Repetitorium Facharztprüfung Innere Medizin - Malte Ludwig (Hrsg.) - Auflage - Amazon AWS
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Inhaltsverzeichnis 1 Angiologie 3 Endokrinologie 1.1 Die periphere arterielle 3.1 Hypothalamus, Hypophyse, Verschlusskrankheit, Aortenaneurysma Nebennieren, Gonaden Dirk K. C. Sieber . . . . . . . . . . . . . . 2 Matthias Gruber, Stefan Bornstein. 159 1.2 Venenerkrankungen 3.2 Diabetes mellitus, Adipositas, Holger Lawall, metabolisches Syndrom Robert Kreuzpointner . . . . . . . . . . 25 Udo Schmitz . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 1.3 Gerinnungsstörungen 3.3 Schilddrüse, Kalzium- und Michael Spannagl . . . . . . . . . . . . . 46 Knochenstoffwechsel 1.4 Schlaganfall Lars Möller . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 Dirk Sander . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 1.5 Akrale Durchblutungsstörungen 4 Gastroenterologie Hubert Stiegler . . . . . . . . . . . . . . . 58 4.1 Ösophagus, Magen, gastrointestinale 1.6 Lymphödem/Lipödem Blutungen Robert Kreuzpointner . . . . . . . . . . 66 Joachim Labenz. . . . . . . . . . . . . . . 202 4.2 Virale und nichtvirale Hepatitiden 2 Kardiologie Fritz von Weizsäcker (†). . . . . . . . . 217 2.1 Grundlagen, Risikofaktoren, Diagnostik 4.3 Gallenwegserkrankungen Stefan Möhlenkamp . . . . . . . . . . . 72 Thomas Zöpf. . . . . . . . . . . . . . . . . 227 2.2 Chronische KHK, akutes 4.4 Leberzirrhose Koronarsyndrom Cornelius Engelmann, Robert Kreuzpointner . . . . . . . . . . 83 Thomas Berg. . . . . . . . . . . . . . . . . 238 2.3 Herzinsuffizienz 4.5 Lebertransplantation Till Neumann . . . . . . . . . . . . . . . . 103 Julia Benckert, Thomas Berg . . . . . 254 2.4 Myokarditiden 4.6 Hepatozelluläres Karzinom Robert Kreuzpointner . . . . . . . . . . 111 Julia Benckert, Thomas Berg . . . . . 260 2.5 Infektiöse Endokarditis (IE) 4.7 Erkrankungen von Dünn- Peter Koerfer. . . . . . . . . . . . . . . . . 118 und Dickdarm 2.6 Angeborene Herzfehler Martin Reuther . . . . . . . . . . . . . . . 268 Wolfgang Lepper. . . . . . . . . . . . . . 121 4.8 Pankreaserkrankungen 2.7 Erworbene Herzklappenfehler Christian Breitkreutz . . . . . . . . . . . 281 Karin A. L. Müller. . . . . . . . . . . . . . 127 2.8 Herzrhythmusstörungen, 5 Infektiologie Schrittmacher, Defibrillatoren 5.1 Infektionskrankheiten Hans-Jürgen Volkmann . . . . . . . . . 140 Micha Löbermann, Carlos Fritzsche und Emil C. Reisinger . . . . . . . . . . . . . . 287 ISBN: 978-3-437-23317-3; Chapter: FM; Stage: 1st Proof; Date: 18-Feb-2020 C0095.indd XXI 18/02/20 3:03 PM
XXII Inhaltsverzeichnis 5.2 HIV / AIDS 9.2 Pneumonie und interstitielle Benjamin T. Schleenvoigt Lungenerkrankungen und Mathias W. Pletz . . . . . . . . . . 308 Heinrich Worth . . . . . . . . . . . . . . . 451 9.3 Lungenkarzinom 6 Notfallmedizin und Intensivmedizin Monika Serke . . . . . . . . . . . . . . . . 486 6.1 Schockformen 9.4 Respiratorische Insuffizienz, Peter Sefrin und Stefan Kluge . . . . 315 schlafbezogene Atemstörungen. . 498 6.2 Reanimation Peter Sefrin und Stefan Kluge . . . . 331 10 Rheumatologie 6.3 Intensivmedizin Christof Specker . . . . . . . . . . . . . . 509 Matthias Kochanek und 10.1 Rheumatoide Arthritis (chronische Stefan Kluge . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 Polyarthritis) . . . . . . . . . . . . . . . . 509 10.2 Spondyloarthritiden (SpA) . . . . . . 516 7 Hämatologie, Onkologie 10.3 Kollagenosen . . . . . . . . . . . . . . . . 522 7.1 Anämien, Thrombozytopenien 10.4 Vaskulitiden . . . . . . . . . . . . . . . . . 531 Stefan Schwartz . . . . . . . . . . . . . . 348 10.5 Autoinflammatorische Syndrome. 537 7.2 Leukämien, Lymphome, Multiples Myelom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358 11 Sonografie des Abdomens 7.3 Medizinische Onkologie Kurt D. Reising . . . . . . . . . . . . . . . 541 und supportive Maßnahmen 11.1 Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . 543 in der Onkologie 11.2 Untersuchungstechnik und Ralf Schmidmaier . . . . . . . . . . . . . 375 Schnittebenen . . . . . . . . . . . . . . . 545 11.3 Dokumentation . . . . . . . . . . . . . . 545 8 Nephrologie / Hypertonie 11.4 Leber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 546 8.1 Arterielle Hypertonie 11.5 Gallenblase . . . . . . . . . . . . . . . . . 551 Jürgen E. Scholze und Susann 11.6 Gallengänge. . . . . . . . . . . . . . . . . 553 A. Patschan. . . . . . . . . . . . . . . . . . 401 11.7 Pankreas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 554 8.2 Säure-, Basen- und Elektrolytstörungen 11.8 Milz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 556 Hans-Paul Schobel, Helga Frank . . 413 11.9 Nieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 556 8.3 Akute und chronische 11.10 Kleines Becken. . . . . . . . . . . . . . . 560 Nierenerkrankungen 11.11 Abdominale Gefäße . . . . . . . . . . . 563 Helga Frank, Hans-Paul Schobel . . 420 11.12 Sonografie des 8.4 Nierenersatztherapie: Dialyse und Gastrointestinaltrakts . . . . . . . . . 565 Nierentransplantation Ralf Schindler . . . . . . . . . . . . . . . . 430 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 569 9 Pneumologie Referenzbereiche wichtiger 9.1 Obstruktive Atemwegserkrankungen: Laborparameter für Erwachsene COPD und Asthma bronchiale Christoph M. Niederau . . . . . . . . . 588 Adrian Gillissen . . . . . . . . . . . . . . . 437 ISBN: 978-3-437-23317-3; Chapter: FM; Stage: 1st Proof; Date: 18-Feb-2020 C0095.indd XXII 18/02/20 3:03 PM
72 2 Kardiologie 2.7.5 Trikuspidalklappenstenose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 2.7.6 Trikuspidalklappeninsuffizienz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 2.7.7 Erworbene Pulmonalklappenstenose und -insuffizienz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 2.8 Herzrhythmusstörungen, Schrittmacher, Defibrillatoren Hans-Jürgen Volkmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 2 2.1 Grundlagen, Risikofakto- 2.1.3 Risikostratifikation und Thera- ren, Diagnostik pie asymptomatischer Personen Stefan Möhlenkamp Das plötzliche und unerwartete Auftreten lebensbe- 2.1.1 Epidemiologie drohlicher kardiovaskulärer Ereignisse bedingt die Notwendigkeit zur Früherkennung mittels Risiko- Die kardiovaskulären Erkrankungen (Cardiovascular stratifikationsalgorithmen (s. u.), mit denen das Diseases, CVD) und insbesondere die koronare Herz- absolute Risiko (% Ereignisse in 10 J.) und das relati- krankheit (KHK; Coronary Artery Disease, CAD) sind ve Risiko (im Vergleich zu Personen ohne Risikofak- die führenden Todesursachen weltweit und für