BOKU - UNSER BODEN WIR STEHEN DRAUF

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BOKU - UNSER BODEN WIR STEHEN DRAUF
BOKU
Das Magazin der Universität des Lebens
                                                       Nr. 1 | März 2015
                                                       ISSN: 2224-7416

   wir stehen drauf:
   Unser Boden
                            2015: Jahr
                            des Bodens

          MIT        Recycling:          Verborgene Schätze: Die
          alumni     Es kommt            unentdeckte genetische
                     auf alle an         Vielfalt von Pilzen
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INHALT                                                                  alumni

                                                                                                      Haroun Moalla
3    Rektor Gerzabek über das Jahr
     des Bodens 2015

4    Der Genetiker Joseph Strauss
     im Porträt

	Cover: Schwerpunkt
  Jahr des Bodens

8    Wann verhält sich ein Boden
     klimafreundlich?

12   Boden und Wasser

14   Ungenützte Kornkammern
     Europas                             4                              28

                                                                                                      Leila
16   Nachhaltige Intensivierung der

                                                  Martinn H. Gerzabek
     Landwirtschaft

18   Urban Gardening:
     Ernte im Winter

11   Recycling: Es kommt auf alle an

19   Die Donau
                                                                         23
20   Mitten im Umbau:
     Eine Fotoreportage
                                                                           Editorial
51   FAQ: Fragen rund um                                                23 Scheckübergabe
     die Forschung
                                                                           Cover
52   Splitter
                                                                        24 BOKU-Sozialprojekt
55   Jubiläumsfonds der Stadt Wien
                                                                           EVENTS
56   Wege zum Erfolg:                                                   28 BOKU-Ball 2015
     Die Expertinnendatenbank
                                                                        30 Akademische Feiern
                                                                        32 Brüsselreise
                                              8
57   „Flinc“: Das Boku-Mitfahrnetzwerk

58   Projektaudits und                                                     PORTRÄT
     Projektabrechnungen                                                33 Traxlmayr – Doktorand
60   4. Mai 2015: Der erste
                                                                        	Karriere
     Nachhaltigkeitstag an der BOKU
                                                                        34 Firmensplitter
61   Verleihung des Raiffeisen Science                                  36 Ein/Auf und Umstieg
     & Innovation Award 2014                                            38 Sponsionen & Promotionen
62   Erasmus+ Traineeships                                              39 Kommentar
     an der BOKU                                                        40 Praktikum bei der EU

63   ELLS: Die Scientific                                                  INTERNATIONAL
     Student Conference                                                 41 Klimaticker
64   Go ahead! Das interne Weiterbil-                                   42 Bangladesh
     dungsprogramm der BOKU
                                                                           Kurzmeldungen
65   Die BOKU kümmert sich                                              43 Beiträge der
     um Flüchtlingskinder                                                  AbsolventInnenverbände
66   Menschen an der BOKU                19                             46 Splitter
BOKU - UNSER BODEN WIR STEHEN DRAUF
Editorial

                                                                                                                                                                                   Robert Newald
                   Das Jahr des Bodens
                                                                                                                     Martin H. Gerzabek
                                                                                                                                       Rektor

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Freundinnen und Freunde der BOKU!

D
      as heurige Jahr bringt mit den Verhandlungen zum Ab-                                beitung eines mechanistischen Verständnisses der Prozesse,
      schluss der Leistungsvereinbarung große Herausforde-                                die im Boden ablaufen, der Erforschung der Interaktion des
      rungen für die Universität mit sich. Noch größer sind                               Bodens mit dem Klima und dem Wasserhaushalt bis hin zur
die regionalen und globalen Herausforderungen, die nach-                                  wissenschaftlichen Unterstützung der Entwicklung von Kon-
haltige Nutzung unserer Böden sicherzustellen. Im UN-Jahr                                 zepten für eine umfassende Bioökonomie, die ohne intensi-
des Bodens ist es unsere Pflicht, auf die zahlreichen quali-                              ve Beschäftigung mit den Bodenressourcen nicht umsetzbar
tativen und quantitativen Bedrohungen für die Böden – eine                                sein wird. Bibliometrische Analysen zeigen, dass sich mehr
der wichtigsten Grundlagen unseres Lebens – hinzuweisen.                                  als 1.000 von ca. 8.300 BOKU-Publikationen, die im Web of
Die verfügbaren Ackerflächen sind weltweit von ca. 0,5 ha auf                             Science zu finden sind, mit dem Boden beschäftigen. 12.300
0,35 ha pro Person gefallen, in Österreich liegt dieser Wert                              von 142.000 Zitierungen von BOKU-Publikationen gehen auf
noch wesentlich niedriger, bei etwa 1.700 m2. Eine Selbst-                                diese bodenkundlichen Publikationen zurück. In den letzten
versorgung Österreichs ist damit nicht mehr möglich. Die                                  drei Jahren wurden konstant ca. 140 Publikationen p. a. zu
Flächenproduktivität muss weltweit aufgrund der derzeit                                   Bodenthemen von den BOKU-Departments veröffentlicht.
bereits ca. 850 Millionen unterernährten und hungernden                                   Zumindest sechs Departments sind intensiv mit bodenkund-
Menschen und des weiteren Bevölkerungswachstums bis                                       lichen Forschungen beschäftigt. Einige der Themen werden
2050 praktisch verdoppelt werden. Neben der Nahrungs- und                                 im vorliegenden Heft vorgestellt.
Futtermittelproduktion steht auch immer mehr die Nachfra-
ge nach Biomasse als Rohstoff für die industrielle Produk-                                Das Jahr des Bodens, das von der UNO 2013 beschlossen
tion und als Energieträger im Fokus. Gleichzeitig steigt der                              wurde, ist mit der BOKU untrennbar verbunden. Es war Prof.
Flächenverbrauch für Infrastruktur ständig weiter, das zer-                               Winfried Blum, der als Generalsekretär der International
siedelte Österreich benötigt beispielsweise wesentlich mehr                               Union of Soil Sciences im Jahr 2002 beim Weltkongress der
Verkehrsflächen pro Person als unsere Nachbarländer. Der                                  Bodenkunde in Bangkok die Gelegenheit fand, die thailän-
rasante Flächenverbrauch durch Verbauung muss dringend                                    dische Regierung in dieser Angelegenheit zu kontaktieren.
gestoppt werden.                                                                          Nach einer Privataudienz beim thailändischen König zehn
                                                                                          Jahre später konnte er, gemeinsam mit seinem Nachfolger
Zur Bewältigung all dieser Herausforderungen ist die Politik,                             als Generalsekretär der IUSS, Prof. Stephen Nortcliff, König
aber auch die Wissenschaft gefordert. Eine nachhaltige Raum-                              Bhumibol Adulyadej – selbst studierter Bodenkundler – über-
entwicklung ist ebenso zentral wie die Grundlagen einer                                   zeugen, die Initiative zu ergreifen. Der jährliche Tag des Bo-
nachhaltigen Intensivierung der Landwirtschaft, wobei der                                 dens wurde auf den Tag des Geburtstages des Königs, den
ökologische Aspekt der Nachhaltigkeit dabei besondere Be-                                 5. Dezember festgelegt.
rücksichtigung finden muss.
                                                                                          Nutzen wir das Jahr des Bodens, um die Öffentlichkeit zu
Die BOKU kann zu diesem Thema vieles beitragen, von den                                   sensibilisieren und die zahlreichen Beiträge der BOKU sicht-
Aspekten einer nachhaltigen Raumplanung über die Erar-                                    bar und wirksam werden zu lassen.                       

IMPRESSUM: Medieninhaberin und Herausgeberin: Universität für Bodenkultur Wien (BOKU), Gregor-Mendel-Straße 33, 1180 Wien. Chefredaktion: Michaela Klement,
michaela.klement@boku.ac.at Redaktion: Hermine Roth, Hannelore Schopfhauser, Ingeborg Sperl AutorInnen: Michaela Amstötter-Visotschnig, Verena Baumann, Winfried
Blum, Lisa Bohunovsky, Elisabeth Denk, Martina Fröhlich, Mailin Gaupp-Berghausen, Martin Gerzabek, Michael Hein, Doris Kampas, Georg Lair, Willibald Loiskandl, Adam
Pawloff, Christoph Pfeifer, Ulrike Piringer, Eva Ploss, Hermine Roth, Georg Sachs, Jasmin Schiefer, Gerlinde Scholl, Kirsten Sleytr, Ingeborg Sperl, Alexandra Strauss-Sieberth,
Walter Wenzel, Sophie Zechmeister-Boltenstern. Lektorat: Susanne Hartmann Grafik: Patricio Handl Coverfoto: Martin H. Gerzabek Druck: Druckerei Berger Auflage: 9.000
Erscheinungsweise: 4-mal jährlich • Blattlinie: Das BOKU Magazin versteht sich als Informationsmedium für Angehörige, AbsolventInnen, Freundinnen und Freunde der
Universität für Bodenkultur Wien und soll die interne und externe Kommunikation fördern. Namentlich gekennzeichnete Artikel geben die Meinung der Autorin oder des
Autors wieder und müssen mit der Auffassung der Redaktion nicht übereinstimmen. Redaktionelle Bearbeitung und Kürzung von Beiträgen aus Platzgründen vorbehalten.
Beiträge senden Sie bitte an michaela.klement@boku.ac.at

         BOKU Magazin 1 2015
                                                                                                                                                                              3
BOKU - UNSER BODEN WIR STEHEN DRAUF
Verborgene Schätze
Joseph Strauss ist Professor am Department für Angewandte Zellbiologie und Genetik. Während er in sei-
                                                                                                               Von Georg Sachs

ner Forschung der noch unentdeckten genetischen Vielfalt der Pilze nachspürt, vermittelt er in der Lehre,
dass man sich vor Genen nicht zu fürchten braucht.

