Respektvoll führen im Leistungssport - Eine Arbeitshilfe für den wertschätzenden Umgang mit Sportler*innen - psyGA

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Respektvoll führen im Leistungssport - Eine Arbeitshilfe für den wertschätzenden Umgang mit Sportler*innen - psyGA
Impulse für Trainer*innen und sportliche Leiter*innen

Respektvoll führen im
Leistungssport
Eine Arbeitshilfe für den wertschätzenden
Umgang mit Sportler*innen
Respektvoll führen im Leistungssport - Eine Arbeitshilfe für den wertschätzenden Umgang mit Sportler*innen - psyGA
2I3

                                                                                                       Inhalt

                                                                                                                Vorwort                                Emotionale Selbstregulation
                                                                                                                —— Seite 4                             —— Seite 19

                                                                                                                                                       Selbstverantwortung von
                                                                                                                                                       Athlet*innen stärken
                                                                                                                                                       —— Seite 20
                                                                                                                Einführung: Tabuthemen Führung
                                                                                                                und psychische Gesundheit im           Autonomieförderung durch
                                                                                                                Leistungssport                         Trainer*innen
                                                                                                                —— Seite 7                             —— Seite 21

                                                                                                                                                       Drop-out verhindern
                                                                                                                                                       —— Seite 21

                                                                                                                Die Rolle der Führung                  Welche Rolle spielt die
                                                                                                                                                       Kommunikation?
                                                                                                                Fakten: Welchen Einfluss hat Führung   —— Seite 22
                                                                                                                auf die psychische Gesundheit?
                                                                                                                —— Seite 9

                                                                                                                Merkmale guter Führung
                                                                                                                im Leistungssport                      Führung und Kommunikation
                                                                                                                —— Seite 12                            in Krisenzeiten

                                                                                                                Was zeichnet gute Führung im Leis-     Respektvoll führen in Krisenzeiten
                                                                                                                tungssport aus sport­psychologischer   —— Seite 23
                                                                                                                Sicht konkret aus?
                                                                                                                —— Seite 13

                                                                                                                                                       Kurz und knapp – was Sie als
                                                                                                                                                       Trainer*innen in Krisenzeiten tun
                                                                                                                Respektvoll führen: handeln,           können
                                                                                                                statt Talente zu verbrennen            —— Seite 25

                                                                                                                Worauf kommt es aus Trainer- und
                                                                                                                Athletensicht an, um einen wert­
                                                                                                                schätzenden Umgang miteinander
                                                                                                                zu finden?                             Quellen
                                                                                                                —— Seite 16                            —— Seite 26

                                                                                                                Respektvoll führen und gesunde
                                                                                                                Vereinskultur – was können Trai-
                                                                                                                ner*innen und sportliche Leiter*in-
Gefördert durch:             Im Rahmen der Initiative:   Fachlich begleitet durch:   Projektleitung:
                                                                                                                nen tun?                               Impressum
                                                                                                                —— Seite 18                            —— Seite 27

                                                                                                                Trainer*innen sind Vorbilder:
                                                                                                                sich selbst führen können
                                                                                                                —— Seite 19
aufgrund eines Beschlusses
des Deutschen Bundestages
Respektvoll führen im Leistungssport - Eine Arbeitshilfe für den wertschätzenden Umgang mit Sportler*innen - psyGA
Vorwort                                                                                                      4I5

Vorwort                                                                                                                Mein großer Dank gilt an dieser Stelle dem Projekt
                                                                                                                       psyGA (Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt), dass
                                                                                                                       es uns als Betriebskrankenkasse Novitas BKK zusam­
                                                                                                                       men mit vielen tollen Partner*innen und hochkarätigen
                                                                                                                       Referent*innen möglich gemacht hat, die Veranstal­
                                                                                                                       tungsreihe „Kein Stress mit dem Stress“ zum Thema
                                                                                                                       „Psychische Gesundheit im Leistungssport“ sowie
                                                                                                                       „Respektvoll führen“ anzubieten. Mit dem gleichnami­
                                                                                                                       gen Podcast und dieser Broschüre gibt es somit
                              Vorwort von                                                                              ein qualifiziertes und praxisnahes Unterstützungs­
                              Sabine Pfeifer                                                                           angebot zum Thema psychische Gesundheit, das
                                                                                                                       Vereine, Trainer*innen und Sportler*innen gleicher­
                                                                                                                       maßen nutzen können.

Die Idee für diese Broschüre „Respektvoll führen im        Ein anderes Beispiel ist die frühe Spezialisierung in der
Leistungssport“ und das gleichnamige Fachforum             Leichtathletik, junge Teams werden auseinander­
ist in erster Linie aus persönlichen Erfahrungen heraus    gerissen, obwohl doch eigentlich bekannt ist, dass der
entstanden, die ich bei der Begleitung meiner Kinder       soziale Rückhalt in einem Team oder einer Mann­
im Leistungssport sammeln konnte. Beide waren recht        schaft sehr wichtig ist im jugendlichen Alter. Meiner
talentiert und voller Freude und Ideale mit 15 Jahren      Tochter jedenfalls gingen der Spaß und die Freude
aus dem Breitensport in den wettkampforientierten          am Sport verloren, weil es nur noch um Leistung ging
Sport gewechselt. Dort durften sie, der eine im            und ein Druck aufgebaut wurde, der für einen jun-
Nachwuchsleistungszentrum Fußball, meine Tochter           gen Menschen auch belastend sein kann, wenn entspre-
in der Leichtathletikabteilung eines großen Sport­         chende sportpsychologische Unterstützung fehlt.                                          Vorwort von
vereins, die vielen schönen Seiten des Leistungssports                                                                                              Marion Sulprizio
und der Teamzugehörigkeit erleben. Es gab viele            Beide Kinder treiben heute keinen Sport mehr,
sportliche Höhepunkte in dieser Zeit, es ist schon etwas   haben die Freude an der Bewegung verloren. In der
Besonderes, wenn man als junger Mensch Fußball             Sportpsychologie nennt man das wohl Drop-out-
in der Regionalliga oder Bundesliga spielen darf oder      Phänomen. Und es ist keine Seltenheit, es geht ganz         Seit nun schon zehn Jahren bin ich als Geschäfts­         Auch die sportpsychologische Forschung kann belegen,
mit 16 Jahren Deutsche Jugendmeisterin mit der             vielen jungen Talenten so. Junge Menschen, die die          führerin der Initiative MentalGestärkt – Psychische       dass respektvolles Verhalten von Trainer*innen zu
4 x 100-m-Staffel wird.                                    Erfahrung gemacht haben, dass sie zwar talentierter         Gesundheit im Leistungssport an der Deutschen             einem verbesserten Wohlbefinden, einer höheren Moti­
                                                           sind als andere, aber den Weg in die absolute Spitze        Sporthochschule Köln tätig. Bei meiner Arbeit in der      vation und sogar einem geringeren Verletzungs­
Das tägliche Training, die langen Anfahrtszeiten           nicht schaffen werden. Und dennoch die vielen Mühen         Koordinationsstelle berate und coache ich Ath­            risiko ihrer Schützlinge beiträgt. Dazu müssen Trai-
zum Training oder die wenige Freizeit nimmt man            und Strapazen auf sich nehmen, weil sie Freude an           let*innen, Trainer*innen und andere Personen aus          ner*innen jedoch wissen, wie sie sich verhalten
dafür gerne in Kauf. Und auch wenn es mal nicht            der leis­tungsorientierten Bewegung haben und den           dem Sport bei Problemen, die ihre psychische Ge-          sollten, um ihre Athlet*innen bestmöglich zu fördern
so gut läuft und ein Wettkampf oder ein Spiel verloren     Zusammenhalt mit Gleichgesinnten wichtig finden.            sundheit betreffen, oder vermittele ihnen hilfreiche      und zu führen.
wird, lernt man damit umzugehen und trotz der              Diese intrinsische Motivation, die Freude am Sport, darf    Kontakte.
Niederlage weiterzumachen. Erfahrungen, die für            nicht zerstört werden durch unangemessenes, rüdes                                                                     Mit der Initiative psyGA und dem Bundesministerium
die Persön­lichkeitsentwicklung junger Menschen            Trainerverhalten oder ein System, das bereits im Nach­      Selbst habe ich 30 Jahre lang recht leistungsorientiert   für Arbeit und Soziales besteht durch die Realisie­
wichtig sind und die ein ganzes Leben prägen können.       wuchsleistungsbereich nur den Leistungsgedanken             Handball gespielt und anschließend eine Mädels­           rung der Handlungshilfe „Kein Stress mit dem Stress“
Was aber so richtig wehgetan hat, war die Erfah­           in den Vordergrund stellt, ohne die jungen Menschen         mannschaft von den Minis bis zur A-Jugend-Oberliga        und durch mehrere Fachforen seit vielen Jahren
rung, wie Trainer*innen oder der Verein mit jungen         entwicklungsorientiert, respektvoll und auch psy­           als Trainerin geführt. Als Trainerin wurde ich von        eine erfolgreiche Kooperation und ich freue mich, auch
Talenten um­gehen, wenn es mal nicht so gut läuft.         chisch unterstützend zu führen.                             den Eltern und Fans der Mädels manchmal aufgefor­         für die Broschüre „Respektvoll führen im Leistungs­
Stilles 30-minütiges Strafsitzen in der Kabine nach                                                                    dert, meine Spielerinnen doch mal „ordentlich anzu­       sport“ einen Beitrag leisten zu können.
einem verlorenen Spiel zum Beispiel. Oder Äuße­            Diese Handlungshilfe bietet Trainer*innen viele wich­       brüllen, damit sie wach werden“, wenn es mal nicht so
rungen der Trainingsleitung wie „Du mit deiner Scheiß-     tige Impulse zum Thema Führung im Leistungssport.           lief wie gewünscht. Dem habe ich aber nicht ent­          In dieser Handlungshilfe, die von Sabine Pfeifer und mir
technik“ oder das Anbrüllen während eines laufen-          Wir hoffen sehr, dass dem Thema Führung dadurch             sprochen, denn nur laut brüllen macht es den Kindern      auf den Weg gebracht wurde, finden Trainer*innen
den Spiels „… was war das denn schon wieder für ein        künftig mehr Aufmerksamkeit gegeben wird und                und Jugendlichen nicht einfacher, mit Fehlern umzu­       und Führungspersonen im und außerhalb des Sports
Scheißpass“ können systematisch Selbstvertrauen            entsprechende Rahmenbedingungen geschaffen wer­             gehen und die beste eigene Leistung abzurufen. Im         viele spannende Impulse, denn Leistung kann auf
zerstören oder dazu führen, den Glauben an sich zu         den, die es Trainer*innen und Athlet*innen gleicher­        Gegenteil: Stress, Angst und dann natürlich noch          Dauer nur erbracht werden, wenn die Persönlichkeits­
verlieren. Oder 15-jährige Spieler*innen, die sich         maßen ermöglicht, im Leistungssport zu bestehen und         mehr Fehler sind meistens die Folge. Viele Kinder und     entwicklung und die psychische Gesundheit gleich­
vor dem Punktspiel übergeben müssen, weil der Druck        dabei auch psychisch gesund zu bleiben.                     Jugendliche wenden sich sogar ganz vom Sport ab,          wertig berücksichtigt werden. Respektvolles Führen ist
so groß ist.                                                                                                           der Druck ist dann einfach zu groß.                       ein wichtiger Baustein hierbei!
Respektvoll führen im Leistungssport - Eine Arbeitshilfe für den wertschätzenden Umgang mit Sportler*innen - psyGA
Einführung                                                                                                   6I7

