Resilienzförderung von Kindern (im Alter von 0-7 Jahren) mit psychisch kranken Eltern - Hochschule ...

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Resilienzförderung von Kindern (im Alter von 0-7 Jahren) mit psychisch kranken Eltern - Hochschule ...
Resilienzförderung von Kindern
                         (im Alter von 0-7 Jahren)
                      mit psychisch kranken Eltern

                                   Bachelorarbeit
                   zur Erlangung des akademischen Grades eines

                                 Bachelor of Arts

                                   vorgelegt von

                               Jennifer Lockenvitz
                        an der Hochschule Neubrandenburg
               im Fachbereich Soziale Arbeit, Bildung und Erziehung

URN-Nr.: urn:nbn:de:gbv:519-thesis 2020-0747-1
Betreuer*in: Herr Prof. Dr. Andreas Speck/ Frau Dipl.-Soz.-Päd. Angela Weging
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Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis ....................................................................................................................... 1

Tabellenverzeichnis .................................................................................................................... 3

Abbildungsverzeichnis ............................................................................................................... 3

Abkürzungsverzeichnis.............................................................................................................. 4

Einleitung .................................................................................................................................... 5

1         Kinder psychisch kranker Eltern .................................................................................. 7
1.1       Psychische Erkrankungen ................................................................................................. 7
1.2       Epidemiologie in Deutschland .......................................................................................... 9
1.3       Herausforderungen des Alltags ....................................................................................... 11

2         Resilienz ......................................................................................................................... 15
2.1       Risiko- und Schutzfaktoren psychischer Entwicklung ................................................... 15
2.2       Resilienzbegriff ............................................................................................................... 17
2.3       Resilienzfaktoren ............................................................................................................ 20

3         Bindung .......................................................................................................................... 26
3.1       Bindungstheorie nach Bowlby ........................................................................................ 26
3.2       Bindungstypen und -phasen ............................................................................................ 27
3.3       Bindung und Resilienz .................................................................................................... 30
3.4       Bindungsverhalten bei Kindern psychisch kranker Eltern ............................................. 31

4         Resilienzförderung von Kindern psychisch kranker Eltern ..................................... 34
4.1       Kinder psychisch kranker Eltern in der Sozialen Arbeit ................................................ 34
4.2       Resilienzförderung in der Sozialen Arbeit...................................................................... 35
4.3       Interdisziplinäre Resilienzförderung............................................................................... 43

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5     Fazit ................................................................................................................................ 49

6     Anhang ........................................................................................................................... 52
6.1   Tabellen .......................................................................................................................... 52
6.2   Abbildungen.................................................................................................................... 55

7     Quellen ........................................................................................................................... 64
7.1   Literaturquellen ............................................................................................................... 64
7.2   Internetquellen ................................................................................................................ 66
7.3   Zeitungsartikel und Publikationen .................................................................................. 71
7.4   Sonstige Quellen ............................................................................................................. 71

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Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Altersstufen .................................................................................................... 52
Tabelle 2: Psychische und Verhaltensstörungen nach ICD-10 ....................................... 53
Tabelle 3: Diagnosen der psychischen Störungen und psychiatrischen Erkrankungen der
       Eltern nach ICD-10 (Mehrfachnennungen wegen Komorbiditäten)................... 54
Tabelle 4: Problemlösestrategien .................................................................................... 54

Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Mögliche Netzwerkpartner von Kindern im Alter von der Geburt bis zum
      Schuleintritt ......................................................................................................... 55
Abbildung 2: Bewältigung von Entwicklungsaufgaben aus dem Zusammenspiel von
      Schutz- und Risikofaktoren ................................................................................. 55
Abbildung 3: Einteilung der Risiko- und Schutzfaktoren von psychischer Entwicklung56
Abbildung 4: Resilienzfaktoren ...................................................................................... 57
Abbildung 5: Antagonismus zwischen Bindungs- und Explorationsverhalten .............. 58
Abbildung 6: Bisher bekannte Faktoren und Lebensereignisse, die mit einer
      Desorganisation der kindlichen Bindungsstrategie assoziiert sind ..................... 58
Abbildung 7: Der schematische Zusammenhang zwischen Bindungstypen und
      Bindungsstörungen.............................................................................................. 59
Abbildung 8: Screeninginstrument zur Erfassung von Resilienzfaktoren bei
      Kleinkindern........................................................................................................ 59
Abbildung 9: Lisas Resilienzlandkarte im Zusammenhang mit Ihrer an Schizophrenie
      erkrankten Mutter ................................................................................................ 62
Abbildung 10: Klassifikation nach Diana Baumrind, Maccoby und Martin .................. 63
Abbildung 11: Die vier Ebenen des Projektes "Kinder stärken!" ................................... 63

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Abkürzungsverzeichnis
bzw.      -   beziehungsweise
ca.       -   circa
d. h.     -   das heißt

ebd.      -   ebenda
etc.      -   et cetera

et al.    -   et alii (und andere)
ggf.      -   gegebenenfalls

IQ        -   Intelligenzquotient
u. a.     -   und andere

vgl.      -   vergleich
z. B.     -   zum Beispiel

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Einleitung
Im Studium der Sozialen Arbeit ist es neben dem Erwerb des fachlichen Wissens, auch
wichtig seine eigene Sozialisation, die Haltung gegenüber Mitmenschen und Klienten
sowie Stärken und Schwächen zu reflektieren. Dabei hatte in meiner Sozialisation die
psychische Erkrankung meines Vaters eine wegweisende Rolle. Doch wie hoch ist das
Risiko für mich auch eine psychische Erkrankung zu erleiden und was hat mir geholfen
bisher psychisch gesund zu bleiben?

Diese Arbeit soll sich mit der Frage beschäftigen, wie man die Resilienz von Kindern
im Alter von 0-7 Jahren mit psychisch kranken Eltern fördern kann. Zu Beginn wird die
Zahl der betroffenen Kinder in Deutschland festgehalten, bevor ausgewählte, relevante
psychische Erkrankungen kurz erläutert und anschließend die Herausforderungen des
Alltags der Kinder mit psychisch kranken Eltern beschrieben werden. Im Anschluss
werden die Risiko- und Schutzfaktoren einer gesunden psychischen Entwicklung aufge-
führt und der Begriff sowie die Faktoren der Resilienz darin einsortiert. Bei der Recher-
che zu diesem Thema ist besonders die Bindung als Schutzfaktor und eine der wichtigs-
ten Voraussetzungen für eine gute Resilienz herausgestochen, welche daraufhin mit
Hilfe der Bindungstheorie nach Bowlby und den daraus resultierenden Bindungstypen
und -phasen nach Ainsworth zusammengefasst werden. Anschließend wird der Zusam-
menhang zwischen Bindung und Resilienz kurz skizziert. Zudem soll auf das Bindungs-
verhalten der Kinder psychisch kranker Eltern aufmerksam gemacht werden. Danach
wird der Zusammenhang zur Sozialen Arbeit geschaffen, indem die Kontaktpunkte mit
der Klientengruppe sowie die Faktoren für eine erfolgreiche Resilienzförderung heraus-
gearbeitet werden. Hiernach werden interdisziplinäre Resilienzfördermöglichkeiten und
zum Ende ein Fazit vorgestellt.

Diese Arbeit ist ausschließlich eine qualitative Literaturarbeit mit induktiver Herange-
hensweise. Aufgrund der aktuellen Pandemiesituation, den strengen Datenschutzbe-
stimmungen sowie der Tabuisierung von psychischen Erkrankungen in den meisten
Familien, wurden keine Umfragen oder Interviews geführt.