P
        ilze sind Lebewesen von er-        Ebenso vielfältig sind die möglichen       ihrerseits die Zyklen dieser Elemente
        staunlicher Vielseitigkeit. Ihre   Stoffwechselwege der Organismen, mit       im Boden. Nicht weniger bedeutsam ist
        Formenvielfalt reicht von den      denen sie in zahlreichen ökologischen      andererseits aber auch die Rolle, die be-
        einzelligen Hefen über den         Nischen eine wichtige Rolle spielen. Ein   stimmte Pilzgattungen als Auslöser von
        farbigen Belag von Schimmel-       Beispiel dafür ist der Nährstoffumsatz     Pflanzenkrankheiten und Produzenten
pilzen bis hin zu den großen Frucht-       im Boden: Je nach Angebot von Stick-       der gefürchteten Pilzgifte (Mykotoxine)
körpern der Ständerpilze. Ein und          stoff- und Kohlenstoffverbindungen         spielen. Die Erforschung derartiger Zu-
dieselbe Art tritt in verschiedenen Ent-   bilden Schimmelpilze unterschiedliche      sammenhänge ist das Arbeitsgebiet von
wicklungsstadien auf, die sich äußer-      primäre und sekundäre Stoffwechsel-        Joseph Strauss, Professor für Genetik
lich stark voneinander unterscheiden.      produkte aus und beeinflussen damit        und Funktionelle Genomforschung der

                                                                                                       BOKU Magazin 1 2015
4
BOKU - UNSER BODEN WIR STEHEN DRAUF
Pilze am BOKU-Standort Tulln. Schon         Epigenetik: Was auSSer                    die Basensequenz der DNA verändert
während seiner Dissertation an der Uni-     DNA noch vererbt wird                     wird. „Wir haben festgestellt, dass die
versité Paris-Sud ist Strauss dem Thema     Die Forschungsgruppe in Paris unter-      von den Schimmelpilzsporen gebil-
Stickstoffverwertung durch Bodenpilze       suchte Pilze auf molekulargenetischer     deten Tochterzellen so lange epigene-
begegnet. „Ich wollte nach meiner Di-       Ebene. Dort betrachtete man die ver-      tisch ident sind, bis ein äußerer Reiz
plomarbeit im Ausland weiterstudieren,      schiedenen Mechanismen, mit denen         die Zellen in einen anderen Modus
und weil mir Paris so gut gefallen hat,     festgelegt wird, was von den im Erbgut    versetzt.“ Als ein solcher Reiz kommt
hab ich mir angesehen, welche Arbeits-      gespeicherten Möglichkeiten in einer      beispielsweise der Angriff von Bak-
gruppen es dort gibt.“ Mit Claudio Scaz-    bestimmten Situation tatsächlich rea-     terien infrage, die mit den Pilzen um
zocchio, einem international angese-        lisiert wird. Dabei spielen sogenannte    denselben Lebensraum konkurrieren.
henen Molekulargenetiker, wurde sich        „epigenetische“ Prozesse eine entschei-   In Bedrängnis gekommen, schalten die
Strauss schnell einig und reichte zur Fi-   dende Rolle: Die DNA-Stränge, die Trä-    Pilze gleichsam epigenetisch um und
nanzierung des Aufenthalts für ein Aus-     ger der Erbinformation sind, wickeln      ermöglichen dadurch die Produktion
landsstipendium ein. Während er noch        sich im Zellkern um Proteine (die His-    von Stoffwechselprodukten, mit denen
auf dessen Bewilligung wartete, besuch-     tone) herum und bilden auf diese Wei-     sie sich gegen die Bakterien zur Wehr
te er einen Crash-Kurs in Französisch       se das Chromatin-Gerüst. Bestimmte        setzen können. „Durch die Sequenzie-
– und hängte zur Verbesserung seiner        Veränderungen an diesen Strukturen        rung des Genoms der Pilze hat man er-
Spanisch-Kenntnisse kurzerhand eine         können an die Tochtergeneration der       kannt, dass die Diversität an bioaktiven
Reise durch Südamerika an.                  Zelle weitergegeben werden, ohne dass     Stoffen, die von den Mikroorganismen

       BOKU Magazin 1 2015
                                                                                                                            5
BOKU - UNSER BODEN WIR STEHEN DRAUF
gebildet werden können, wesentlich        men einem systematischen Screening         Arbeiten den vom Wissenschaftsfonds
höher ist als zunächst angenommen“,       nach bioaktiven Substanzen und neuen       FWF vergebenen START-Preis, der ihm
erklärt Strauss. Derartige bioaktive      Enzymen unterzogen werden sollen.          den Aufbau einer eigenen Arbeitsgrup-
Stoffe können ganz unterschiedliche       Besonders interessant ist aufgrund der     pe ermöglichte. Mit dem Geldrucksack
Funktionen haben: Unter ihnen sind        steigenden Resistenzproblematik dabei      auf dem Rücken klapperte er verschie-
die für Mensch und Tier gefährlichen      das Auffinden neuer Antibiotika-Klas-      dene österreichische Universitäten ab
Mykotoxine ebenso wie solche, die         sen. Das Projekt ist aber noch breiter     und fand schließlich an der BOKU die
nützliche Funktionen mitbringen und       definiert: „Wir fokussieren uns nicht      Möglichkeit, ein gerade frei gewordenes
etwa als neuartige Klassen von Anti-      nur auf Stoffwechselprodukte, sondern      Labor zu übernehmen. Auch thematisch
biotika, Cholesterinsenker, Zytostatika   halten auch nach Enzymen mit neuar-        konnte er hier an die bestehenden For-
etc. zum Einsatz kommen können. Vie-      tigen Funktionen Ausschau“, erläutert      schungsaktivitäten zum Stickstoffkreis-
le von ihnen sind im Labor bislang un-    Strauss. Geplant ist der Aufbau großer     lauf im Boden ideal andocken. Nach
entdeckt geblieben, weil ihre Produkti-   Substanzbibliotheken, die mithilfe von     dem Ende der durch das START-Pro-
on dort häufig epigenetisch stillgelegt   Robotern automatisiert auf bestimmte       gramm finanzierten Periode wechselte
ist: „Wenn wir Schimmelpilze kultivie-    Wirkungsprofile durchsucht werden          Strauss 2006 an die damaligen Austri-
ren, schauen wir ja, dass es ihnen gut    können. Finanziert vom Bund und vom        an Research Centers nach Seibersdorf,
geht“, schmunzelt Strauss. „Dadurch       Land Niederösterreich, soll eine Core      mit denen er schon zuvor im Rahmen
besteht für sie kein Anlass, bestimmte    Facility entstehen, die von verschiede-    des Projekts „Nitrogenomics“ zusam-
Metaboliten zu produzieren, um sich       nen Einrichtungen und Universitäten        mengearbeitet hatte. Der Wissenschaft-
zur Wehr zu setzen.“                      genutzt werden kann.                       ler erhielt den Auftrag, eine Abteilung
                                                                                     für Genomforschung und Analytik der
Hochdurchsatzverfahren                    Die vielen Stationen                       Pilze aufzubauen, um die Expertise der
für die Stoffsuche                        einer Forscherkarriere                     bestehenden Teams zur Molekularbio-
Der wissenschaftlich-technisch ori-       Bereits Strauss’ Arbeit in der Gruppe      logie der Bakterien und Pflanzen zu
entierte Teil von Strauss’ Arbeiten ist   an der Université Paris-Sud resultierte    ergänzen.
durch ein jüngst an Land gezogenes        in einer Schlüsselpublikation zur Epige-
Großprojekt um eine Facette reicher: Im   netik der Schimmelpilze, die im renom-     Doch mittlerweile war auch an der
Rahmen von BiMM (was für „Bioactive       mierten EMBO Journal veröffentlicht        BOKU das Interesse an dem Thema
Microbial Metabolites“ steht) wird wis-   wurde. Nach Postdoc-Aufenthalten in        wieder gestiegen. 2011 wurde eine Pro-
senschaftliche Infrastruktur aufgebaut,   Innsbruck, Paris und an der TU Wien er-    fessur für Genetik und Funktionelle
mit der Pilze und andere Mikroorganis-    hielt der Forscher auf Grundlage dieser    Genomforschung der Pilze ausgeschrie-