Tabuthemen Führung und psychische
Gesundheit im Leistungssport
Über psychische Gesundheit und gute Führung im              offenbaren, werden überwiegend kontrovers dis-
wettkampforientierten Sport wird nur wenig berichtet.       kutiert und sind meist von kurzfristiger Dauer. Daraus
Und dies, obwohl Digitalisierung und Globalisierung         könnte man den Schluss ziehen, dass Aussagen zum
nicht nur die Arbeitswelt verändert haben – auch im         Leistungsdruck oder zu psychischen Belastungen im
leistungsorientierten Sport sind die Anforderungen          Leistungssport immer noch als vermeintliche Schwä-
komplexer geworden und verlangen von den Sport-             che gelten.
ler*innen inzwischen hohe Anpassungsprozesse.
                                                            Auch im Nachwuchsbereich gehen wir häufig davon
Dabei gilt es, nicht nur die körperlichen Belastungen       aus, dass mentale Stärke und psychische Gesundheit
des täglichen Trainings gut zu bewältigen, auch psy-        Eigenschaften sind, die von Natur aus vorhanden
chische Belastungen des Alltags (Stress durch lange         sein sollten, um den körperlichen und psychischen
Anfahrtszeiten und schulische Anforderungen) und            Anforderungen des Leistungssports gerecht zu
soziale Anforderungen durch neue Medien wirken zu-          werden. Dementsprechend findet man in vielen Sport-
nehmend auf die oft noch jungen Sportler*innen ein.         arten und Verbänden auch heute noch hierarchi-
                                                            sche Strukturen und autoritäres Trainer- und Führungs-
Dennoch hält sich in der Öffentlichkeit hartnäckig          verhalten. Grundlegende psychische Bedürfnisse,
das Bild des/der gestählten Leistungssportler*in, das       wie zum Beispiel das Streben nach Autonomie, werden
eine psychische Verletzlichkeit, die jeder Mensch           nicht selten durch einen autoritären Umgangston
in sich trägt, nicht zulässt. Es sind die wenigen bekann-   unterbunden bzw. zu wenig berücksichtigt. [2]
ten Fälle und Coming-outs ehemaliger Profisport-
ler*innen, die auch die andere Seite des Leistungssports    Mit der vorliegenden Handlungshilfe möchten wir
zeigen. So beklagte Per Mertesacker den enormen             das Thema „Führung im Leistungssport“ aus verschie-
Druck im Fußballgeschäft und schilderte die dadurch         denen Perspektiven beleuchten und darstellen, wel-
ausgelösten negativen gesundheitlichen Auswirkun-           chen Einfluss gute Führung und der selbstverständliche
gen auf Körper und Psyche. Die Fußball-Profispielerin       Umgang mit psychischen Belastungen auf die psy-
Rachel Rinast äußerte in einem Zeitungsinterview,           chische Gesundheit von Athlet*innen hat. Denn Fakt
„wenn man ein*e Spieler*in ist, die nicht alles abnickt,    ist, dass Sportler*innen genauso anfällig für psy-
hat man ein Problem“, dies habe nichts damit zu             chische Erkrankungen sind wie andere Menschen, auch
tun, dass man mal auf der Bank sitzen müsse oder für        wenn es nur wenige gibt, die offen mit dem Thema
ein schlechtes Spiel kritisiert würde. „Mir geht es         umgehen und psychische Belastungen als selbstver-
um die abwertende Form der Kommunikation, wie               ständlichen Teil des Leistungssports akzeptieren.
manche Trainer*innen sie an den Tag legen.“ [1]
                                                            Was zeichnet gute Führung im Leistungssport aus
Ähnliche Beispiele gibt es auch aus anderen Sportarten      sportpsychologischer Sicht aus? Worauf kommt es aus
zu berichten. In einem ARD-Beitrag „Turnen unter            Trainer- und Athletensicht an, um einen wertschät-
Angst“, der im November 2020 veröffentlicht wurde,          zenden Umgang miteinander zu finden? Wie kann es
sprechen ehemalige Leistungsturner*innen von einer          gelingen, die psychische Gesundheit im Blick zu
„Kultur der Angst“. Sie berichten über erniedrigende        behalten und gleichzeitig eine optimale Leistungsbe-
Trainingsmethoden, rücksichtslose Trainer*innen und         reitschaft und Motivation zu fördern? Was können
rüde Umgangsformen. Welche fatalen Folgen solches           Vereine/Verbände konkret tun, damit die Persönlich-
Verhalten auf die seelische und körperliche Ent-            keitsentwicklung junger Athlet*innen auch im Leis-
wicklung insbesondere von jungen Athlet*innen haben         tungssport nicht zu kurz kommt?
kann, zeigen nicht nur die prominenten Beispiele,
sondern auch sportpsychologische Studien, die wir
in dieser Handlungshilfe näher vorstellen werden.
Die öffentlichen Reaktionen auf solche Vorkommnisse,
die auch die negativen Seiten des Leistungssports
Respektvoll führen im Leistungssport - Eine Arbeitshilfe für den wertschätzenden Umgang mit Sportler*innen - psyGA
Die Rolle der Führung                                                                                          8I9