Ich möchte mit dieser Arbeit Kindern und Jugendlichen psychisch kranker Eltern eine
Stimme geben, da diese häufig vergessen oder nicht erkannt werden und die Betroffen-

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heit tendenziell steigend ist, besonders in Zeiten einer Pandemie. Der Alltag der Fami-
lien ist stark belastet durch finanzielle Sorgen sowie Homeschooling/-office und Lock-
downs, in denen soziale Netzwerke stark einbrechen. Dabei soll das Augenmerk der
Arbeit stets auf die Chancen der Kinder und Jugendlichen gerichtet sein und somit eine
positive und optimistische Sichtweise verfolgt werden. Mir ist es wichtig herauszuarbei-
ten, wie man die Resilienz präventiv fördern kann, um diese jungen Menschen, wenn
möglich schon vor Ausbruch einer psychischen Erkrankung eines oder beider Elterntei-
le, zu schützen. Um den Umfang der Arbeit nicht zu überreizen, soll sich das Alter der
Kinder von der Geburt bis zum Schuleintritt mit spätestens sieben Jahren beschränken,
da in dieser Zeit das kindliche Gehirn besonders sensibel und plastisch auf Belastungen
reagiert und die Grundlagen für eine gesunde psychische Entwicklung geschaffen wer-
den. Viel zu lange sprach man nur von der physiologischen Gesundheit der Kinder
durch eine ausgewogene Ernährung und viel Bewegung, dabei ist doch die psychische
Entwicklung mindestens genauso wichtig für ein gesundes Leben.

In dieser Arbeit wird von Neugeborenen, Säuglingen, Kleinkindern und Kindern ge-
sprochen. Diese sind jeweils durch ganz bestimmte Altersspannen definiert, welche in
Tabelle 1 beschrieben sind. Die Unterteilung ist wichtig, da besonders in den ersten
Lebensjahren verschiedene Entwicklungsanforderungen in den unterschiedlichen Al-
tersabschnitten zu meistern sind. Teilweise wird der Begriff Kind jedoch auch synonym
für alle Altersstufen von der Geburt bis zum Schuleintritt verwendet.

Außerdem wird als erste Bezugsperson häufig die leibliche Mutter des Kindes genannt.
Wenig berücksichtigt werden in der Literatur Pflege-, Adoptiv- und Stiefmütter sowie
leibliche, Pflege-, Adoptiv- und Stiefväter. Heutzutage gibt es jedoch eine große Diver-
sität von Familienkonstellationen mit der klassischen Mutter-Vater-Kind-Familie,
Patchwork- und Regenbogenfamilien (gleichgeschlechtliche Eltern) sowie alleinerzie-
henden Elternteilen. In dieser Arbeit wird auf die Nennung aller möglichen ersten Be-
zugspersonen eines Kindes der Einfachheit halber verzichtet, aber dennoch soll klar
gestellt werden, dass es verschiedene Möglichkeiten gibt und jede Familienform die
gleichen Chancen hat.

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1      Kinder psychisch kranker Eltern
Um einen Eindruck davon zu bekommen, vor welchen Herausforderungen Kinder psy-
chisch kranker Eltern stehen, werden im Folgenden besonders relevante psychische Er-
krankungen sowie die Betroffenheit der deutschen Kinder erläutert. Anschließend wer-
den die Schwierigkeiten der Kinder im Alltag sowie deren Entwicklung beschrieben.

    1.1 Psychische Erkrankungen

Die Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandten Gesund-
heitsproblemen, ICD-10 genannt, beinhaltet im Kapitel V unter den Gliederungspunkten
F00-F99 die psychischen und Verhaltensstörungen, siehe Tabelle 2 (vgl. BfArM 2021,
https://www.dimdi.de/static/de/klassifikationen/icd/). Da die Relevanz der unterschied-
lichen psychischen und Verhaltensstörungen der betroffenen Eltern verschieden hoch ist
für das gesunde Aufwachsen von Kindern, konzentriert sich diese Arbeit auf die psychi-
schen und Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen, im Verlauf Suchter-
krankungen genannt, Schizophrenie, affektive Störungen sowie Persönlichkeits- und
Verhaltensstörungen, im Besonderen der Borderline-Typ.

Suchterkrankungen

Unter den Sucht- und substanzbezogenen Störungen versteht man laut Wirtz „ein
zwanghaftes Verhalten […], eine psychotrope Substanz zu konsumieren bzw. ein best.
Verhalten auszuüben‟ (Wirtz 2020, https://dorsch.hogrefe.com/stichwort/sucht-und-
substanzbezogene-stoerungen). Psychotrope Substanzen können beispielsweise Wirk-
stoffe oder natürliche und synthetische Drogen sein wie Alkohol, Cannabinoide, Beru-
higungs- und Schlafmittel, Kokain und andere. Zu den Verhaltenssüchten gehören bei-
spielsweise Essstörungen (Mager- und Fresssucht), Glücksspiel- oder Computerspiel-
sucht. Typisch für substanzgebundene aber auch -ungebundene Süchte sind ein hoher
Zeitaufwand für das Konsumieren selbst, aber auch die Vor- und Nachbereitung, wie
beispielsweise das Beschaffen der Substanz, das Planen und Vertuschen des Konsums
aber auch das Ausnüchtern.

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Schizophrenie

Schizophrenie definiert sich laut der ICD-10 durch „Störungen von Denken und Wahr-
nehmen sowie inadäquate oder verflachte Affekte‟ (BfArM 2021,
https://www.dimdi.de/static/de/klassifikationen/icd/). Man unterscheidet laut Wirtz Po-
sitiv- sowie Negativsymptome. Bei den Positivsymptomen handelt es sich zum einen
um formale Denkstörungen, die die Aufrechterhaltung von Gedankengängen erschwer-
ten und zum anderen um inhaltliche Denkstörungen, wie Wahn oder auch Halluzinatio-
nen. Typische Wahnstörungen der Schizophrenie sind beispielsweise der Beziehungs-,
Kontroll- oder Verfolgungswahn, welche häufig einhergehen mit akustischen Halluzina-
tionen, wobei die Betroffenen Stimmen hören. Auch die Ichstörung (das Gefühl, die
Gedanken eingegeben oder entzogen zu bekommen), Affektinadäquatheit (Lachen bei
traurigen Nachrichten) und psychomotorische Symptome wie stereotype, ritualisierte
Bewegungen gehören zu typischen Positivsymptomen. Zu den Negativsymptomen zäh-
len Antriebslosigkeit, Affektverflachung (geringe emotionale Schwingungsfähigkeit),
Alogie (Unwilligkeit, längere Gespräche zu führen) und Abulie (mangelnde Fähigkeit,
Entscheidungen zu treffen). Im Laufe der Erkrankung, die meistens in Schüben auftritt,
kommt es zu einer Beeinträchtigung der Kognition, der Aufmerksamkeit sowie der Dif-
ferenzierung.
                              (vgl. Wirtz 2020, https://dorsch.hogrefe.com/stichwort/schizophrenie)

Affektive Störungen

Affektive Störungen sind „eine abnorme Veränderung der Stimmung oder der Affektivi-
tät‟ (Wirtz 2020, https://dorsch.hogrefe.com/stichwort/affektive-stoerungen). Man un-
terscheidet die uni- und die bipolare Störung. Unipolare Störungen sind entweder die
Depression oder die Manie. Bei der bipolaren Störung wechseln sich depressive und
manische Symptome ab oder treten in einer Mischform auf. Eine Depression zeichnet
sich durch Niedergeschlagenheit, Traurigkeit, Interessen- und Antriebslosigkeit, Schlaf-
störungen, ein negatives Selbstkonzept sowie sozialen Rückzug aus. Zudem besteht ein
höheres Risiko einer suizidalen Handlung (vgl. ebd.,
https://dorsch.hogrefe.com/stichwort/depression). Die Manie beschreibt einen abnormen
Gemütszustand mit Symptomen wie überströmender Heiterkeit, Selbstüberschätzung,
Triebsteigerung und Verhaltensexzessen (z.B. Aggressivität oder Geldausgaben), aber

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auch „Bewegungs-, Betätigungs- [und] Rededrang‟ (ebd.,
https://dorsch.hogrefe.com/stichwort/manie).

