Roland düringer & Christoph Chorherr

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Roland düringer & Christoph Chorherr
roland düringer & Christoph Chorherr
        Fotografiert von Manfred Koppensteiner
Roland düringer & Christoph Chorherr
Lust auf
                      Zukunft?
                      Im Wandel: Grünen-Politiker Christoph
                      Chorherr und Kabarettist Roland Düringer
                      über Hamsterräder, Flatscreens, hängende
                      Mundwinkel und wie wir da rauskommen.
                      Interview von Doris Raßhofer

                       Tun. Wie erreicht man jemanden, der – nach heutigem digitalem Verständ-
                         nis – nicht wirklich erreichbar ist – weil nur über den Schneckenpostweg?
                       Die Rede ist von dem Kabarettisten Roland Düringer, der im Selbstversuch
                         seit Jahresbeginn alles weglässt, was es in seiner Kindheit nicht gab:
                       ­Handy, E-Mail, Bankomatkarte … Bestseller hat ihn gemeinsam mit Wiener-
                       Grünen-Gemeinderat Christoph Chorherr zum Coverinterview in den Wiener
                      Volksgarten geladen. Chorherr wiederum, in den Spielarten von Twitter
                       und Co. politisch professionalisiert, war mit einem Klick parat. Was beide
                        dennoch eint: Jeder versucht auf seine Weise, den Wandel positiv zu
                        ­gestalten. Der eine über den politischen Diskurs – und wenn auf diesem
                      Weg gar nichts mehr geht, dann auch mal als Unternehmer, um Herzens­
                         begehren zu realisieren. Der andere versucht durch Verzicht moderner
                      ­vermeintlicher Konsumerrungenschaften ein Beispiel zu ­geben – und durch
                         sein YouTube-Tagebuch zum „Selbstdenken“ anzuregen.
                            Die Anreise beider thematisch vorbildlich: Chorherr kam sportlich ent-
                         spannt mit einem Brompton, dem Porsche unter den Falträdern. Düringer
                         stapfte entschleunigt und reduziert vom Bahnhof daher. Denn: Beide reden
                         nicht nur, sie tun.
                            Und wie kommt man schließlich zur Freigabe dieses Interviews? Von
                       Chorherr per Klick. Von Düringer: ausdrucken, Kuvert organisieren, Brief-
                         marke kleben, zur Post gehen, warten, bis Antwort kommt. Auf dem Weg
                       zum Briefkasten zwitscherten viele Vögel und Schmetterlinge säumten die
                       Straße. Danke, Roland Düringer. Danke aber auch an Christoph Chorherr –
                        denn sonst würde der Bestseller einmal im Jahr erscheinen.

Bestseller 7|8 2013                                                                                  19
Roland düringer & Christoph Chorherr
Besteller
Lassen Sie uns über Roland Düringer Gute Idee.
 den Wandel reden. Christoph Chorherr Find’ ich auch. Aber über welchen Wandel?

                       Wie viele gibt es denn?
                       Chorherr Jede Menge. Wir sitzen hier komfortabel in der schönen
                       Stadt Wien, während woanders Umstürze passieren. Es gibt
                       ­derzeit auf allen erdenklichen Ebenen einen Wandel, und der ist
                        gewaltig. Gleichzeitig steigt der zivile Ungehorsam enorm.
                        ­Deshalb ist die Frage: Wie gestalten wir den Wandel in eine
                         ­zivilisierte, nicht barbarische Richtung?
                       Gute Frage …                                                           Der Verzicht auf diese Dinge hat sich aller-
                       Chorherr Ich glaube, wir sollten aufhören, den Leuten zu erklären,     dings nicht als Verzicht herausgestellt, son-
                       dass es einfache Lösungen gibt. Wir sollten den Menschen etwas         dern hat mein Leben ungemein bereichert.
                       zumuten. Die Dinge sind komplex, da muss man manchmal auch
                                                                                              Sie konsumieren ja auch keinerlei Medien
                       einfach etwas ausprobieren. Samt Scheitern.
                                                                                              mehr. Bekommen Sie mit, was auf der Welt
                       Düringer Es war schon immer alles im Wandel. Da brauch’ ich nur        passiert?
                       meinen Garten anschauen. Wenn ich über Wandel nachdenke, über-
                                                                                              Düringer Ein Alltag ohne Medien hatte er-
                       lege ich, wie ändere ich mich und mein Verhalten und wie kann ich
                                                                                              staunlicherweise überhaupt keinen Einfluss
                       dadurch anderen ein Beispiel geben, auch etwas zu ändern.
