Es gilt das gesprochene Wort
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Otto Hirsch und Robert Bosch – ein persönlicher Blick auf eine „historisch gewordene“ Freundschaft Robert Jütte Es gilt das gesprochene Wort Robert Bosch und Otto Hirsch kannten sich bereits aus den 1920er Jahren. Für diejenigen unter Ihnen, die das Schicksal Otto Hirschs nicht im Detail kennen, seien zunächst die wichtigsten Stationen seines tragisch verlaufenden Lebens kurz rekapituliert. Otto Hirsch wurde am 9. Januar 1885 in Stuttgart geboren. Er besuchte das Eberhard-Ludwig-Gymnasium und studierte nach dem Abitur in Heidelberg, Leipzig, Berlin und Tübingen Rechtswissenschaften. Ab 1912 arbeitete er in der Stuttgarter Stadtverwaltung im Referat Bau- und Wasserrecht. 1921 wurde Otto Hirsch jüngster Ministerialrat in Württemberg. Im gleichen Jahr wurde er beurlaubt und zum Vorstandsmitglied der Neckar AG berufen, die den Bau des Neckarkanals betrieb. Gemeinsam mit dem Fabrikanten Leopold Marx und dem Musikpädagogen Karl Adler gründete er 1926 das Stuttgarter Jüdische Lehrhaus. Dessen wenig bekannte Geschichte hat übrigens 2016 meine Doktorandin Anja Waller vorbildlich rekonstruiert. Wenig bekannt ist dagegen, dass Otto Hirsch ein Jahr zuvor zusammen mit Theodor Bäuerle und leitenden Angestellten der Fa. Bosch Mitgründer der Volksschule im Sonnigen Winkel am Kräherwald war. Ihm wurde, so der für seine Reformpädagogik bekannte erste Schulleiter Friedrich Schrieker, „die Aufgabe übertragen, den jüdischen Teil meiner Elternschaft so auszuwählen, dass unsere Schule im besten Einvernehmen mit den christlichen Eltern in unverfälschter Weise nur dem Kind dienen konnte.“ Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 musste Hirsch seinen Posten bei der Neckar AG gezwungenermaßen aufgeben. Zusammen mit Leo 1
Baeck und anderen gründete er in diesem Schicksalsjahr die Reichsvertretung der Deutschen Juden und übernahm deren Geschäftsführung. Das bedingte seinen Umzug nach Berlin. Dort traf er einen alten Bekannten aus Stuttgarter Tagen wieder, den Schauspieldirektor Fritz Wisten. Dieser war nach seiner Entlassung aus den Diensten des Württembergischen Staatstheaters ebenfalls nach Berlin gezogen und hatte dort die künstlerische Leitung des jüdischen Kulturbunds übernommen. Hirsch besuchte ihn oft in seinem gastfreundlichen Haus im Berliner Stadtteil Nikolassee. Bei einem dieser Besuche, kurz nach dem Einmarsch deutscher Truppen in Paris im Juni 1940, versuchte Fritz Wisten das befreundete Ehepaar Hirsch mit der Bemerkung aufzumuntern: Er sei überzeugt, dass Hitler diesen Krieg nicht gewinnen werde. Darauf die Antwort: „Ja, lieber Wisten, bloß – überleben müssen wir das.“ Fritz Wisten überlebte, Otto Hirsch bekanntlich nicht. Bereits unmittelbar nach der Reichspogromnacht 1938 hatten die Nazis Otto Hirsch festgenommen und für zwei Wochen im Konzentrationslager Sachsenhausen interniert. Nach seiner Freilassung intensivierte er in seiner Funktion als geschäftsführender Vorsitzender der Reichsvereinigung der Juden die verzweifelten Bemühungen, Juden die Auswanderung zu ermöglichen, die er für sich – pflicht- und selbstlos wie er war – nicht in Betracht zog. Bis es zu spät war. Am 16. Februar 1941 wurde er von den Nazis erneut inhaftiert und am 23. Mai im Konzentrationslager Mauthausen interniert, wo er am 19. Juni 1941 unter ungeklärten Umständen ums Leben kam. Theodor Heuss berichtete nach dem Krieg, wie er durch die Todesnachricht, die ihm die Witwe Otto Hirschs mitteilte, erstmals von diesem Ort des Schreckens hörte. Eine jüdische Zwangsarbeiterin, Elisabeth Freund, die in Berlin in ständiger Furcht vor einer Deportation lebte, kommentierte in ihren Aufzeichnungen aus dieser Zeit: „Der Vorsitzende der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland, Hirsch, ein früherer Ministerialrat, ist im Lager Mauthausen ums Leben gekommen. Seine 2