Borderline-Störung

Laut Wirtz ist die Boderline-Störung

„eine Persönlichkeitsstörung, die durch ein tiefgreifendes Muster von Instabilität in zwischenmenschli-
chen Beziehungen, im Selbstbild und in den Affekten sowie von deutlicher Impulsivität gekennzeichnet
ist‟ (ebd., https://dorsch.hogrefe.com/stichwort/borderline-stoerung).
Borderline-Patienten leiden an äußerst unangenehmen Spannungszuständen, die sie
durch selbstverletzendes Verhalten (z. B. in die Haut schneiden oder verbrennen), Dro-
genkonsum oder anderen gefährlichen Verhaltensweisen (z. B. balancieren auf Brü-
ckengeländern) versuchen zu mindern oder zu regulieren. Diese kurzfristig wirksamen
Strategien führen häufig zu einer negativen Verstärkung, d. h. die Patienten müssen
beispielsweise noch tiefer in die Haut schneiden, um Spannungen abzubauen. Sie haben
eine verzerrte Körperwahrnehmung (Dissoziation), aber auch teilweise optische oder
akustische Halluzinationen. Die Angst, verlassen zu werden, spielt bei dieser Persön-
lichkeitsstörung eine zentrale Rolle, wodurch die Beziehungen zu Mitmenschen enorm
beeinflusst werden. Es besteht eine Ambivalenz zwischen Sehnsucht nach und Angst
vor sozialer Nähe (vgl. Monks 2020, https://www.neurologen-und-psychiater-im-
netz.org/psychiatrie-psychosomatik-psychotherapie/).

 1.2      Epidemiologie in Deutschland

Aus dem Bundesgesundheitssurvey des Robert Koch-Instituts geht hervor, dass „etwa
30% der deutschen Bevölkerung [...] im Laufe ihres Lebens eine behandlungsbedürftige
psychische Erkrankung‟ erleidet (Lenz/Wiegand-Grefe 2017, S.1; vgl. Stiftung Wai-
senhaus 2015, S.10). Wie viele von diesen psychisch Erkrankten Eltern sind, ist schwer
abzuschätzen. Grube und Dorn gehen davon aus, dass etwa ein Drittel von den stationär
aufgenommenen Psychiatrie-Patienten minderjährige Kinder haben (vgl. Grube/Dorn
zit. nach Lenz/Wiegand-Grefe 2017, S.1). Es wird davon ausgegangen, dass ca. 70%
dieser Kinder bei ihren psychisch kranken Eltern leben oder zumindest regelmäßigen
Kontakt zu ihnen pflegen. Die höchste Elternschaftsrate liegt mit etwa 70% bei affektiv
Erkrankten, etwa 47% sind schizophren Erkrankte und 44% neurotische sowie Persön-
lichkeitsstörungen (ebd., S.2).

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Verschiedene epidemiologische Auswertungen gehen davon aus, dass in Deutschland
drei bis fünf Millionen Kinder von den psychischen Erkrankungen eines oder sogar bei-
der Elternteile betroffen sind (vgl. Pretis/Dimova 2016, S.28; vgl. Mattejat zit. nach
Lenz/Wiegand-Grefe 2017, S.3; Wiegand-Grefe 2020, https://kinder-und-
jugendpsychiatrie.charite.de/forschung/ver-sorgungsforschung/chimps/). Kinder von
Eltern mit psychischen Erkrankungen haben etwa ein viermal höheres Risiko, selbst
eine psychische Störung zu entwickeln als Kinder psychisch gesunder Eltern (Vostanis
et al., zit. nach Lenz/Wiegand-Grefe 2017, S. 3). Das Erkrankungsrisiko für Kinder mit
einem schizophrenen Elternteil liegt bei 13% bzw. sogar bei 46%, wenn beide erkrankt
sind. Die Wahrscheinlichkeiten bei Kindern von Eltern mit affektiven Störungen liegen
bei 21% bei einem erkrankten Elternteil bzw. 56% bei beiden Elternteilen (vgl. Stiftung
Waisenhaus 2015, S.10). In der klinischen Studie der Stiftung Waisenhaus aus Frankfurt
am Main, die von 2005-2015 durchgeführt wurde, stellte man die Diagnosen der psychi-
schen Störungen und psychiatrischen Erkrankungen der Eltern nach ICD-10 zusammen
(siehe Tabelle 3). Besonders häufig litt mindestens ein Elternteil an affektiven Störun-
gen und/oder einer Persönlichkeits- und Verhaltensstörung (Borderline) (vgl. ebd.,
S.32f.). Zusammenfassend lässt sich sagen, dass diese Kinder eine sehr hohe Wahr-
scheinlichkeit hatten, selbst eine psychische Störung oder psychiatrische Erkrankung zu
erleiden. Besonders viele Kinder waren „dem Erleben depressiver Affekte ausgesetzt‟
(ebd.,S.33), da meistens die Mütter betroffen waren, die Kinder in der Mehrzahl bei
ihnen lebten und „die Mutter in der frühen Kindheit von besonderer Bedeutung ist‟
(ebd., S.33). Schulze u. a. fügen außerdem hinzu, dass 175.000 Kinder und Jugendliche
in Deutschland jährlich die Erfahrung machen, dass ein Elternteil eine stationäre psy-
chiatrischen Behandlung erhält. Außerdem hat ein Drittel der Patient*innen der Kinder-
und Jugendpsychiatrie mindestens ein psychisch kranken Elternteil und „die Hälfte aller
abhängigen Jugendlichen […] zumindest ein alkoholkrankes Elternteil‟ (Schulze u. a.
2014, S.5). Die Betroffenheit der deutschen Kinder und Jugendlichen dürfte jedoch
noch höher sein, wenn man bedenkt, dass viele Menschen mit einer psychischen Er-
krankung keine Krankheitseinsicht haben und damit auch keine Behandlung bekommen.

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1.3 Herausforderungen des Alltags

Kinder mit mindestens einem psychisch erkrankten Elternteil haben einen häufig mehr-
fach belasteten Alltag zu meistern und die psychische Erkrankung Folgen für das ge-
samte Familiensystem. Hoenig und Hamilton unterscheiden objektive Belastungen, wie
Störungen des Familienalltags und finanzielle Ausfälle, und subjektive Belastungen, d.
h. wie sich die Angehörigen tatsächlich fühlen (vgl. Hoenig/Hamilton 1969 zit. nach
Lenz 2005, S.154). Nach Pretis und Dimova können die Kinder „keine offensichtlichen
Symptome [aber] atmosphärische Spannungen, Konflikte, Sorgen [und] teilweise reale
Entbehrungen‟ (Pretis/Dimova 2016, S.31) spüren. Die Belastung ist laut Lenz und
Wiegand-Grefe abhängig von akuten Symptomen, Dauer, Krankheitsverlauf sowie da-
mit verbundenen Persönlichkeitsveränderungen (vgl. Lenz/Wiegand-Grefe 2017, S.5).
Schulze u. a. fügen außerdem hinzu, dass es für die Kinder an „Kontinuität, Verläss-
lichkeit und auch an Möglichkeiten, schwierigen Situationen […] ausweichen […] zu
können‟ (Schulze u. a. 2014, S.4) fehlt. Auch kann es zu Fremdunterbringungen kom-
men, wenn beispielsweise ein alleinerziehendes Elternteil akut psychotisch ist und stati-
onär betreut werden muss oder das Kindeswohl durch die psychische Erkrankung des
Elternteils oder beider Elternteile gefährdet ist. Der Alltag der Kinder unterbricht und
sie benötigen „ein hohes Maß an Flexibilität und Aushalten-Können‟ (ebd., S.4).