                                                                                                     BOKU Magazin 1 2015
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BOKU - UNSER BODEN WIR STEHEN DRAUF
Joseph Strauss
                                                                                      Universitätsprofessor für Genetik und
                                                                                      Funktionelle Genomforschung der Pilze
                                                                                      am Department für Angewandte Zellbio-
                                                                                      logie und Genetik
                                                                                      Gruppenleiter am Austrian Institut of
                                                                                      Technology (AIT)

                                                                                      Werdegang
                                                                                      1989  Abschluss des Studiums der
                                                                                            Genetik und Mikrobiologie an
                                                                                            der Universität Wien, Diplom-
ben, Strauss erhielt den Zuschlag. Im       neter Gene sehr nützliche Eigenschaf-           arbeit an der TU Wien
Rahmen eines Kooperationsvertrags           ten für eine nachhaltige Landwirtschaft
                                                                                      1993        Promotion an der Université
mit der BOKU finanziert die Seibers-        erzielen. „Ich scheue mich auch nicht,                Paris-Sud
dorf-Nachfolgeorganisation AIT die Pro-     solche Dinge in meinen Vorlesungen
fessur mit. Strauss ist auf diese Weise     anzusprechen und betreibe zu diesem       1993–       Postdoc-Aufenthalte an der
                                                                                      2000        Universität Innsbruck, am
heute in beiden Organisationen veran-       Thema eine eigene Facebook-Seite
                                                                                                  Dartmouth College (USA), an
kert – ein Umstand, den er als „inter-      (‚BOKU-Agrargenetik‘), um die Studie-                 der Université Paris-Sud und
essante Lebenserfahrung“ bezeichnet:        renden sozusagen auf all ihren Kanälen                an der TU Wien
„In beiden Organisationen gibt es un-       zu erreichen“, bekennt Strauss. Gerade
                                                                                      1999        START-Preis des FWF
terschiedliche Schwerpunkte in der For-     neueste Technologien wie das Genome
schung und damit auch unterschiedli-        Editing, bei dem neue Gene durch ei-      2000–       Forschungsleiter der Arbeits-
che administrative Abläufe“, so Strauss.    nen der Natur abgeschauten Prozess        2005        gruppe „Mikrobielle Genetik“
Es handle sich aber letztlich um ein ein-   in Organismen eingeschleust werden,                   am Institut für Angewandte
                                                                                                  Genetik und Zellbiologie,
ziges Team, das im Rahmen dieser Ko-        hält der Genetiker für vielverspre-
                                                                                                  BOKU Wien
operation aufgebaut wurde und das von       chend und vollkommen sicher. Strauss
beiden Kulturen profitieren kann. „Am       vertritt hier einen klaren Standpunkt:    2006–       Aufbau und Leitung der Ab -
AIT findet angewandte Forschung ge-         „In der öffentlichen Diskussion wird      2010        teilung „Genomforschung und
                                                                                                  Analytik der Pilze“ am Austrian
meinsam mit Unternehmen statt, wäh-         über Gentechnik gesprochen, als ob es
                                                                                                  Research Center Seibersdorf
rend Grundlagenforschung und Lehre          sich um eine Seuche handelt.“ Strauss                 (heute AIT)
Aufgabe der Universität sind“, erklärt      kritisiert in diesem Zusammenhang
Strauss die Aufteilung.                     auch die Medien: „Hier werden oft Hor-    2011        Berufung als Professor an die
                                                                                                  BOKU
                                            rorszenarien gezeichnet und leichtfer-
Bewusstseinsbildung                         tig Ängste geschürt.“ Manche Strategie
für BOKU-Studenten                          der Saatgut-MonopolistInnen sei zwar      Meinung zu dem vielschichtigen The-
Gerade in der Lehre ist es ihm dabei be-    durchaus fragwürdig, das könne aber       ma der genetischen Optimierung von
sonders wichtig, dass „Genforschung“        nicht der Technologie angelastet wer-     Nutzpflanzen bilden und kompetent an
an der BOKU positiv besetzt ist und         den. Strauss sieht seine Aufgabe darin,   den oft irrational geführten Debatten
als eine Schlüssel-Wissenschaft für die     die Studierenden, allen voran jene der    teilnehmen können.                 
„Biobased Economy“ der Zukunft ange-        Agrarwissenschaften, mit dem nötigen
sehen wird. So könne man in der Pflan-      technischen Know-how auszustatten,        Der Autor ist Chefredakteur der Zeitschrift Chemie-
zenzüchtung durch Einbringen geeig-         sodass sie sich selbst eine fundierte     report/Austrian Life Sciences.

       BOKU Magazin 1 2015
                                                                                                                                       7
BOKU - UNSER BODEN WIR STEHEN DRAUF
2015: Jahr des Bodens

                                                                                                                                Pia Minixhofer
Bedrohliche Gase                                                                          Von Sophie Zechmeister-Boltenstern

Böden können sowohl als Quelle als auch als Senke für klimarelevante Spurengase wirken. In welche Rich-
tung es geht, hängt sowohl von der menschlichen Nutzung als auch vom Klima selbst ab. Wir erforschen,
welche Faktoren dafür verantwortlich sind, ob sich ein Boden klimafreundlich verhält.

F
      ür das Klima dieser Erde spielen    tische Wärmeinseln in dicht verbautem      trifft? Es ist wie bei einem Blumen-
      Böden eine zentrale Rolle. Böden    Gebiet können die Gewitterhäufigkeit       topf, der lange nicht gegossen wurde.
      – die dünne Haut der Erde – sind    erhöhen.                                   Bei den ersten „Wiederbelebungsver-
      sehr belebt, sie atmen, verbrau-                                               suchen“ mit der Gießkanne kann das
chen dabei Sauerstoff und setzen CO2      Böden beeinflussen aber nicht nur das      Wasser nicht in den Boden eindringen
frei, so wie wir Menschen auch. Über      Klima, sondern sie werden auch umge-       und der Topf geht über. Genauso ist es
die Jahrtausende hat sich in Böden        kehrt vom Klima beeinflusst. Die emp-      in der Natur. Der Boden ist zunächst
Humus angereichert, und damit sind        findlichen Bodenlebewesen recyclen         wasserabweisend und das Wasser
Böden der größte terrestrische Kohlen-    jährlich große Mengen an organischem       fließt ab. Nur allmählich dringt Wasser
stoffspeicherpool und ein essenzieller    Material und setzen dabei riesige Men-     in den Boden ein, und dies setzt einen
Faktor im globalen Klimageschehen.        gen an Nährstoffen um. Stehen sie          Schwall von Gasen frei. Es dauert aber
Nicht nur global, sondern auch regional   unter Trockenstress, wie zum Beispiel      länger, bis sich der Boden wieder völlig
wirken Böden auf das Klima. Das merkt     bei einer lang anhaltenden Dürre, so       erholt hat und die Bodenorganismen
man überall dort besonders deutlich,      stellen sie ihre Aktivität temporär ein,   wieder normal atmen.
wo Böden durch Versiegelung und           sterben ab, oder kapseln sich ein, z. B.
Verbauung zerstört wurden und keine       als Sporen oder Zysten. Damit kommen       Welche Bedingungen mögen die Mik-
Pflanzen mehr wachsen. Bei Starkre-       sämtliche Prozesse zum Stillstand. Was     roorganismen am liebsten? Jeder kennt
gen fließt Wasser schneller ab und die    passiert nun, wenn ein heftiger Regen-     das aus seiner Küche: Schimmelpilze
Gefahr von Überflutungen steigt. Städ-    guss auf diesen ausgetrockneten Boden      und Bakterien (beide sind im Boden be-

                                                                                                     BOKU Magazin 1 2015
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BOKU - UNSER BODEN WIR STEHEN DRAUF
Pia Minixhofer
Sophie Zechmeister-Boltenstern zeigt die Messung von Treibhausgasemissionen unter simulierten Extremwetterereignissen im BOKU-Lehrforst Rosalia.