                                                                                              auf mein Leben. Denn die Leute erzählen
                        Daraus entstand ja Ihr Selbstversuch: kein Handy, kein E-Mail,        mir die Dinge (lacht).
                        kein Auto …
                                                                                               Und bringt das jetzt irgendwem was, wenn
                        Düringer … keine Bankomatkarte, kein Supermarkt. Allerdings: Ein
                                                                                               Sie als Roland Düringer auf diese Dinge
                       Auto hab’ ich noch, aber ich fahre nur noch das Notwendigste
                                                                                              ­verzichten? Zurück zur Steinzeit?
                       ­damit. Und auch ohne Internet geht es nicht, sonst hätte ich mein
                                                                                                Düringer Steinzeit ist immer das erste
                        YouTube-Tagebuch über dieses Experiment nicht machen können.
                                                                                               ­Argument (grinst).
                                                                                              Und das zweite?
                                                                                              Düringer Was macht eine alleinerziehende
                                                                                              Mutter mit drei Kindern, die sich das nicht
                                                       Roland Düringer                        leisten kann.
                                               ist Schauspieler und Kabarettist, bekannt      Und?
                                            unter anderem durch das Schlabarett, durch         Düringer Es ist schon klar, dass 30 Prozent
                                                    Bühnenshows wie „Hinterholz 8“ oder       der Bevölkerung keine Manövriermöglich-
                                             „Benzinbrüder“, durch Filme wie „Mutter-         keit haben. Aber 70 Prozent haben Spiel­
                                             tag“. Heute tourt er mit philosophischeren,      räume. Und die sollten wir ermutigen,
                                               aber nicht minder bissigen Programmen,         ­Ähnliches zu tun.
                                                 seit 2012 mit „Wir – Ein Umstand“. Zum       Verzichten auf jeden technologischen
                                                  ­Jahreswechsel startete er seinen Selbst­   ­Fortschritt?
                                                       versuch des Verzichts auf Güter des     Düringer Nein, denken anfangen. Nicht alles
                                                    ­Beschleunigungs- und Konsumwahns,         glauben.
                                                ­begleitet von seinem YouTube-­Tagebuch.
                                                                                              Herr Chorherr, Ihr Ansatz, etwas zu
                                                                                              ­ver­ändern, ist ein ganz anderer.
                                                                                                Chorherr Ich bin leidenschaftlich gern
                                                                                               ­Poli­tiker. Im Dialog, im Streit versuche ich
                                                                                                schrittweise, aber auch mit Kompromissen,
                                                                                                umzusetzen, wovon ich überzeugt bin. Und
                                                                                                wo mir die Politik zu lange dauert, werde
                                                                                                ich selbst unternehmerisch tätig.
                                                                                              Zum Beispiel mit Ihren Schulprojekten.
                                                                                              Chorherr Richtig. Diese Dinge sind alle ge-
                                                                                              meinsam mit Leuten entstanden, die leucht-
                                                                                              ende Augen haben, die gerne etwas gestal-
                                                                                              ten. Wenn ich gegen etwas ankämpfe, dann
                                                                                              ist das die Meinung vieler Menschen, die so
                                                                                              tun, als wären sie ohnmächtig. Der Durch-
                                                                                              schnittsösterreicher sieht 2,5 Stunden am
                                                                                              Tag fern. Wenn man sich in dieser Zeit

                                                                                                                 Bestseller 7|8 2013
Roland düringer & Christoph Chorherr
g­ emeinsam überlegen würde, was jeder tun
                     könnte, würde viel weitergehen. Und jeder
                     kann in seinem Bereich etwas tun, nicht nur
                     Manager und Politiker. Aber Aktivität simu-
                     lieren, indem ich überall den Like-Button
                     drücke, wird die Welt nicht ändern. Der
                     ­große Betrug unserer Gesellschaft ist ja, zu
                                                                               Gedanken im Wandel:
                      glauben, wenn ich mir möglichst viel in                 Christoph Chorherr und­
                      meine eigene Tasche stecke, dann geht es           Roland Düringer im ­Gespräch
                      mir gut. Dabei geht es uns gut, wenn wir                     mit Doris Raßhofer
                      ­etwas für andere tun.