Die Rolle der Führung
Trainer*innen haben eine Fürsorgepflicht gegenüber ihren Athlet*innen. Sie sind        Fakten: Welchen Einfluss hat Führung
gefordert, wenn es um die Förderung und den Erhalt der psychischen Gesundheit
geht, auch wenn körperorientierte Trainingsmethoden immer noch im Vordergrund
                                                                                       auf die psychische Gesundheit?
stehen. Die einflussnehmende Rolle der Führung sollte den Verantwortlichen
im Sport genauso bewusst sein wie in der Arbeitswelt. Durch ein entsprechendes
Führungsverhalten können vorhandene psychische Belastungen, die im wett­               Im beruflichen Kontext ist das Führungsverhalten             sowie die Fähigkeit und Bereitschaft, mit den Mitarbei­
kampforientierten Sport naturgemäß vorkommen, wie z. B. Stress, Leistungsdruck         bereits gut erforscht. Hier wissen wir, dass der Führungs­   ter*innen zu kommunizieren oder aber Mitbestim­
oder Angst, reduziert, aber auch negativ verstärkt werden. Anders formuliert:          stil und die Unternehmenskultur einen maßgeblichen           mungs- und Beteiligungsmöglichkeiten einzuräumen.
Trainer*innen sollten ähnlich wie in der Arbeitswelt darauf achten, dass die Belas­    Einfluss auf die Gesundheit, Arbeitszufriedenheit und        Hohe Evidenzen für den Einfluss unterschiedlicher
tungen und Anforderungen des Leis­tungssports den individuellen Ressourcen,            Leistungsbereitschaft der Mitarbeiter*innen eines            Führungsstile auf die Gesundheit konnten insbeson­
der Leistungsfähigkeit sowie den Bewälti­gungsmöglichkeiten der/des Athlet*in          Unternehmens haben. Zahlreiche Untersuchungen zei­           dere für einen transformationalen und mitarbeiter­
entsprechen.                                                                           gen einen direkten Zusammenhang zwischen mit­                orientierten Führungsstil aufgezeigt werden. Danach
                                                                                       arbeiterorientierter Führung und dem psychischen             gehen diese Führungsstile mit einer hohen Arbeits­
Eine Definition von Führung im Kontext Leistungssport zu finden, ist deshalb gar       Wohlbefinden der Beschäftigten.                              zufriedenheit, geringen gesundheitlichen Beschwer­
nicht so einfach, zumal es nicht DIE eine Definition gibt. Uns gefällt folgende                                                                     den, weniger Stress, Burn-out und Fehlzeiten einher.
Definition von Olaf Kortmann, ehemaliger Vereins- und Bundestrainer im Volleyball,     Hohe Arbeitsintensität, ständiger Zeitdruck, Über­           Vorgesetzte mit transformationalem Führungsstil kön-
am besten, weil sie umfassend ausdrückt, welchen Zweck Führung im Sport eigent­        stunden, geringer Handlungsspielraum bei gleichzeitig        nen ihren Beschäftigten besonders gut Sinn und
lich verfolgen sollte: „Führung von Athlet*innen ist ein sozialer Beeinflussungspro­   niedriger sozialer Unterstützung gelten im Berufs­           Bedeutung der Arbeit vermitteln, was nachweislich
zess, bei dem es darum geht, diese unter Berücksichtigung der jeweiligen Situa­        leben als ge­sundheitsgefährdend. [5] Das Verhalten          die Mitarbeitergesundheit fördert. [7] Ausführliche
tion so zu entwickeln und zu entfalten, dass gemeinsame sportliche Ziele erreicht      von Führungs­kräften kann das Erleben und Handeln            Beschreibungen zum Einfluss von Führung auf persön­
werden.“ Dabei geht es vor allem darum, die Sportler*innen in den Mittelpunkt          von Beschäf­tigten sowohl positiv als auch negativ be­       liches Wohlbefinden und psychische Gesundheit im
von Führung zu stellen und deren Bedürfnisse im Blick zu behalten, um gemeinsame       einflussen. Destruktiver Führungsstil bedeutet zum           Kontext Arbeitswelt bieten die psyGA-Monitore Psy­
sportliche Ziele zu erreichen. Fest steht, dass Trainer*innen eine sehr spezielle      Beispiel, dass Vorgesetzte Mitarbeiter*innen nicht aus­      chische Gesundheit in der Arbeitswelt (psyga.info)/
Führungsrolle zukommt, weil ihr Erfolg in der Regel fast ausschließlich über den       reichend informieren, ungeduldig sind, ohne hinrei­          Monitor: Arbeitsbezogenes Wohlbefinden – Psychische
Erfolg der betreuten Athlet*innen oder der Mannschaft definiert wird. [3], [4]         chende Gründe Kritik äußern, Beschäftigte öffentlich         Gesundheit und Engagement: begünstigende Fakto­
So fokussieren auch die meisten Definitionen von „guter“ Führung das optimale          herabsetzen oder „kleinmachen“. Ein entsprechen­             ren und mögliche unternehmerische Folgen (psyga.info).
Zusammenspiel von Faktoren, die der Führende mit sich bringt (z. B. Führungsstil),     des Führungsverhalten ist häufig in Organisationen
sowie Faktoren der Geführten (z. B. Alter, Geschlecht, Persönlichkeitseigenschaften)   oder Betrieben mit strengen Hierarchien zu finden.           Schlussendlich ist Führung eine wichtige Ressource, die
im Kontext situativer Bedingungen (z. B. wichtiger Wett­kampf).                        Den Verantwortlichen sollte bewusst sein, dass strenge       Mitarbeiter*innen hilft, trotz aller Anforderungen
                                                                                       Hierarchien wenig Bindung oder Autonomie bei den             und Belastungen auch psychisch gesund zu bleiben.
                                                                                       Beschäftigten erzeugen und dadurch Produktivitäts­           Aber auch gut gestaltete Arbeitsbedingungen üben
                                                                                       verluste und gesundheitliche Beeinträchtigungen              einen positiven Einfluss aus. Im Bericht der Bundesan­
                                                                                       bei den Beschäftigten die Folge sein können. [6]             stalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA)
                                                                                                                                                    werden im Ergebnis fast 20 Faktoren identifiziert und
                                                                                       Auf der anderen Seite konnten im Berufsleben auch            beschrieben, die im direkten Zusammenhang mit
                                                                                       gesundheitliche Ressourcen identifiziert werden: Sozi­       dem Auftreten von psychischen Störungen, Muskel-­
                                                                                       ale Unterstützung durch Vorgesetzte wirkt sich bei­          Skelett- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen, mit dem
                                                                                       spielsweise positiv auf Stressempfinden, Erschöpfung,        Be­finden, den Beschwerden und der Leistung stehen.
                                                                                       Arbeitszufriedenheit und die psychische Gesundheit           [8]
                                                                                       von Beschäftigten aus. Die soziale Unterstützung kann
                                                                                       so gesehen ein ausgleichender Faktor bei hohen
                                                                                       Stressbelastungen sein. Als soziale Unterstützung be­
                                                                                       zeichnet man verschiedene Verhaltensweisen wie
                                                                                       zum Beispiel helfendes Verhalten, emotionale Unter­
                                                                                       stützung wie Vertrauen, Anteilnahme oder regel­
                                                                                       mäßiges Feedback zu geleisteter Arbeit. Weitere Res­
                                                                                       sourcen durch gute Führung beinhalten die Fähigkeit
                                                                                       der/des Vorgesetzten, Anerkennung und Wertschät­
                                                                                       zung gegenüber den Beschäftigten auszudrücken,
Respektvoll führen im Leistungssport - Eine Arbeitshilfe für den wertschätzenden Umgang mit Sportler*innen - psyGA
Die Rolle der Führung                                                                                    10 I 11

Können diese Erkenntnisse auch auf den                                                                              Gesunde Führung lohnt sich –
Leistungssport übertragen werden?                                                                                   auch im Leistungssport