heimatet) verbreiten sich rasant, wenn           In früherer Zeit hat man sich vor „Irr-           chaea haben vor Jahrmillionen unsere
es warm und feucht ist. Das ist auch in          lichtern“ in Mooren gefürchtet. Heu-              Erdgasreserven gebildet. Heute fühlen
der Natur der Fall – unter warm-feuch-           te weiß man, dass es sich hierbei um              sie sich wohl in Reisfeldern, Müllde-
ten Bedingungen werden viele Boden-              Methangas handelt, ein Treibhausgas,              ponien, im Darm von Wiederkäuern
prozesse angeregt und es wird CO2 frei-          das 25-mal stärker wirkt als CO2. Was             und in der Gülle, und sie haben mit
gesetzt. Solange das Pflanzenwachstum            die wenigsten wissen: Methangas wird              menschlicher Hilfe einen globalen Me-
mithalten kann und die CO2-Freiset-              in den meisten Böden aus der Luft auf-            thananstieg verursacht. Es gilt also, die
zung durch vermehrte Photosynthese               genommen und von „Methanfressern“,                Methanfresser gegen die Methanbild-
kompensiert, bleibt die CO2-Bilanz auf-          sogenannten „methanotrophen“ Bakte-               ner auszuspielen, um das globale Me-
recht. Ist das Pflanzenwachstum jedoch           rien abgebaut – besonders in unseren              thanbudget wieder ins Gleichgewicht zu
gestört, z. B. nach einem Sturm und bei          Wäldern. Was brauchen diese „Methan-              bringen, und dabei ist eine ausreichen-
Windwurf im Wald, so entsteht ein Un-            fresser“ für ihre Arbeit? Sie brauchen            de Bodenbelüftung die beste Waffe.
gleichgewicht, und plötzlich wird ein            vor allem eine gute Luftzufuhr, das
Boden von einer CO2-Senke zu einer               heißt: genügend Sauerstoff für den Me-            Ähnlich verhält es sich mit dem drit-
CO2-Quelle. So kommt es zu heftigen              thanabbau. Sauerstoff ist lebensfeind-            ten Treibhausgas, dem sogenannten
Reaktionen zwischen Böden und dem                lich für die Methanbildner, die „me-              Lachgas. Das Lachgas heißt so, weil
Klima, sogenannten Rückkopplungsef-              thanogenen“ Archaea, eine ganz eigene             es früher als Droge verwendet wurde.
fekten. Aber nicht nur CO2 ist ein wich-         Lebensform, die weder mit Pflanzen,               Regelrechte Lachgaspartys wurden im
tiges Bodengas.                                  Tieren noch Bakterien verwandt ist. Ar-           18. Jahrhundert abgefeiert, und es kam

        BOKU Magazin 1 2015
                                                                                                                                               9
BOKU - UNSER BODEN WIR STEHEN DRAUF
zu gefährlichem Missbrauch, bis man                                                                        schaft bereits heute vielerorts klimaf-

                                                                                      Martin H. Gerzabek
dazu überging, diese „Droge“ in der Me-                                                                    reundlicher agiert als angenommen.
dizin als Anästhetikum zu nutzen, wie                                                                      Die Emissionsfaktoren pro eingesetzter
es bei unseren Großeltern auch noch                                                                        Düngermenge waren fast durchwegs
durchaus üblich war. Heute ist Lachgas                                                                     niedriger als in den internationalen
eines der gefürchtetsten Treibhausga-                                                                      Berichtspflichten vorgegeben. Im Folge-
se, weil es erstens fast 300-mal stärker                                                                   projekt NITROAUSTRIA gehen wir der
wirksam ist als CO2, es zweitens mit 114                                                                   Sache auf den Grund und berechnen die
Jahren Verweildauer in der Atmosphäre                                                                      Lachgasemissionen für ganz Österreich.
sehr langlebig ist und drittens überwie-
gend aus Böden kommt – der globale                                                                         Was müssen wir wissen, um
Anstieg des Vorkommens dieses Gases                                                                        die Zukunft zu bewältigen?
in den letzten 50 Jahren wird vor allem                                                                    Zur Reduktion von Treibhausgasemissi-
mit der Landwirtschaft in Verbindung                                                                       onen aus Böden brauchen wir vor allem
gebracht.                                                                                                  eines: sichere Zahlen. „Better numbers
                                                                                                           for better policies“ ist ein viel zitierter
Die Landwirtschaft:                                                                                        Ruf nach handfesten wissenschaftlichen
Täter oder Opfer?                                                                                          Grundlagen für die Umsetzung einer
Die Landwirtschaft leidet schon heute                                                                      klimafreundlichen Politik. Im Österrei-
unter immer häufigeren Wetterkaprio-                                                                       chischen Sachstandsbericht Klimawan-
len, welche die Sicherheit der Ernten                                                                      del (APCC, 2014) spielen Böden eine
gefährden und die Planung der Be-                                                                          wichtige Rolle, neben einem eigenen
wirtschaftung immer schwieriger ma-                                                                        Bodenkapitel – „Der Einfluss des Kli-
chen. Gleichzeitig stehen Landwirte                                                                        mawandels auf die Pedosphäre“ – wer-
unter enormem ökonomischem Druck                                                                           den diese sowohl beim „Wissenschaftli-
und sollen gleichzeitig intensivieren                                                                      chen Hintergrund“ als auch im Kapitel
und umweltfreundlich arbeiten. Dazu                                                                        „Land- und Forstwirtschaft, Wasser,
gehört auch eine Reduktion der Treib-                                                                      Ökosysteme und Biodiversität“ promi-
hausgasemissionen. Nur: Wie soll das                                                                       nent behandelt. Der Politik geht es vor-
gehen, ohne gleichzeitig Verluste einzu-                                                                   dergründig um Schadensbegrenzung,
fahren? Diese Problematik ist hochpoli-                                                                    deshalb ist sie vor allem an den mögli-
tisch und wird intensiv beforscht. Man                                                                     chen Auswirkungen des Klimawandels
spricht heute von „climate-smart agri-                                                                     auf die österreichische Land- und Forst-
culture“. Ein wichtiger Hebel ist hier                                                                     wirtschaft und ihre Böden interessiert.
die Stickstoffdüngung, nach wie vor                                                                        Wenn man langfristig denkt – und das
ein wesentlicher Faktor für den Ertrag.                                                                    sollte man als Universität – und die
Können wir Stickstoffdünger einsparen                                                                      Verantwortung für die heutigen Studie-
und damit Lachgasemissionen ohne                                                                           renden und die kommende Generation
Ertragseinbußen reduzieren? Dazu                                                                           wahrnimmt, dann muss man sich auch
muss man den Boden kennen und die                                                                          bemühen vorauszuschauen, und sich
Bodenorganismen verstehen. Ähnlich                                                                         fragen, welche Rückkopplungseffekte
wie bei Methan ist die beste Waffe ge-                                                                     zu erwarten sind. Wie funktioniert die
gen Lachgasemissionen der Sauerstoff.                                                                      Klima-Boden/Boden-Klima-Feedback-
Vor allem auf schweren Böden besteht                                                                       schleife? Wo können sich die Systeme
die Gefahr von Sauerstoffmangel und                                                                        selbst regulieren und wo können wir
einer raschen Umwandlung von Mine-          dämmen will. Lachgasemissionen sind                            als KonsumentInnen, LandwirtInnen,
ralstickstoff in Lachgas, und diese tritt   sowohl räumlich als auch saisonal sehr                         ForstwirtInnen, LandschaftsplanerIn-
besonders nach Regenfällen auf. Daher       ungleich verteilt: Man spricht von „hot                        nen, Umwelt- und Bioressourcenma-
ist hier ein Blick auf die Wetterprognose   spots“ und „hot moments“. Ein „hot                             nagerInnen und BiotechnologInnen
vor der Düngung empfehlenswert sowie        spot“ kann zum Beispiel eine Region                            regulierend eingreifen, sodass Böden
eine sorgsame Auswahl der Fruchtfolge       mit verdichteten Böden, hohen Nieder-                          in der Zukunft vermehrt als Treibhaus-
zu beachten. Nicht jede Winterbegrü-        schlägen und Industrieumfeld sein; ein                         gassenke wirken und das globale Kli-
nung ist etwa geeignet, um die Lachgas-     „hot moment“ ein Warmwettereinbruch                            ma langfristig stabilisiert wird?
emissionen einzudämmen, wie neueste         mit Regen mitten im Winter. Diese gilt
Forschungsergebnisse zeigen. Vor al-        es herauszufinden. Mathematische Mo-
lem ist es wichtig zu wissen, wo man in     dellierungsergebnisse aus dem Klima-                           APCC (2014): Österreichischer Sachstandsbe-
                                                                                                           richt Klimawandel 2014 (AAR14) Verlag der
Österreich ansetzen soll, wenn man die      fonds-Projekt FARMCLIM deuten darauf                           Österreichischen Akademie der Wissenschaften
landesweiten Lachgasemissionen ein-         hin, dass die österreichische Landwirt-                        und Climate Change Centre Austria, Wien.