                    Tut Politik genug für andere?                    Sehen Sie den Weg der Entschleunigung?
                    Chorherr Sicher nicht. Deshalb wehren sich       Chorherr Alle sagen, die Lösung ist, wir m
                                                                                                              ­ üssen nur noch mehr
                    die Leute ja auch.                               wachsen. Ich sag’, nein, das ist nicht die Lösung, das ist das
                      Aber wenn Sie sagen, man solle vor der         ­Problem.
                      ­eigenen Türe anfangen, warum gründen Sie      Also raus aus dem Hamsterrad, rein ins „gute Leben“?
                       dann Schulen in Südafrika?                    Düringer Wir, die wir im Hamsterrad laufen, haben alle ein falsches
                       Chorherr Ich habe in Wien gemeinsam mit       Bild vom Hamsterrad. Wir glauben zum einen, es geht nach oben –
                      Renate Chorherr auch eine Schule gegründet,    von innen schaut ein Hamsterrad nämlich wie eine Karriere­leiter
                    die w@lz. Aber weil wir dafür kaum öffent-       aus. Noch dazu registriert der Hamster nicht, dass er derjenige
                    liche Unterstützung bekommen – das ist           ist, der das Rad antreibt. Keiner rennt in einem elektrisch ange-
                    ­absurderweise nur religiösen Schulen            triebenen Hamsterrad, wo er rennen muss. Er treibt es selbst an.
                     ­vorbehalten –, tragen die Kosten die Eltern.   Wenn er mehr Druck gibt, wird das Rad schneller und er muss
                      Deswegen wollte ich Bildung auch an einem      schneller rennen. Du kannst das aber nur erkennen, wenn du die
                      Ort der Welt ermöglichen, wo Menschen bei-     Szenerie einmal verlässt. Wenn du anfängst zu denken, um dann
                      nahe kein Geld haben. Und der Zufall führte    dein Denken zu ändern und damit dein Handeln. Und wenn dein
                      mich in ein südafrikanisches Township.         Nachbar merkt, dass du selbst damit etwas verbessert hast, wird
                 Düringer Und jetzt frag’ ich euch, warum wir
                                                                     er es dir nachmachen.
                Österreicher, die wir alles haben, in der Früh       Aber das passiert ja schon an vielen Stellen unserer Gesellschaft.
                in der U-Bahn sitzen mit Mundwinkeln bis             Düringer Stimmt. Der Banker baut schon nebenbei Honig an und
                                       zu den Fersen, vorm           träumt von einer kleinen eigenen Landwirtschaft, die Bauern
                                       Handy hängen oder ein         überlegen sich, wie sie aus dem Fördersystem der EU wieder
„Der Verzicht hat sich als eine Österreich vors Gesicht              ­rauskommen, um wieder Bauern und nicht Produzenten zu sein.
   unglaubliche Bereicherung halten, um nicht soziale
  für mein Leben dargestellt.“ Kontakte haben zu                     Chorherr Und das sind bereits mehr, als wir glauben. Es gibt inzwi-
                  Roland Düringer                                    schen sehr viele Menschen, die versuchen, gemeinsam, auch ohne
                                       müssen? Vielleicht ist        Bezahlung, etwas weiterzubringen. Da wächst Bewusstsein. Man
                                       all dieses Hab und Gut        muss ja nicht gleich seine Existenz umstürzen. Man kann sanfte
                nicht das, was ein glückliches Leben aus-            Übergänge wählen. Macht das noch größere Auto wirklich glück­
                macht. Und dennoch beuten wir damit                  licher? Nein! Aber das sitzt noch in diesem ökonomischen Irrsinns-
                ­andere aus.                                         system fest. Es gäbe nichts Explosiveres für diese Wirtschaft, als
                    Chorherr In Südafrika fahren alle in über­       wenn die Leute sagen würden: „Hey, wir haben genug.“ Ich lach’
                    füllten Minibussen, quatschen und lachen.        immer über die wöchentlichen Meldungen über Einzelhandels­
                    Wenn ich dort erzähle, dass sich bei uns in      rekorde im Weihnachtsgeschäft … Es sollten sich mehr Leute trau-
                    der U-Bahn Menschen schweigend gegen-            en, ihr Leben mehr nach dem zu gestalten, was ihnen wichtig ist.
