Schuberts ungewöhnliche Vertonung des Gloria in seiner Messe Es-Dur: Domine Deus, Agnus Dei

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Schuberts ungewöhnliche Vertonung des Gloria in seiner Messe Es-Dur: Domine Deus, Agnus Dei
Schuberts ungewöhnliche Vertonung des Gloria in seiner Messe Es-Dur                                      131

Schuberts ungewöhnliche Vertonung des Gloria in seiner
Messe Es-Dur: Domine Deus, Agnus Dei…
Vojtěch Kyas

      This study focuses on the question of Schubert’s handling of the Mass text in the Gloria of his Mass in
      E-Flat Major, D 950. Schubert adapts the text of the Mass to his compositional and conceptual intent.
      Contrary to usual practice during that period, he joins the section Domine Deus, Agnus Dei together
      with the qui tollis peccata mundi into a single unit, attempts to make it sound as dramatic as possible,
      and understands it as a breaking point. This extensive musical passage of 86 measures differs from
      the surrounding music with its own tempo, meter, and tonal center. At the conclusion of the article,
      the author also makes reference to the importance of so-called historical concerts held at the home
      of the music historian R. G. Kiesewetter, which Schubert appears to have attended already before
      the year 1820.

Den Kennern der kirchlichen Kompositionen Franz Schuberts ist bekannt, dass in
seinen Messen mit lateinischem Text einige Sätze des Messordinariums (es betrifft
vornehmlich das Credo) ausgelassen werden, d.h. unvertont bleiben. Schon jahr-
zehntelang wird darüber diskutiert, warum Schubert beispielsweise das et unam
sanctam catholicam et apostolicam ecclesiam (sowie weitere Credo-Worte) weglässt,
und man versucht, aus verschiedenen Sichtwinkeln die Gründe zu beleuchten,
die den Komponisten dazu geführt haben mögen.1 Davon, dass es sich um eine
recht delikate Angelegenheit handelt, zeugt auch der etwas provokative Beitrag
Schuberts korrumpierte Meßtexte – Absicht oder Versehen, mit dem Paul Badura-
-Skoda auf die im Hans Jaskulskys 2 Buch über Schuberts lateinische Messen ge-
äußerten Auffassungen reagiert, in der neueren Zeit dann die Studie Schubert –
ein Anhänger der katholischen Aufklärung? Zu den Textauslassungen in Schuberts
Messen von Manuela Jahrmärker.3
     Es scheint, dass in der Flut der Abhandlungen zum Thema „Schubert und
der Meßtext“ schon alles gesagt worden ist. Dennoch gibt es hier einen gewissen
Raum zum Aussprechen von etwas, was noch nicht ausführlich beschrieben
wurde. In der vorliegenden Studie richten wir unseren Blick auf die Frage des
Umgangs mit dem ordinarium missae im Gloria der Messe Es-Dur D 950 (im Ver-
gleich mit der Messe As-Dur D 678). Die Textauslassungen werden hier nicht der-
maßen auf die Spitze getrieben, wie im Credo, wo sich von inhaltlich theologi-
scher Absicht sprechen lässt.4 Im Gloria hingegen, im Abschnitt Domine Deus,

1
   Mit dieser Problematik befassten sich z.B.: Reinhard von HOORICKX: Textänderungen in Schuberts Messen,
in: Schubert Kongress Wien 1978, Bericht, Graz 1979, S. 249–255; Leopold KANTNER: Franz Schuberts
Kirchenmusik auf dem Hintergrund stilistischer Zusammenhänge und persönlicher Einstellung, in:
Schubert-Studien, Wien 1978, S. 131–139.
2
   Paul BADURA-SKODA: Schuberts korrumpierte Meßtexte – Absicht oder Versehen? Gedanken zum Buch
von H. Jaskulsky…, Das Orchester (1990), S. 131–134; Hans JASKULSKY: Die lateinischen Messen Franz
Schuberts, Mainz 1986, S. 66 f.
3
   Manuela JAHRMÄRKER: Schubert – ein Anhänger der katholischen Aufklärung? Zu den Textauslassungen
in Schuberts Messen, in: Schubert-Jahrbuch 1997, Duisburg 1999, S. 127–153.
4
   Walther DÜRR: Schubert in seiner Welt, in: Schubert Handbuch, hrsg. von W. Dürr und A. Krause,
Kassel 1997, S. 8.