ca. toren) geschätzt und in Risikokategorien (niedrig, 40 % aller Todesfälle bei unter 75-Jährigen in Europa mittel, hoch) eingeteilt werden. verantwortlich. Seit den 1970er-Jahren hat die CVD-Mortalität bei Männern und Frauen in den west- PRAXISEMPFEHLUNG lichen Industrienationen abgenommen, was etwa zur Bei mittlerem Risiko können bei ausgewählten Perso- nen zusätzliche Tests erwogen werden (siehe Konsen- Hälfte auf günstigere kardiovaskuläre Risikofaktoren susempfehlung), die Bedeutung der zusätzlichen Tests und zu etwa 40 % auf verbesserte medizinische Leis- wurde aber zuletzt herabgestuft. Die meisten CVD-Ereig- tungen zurückzuführen ist (ca. 10 % unerklärt). nisse treten in der Gruppe der Personen mit scheinbar mitt- lerem oder niedrigem Risiko auf („Rose-Präventions-Para- dox“). Die Empfehlungen zu Therapie und Therapieintensität 2.1.2 Pathogenese der Arteriosklerose richten sich nach der Höhe des Risikos. Für die medikamen- töse Therapie sollte zusätzlich berücksichtigt werden, wie Die Arteriosklerose (Atherosklerose) ist eine multifo- viele Personen behandelt werden müssen, um ein Ereignis kale Erkrankung, die durch Einlagerung von Choleste- zu verhindern („number needed to treat“, NNT). Die Risi- kobewertung bei Personen ohne klinisch manifeste KHK rin in die Gefäßwand mit nachfolgender inflammato- sollte zumindest alle 5 Jahre erfolgen. risch-bindegewebiger Reaktion und Atherombildung charakterisiert ist. Die Plaques entwickeln sich lebens- lang auf dem Boden der Risikofaktoren (› Kap. 2.1.4), nicht selten schubweise durch Plaquerupturen, KONSENSUSEMPFEHLUNG Plaqueerosionen oder auch Hämatome in der Gefäß- Einsatz weiterführender Diagnostik zur Risiko- stratifikation bei asymptomatischen Personen wand. Typisch ist ein exzentrisches Remodeling der (2013 ACC / AHA Leitlinie zur Bewertung des Gefäßwand, d. h. die Zunahme des Gefäßaußendurch- kardiovaskulären Risikos) messers bei weitestgehend unverändertem Innenlu- mendurchmesser („Glagov-Phänomen“). Die Arterio- Risikostratifikationsalgorithmen: IA sklerose verläuft sehr lange subklinisch bzw. Framingham Risk Score, ESC-SCORE, PROCAM, Reynolds Risk Score, Q-Risk, asymptomatisch. Etwa die Hälfte aller koronaren To- CARRISMA, arriba u. a. desfälle tritt plötzlich und unerwartet auf, meist durch Familienanamnese, hsCRP, Koronarer IIB, Experten- eine Plaqueruptur mit thrombotischem Verschluss Kalkscore (CAC)*, Arm-Bein-Index (ABI) meinung des Koronargefäßes (› Kap. 2.2.2). ISBN: 978-3-437-23317-3; Chapter: 2; Stage: 1st Proof; Date: 07-Feb-2020 C0010.indd 72 07/02/20 3:40 PM
2.1 Grundlagen, Risikofaktoren, Diagnostik 73 ApoB, chronische Nierenerkrankung, Unklar, keine Lebensstil (Mikro)Albuminurie, oder kardiorespira- Empfehlung torische Fitness Basis der risikofaktorenmodifizierenden Therapie ist Intima-Media-Dicke (bei intermediärem III, kein die Änderung der Lebensgewohnheiten, die durch Risiko) Nutzen, wird langjährige Verhaltensmuster geprägt sind, ihre nicht Grundlage im Kindesalter und in der Adoleszenz ha- empfohlen ben und im Wechselspiel mit genetischen Variablen * in den Lipidleitlinien (Grundy et al. 2018) wird empfohlen, und Umweltfaktoren ausgeformt werden. Interindi- 2 den CAC-Score zu erwägen und zwar für Erwachsene viduelle Unterschiede im Gesundheitsverhalten, zwischen 40–75 Jahre ohne Diabetes, mit LDL-Choleste- aber auch Unterschiede zwischen sozialen Gruppen rin > 70 mg / dl und einem Herz-Kreislauf-Risiko („ASCVD Risk“) ≥ 7,5 % erfordern gezielte Strategien für eine Verhaltens- und Verhältnisprävention. Individuelle Ansätze mit einzelnen konsekutiven kleinen Schritten mit Kriterien für hohes oder sehr hohes CVD-Risiko realistischen Zielsetzungen müssen ergänzt wer- • CVD-Risiko > 20 % in 10 J. (z. B. Framingham den durch gesellschaftspolitische und rechtliche Score) oder CVD-Mortalität ≥ 5 % in 10 J. Rahmenbedingungen wie Nichtraucherschutzge- (ESC-SCORE) setze (Passivrauchen!), Städtebaumaßnahmen zur • Vorliegen von Risikoäquivalenten: Förderung der körperlichen Aktivität, z. B. durch – Typ-2-Diabetes oder Typ-1-Diabetes mit Rad- und Gehwege, Umweltschutzbestimmungen Mikroalbuminurie (Feinstaubbelastung und Lärmreduktion), Arbeits- – Klinisch relevante pAVK platzbedingungen etc. – Symptomatische Karotisstenose – Abdominelles Bauchaortenaneurysma (AAA) • Vorliegen ausgeprägter einzelner Risikofaktoren, Säulen der individuellen Lebensstilbera- z. B. familiäre Hypercholesterinämie tung • Bekannte schwere KHK oder CVD • Kognitive und verhaltenstherapeutische • Chronische Niereninsuffizienz Ansätze • Berücksichtigung der Erkrankungen, die mit einem erhöhten CVD-Risiko – subjektiven Risikowahrnehmung, einhergehen (Auswahl) – individuellen Motivation, • Influenza – Lebensumstände (inklusive ethnische und • Chronische Niereninsuffizienz kulturelle Besonderheiten). • Obstruktive Schlafapnoe • Ansatzpunkte: • Erektile Dysfunktion – Ernährungsgewohnheiten, • Autoimmunerkrankungen, z. B. – körperliche Aktivität, – Psoriasis – Gewichtskontrolle, – Rheumatoide Arthritis – Entspannungsübungen, – Lupus erythematodes – Raucherentwöhnungsprogramme, • Peridontitis – Abbau psychosozialer Risikofaktoren (Stress, • Polyzystisches Ovarialsyndrom soziale Isolation etc.) in Einzel- oder Gruppen- beratungen. 2.1.4 Risikofaktorenmodifizierende Therapie Rauchen Blutdruck › Kap. 8.1, schlafbezogene Atemstörun- In der Hierarchie der Risikofaktoren hat Rauchen gen › Kap. 9.4.2, Übergewicht / Adipositas / visze- die größte Bedeutung für die Beeinträchtigung der rales Fett › Kap. 3.2, Glukosestoffwechsel / meta- kardiovaskulären Gesundheit. bolisches Syndrom / Diabetes mellitus › Kap. 3.2. ISBN: 978-3-437-23317-3; Chapter: 2; Stage: 1st Proof; Date: 07-Feb-2020 C0010.indd 73 07/02/20 3:40 PM