Auch die Partnerschaft der Eltern kann laut Lenz und Wiegand-Grefe durch eine psy-
chische Erkrankung stark beeinflusst werden, wodurch es zu Trennung/Scheidung oder
einem angespannten Verhältnis in der eigenen Häuslichkeit, welche eigentlich als
Rückzugs- und Erholungsort dienen sollte, kommen kann. Weitere schwerwiegende
Herausforderungen sind laut der Autoren Tabuisierung oder das Kommunikationsverbot
über die elterliche Erkrankung, wodurch die Kinder sich häufig allein gelassen fühlen
und sich isolieren. Auf der einen Seite haben die Kinder Angst, sich Menschen außer-
halb der Familie anzuvertrauen, haben Scham-, Schuldgefühle und Loyalitätskonflikte.
Auf der anderen Seite kommunizieren auch die Eltern meistens nicht mit den Kindern.
Die Gründe dafür sind beispielsweise insbesondere jüngere Kinder zu schützen, die el-
terliche Krankheitsverleugnung, Scham- und Schuldgefühle seitens der Eltern, aber
auch Angst vor Stigmatisierung und Verlust des Sorgerechts.

                                                   (vgl. Lenz/Wiegand-Grefe 2017, S.5f.)

                                                                                           11
Besonders für Kinder im Alter von der Geburt bis zum Schuleintritt ist es kaum mög-
lich, sich einer Person anzuvertrauen. Durch die psychische Erkrankung der Eltern hat
das Familiensystem häufig nur ein reduziertes soziales Netzwerk und damit auch weni-
ger Chancen der Hilfsangebote von außen. Laut Laireiter und Lager bestehen kindliche
„Netzwerke […] im Schnitt aus 17 Personen, die großteils der Familie, dem Freundes-
kreis und den Peers1 angehören‟ (Laireiter/Lager 2006,
https://econtent.hogrefe.com/doi/full/10.1026/0049-8637.38.2.69). In Abbildung 1 sind
einige mögliche Netzwerkpartner dargestellt. Laut Lenz zeigen jedoch sowohl die Kin-
der [als auch die psychisch kranken Eltern] eine sehr geringe Netzwerkorientierung,
welches „die Bereitschaft[…] auf soziale Ressourcen aus dem Netzwerk zurückzugrei-
fen‟ (Lenz 2005, S.165) meint. Hierbei spielt auch die erlernte Hilflosigkeit (Theorie
nach Seligman) eine Rolle, da die Kinder in ihren frühen Interaktionen, in unkontrol-
lierbaren Situationen und Ereignissen gelernt haben hilflos zu sein und diese „auf ande-
re Lebensbereiche und zukünftige Anforderungen generalisieren‟ (Seligman 1995 zit.
nach Lenz 2005, S.166). Wenn sie also gelernt haben, dass der psychisch kranke Eltern-
teil nicht hilfreich ist, kann das Anvertrauen an andere Familienangehörige oder
Pädagog*innen mit den selben Erwartungen verbunden sein.

Laut Schrappe sind bei Eltern mit einer psychischen Erkrankung die „Beziehungs- und
Erziehungsfähigkeiten […sowie die] Fähigkeit, einer Arbeit nachzugehen, eine Partner-
schaft zu leben oder Sozialkontakte zu pflegen‟ (Schrappe 2018, S.42) eingeschränkt
und die Bindung zwischen Mutter bzw. Vater und dem Kind kann „durch eine psychi-
sche Störung unterbrochen und überlagert werden‟ (ebd., S.42). Weiter führt der Autor
an, dass die Fähigkeit des Einfühlens in die Bedürfnisse des Kindes, besonders bei
Säuglingen, eingeschränkt ist. Eltern in einer psychischen Krise gelingt dies kaum, da
ihre eigenen Befindlichkeiten und Bedürfnisse in den Vordergrund rücken, welches bis
hin zur psychischen Misshandlung gehen kann und damit eine Kindeswohlgefährdung
darstellt (vgl. ebd., S.43). Unter einer Kindeswohlgefährdung versteht man die Ge-
fährdung des körperlichen, geistigen und/oder seelischen Wohles eines Kindes, bei dem
„die Eltern nicht gewillt oder nicht in der Lage [sind], die Gefährdung abzuwenden‟

1
    Die Peergroup ist „eine vor allem im Jugendalter bedeutsame Gruppe von Gleichen, denen sich ein
     Individuum zugehörig fühlt und an denen es sich orientiert”. Die Gleichheit bezieht sich meistens auf
     das Alter, kann jedoch auch „Entwicklungsstand, Kompetenzen, Interessen” (Wirtz 2021,
     https://dorsch.hogrefe.com/stichwort/peergroup#search=2699d5da1d665a1414649c8cfff3dc43&offset
     =0?,) u. a. meinen. Die Angehörigen dieser Gruppe werden Peers genannt.
                                                                                                       12
(§1666 Abs.1 BGB). Kupferschmid und Koch empfehlen in ihrem Therapiemanual
„Psychisch belastete Eltern und ihre Kinder stärken‟ die Begutachtung des Kindeswoh-
les sowie der Erziehungsfähigkeit der Eltern. Letzteres meint die Fähigkeit dieses Kin-
deswohl gewährleisten zu können und damit eine normale Entwicklung für das Kind zu
ermöglichen (vgl. Kupferschmid/Koch 2014, S.33). Pretis und Dimova führten 2011
eine Studie durch, dessen Ergebnis war, dass jedes vierte Kind psychisch kranker Eltern
Entwicklungsstörungen aufwies, meistens aufgrund von mangelnder Förderung. 15,8
Prozent der Kinder wiesen „Störungen der sozialen Funktionen (meist der Bindung)‟
(Pretis/Dimova 2016, S.48) auf und zwölf Prozent eine Parentifizierung auf. Letzteres
meint „eine Rollenumkehr, in der Kinder Eltern- und Partnerfunktionen für ihre Eltern
übernehmen‟ (Lenz/Wiegand-Grefe 2017, S.8). Nicht nur das nicht erkrankte Elternteil
übernimmt neue Aufgaben, wodurch andere wiederum vernachlässigt werden, sondern
auch Kinder übernehmen mehr Verantwortung im Haushalt, für jüngere Geschwister,
als Friedensstifter zwischen den Eltern, leisten Hilfe bei der Medikamenteneinnahme,
müssen sich selbst versorgen oder schneller erwachsen werden. Eigene kindliche Be-
dürfnisse werden den elterlichen untergeordnet, wodurch die Entwicklung beeinträchtigt
wird und es entsteht ein Gefühl, den Wünschen und Erwartungen niemals zu genügen.
Gefühle wie Schuld und Trauer, aber auch Enttäuschung und Wut erleben diese Kinder
fast täglich, was zu einer erhöhten Reizbarkeit führt (vgl. ebd., S.8f.).