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Agnus Dei, der im Zentrum unserer Betrachtung liegt,5 passt Schubert die Worte
seinem kompositorischen und gedanklichen Intentionen an: er strebt danach, dass
dieser Abschnitt in der Es-Dur-Messe so dramatisch, wie nur möglich wirkt. Der
Umgang mit dem Text ist originell und weicht von der gängigen Praxis ab. Schubert
lässt den Vers suscipe deprecationem nostram (den er durch die Worte miserere
nobis ersetzt) aus, ebenso den Vers qui sedes ad dexteram Patris 6 (statt dessen
komponiert er qui tollis peccata mundi, siehe Übersicht in der Anlage). Den in
dieser Weise abgeänderten, Gott ansprechenden Text wiederholt er drei-, bezie-
hungsweise viermal: zuerst vertont er zweimal das Domine Deus, Agnus Dei, qui
tollis peccata mundi, miserere nobis, dann einmal Filius Patris, Agnus Dei, qui tollis
peccata mundi, miserere nobis, schließlich (bereits zum vierten Mal) wird dann
der Gottvater mit dem Lamm Gottes und dem Sohn des Vaters verbunden. So ent-
steht ein umfangreicher, eigenständiger Textkomplex von 86 Takten, gänzlich ver-
schieden von der zuvor gehenden Gestaltung des Domine Deus, Rex caelestis,
Deus Pater omnipotens, Domine Fili unigenite, Jesu Christe und dem nachfolgen-
den, wiederum vertonten Gloria in excelsis Deo. Schubert versteht den Abschnitt
Domine Deus, Agnus Dei als einen U m b r u c h , daher wählt er ein anderes
Tempo (Andante con moto), Takt und Tonart. Er empfand ganz richtig, dass sich
der Vers „du, der die Sünden der Welt hinweg nimmst, erbarme dich unser“ dem
vorherigen Ausruf „Herr und Gott, Lamm Gottes, Sohn des Vaters“ anschließt.
      Die Komponisten der Schubertzeit verfahren üblicherweise anders: der Text
Domine Deus, Agnus Dei, Filius Patris wird nur ein- oder zweimal vertont, und
zwar musikalisch und ausdrucksmäßig auf der gleichen Ebene wie die ihm vor-
ausgehenden Worte Domine Deus, Rex coelestis… Erst dann kommt es zum Wandel
(z.B. Tempoänderung) und es folgt ein selbstständiger Abschnitt Qui tollis, der
drei Verse umfasst (siehe Anlage).
      Schuberts ungewöhnliches Vorgehen bei der Vertonung des Abschnitts
Domine Deus, Agnus Dei im Gloria führt zu Überlegungen, warum er mit dem
Messordinarium ausgerechnet auf diese Weise umgeht. Wie bereits angedeutet,
geht es ihm in der Es-Dur-Messe, seiner letzten Messe, um die Hervorhebung des
dramatischen Elements: die Vertonung beruht auf scharfen dynamischen Kontra-
sten. Der Komponist wählt eine diesem Zweck adäquate Instrumentierung: in den
Vordergrund tritt eine starke Blechbläsersektion (drei Posaunen, jeweils zwei
Trompeten und Waldhörner). Eine besondere Rolle wird den Posaunen zuteil –
im Fortissimo intonieren sie einstimmig die Tonfolge g-fis-g-as-g in Verbindung
mit dem Tremolo der Streicher und dem Unisono des Männerchores. Einen Kontrast
bringt das miserere nobis der chromatisch geführten Chorstimmen im Pianissimo
(siehe Notenbeispiel). Schubert wiederholt das Segment in Abwandlungen dreimal,
in den Posaunen bedient er sich des Ostinato-Prinzips. Bei der vierten Exposition
dieses Segments steigern sich die Spannung und die Dringlichkeit mittels kanonisch
fortschreitender Chorstimmen und des kontrapunktierenden Posaunen-Ostinato