                                                                                                                             BOKU Magazin 1 2015
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Recycling: Es kommt auf alle an
Das Seminar am Institut für Abfallwirtschaft konnte man wahrhaft international nennen. „TIWaSiC –
Advanced Training in Integral Sustainable Waste Management for Siberian Companies and Authorities“
mag wohl ein etwas sperriger Titel sein, aber wer sich davon nicht abschrecken ließ, konnte auch als Laie
einen durchaus spannenden Blick nach Osten werfen.
                                                                                                         Interview: Ingeborg Sperl

E
    in Gespräch mit Olga Ulanova, der

                                                                                                                                     Ingeborg Sperl
    russischen Koordinatorin und stell-
    vertretenden Leiterin des Zentrums
„Baikal Waste Management“ und Chris-
toph Wünsch, Projektleiter von der TU
Dresden, macht deutlich, wie kompli-
ziert es sein kann, das gemeinsame An-
liegen Umweltschutz in differierenden
politischen und kulturellen Strukturen
zu verankern. Im Prinzip ging es dar-
um, die besten Anreizsysteme für die
betriebliche Abfallwirtschaft zu finden
und die Erfahrungen in der EU und in
Russland auszutauschen.

So meint Wünsch, dass relevante
Technologien zwar exportiert werden
können, dies aber aufgrund der Unter-
schiedlichkeit der Abfälle – die sehen
nämlich überall anders aus – gar nicht
so einfach geht. „Wir können unsere Er-
fahrung und unser Wissen weitergeben        Christoph Wünsch und Olga Ulanova
und an das Wissen, das in Russland vor-
handen ist, anknüpfen.“                     wieder von vorne an. Die Bereitschaft         Es geht um Anreizsysteme für jeden
                                            zur Weiterbildung ist nicht sehr groß.        einzelnen Bürger.“
Olga Ulanova: „Die Russische Födera-        In der Praxis sind ExpertInnen deshalb
tion besteht offiziell aus 84 Föderati-     nicht beliebt, weil sie oft zu akademisch     Kollegen aus Polen berichteten, dass
onssubjekten, für die bezüglich Abfall      sind. Das müssen wir ändern und da-           Entsorgungsunternehmen nicht profita-
dieselben Gesetze gelten. Daraus wird       für Fortbildungskurse entwickeln. Von         bel seien und zogen ein knappes Fazit:
dann eine regionale Gesetzgebung ent-       den offiziellen Behörden ist wenig zu         Wenn man nicht gezwungen wird, wird
wickelt. Große Betriebe werden über-        erwarten, man muss sich selbst organi-        nichts gemacht.
wacht, müssen Filter einbauen und der-      sieren. Russland hat viele unbewohnte
gleichen, bei kleineren Betrieben ist die   Flächen, da ist es leicht, etwas illegal zu   Olga Ulanova hat sich zunächst mit der
Kontrolle schwieriger. Wir haben große      entsorgen.“                                   Aufbereitung von Seltenen Erden be-
Probleme mit den Halden, die der Berg-                                                    fasst und ist 2005 zum Waste Manage-
bau hinterlässt, und wir haben eine         Als positives Beispiel hebt Ulanova           ment gekommen. Sie arbeitet an der
große chemische Industrie. Was absurd       Kaliningrad hervor. Dort gibt es viele        Technischen Universität Irkutsk und ist
erscheint: In der EU gibt es schon lange    freiwillige Helfer, die sich in einem Ver-    Koordinatorin von deutsch-russischen
ein Umweltbewusstsein – aber auch in        band zusammengeschlossen haben, der           Umweltprojekten am Baikalsee sowie
Russland waren wir vor der Perestroika      die Entsorgungsunternehmen unter-             Vizeleiterin des internationalen Um-
schon weiter.“                              stützen will.                                 weltzentrums „Baikal Waste Manage-
                                                                                          ment“.
„Wir waren vor der Perestroika              Wünsch: „Bei uns bekommt man alles
schon weiter.“                              mit, weil wir dicht besiedelt sind. Daher     Christoph Wünsch befasst sich unter
„Es gab Abfallsammlung, Pfandfla-           gibt es dann auch sofort Bürgerinitiati-      anderem mit thermischer Abfallbe-
schen, Metall wurde separiert. Die Recy-    ven. Die Situation in Moskau und St. Pe-      handlung und den dadurch entstehen-
clingbetriebe sind aber nach der Peres-     tersburg ist nicht vergleichbar mit der       den Treibhausgasemissionen sowie mit
troika pleitegegangen. Jetzt fangen wir     Situation außerhalb der großen Städte.        Emissionen aus Deponien.         

       BOKU Magazin 1 2015
                                                                                                                                11
2015: Jahr des Bodens

                                                                                                                                   Martin H. Gerzabek
Boden und Wasser –
Bodenwasserschutz                                                         Von Willibald Loiskandl und Alexandra Strauss-Sieberth

D
        er Boden, die Haut unseres Pla-    Der Boden ist der größte terrestrische     z. B. einen stickstoffhaltigen Dünger:
        neten, besteht nicht einfach aus   Kohlenstoffspeicher, die weltweit darin    Solange das Nitrat im durchwurzelten
        festen Bestandteilen, sondern      gebundene Kohlenstoffmenge wird auf        Bodenbereich ist, sprechen wir von
        beinhaltet daneben auch das Bo-    1.580 Gigatonnen geschätzt. Hervorzu-      einem Nährstoff. Kommt es jedoch zu
denwasser und die Bodenluft. Die fes-      heben in diesem Zusammenhang sind          einer Verlagerung in größere Tiefen –
ten Bestandteile setzen sich in der Re-    die Filter- und Pufferfunktionen des       und damit in das Grundwasser – wird
gel aus mineralischen und organischen      Bodens: Wie schon aus dem Wort „Spei-      aus dem Nährstoff ein Schadstoff. Dazu
Anteilen zusammen. Das Bodenwasser         cher“ ersichtlich, werden durch die        kommt, dass die größten Grundwasser-
enthält und transportiert die gelös-       Bodenmatrix gelöste Stoffe zurückge-       vorkommen Österreichs sich meist in
ten Stoffe. Die Bodenluft sorgt für den    halten, d. h. eingelagert oder verzögert   intensiv landwirtschaftlich genutzten
notwendigen Gasaustausch. Damit ist        abgegeben. Veranschaulicht werden          Gebieten befinden.
ein komplexer Raum gegeben, der aus        kann dies durch die Düngeranwendung
drei Phasen besteht. Der Boden stellt      in der Landwirtschaft. Betrachten wir      Der Druck auf die natürlichen Res-
als Speicherraum die für die landwirt-                                                sourcen Wasser und Boden ist weltweit
schaftliche Produktion notwendigen                                                    weiter im Steigen begriffen, deshalb
                                           „Ein gesunder Boden mit intak-
„Betriebsmittel“ Wasser und Nährstoffe                                                muss dem Schutz des natürlichen Le-
zur Verfügung. Eine weitere viel disku-    ten Funktionen ist die Grund-              bensraums die höchste Priorität einge-
tierte Speicherfunktion ist die Bindung    lage für eine nachhaltige                  räumt werden. Nutzungskonflikte sind
von Kohlenstoffdioxid (CO2) im Boden.      Land- und Forstwirtschaft.“                vorprogrammiert. Für die Nahrungs-

                                                                                                        BOKU Magazin 1 2015
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„Der Boden wird aufgrund
                                                                                                        seiner Bedeutung für die Le-
                                                                                                        bensmittel- und Biomassepro-
                                                                                                        duktion, seiner Reinigungs-
                                                                                                        leistung für Grundwasser,
                                                                                                        Nahrungskette und Atmo-
                                                                                                        sphäre sowie seiner Lebens-
                                                                                                        raumfunktion für zahlreiche
                                                                                                        Organismen (Genreserve) als
                                                                                                        eines der kostbarsten Güter
                                                                                                        der Menschheit bezeichnet.“