74 2 Kardiologie WICHTIG In den Ernährungsempfehlungen sollten regiona- Rauchen fördert alle Komponenten der Arteriosklerose: le, saisonale und kulturelle Gewohnheiten berück- Plaquebildung, Thromboseneigung und Inflammation. sichtigt werden. Das Nahrungsmittelangebot sollte Die Hälfte der vermeidbaren Todesfälle bei Rauchern ist vielfältig, aber kalorienneutral sein, um Übergewicht durch Arteriosklerose bedingt. bzw. Fettleibigkeit zu verhindern. Der Verzehr von Obst, Gemüse, Hülsenfrüchten, Nüssen, Vollkorn- Das nikotinbedingte Risiko zeigt eine eindeutige Do- cerealien und -brot sowie Fisch sollte gefördert wer- 2 sis-Wirkungs-Beziehung ohne einen erkennbaren un- den. Nachsalzen der Nahrung ist nicht nötig, um den teren Schwellenwert für den schädigenden Effekt. Ziga- täglichen Salzbedarf zu decken, zumal viele indust- rettenkonsum ist am häufigsten, aber alle Tabaksorten riell hergestellte Lebensmittel und Fertigprodukte einschließlich Wasserpfeife sind schädlich. Die gleichen einen hohen Salzgehalt haben. Gesüßte Lebensmit- Effekte sind zunehmend auch für das Passivrauchen tel, insbesondere Limonaden, sollten besonders Pa- belegt. Nikotinkarenz reduziert nahezu unmittelbar das tienten mit Hypertriglyzeridämien meiden. kardiovaskuläre Risiko mit einer 35- bis 40-prozentigen Risikoreduktion innerhalb von 6 Monaten nach einem Myokardinfarkt. Nach 10–15 Jahren Nikotinkarenz Vitamine und Homocystein ist das Risiko ähnlich dem der Nie-Raucher. Vitamin A und E zeigen einen inversen Zusammen- hang mit dem CVD-Risiko in epidemiologischen Körperliche Aktivität / Sport Studien. Bislang konnte trotz der antioxidativen Ei- genschaften dieser Vitamine kein kausaler und kein WICHTIG relevanter Zusammenhang mit CVD-Ereignissen Regelmäßige körperliche Aktivität und / oder aerober nachgewiesen werden. Ausdauersport führen zu einer Senkung der kardiovasku- lären Mortalität. Die B-Vitamine (Vit. B6, Vit. B12 und Folsäure) wurden untersucht, da sie Homocystein senken, das als Risikofaktor anerkannt ist. Es konnte aber keine Dies gilt für Gesunde und für Personen mit kardio- Reduktion der kardiovaskulären Morbidität oder vaskulären Erkrankungen. Die wichtigsten Empfeh- Mortalität durch B-Vitamine nachgewiesen werden. lungen sind: Die Gabe von B-Vitaminen zur Senkung eines erhöh- • 2,5–5 h / Woche ten CVD- oder KHK-Risikos wird nicht empfohlen. • Möglichst tägliche Einheiten bei moderater Ob die Vitamin-D-Supplementierung bei Vita- Intensität (je nach Trainingsstatus 40–80 % der min-D-Mangel die CVD-Ereignisrate senkt, ist nicht VO2max) eindeutig belegt. • Ausdauertraining sollte durch Muskeltraining ergänzt werden (insbesondere bei metabolischem Syndrom oder Diabetes mellitus). Psychosoziale Faktoren CAVE Depression, Angststörungen oder psychosozialer Patienten sollten aufgeklärt werden, dass das akute kar- diovaskuläre Risiko mit zunehmender Intensität der kör- Stress in der Familie oder am Arbeitsplatz (u. a. „Ef- perlichen Aktivität steigt, besonders bei Personen mit fort-Reward-Imbalance“) haben ungünstige Wir- bekannter KHK oder Kardiomyopathien, während das kungen auf viele kardiovaskuläre Risikofaktoren. Langzeitrisiko sinkt („Paradox of Exercise“). Darum: Psychologische Einzel- oder Gruppeninterventionen häufiges Training bei geringer bis mittlerer Intensität! oder Stressmanagementprogramme dienen der psy- chosozialen Stressbewältigung, fördern das Gesund- Ernährung heitsverhalten und tragen so zur Prävention der CVD bei. Patienten mit KHK und klinisch manifes- (S. u. „Nichtmedikamentöse lipidmodifizierende ter Depression können sicher und effektiv mit Psy- Therapie“). chotherapie oder (selektiven) Serotoninwiederauf- ISBN: 978-3-437-23317-3; Chapter: 2; Stage: 1st Proof; Date: 07-Feb-2020 C0010.indd 74 07/02/20 3:40 PM
2.1 Grundlagen, Risikofaktoren, Diagnostik 75 nahmehemmern therapiert werden. Eine Reduktion für eine Pankreatitis. Die prädiktive Bedeutung der kardiovaskulärer Ereignisse durch psychosoziale In- postprandialen Triglyzeridwerte ist noch nicht ge- terventionen ist noch nicht hinreichend belegt. klärt. Die Hypertriglyzeridämie tritt auch familiär auf (familiäre Hypertriglyzeridämie [FHTG] und familiär kombinierte Hyperlipidämie [FCHL]). Fettstoffwechselstörungen Serumcholesterin und seine Lipoprotein-Träger Bedeutung des HDL-Mangels 2 (LDL, VLDL und HDL) sind Risikofaktoren für athe- Das HDL-Cholesterin ermöglicht den reversen Cho- rosklerotische kardiovaskuläre Erkrankungen. lesterintransport von peripheren Zellen zur Leber. LDL-C ist die dominierende Form des atherosklero- Die Werte werden durch zahlreiche Umwelt- und tischen Cholesterins. VLDL ist der wichtigste Träger Ernährungseinflüsse sowie durch Gene determi- der Triglyzeride und ist ebenfalls atherogen. niert. Zu den HDL-Cholesterin-senkenden Gende- HDL-Cholesterin ist nicht atherogen. Chylomikro- fekten zählen u. a. die Apo-A1- und die LCAT-Defi- nen transportieren das Nahrungsfett. Deren Athero- zienz (LCAT: Lecithin-Cholesterin-Acyltransferase), genität ist unklar. Die Kombination aus LDL-C und die Tangier- und die Gaucher-Krankheit oder der VLDL-C wird auch als Non-HDL-Cholesterin be- Morbus Niemann-Pick. HDL-Cholesterin zeigt ei- zeichnet und ist atherogener als jedes dieser Lipo- nen inversen Zusammenhang mit dem KHK-Risiko. proteine alleine. Das Hauptprotein im LDL- und Es wird daher zur Risikostratifikation, mangels posi- VLDL-Cholesterin ist das Apolipoprotein B (ApoB). tiver Endpunktstudien aber nicht als Ziel der Thera- Wie das Non-HDL-Cholesterin ist es ein stärkerer pie empfohlen (siehe medikamentöse Therapie). Indikator der Atherogenität als das LDL-Cholesterin alleine. Die Höhe der Cholesterin- und Lipoprotein- werte im Serum wird v. a. durch verschiedene gene- Messung der Lipidwerte tische Faktoren, aber auch durch Umwelteinflüsse, Zur kardiovaskulären Risikostratifikation und vor besonders die Ernährung, determiniert. Beginn einer Therapie wird die Messung von Ge- Beispiele sekundärer Ursachen einer Dyslipopro- samt-, LDL-, HDL-Cholesterin und der Triglyzeri- teinämie: de empfohlen. • Diabetes mellitus • Hypothyreose • Chronische Niereninsuffizienz PRAXISEMPFEHLUNG • Nephrotisches Syndrom Friedewald-Formel zur Berechnung des LDL-Choleste- • Schwangerschaft rins [in mg / dl]: • Östrogentherapie LDL-Chol. = Gesamt-Chol. − HDL-CHol. − (0,2 × Triglyz.) • Hepatopathien (Hepatitis, Cholestase, Leberzir- (valide für Triglyzeridwerte ≤ 400 mg / dl) rhose) • Cushing-Syndrom und Kortikosteroide Die Bestimmung des Non-HDL-Cholesterin (Sum- • Anorexia nervosa me aus VLDL + Intermediate Density Lipoprotein • Immunsuppressive Therapie [IDL] + LDL-Cholesterin oder einfacher Gesamt- • Antiretrovirale Therapie (HAART) Cholesterin – HDL- Cholesterin) oder des damit gut korrelierten Apo-B wird bei Vorliegen kombinierter Dyslipidämien, Diabetes mellitus, metabolischem Bedeutung der Hypertriglyzeridämien Syndrom oder chronischem Nierenversagen emp- Die Hypertriglyzeridämie ist ein unabhängiger fohlen. Lipoprotein A (Lp[a]) ist kausal mit einer Prädiktor für kardiovaskuläre Ereignisse. frühzeitigen klinisch manifesten Arteriosklerose Triglyzeride > 150 mg / dl sind eine Komponente des verknüpft. Die Messung des Lp(a) kann bei aus- metabolischen Syndroms. Besonders hohe gewählten Personen mit mittlerem bis hohem Risiko Triglyzeride (ca. > 900 mg / dl) sind ein Risikofaktor und solchen mit positiver Familien-anamnese ISBN: 978-3-437-23317-3; Chapter: 2; Stage: 1st Proof; Date: 07-Feb-2020 C0010.indd 75 07/02/20 3:40 PM
