eine Graphdatenbank, die RDF-Daten
            Prädikate                                                                                     verarbeiten kann. Da unsere Informatio­
            Attribute                                                                                     nen normalerweise bereits an „irgendei­
                                                                                                          ner“ Stelle im Unternehmen in verschie­
                                                                                                          denen Informationssilos vorhanden sind,
            Graphdatenbank                                                                                bedarf es eines Konvertierungswerkzeugs,
                                                                                                          das vorhandene Informationen für definier­
            Konkrete Objekte,                                                                             te Anwendungsfälle in die Graphdatenbank
            deren Relationen und
                                                                                                          überführt. Wir greifen dabei oftmals auf
            konkrete Attributwerte
                                                                                                          ein Mapping zurück, da die Informationen,
                                                                                                          mit denen wir es zu tun haben, meist be­
                                                                                                          reits strukturiert oder halbstrukturiert vor­
                                                        Konvertierungswerkzeug                            liegen (bei unstrukturierten Informatio­
                                                                                                          nen kann ggf. automatisch klassifiziert und
                                                                                                          konvertiert werden). Bei dieser Konvertie­
                                                                                                          rung ist wichtig zu betonen, dass es nicht
                                                                                                          Ziel ist, alle Informationen zu duplizie­
            Informationssilos                                                                             ren. In der Graphdatenbank können auch
                                               PLM                  CCMS               CRM                so genannte „Stellvertreterobjekte“ für die
                                                                                                          eigentlichen Ressourcen in den originären
                                                                                                          Systemen vorhanden sein. Eine so genann­
                                                                                                          te Inference & Query Engine gibt Zugriff
                                                                                                          auf die Graphdatenbank, um die in RDF ge­
                                                                                                          speicherten Triple semantisch abzufragen.
       abb. 05 Skizze einer IT-Architektur für Wissensgraph-basierte Anwendungen.                         Die Anwenderinnen und Anwender grei­
       quelle Martin Ley und Karsten Schrempp                                                             fen über eine oder mehrere Applikationen/
                                                                                                          Schnittstellen auf die Inhalte zu.
     > die in unseren ersten Tabellen implizit ent­        ce Description Framework (RDF), das Re­            In vielen Unternehmen werden Wis­
       haltenen Bezüge über direkte Aussagen ex­           source Description Framework Schema            sensgraphen bereits erfolgreich eingesetzt:
       plizit gemacht. Zum anderen können wir auf          (RDFS) und die Web Ontology Language           bei Google, dem vielleicht prominentesten
       Basis der Ontologie auch indirekte Aussagen         (OWL) herauskristallisiert. Entsprechende      Vertreter eines Wissensgraphen, zur Opti­
       treffen wie zum Beispiel „München gehört            Werkzeuge nutzen diese Standards. Sie stel­    mierung der Suche. Amazon nutzt Wissens­
       zur Vertriebsregion DACH“. Noch interes­            len sicher, dass das Wissen unseres Maschi­    graphen als Basis für den Sprachassistenten
       santer dürfte aber sein, dass auf Basis dieser      nenbauunternehmens austauschbar und zu­        Alexa. Aber auch in industriellen Anwen­
       Modellierung geschlussfolgert werden kann,          kunftssicher ist.                              dungen halten Wissensgraphen nach und
       welche Pumpe unseres Sortiments als Ersatz                                                         nach Einzug, etwa bei Novartis (für die Er­
       für eine auslaufende Pumpe am Standort X            Verknüpfte Informationen                       schließung von Data Lakes) oder bei Sie­
       benötigt wird. Die semantische Modellie­            Die bisherige Diskussion hat nicht berück­     mens (im Zusammenhang mit digitalen
       rung bietet somit vielfältige Möglichkeiten,        sichtigt, dass unser „Pumpenwissen“ (meist     Zwillingen).