Abbildung 1: Tropfbewässerung (links) und Notentwässerung (rechts) in Äthiopien

produktion sind optimale Bedingun-                                                                      ter anderem darin, dass Nährstoffe im
                                               Thinkstock

gen der Wasserversorgung gefragt. Der                                                                   Wurzelraum aufgenommen werden und
Mensch in allen Teilen der Welt greift                                                                  die Bodenfruchtbarkeit erhöht wird.
dazu auf vielfältige Weise ein: Ist zu-
wenig Wasser im Boden, wird bewäs-                                                                      Aus den beschriebenen komplexen Zu-
sert, bei zu viel Wasser muss dieses                                                                    sammenhängen ergibt sich die Kausal-
entsprechend abgeführt werden (Ab-                                                                      kette:
bildung 1).
                                                                                                         Bodenwasserschutz = Grundwasserschutz
Der Schutz des Bodens hat die Erhal-                                                                     Bodenwasserschutz ist Teil der Landnutzung
tung seiner Leistungsfähigkeit zum
Ziel. Damit ist wie ein siamesischer                                                                    Der Schutz der Ressourcen Boden und
Zwilling der Schutz des Bodenwassers                                                                    Wasser war und ist der Universität
verbunden. Veränderungen im Boden                                                                       für Bodenkultur Wien (BOKU) gene-
und im Bodenwasser beeinflussen un-                                                                     rell und besonders der landeskultu-
mittelbar das Grundwasser und die                                                                       rellen Wasserwirtschaft (IHLW) stets
Oberflächengewässer. Es ist sofort ein-                                                                 ein besonderes Anliegen. Dies wird
sichtig, dass die größenmäßige Ver-                                                                     auch durch das Mission Statement des
ringerung der „freien“ Bodenfläche zu                                                                   IHLW verdeutlicht: „Alles Planen und
einer Reduzierung des zur Verfügung                                                                     Handeln in jenem Teil des Wasser-
stehenden Leistungspotenzials des Bo-                       Das Bodenwasser ist nicht nur der           kreislaufs, in dem das Wasser in Wech-
dens führt. Der Verlust an organischer                      wichtigste Faktor für die Existenz und      selwirkung mit dem Boden tritt. Dabei
Substanz ist in Europa bereits manifest,                    Entwicklung der Pflanzenbedeckung,          gilt es, die Ressourcen Wasser und
so weisen 45 Prozent der Böden Euro-                        sondern es ist das aktivste Bindeglied      Boden optimal zu nutzen, zu schützen
pas einen organischen Kohlenstoffge-                        im kontinentalen Wasseraustausch –          und als Lebensgrundlage nachhaltig
halt von 0–2 Prozent auf und weitere                        vielfach auch als „grünes Wasser“ be-       zu sichern.“
45 Prozent liegen in einem Bereich von                      zeichnet. Damit ist es auch ein Element
2–6 Prozent. Für die Bodenverdichtung                       des globalen Klimasystems, denn Bo-         Nachhaltige Entwicklung ist ohne ei-
werden mehr als 30 Prozent der Unter-                       denwasser trägt zum Klima wesentlich        nen sorgsamen Umgang mit dem Boden
böden als stark verdichtet bzw. gefähr-                     bei. Nicht zuletzt ist es entscheidend      nicht möglich. Einer ethischen Betrach-
det ausgewiesen. Dazu kommt noch die                        für den Stofftransport und die Stoffum-     tung und der damit verbundenen Bil-
qualitative Belastung, vor allem durch                      setzung im Boden.                           dungsarbeit kommt für die nachhaltige
die menschliche Tätigkeit. Wie jeder                                                                    Sicherung der Ressource Wasser und
Filter hat auch der Boden eine maxi-                        Der Boden- und Grundwasserschutz ist        des Lebensraumes Boden eine zentrale
male Belastungskapazität. Das kommt                         in der EU-Richtlinie EC 1257/1999 gere-     Bedeutung zu.
vor allem zum Tragen, wenn wir von                          gelt, die Umsetzung in Österreich erfolgt
Stoffen sprechen, die nicht abgebaut                        im ÖPUL (Österreichisches Programm          Was zur Hoffnung Anlass gibt, ist, dass
oder als Nährstoffe gebraucht werden.                       einer umweltgerechten Landwirtschaft),      dieses Bewusstsein durchaus vorhan-
Denken wir an die Diskussion der Aus-                       wo unter anderem die Düngermengen           den ist, wie auch auf der Homepage des
bringung von Klärschlamm, der meist                         und die Belastung durch Viehhaltung         Lebensministeriums nachlesbar. Was
– wenn auch in geringen Mengen –                            geregelt sind. Ein wesentliches land-       weiters zur Hoffnung Anlass gibt, ist
Schwermetalle enthält. Dabei stellt sich                    wirtschaftliches Umweltinstrument im        „die Rückeroberung des Bodens in den
die Frage: Wie viel können wir dem Bo-                      ÖPUL ist die Zwischenbegrünung. Eine        Städten“, wie z. B. im „ÖkoSTANDARD“
den zumuten?                                                ihrer vielfältigen Aufgaben besteht un-     (September 2013) zu lesen war.      

       BOKU Magazin 1 2015
                                                                                                                                                 13
2015: Jahr des Bodens

Bemerkungen: Keine Daten für Moldawien; Verschneidung mit Ackerflächen (CORINE 2006); rot: Donaueinzugsgebiet; weiß: keine Ackerfläche. Faktoren: Klima, Boden,
Topographie, Bewässerung, Ansprüche der Kulturarten. Quelle: GLUES-Projekt, LMU Dresden, CORINE 2006, European Environment Agency

Potenziale der Böde
 Die noch ungenutzten Kornkammern Europas

D
      ie Donau durchfließt während ih-                  besondere Rolle zu, da einerseits große                  (Region Bukarest bzw. Südrumänien)
      res Verlaufs große landwirtschaft-                Ertragspotenziale vorhanden sind, aber                   flächig vorkommen (siehe Karte). Aller-
      liche Gebiete. Als Gebirgsfluss                   andererseits Umweltprobleme wie die                      dings zeigen sich zwischen zwei relativ
durchquert sie die Wiesen und Weiden                    Eutrophierung der Gewässer u. a. von                     ähnlichen Produktionsregionen wie der
der Voralpen, und nach Niederösterreich                 ihr ausgehen. Eine Schlüsselrolle in                     Walachei und Niederösterreich große
erreicht sie die Kleine und Große Unga-                 dieser Thematik nimmt der Boden ein,                     Unterschiede in den Erntestatistiken.
rische Tiefebene. Der Ackerbau ist von                  die Grundlage der landwirtschaftlichen                   Während im östlichen Österreich für
hier an die dominierende Landnutzung.                   Produktion. Im gesamten Einzugsgebiet                    Weizen ca. 4,5 t/ha Ertrag erreicht wer-
Weitere 1.000 km führen die Donau                       sind viele fruchtbare Böden (gemäß der                   den, beläuft sich jener Wert für Südru-
durch große Produktionsgebiete wie                      internationalen Klassifikation World Re-                 mänien nur auf rund 2,5 t/ha (Quelle:
Slawonien, die Vojvodina oder die Wala-                 ference Base for Soil Resources – WRB:                   Eurostat). Dieses Steigerungspotenzial
chei. Die 14 Donauländer schlossen sich                 Chernozems, Phaeozems, Luvisols zu                       vom aktuellen zum potenziellen Ertrag
2011 im Rahmen der Donauraumstra-                       jeweils ca. 50.000 km2) bereits unter                    (siehe Tabelle) wird in der Literatur als
tegie (EUSDR) zusammen, um Belange                      ackerbaulicher Nutzung. Als besonders                    „Yield gap“ bezeichnet. Die Ursachen
wie den Umweltschutz oder die allge-                    fruchtbar werden Schwarzerden (Cher-                     für diese Diskrepanz können vielfäl-
meine Wohlstandslage in der Region zu                   nozems und Phaeozems) auf Löss er-                       tig sein und reichen von Bewirtschaf-
verbessern. Der Landwirtschaft im Do-                   achtet, die im Dreiländereck Ungarn-Ös-                  tungsmaßnahmen über naturräumliche
nauraum kommt in diesem Kontext eine                    terreich-Slowakei bzw. in der Walachei                   Voraussetzungen bis zu Umweltschutz-

                                                                                                                                       BOKU Magazin 1 2015
14
Quantitative Darstellung der Produktionspotenziale für Weizen im Donauraum

   Weizen-     Ausgangsproduktion 		75 % des potenziellen Ertrags
   produktion							                        (Yield gap)

   Länder                      Anbau-   Ertrag Produktion Ertrag                                        Produktion             Produktions-
                                fläche  (t/ha)  (1000 t)	Neu                                             (1000 t)             steigerung (%)
                              (1000 ha)			                (t/ha)

   Österreich                      267              5.0              1.325                6.2               1.669                    26.0
   Bosnien-
   Herzegowina                     95               2.8               269                 5.6                529                     96.3
   Bulgarien                      1.124             2.8              3.154                4.4               4.993                    58.3
   Deutschland                   2.473              7.2             17.804                7.3               18.005                     1.1
   Kroatien                        219              3.9               844                 5.3                1.155                   36.8
   Tschechien                      725              4.4              3.202                5.4               3.915                    22.3
   Ungarn                         1.051             3.7              3.894                4.7               4.884                    25.4
   Moldawien                       373              2.3               849                 5.0               1.876                    120.9
   Rumänien                       1.994             2.5              4.984                4.2               8.401                    68.6
   Serbien                        698               3.3              2.287                5.5               3.817                    66.9
   (inkl. Montenegro)
   Slowakei                       385               3.9              1.481                6.0               2.321                    56.8
   Slowenien                       35               4.3               149                 6.0                212                      41.6
   Donauländer*                  6.967              3.5             22.439                5.3               33.771                   56.4
  Bemerkungen: Basisjahr 2000; *excl. Deutschland                                                                    Quelle: (nach Foley et al., 2013)
  Yield gap = potenzieller Ertrag (AY) – aktueller Ertrag (Basis 2000); Intensivierungsmaßnahmen umfassen
  i.d.S. Düngung und Bewässerung.

