Rechte weltweit Reproduktive - Heinrich-Böll-Stiftung
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Reproduktive Rechte weltweit Fokus Schwangerschaftsabbruch weltweit: Zwischen Kriminalisierung und dem Recht auf Selbstbestimmung C irca die Hälfte der Menschen weltweit besitzt die Schwangerschaftsabbrüchen haben auch rechtliche Regelun- Fähigkeit schwanger werden zu können. Bisher gibt gen. Während in einigen Ländern Schwangerschaftsabbrüche es kein Verhütungsmittel, das zu 100% sicher ist. unter Strafe stehen oder nur unter bestimmten Bedingungen Potenziell kann also die Hälfte aller Menschen ungewollt straffrei sind, sind in anderen Ländern Schwangerschaftsab- schwanger werden. Der Schwangerschaftsabbruch ist einer brüche nach Fristenregelungen oder ohne diese legal möglich. der häufigsten gynäkologischen Eingriffe und das effektivste Kriminalisierung und Stigmatisierung von Betroffenen und Mittel eine ungewollte Schwangerschaft zu beenden. Der Ärzt*innen gefährden die Versorgungssicherheit und können Zugang zu dieser essentiellen Gesundheitsleistung ist in- zu unsicheren Abbruchmethoden führen. Tabuisierung und ternational betrachtet sehr unterschiedlich und wird durch Stigmatisierung führen auch zu einer sehr schlechten Daten- ökonomische und soziale Faktoren beeinflusst. Großen Ein- lage, weshalb bei Erhebungen zum Schwangerschaftsabbruch fluss auf den Zugang zu sicheren, legalen und kostenfreien von hohen Dunkelziffern auszugehen ist. World Health Organization: Safe abortion: technical and policy guidance for health systems. Second edition, Genf, 2012, S. 1. https://www.who.int/news-room/fact-sheets/detail/preventing-unsafe-abortion Quelle:
GLOBALE KÄMPFE FÜR SELBSTBESTIMMUNG G lobale Kämpfe für Selbstbestimmung von Menschen, die schwanger werden können, finden vielerorts statt. Seien es Kämpfe wie in Lateinamerika gegen die restriktive Ge- IRLAND setzgebung, wie in Polen gegen Verschärfungen In kürzester Zeit hat sich Irland von einer der restrik- durch rechte Parteien, in Deutschland gegen die tivsten hin zu einer der progressivsten Gesetzgebungen zum Schwangerschaftsabbruch innerhalb der europäischen Kriminalisierung von Ärzt*innen und Versorgungs Union entwickelt, dank globaler und lokaler feministischer lücken oder wie etwa in Südafrika, wo sichere Kämpfe. Feministische Aktivist*innen haben gemeinsam Schwangerschaftsabbrüche zwar legalisiert – aber mit Menschenrechtsinitiativen und anderen Organisa- gesellschaftlich und medizinisch – stigmatisiert tionen in großen Bündnissen das Recht auf sichere und von sind. den Krankenkassen übernommene Schwangerschaftsab- Sie richten sich gegen komplexe Strukturen aus brüche per Volksentscheid im Jahr 2018 erkämpft. Neben Rechten und Konservativen, Kirchen, koloniales der Forderung nach Selbstbestimmung aller Körper war Erbe sowie gesellschaftliche Stigmatisierung und die Forderung nach dem Recht auf Gesundheit zentral. heteronormative Familienideale. NAMIBIA ARGENTINIEN In Namibia wurde seit der dreißigjährigen Unabhän- In Argentinien hat sich im Laufe der letzten 15 gigkeit die aus der Apartheid stammende Krimi- Jahre eine landesweite Kampagne mit bildungs nalisierung von Schwangerschaftsab brüchen nicht politischen, medizinischen, journalistischen und verändert. Nur etwa 2% aller Schwangerschaftsab- juristischen Untergruppen gebildet. Aufgrund brüche werden legal in Krankenhäusern durchgeführt, der dortigen Verfassung können soziale Bewe- da beispielsweise das zukünftige Leben des Kindes gungen Gesetze ins Parlament zur Abstimmung oder der schwangeren Person gefährdet ist. Alle an- einreichen. Auf nationalen Versammlungen mit deren Abbrüche finden klandestin statt und bergen bis zu hunderttausend Frauen1 und gebärfähigen große Gefahren für die Gesundheit der schwangeren Menschen hat die Kampagne für das Recht auf Menschen. Rund 500 sterben jedes Jahr an den sichere, kostenlose und legale Schwangerschafts- Folgen einer unsicheren Abtreibung. Über 60.000 abbrüche ihre Stärke entfaltet und im Dezember Menschen unterzeichneten in 2020 eine Petition 2020 die Legalisierung von