76 2 Kardiologie erwogen werden. Das HDL-Cholesterin dient der oder mehrfach ungesättigte Fettsäuren) zu sein. verbesserten Risikostratifikation (s. u.). Die prog- Gewichtsreduktion und gesteigerte körperliche Ak- nostische Bedeutung der Modifikation der Quotien- tivität sind zur Triglyzeridsenkung wichtiger als zur ten aus Apo-B / Apo-A1 bzw. Non-HDL-Choleste- LDL-Cholesterin-Senkung. Bei ausgeprägten Hyper- rin / HDL-Cholesterin ist weniger gut belegt. triglyzeridämien sind ferner Alkoholkarenz, Verzehr von mittelkettigen und einfach oder mehrfach un- WICHTIG gesättigten Fettsäuren, Omega-3-Fettsäuren sowie 2 Die Kombination aus LDL-Cholesterin -Erhöhung (be- die Kohlenhydratreduktion Säulen der nicht- sonders Small-Dense LDL-Cholesterin), mäßig ausgeprägter medikamentösen Therapie. Moderater Alkoholkon- Hypertriglyzeridämie und HDL-Cholesterin-Mangel wird sum und Sport steigern das HDL-Cholesterin. auch als „atherogene Trias“ bezeichnet. Medikamentöse Therapie Nichtmedikamentöse lipidmodifizierende Statine Therapie Statine reduzieren die Cholesterinsynthese durch Für die nahrungsvermittelte Senkung von Triglyzer- kompetitive Hemmung der HMG-CoA-Redukta- iden und LDL-Cholesterin sind die Reduktion von se. Die intrazelluläre LDL-Cholesterin-Senkung gesättigten und Trans-Fettsäuren (FS) und die Erhö- führt zur Induktion der LDL-Rezeptor-Expression hung der Ballaststoffe und Nahrungsmittel mit nied- an der Zelloberfläche mit nachfolgender Erhöhung rigem glykämischem Index bedeutsam. Mit Phyto- der LDL-Cholesterin-Extraktion aus dem Blut und sterinen (oder -sterolen) angereicherte „Functional Reduktion zirkulierender Apo-B-reicher Lipoprotei- Foods“ (in fetthaltigem Brotaufstrich, Mayonnaise, ne. Salatdressing, Milch oder Joghurt) scheinen das Die klinische Wirksamkeit der Statine ist in zahl- LDL-Cholesterin besonders bei Personen mit sehr reichen Studien belegt (› Abb. 2.1). Die Indikation hohen Cholesterinwerten günstig zu beeinflussen. zur Statin-Therapie und die Zielwerte einer lipidmo- Für die Höhe des Serumcholesterins scheint weniger difizierenden Therapie sind abhängig vom kardio- der Cholesteringehalt der Nahrung als vielmehr die vaskulären Risiko. Bei sehr hohem Risiko sollte das Zusammensetzung der Fettsäuren (ungünstig: LDL-Cholesterin nach ESC-Leitlinien um > 50 % des gesättigte und Trans-Fettsäuren, günstig: einfach Ausgangswerts oder auf < 70 mg / dl gesenkt werden. Koronarereignis Statin 4S 25 Placebo 20 4S 15 Lipid Lipid CARE CARE 10 HPS HPS TNT (10 mg Atorvastatin) 5 TNT (80 mg Atorvastatin) 0 Abb. 2.1 Zusammenhang 0 70 90 110 130 150 170 190 zwischen LDL-Cholesterin und LDL-Cholesterin (mg/dl) koronarer Ereignisrate [L106, F542] ISBN: 978-3-437-23317-3; Chapter: 2; Stage: 1st Proof; Date: 07-Feb-2020 C0010.indd 76 07/02/20 3:40 PM
2.1 Grundlagen, Risikofaktoren, Diagnostik 77 Tab. 2.1 Muskelsymptome bei Statintherapie Diagnose Prävalenz Kennzeichen Myalgie Ca. 5–10 % (wegen Statinen ca. 1–3 %) Keine CK-Erhöhung Myopathie < 0,01 % Bis zu 10-fach erhöhte CK Rhabdomyolyse Ca. 0,002 % CK > 10 000 U / l mit Nierenfunktionseinschränkung und Myoglobinurie 2 Die amerikanischen Leitlinien (Grundy et al. 2018) Nebenwirkungen Statine werden i. d. R. sehr gut sind hinsichtlich Indikation zur Therapie und toleriert. Die häufigste Nebenwirkung sind Muskel- LDL-Cholesterin-Zielwerten ähnlich, aber nicht symptome (Prävalenz von 5–10 %) meist innerhalb identisch. von 6 Monaten, aber selten auch bis Jahre nach The- rapiebeginn (› Tab. 2.1). Die Beschwerden sistie- WICHTIG ren i. d. R. innerhalb von 2 Monaten nach Absetzen Jede Senkung des LDL-Cholesterins um 40 mg / dl führt der Therapie. zur Reduktion der Gesamtmortalität um ca. 10 % und einer Reduktion kardiovaskulärer Ereignisse um ca. 20 %. CAVE Eine Rhabdomyolyse tritt vermehrt bei hohem Alter, Nierenversagen oder anderen Komorbiditäten auf. Die Die Ergebnisse sind konsistent in allen Subgruppen Kombination mit Fibraten (besonders Gemfibrozil) sollte und klinischen Endpunkten, d. h. tödlicher und vermieden werden. nichttödlicher Myokardinfarkt, Schlaganfall und ko- ronare Revaskularisation. Die Wirksamkeit der Sta- Eine vermutlich dosisabhängige etwa 10- bis 15-pro- tine zur Reduktion kardiovaskulärer Ereignisse ist zentige relative Risikoerhöhung für einen neu diag- auch in der Primärprävention gut belegt, sie werden nostizierten Diabetes mellitus wird durch eine jedoch mit Blick auf die nichtsignifikante Senkung deutlich höhere Reduktion der kardiovaskulären Er- der Gesamtmortalität, fehlende Daten zur Lebens- eignisrate aufgewogen. Meist reversible Leberwert- qualität und ein unklares Kosten-Nutzen-Verhältnis erhöhungen werden in 0,5–2 % der Fälle beobach- unterschiedlich und z. T. zurückhaltend bewertet. Es tet. Statine führen jedoch zu einer Besserung der gibt keinen Hinweis für eine erhöhte nichtkardiovas- Transaminasen bei Steatosis hepatis. kuläre Sterblichkeit jedweder Genese durch Statine, einschließlich Tumorerkrankungen. Möglichkeiten der LDL-Cholesterin-Reduktion bei Statinunverträglichkeit CAVE • Körperliche Aktivität Die Statine sind hinsichtlich Pharmakodynamik und Phar- makokinetik und auch im Hinblick auf den LDL-Choleste- • Gewichtsreduktion rin-senkenden Effekt in jeweils maximaler Dosis verschie- • Phytosterole den. Der Therapieerfolg sollte nach 4–6 Wochen • Sojaprotein kontrolliert werden. • Ballaststoffe • Omega-3-ungesättigte Fettsäuren Die größte LDL-Cholesterin-Reduktion ist mit der • Roter Hefereis (wenige Studien) empfohlenen Startdosis zu erwarten. Jede Verdopp- lung der Statindosis führt dann zu einer zusätzlichen Absorptionshemmer ca. 6-prozentigen Reduktion der LDL-Choleste- Zu den Absorptionshemmern zählen Anionen- rin-Konzentration („rule of 6“ oder „6-Prozent-Re- austauscherharze, pflanzliche Sterine (s. o.) und gel“). Bei „Statinresistenz“ muss an die seltene Stanole (hydrierte Form der Sterine) sowie der Typ-III-Hyperlipoproteinämie („broad-beta-disea- selektive Cholesterinresorptionshemmer Ezeti- se“, „familiäre Dysbetalipoproteinämie“) mit athe- mib. Sie senken das LDL-Cholesterin um ca. 10– rogenen Chylomikronen-Remnants gedacht werden. 15 %. ISBN: 978-3-437-23317-3; Chapter: 2; Stage: 1st Proof; Date: 07-Feb-2020 C0010.indd 77 07/02/20 3:40 PM