en des Donauraums                                             Von Walter Wenzel und Leopold Rittler

  belangen, wie z. B. die Wasserrahmen-                     dens müssen Einschränkungen und                              Versalzung in Teilen der Großen Unga-
  richtlinie (WRRL). Außerdem schätzen                      diverse Probleme berücksichtigt wer-                         rischen Tiefebene.
  Studienergebnisse, dass eine Verklei-                     den, da sonst eine Degradation droht.
  nerung des Yield gap in Rumänien auf                      Sogenannte „Soil threats“, also Ge-                          Dieses Spannungsfeld aus Ertragsstei-
  etwa 50 Prozent – unter Beachtung der                     fährdungen wie z. B. Erosion, gehen                          gerungen und Bodenschutz im Donau-
  diversen naturräumlichen Vorausset-                       in den meisten Fällen von unangepass-                        raum wird derzeit in dem durch den
  zungen – zu einer absoluten Produkti-                     ten Bewirtschaftungsweisen aus und                           CASEE Fund for Incentives geförderten
  onssteigerung von 25 Prozent führen                       führen in Folge zu einer Verringerung                        Forschungsprojekt „The soils in the Da-
  könnte. Hiermit wird auch klar, welches                   der Bodenqualität. Die verschiedenen                         nube region: Threats and opportunities
  Potenzial in den Donauländern auch für                    Bodengefährdungen sind je nach Art                           for sustainable soil use“ gemeinsam mit
  die Gewinnung von Biomasse als erneu-                     und von Region zu Region unterschied-                        ForscherInnen unserer Partneruniver-
  erbarem Energieträger und somit für                       lich stark ausgeprägt: Winderosion auf                       sitäten im Donauraum bearbeitet. Im
  eine Weiterentwicklung der Bioökono-                      nicht bewaldeten Flächen in der Donau-                       Rahmen des Projekts arbeitet Leopold
  mie in der Region liegt.                                  tiefebene, Wassererosion auf geneigten                       Rittler am Institut für Bodenforschung
                                                            Äckern wie z. B. in Südmähren oder                           an seiner Masterarbeit. Die Ergebnisse
  Die Schließung des Yield gap ist – wie                    in Ostrumänien, Bodenversiegelung                            werden Ende Mai im Rahmen der CA-
  schon oben angedeutet – von einigen                       besonders im städtischen Umfeld oder                         SEE-Konferenz in Nitra vor Forschenden
  Faktoren abhängig. Bezüglich des Bo-                      Desertifikation (Wüstenbildung) und                          aus Mittel- und Osteuropa präsentiert.

           BOKU Magazin 1 2015
                                                                                                                                                               15
2015: Jahr des Bodens

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Brauchen wir eine nachhaltige
Intensivierung der Landwirtschaft?                                        Von Winfried E. H. Blum, Georg Lair und Jasmin Schiefer

U
      m die Menschheit zu ernähren,          den Müll geworfen, und am Weltmarkt       Wie aus Abbildung 1 mit globaler Dar-
      müssen wir bis zum Jahr 2050,          spekuliert man mit Nahrungsmitteln,       stellung der Bodenqualität in neun
      d. h. in den nächsten 35 Jahren, die   etwa mittels Derivate-Handel, was die     Qualitätsklassen hervorgeht, sind diese
Nahrungsmittelproduktion verdoppeln.         Nahrungsmittelpreise und die Fluktu-      12 Prozent (Klasse 1 – grün, Klasse 2
Jährlich wächst derzeit die Menschheit       ation erhöht.                             – dunkelblau und Klasse 3 – hellblau)
um ca. 80 Millionen, und 100–150 Mil-                                                  mit zwei Dritteln auf der Nordhalbku-
lionen wandern vom ländlichen Raum           Doch nur 12 Prozent der Erdoberflä-       gel und nur zu ca. einem Drittel auf der
in urbane Zentren oder werden dort           che sind für intensive Landwirtschaft     Südhalbkugel verteilt, wo die meisten
geboren und können daher keine ei-           geeignet, 24 Prozent für Weidewirt-       unterernährten Menschen leben.
genen Nahrungsmittel (z. B. in Subsis-       schaft, 31 Prozent für Waldwirtschaft,
tenzwirtschaft) erzeugen. Der Fleisch-       und 33 Prozent sind überhaupt nicht       Große Flächen mit den wertvollsten Bö-
konsum steigt seit Jahren weltweit an,       nutzbar – zu kalt, zu trocken, zu steil   den sind inzwischen durch Siedlungen,
wobei für 1 kg Geflügelfleisch ca. 2–3       oder zu hoch, bzw. es sind keine Böden    Industrieanlagen sowie Verkehrsflä-
kg Getreide, für 1 kg Schweinefleisch        vorhanden.                                chen versiegelt, wie die Nachtlichtbil-
ca. 4–5 kg und für 1 kg Rindfleisch bis                                                der der NASA in Abbildung 2 zeigen.
zu 10 kg Getreide benötigt werden. In        Auf diesen 12 Prozent der Erdoberflä-
den Industriestaaten – wie z. B. auch in     che leben ca. 25 Prozent der Weltbevöl-   Die Gründe hierfür liegen darin, dass
Österreich – wird bis zu einem Viertel       kerung und erzeugen alle im Handel        unsere Vorfahren vor der Siedlungs-
der gekauften Nahrungsmittel (meis-          befindlichen hochwertigen Nahrungs-       gründung die besten Böden suchten.
tens noch in Originalverpackung) in          mittel und agrarischen Rohstoffe.         Diese anfänglichen Siedlungen sind

                                                                                                        BOKU Magazin 1 2015
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inzwischen zu urbanen Zentren ange-

                                                                                                                                               Thinkstock
wachsen. Dies bedeutet gleichzeitig,
dass auch heute noch jeder Fläche-
nerweiterung nach außen die besten
Böden für die Landwirtschaft zum Op-
fer fallen. Dadurch gehen derzeit in
Österreich täglich 15–20 ha landwirt-
schaftlicher Boden verloren, in der Eu-
ropäischen Union (EU) ca. 800–1.000
ha. Weltweit verlieren wir täglich ca.
350–400 km2.

Um diese großen Verluste an agrari-
scher Produktionsfläche angesichts der
steigenden Nachfrage nach Nahrungs-
mitteln und agrarischen Rohstoffen (z.
B. für Biotreibstoffe) auszugleichen,
sind inzwischen bevölkerungsreiche
Industrieländer,     Großunternehmen
und Bankkonsortien dazu übergegan-
gen, Bodenflächen in fremden Ländern
verschiedener Kontinente zu kaufen
oder zu pachten („land grabbing“), da-
von allein in Afrika ca. 50 Mio. ha bis
zum Jahr 2011.

Angesichts dieser Entwicklungen und
aus weiteren Gründen haben wir am
Institut für Bodenforschung der BOKU
zusammen mit dem Europäischen Bo-
denbüro der JRC/Ispra, Italien sowie
RISE in Brüssel ein Konzept für eine
                                           Abb. 1: Weltweite Verteilung der Böden nach neun Qualitätsklassen. Nur die Klassen 1–3 mit insge-
nachhaltige Intensivierung der Land-       samt 12 % der Fläche können qualitativ hochwertige Nahrungsmittel und Rohstoffe erzeugen (Far-
wirtschaft in der EU auf der Basis von     ben grün, dunkelblau und hellblau); nach Blum, W.E.H. und Eswaran, H. 2004
Boden- und Landschaftsindikatoren
entwickelt (www.risefoundation.eu).
Hierbei konnten wir für jeden einzel-
nen EU-Mitgliedstaat aufzeigen, wo
Intensivierung möglich ist, wo exten-
siviert werden muss, um ökologische
Schädigungen zu vermeiden, wo eine
Intensivierung mit Einschränkungen
möglich ist und welche Flächen für eine
solche nicht geeignet sind.

Insgesamt sind in der EU (25 Staaten
berücksichtigt) 41 Prozent der Agrarflä-
chen für eine Intensivierung geeignet,
12 Prozent nur mit Einschränkungen.
43 Prozent sind ungeeignet und weite-
re 4 Prozent bestehender Agrarflächen      Abb. 2: Nachtlichtbild der Erde; nach NASA 2011
sollten extensiviert werden.
                                           darauf hinweisen, dass wir uns in Zu-             das Überleben der Menschheit und den
Mit diesem Konzept bezüglich einer         kunft alljährlich am 5. Dezember als              unabdingbaren Schutz der Natur zu si-
nachhaltigen Intensivierung der Land-      dem Internationalen Tag des Bodens                chern. „Wir erben das Land nicht von
wirtschaft in Europa wollen wir zum        daran erinnern sollten, dass Böden                unseren Eltern, wir leihen es von un-
Internationalen Jahr des Bodens 2015       eine endliche Ressource darstellen, mit           seren Kindern“ (kenianisches Sprich-
einen Beitrag leisten und gleichzeitig     der wir sorgsam umgehen müssen, um                wort).                            