Schwangerschafts- zur Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen. abbrüchen bis zur 14. Woche erkämpft. Tausende gingen landesweit auf die Straßen oder forderten online unter #LegaliseAbortionNa Selbst- bestimmung und reproduktive Gerechtigkeit. Schon jetzt unterstützen feministische Aktivist*innen viele 1 Die Problematik betrifft nicht nur Frauen, sondern alle Frauen und gebärfähige Menschen bei klandestinen Menschen, die schwanger werden können, wie z.B. trans* Schwangerschaftsabbrüchen. Personen, inter* Personen und nicht binäre Personen. METHODEN Auf Grundlage evidenz-basierter Praxis empfiehlt die WHO zur Beendigung von Schwangerschaften entweder den medika- mentösen Abbruch oder den operativen Eingriff der Vakuumaspiration. Im Optimalfall hat die ungewollt schwangere Person die Wahl zwischen beiden Methoden und kann sich informiert entscheiden. Der operative Schwangerschaftsabbruch mittels Kürettage (Ausschabung) ist laut WHO aufgrund erhöhter Komplikationsraten für Abbrüche bis zur 14. Woche nicht mehr zu empfehlen. In Deutschland werden trotzdem nach wie vor ca. 12% der Abbrüche mit der sogenannten Kürette durchgeführt. Medikamentöser Abbruch: Einnahme von zwei Medika- Chirurgischer Abbruch: menten entweder unter ambulanter Aufsicht oder im sog. Ambulanter operativer Home-Use bzw. unter telemedizinischer Begleitung. Das Abbruch mittels Vakuum erste Medikament mit dem Wirkstoff Mifepriston (Han- aspiration (Absaugung), delsname des Präparats: Mifegyne®) hebt die Wirkung der sowohl unter örtlicher des Gelbkörperhormons auf und bewirkt die Ablösung der Betäubung als auch unter Gebärmutterschleimhaut und des Fruchtsacks sowie die Vollnarkose stattfinden Öffnung des Gebärmuttermundes. Das zweite Medikament kann. Dabei wird ein mit dem Wirkstoff Prostaglandin (bekannt unter dem schmales, steriles Röhrchen Handelsnamen Cytotec®) wird ca. 36-48 Stunden danach in den Gebärmutterhals eingenommen und bewirkt, dass sich der Uterus zusam- eingeführt und die Frucht- menzieht und es zu einer Abbruchblutung kommt, mit der blase mitsamt Embryo die Gebärmutterschleimhaut und die Fruchtblase mit dem abgesaugt. Der Eingriff Embryo ausgestoßen werden. dauert ca. 15 Minuten. Quelle: WHO: Safe abortion: technical and policy guidance for health systems. Second edition, 2012 Doctors for Choice Germany e.V.: Methoden des Schwangerschaftsabbruchs, Link: https://doctorsforchoice.de/unsere-arbeit/information/schwangerschaftsabbruch/methoden/
POLEN Nach geplanter (und schließlich umgesetzter) Verschärfung der ohnehin restriktiven Gesetzgebung zu Schwangerschaftsabbrüchen formierten sich ab Herbst 2020 in Polen massive feministische Proteste, bekannt als Allpolnischer Frauenstreik. Die beispiellose Intensität des Widerstands ist darauf zurückzuführen, dass die katholische Kirche, fundamentalistische Akteure und die national-konservative Regierungspartei mit der Brechstange gegen den langsam voranschreitenden gesellschaftlichen Wandel und besonders die Aspirationen der Jugend vorgehen. Die weltweit bekanntgewordenen Kämpfe der polnischen Feminist*innen und LGBTIQ* sind ein Beispiel dafür, wie globale Kämpfe sich vernetzen und so Motivation und Inspiration schaffen können. SÜDKOREA Die seit 2010 kämpfenden Grup- pen haben 2019 einen ihrer größten LIBANON Erfolge erzielt, als das Verfassungs- Im Libanon stehen Abbrüche unter Strafe laut dem gericht das aktuell gültige Verbot Strafgesetz von 1943. Allerdings werden sie in der von Schwangerschaftsabbrüchen Praxis in illegalisierten Kliniken durchgeführt. Die für ein Indiz eines möglichen Ver- Strafen laut Gesetz sind klar: Personen, die ein- lustes der Menschenwürde ansah. en Abbruch machen lassen, drohen sechs Mona- Trotz der evangelisch-christlichen te bis drei Jahre Haft. Auch Ärzt*innen machen Gegenproteste und der Entschei- sich strafbar. Diese patriarchale Auslegung von dung für den Fortbestand der Frauenrechten ist Teil einer diskriminierenden Kriminalisierung von Schwanger- Gesetzeslage im Land. Trotz wenig Hoffnung auf schaftsabbrüchen seitens weiterer Gesetzesänderungen auf Grund der Machtstellung Verfassungsrichter Südkoreas hält religiöser Eliten, die