       Abhängigkeiten zwischen unterschiedlichen           historisch bedingt) an vielen unterschiedli­       Zudem haben Wissensgraphen bzw.
       Entitäten herauszufinden.                           chen Stellen im Unternehmen abgelegt ist:      Graph-Technologien den Zenit des Gart­
           Natürlich gibt es für die Modellierung          produktbezogene Informationen eventuell        ner Hype Cycles erreicht. Sie zählen zu den
       und die Formalisierung entsprechende Me­            in einem PLM-System, Informationen für         „Top10 Data and Analytic“ Trends für 2021:
       thoden und Standards. Als Beschreibungs­            das technische Marketing in einem PIM-         Im Jahr 2025 werden, so Gartner, Graph-ba­
       sprachen haben sich, ausgehend vom se­              System, die Technische Dokumentation in        sierende Technologien in etwa 80 Prozent
       mantischen Web und vom World Wide Web               einem CCMS und Informationen für den           aller Daten-/Analytik-Innovationen einge­
       Consortium (W3C) propagiert, das Resour­            Vertrieb in einem CRM. Andere Informa­         setzt (in 2021: etwa 10 Prozent, vgl. [2]).

                                                                                                                                                  04/21
37

Freie Rundumsicht                                Anwendungsfall für den Einsatz eines an­
                                                 deren Wissensgraphen ist die Verknüpfung
Das „i4-Dilemma“ ist weit verbreitet. Am         von Reparaturinformationen mit Ersatztei­
deutlichsten zeigt sich das im World Wide        len oder Arbeitszeitwerten sowie deren Be­
Web. Es überrascht nicht, dass Technologien      reitstellung über ein Serviceportal.
wie RDF, RDFS oder OWL im WWW-Kon­
text entwickelt wurden. Aber auch Unter­         Die Lösung für das Dilemma
nehmen wie unser Pumpenhersteller oder           Es bieten sich weitere Szenarien für den
der Anlagenbetreiber selbst stehen vor der       Einsatz von Wissensgraphen an. Auch oder
Herausforderung, dass „irgendjemand“ „ir­        gerade im Kontext des Industrial Internet
gendeine Information“ „irgendwo“ abgelegt        of Things (IIoT) könnten Wissensgraphen
hat. Das Problem der Informationsvernet­         eine zentrale Rolle einnehmen, wenn es da­
zung ist auch für Maschinenbauunterneh­          rum geht, den (Informations-)Zwilling ei­

                                                                                                             WIE VERNETZT
men relevant.                                    nes Produktes über dessen gesamten Le­
    In diesem Beitrag haben wir anhand           benszyklus aufzubauen und zu pflegen.
eines Beispiels aus dem Maschinenbau in          Die Idee eines solchen Zwillings ist es, zu
die semantische Modellierung eingeführt.
Deren grundlegenden Konzepte wie Triple
                                                 jedem Zeitpunkt genau zu wissen, in wel­
                                                 chem Zustand sich ein Produkt befindet,
                                                                                                           IST IHR CONTENT?
und die graphartige Darstellung erlauben         wann allgemeine und wann produktspezi­
es, sowohl strukturierte als auch unstruktu­     fische Informationen benötigt werden und
rierte Informationen und unterschiedliche        wie sich Informationen, die zum Beispiel
Informationssilos intelligent zu verknüpfen      dynamisch über Sensoren in der „realen“
und zu virtualisieren. Dabei muss nicht im­      Welt gesammelt werden, in den Wissens­
mer das Rad neu erfunden werden. iiRDS           graphen integrieren lassen. Eine zentrale
beispielsweise bietet bereits eine existieren­   Herausforderung dürfte etwa sein, wie Pro­
de Ontologie, die für technische Informa­        duktvarianten aufgrund einer Serialnum­
tionen entwickelt wurde und als Teil eines       mer gepflegt werden können.