      BOKU Magazin 1 2015
                                                                                                                                         17
Urban Gardening
                Ernte im Winter auf dem BOKU-Dach
               2015: Jahr des Bodens                                                        Von Gerlinde Scholl und Doris Kampas

                                                                                                                                     Thinkstock
W
       elche gemeinsame Leidenschaft                                                     praxisorientiertes Qualifizierungssemi-
       verbindet engagierte Kinder-            Eckdaten zum                              nar konzipiert und durchführt. Vermittelt
       gärtnerInnen mit erfolgreichen          Bildungsprojekt                           wird Basis- und Spezialwissen zur Be-
Top-ManagerInnen? Sie haben das Gärt-                                                    wässerung in Hoch- und Bodenbeeten im
                                            u Titel: „Bedarfsorientierte Bewässe-
nern für sich entdeckt! Die Selbstversor-                                                biologischen Gartenbau in Kombination
                                              rung von biologischen Mischkulturen
gung mit einer Vielfalt an hochwertigen       und Hochbeeten zur Selbstversor-
                                                                                         mit Kenntnissen zur Anwendung prak-
und biologisch erzeugten Produkten            gung“ (BeMischBEET)                        tischer Multimedia-Tools. Die gewählte
aus dem Garten erfreut sich zunehmen-       u Projektlaufzeit: 1.10.2014 bis 31.3.2015   Kombination aus Präsenzveranstaltun-
der Beliebtheit. Im städtischen Bereich     u Projektpartner:                            gen und durch E-Learning unterstützten
hat sich das City Farming oder Urban          s      bio-garten, DIin Doris Kampas,      individuellen Übungs- und Vertiefungs-
Gardening erfolgreich etabliert. Häufig              www.bio-garten.at                   phasen ermöglicht den TeilnehmerInnen
kommen hier Hochbeete zum Einsatz,          		 Die Firmeninhaberin ist gleich-           ein hohes Maß an Flexibilität. Ein beson-
da sie höhere Erträge auf kleinstem                  zeitig auch Projektleiterin und     deres „Highlight“ dieser Qualifizierungs-
Raum versprechen und nebenbei eine                   Konsortialführerin.                 maßnahme ist der fixe Praxisbestandteil
angenehmere Arbeitsposition gestatten.        s      Institut für Hydraulik und          der Seminare. So wurden im September
Doch egal ob im großzügig angelegten        		       landeskulturelle Wasserwirt-        2014 zwei Hochbeete aus dem Sortiment
Gemüsegarten oder im übersichtlichen                 schaft IHLW – WAU, BOKU             der Firma „bio-garten“ auf der Dachter-
Terrassenbeet: Eine ausreichende Was-       		Dr.in Gerlinde Scholl, BEd                 rasse eines BOKU-Gebäudes aufgebaut
serversorgung muss gewährleistet sein.      		 (wissenschaftliche Projekt-               und eine winterharte Pflanzenauswahl
                                            		leitung)                                   für Bio-Mischkulturen gesät. Seither
Hier knüpft das aktuelle sechsmonatige      		 Dr. Reinhard Nolz                         werden verschiedene Bewässerungssys-
Projekt „Bedarfsorientierte Bewässe-        		Dr.in Margarita Himmelbauer,               teme installiert und unter Praxisbedin-
rung von biologischen Mischkulturen                  BEd                                 gungen getestet.
und Hochbeeten zur Selbstversorgung“          s      der gartendoc, Jürgen Punzet
                                            u Förderprogramm: Forschungs-
(BeMischBEET) an. Dabei handelt es                                                       Sowohl für die SeminarteilnehmerIn-
                                              kompetenzen für die Wirtschaft;
sich um ein von der FFG gefördertes Bil-                                                 nen als auch das IHLW-Team ist es ein
                                              2. Ausschreibung Qualifizierungs-
dungsprojekt, bei dem das Projektteam                                                    spannendes Projekt – die Früchte un-
                                              seminare; FFG - Forschungsförde-
des IHLW für die und mit den beiden                                                      serer gemeinsamen Arbeit ernten wir
                                              rungsgesellschaft, Sensengasse 1,
Partnerunternehmen „bio-garten“ und           1090 Wien, Österreich
                                                                                         seit Wochen in Form von frischem Win-
„der gartendoc“ ein maßgeschneidertes                                                    tergemüse  ...                    

                                                                                                          BOKU Magazin 1 2015
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Bis vor Kurzem noch unbekannt: die älteste kar-
                                                                                      tographische Abbildung der Wiener Donau-Auen
                                                                                      zwischen Nussdorf und Stadlau aus dem Jahr 1632

Ein gemeinsames Naturerbe                                                                                         Von Ingeborg Sperl

W
        as bedeutet ein Fluss für die       Fluss auch internationale Forschungs-       auch wieder baden: Die Wasserqualität
        Menschen und das Ökosystem?         netzwerke generiert. Es war eine Folge      hat sich kontinuierlich verbessert und
        Transportweg, Grenze, Energie-      der Aufklärung, dass man versuchte,         das gemeinsame europäische Naturer-
erzeuger, Existenzgrundlage der Fischer,    die Natur zu „zähmen“, und es ist be-       be ist heute Teil des europäischen Netz-
Landschaftsgestalter, Tourismusmagnet,      zeichnend, dass das trotz aller Ingeni-     werkes Natura 2000.
Erholungsraum, Kriegsschauplatz, aber       eurskunst durch die Jahrhunderte nie
auch Bedrohung durch Hochwasser – es        wirklich befriedigend gelungen ist.         Der repräsentative Band ist populär-
gibt viele Ansätze, sich einem so wichti-   Der Ausbau der Wasserstraße ist nach        wissenschaftlich im besten Sinne. An-
gen Fluss wie der Donau zu nähern. Das      wie vor nicht nur ein wirtschaftliches      schauliche Statistiken und viele Fotos,
Buch „Österreichs Donau – Landschaft,       Thema, sondern hat auch politische Di-      darunter auch faszinierende histori-
Fisch, Geschichte“ verweist im Titel auf    mensionen.                                  sche Aufnahmen sowie ein Glossar ver-
die Schwerpunkte, um die es hier geht                                                   führen ganz wunderbar zum Lesen.
– und wurde zum überwiegenden Teil          Die Donau ist Lebensraum für 78 natür-
von WissenschaftlerInnen der BOKU ge-       lich vorkommende Süßwasser-Fischar-
schrieben.                                  ten, nimmt man die im Brackwasser
                                            des Deltas hinzu, kommt man auf 115
Die Donau fließt durch halb Europa          Arten. Die Donaufischerei war einst ein
und sehr verschiedene Landschaften.         wichtiger Wirtschaftsfaktor – heute ist
Die Urdonau hat vor 4,5 Millionen           der Wiener Fischmarkt Geschichte, die
Jahren riesige Täler ausgeschürft und       Berufsfischerei nicht mehr vorhanden.
vielmals ihren Lauf geändert. Das Do-       Dafür gibt es invasive Arten, die aber
naudelta wächst ständig durch den           – da unter Wasser – kaum wahrgenom-
Feststoffeintrag, wobei dieser durch        men werden: die Wandermuschel, den
die Wasserkraftwerke Veränderungen          nordamerikanischen Flusskrebs und
unterworfen wird. Die Eintiefung der        diverse Grundelarten. An der Wieder-
Flusssohle ist eines der Probleme, mit      einbürgerung des Störs, der bis zu ei-
dem sich die WissenschaftlerInnen der       ner Tonne schwer und sechs Meter lang
BOKU intensiv beschäftigen. Verbau-         werden kann, wird gearbeitet. Schiff-
ungen und Rückbauten, Revitalisie-          fahrt und Kraftwerke erschweren das         Jungwirth, M., Haidvogl, G., Hohensinner, S.,
rungen, Buhnen zur Erleichterung der        Fortkommen der Fische. Fischaufstiegs-      Waidbacher, H. & Zauner, G. (2014):
Schifffahrt und vieles mehr werden im       hilfen sind daher ein wichtiger Faktor      Österreichs Donau.
                                                                                        Landschaft – Fisch – Geschichte
Buch thematisiert, wobei anzumerken         für ein funktionierendes Ökosystem.         Institut für Hydrobiologie u.
ist, dass die Beschäftigung mit dem         Mittlerweile   kann man in der Donau        Gewässermanagement, BOKU Wien, 420 S.

       BOKU Magazin 1 2015
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