dicht mit der Politik verwoben der feministische Kampf an und ge- sind, haben die Proteste seit Oktober 2019 Bewe- winnt an Zuspruch. Dies zeigt sich gung in die Diskussion gebracht. Feminist*innen beispielweise in einer nahezu kom- spielten eine wichtige Rolle bei den Protesten und pletten Straffreiheit bei Schwanger- die Rufe nach Veränderung wurden lauter denn je. schaftsabbrüchen. Dank Gruppen Es geht bei den Forderungen auch um die Unter- wie Joint Action for Reproductive drückung von Gastarbeiter*innen, die Tatsache, Justice muss die Regierung nun das dass Libanes*innen ihre Nationalität nicht an ihre noch gültige Verbot von Schwanger- schaftsabbrüchen aufheben und sie Kinder weitergeben können und andere unzurei bis zur 14. Woche ohne Angabe von chende Rechte für Frauen im Libanon. Gründen legalisieren. Quelle: https://www.who.int/news-room/fact- sheets/detail/preventing-unsafe-abortion
SCHWANGERSCHAFTSABBRUCH IN INTERNATIONALEN ABKOMMEN Schwangerschaftsabbrüche sind international heftig umstritten. Nur sehr wenige Städte, Regionen oder Länder wie Kanada haben Abbrüche vollständig legalisiert. Die verschiedenen Positionen spiegeln sich auch in internationalen Abkommen, der Positionierung internationaler Organisationen oder Staatenver- bünde. UNO (CEDAW) WHO UNFPA Die UN-Frauenrechtskonvention Die Weltgesundheitsorganisation WHO Der Bevölkerungsfonds der Vereinten CEDAWvon 1979 geht nicht explizit hält den Zugang zu legalen und si- Nationen UNFPA verurteilt „jeden er- auf Schwangerschaftsabbrüche ein. cheren Schwangerschaftsabbrüchen zwungenen Schwangerschaftsabbruch Der zuständige Ausschuss betonte aber für essentiell, „um das höchste mögli- und die diskriminierende Praxis vorge- mehrfach, dass die Kriminalisierung che Level sexueller und reproduktiver burtlicher Geschlechtsselektion“. Er von Abbrüchen oder die Verzögerung Gesundheit“ zu erreichen. Restrik- spricht sich nicht grundsätzlich für die sicherer Abbrüche eine Verletzung von tive Gesetze führen laut WHO nicht Legalisierung von Schwangerschafts- Frauenrechten darstellen kann. Re- zu weniger Abbrüchen oder höheren abbrüchen aus, sondern setzt auf gelmäßig rügt der Ausschuss Länder Geburtenraten – sondern dazu, dass Methoden der Familienplanung, um für restriktive Gesetze, auch Deutsch- unsichere Abbrüche vorgenommen Abbrüche zu verhindern. Wo Abbrüche land. werden. Die Organisation spricht sich legal sind, sollen sie sicher sein – wo gegen hohe Kosten und gesellschaft- sie illegal sind, sollen Frauen dabei un- liche Stigmatisierung von Abbrüchen, terstützt werden, gute Nachsorge zu zudem gegen verpflichtende Warte- bekommen, um ihre Leben zu retten. zeiten oder verpflichtende Beratungen aus. EUROPARAT Die Istanbulkonvention, das Überein- kommen des Europarats zur Bekämp- AFRIKANISCHE UNION fung von Gewalt gegen Mädchen und EUROPÄISCHE UNION Artikel 14 des Maputo-Protokolls Frauen, nennt erzwungene Schwanger- 2013 lehnte die EU-Kommission die für die Rechte von Frauen in Afrika schaftsabbrüche als Form der Ge- Annahme des sogenannten Estre- von 2005 sichert Frauen das Recht walt, der nur Frauen ausgesetzt sein la-Berichts ab. In diesem Bericht über auf Gesundheit inklusive reprodukti- können. Ein Recht auf den Zugang zu sexuelle und reproduktive Gesundheit ver Rechte zu. Der Artikel garantiert Schwangerschaftsabbrüchen erwähnt und die damit verbundenen Rechte das „Recht auf sicheren Schwanger- die Konvention nicht. 2017 zeigte hatte die Berichterstatterin Edite Es- schaftsabbruch im Fall von sexuellen sich der Europarat „erschüttert“ trela unter anderem das Recht auf „si- Übergriffen, Vergewaltigung, Inzest über die zunehmenden Restriktionen chere und legale Schwangerschaftsun- und wenn die Schwangerschaft die beim Zugang zu Schwangerschafts- terbrechungen“ gefordert. mentale oder psychische Gesundheit abbrüchen in Europa, 2021 forder- der Mutter oder das Leben der Mut- te er Polen auf, „effektive und legale ter oder des Fötus gefährdet“. Längst Verfahren“ zu schaffen, um Frauen nicht alle Staaten haben das Protokoll „Zugang zu einer legalen Abtreibung“ ratifiziert und umgesetzt. zu ermöglichen.