5
   Die Deutung des Textes Gratias agimus tibi im Gloria von Schuberts Es-Dur-Messe liegt im Fokus der
Studie von Birgit LODES: Nach Beethoven: Musik und Text in Schuberts Es-Dur-Messe, in: Schubert-Jahr-
buch 1997, Duisburg 1999, S. 155–176.
6
   Die Auslassung des Textes qui sedes ad dexteram Patris (Gloria) war in den Messen von Schuberts
Zeitgenossen relativ häufig. Der gleiche Vers kommt übrigens auch im Credo vor.
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Dem Choreinsatz Domine Deus, Agnus Dei, geht eine sechstaktige instrumentale Einleitung mit
der Tempobezeichnung Andante con moto voraus (Seite 18), die gesungene Phrase endet mit dem
Wort nobis auf der folgenden Seite 20
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und gipfeln im fff mit dem Aufschrei 7 des ganzen Chores und tutti Orchesters
miserere, miserere nobis. Schubert gelangt hier zum überzeugenden Ausdruck auf-
grund einer höchst individuellen Textdeutung. Das Ganze nähert sich in der Art
und Weise der Vertonung dem Schlussteil der Messe – dem großartigen Agnus
Dei. Es war auch Schuberts Absicht, den Teil Domine Deus, Agnus Dei in seiner
Es-Dur-Messe mit dem Ausklang des Werkes, dem Agnus Dei, gedanklich zu ver-
binden. Im Finalteil lässt er das „Kreuzthema“ c-H-es-d erklingen, das mit seiner
Leidsymbolik ähnliche Assoziationen erweckt: zwischen dem Posaunenmotiv (im
Gloria) und dem „Kreuzthema“ (Agnus Dei) besteht eine sichtliche Verwandtschaft.
        Wenn wir unsere Ausgangsbetrachtungen fortsetzen, so gelangen wir zu der
folgenden Erkenntnis: S c h u b e r t k e n n t i n s e i n e r E s - D u r - M e s s e
(ebenso, wie in der As-Dur-Messe, sowie in den übrigen vier frühen lateinischen
Messen) k e i n e n s e l b s t s t ä n d i g e n U m b r u c h s a b s c h n i t t Q u i
t o l l i s i m G l o r i a , e r v e r b i n d e t d i e s e n Te x t s t e t s m i t d e n
i h m v o r a u s g e h e n d e n Wo r t e n D o m i n e D e u s , A g n u s D e i ,
F i l i u s P a t r i s .8 Im Gegensatz dazu wird im überwiegenden Großteil der
Meßkompositionen des Zeitraums von ca. 1750–1850 der Text Qui tollis selbststän-
dig vertont: wir sehen es in Hunderten von handschriftlichen Messen, die auf den
verschiedensten Kirchenchören Mährens gespielt worden sind und nun in den
Sammlungen der Abteilung für Musikgeschichte des Mährischen Landesmuseums
in Brünn aufbewahrt werden. Es können hier durchaus auch andere konkrete Bei-
spiele aus den Schlüsselwerken großer Meister angeführt werden. Johann Sebastian
Bach vertont in seiner h-Moll-Messe nicht nur das Qui tollis, sondern auch den Vers
qui sedes separat. Diese Tradition befolgen auch Joseph Haydn in seiner Missa
Sanctae Caeciliae und Wolfgang Amadeus Mozart in der Grossen Messe c-Moll,
KV 427. Auch in der C-Dur-Messe und der Missa solemnis von Ludwig van
Beethoven ist der Teil Qui tollis im Ausdruck abgesondert. Jan Václav Hugo Voříšek
behandelt in seiner beachtenswerten B-Dur-Messe (1824) den Text ebenfalls
traditionell: mit dem Qui tollis kommt es zum Umbruch und nach einer kurzen
Orchestereinleitung setzt dann das Bass-Solo ein. Die genannten Beispiele sind
jedoch nicht als Regel aufzufassen: J. S. Bach verbindet beispielsweise in einer
anderen seiner Messen, der Missa in G BWV 236, Domine Deus, Agnus Dei, Filius
Patris und qui tollis zu einem Ganzen. Es ließen sich gewiss auch andere Kompo-
nisten finden, die den Abschnitt Domine Deus, Agnus Dei ähnlich wie Schubert
auffassen (wenngleich bei weitem nicht in der gleichen semantischen Ebene), so
beispielsweise Václav Jan Tomášek in seiner Missa solemnis Op. 81 (1836).
        Was nun die As-Dur-Messe (die 1819–1822 komponiert und in den Jahren
1825–1826 überarbeitet wurde) betrifft, so zeigt sie einen ähnlichen Umgang mit
dem Ordinarium-Text, wie die Es-Dur-Messe: auch hier gibt es im Gloria einen
ausgedehnten eigenständigen Abschnitt Domine Deus, Agnus Dei, der tempomäßig
(Allegro moderato), sowie im Takt und Tonart abgehoben wird. Schubert wendet
hier beträchtliche Mühe auf, um diesen Abschnitt in einer besonderen Weise zu