78 2 Kardiologie Anionenaustauscherharze binden Gallensäuren Omega-3-Fettsäuren im Darm und hemmen deren Rückresorption. Sie Die Omega-3-Fettsäuren Eicosapentaenoinsäure sind effektiv, haben jedoch z. T. relevante Wechsel- (EPA) und Docosahexaenoinsäure (DHA) sind in wirkungen mit vielen Medikamenten (Dosisanpas- Fischöl und mediterraner Kost enthalten. In hoher sung!) und können zu Übelkeit, Völlegefühl und Dosis (2–3 g / d) senken sie die Triglyzeride um ca. Obstipation führen. 30 % (Indikation bei Triglyzeriden > 500 mg / dl ge- Ezetimib hemmt die intestinale Aufnahme von mäß FDA). Der Wirkmechanismus ist nicht gesi- 2 biliärem und Nahrungscholesterin, ohne die Ab- chert. Eine 25-prozentige Reduktion kardiovaskulä- sorption anderer fettlöslicher Nahrungsbestandteile rer Ereignisse konnte in der REDUCE-IT-Studie zu beeinträchtigen. Es führt zu einer moderaten zu- durch hochdosierte Omega-3-Fettsäuren zusätzlich sätzlichen LDL-Cholesterin-Senkung. Der klinische zum Statin belegt werden. Nutzen wurde in der SHARP-Studie und in der IM- PROVE-IT-Studie belegt und wird je nach Indikati- Cholesterinester-Transferprotein-Hemmer (CETP- on und Kombination mit anderen Lipidsenkern un- Hemmer) terschiedlich bewertet. Die direkte Hemmung des Cholesterinester-Trans- ferproteins führt dosisabhängig zu einer Steigerung Fibrate der HDL-Cholesterin-Werte um bis zu > 100 %. Lau- Die Peroxisome-Proliferator-activated Receptor-α- fende klinische Studien zu Torcetrapib und Dalce- Agonisten (PPAR-α-Aktivatoren) sind Therapie der trapib wurden jedoch abgebrochen, sodass der er- Wahl bei primären Hypertriglyzeridämien. Sie können hoffte klinische Nutzen dieser Substanzklasse aktuell auch bei kombinierten Hyperlipidämien und sekundä- infrage gestellt ist. Auch die klinischen Ergebnisse ren Dyslipoproteinämien eingesetzt werden. Sie sen- anderer Substanzen dieser Klasse (Anacetrapib und ken erhöhte Triglyzeridspiegel, LDL-Cholesterin-Wer- Evacetrapib) waren bislang enttäuschend. te (besonders „small-dense“ LDL-C) und erhöhen geringfügig das HDL-Cholesterin. Die kardiovaskuläre Proprotein Convertase Subtilisin / Kexin type 9 Ereignisrate wird besonders bei Patienten mit Trigly- (PCSK9-Hemmer) zeridwerten > 200 mg / dl um ca. 13 % gesenkt. PCSK9 reguliert LDL-Cholesterin-Spiegel durch ver- stärkten Abbau von LDL-Rezeptor-Proteinen. Die CAVE Hemmung von PCSK9 für demnach zu einer Senkung In Kombination mit einem Statin führt Gemfibrozil zu ei- der LDL-Cholesterin-Spiegel. Die subkutan zu injizie- ner erhöhten Rate an Myopathien. Dieses Risiko ist für renden monoklonalen Antikörper Evolocumab und die Kombination aus Fenofibrat mit einem Statin deutlich Alirocumab bewirken eine hocheffektive LDL-Choles- geringer. Diese Kombination eignet sich auch für Patien- terin-Senkung mit vielverspechender Reduktion der ten mit metabolischem Syndrom oder Diabetes mellitus. kardiovaskulären Ereignisrate zusätzlich zur Statint- herapie. Die Effektivität dieser Therapie konnte in den Nikotinsäure Odyssee-, und Fourier-Outcomes-Studien nachgewie- Nikotinsäure erhöht das HDL-Cholesterin dosis- sen werden und ist Hochrisikogruppen (z. B. familiäre abhängig um bis zu 25 %, reduziert LDL-Cholesterin Hypercholesterinämie oder Patienten mit schwerer um 15–18 % und Triglyzeride um bis zu 20–40 % in Atherosklerose und unzureichender LDL-Choleste- der Höchstdosis von 2 g / d. Es ist das einzige Präpa- rin-Senkung oder Statinunverträglichkeit) vorbehalten. rat, das Lp(a) um bis zu 30 % senken kann. Häufigste Nebenwirkung sind kutane Reaktionen („Flush“), die nicht selten – auch in der meist verwendeten Ex- Lipidapherese tended-Release-Formulierung (ER) oder in Kombi- Patienten mit ausgeprägter homozygoter oder nation mit ASS oder mit Laropiprant – die Therapie heterozygoter familiärer Hypercholesterinämie und oder eine Dosissteigerung limitieren. Nikotinsäure Patienten mit ausgeprägten Lp(a)-Erhöhungen enthaltende Medikamente sind seit Anfang 2013 in können mittels Lipidapherese effektiv therapiert Deutschland nicht mehr verfügbar. werden. Individuelle Indikationsstellung. ISBN: 978-3-437-23317-3; Chapter: 2; Stage: 1st Proof; Date: 07-Feb-2020 C0010.indd 78 07/02/20 3:40 PM
2.1 Grundlagen, Risikofaktoren, Diagnostik 79 2.1.5 Diagnostik bei klinischem Schmerzcharakters (typisch, atypisch, nichtkardial), Verdacht auf KHK der Anamnese, der klinischen Zeichen (z. B. Lungen- ödem, Herzgeräusche), der EKG-Veränderungen Biomarker und der Biomarker (› Kap. 2.2). Biomarker haben einen Stellenwert in der Risiko- KONSENSUSEMPFEHLUNG stratifikation asymptomatischer Personen (z. B. Indikationen zur Risikostratifikation mittels hoch sensitives C-reaktives Protein [hsCRP]), der Belastungs-EKG bei klinischem Verdacht auf KHK 2 Herzinsuffizienz (z. B. N-terminales pro-B-natriure- oder bereits bekannter KHK tisches Peptid [NT-pro-BNP]) und beim akuten Ko- Klasse-I-Indikationen: ronarsyndrom (z. B. Troponin), nicht aber zum • Patienten zur initialen Evaluation bei Verdacht auf Nachweis oder Ausschluss einer Koronarstenose bei oder bekannter KHK Verdacht auf KHK. • Patienten mit niedrigem Risiko bei instabiler Angina Pectoris 8–12 h nach klinischer Vorstellung ohne ischämisches Ereignis oder Zeichen einer Herzinsuffizienz • Patienten mit mittlerem Risiko bei instabiler Angina Ruhe-EKG Pectoris 2–3 Tage nach Vorstellung ohne ischämische Ereignisse oder Zeichen einer Herzinsuffizienz Die Prävalenz von diagnostisch und prognostisch Klasse-IIa-Indikationen: Patienten mit mittlerem relevanten EKG-Abnormalitäten variiert stark in Ab- Risiko einer instabilen Angina Pectoris ohne Infarkt oder hängigkeit von Alter und Geschlecht sowie kardio- Ischämie 6–12 h nach Symptombeginn vaskulären Vorerkrankungen und der untersuchten Klasse-IIb-Indikationen: Patienten mit einer der fol- Kohorte. Anders als ein Rechtsschenkelblock ist ein genden Auffälligkeiten im Ruhe-EKG: • Präexzitationssyndrom (z. B. Wolff-Parkinson-Whi- Linksschenkelblock fast immer Ausdruck einer te-Syndrom) linksventrikulären Schädigung. Differenzialdiagnos- • Ventrikulärer Schrittmacherrhythmus tische Ursachen einer ST-Strecken-Senkung sind • ≥ 1 mm Ruhe-ST ൻ Digitaliseffekte, Hyperventilation, Elektrolytverschie- • Kompletter LSB oder interventrikuläre Leitungsdefekte bungen oder auch kürzliche Nahrungsaufnahme. mit einer QRS-Dauer > 120 ms Diagnostisch und prognostisch relevante Ru- Klasse-III-Indikationen: Patienten mit limitierenden he-EKG-Veränderungen: Komorbiditäten oder hohem Risiko einer instabilen Angi- • Herzfrequenz na Pectoris • Linksventrikuläre Hypertrophie (LVH) und „LVH with Strain“ Kontraindikationen für ein Belastungs-EKG • Q-Zacken • ST-Strecken-Senkungen Absolute Kontraindikationen • (Präterminale) T-Negativierungen • Herzrhythmusstörungen mit Symptomatik • T-Abflachungen und / oder eingeschränkter Hämodynamik • Linksschenkelblock • AV-Block III° im EKG • Vorhofflimmern • Symptomatische schwere Aortenstenose • Dekompensierte Herzinsuffizienz • Akute Lungenembolie Belastungs-EKG • Akute Endokarditis, Myokarditis oder Perikarditis • Akute Aortendissektion Das Belastungs-EKG (meist als Laufband- oder Fahrradergometrie) dient der Ischämiediagnostik Relative Kontraindikationen bei Verdacht auf oder bekannter KHK sowie der kar- • Mittelgradige Herzklappenstenosen (Aorten-, diovaskulären Risikostratifikation und Prognosebe- Pulmonal- bzw Mitralklappenstenosen) wertung. Die klinische Risikostratifikation der insta- • Schwere Elektrolytstörungen (z. B. Hypo- oder bilen Angina Pectoris erfolgt anhand des Hyperkaliämie) ISBN: 978-3-437-23317-3; Chapter: 2; Stage: 1st Proof; Date: 07-Feb-2020 C0010.indd 79 07/02/20 3:40 PM