SCHWANGERSCHAFTSABBRUCH HALTUNG INTERNATIONALER AGIERENDER STIFTUNGEN UND NGOS Verschiedene trans- und internationale Stiftungen und NGOs arbei ten auf dem Gebiet sexueller und reproduktiver Rechte und Gesund- heit, sammeln Daten, vernetzen sich politisch, setzen sich juristisch für sichere und legale Schwangerschaftsabbrüche ein und unterstüt- International Planned Parenthood zen ungewollt Schwangere zum Teil selbst. Foundation Die IPPF ist ein Dachverband von 131 Mitgliedsorganisationen in 143 Ländern, darunter Pro Familia Amnesty International in Deutschland. Der Verband setzt Der Zugang zu sicheren Schwanger- sich für den weltweiten Zugang zu schaftsabbrüchen ist für Amnesty sicheren und legalen Schwanger- „essentiell, um die volle Bandbreite schaftsabbrüchen ein. von Menschenrechten zu realisieren und Gender-, soziale, reproduktive und ökonomische Gerechtigkeit Ford Foundation herzustellen.“ Sichere, würdevolle Die Ford Foundation betrachtet Abbrüche nach den Bedürfnissen Geschlechtergerechtigkeit und der Betroffenen seien „das Recht reproduktive Gerechtigkeit als jeder Person, die schwanger werden grundlegend, um Gleichheit für alle kann.“ Die Organisation setzt sich Menschen zu erreichen. Die Möglich- entsprechend für die vollständige keit, selbst zu entscheiden, wann und Women Help Women Entkriminalisierung und den vollen wie viele Kinder eine Person haben Die feministische NGO Women help Zugang zu Abbrüchen ein. Sie möchte, diese sicher zu gebären und Women unterstützt „self-man- fordert, dass sich Regierungen mit in einem gesunden Umfeld aufzuzie- aged abortion“ wie die Einnahme sozialen und ökonomischen Gründen hen, sei zentral für die Freiheit und von Tabletten für medikamentöse auseinandersetzen, die die Entschei- Gleichheit von Frauen und gen- Abbrüche zu Hause: „Der Schlüssel dung einer Person für oder gegen der-nicht-konformen Personen. Die zu reproduktiver Freiheit und Ge- einen Abbruch beeinflussen können. Stiftung setzt sich für den Zugang zu rechtigkeit ist es, Abtreibungspillen qualitativer reproduktiver Versorgung direkt in die Hände derer zu legen, ein, um sicherzustellen, dass schwan- die sie brauchen.“ Dabei geht es vor gere Personen unterstützt werden allem um Länder mit restriktiven Ge- – unabhängig davon, ob sie gebären setzen, Stigmatisierung und mangeln- wollen oder einen Schwangerschafts- dem Zugang zu Abbrüchen. Die NGO abbruch möchten. bietet telemedizinische Begleitung und Partnerschaften mit lokalen fem- inistischen Initiativen vor Ort. Women on Waves und Women on Web Women on Waves holen ungewollt Schwangere in Ländern ohne legalen Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen per Schiff ab und führen in internationalen Gewässern unter niederländischer Flagge sichere Abbrüche durch. Sie unterstüt- zen zudem „self-managed abortion“ und bieten telemedizinische Begleitung bei Abbrüchen. Women on Web bietet Hilfe und Informationen zu sicheren Schwanger- schaftsabbrüchen und Verhütung in 16 Sprachen. Ihr Ziel: Online sicheren und erschwinglichen Zugang zu „abortion care“ weltweit zu schaffen. Center for Reproductive Rights Mama Network Die US-amerikanische NGO will Das Mama Network vernetzt 35 reproduktive Rechte als Menschen- Organisationen in Subsahara-Afrika rechte voranbringen. Sie ist eigenen zum Thema „self-managed abortion“. Angaben zufolge die einzige juris- Die Mitglieder unterhalten Hilfetele- tische Interessenvertretung dieser fone zum Thema sexuelle und repro- Art weltweit und setzt sich etwa in duktive Gesundheit. Ihr Ziel: Wissen Gerichtsprozessen für die Erweite über und Zugang zu medikamentösen rung des Zugangs zu reproduktiver Abbrüche zu erhöhen. Abtreibungs Gesundheitsversorgung ein. Dazu pillen, so heißt es im Manifest des zählen Geburtenkontrolle, sichere Netzwerks, „schaffen eine universale Schwangerschaftsabbrüche, Geb- Möglichkeit für sichere Abbrüche – unabhängig davon, wie Schwanger- urtshilfe und unvoreingenommene schaftsabbrüche durch nationale Informationen zu Abbrüchen. Gesetze geregelt sind“.