Frau erhielt nur diese Nachricht, ohne jede genauere Mitteilung. Dahinter steckt sicher eine Tragödie.“ In der Tat hatte Martha Hirsch von der Schutzpolizei in Berlin-Grunewald am 24. Juni nur die lapidare Mitteilung erhalten, dass ihr Mann im Lager gestorben sei und die Asche nicht zugestellt werden könne. Sie erhielt zwar kurz darauf ein Einwanderungsvisum der Vereinigten Staaten. Als sie aber ausreisen wollte, verfügte Eichmann persönlich die Beschlagnahmung ihres Passes. Anderthalb Jahre später, am 26. Oktober 1942, wurde sie von einem Berliner Sammellager aus nach Riga deportiert, wo sie zusammen mit den anderen Insassen des Transportzugs in den umliegenden Wäldern erschossen wurde. Was wissen wir über Otto Hirschs Verbindungen zu Robert Bosch? Der Stuttgarter Unternehmer hatte 1934 auf Vermittlung des jüdischen Journalisten Dr. Friedrich Jaffé den Präsidenten der Reichsvertretung der Deutschen Juden, Leo Baeck, persönlich kennengelernt. Dessen Vertrauter war bekanntlich Otto Hirsch. Unter den engsten Mitarbeitern Boschs betrachtete man den hoch angesehenen Berliner Rabbiner als eine Art „Nathan der Weise“. 1934 fand ein mehrstündiges Gespräch zwischen den Vertrauten Robert Boschs, Hans Walz und Willy Schloßstein, und den führenden Vertretern der Reichsvertretung der Juden, Leo Baeck, Otto Hirsch und seiner später ebenfalls von den Nazis ermordeten Mitarbeiterin Cora Berliner statt. In der Besprechung wurde vereinbart, dass die „Herren der Firma Bosch für die Juden kämpfen sollten, während unsererseits, falls dabei etwas passieren sollte, den Herren Walz, Fischer und Schloßstein Beistand geleistet werden sollte.“ So bezeugte es später Friedrich Jaffé, dem über Robert Boschs Privatkonto in Amsterdam die Ausreise nach Kolumbien finanziert wurde. Aus dem Exil schrieb Jaffé 1947 an Albrecht Fischer: „Herr Walz und Sie, lieber Herr Baurat, haben Ihr Versprechen meisterhaft gehalten. Keiner – weder Jud noch Christ – hatte in der Judenfrage einen solchen Mut wie Sie beide.“ Für diesen Mut wurde Hans Walz 3
1969 von der Holocaustgedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem als „Gerechter unter den Völkern“ geehrt. Über Robert Bosch und seine Rolle im Widerstand gegen Hitler ist viel geschrieben worden. Dank der grundlegenden Studie von Joachim Scholtyseck wissen wir inzwischen, dass neben dem Firmengründer vor allem der hier erwähnte kleine Zirkel engster Mitarbeiter involviert war. Der sogenannte „Boschkreis“ zog nicht nur die Fäden bei den Bemühungen des ehemaligen Leipziger Oberbürgermeisters Carl Goerdeler, Hitler zu stürzen, sondern organisierte auch die unterschiedlichen Hilfsmaßnahmen für verfolgte Juden, vor allem durch die Bereitstellung von Geldern, die ihnen eine Emigration ins Ausland ermöglichten. Obwohl die Quellenüberlieferung vergleichsweise gut ist, so muss man wissen, dass es so gut wie keine Aufzeichnungen über konspiratorische Übergabetreffen gibt. Das liegt zum einem daran, dass den Beteiligten Notizen als zu riskant erschienen, zum anderen daran, dass wichtige Unterlagen unmittelbar nach dem 20. Juli 1944 in aller Hast vernichtet wurden. Wie lückenhaft also in diesem Fall die schriftliche Überlieferung aus guten Gründen ist, wurde mir erstmals bewusst, als ich an einem eiskalten Dezembertag 1995 in der Wohnung von Robert Boschs langjährigem Privatsekretär Felix Olpp saß und ihn zu Geschichte des alten Robert-Bosch- Krankenhauses interviewte. Das war drei Jahre vor seinem Tod. Er war 1936 in die Firma eingetreten. Wie sehr Bosch seinem Bürochef schon bald nach dessen Eintritt in die Firma vertraute, geht aus einer Geschichte hervor, die er mir im Verlaufe dieses Gesprächs, bei dem es eigentlich um ein ganz anderes Thema ging, ebenfalls erzählte. Olpp erwähnte, dass Robert Bosch ihn Ende der 1930er Jahre bat, einen recht hohen Betrag in die Schweiz zu transferieren, wo das Geld für die Fluchthilfe von Juden verwendet werden sollte. Als Tarnung gab 4