Wissensgraphen betrachtet werden kann.               Insgesamt halten wir fest, dass Wissens­
Darüber hinaus gibt es etablierte Taxono­        graphen dazu beitragen, den Service konti­
mien, Thesauri oder Ontologien, die als          nuierlich zu verbessern. Dies gilt sowohl für
Ausgangspunkt für die semantische Mo­            unser Maschinenbauunternehmen als Her­                     itl-Abendveranstaltung
dellierung herangezogen werden können.           steller einer Komponente als auch für unse­
Auch firmeninterne Nomenklaturen oder            ren Anlagenbetreiber.
Taxonomien bieten eine gute Ausgangsba­              Letzten Endes ist der Wissensgraph des                 Digitale Ökosysteme
sis. Mithilfe geeigneter Software lassen sich    Pumpenherstellers „nur“ ein Teil der Wis­
daraus firmenspezifische Ontologien und/         sensgraphen der gesamten Anlage. Sie lie­
                                                                                                            Was steckt dahinter und
oder so genannte Custom Schemes entwi­           fern Antworten auf einige der zentralen                    wie profitieren Sie davon?
ckeln. Das heißt, eine firmenspezifische         servicestrategischen Herausforderungen in
Ontologie muss nicht „from scratch“ neu          den Unternehmen wie zum Beispiel Stei­                     •   Mit spannenden Praxisbeispielen
aufgebaut werden. Vielmehr kann sie sich         gerung der First Time Fix Rate, der Mean                   •   Referent: Bastian Heilemann
aus Teilen (das heißt Klassen, Relationen        Maintenance Downtime oder der Overall                      •   Am 29.09.2021 um 18:00 Uhr
und Attributen) bereits bestehender Syste­       Equipment Effectiveness. Wissensgraphen                    •   Online und kostenlos
matiken zusammensetzen. Sie wird daher           bieten zudem eine hervorragende Basis für
auch als mashup bezeichnet. Mashups kön­         konkrete Anwendungsszenarien wie Dia­
nen auf individuelle Informationsbedürf­         gnoseassistenten oder Predictive Mainte­
nisse und/oder spezielle/situative Anwen­        nance. Sie können helfen, Informationen                                                       :
dungen ausgerichtet sein.                        aus dem Feld in das Requirements-Engi­                         Melden Sie sich jetzt an
    Wissensgraphen beziehen ganz unter­          neering zurückzuführen und den Kreis­                          www.itl.eu/av2021
schiedliche Arten von Informationen aus          lauf Entwicklung-Produktion-Service zu
verschiedenen Unternehmensbereichen              schließen. Wissensgraphen lösen somit
ein und bieten eine 360-Grad-Sicht auf das       nicht nur das „i4-Dilemma“. Sie können
Unternehmen. Unser Beispiel hat sich dar­        auch einen Beitrag zur Umsatzsteigerung
an orientiert, wie Produktwissen mit Ver­        im Service leisten (vgl. [3]).
triebswissen eines Pumpenherstellers in          links und literatur zum beitrag
Verbindung gebracht werden kann. Eine            [1] Gutknecht, Matthias/Ley, Martin (2020):
denkbare, auf einem solchen Wissensgra­              Information bedarfsgerecht verpackt. In: technische
phen basierende Anwendung wäre zum Bei­              kommunikation H. 3, S. 28–32.
                                                 [2] Gartner (2021): www.gartner.com/smarterwithgartner
spiel ein „Pumpen-Recommender“, der dem
                                                 [3] Gutknecht, Matthias/Ley, Martin (2021): Mehrwert
Vertriebspersonal als App oder den Kunden            im Service. iiRDS als Basis für unternehmensweites                Ideen. Taten. Lösungen.
direkt über das WWW zur Verfügung ge­                semantisches Informationsmanagement. Vortrag auf                  www.itl.eu / itl.ch / itl.at
stellt werden kann. Ein weiterer typischer           der tekom-Frühjahrstagung.

04/21
Sie können auch lesen