Die Verfasser Lenz und Wiegand-Grefe fassen Studien zusammen, in denen herausge-
stellt wurde, dass ein hoher Anteil der Elternschaft, bei der es zu einer Kindeswohlge-
fährdung kam, „selbst über belastende Erfahrungen von Misshandlung, Vernachlässi-
gung oder Missbrauch in der eigenen Kindheit berichtet‟ und „Mütter mit emotional
instabilen Persönlichkeit (Borderline-Persönlichkeitsstörung) häufig Gewalt und trau-
matische Erfahrungen erlebt haben‟ (Lenz/Wiegand-Grefe 2017, S.20). Grubaugh ver-
festigt diese Aussagen damit, dass ca. 30 bis 50% der psychiatrischen Patienten solche
Vorgeschichten aufweisen (Grubaugh 2011 zit. nach Lenz 2019, S.187). Zanarini und
Hörz ergänzen außerdem, dass 80% der Patient*innen mit Borderline-
Persönlichkeitsstörungen selbst Opfer physischer und/oder psychischer Gewalt in ihrer
Kindheit und Jugend waren (vgl. Zanarini 2005; Zanarini/Hörz 2011 zit. nach Lenz
2019, S.187). Diese Kindheitserfahrungen beeinträchtigt wiederum durch transgenerati-
onale Weitergabe die eigene Erziehungsfähigkeit, da zum einen die Bedürfnisse der
Kinder weniger feinfühlig wahrgenommen und darauf reagiert werden kann und zum

                                                                                          13
anderen weil die Eltern schneller zu negativen Gefühlen wie Wut oder Trauer neigen.
Lenz zitiert Studien, die besagen, dass „20 - 50% der Kinder nach Misshandlungs- und
Vernachlässigungserfahrungen resilient bleiben‟ (Lenz 2019, S.189). Im nachstehenden
Kapitel wird daher die Resilienz und ihre Faktoren näher beschrieben, um herauszufin-
den was diese Kinder resilient macht.

Zusammenfassend ist zu sagen, dass Kinder unter einer Vielzahl von Herausforderun-
gen durch die psychische Erkrankung der Eltern im Alltag leiden und dringend Unter-
stützung aus dem sozialen Netzwerk benötigen. Je früher diese Schwierigkeiten erkannt
werden, desto besser kann den Betroffenen geholfen werden. Besonders Kinder vor dem
Schuleintritt haben weniger Bezugspersonen außerhalb der Familie und können sowohl
kognitiv als auch sprachlich weniger Ressourcen mobilisieren. Daher sind Personen aus
der erweiterten Familie, Freunde, Bekannte, Nachbarn sowie Fachkräfte aus therapeuti-
schen und Kindertageseinrichtungen dazu aufgerufen, diese Bedürfnisse wahrzuneh-
men, selbst zu unterstützen oder andere Hilfesysteme zu initiieren.

                                                                                      14
2      Resilienz

    2.1 Risiko- und Schutzfaktoren psychischer Entwicklung

Für die psychische Entwicklung von Kindern gibt es einige Schutz- und Risikofaktoren.
Die Resilienzforschung versucht, die Wechselwirkung von diesen risikoerhöhenden und
-mildernden Faktoren zu beschreiben und damit die Resilienz zu erklären. Verschiedene
Studien aus den Bereichen der Entwicklungspsychologie sowie der Säuglings-, Bin-
dungs- und Lernforschung belegen die
      „hohe Bedeutung der Lebenssituation, der Lernmöglichkeiten und der Beziehungserfahrungen in
      den ersten Lebensjahren […], insbesondere auf deren Auswirkungen auf die Persönlichkeitsent-
      wicklung und die Ausformung kognitiver, sozialer und emotionaler Kompetenzen bei Kindern‟
      (Fröhlich-Gildhoff/Rönnau-Böse 2011, S.19).
Risikofaktoren

Die Risikofaktoren unterteilt man in die kindbezogenen Vulnerabilitätsfaktoren, die
biologische und psychische Merkmale umfassen und die Risikofaktoren bzw.
Stresssoren, die in der psychosozialen Umwelt des Kindes entstehen. Außerdem unter-
teilt man nochmals in primäre und sekundäre Vulnerabilitätsfaktoren. Letztere entstehen
durch die Interaktion mit der psychosozialen Umwelt und sind nicht wie die primären
Vulnerabilitätsfaktoren von Geburt an vorhanden, beispielsweise durch genetische Dis-
positionen und Geburtskomplikationen (vgl. Scheithauer/Wustmann zit. nach
ebd.,S.20). Petermann et al. betonen, dass nicht alle Risikofaktoren immer eine Ent-
wicklungsgefährdung, sondern die Kumulation (Anhäufung) mehrerer dieser Faktoren
eine Gefahr für die psychische Entwicklung des Kindes darstellen (vgl. Petermann et al.
zit. nach ebd., S.22). Zudem sind auch die Dauer bzw. Kontinuität der Belastung, die
Abfolge der Ereignisse entscheidend, d. h. je früher die Belastung „auftritt, desto größer
ist die Wahrscheinlichkeit, dass weitere Risikofaktoren zu späteren Zeitpunkten die
Entwicklung des Kindes gefährden‟ (ebd., S.25). Desweiteren spielen auch das Alter,
der Entwicklungsstand sowie das Geschlecht eine Rolle dabei, ob ein Risikofaktor die
Entwicklung beeinträchtigt. Zuletzt ist die subjektive Bewertung der Risikobelastung
von Bedeutung. Fröhlich-Gildhoff spricht dabei von einer Multifinalität, d. h. ein Risi-
kofaktor liegt im Auge des Betrachters und kann unterschiedliche Auswirkungen haben.

                                                                                                 15
Daher sollte unbedingt die Sicht des Kindes erfragt werden (vgl. Fröhlich-Gildhoff zit.
nach ebd., S.26).

Schutzfaktoren

Die Schutzfaktoren teilt man in personale und soziale Ressourcen ein. Zu den persona-
len Ressourcen gehören zum einen die kindbezogenen Faktoren und zum anderen die
Resilienzfaktoren. Der Unterschied zwischen kindbezogenen Schutzfaktoren, wie bei-
spielsweise intellektuelle Fähigkeiten, und Resilienzfaktoren liegt laut Kaiser darin,
dass die Resilienzfaktoren erst im Laufe des Lebens durch die „Interaktion mit seiner
Umwelt sowie durch die erfolgreiche Bewältigung von altersspezifischen Entwick-
lungsaufgaben‟ (Wustmann zit. nach Kaiser 2020, S.33) erworben werden. Die kindbe-
zogenen Schutzfaktoren sind dagegen von Geburt an vorhandene Eigenschaften.
Rönnau-Böse betont, dass die personalen Schutzfaktoren nicht weniger Bedeutung ha-
ben, jedoch sollten immer auch die familiären und umgebungsbezogenen Faktoren be-
rücksichtigt werden (Rönnau-Böse zit. nach Kaiser 2020, S.33).

Die sozialen Ressourcen unterteilt Wustmann nach den Orten des Auftretens: innerhalb
der Familie, in den Bildungsinstitutionen sowie im weiteren sozialen Umfeld (vgl.
Wustmann zit. nach Fröhlich-Gildhoff/Rönnau-Böse 2011, S.29f.). Fröhlich-Gildhoff
und Rönnau-Böse ergänzen dabei, dass ein Kind für eine psychisch gesunde Entwick-
lung nicht alle Schutzfaktoren aufweisen muss, sondern lediglich Ressourcen aus allen
Teilbereichen unterstützend wirken sollten (ebd., S.30). Wustmann Seiler spricht hierbei
von multiplen schützenden Bedingungen, die „die Chance für eine gute Anpassung trotz
schwieriger Lebensbedingungen erheblich verbessern‟ (Wustmann Seiler 2018, S.47).