Narrative und Netzwerke der globalen Anti Choice-Bewegung I n Opposition zur Position „Pro Choice“, die Selbstbestim- Frauen also abgelehnt. Die AfD fordert entsprechend eine mung und Wahlfreiheit von gebärfähigen Menschen in den „Willkommenskultur“ für Kinder – deutsche, versteht sich. Vordergrund stellt, steht die Anti-Choice Bewegung der Ab- International ist unter anderem am Beispiel Polen zu sehen, treibungsgegner*innen. Die Anhänger*innen sind oft christli- wie rechte Regierungen Frauenrechte einschränken: Dort che Fundamentalist*innen, darunter Evangelikale in den USA, wurden Schwangerschaftsabbrüche im Oktober 2020 faktisch die international vernetzt sind und entsprechend lobbyieren. verboten. Im selben Monat schlossen sich innerhalb der „Ge- Ungeachtet dessen, dass jährlich bis zu 47.000 Frauen an neva Consensus Declaration“ zudem 34 Staaten zusammen, unsicheren Abbrüchen sterben, nennen sich Abtreibungsgeg- um sich gegen Abbrüche auszusprechen. Vorangetrieben noch ner*innen selbst gern „Lebensschützer“. Ihr Argument, mit von der Trump-Administration, unterzeichneten in der über- dem sie Schwangerschaftsabbrüche offensiv bekämpfen: Ab wiegenden Mehrheit autoritäre oder autokratisch regierte dem Moment der Verschmelzung von Eizelle und Spermium sei Regime, darunter Ungarn, Brasilien, Ägypten, Indonesien und menschliches Leben entstanden. Ein Zweizeller habe entspre- Uganda. chend dieselben Rechte wie eine erwachsene Frau. Abbrüche Der Name der Erklärung ist an die „Geneva Consensus Foun- seien deshalb zu jedem Zeitpunkt als Mord zu betrachten. dation“ der Vereinten Nationen angelehnt, hat damit aber Behauptet wird zudem, dass Abbrüche auch der Schwangeren nichts zu tun. US-Präsident Joe Biden zog die Unterschrift selbst schaden. Diese leide unter dem „Post Abortion Syn- der USA zurück. drom“ – ein wissenschaftlich widerlegter Mythos der Abtrei- In den USA selbst ist seit Jahrzehnten zu beobachten, wie bungsgegner*innen. Mehrere Untersuchungen, die auf Daten erbittert um das Thema Schwangerschaftsabbruch gestritten der „Turnaway-Studie“ aufbauen, zeigen, dass nicht nur kein wird: Je nach Regierungspartei kommt und geht die sogenann erhöhtes Risiko für psychische Probleme durch einen Abbruch te Mexico City Police, benannt nach dem Ort, an dem der bestehen. Im Gegenteil: Frauen, denen ein Abbruch verweigert damals amtierende republikanische US-Präsident Ronald wurde, zeigten mehr Angstsymptome, weniger Selbstbewusst- Reagan sie zum ersten Mal verkündete. Sie verbietet es den sein und weniger Zufriedenheit mit dem Leben als die Gruppe USA, internationale NGOs zu fördern, wenn diese in ihrer Ar- der Frauen, die einen Abbruch vornehmen ließen. Diese bewer- beit auch zu Schwangerschaftsabbrüchen beraten oder diese ten zu 95% ihre Entscheidung als positiv. durchführen und wird deshalb auch Global Gag Rule genannt, Inhaltlich überschneiden sich Positionen der Abtreibungsgeg- zu Deutsch etwa „Knebeldekret“. Bill Clinton hob sie auf, ner*innen