80 2 Kardiologie • Arterielle Hypertonie (RR > 200 mmHg syst. Echokardiografie (TTE) und / oder > 110 mmHg diast. in Ruhe) Die zweidimensionale transthorakale Echokardio- • Tachy- oder Bradyarrhythmien grafie (TTE) ist das Standardverfahren zur Beur- • Hypertrophe Kardiomyopathie (HCM, HOCM) teilung der globalen und regionalen rechts- und links- und andere Formen der Ausflussbahnobstruk- ventrikulären Funktion und der großen herznahen tion Gefäße. Von allen nichtinvasiven Verfahren ist sie die • Physische oder psychische Beeinträchtigungen vielseitigste Methode und liefert die meisten Zusatz- 2 informationen bei geringstem Aufwand und Kosten. Bildgebende Verfahren Wichtigste Indikationen • Symptome und / oder Zeichen einer Herzinsuffizienz Die bildgebenden Verfahren haben in Abhängigkeit • Vitienverdächtige Herzgeräusche vom Stadium der Koronarsklerose eine unterschied- • Verdacht auf Herzinsuffizienz liche Wertigkeit. Aufgrund des Remodelings (s. o.) • Zustand nach Myokardinfarkt treten relevante Koronarstenosen und dadurch be- • Q-Zacken im 12-Kanal-EKG dingte Myokardischämien erst in einem relativ spä- • Ventrikuläre Arrhythmien und andere höher- ten Stadium der Erkrankung auf (› Abb. 2.2). gradige Rhythmusstörungen Stress-EKG Stress-Echo Szintigrafie Nichtinvasiv PET MRT-Perfusion MRT MRT-Kontrast MRT Kontrast MSCT MSCT-Angiografie IVUS OCT Invasiv Endotheliale Funktionstestung Koronarangiografie Plaquegröße 20% 45% 50% 70% 90% Normal Stary II Stary III– IV Stary Va Stary Vb Stary Vc Abb. 2.2 Wertigkeit invasiver und nichtinvasiver Verfahren zur Aufdeckung der koronaren Atherosklerose und der pathologischen Stary-Klassifikation. Die Lumenografie der invasiven Koronarografie zeigt erst dann Stenosen, wenn der Remodeling-Prozess der Gefäße kompensatorisch nicht mehr ausreicht, um die drohende Gefäßeinengung durch ein Größenwachstum auszugleichen. Perfusionsstörungen werden erst erkannt, wenn signifikante Stenosen entstehen, deren Durchmesser 50 % überschreitet [F543, L106] ISBN: 978-3-437-23317-3; Chapter: 2; Stage: 1st Proof; Date: 07-Feb-2020 C0010.indd 80 07/02/20 3:40 PM
2.1 Grundlagen, Risikofaktoren, Diagnostik 81 Stress-Echokardiografie log Hazard Ratio Die Stress-Echokardiografie mittels Laufband- oder (halb liegender) Fahrradergometrie oder durch stu- 6 fenweise Dobutamin-Infusion erlaubt die Beurtei- 5 Medikamentöse lung der Infarktausdehnung und der stressinduzier- 4 Therapie ten Ischämie und ist insbesondere bei Patienten mit 3 intermediärer bis hoher Vortestwahrscheinlichkeit 2 2 indiziert. Induzierbare reversible regionale Wandbe- Revaskularisation wegungsstörungen sind ein zuverlässiger Marker für 1 eine stenosierende KHK und für zukünftige kardio- 0 vaskuläre Ereignisse. Die Stress-Echokardiografie 0 12,5 25 32,5 50 mit Vasodilatanzien (Adenosin oder Dipyridamol) Ischämisches Myokard (%) hat eine geringere Sensitivität für Eingefäßerkran- kungen als die Dobutamin-Stress-Echokardiografie. Abb. 2.3 Mortalität nach Revaskularisation im Vergleich zur medikamentösen Therapie in Abhängigkeit vom Anteil ischämi- schen Myokards in der Myokardszintigrafie bei Patienten ohne Myokardszintigrafie (SPECT) KHK. Wenn deutlich mehr als 10 % des Myokards ischämisch sind, ist die Prognose durch Revaskularisation besser als mit Durch Gabe radioaktiver Substanzen in Ruhe und medikamentöser Therapie [L106, F544] während körperlicher Belastung ermöglicht die Myo- kardszintigrafie (Single-Photon-Emissions-CT, re regionale Perfusionsunterschiede, klinisch rele- SPECT) die Quantifizierung des regionalen Blutflus- vant sein kann. Wie auch beim SPECT muss die ses, der Koronargefäßperfusion und der Ventrikel- Strahlendosis berücksichtigt werden. funktion. Die pharmakologische myokardiale Stress- perfusion durch medikamentöse Stressoren erfolgt analog zur Stress-Echokardiografie (s. o.). Eine nor- Kardiale Magnetresonanztomografie (MRT) male Myokardszintigrafie ist mit einem sehr gerin- gen Risiko für spätere kardiovaskuläre Ereignisse as- PRAXISEMPFEHLUNG soziiert. Dieses Risiko steigt exponentiell mit Die kardiale MRT ermöglicht eine umfassende und präzi- se Evaluation aller kardialer Strukturen ohne Röntgen- zunehmender Zahl der betroffenen Areale sowie der strahlen. Sie ist insbesondere bei Patienten indiziert, bei Ausdehnung, Schwere und Reversibilität der Perfu- denen eine hinreichende echokardiografische Evaluation sionsstörung an. Der Nutzen der Methode wird nicht möglich ist. durch Berücksichtigung funktioneller Indikatoren wie linksventrikuläre (LV) Ejektionsfraktion, LV-Vo- Wie auch bei den anderen Verfahren können durch lumina oder eine induzierbare LV-Dilatation zusätz- Gabe von Vasodilatanzien (Adensoin, Dipyridamol) lich verbessert. Die Ausdehnung der Perfusionsstö- zur myokardialen Perfusionssteigerung und durch rung kann außerdem helfen, die Patienten zu positiv inotrope Substanzen (Dobutamin mit / ohne identifizieren, die von einer Revaskularisation profi- Atropin) regionale belastungsabhängige Wandbe- tieren (› Abb. 2.3). wegungsstörungen nachgewiesen werden. Die zu- sätzliche Kontrastmittelgabe zum Nachweis einer späten Kontrastmittelanreicherung („Late Gadolini- Positronenemissionstomografie (PET) um Enhancement“, LGE) erlaubt einen sensitiven Die Myokardperfusion kann mittels Positronen- Nachweis von Myokardnarben unterschiedlicher emissionstomografie (PET) – im Gegensatz zur Genese wie (subklinischer) Myokardinfarkt, Myo- SPECT – absolut (in ml / g / min) gemessen werden, karditis, koronare Mikroembolisationen etc. was bei Patienten mit homogen reduzierter Myo- (› Tab. 2.2). Sie ergänzt damit die Ischämiediag- kardperfusion, wie nach Herztransplantation oder nostik der anderen Belastungstests und hat einen bei gleichmäßiger Ischämiereaktion ohne erkennba- hohen prädiktiven Wert. ISBN: 978-3-437-23317-3; Chapter: 2; Stage: 1st Proof; Date: 07-Feb-2020 C0010.indd 81 07/02/20 3:40 PM