Schutzfaktoren sind laut Wustmann Seiler zum einen entwicklungsphasen- und zum
anderen geschlechtsabhängig, wobei für Mädchen die soziale Orientierung eine protek-
tive2 Rolle spielt und den personalen Eigenschaften wie Temperament und Selbstwert-
gefühl eine größere Bedeutung zugesprochen werden. Im Gegensatz dazu streben Jun-
gen im Kindesalter eher nach Autonomie. Die soziale Unterstützung spielt bei ihnen vor
allem in der positiven Interaktion mit der Mutter eine entscheidende Rolle, unterstützt
durch eine familiäre Stabilität (vgl. Petermann et al./Werner/Röper zit. nach Wustmann
Seiler 2018, S.47f.). Das besonders umsorgende Verhalten einer Mutter kann beispiels-

2
    protektiv = schützende
                                                                                          16
weise in der Entwicklungsphase des Kleinkindalters ein Schutzfaktor, im Jugendalter
jedoch möglicherweise ein Risikofaktor sein.
In Abbildung 2 ist eine Darstellung der Bewältigung von Entwicklungsaufgaben aus
dem Zusammenspiel zwischen Schutz- und Risikofaktoren. Entwicklungsaufgaben so-
wie (Besondere) Belastungen können nur bewältigt werden, wenn es eine Balance zwi-
schen den Risiko- und Schutzfaktoren gibt (vgl. Fröhlich-Gildhoff/Dörner/Rönnau-Böse
2019, S.6f.). Die psychische Erkrankung eines Elternteils kann sowohl eine Belastung
sein als auch ein Risikofaktor. Wichtig ist, dass es genügend Schutzfaktoren gibt, die
diese Herausforderungen abpuffern können, um eine Bewältigung von Entwicklungs-
aufgaben zu meistern.

Hat man zu Beginn der Resilienzforschung noch Risiko- und Schutzfaktoren statistisch
erfasst, liegt der jetzige Forschungsschwerpunkt auf den „dynamischen Prozesse[n] und
Mechanismen […], die zwischen Risiko- und Schutzfaktoren, Resilienz und Vulnerabi-
lität vermitteln‟ (Luthar&Cicchetti/Kaplan/Masten/Masten&Coatsworth/
Niebank&Petermann/Richmann&Fraser/Rutter zit. nach Wustmann Seiler 2018, S.48).
Dies ermöglicht präzise Aussagen über die Bedingungen, die entwicklungsfördernd
oder entwicklungshemmend wirken (vgl. Wustmann Seiler 2018, S.49). Um die Resi-
lienz in den Schutz- und Risikofaktoren einzuordnen, befindet sich die Abbildung 3 im
Anhang, welche auf Grundlage von Wustmann erstellt wurde (vgl. Wustmann zit. nach
Fröhlich-Gildhoff/ Rönnau-Böse 2011, S.19ff.).

   2.2 Resilienzbegriff

Der Begriff Resilienz kann auf das lateinische Wort resilere zurückgeführt werden, was
so viel heißt wie „abprallen, zurückspringen‟ (Masten und Rönnau-Böse zit. nach Kai-
ser 2020, S. 6) und aus dem Englischen resilience, welches mit „Spannkraft, Wider-
standskraft, Elastizität, Belastbarkeit, Ausdauer, Zähigkeit, Durchhaltevermögen‟ über-
setzt wird (Fröhlich-Gildhoff/Rönnau-Böse, Schwab/Fingerle, Wustmann zit. nach ebd.,
S. 6). Der Begriff Resilienz wird lt. Wirtz definiert als die „die Widerstandsfähigkeit
eines Individuums, sich trotz ungünstiger Lebensumstände und kritischer Lebensereig-
nisse […] erfolgreich zu entwickeln‟ (Wirtz 2020, https://dorsch.hogrefe.com/stichwort/
resilienz#search=d3fa3d216145cc77445a3985cd2efbdc&offset=0). Wustmann ergänzt
den Begriff der Resilienz als „eine psychische Widerstandsfähigkeit von Kindern ge-

                                                                                          17
genüber biologischen, psychologischen und psychosozialen Entwicklungsrisiken‟
(Wustmann zit. nach Kaiser 2020, S.7), welche einen multidimensionalen Ansatz zeigt.
Unter den biologischen Entwicklungsrisiken sind beispielsweise prä-, peri- und postna-
tale Komplikationen, aber auch gesundheitliche Einschränkungen im späteren Verlauf
zu verstehen. Psychologische Risiken können das Bindungsverhalten und psychische
Erkrankungen der Eltern sein und zu den psychosozialen Entwicklungsrisiken gehören
beispielsweise Konflikte in der elterlichen Partnerschaft, ungünstiges Erziehungsverhal-
ten sowie Gewalt und Misshandlung (vgl. Macha 2020,
http://entwicklungsdiagnostik.de/entwicklungsrisiken.html).

Nach Petermann umfasst Resilienz

       „nicht nur die Abwesenheit psychischer Störungen, sondern den Erwerb altersangemessener Fä-
       higkeiten (Kompetenzen) vor dem Hintergrund der normalen kindlichen Entwicklung, zum Bei-
       spiel die Bewältigung altersrelevanter Entwicklungsaufgaben trotz aversiver 3 Umstände‟ (Peter-
       mann et al. zit. nach Fröhlich-Gildhoff/Dörner/Rönnau-Böse 2019, S.7).
Resilienz ist eine Fähigkeit, die im Laufe des Lebens ausgebildet wird und die auch in
verschiedenen Lebensphasen unterschiedlich groß ausgeprägt sein kann. Was unter ei-
ner erfolgreichen Bewältigung von Lebensphasen verstanden werden kann, wird kont-
rovers diskutiert. Kaiser zieht dazu beispielsweise „externale (z. B. Schulleistungen)
und internale Kriterien (z. B. das subjektive Empfinden)‟ (Kaiser 2020, S.12) heran.
Resilienz entwickelt sich lt. Lösel und Bender „in einem Interaktionsprozess zwischen
Individuum und Umwelt‟ (Lösel/Bender zit. nach Fröhlich-Gildhoff/Rönnau-Böse
2011, S.10). Das heißt wie resilient ein Mensch ist, ist variabel und hängt auch von den
Erfahrungen und Erlebnissen des Lebens ab. Daher spricht Kaiser von einem dynami-
schen Anpassungs- und Entwicklungsprozess (Kaiser 2020, S.10). Außerdem ist Resi-
lienz situationsspezifisch, d. h. „nicht auf sämtliche Lebensbereiche eines Kindes über-
tragbar‟ (Luthar, Scheithauer, Niebank & Petermann zit. nach ebd., S.11). Als Beispiel
ergänzt Kaiser, dass „ein Kind, dessen Eltern sich in Trennung befinden, im sozialen
Bereich angepasst sein und im emotionalen Bereich große Schwierigkeiten haben‟
(Kaiser 2020, S.11) kann.