mit denen der Neuen und extremen Rechten, für George W. Bush führte sie wieder ein, Barack Obama hob sie deren Politik die Kontrolle über Frauenköper zentral ist. Im auf, Donald Trump führte sie wieder ein – Biden hob sie auf. Hintergrund steht dabei der „große Austausch“, Kampfbegriff Das Selbstbestimmungsrecht von Menschen, die schwanger und rechtsextreme Verschwörungsideologie zugleich: Durch werden können, wird so zur politischen Verhandlungsmasse hohe Geburtenraten unter People of Colour und niedrigen und die Reglementierung und Ächtung von Abbrüchen bleibt unter weißen Frauen drohe ein Genozid der „europäischen“ auch im 21. Jahrhundert Instrument von patriarchal geprägter Gesellschaften. Schwangerschaftsabbrüche werden bei weißen Bevölkerungspolitik und religiös geprägter Sexualmoral. QUELLEN UND WEITERFÜHRENDE LITERATUR • Amnesty International releases updated policy on abortion, September 2020. Abgerufen am 14.4.2021: www.amnesty.org/en/latest/news/2020/09/ amnesty-releases-updated-policy-on-abortion/ • Erica Millar: Happy Abortions. Mein Bauch gehört mir – noch lange nicht. Aus dem australischen Englisch von Stephanie Singh. Verlag Klaus Wagenbach 2018, 224 Seiten • Joe Biden axes ‘global gag rule’ but health groups call on him to go further. The Guardian, 28.1.2021, abgerufen am 14.4.2021: www.theguardian. com/global-development/2021/jan/28/joe-biden-global-gag-rule-health-groups • Statistisches Bundesamt (2021): https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2021/01/PD21_029_233.html • Turnaway Study: https://www.ansirh.org/research/ongoing/turnaway-study • U.S. Department of Health and Human Services: Geneva Consensus Declaration. Promoting Women’s Health and Strengthening the Family, abge- rufen am 14.4.2021: www.hhs.gov/sites/default/files/geneva-consensus-declaration-english.pdf • United Nations Population Fund UNFPA: Frequentyl asked questions. Does UNFPA promote abortion? Abgerufen am 14.4.2021, www.unfpa.org/ frequently-asked-questions • United Nations: Protocol to the African Charter on Human and Peoples’ Rights on the Right of Women in Africa, abgerufen am 14.4.2021: www. un.org/en/africa/osaa/pdf/au/protocol_rights_women_africa_2003.pdf • Wissenschaftlicher Dienst des Deutschen Bundestags 2019: Studien zu psychischen Folgen von Schwangerschaftsabbrüchen. Abgerufen am 14.4.2021: www.bundestag.de/resource/blob/648844/8b9810db6aecd81f7e62d2adb0366a64/WD-9-012-19-pdf-data.pdf • Women help Women: Connecting the personal experience of swallowing a pill to global political activism. Abgerufen am 14.4.2021: https://wom- enhelp.org/ • World Health Organisation: Health Topics/ Abortion, abgerufen am 14.4.2021: www.who.int/health-topics/abortion#tab=tab_1 • World Health Organization: Safe abortion: technical and policy guidance for health systems. Second edition, Genf, 2012, Seite 1 Herausgegeben von der Heinrich-Böll-Stiftung und dem Gunda Werner Institut, Mai 2021 IMPRESSUM Recherche und Text: Patricia Hecht, Derya Binışık, Jana Prosinger, Kai Münch Konzept: Derya Binışık und Jana Prosinger Gestaltung: Maja Ilić Dieses Werk steht unter der Creative-Commons-Lizenz „Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 Deutschland“ (CC BY-SA 3.0 DE). Der Text der Lizenz ist unter http://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/de/legalcode abrufbar. Eine Zusammenfassung (kein Ersatz) ist unter https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.de.
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