                    übersitzen, können sie es kaum fassen.           Da sind Role Models wichtig.
                    Woran liegt es?                                  Chorherr Roland Düringer ist sicher so ein Role Model.
                     Chorherr Wir müssen über die rasende             Düringer Aber jeder von uns steckt in einer Abhängigkeit drin.
                    ­Geschwindigkeit unserer Gesellschaft reden.     J­ eder hat Angst, sich durch seine Wahrhaftigkeit einen Nachteil
                     Auch in der Politik werden Probleme immer        einzufangen, etwas zu verlieren. Wenn ihr Grünen das sagen
                     hektischer bearbeitet. Das spür’ ich auch        würdet, was ihr wirklich sagen wollt, dann wär’s vorbei mit euch.
                     auf Twitter, oft muss ich sagen: „Leute,
                                                                     Chorherr Echt (grinst)?
                     darf ich bitte einmal kurz nachdenken?!“
                     Diese G­ eschwindigkeit erschöpft uns.          Düringer Wenn ihr auf euren Plakaten sagen würdet, was ihr euch
                                                                     wirklich wünscht, nämlich bis 2015 die ganze Stadt innerhalb des
                                                                     Gürtels autofrei zu haben, dann wählt euch doch keiner.
                                                                      Chorherr Das ist richtig, in dieser Radikalität kann man nicht
                                                                     ­Politik machen. Die Frage ist, nutzt es etwas, wenn ich die Dinge

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dem Bild, was noch nicht bezahlt ist: Teile
                                                                                                        der Gehsteige, Leute ohne Gewand, Autos
                                                                                                        sind weg.
                                                                                                        Chorherr Aber die Schulden des einen sind
                                                                                                        das Vermögen des ­anderen.
                                                                                                        Düringer Aber der andere hat nur deshalb ein
                                                                                                        Vermögen, weil der eine beim Media Markt
Christoph Chorherr                                                                                      einen Flatscreen für 7.000 Euro sieht und
ist Wiener Gemeinderat bei den Grünen.                                                                  nur seine Kreditkarte quietschen lassen
Zeit seiner Politikerlaufbahn setzt er sich                                                             braucht, und er gehört ihm. Wenn der eine
für Klimaschutz, Energiewende, smarte                                                                   gar nicht zum Media Markt geht, hat der
Stadtplanung mit geringem Motorisie-                                                                    ­andere auch kein Vermögen. Alle schimpfen
rungsgrad und die Revolution des Bildungs­                                                               über die bösen Banker. Aber keiner von
wesens ein. In Südafrika initiierte er das                                                               ­denen ist mit der Pumpgun zum Häusel­
Schulprojekt Ithuba zusammen mit der                                                                      bauer gegangen und hat ihm angedroht, ihn
NGO sarch (Social Sustainable Architec-                                                                   zu erschießen, wenn er keinen Kredit auf-
ture) und in Wien die Privatschule ­­w@lz.                                                                nimmt. Er hat sich freiwillig verschuldet.
Er ist Autor des Buches „Verändert! Über                                                                  Wenn ich heute 5.000 Euro habe, mir einen
die Lust, Welt zu ­gestalten“.                                                                            Flatscreen für 7.000 Euro kaufe, müssen die
                                                                                                          2.000 Euro von irgendwo herkommen.
                                                                                                          Wahrscheinlich über den Vorschuss aufs
                                                                                                          Weihnachtsgeld von 2017. Wenn am Lager-
                                                                                                          feuer fünf Leute sitzen und sieben heim­
                                 so radikal formuliere und wir sind weg vom Fenster, oder wenn            gehen, müssen zwei kommen, damit am
                                 wir die Vision einer Stadt mit signifikant weniger Autos als             Schluss keiner mehr dort sitzt. In der Natur
                                 ­Programm haben und damit dabeibleiben dürfen, um die Dinge,             gibt es auch keine Schulden. Ich kann nicht
                                  wenn auch langsamer, zu verändern?                                      am Freitag einen Karottensamen in die Erde
                                                                                                          geben und am Montag eine Karotte raus­
                                   Sie wählen also den Weg des Kompromisses, um eine gewisse              ziehen, weil ich weiß, in vier Monaten
                                   ­Gestaltungsmöglichkeit nicht zu verlieren?                            kommt eh eine. Das geht nicht.