82 2 Kardiologie Tab. 2.2 Vergleich unterschiedlicher Methoden der bildgebenden kardialen Diagnostik (aus Möhlenkamp und Erbel 2007) [F544] Stress-Echo- Stress-MRT Myokardszinti- Koronarkalk- CT-Angiografie kardiografie grafie (SPECT) messung Art der Belastung Dynamisch und Pharmakologisch Dynamisch und – – pharmakologisch pharmakologisch Arteriosklerose- – – – ++ +++ 2 nachweis Perfusionsstörung (+) +++ +++ – – Wandbewegunss- +++ +++ (+) – – törung Untersucherab- +++ ++ + – + hängigkeit Verfügbarkeit +++ + ++ +++ ++ Kosten + +++ ++ + ++ Nachteile Limitiertes KI: Strahlendosis • • Strahlendosis • Strahlendosis Schallfenster • Schrittma- KI: KI: Kontrastmittel- cher / ICD / CRT • Linksschenkel- unverträglichkeit • Metallclips / -im- block plantate • Homogene • Gadoliniumunver- Ischämie träglichkeit • Klaustrophobie CRT: kardiale Resynchronisationstherapie, ICD: implantierbarer Cardioverter / Defibrillator, SPECT: Single-Photon-Emissionscom- putertomografie, KI: Kontraindikation; – = nicht geeignet; + = geeignet; ++ = gut geeignet; +++ = sehr gut geeignet Kardiale Computertomografie (CT) schweren. Die Strahlenexposition ist unter Verwen- dung moderner Untersuchungsprotokolle und von Mit der kardialen CT können Koronargefäßmor- CT-Scannern der invasiven Diagnostik vergleichbar phologie und Ausdehnung subklinischer Plaques zu- (ca. < 1–5 mSv). verlässig beurteilt werden. Die Koronarkalkmessung (Coronary Artery Calcium, CAC) kann insbesondere LITERATUR bei asymptomatischen Personen mit mittlerem Risi- 2013 ACC / AHA Guideline on the Assessment of Cardiova- ko eingesetzt werden (Klasse-II-Indikation). Mit scular Risk: A Report of the American College of Cardiology / American Heart Association Task Force on steigendem CAC steigt das kardiovaskuläre Risiko. Practice Guidelines. J Am Coll Cardiol. 2014; 63: 2935–59. Die Risikostratifikation wird im Vergleich zur allei- Achenbach S, Barkhausen J, Beer M et al. Konsensusemp- nigen Messung der traditionellen Risikofaktoren fehlungen der DRG / DGK / DGPK zum Einsatz der verbessert. Mit modernen CT-Geräten und durch Herzbildgebung mit CT und MRT. Kardiologe 2012; 6: zusätzliche Kontrastmittelgabe (CT-Angiografie, 105–25. Cannon CP, Blazing MA, Giugliano RP et al. Ezetimibe CTA) betragen Sensitivität und Spezifität > 90 % für Added to Statin Therapy after Acute Coronary Syndromes. den Nachweis einer stenosierenden KHK bei einem N Engl J Med 2015; 372: 2387–97. negativ prädiktiven Wert (NPV) von > 95 % (Klas- Catapano AL et al. 2016 ESC / EAS Guidelines for the se-IIa-Indikation für symptomatische Patienten mit Management of Dyslipidaemias. Eur Heart J 2016; 37(39): intermediärer Vortestwahrscheinlichkeit). Koronar- 2999–3058. Cholesterol Treatment Trialists’ (CTT) Collaboration. Efficacy stenosen können also zuverlässig ausgeschlossen and safety of more intensive lowering of LDL cholesterol: werden. Eine ausgeprägte Koronarverkalkung kann a meta-analysis of data from 170.000 participants in 26 die Beurteilung des Lumens in diesem Segment er- randomised trials. Lancet 2010; 376: 1670–81. ISBN: 978-3-437-23317-3; Chapter: 2; Stage: 1st Proof; Date: 07-Feb-2020 C0010.indd 82 07/02/20 3:40 PM
298 5 Infektiologie immunsupprimierte Patienten entwickeln schwere 5.1.3 Infektionsschutzgesetz, Mel- Verläufe. Erstinfektionen in der Schwangerschaft depflicht können zu einer Embryopathie führen. Bereits vor dem Auftreten des Zosterexanthems WICHTIG Das bundesweit geltende Infektionsschutzgesetz (IfSG) sind im betroffenen Dermatom Schmerzen möglich, dient dazu, übertragbare Krankheiten zu verhindern bzw. eine Post-Zoster-Neuralgie mit ausgeprägten frühzeitig zu erkennen. Die Vorgaben, welche Erkrankun- Schmerzen für mehr als 4 Wochen tritt bei ca. 70 % gen und Erreger gemeldet werden müssen, sind in den der Betroffenen auf. Bei Zoster im Kopfbereich §§ 6 und 7 geregelt. In § 6 werden Erkrankungen auf- können eine Augenbeteiligung (Zoster oph- geführt, die bei Verdacht, Erkrankung oder Tod nament- thalmicus), Ohrenbeteiligung (Zoster oticus) oder lich gemeldet werden müssen. Der §7 fasst Erreger zu- bei N.-facialis-Beteiligung eine entsprechende sammen, die von dem jeweiligen Labor – teilweise namentlich – gemeldet werden (› Tab. 5.2). Parese hinzukommen. Bei immunsupprimierten Patienten kann es zu einem generalisierten Zoster kommen. In einzelnen Bundesländern müssen darüber hinaus Bei typischem Verlauf sind Windpocken und weitere Erkrankungen / Erreger wie Borreliose, Zoster Blickdiagnosen, bei unklaren Krankheits- Carbapenem-resistente gramnegative Erreger, bildern kann aus dem Bläscheninhalt eine Nu- Tetanus, Pneumokokken oder Virusmeningitis ge- kleinsäurebestimmung (PCR) erfolgen. Zur Beur- meldet werden. teilung des Immunstatus, z. B. vor einer geplanten 5 Immunsuppression, ist die AK-Bestimmung sinn- voll, ein Titeranstieg zeigt bei Windpocken die 5.1.4 Antibiotic Stewardship (ABS) stattgehabte Infektion an. Titerbewegungen eignen und nosokomiale Infektionen sich allerdings nicht zur Diagnose eines Herpes Zoster. Ein weiteres Ziel im IfSG ist es, die Ausbreitung nosokomialer Infektionen und die Verbreitung von Antibiotikaresistenzen zu verhindern und dazu Therapie und Prognose Infektionen möglichst adäquat zu behandeln. Dabei Bei einer Varizelleninfektion im Erwachsenen- kann ein Team aus Mikrobiologen, Pharmakologen alter oder bei Begleiterkrankungen sollte neben der und klinisch tätigen Ärzten eine Lotsenfunktion symptomatischen Behandlung des Juckreizes eine übernehmen, um die Behandlung von Patienten zu antivirale Therapie erfolgen. Bei Zoster kann die begleiten. Häufig werden lokale Antibiotika- Therapie die Erkrankungsdauer und die Post- Leitfäden erarbeitet, die u. a. folgende behandlungs- Zoster-Neuralgie reduzieren. Neben Aciclovir relevante Punkte berücksichtigen: (p. o. / i. v.) kommen Brivudin, Famciclovir und • Lokale Resistenzsituation für häufige Erreger / Er- Valaciclovir in Betracht. Neuralgiforme Schmerzen krankungen werden mit Analgetika, Carbamazepin, Pregabalin, • Behandlungsdauer, Therapieverkürzung oder Amitriptylin behandelt. Eine Impfung zum • Dosierungen und Kriterien für Oralisierung der Schutz gegen Zoster für Menschen ab dem 50. antibiotischen Therapie Lebensjahr wird seit 2019 von der STIKO emp- • Zeitpunkt für perioperative Prophylaxen fohlen. Eine weitere Möglichkeit, den Umgang mit Antibio- tika zu verbessern, besteht beispielsweise darin, dass die Verordnung erst erfolgen soll, wenn die In- 5.1.2 Wichtige Antibiotika dikation geklärt ist (keine Laborwertbehandlung). Es sollte eine Festlegung der Therapiedauer bereits Zu den wichtigsten Antibiotika › Tab. 5.1. bei Behandlungsbeginn erfolgen, die Therapie muss sobald verfügbar an den Befund der mikrobio- logischen Diagnostik angepasst werden und die Be- handlungsdauer ggf. angepasst werden. Die Ein- ISBN: 978-3-437-23317-3; Chapter: 5; Stage: 1st Proof; Date: 18-Feb-2020 C0025.indd 298 18/02/20 1:29 PM