Unsere Meinung dazu lautet eindeutig: Ja! Auch Trai­     einem Autonomieverlust und wirkt demotivierend             Ambitionierte Sportler*innen nehmen viel auf sich,         ten zum Wettkampf, und auch am Samstag davor
ner*innen sind Führungskräfte, und aus der Sport­        auf Spieler*innen – auch das Wohlbefinden wird nega­       um ihren Traum von der/dem Profifußballer*in, einer        wird in vielen Nachwuchsleistungszentren (NLZs) und
psychologie weiß man, dass der Trainerstil das Wohl­     tiv beeinflusst.                                           Deutschen Meisterschaft oder einer Teilnahme an            Stützpunkten trainiert. Wo bleibt da die Zeit für
befinden von jugendlichen Athlet*innen beeinflusst.                                                                 Olympischen Spielen zu erfüllen. Die meisten der Nach­     körperliche, aber auch mentale Erholung und Regene­
[9] Die Bedeutung des Coaching­stils und dessen Aus­     Die Frage ist: Muss das so sein? Wäre es nicht erfolgs­    wuchstalente gehen – ganz im Sinne einer dualen            ration, die unabdingbare Voraussetzungen sind für
wirkungen auf die Motivation und das Wohlbefinden        versprechender, junge Talente wertschätzend zu             Karriere – zur Schule oder machen eine Ausbildung und      gute sportliche Leistungen in Training und Wettkampf,
von Athlet*innen haben auch Balaguer und Mitarbei­       behandeln, in dem Wissen um die täglichen Leistungen       fahren dann nach der Arbeit oder einem 8-Stunden-          egal um welche Sportart es sich handelt?
ter*innen in einer Studie untersucht. Unter anderem      und Anforderungen, die sie in ihrer Freizeit leisten?      Schultag häufig direkt zum Training, ohne eine wirkliche
konnten die Wissenschaftler*innen zeigen, dass ein       Dabei muss die/der Trainer*in sich nicht verbiegen, aber   Pause zu haben. Dazu kommen lange Anfahrtszeiten,          Verantwortungsbewusste Trainer*innen sowie sport­
sehr kontrollierender Coachingstil zu einer mangeln­     er/sie sollte sich bewusst sein, welche Konsequen-         schulischer Druck und die „normalen“ Entwicklungs­         liche Leiter*innen berücksichtigen diese außersport­
den Bedürfnisbefriedigung führt, die mit einem erhöh­    zen sein/ihr Führungsstil und -ton gerade bei jungen       aufgaben, wie z. B. einen Freundeskreis pflegen oder       lichen Belastungen ihrer Schützlinge bei ihrer Trai­
ten Burn-out-Risiko bei den Sportler*innen einher­       Sport­ler*innen haben kann.                                Partnerschaften eingehen. Im Leistungssport wird fast      ningsplanung und versuchen, durch gute Führung und
geht. Ein autoritärer Umgangston im Training führt zu                                                               täglich trainiert, manche Talente absolvieren sogar        entsprechende Trainingsgestaltung positive Rah­
                                                                                                                    zwei Trainingseinheiten am Tag, sofern sie von der         menbedingungen für das Erbringen der sportlichen
                                                                                                                    Schule dabei unterstützt werden. Dann kommen               Leistung zu schaffen.
                                                                                                                    die Wochenenden dazu und die langen Auswärtsfahr­

   HOLGER DAHL – SPORTJOURNALIST

   „Als junger Sportjournalist war eine meiner ersten Aufgaben im WDR ein Porträt über
   einen jungen, talentierten Würzburger Basketballer. Sein Name: Dirk Nowitzki. In
   diesem Zusammenhang hatte ich auch Kontakt mit Nowitzkis Mentor und persönlichem
   Trainer Holger Geschwindner. Seit dieser Zeit habe ich mich immer wieder mit der
   besonderen Beziehung zwischen Athlet*in und Trainer*in beschäftigt. Mich faszinieren
   Typen, die nicht nur die Leistungs-, sondern gleichwertig auch die Persönlichkeits­
   entwicklung ihrer Sportler*innen im Blick haben. Die Qualität einer Führungskraft
   bewerte ich immer auch aufgrund ihrer sozialen Kompetenzen. Respektvolles Füh­
   ren ist eine Schlüsselfähigkeit – beispielhaft im Sport und auch in meinem beruflichen
   Umfeld.“
Respektvoll führen im Leistungssport - Eine Arbeitshilfe für den wertschätzenden Umgang mit Sportler*innen - psyGA
12 I 13

Merkmale guter Führung
im Leistungssport

Aus dem betrieblichen Kontext wissen wir, dass gesundheitsorientiertes Führungs­
verhalten zu einer Win-win-Situation führt – alle haben etwas davon. Zwar gibt es
im Kontext des Leistungssports erst wenige wissenschaftlich belastbare Studien,
die die Zusammenhänge Leistungssport, psychische Gesundheit und Führung unter­
suchen. Dennoch sind die Ausgangsbedingungen und Risikofaktoren, die zum Ent­
stehen einer psychischen Erkrankung beitragen können, durchaus vergleichbar.

1. Generell erleben Leistungssportler*innen eben­           3. Psychische Erkrankungen sind auch im Leistungs­
   falls eine Bandbreite an Stressoren, die die Anfällig­      sport immer noch stigmatisiert, was viele Betrof­
   keit für psychische Erkrankungen begünstigen                fene davon abhält, sportpsychologische, aber
   können (negativer Stress, Terminflut, Leistungs­            auch psychotherapeutische oder psychiatrische
   druck, Angst, übertriebener Perfektionismus etc.).          Hilfe in Anspruch zu nehmen.

2. Spitzensportler*innen leiden nicht weniger unter         4. Hierarchische Strukturen und autoritäres Führungs­
   depressiven Verstimmungen als Nichtathlet*innen.            verhalten, die per se als Risikofaktoren für die
   Dabei zeigen die weiblichen Sportlerinnen eine              Entstehung einer psychischen Störung gelten, fin­
   höhere Prävalenz (d. h. Auftretenshäufigkeit) auf           det man in vielen Sportarten auch heute noch.
   als ihre männlichen Kollegen.                               Beispiel Kunstturnen, Fußball, Handball, Eiskunst­   Was zeichnet gute Führung im Leistungssport
                                                               laufen etc.
                                                                                                                    aus sport­psychologischer Sicht konkret aus?
Ein Transfer aus der Arbeitswelt in den Leistungssport
scheint also durchaus gerechtfertigt.                                                                               Aus Sicht einer aktuellen psychologischen Theorie,       gleich­zeitig wertschätzend führen zu können, sollten
                                                                                                                    der Self-Determination-Theory nach Deci und Ryan,        Trai­ner*innen diese Bedürfnisse ihrer Athlet*innen
                                                                                                                    haben Menschen drei Grundbedürfnisse. Das Bedürf­        kennen und diese im Trainings- und Wettkampfbetrieb
                                                                                                                    nis nach Autonomie bedeutet, dass sich Menschen          berücksichtigen.
                                                                                                                    selbstständig entscheiden möchten, dass sie sich als
                                                                                                                    eigenständig erleben möchten. Das Bedürfnis nach         Ein zentrales Merkmal von wertschätzender Führung ist
                                                                                                                    Kompetenz bezeichnet den Wunsch, etwas zu können,        die Empathiefähigkeit von Trainer*innen. Die Ath­
                                                                                                                    etwas zu beherrschen und dieses auch zeigen zu kön­      let*innen müssen das Gefühl haben, von ihren Trai­
                                                                                                                    nen. Das Bedürfnis nach Beziehung beinhaltet das sozi­   ner*innen sowohl auf emotionaler als auch men­
                                                                                                                    ale Motiv eines jeden Individuums, in einer Gruppe       taler Ebene verstanden zu werden und ihnen vertrauen
                                                                                                                    aufgehoben zu sein und sich zugehörig zu fühlen.         zu können. Die Trainer*innen sollten in der Lage
                                                                                                                                                                             sein, sich in die Situation ihrer Schützlinge voll und
                                                                                                                    Gute Führung im Leistungssport ermöglicht nun den        ganz hineinversetzen zu können, denn nur auf diese
                                                                                                                    Athlet*innen die Befriedigung ihrer Grundbedürfnisse.    Weise können angemessene Anweisungen, Korrekturen
                                                                                                                    Vor allem der sogenannte „Autonomy-Support“ führt        und Feedback gegeben werden.
                                                                                                                    dazu, dass sich Sportler*innen wohler fühlen, weniger
                                                                                                                    Burn-out erleben, widerstandsfähiger gegen Stress
                                                                                                                    sind und somit auch ihre optimale Leistung effektiver
                                                                                                                    abrufen können. [11], [12] Dabei sollten Trainer*in­
                                                                                                                    nen immer im Auge behalten, dass ihre Schützlinge sich
                                                                                                                    durch­aus hinsichtlich ihrer Bedürfnisse unterschei­
                                                                                                                    den können, d. h., der eine braucht mehr Autonomie,
                                                                                                                    die andere möglicherweise mehr soziale Unterstüt­
                                                                                                                    zung (Bedürfnis nach Beziehung). Um wirksam und
Respektvoll führen im Leistungssport - Eine Arbeitshilfe für den wertschätzenden Umgang mit Sportler*innen - psyGA
Respektvoll führen: handeln, statt Talente zu verbrennen                                                   14 I 15

                                                                               Respektvoll führen: handeln,
                                                                               statt Talente zu verbrennen
                                                                               Der Nachwuchsleistungssport klagt in fast allen Sport­     viele Talente verloren gehen, weil sie den Spaß und die
                                                                               arten über fehlende Talente, was häufig nicht ver­         Motivation für die hohen Anforderungen des Leis­
                                                                               wunderlich ist, da gesundes und wertschätzendes Füh­       tungssports verlieren, weil sie mental beim Übergang
                                                                               ren in Vereinen noch viel zu wenig Beachtung findet.       vom Jugend- in den Erwachsenenbereich nicht be­
LOTHAR LINZ –                                                                  Experten und auch Trainer*innen sind sich darin einig,     gleitet werden oder weil sie respektlos und wenig wert­
DIPLOM-PSYCHOLOGE, TRAINERAKADEMIE KÖLN                                        dass auf dem Weg in den absoluten Spitzensport             schätzend behandelt werden.