                                    Chorherr Richtig. Ich finde Kompromisse als zentrales Wesen
                                 ­unserer Demokratie wirklich wichtig. Da können am Schluss alle        Das System sagt: Durch Schulden werden
                                  sagen, ja, gut, passt. In den 80er-Jahren war Wien das reichste       Werte geschaffen.
                                  ­aller Bundesländer. Das Insignium dafür war die Anzahl der ­Autos.   Düringer Werte? Ich seh’ überall nur Industrie­
                                   Heute ist Wien immer noch das reichste aller Bundesländer, aber      gerümpel, das in null Komma nix kaputt ist.
                                   das Insignium ist der mit Abstand geringste Motorisierungsgrad.       Chorherr Kathedralen wurden über Jahrhun-
                                   Deshalb werde ich kompromisslos für den Kompromiss kämpfen,          derte hinweg gebaut, die werden vermutlich
                                   um diese Welt mitgestalten zu können (lacht).                        auch noch Jahrhunderte stehen. Heute
                                 Noch mal zur Abhängigkeit. Würden nicht viele Menschen gerne           ­müssen Häuser nur noch eine Generation,
                                 ­etwas ändern, sind aber mit Haus und Schulden so an dass               viele gar weniger halten.
                                  ­System ­gekettet, dass sie nicht anders können?                      Düringer Heute muss ja niemand mehr Ver-
                                    Chorherr Deshalb sag’ ich immer: Hör auf, dir deine Freiheit zu     antwortung übernehmen – außer ein Unter-
                                   nehmen, indem du dich verschuldest – und damit ein Dauerabo          nehmer. Kein Vorstandsvorsitzender, der in
                                   im Hamsterrad hast. Für mich ist wirtschaftliche Nichterpress­       drei Monaten bei einem anderen Konzern
                                   barkeit ein wichtiges Gut. Man soll sich fragen: Besitzt du das      ist, und auch kein Politiker. Und mit diesem
                                   ­Auto/Haus oder besitzt es dich?                                     Wissen tritt jeder auch an.
                                 Düringer Der Philosoph Eugen-Maria Schulak hat einmal eine
                                 „Schuldenbrille“ erdacht: Mit dieser Brille verschwindet alles aus

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Chorherr Einspruch (lacht).
                          Düringer Das musst du (lacht)!
                           Chorherr Wer über „die Politik“ schimpft, will nur nicht genau
                          ­hinschauen. Es gibt Gauner, keine Frage. Es gibt aber auch Bürger­
                                        meister von kleinen Gemeinden, die wirklich tun,         Chorherr Da spielt unser Bildungssystem eine
                                        egal in welcher Partei. Nicht zu differenzieren ist     große Rolle dabei. Deshalb bin ich so für
                                        Denkfaulheit. Das gilt auch für die Boulevardmedien.    Schulautonomie, wo jede Schule das Recht
                                       Ihr Buch, Herr Chorherr, heißt „Verändert! Über die      hat, selbst zu entscheiden, was und wie
                                       Lust, Welt zu gestalten“. Wie können wir die             ­gelernt wird, samt Gestaltungsrecht der
                                       ­Menschen dazu bringen, diese Lust zu entwickeln?         Schüler und ihrer Mentoren. Und nicht, wo
                                         Chorherr Ich sag’ immer: Geht einen solchen Weg         Behörden entscheiden, wie gelernt wird.
                                        nicht alleine, denn ihr werdet ordentlichen              Wir müssen unternehmerischen Geist in
                                        ­Gegenwind bekommen.                                     den Schulen zulassen.
                                        Sie gehen Ihren Weg alleine, Herr Düringer?              Düringer Wir haben kein Bildungs-, sondern
                                        Düringer Nicht ganz. Meine Familie lebt auch in         ein Ausbildungssystem. Wir lernen, dass
                                       ­meinem Wohnwagen mit 28 Quadratmetern, und              wir mit Konkurrenz weiter kommen als mit
                                        nachdem ich nur noch am Festnetz erreichbar bin,        Kooperation. Wir lernen nicht, wie man
                                        müssen viele Menschen meinen Weg mittragen.             denkt, sondern was ich zu denken habe.