Die Vulnerabilität sollte von der Resilienz abgegrenzt werden und leitet sich aus dem
Lateinischen vulnerabilis ab, was so viel bedeutet wie verletzlich, verwundbar. Im Eng-

3
     aversiv   =    „Widerwillen     hervorrufend”     (Bibliographisches  Institut  GmbH      2020,
    https://www.duden.de/rechtschreibung/aversiv), hier können belastende Umstände gemeint sein bzw.
    Entwicklungsrisiken wie oben beschrieben
                                                                                                     18
lischen spricht man von vulnerability, welches übersetzt Verletzlichkeit heißt. In der
Psychologie definiert man Vulnerabilität als „die genetische und/oder biografisch er-
worbene Anfälligkeit eines Menschen […] eine psychische Krankheit zu entwickeln‟
(Infodrog 2021, https://www.infodrog.ch/de/wissen/praeventionslexikon/vulnerabilitaet.
html). Man beschreibt Vulnerabilität als Gegensatz zur Resilienz, da ein vulnerabler
Mensch besonders leicht emotional verwundbar und ein resilienter Mensch dagegen
widerstandsfähig gegenüber psychischen Belastungen ist. Die Resilienzentwicklung ist
ein lebenslanger Prozess, wogegen die Vulnerabilität sowohl von genetischen Dispositi-
onen (von Geburt an) abhängt, als auch biografisch erworben sein kann. Im Leben eines
Menschen gibt es viele vulnerable Phasen, welche durch Diskontinuitäten oder Transi-
tionen (Übergänge), aber auch durch kritische Lebensereignisse ausgelöst werden kön-
nen (vgl. Noam zit. nach Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH,
https://www.spektrum.de/lexikon/psychologie/vulnerabilitaet/16544). Eine Diskontinui-
tät ist beispielsweise ein Umzug oder ein Schulwechsel, was für Kinder eine Trennung
der gewohnten Umgebung, sowie von sozialen Netzwerken bedeuten kann. Vulnerable
Transitionen sind die Übergänge von Kindertageseinrichtungen in Schule oder von der
Schule in eine Ausbildung, aber auch die Adoleszenzphase (Pubertät) stellt eine hoch-
vulnerable Phase dar. Kritische Lebensereignisse können beispielsweise die psychische
Erkrankung der Eltern, die Scheidung oder Trennung der Eltern, der Tod einer nahen
Bezugsperson oder die eigene schwere Erkrankung sein.

Spricht man von Resilienzförderung, schwingt auch immer der Begriff Prävention und
Gesundheitsförderung mit. Resilienz sollte als eine Schutzmaßnahme so früh wie mög-
lich in der Entwicklung des Kindes ausgebildet werden, um gegen belastende Faktoren,
wie die psychische Erkrankung einer nahen Bezugsperson, resilient zu sein. Der Begriff
Prävention kommt aus dem Lateinischen prae-venire, was 'zuvorkommen' bedeutet, und
versucht laut Fröhlich-Gildhoff und Rönnau-Böse „durch gezielte Maßnahmen, das
Auftreten von unerwünschten Zuständen (z. B. Verhaltensauffälligkeiten) weniger
wahrscheinlich zu machen oder zu verhindern‟ (Fröhlich-Gildhoff/Rönnau-Böse 2011,
S.56). Die Einteilung der Prävention bezogen auf den Zeitpunkt unterscheidet die pri-
märe Prävention, bei der ein Ausbruch einer Krankheit bzw. eines unerwünschten Zu-
standes vermieden wird, und die sekundäre Prävention, um diese frühzeitig zu erkennen
und eine Verschlimmerung zu verhindern, sowie die tertiäre Prävention, wobei schwere
Folgen bzw. Rückfälle vermieden werden (vgl. edb., S.56). Von welcher Prävention

                                                                                         19
man bei der Resilienzförderung von Kindern psychisch erkrankter Eltern spricht, hängt
davon ab, wann die Eltern psychisch erkranken (beispielsweise schon vor der Geburt
oder erst im Jugendalter des Kindes), inwiefern die Erkrankung das Familienleben be-
einflusst (lebt das erkrankte Elternteil mit dem Kind zusammen) und wann die Kinder
ggf. Unterstützung erhalten. Während sich die Prävention eher die Vermeidung und den
Abbau der Risikofaktoren, also aus einem pathogenetischen Blickwinkel betrachtet,
zum Ziel setzt, verfolgt die Gesundheitsförderung die Schutzfaktoren aus einer
salutogenetischen Sichtweise (vgl. Kaiser 2020, S.115). Die Gesundheitsförderung
stärkt die Resilienz von Kindern von Geburt an und nicht erst bei Eintreten einer Er-
krankung, Störung, oppositionellem/zurückgezogenem Verhalten oder ähnlichem.

  2.3 Resilienzfaktoren

Ähnlich wie bei den Schutz- und Risikofaktoren kann man auch bei den Resilienzfakto-
ren kindzentrierte, familienzentrierte und umwelt- bzw. systemabhängige Faktoren un-
terscheiden. Fröhlich-Gildhoff et al haben eine Übersicht zu den sechs (kindzentrierten
bzw. personale) Resilienzfaktoren erstellt (siehe Abbildung 4, Fröhlich-Gildhoff et al
zit. nach Fröhlich-Gildhoff/Rönnau-Böse 2011, S.42), die zur Bewältigung von Ent-
wicklungsaufgaben, aktuellen Anforderungen und Krisen benötigt werden. Die Unter-
teilung der Faktoren ist bei verschiedenen Autoren sehr ähnlich, nur die Bezeichnungen
variieren leicht. Im Folgenden werden die Resilienzfaktoren näher beschrieben. Die
getrennte Betrachtung der einzelnen Faktoren ist analytisch sinnvoll, jedoch hängen alle
sechs eng zusammen und bedingen sich gegenseitig.

Positives Selbstkonzept/Selbst- und Fremdwahrnehmung

Empirisch ist belegt, dass eine gute Selbstwahrnehmung eine schützende Wirkung hat.
Selbstwahrnehmung meint die Wahrnehmung des eigenen Körpers, der Sinne, der eige-
nen Gedanken sowie Gefühle. Um adäquat auf die Umwelt reagieren zu können und
seine eigene Wahrnehmung in Relation zu anderen zu setzen, gehört auch eine gut aus-
gebildete Fremdwahrnehmung dazu. Das Selbstkonzept, als ein Teil der Selbstwahr-
nehmung, beruht auf „Erfahrungen und prägt Informationsaufnahme und -verarbeitung
und den Kontakt zur (Außen-) Welt‟ (Fröhlich-Gildhoff et al. zit. nach Fröhlich-
Gildhoff/Rönnau-Böse 2011, S.43). Außerdem fügen Fröhlich-Gildhoff und Rönnau-
Böse die Selbstreflexivität hinzu, worunter man die Beurteilung eigener Wahrneh-

                                                                                         20
mungs- und Handlungsprozesse durch Beobachtung versteht (vgl. Fröhlich-
Gildhoff/Rönnau-Böse 2011, S.44).

Selbststeuerung/-regulation

Von Geburt an lernen Kinder, eigene Emotionen und Spannungszustände herzustellen
und aufrecht zu erhalten sowie deren Intensität und Dauer zu modellieren bzw. zu kon-
trollieren (vgl. Fröhlich-Gildhoff/Rönnau-Böse 2011, S.45). Die Regulation von „Erre-
gung, wie beispielsweise Schlaf- und Wachrhythmus […], motorische Aktivität […],
affektive, emotionale Erregung […sowie] Aufmerksamkeit‟ (Papousek zit. nach Fröh-
lich-Gildhoff/Rönnau-Böse 2011, S.45) bedürfen einer großen Unterstützung durch die
Bezugsperson oder -personen, welches die immense Bedeutung dieser hervorhebt. Erst
im Alter von ca. fünf Jahren können Kinder diese Erregungen selbst regulieren, ohne
soziale Rückversicherung. Kann die Bezugsperson die inneren Spannungszustände des
Säuglings nicht reduzieren, bleibt es dauerhaft in Erregung, welches sich beispielsweise
durch Schreien zeigt, was wiederum zu Anspannungen der Bezugsperson führen kann
(vgl. eds. zit. nach edb., S.45)