Wie gelingende Führung aussehen kann – oder: Wem dient es?

„Eine zentrale Frage zum Thema ist die, in ‚welchem Film‘ eigentlich die
                                                                               „Ich bin der festen Überzeugung, dass wir erhebliche Poten­
Führungsperson ist. Am Ende geht es immer um die Athlet*innen, denn diese      ziale im Nachwuchsbereich verlieren, wenn wir ausschließlich
sind es, die die sportliche Leistung erbringen wollen und müssen. Deshalb      an der traditionellen und weit verbreiteten Methodik fest­
ist es notwendig, sich in ‚den Film‘ der/des Athlet*in zu begeben, um als
                                                                               halten, unser fachliches Programm durchzuziehen, und sehen,
Trainer*in wirksam zu sein. Oder aber einen gemeinsamen Film zu entwi­
ckeln, in dem wir uns beide befinden. Anders ausgedrückt geht es bei meinem    wer am Ende von der reichlich vorhandenen Masse an Fuß­
Führungsverhalten um die Frage: Wem dient es? Dient es mir? Oder dient         ballspieler*innen übrig bleibt. Es gibt sicherlich Spieler*innen,
es der/dem Sportler*in? Und wie muss Führung aussehen, damit sie den Sport­    die damit gut klarkommen und sich entwickeln. Es gibt aber
ler*innen dient?
                                                                               mittlerweile auch vermehrt Talente, die man individueller
Das kann man am Beispiel des Drucks deutlich machen. Nur selten ist Druck      anpacken und ansprechen muss.“
etwas, was Sportler*innen zu besseren Leistungen befähigt. Häufig fällt        Marc Roch, als A-Lizenz-Fußballtrainer in verschiedenen NLZs tätig gewesen,
mir in der Praxis aber auf, dass Trainer*innen ihren Athlet*innen Druck ma­    u. a. als Jugendcheftrainer und Scout
chen. Da liegt der Verdacht nahe, dass es in solchen Fällen eher darum
geht, den eigenen Druck weiterzugeben. Also dient es mir selbst und nicht
dem Gegenüber!

Wichtig ist auch die Frage, welche Bilder wir im Kopf haben. Diese prägen
unser Handeln. Wo ist aus meiner Sicht der richtige Platz, damit mein Han­
deln wirklich der/dem Sportler*in dient? Und wie muss meine Kommunikation
aussehen? Fraglich ist zum Beispiel, ob das offensichtlich immer noch sehr
weit verbreitet vorherrschende Grundverständnis, der/die Trainer*in sendet
und die Sportler*innen empfangen, sinnvoll ist. Wieder steht die Frage im
Raum, wem solch ein Verhalten dient. Was dagegen ändert sich, wenn ich als
Trainer*in anfange, mehr zu fragen?

Vielleicht wollen Sie sogar noch weitergehen und sich in manchen Situationen
auf das Prinzip des ‚Nichthandelns‘ einlassen. So wie es Phil Jackson in
seinem Buch ‚Eleven rings‘ beschreibt. Wobei das natürlich erfordert, sich
mit seinem eigenen Ego auseinanderzusetzen. Ist Ihnen schon einmal auf­
gefallen, wie viel unseres Führungsverhaltens eher dem Ego als den Sport­
ler*innen dient?“
Respektvoll führen im Leistungssport - Eine Arbeitshilfe für den wertschätzenden Umgang mit Sportler*innen - psyGA
Respektvoll führen: handeln, statt Talente zu verbrennen                                      16 I 17

Worauf kommt es aus Trainer- und
Athletensicht an, um einen wertschätzenden
Umgang miteinander zu finden?

Sportliche Leiter*innen und Trainer*innen können viel        Sportpsychologische Angebote sollten nicht nur vor­
für die Entwicklung einer gesunden Vereinskultur             handen sein, weil die nächste Zertifizierung und
tun, sofern sie bereit sind, Erkenntnisse zum Thema          Bewertung für das Ausbildungszentrum ansteht. Sport­
Führung in die Qualifizierung ihrer Trainer*innen            psychologische Betreuung sollte selbstverständlich          MARTIN AMEDICK – EXFUSSBALLPROFI,
und Vereinsbeauftragten mitaufzunehmen. Auch das             werden, damit Hilfsangebote auch genutzt werden.            215 SPIELE IN DER 1. UND 2. BUNDESLIGA
mentale Coaching, insbesondere von jugendlichen              Betroffene schrecken nach wie vor aus Angst vor
Sporttalenten, sollte so selbstverständlich werden wie       Stigmatisierung davor zurück, sportpsychologische           „Im Sommer 2008 hatte mir Jürgen Klopp etwas Unangenehmes zu sagen. Er wollte mir
tägliches Training oder Physiotherapie. Durch die            Angebote für sich in Anspruch zu nehmen, und ver­           mitteilen, dass ich mir besser einen neuen Verein suche. Er kam als neuer Trainer
stetig wachsende Leistungsdichte steigt zunehmend            suchen ihre Ängste oder ihren erlebten Stress mit           zu Borussia Dortmund und er hatte bereits einen neuen Innenverteidiger verpflichtet,
auch der psychische Druck auf Trainer*innen und              sich selbst auszumachen. Diese Barriere gilt es, z. B.      der meinen Platz im Team einnehmen sollte. Es wurde aber, trotz der traurigen Nach­
ihre Sporttalente, der in einer gesunden Vereinskultur       durch regelmäßige Informationen im Umgang mit psy­          richt für mich, ein gutes Gespräch. Denn Klopp überbrachte mir die Botschaft direkt,
zumindest thematisiert und mitbegleitet werden               chischen Belastungen, zu durchbrechen. Denn häufig          respektvoll und nachvollziehbar.
kann. Zweifelsfrei hat sich in dieser Hinsicht viel bewegt   verstreicht wertvolle Zeit – und auch die Chance, das
und ein Umdenken stattgefunden, das allerdings               Ent­stehen einer Erkrankung zu vermeiden, wenn              Als Sportler wünscht man zunächst einmal, dass ehrlich mit einem kommuniziert wird.
noch viel Luft nach oben lässt, wenn man zum Beispiel        vorhandene Angebote aus Angst oder Zweifeln an              Das klingt banal, aber ein*e Trainer*in in einer Mannschaftssportart, der 20 oder
im Fußballbereich die Untersuchungen der VDV-Spie­           der Wirksamkeit nicht genutzt werden.                       mehr Spieler*innen gerecht werden muss, drückt sich aus Angst vor Konflikten oft
lergewerkschaft liest. „Die Angst von Spieler*innen,                                                                     davor, schlechte Nachrichten klar auszusprechen. Das habe ich einige Male erlebt.
von ihrem Club ausgesiebt zu werden, wenn sie zur/                                                                       Meistens gab es dann erst recht Konfliktherde, weil sich einzelne Spieler*innen links
zum Psycholog*in gehen, ist leider weit verbreitet.“                                                                     liegen gelassen fühlten.
(Ulf Baranowsky)
                                                                                                                         Die große Schwierigkeit für eine*n Mannschaftstrainer*in liegt darin, dass er einerseits
                                                                                                                         eine einheitliche Kommunikationslinie für das ganzes Team finden muss – und gleich­
                                                                                                                         zeitig muss er versuchen, jeden einzelnen Spieler auf unterschiedliche Art zu erreichen.
                                                                                                                         Bevor ein*e Trainer*in also zum Beispiel in der Teamkommunikation die Regel aus­
                                                                                                                         gibt ‚Trainingsleistungen werden belohnt‘, sollte er sich gut überlegen, kann ich die
                                                                                                                         Regel wirklich auch in jedem Einzelfall anwenden oder gibt es Plätze im Team, die
                                                                                                                         fest vergeben sind, so gut die/der Konkurrent*in auch trainiert? Das Schlimmste für
                                                                                                                         ein*e Trainer*in ist, wenn er bei der Mannschaft in den Ruf gerät, eine Sache zu
                                                                                                                         sagen und anders zu handeln. Dann wird jede seiner Anweisungen unterschwellig
                                                                                                                         hinterfragt. Das geht nicht lange gut.