5.1 Infektionskrankheiten 299 Tab. 5.2 Meldepflichtige Erkrankungen / Erreger nach IfSG (aktuelle Information und Meldebögen: www.rki.de; letzter Zugriff 1.8.2019) [X221] Meldung nach § 6 IfSG (namentlich) Meldung nach § 7 IfSG („Labormeldung“) Verdacht, Erkrankung, Tod: Akute Infektion mit: • Botulismus • Adenoviren (Konjunctivalabstrich) • Cholera • Bacillus anthracis • Diphtherie • Bordetella pertussis / parapertussis • Humane spongiforme Enzephalopathie • Borrelia recurrentis • Akute Virushepatitis • Brucella sp. • Enteropathisches hämolytisch-urämisches Syndrom (HUS) • Campylobacter sp., darmpathogen • Virusbedingtes hämorrhagisches Fieber • Chlamydia psittaci • Masern • Clostridium botulinum • Meningokokkenmeningitis oder -sepsis • Corynebacterium diphtheriae, toxinbildend • Milzbrand • Coxiella burnetii • Mumps • Hämorrhagische Viren (Dengue-, Ebola-, Gelbfieber-, • Pertussis Lassa-, Marburgvirus u. a.) • Pest • Humanpathogene Cryptosporidium spp. • Poliomyelitis (als Verdacht gilt jede akute schlaffe • E. coli, enterohämorrhagische Stämme (EHEC) und Lähmung, außer wenn traumatisch bedingt) sonstige darmpathogene Stämme • Röteln (einschließlich Rötelnembryopathie) • Francisella tularensis • Tollwut • FSME-Virus • Typhus abdominalis / Paratyphus • Giardia lamblia 5 • Varizellen • Haemophilus influenzae (Nachweis aus Blut, Liquor) • Tuberkulose (behandlungsbedürftig, Erkrankung, Tod) • Hantaviren Erkrankung: mikrobiell bedingte Lebensmittelvergiftung • Hepatitisviren (A, B, C, D, E) • Influenzaviren (direkter Nachweis) oder akute infektiöse Gastroenteritis (bei Tätigkeit im • Legionella spp. Lebensmittelbereich oder bei Häufung) • Leptospira spp. (humanpathogen) Übliches Maß übersteigende Impfreaktion • Listeria monocytogenes (aus Blut, Liquor) Verletzung durch tollwutverdächtiges Tier • Masernvirus Andere Erkrankung mit schwerwiegender Gefahr für • Mumpsvirus die Allgemeinheit • Mycobacterium leprae • Mycobacterium tuberculosis / africanum, bovis • Neisseria meningitidis • Norovirus • Poliovirus • Rabiesvirus • Rickettsia prowazekii • Rotavirus • Rubellavirus • Salmonella paratyphi, S. typhi, Sonstige • Shigella spp. • Trichinella spiralis • Varizella-Zoster-Virus • Vibrio cholerae O und O 139 • Yersinia enterocolitica, darmpathogen • Yersinia pestis Nichtnamentliche Meldung • Treponema pallidum • HIV • Echinococcus spp. • Plasmodium spp. • Toxoplasma gondii (konnatale Infektion) ISBN: 978-3-437-23317-3; Chapter: 5; Stage: 1st Proof; Date: 18-Feb-2020 C0025.indd 299 18/02/20 1:29 PM
300 5 Infektiologie führung von ABS-Maßnahmen führt in der Regel zu Therapie und Prognose einer Verkürzung des Krankenhausaufenthalts, ver- Für eine Infektion mit oxacillinsensiblen besserte Überlebenswahrscheinlichkeit, Ver- Staphylococcus aureus (MSSA) bestehen folgende ringerung des Auftretens resistenter Stämme und Therapieoptionen: auch Reduktion des Antibiotikaverbrauchs. Bei nosokomialen Infektionen sind v. a. Bakterien • Penicillinasefeste Penicilline (z. B. Flucloxacillin) mit erworbenen Resistenzen von Bedeutung, die epi- • Cephalosporine der 1. Generation demiologischen Daten werden z. B. mit dem • β-Lactamase-feste Penicilline, bei schweren Infektionen in Kombination mit Aminoglykosid Krankenhaus-Infektions-Surveillance-System (KISS) oder Rifampicin erfasst. Mit regionalen Unterschieden ist die Er- krankungsdichte an MRSA eher gleich bleibend, die WICHTIG Infektionsraten mit multiresistenten gramnegativen Glykopeptid und Linezolid sind bei MSSA schlechter wirk- Erregern (MRGN) steigend. sam als z. B. Flucloxacillin und sollten deshalb dann nicht eingesetzt werden. MRSA Bei Besiedelung mit MRSA wird eine Eradikation Definition und Ätiologie empfohlen. Für Infektionen mit MRSA können in Abhängig- 5 Staphylokokken besiedeln Haut und Oropharynx keit von Resistogramm und Infektionsherd folgende und sind fakultativ pathogen. S. aureus ist häufig Optionen sinnvoll sein: (70–80 %) resistent gegen β-Lactam-Penicilline (wie • Linezolid Benzylpenicillin), diese Resistenz kann durch Zuga- • Glykopeptid (Vancomycin) in Kombination mit be eines β-Lactamase-Inhibitors (Sulbactam, Clavu- Rifampicin oder Gentamicin (evtl. auch Fosfomy- lansäure, Tazobactam) durchbrochen werden. cin oder Fusidinsäure) Durch das Resistenzgen mecA wird das Penicil- • Je nach Infektionsfokus ggf. auch Cephalosporine lin-Bindeprotein (PBP2a) modifiziert, sodass kein der 5. Generation und Daptomycin β-Lactam-Penicillin an die Zellwand binden kann. • Je nach Schweregrad und Resistogramm auch Cotrimoxazol und Tigecyclin WICHTIG Diese MRSA-Stämme zeichnen sich dann durch eine Re- Bei Blutstrominfektionen mit S. aureus muss sistenz gegen die Leitsubstanz Oxacillin / Methicillin aus immer eine Endokarditis oder ein anderer Infekt- (MRSA: methicillinresistenter Staphylococcus aureus). fokus ausgeschlossen werden, die Therapie sollte mindestens über 14 Tage erfolgen, unter Therapie sollten regelmäßig Blutkulturen abgenommen Epidemiologie werden, um den Therapieerfolg zu kontrollieren. Der Das Risiko für eine Besiedelung mit MRSA besteht Nachweis von S. aureus im Urin kann Hinweis für v. a. bei längeren Krankenhausaufenthalten, chro- eine Bakteriämie sein. nischen Wunden, antibiotischen Vorbehandlungen (z. B. Chinolone). Im Krankenhaus erfolgt die Über- tragung v. a. über die Hände des Personals. In Deutsch- Multiresistente gramnegative Stäbchen land ist es in den vergangenen Jahren einem deutlichen (MRGN) Rückgang der Fälle invasiver MRSA-Infektionen ge- kommen, betroffen sind v. a. ältere Menschen. Zu den relevanten gramnegativen Stäbchen zählen die Enterobakterien (u. a. E. coli, Enterobacter spp., PRAXISEMPFEHLUNG Klebsiella spp., Citrobacter spp., Serratia spp.) und Bei mikrobiologischem Nachweis von MRSA ist es wich- die Nonfermenter (Acinetobacter baumanii, Pseu- tig, zwischen Besiedelung und Infektion zu unter- domonas spp.). Bei den Erregern gibt es eine Vielzahl scheiden. unterschiedlicher Resistenzmechanismen gegen ISBN: 978-3-437-23317-3; Chapter: 5; Stage: 1st Proof; Date: 18-Feb-2020 C0025.indd 300 18/02/20 1:29 PM
Sie können auch lesen