Selbstwirksamkeit

Selbstwirksamkeit ist das „Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und verfügbaren Mittel
und die Überzeugung, ein bestimmtes Ziel […] erreichen zu können‟ (Fröhlich-
Gildhoff/Rönnau-Böse 2011, S.47). Dabei spielen die Erwartungen an die eigenen Fä-
higkeiten eine bedeutende Rolle, die wiederum durch Erfahrungen geprägt sind. Laut
Müller erfährt der Säugling schon in den frühesten Lebensmonaten eine erste Form des
Selbstwirksamkeitserlebens. Beispielsweise erkennt er, dass immer wenn er weint oder
schreit, die Mutter kommt und ihn tröstet, füttert oder ähnliches. Im Verlauf des ersten
Lebensjahres entsteht außerdem ein Kausalverständnis, sodass Zusammenhänge zwi-
schen dem eigenen Handeln und den Folgen erkannt wird. Das Runterwerfen eines Ge-
genstandes führt zu einem Geräusch. Im Kleinkindalter zeigen Kinder, dass sie sich als
wirksam erleben möchten und steuern ihr Handeln zielgerichtet. Häufig wollen Kinder
in diesem Alter alles allein ausprobieren oder durchführen und lernen, dass sie die Ver-
ursacher von Ereignissen sein können. Durch Erfolg entsteht im Gegensatz zu Misser-
folg Leistungsmotivation und damit die Bereitschaft, sich für etwas anzustrengen (vgl.
Müller 2012, S.5).

                                                                                       21
Soziale Kompetenz

Soziale Kompetenz als protektiver Resilienzfaktor ist in zahlreichen Studien belegt und
definiert sich laut Mund als

      „die Gesamtheit aller persönlichen Verhaltensweisen und Fähigkeiten, die es einem Individuum
      ermöglichen und erleichtern, in der Interaktion sowohl mit Einzelnen als auch in der Gruppe, in
      einem in Art und Weise angemessenen und effektiven zwischenmenschlichen Austausch zu tre-
      ten.‟ (Mund zit. nach Kaiser 2020, S.44)
Voraussetzung und Bestandteil der sozialen Kompetenz sind die emotionale Kompetenz
sowie die Empathie, welche sich wiederum durch eine gute Selbst- und Fremdwahr-
nehmung bilden. Wenn ein Kind seine eigenen Gefühle sowie die vom Gegenüber er-
kennt, fällt es ihm leichter, sich hineinzufühlen und sozial zu interagieren. Außerdem
gehören zu einer sozialen Kompetenz eine gute Kommunikations- und Konfliktfähigkeit
sowie die Wahrnehmung und Interpretation von sozialen Situationen. Schon im Kinder-
garten sollen Kinder lernen, sich höflich zu unterhalten, einander ausreden lassen und
Konflikte verbal und nicht körperlich zu lösen. Um in sozialen Situationen angemessen
zu reagieren, unterteilt Mathis die Wahrnehmungs- und Reaktionsmuster in die biologi-
sche Ebene, auf der vor allem Körpersprache wahrgenommen und interpretiert wird, die
kulturelle Ebene, auf der beispielsweise soziale Regeln und das Hierarchieverständnis
erworben werden sowie die persönliche Ebene, auf der Menschen durch ihre ganz per-
sönlichen Erfahrungen mit neuen oder bekannten Situationen unterschiedlich umgehen
(vgl. Mathis 2020, https://www.brgdomath.com/psychologie/wahrnehmung-tk-
2/soziale-wahranehmung/). Diese Wahrnehmung und Interpretation ist ebenfalls sehr
stark beeinflusst von unserer Selbst- aber auch Fremdwahrnehmung. Um zu wissen, wie
man sich einer fremden oder auch bekannten Person gegenüber verhalten sollte, ist es
wichtig, sich selbst in Relation zum Gegenüber zu sehen. Zu einer engen Bezugsperson
verhält sich ein Kind in der Regel anders als beispielsweise zu einem Busfahrer.

Aktive Bewältigungskompetenz/Umgang mit Stress

In verschiedenen Literaturen/Quellen wird dieser Resilienzfaktor unterschiedlich beti-
telt. Dabei geht es jedoch immer darum, was Stress auslöst und welche individuellen
Bewältigungsmöglichkeiten und -fähigkeiten jemand besitzt. Lazarus und Launier defi-
nieren Stress als „jedes Ereignis, in dem äußere und innere Anforderungen (oder beide)
die Anpassungsfähigkeit eines Individuums […] beanspruchen oder übersteigen‟ (Laza-
rus/Launier zit. nach Fröhlich-Gildhoff/Rönnau-Böse 2011, S.51). Das heißt, Stress

                                                                                                        22
kann von extern oder intern verursacht werden. Das Individuum muss sich stark anpas-
sen und kann sich damit überfordert fühlen. Faltermaier unterscheidet drei verschiedene
Stressfaktoren: Entwicklungsaufgaben (z. B. Ablösung von den Eltern, Pubertät), kriti-
sche Lebensereignisse (z. B. die psychische Erkrankung eines Elternteils, Scheidung der
Eltern oder eine Fremdunterbringung) und alltägliche Belastungen (z. B. Über- oder
Unterforderung oder Streit der Eltern) (vgl. Faltermaier zit. nach Fröhlich-
Gildhoff/Rönnau-Böse 2011, S.51). Ob eine Situation als stressig empfunden wird,
hängt von der subjektiven Bewertung ab. Lazarus und Launier beschreiben einen drei-
stufigen Prozess, in dem zuerst die Situation in unwichtig, positiv-angenehm oder
stressbezogen bewertet wird. Daraufhin werden persönliche Bewältigungsmöglichkeiten
und Ressourcen geprüft und im dritten Schritt die Situation neu bewertet (vgl. Laza-
rus/Launier zit. nach Fröhlich-Gildhoff/Rönnau-Böse 2011, S.51f.). Diese Art der Be-
wertung ist abhängig von den „bisherigen Lebenserfahrungen, von Möglichkeiten der
kognitiven Informationsverarbeitung, dem Verstehen der Situationen, Fähigkeiten zur
Emotionsregulation bzw. Selbststeuerung‟ (Fröhlich-Gildhoff/Rönnau-Böse 2011,
S.52). Kinder brauchen bei der Bewältigung von Stress zuverlässige Bezugspersonen,
die ihnen Halt und Sicherheit geben sowie als Vorbild dienen, indem sie selbst „günsti-
ge Stressbewältigungsstrategien kennen und diese vermitteln können‟ (Jaede zit. nach
Kaiser 2020, S.52).

Problemlösefähigkeit

Die Problemlösefähigkeit ist eine Kompetenz, die in allen Lebens- und Lernbereichen
vorkommt und übergreift. Das Lösen von Problemen beschreibt eine Veränderung des
Ist-Zustandes hin zum Soll-Zustand, also dem erwünschten Ziel

      „durch Überwinden von Hindernissen mittels kognitiv-kreativ-konstruktiver Aktivitäten unter
      Rückgriff auf eigenes Wissen, Fertigkeiten, Ressourcen und soziale Unterstützung‟ (Kaiser 2020,
      S.53).

Je jünger das Kind, desto mehr ist es von der sozialen Unterstützung sowie der Vorbild-
funktion der Bezugspersonen abhängig. Eltern mit einer psychischen Erkrankung haben
häufig selbst ungenügende Problemlösefertigkeiten und ziehen sich je nach Krankheits-
bild aus dem sozialen Netzwerk zurück, sodass deren Kinder weder am Modell lernen
können, noch viele andere soziale Ressourcen besitzen. Mit zunehmendem Alter werden
jedoch ihre Problemlösestrategien komplexer. Fröhlich-Gildhoff und Rönnau-Böse be-

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