man ihm Robert Boschs Sohn, Robert Bosch junior, an die Seite. Dieser sollte angeblich seine Ferien in der Schweiz verbringen. Ein solcher standesgemäßer Aufenthalt in der teuren Schweiz erforderte natürlich ein entsprechendes Reisegeld. So sei den deutschen Grenzkontrolleuren der hohe Bargeldbetrag zu erklären, falls man ihn danach fragen sollte. Die in die Schweiz geschmuggelten Gelder, deren Gesamthöhe nicht bekannt ist, sollten der von dem Stuttgarter Musikpädagogen Karl Adler geleiteten „Mittelstelle“, die dieser mal als „Sammelpunkt des Jammers und der Verzweiflung“ bezeichnet hatte, zugutekommen. An der Geldübergabe war neben Felix Olpp auch Boschs engste Mitarbeiter Hans Walz, Albrecht Fischer, Willy Schloßstein und Theodor Bäuerle beteiligt. Das geschah, wie erwähnt, unter strengster Geheimhaltung und unter hohem persönlichem Risiko. In den verschlossenen Umschlägen befanden sich laut den Forschungen Scholtysecks meist Beträge zwischen 500 und 1000 Reichsmark, in einigen Fällen waren es auch 2000 oder sogar 3000 Reichsmark. Auch in die Niederlande flossen heimlich Gelder, die Juden die Auswanderung ermöglichen sollten. Vor dem Zweiten Weltkrieg befanden sich auf Robert Boschs Privatkonto bei einer niederländischen Bank mehrere Hunderttausend Gulden für diesen Zweck. Doch nicht nur vielen Stuttgarter Juden verhalf Robert Bosch, das „Dritte Reich“ zu überleben. Auch reichsweit ließ er nichts unversucht, um verfolgten Juden zu helfen, so gut wie das unter den Augen der Gestapo überhaupt möglich war. In diesem Zusammenhang kommt der „historisch gewordenen Freundschaft“ zwischen Leo Baeck und Robert Bosch eine zentrale Rolle zu. Dass diese zustande kam, ist zweifellos dem Wirken Otto Hirschs zu verdanken, der ein idealer Verbindungsmann zwischen diesen beiden Persönlichkeiten war. Leo Baeck war – wie bereits erwähnt – nicht nur ein angesehener Rabbiner, sondern auch Präsident der Reichsvertretung der deutschen Juden, der Vorläuferinstitution der von den Nazis erzwungenen Reichsvereinigung der 5
Juden in Deutschland. In den Jahren 1939 bis 1941 konzentrierte sich die Reichsvereinigung darauf, möglichst vielen Juden bei der Flucht aus Deutschland behilflich zu sein. Später, bis zu ihrer schrittweisen Auflösung durch die Nazis 1943, bestand die Aufgabe der Reichsvereinigung vor allem darin, die Zurückgebliebenen zu versorgen. Zugleich musste die Reichsvereinigung bei den Deportationen mitwirken, versuchte – meist ohne Erfolg – das Geschehen zu verzögern und Ausnahmen zu erwirken. Lassen Sie mich zum Abschluss aus einem unveröffentlichen Nachruf auf Otto Hirsch zitieren, den ich in seinem Nachlass im New Yorker Leo Baeck Institute gefunden habe: Er stammt aus der Feder der bekannten jüdischen Historikerin Selma Stern-Täubler: „Er [Otto Hirsch] wuchs mit dem Leide und mit der Grösse seiner Aufgabe. War er bis jetzt Jude gewesen aus einem Gefühl der Gemeinschaft heraus, aus liebgewordener Tradition und aus religiösem Bedürfnis, so wurde er nun Jude aus Mut, aus Stolz, aus Hilfsbereitschaft und aus demütiger Ergebenheit in ein unabänderliches Fatum. Und doch blieb er Deutscher, verwachsen mit dem Boden der heimischen Erde, hingegeben dem Zauber süddeutscher Heimat, durchglüht vom Ethos des Schwaben Schiller, dankbar verbunden einer grossen Kultur, die den Juden des Ghetto zum Europäischen Menschen gemacht hatte.“ -- Diesen auch heute noch ans Herz greifenden Worten aus berufenem Munde ist nichts hinzuzufügen, außer dem Gefühl der großen Dankbarkeit dafür, dass ich die nach diesem mutigen Mann benannte Auszeichnung heute entgegennehmen durfte. 6
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