                                                                                                                         Hohes Fachwissen und menschliche Integrität sind die Grundlagen, auf denen ein*e
                                                                                                                         Trainer*in bei einer Mannschaft akzeptiert wird. Ob sie/er dann eher kernig, humorig
                                                                                                                         oder staubtrocken kommuniziert, ist gar nicht so wichtig, so lange die Spieler*innen
                                                                                                                         das Gefühl haben: Die/der ist halt so. Und die/der meint es ernst mit mir.“
Respektvoll führen im Leistungssport - Eine Arbeitshilfe für den wertschätzenden Umgang mit Sportler*innen - psyGA
18 I 19

Respektvoll führen und gesunde Vereinskultur – was                                                                  Trainer*innen sind Vorbilder:
können Trainer*innen und sportliche Leiter*innen tun?                                                               sich selbst führen können

Der Weg zu einer gesunden Vereinskultur ist lang und benötigt Zeit – Zeit, die lang­                                Gesunde Selbstführung und emotionale Selbst­              die selbst Wert legen auf eine gesunde Balance
fristig gut investiert ist. Dabei sind es viele kleine Schritte, die zum Ziel führen.                               regulation sind ein weiteres Merkmal für respektvolles    zwischen Arbeit und Privatleben, wirken im gesamten
Entscheidend ist, dass sportliche Leiter*innen, Trainer*innen sowie der Vereins­                                    und gutes Führen. Gesundheit – körperliche und            Team als Förderer und Vorbilder für psychische
vorstand davon überzeugt sind, dass sich die Investitionen lohnen.                                                  psychische – sollte also auch für Trainer*innen persön­   Gesundheit und konstruktiven Umgang mit Stress. Ent­
                                                                                                                    lich einen hohen Stellenwert haben. Trainer*innen         sprechende Stress- und Erholungskompetenzen bei
Alle zusammen können die Rahmenbedingungen im Sportverein so gestalten, dass                                        sollten wissen, was sie selbst tun können, um negativen   Trainer*innen sind eine wichtige Voraussetzung für
Sporttalente einerseits Orientierung erhalten, gleichzeitig aber auch Handlungs­                                    Stress zu vermeiden und zu bekämpfen, und wissen,         eine aktive und unterstützende Führung von Sport­
spielräume bekommen, um sich nicht nur auf sportlicher Ebene zu entwickeln. Leis­                                   was die eigene Erholung unterstützt. Trainer*innen,       ler*innen.
tungsoptimierung sollte immer auch die psychische Gesundheit und Persönlich­
keitsentwicklung von Athlet*innen berücksichtigen, denn nur im Zusammenspiel dieser
drei Faktoren können langfristig Leistungsfähigkeit und Gesundheit entstehen.

Worauf kommt es an?
                                                                                                                    „Jeder muss sich persönlich fragen, was Erholung für sie/ihn
Kennzeichen eines respektvollen Führungsstils im           Respektvolles Führen bedeutet auch:                      bedeutet. Und dann muss man diese Erholungsstrategien
Verein sind dem humanistischen Menschenbild                                                                         aktiv einplanen. Es braucht eine Art Erholungspuffer, auf den
als Grundlage von Führung entnommen. Folgende              › zuhören können                                         man in Stressphasen zurückgreifen kann. Wenn man diese
Grundsätze lassen sich formulieren:
                                                           › Fragen stellen können                                  Ressourcen im Vorfeld nicht aufgebaut hat, dann hat man ein
› keine Ehrfurcht vor Hierarchie, sondern Respekt                                                                   Problem, wenn es stressig wird.“
  vor Menschen                                             › sich selbst als Mentor*in fühlen
                                                                                                                    Prof. Dr. Michael Kellmann,
                                                                                                                    Ruhr-Universität Bochum, Erholungsexperte
› Trainer*in ist Kapitän*in und Coach zugleich             › sich selbst zurückstellen können
  (Zielvorgabe und Zielbegleiter)
                                                           › nicht immer Recht haben müssen
› aktive Fragekultur: Führen durch Fragen, und keine
  Frage ist tabu                                           › positive und negative Gefühle zeigen können

› Menschen haben unterschiedliche Funktionen,              › Sporttalente individuell ansprechen
  aber es gibt kein Zweiklassendenken                                                                               Emotionale Selbstregulation
                                                           › Reflexion von Macht
                                                                                                                    Trainer*innen sind wie Führungskräfte Vorbilder, stehen   Mehrfachbelastungen umgehen können. Außerdem
                                                                                                                    aber auch selbst unter enormem Druck, der häufig          ist es wichtig, sich nicht ausschließlich mit der Rolle
                                                                                                                    unwissentlich an die Athlet*innen weitergegeben wird,     des/der Trainers*in zu iden­tifizieren, sondern auch
                                                           Gerade im Nachwuchsleistungsbereich ist weniger          wenn entsprechende Kompensationsmöglichkeiten             die anderen Lebensbereiche zu berücksichtigen. Acht-
                                                           autoritäres Verhalten gefragt, sondern vielmehr          fehlen. In wissenschaftlichen Studien wurde herausge-     samkeit beginnt vor allem bei der eigenen Person,
                                                           eine symmetrische Kommunikation, d. h. Gespräche         funden, dass sich Probleme, die Trainer*innen mit         dann fällt es auch leichter, der­artige Strategien mit den
                                                           auf Augenhöhe. Dies beinhaltet auch die Fähigkeit        sich herumtragen, auch auf die Leistung und das Wohl-     Athlet*innen zu erarbeiten.
                                                           zu unterscheiden, welche*r Sportler*in welche An­        befinden der Trainierenden auswirken. [13], [14]
                                                           sprache benötigt. Es gibt inzwischen viele gut gebil­    Auch die Vielfältigkeit der Rollen, die Trainer*innen
                                                           dete junge Persönlichkeiten, die wollen verstehen, was   einnehmen, wie z. B. der freundschaftliche Unter-
                                                           sie tun müssen. Hier kommt es darauf an, Zusammen­       stützer der Trainie­renden, aber auch der Familienvater
                                                           hänge darzustellen und die Sinnhaftigkeit des Tuns       oder Ehemann im häuslichen Setting, kann zu einer
                                                           oder bestimmter Übungsformen zu vermitteln, statt        hohen Beanspru­chung führen, da man nicht allen Rol-
                                                           mit Killerphrasen zu reagieren wie zum Beispiel: „Wo     len hundertpro­zentig gerecht werden kann. Hier
                                                           ein Wille ist, ist auch ein Weg.“                        empfiehlt es sich auch für die Trainer*innen, Strate-
                                                                                                                    gien zu entwickeln, wie sie am besten mit diesen
Respektvoll führen: handeln, statt Talente zu verbrennen                                                20 I 21

                                                                                                                     Autonomieförderung durch Trainer*innen
                                                                                                                     Das Erleben von Autonomie ist eine wichtige Voraus­        Athlet*innen mitverantwortlich für den nächsten
                                                                                                                     setzung für Athlet*innen, um sich wohlzufühlen und         Spielzug oder die nächste Wettkampfstrategie
                                                                                                                     psychisch gesund zu bleiben. Trainer*innen können die­     machen, indem sie diese zur Mitsprache auffordern
                                                                                                                     ses Grundbedürfnis ihrer Schützlinge durch kon­            und deren Ideen folgen. Die Athlet*innen erleben
                                                                                                                     krete Übungsformen aber auch durch eine allgemeine         so ein Gefühl der Mündigkeit und Gleichberechtigung,
                                                                                                                     Kultur der Mitsprache befriedigen. So könnten bei­         sodass sie sich von ihren Trainer*innen wertge­
                                                                                                                     spielsweise die Spieler*innen bestimmte Aufgaben im        schätzt und nicht be­vormundet fühlen. Auf Dauer
                                                                                                                     Mannschaftstraining übernehmen wie das Aufwär­             führt eine solche Kultur zu mündigen, selbstver­
                                                                                                                     men, Stabilisierungstraining oder kleine taktische Ein­    antwortlichen Spieler*innen, die leistungsfähig und
                                                                                                                     heiten. Auch in Auszeiten und Mannschaftsanspra­           zugleich psychisch gesund sind.
                                                                                                                     chen können Trainer*innen ihr Team oder einzelne