                                                                                                Wenn man das ändern würde, würden
                                       Sie haben die Fähigkeit, Massen zu begeistern – vor
                                                                                                ­wirklich ganz, ganz tolle Pflanzen heran-
                                       Jahren haben Sie die Wiener Stadthalle gefüllt.
                                       ­Diese Audience haben Sie zwar inzwischen bewusst         wachsen.
                                        reduziert und damit selektiert, aber warum nutzen          Chorherr Wir brauchen Menschen, die
   „Es sollten mehr Leute wagen,        Sie diese Fähigkeit nicht, mit den Botschaften Ihres    sich dafür verantwortlich fühlen, wo ihre
ihr Leben nach dem zu gestalten,        ­Experiments ein möglichst breites Publikum zu          ­Kleidung, ihr Fleisch herkommt, was mit
            was ihnen wichtig ist.“      ­mobilisieren. Wird es kein Programm über diesen        ­ihrem Geld finanziert wird. Ich trage Gea-
                  Christoph Chorherr      Selbstversuch geben?                                    Schuhe von Heini Staudinger nicht, weil
                                          Düringer Nein.                                          ich sie so wahnsinnig schön find’. Aber da
                          Warum nicht?                                                            weiß ich zumindest, dass weder Gift noch
                          Düringer Weil dieses Thema – noch – nicht massentauglich ist!           Kinder­arbeit beteiligt sind. Perfekt bin auch
                                                                                                  ich nicht. Ich hab’ auch ein iPhone und
                          Chorherr Ja, ich glaub’ auch, dass das noch ein Elitenthema ist.
                                                                                                  ­pro­duziere noch zu viel Müll.
                          Noch.
                                                                                                Was sind Ihre nächsten Projekte?
                          Vielleicht braucht es gar keine Mehrheit, nur den einen „mehr“,
                                                                                                Chorherr Ich bin lustvoll in der Gegenwart.
                          der das System kippt?
                          Düringer Das stimmt. Dann würde sich die Mehrheit dem Neuen           Und wie sähe eine lustvolle Zukunft aus?
                          anschließen. Aber es wird nicht die Mehrheit etwas verändern,          Chorherr Der öffentliche Raum ist nicht
                          sondern eine mutige Minderheit.                                       mehr Verkehrsfläche, minimaler Energie­
                                                                                                verbrauch, Häuser, gebaut für Jahrhunderte,
                          Dann ist natürlich Demokratiepolitik, wo die Mehrheit bestimmt,
                                                                                                und die Adresse sagt nichts über deinen
                          was zu tun ist, ein schlechtes Vehikel.
                                                                                                ­sozialen Status aus – eine gerechte Stadt.
                          Chorherr Moment … (lacht)!
                                                                                                 Wie sieht Ihr nächster Step aus, Herr Düringer?
                          Düringer Deshalb gefällt mir ja die Demokratie der Irokesen besser.
                                                                                                 Düringer Loslassen lernen, mich unabhängig
                          Chorherr Interessant …                                                machen, damit ich handlungsfähig bleibe,
                          Düringer Das waren 3,5 Millionen Menschen an der Ostküste             Initiative ergreifen kann. Solange uns
                          ­ merikas, lauter Kleinstämme mit Zwistigkeiten. Viele Jahr­
                          A                                                                     ­vermittelt wird, 500 Joghurtsorten im Billa-
                          hunderte war plötzlich Frieden. Warum? Weil nicht mehr die             Regal haben etwas mit Wohlstand zu tun,
                          Mehrheit entschieden hat, sondern jeder gemacht hat, wie               sollten wir da nicht mehr reingehen.
                          er ­geglaubt hat. Dabei war das Langhaus die kleinste Einheit,        Und was wird aus dem Selbstversuch?
                          Chef war meist eine Frau.                                             Düringer Nichts.
                          Chorherr Du meinst also Toleranz der Diversität …                     Wie jetzt?
                          Düringer Wenn in der Klasse 25 Fußball spielen wollen und fünf        Düringer Ich habe ihn abgebrochen (lacht).
                          Handball, müssen die fünf auch Fußball spielen. Richtiger wäre        Jetzt ist es kein Versuch mehr, sondern
                          doch, wenn die fünf Handball spielen können, oder?                    Teil meiner Lebensgestaltung. Vielleicht
                                                                                                wird es einmal ein Buch über die Kunst des
                                                                                                Weglassens geben.

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