                                                                                                                     Drop-out verhindern
Selbstverantwortung von                                                                                              Auch in der heutigen Zeit werden Trainer*innen             bringen können, welche aber deutlich besser sind
Athlet*innen stärken                                                                                                 häufig mit dem Satz „Nur die Harten kommen in den
                                                                                                                     Garten“ zitiert. Diese Form von Selektion, d. h.
                                                                                                                                                                                als Leistungen von den vermeintlich „Harten“, durch
                                                                                                                                                                                das System laufenden Athlet*innen. Trainer*innen
                                                                                                                     Auswahl von ver­meintlich mental starken jungen            können mit ihrem Führungsstil diesen frühzeitigen
                                                                                                                     Athlet*innen, führt dazu, dass möglicherweise              Drop-out beeinflussen, Quested und Kolleg*innen
Die Selbsterkenntnis in Bezug auf die eigene Gesund­         Vereine und Funktionär*innen sind gut beraten, das      diejenigen, die ihre beste Leistung erst in ein paar       konnten in einer europäischen Studie in fünf Ländern
heit und Erholung hilft bei einer respektvollen Führung,     Schweigen in Bezug auf psychische Belastungen im        Monaten oder Jahren abrufen können, schon früh­            belegen, dass wertschätzende Führung und Berück­
denn in dieser Hinsicht selbstverantwortliche Trai­          Leistungssport zu durchbrechen. Durch Information       zeitig das System „Leistungssport“ verlassen (müssen).     sichtigung der Bedürfnisse von jungen Fußballspie­
ner*innen erkennen dadurch Stresssymptome bei ihren          und Aufklärung kann Wissen um das Entstehen von         Damit verliert der Spitzensport aber Talente, die          ler*innen zu deren optimaler Förderung beiträgt
Schützlingen frühzeitig und können besser einschät­          (psychosomatischen) Störungen vermittelt werden, die    durch eine optimale ressourcenstärkende Förderung          und ihnen eine individuelle und gesunde Entwicklung
zen, wann die Trainingsbelastung ggf. angepasst wer­         in Folge von belastenden Situationen oder eben auch     zwar zu einem späteren Zeitpunkt Topleistungen             im Leistungssport ermöglicht. [15]
den sollte.                                                  durch negativen Führungsstil entstehen können. Nur
                                                             gut informierte Sportler*innen sind auch in der Lage,
Ein Ziel guter Führung sollte es deshalb sein, die Selbst­   Selbstverantwortung zu übernehmen, was gleicher­
verantwortung oder auch Selbstfürsorge von Ath­              maßen für ihre Trainer*innen gilt.
let*innen zu stärken. So können Trainer*innen ihre
                                                                                                                     „Natürlich gibt es solche Fälle. Die Fälle der absoluten
Schützlinge beispielsweise in Phasen hoher schuli­
scher Belastung (Klausurphase) darin bestärken, selbst                                                               Genies, der Übertalente, die es auf jeden Fall schaffen, egal
aktiv Erholungsstrategien anzuwenden, die ihnen                                                                      wer die/der Trainer*in ist, wie der Verein heißt oder wel­
helfen, gesünder durch den Trainingsalltag zu kommen.                                                                cher Kommunikationsstil verwendet wird. Aber das sind die
Trainer*innen, die wissen, wie es ihren Athlet*innen
                                                                                                                     allerwenigsten. Ich denke, dass es die große Mehrzahl ist,
geht, unterstützen in solchen Phasen ihre Schützlinge                                                                die sich im Grenzbereich bewegt, bei denen das Pendel in
und bauen nicht zusätzlich Druck auf, indem sie über­                                                                beide Richtungen ausschlagen kann, und bei diesen Talen­
höhte Trainingsanforderungen stellen oder zum Bei­
                                                                                                                     ten kommt es auf die Unterstützung mit den für sie richtigen
spiel komplizierte neue Spiel- oder Übungsformen
einführen. Sie versuchen außerdem zu vermitteln, dass                                                                Menschen und Trainer*innen an.“
eine benötigte (mentale) Auszeit aufgrund zu hoher                                                                   Marc Roch, als A-Lizenz-Fußballtrainer in verschiedenen NLZs tätig
Belastungen keine negativen Konsequenzen auf Spiel­                                                                  gewesen, u. a. als Jugendcheftrainer und Scout
zeiten oder Einsatzzeiten hat.
Führung und Kommunikation in Krisenzeiten                                                                 22 I 23

Welche Rolle spielt die Kommunikation?                                                  Führung und Kommunikation
Respektvolle und wertschätzende Kommunikation hilft beim Aufbau einer gesun­
den Vereinskultur, die notwendig ist, damit belastete und gefährdete Sportler*innen
                                                                                        in Krisenzeiten
sich anderen Personen anvertrauen, wenn es einmal zu viel wird. Häufig entschei­
det die Vereinskultur darüber, ob psychologische Hilfsangebote in Anspruch genom­
men werden oder nicht.                                                                  Eine gute Vereins- und Unternehmenskultur hilft insbesondere in schwierigen Zeiten
                                                                                        besser mit vorhandenen Belastungen umzugehen. Trainer*innen aber auch Füh­
Die Tatsache, dass psychische Erkrankungen im Leistungssport nach wie vor negativ       rungskräfte in Unternehmen sollten nicht nur wertschätzend Führen und kommu­
stigmatisiert sind, hält viele Talente davon ab, sich die notwendige Hilfe zu holen.    nizieren, sodern auch das Wohlbefinden jeder und jedes Einzelnen im Blick behal­
Ein Indiz dafür, dass in vielen Vereinen die Vereins- und Führungskultur noch verbes­   ten. Es gilt vor allem, negative Verhaltensabweichungen früh zu erkennen, auch um
serungswürdig ist.                                                                      der Fürsorgepflicht nachzukommen.

Wertschätzende Kommunikation „bietet eine Kombination aus überzeugender, kla-           Dies gilt im Leistungssport genauso wie in der Arbeitswelt. Nachfolgend haben wir
rer und kurzer Sprache, gepaart mit einfühlsamem Zuhören der Fakten sowie dem           Tipps und Empfehlungen aus dem Projekt psyGA (www.psyGA.info) zusammen­
Anerkennen von Gefühlen und Werten bei sich und beim anderen“. Wertschätzende           gestellt, die von Trainer*innen und Führungskräften gleichermaßen angewendet
Kommunikation bricht alte, hierarchische Denkmuster auf und läutet den Werte­           werden können.
wandel im Nachwuchsleistungssport ein für mehr Respekt, Vertrauen, Teamgeist
und Empathie, gesteuert durch bewusste Kommunikation und Sprache, so lauten
die Erfahrungen, die der deutsche Hockeybund 2017 in einem Workshop zur wert­
schätzenden Kommunikation sammeln konnte. [16]                                          Respektvoll führen in Krisenzeiten
                                                                                        Für den verantwortlichen Umgang mit psychischen Belastungen in Krisenzeiten
                                                                                        empfiehlt sich ein Vorgehen in drei Schritten. Das Gute ist, dass Trainer*innen
                                                                                        oder Führungskräfte dabei ganz und gar in ihrer Rolle bleiben können, das heißt,
                                                                                        weder beste*r Freund*in noch Therapeut*in werden.

                                                                                        Schritt 1: Wahrnehmen und Erkennen

                                                                                        Selbstwahrnehmung ist eine gute Übung und Sen­           › Ist die Person sarkastischer, aggressiver oder dest-
                                                                                        sibilisierung für den Umgang mit gesundheitlichen          ruktiver als sonst?
                                                                                        Herausforderungen der Sportler*innen. Einfaches
   VALENTIN ALTENBURG – CHEFBUNDESTRAINER,                                              Nachfragen und gute Beobachtung helfen, gesund­          › Erscheint die Person hyperaktiv, öfters krank oder
   DEUTSCHEN HOCKEYBUND                                                                 heitliche Risiken frühzeitig zu erkennen. Das Augen­       findet sie beim Training kein Ende?
                                                                                        merk sollte dabei auf folgenden Veränderungen liegen:
   „Wertschätzende Kommunikation bedeutet für mich, den Sinn im                                                                                  › Hat sich die Stimmung der Person negativ verändert,
   vermeintlichen Unsinn im Verhalten meiner Spieler*innen zu suchen.                   › Zeigt die Person ernsthafte negative Verände­            z. B. mehr Gereiztheit statt Ausgeglichenheit?
   Zu ergründen, warum ein für mich unsinniges Verhalten über­                            rungen in Ihrem Trainingsverhalten oder ihrer
   haupt entsteht. Wo es ursprünglich herkommt. Dieser Ort liegt                          Leistung?                                              › Haben sich Disziplin (z. B. Pünktlichkeit) oder Qua­
   kaum sichtbar tief unten im Reich unserer Emotionen. Sinn und                                                                                   lität der sportlichen Leistung (z. B. Fehlerhäufigkeit)
   Unsinn haben diesen gemeinsamen Ursprung. Unsere Gefühlswelt.                        › Reagiert die Person auf mich und andere mit              verändert?
   Wenn ich fühle, was du fühlst, verbinden wir uns und der Sinn im                       Klagen, Resignation oder Rückzug?
   Unsinn kann größer werden. Diese Verbindung lässt Kommunikation
   gelingen und ist der Beginn von respektvoller Führung. Ich selbst
   habe zu lange gebraucht, um zu begreifen, dass Merkmale wert­
   schätzender Kommunikation wie Empathie, Vertrauen und Res­
   pekt wichtige Schlüssel sind, um Erfolg wahrscheinlich zu machen.
   Frei nach dem kleinen Prinzen:
   ‚Der Trainer führt mit dem Herzen gut, das Wesentliche ist für seine
   Augen unsichtbar.‘ “
24 I 25

                                                                                                             Kurz und knapp – was Sie als Trainer*innen
                                                                                                             in Krisenzeiten tun können
                                                                                                             1. Kommunizieren Sie sachlich und umfassend.          6. Bleiben Sie zuversichtlich.
                                                                                                             Das Aufmerksamkeitsbedürfnis der Sportler*innen       In Krisen stecken auch Chancen. Jede Krise bietet
                                                                                                             ist gerade sehr hoch. Ein guter Informationsfluss     Teams die Chance zusammenzuwachsen. Jeder
                                                                                                             vermeidet Panik und gibt Orientierung. Jede und       Mensch, der schon einmal gemeinsam mit anderen
                                                                                                             jeder ist dankbar für sachliche Handlungsanlei-       eine Ausnahmesituation durchlebt und erfolg-
                                                                                                             tungen. Erwartungsmanagement heißt das Zauber-        reich gemeistert hat, weiß, welch enormes Vertrau-
                                                                                                             wort: Wie wird wann und von wem berichtet?            en das schafft. Das kann hilfreich sein für die künf-
                                                                                                             Benennen Sie Herausforderungen, vor denen alle        tige Mannschaftsatmosphäre und Vereinskultur.
                                                                                                             gemeinsam stehen. Kommunizieren Sie die abge-
                                                                                                             stimmten internen Informationen und Entscheidun-      7. Verweisen Sie auf Hilfsangebote.
                                                                                                             gen regelmäßig.                                       In vielen Sportvereinen gibt es Unterstützungsan-
                                                                                                                                                                   gebote wie eine sportpsychologische Beratung
                                                                                                             2. Fragen Sie nach und seien Sie ehrlich.             oder eine*n Mannschaftsmediziner*in. Dies sollten
                                                                                                             Fragen Sie regelmäßig, wo es Schwierigkeiten gibt     Sie unbedingt – auch wiederholt – kommunizie-
                                                                                                             und wer Unterstützung braucht. Machen Sie deut-       ren. Die Initiative MentalGestärkt stellt für alle Hilfe-
                                                                                                             lich, wann Sie ansprechbar sind, und auch, dass Sie   suchenden Vermittlung von sportpsychologischem
                                                                                                             derzeit nicht auf alle Fragen eine Antwort haben.     Coaching, Sportpsychotherapie oder -psychiatrie zur
                                                                                                             Das „Wie machen wir das?“ sollte immer mit dem        Verfügung. Nutzen Sie diese Angebote!
                                                                                                             „Warum machen wir das?“ und „Wie lange machen
                                                                                                             wir das voraussichtlich?“ ergänzt werden. Klarheit    8. Verstehen Sie sich als Vermittler*in.
                                                                                                             und Souveränität strahlt aus, wer Bescheid weiß,      Trainer*innen sind von der Stressbelastung beson-
Schritt 2: Reagieren und Ansprechen                                                                          aber auch, wer offen zugibt, dass sie oder er nicht   ders betroffen. Sie haben hierarchisch gesprochen
                                                                                                             auf alles eine Antwort hat.                           Entscheider*innen über sich und offene Fragen
Sollten solche Auffälligkeiten beobachtet werden,     › zu versuchen zu verstehen, z. B. durch das Stellen                                                         unter sich. Zentral ist hier die Kommunikation, die
empfiehlt es sich,                                      von einfachen, offenen und nicht-wertenden Fragen,   3. Informieren Sie wirklich alle Athlet*innen.        oft schon im normalen Vereinsbetrieb herausfor-
                                                                                                             Denken Sie bei Ihrer Kommunikation auch an Sport-     dernd ist. Nicht immer schafft man es, alle einzubin-
› diese möglichen Warnzeichen bald anzusprechen,      › Annahmen über Ursachen oder Erklärungen des          ler*innen, die möglicherweise derzeit verletzt        den. Es hilft, das nicht persönlich zu nehmen.
                                                        Problems zu vermeiden,                               oder Reservespieler*innen sind. Stellen Sie sicher,   Wichtig ist: Bleiben Sie transparent, nach oben wie
› dabei auf eine ungestörte Umgebung zu achten,                                                              dass auch sie auf dem Laufenden bleiben und sich      nach unten, und verstehen Sie sich als Kommuni-
                                                      › nicht sofort Ratschläge zu geben,                    weiter zum Team zugehörig fühlen.                     kationsmanager*innen. Sie wissen vielleicht nicht
› nur über konkretes Verhalten und konkrete Wahr-                                                                                                                  alles, aber Sie bemühen sich, es herauszufinden.
  nehmungen zu sprechen,                              › zu akzeptieren, wenn die Person nicht über per-      4. Seien Sie Vorbild.                                 Das schafft Vertrauen und sorgt dafür, dass der
                                                        sönliche Anliegen sprechen will oder dass man        Führungskräfte haben eine Vorbildfunktion: Wenn       Druck nicht überwältigend wird.
› aufmerksam zuzuhören und das Gehörte in eigenen       selbst falsch liegt.                                 Ihre Sportler*innen die offiziellen Verhaltensre-
  Worten zusammenzufassen,                                                                                   geln einhalten sollen, dann müssen das die Vorge-     9. Achten Sie auch auf sich selbst.
                                                                                                             setzten vorleben.                                     Auch Trainer*innen müssen für sich selbst sorgen
                                                                                                                                                                   und sind Teil des Teams. Erlauben Sie sich, dass auch
                                                                                                             5. Zeigen Sie Fürsorge.                               Sie die Situation erst einmal verarbeiten müssen.
Schritt 3: Intervenieren und Lösen                                                                           Menschen reagieren sehr unterschiedlich auf Kri-      Es gilt wie im Flugzeug: Bevor ich anderen helfen
                                                                                                             sen: von totaler Verleugnung über Sensibilität bis    kann, muss ich zuerst dafür gesorgt haben, dass
Wenn sich die Vermutung eines persönlichen Problems                                                          hin zu Panik. Das ist normal. Halten Sie deshalb      ich selbst noch Luft bekomme. Das mag egoistisch
bestätigt und die/der Sportler*in sich öffnet, kann                                                          Ihre Sportler*innen im Blick. Besonders aufmerksam    klingen, ist aber notwendig, um durchzuhalten.
entweder gemeinsam im eigenen Verantwortungsbe-                                                              sollten Sie werden, wenn das Verhalten einer Per-     Fragen Sie sich: Was beruhigt mich und verschafft
reich nach Lösungen gesucht werden, z. B. tempo-                                                             son irritierend ist. Wenn jemand immer zupackend      mir Zuversicht? Drosseln Sie auch die eigenen
räre Erleichterungen. Bei komplexeren Sachverhalten                                                          und offen war und jetzt panisch reagiert, ist         Erwartungen: Was muss unbedingt getan werden,
kann sportpsychologische Unterstützung einbe-                                                                das ein Grund, nachzufragen und Hilfe anzubieten.     was kann vertagt werden?
zogen werden.
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