7
   In der zweiten, neu bearbeiteten Auflage der Enzyklopädie Musik in Geschichte und Gegenwart, Bd. 15,
aus dem Jahre 2006, heißt es wörtlich Verzweiflungsschrei, S. 167 (der Verfasser des Artikels ist Walther
DÜRR). Dieser Ausdruck trifft zu und ist im Kontext von Schuberts persönlicher Situation zu verstehen.
8
   Es ist daher unlogisch, wenn Walther Vetter diesen Teil des Gloria in der Es-Dur-Messe als Qui tollis
bezeichnet (Walther VETTER: Der Klassiker Schubert, Bd. 2, Leipzig 1953, S. 46).
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gestalten, der Text wird dreimal wiederholt und in der Instrumental- und Solobe-
setzung jedesmal anders vertont. Das Resultat ist jedoch im Vergleich mit der
Es-Dur-Messe ein gänzlich anderes: der Eindruck ist eher elegisch, die dramati-
schen Akzente bleiben aus.
      Noch ein Text im Gloria der Es-Dur-Messe verdient Aufmerksamkeit, da er
eigentlich erklärt, warum Schubert das Domine Deus, Agnus Dei, Filius Patris mit
qui tollis verknüpfte: es ist das Gratias agimus tibi propter magnam gloriam tuam.
Die Behandlung der Textvorlage ist wieder ungewöhnlich. Zuerst wird der ganze
Satz zweimal vertont, den folgenden Text Domine Deus, Rex coelestis… teilt der
Komponist allerdings in vier Verse, zwischen die er jedesmal ein gratias agimus
tibi legt.9 Damit werden beide Texte in einen bedeutungsmäßigen Zusammenhang
gestellt (siehe Anlage). In der As-Dur-Messe geht Schubert ähnlich vor. Er hatte
ursprünglich die Absicht, die Messe dem Kaiser oder der Kaiserin zu dedizieren
und widmete daher dem Abschnitt Gratias erhöhte Aufmerksamkeit. Die Gratias-
Vertonung in der Messe Es-Dur zeigt eine höchst einfallsreiche Verwendung der
Kombination von Vokal- und Instrumentalstimmen. Schubert fasst den Text als
einen Ausdruck der Freude auf und wählt einen quasi marschmäßigen Rhythmus.
Im gegebenen Kontext klingt das „wir danken dir“ wie eine Danksagung des Kom-
ponisten an Gott für die Gabe des Lebens.10
      Die beiden letzten Messen von Franz Schubert sind Meisterwerke. Die
A s - D u r - M e s s e ist uns unter anderem auch deshalb so kostbar, weil darin in
ausgeprägter Gestalt und auf einer größeren Fläche Elemente des alten Stils, stile
antico, zur Geltung gebracht werden. Im Credo verwendet Schubert eine rhetori-
sche Figur – das „Kreuzthema“, exponiert den a cappella-Stil und die Doppelchö-
rigkeit. Er wendet sich zurück in die 200–250 Jahre alte Vergangenheit, an die er
anknüpft – im Bestreben nach einer Restauration der Kirchenmusik. Er verwertete
jene Anregungen, die er in den Konzerten alter Musik im Hause des Musikhisto-
rikers und Hofrats Raphael Georg Kiesewetter empfing. Kiesewetter, der die
Konzertprogramme persönlich zusammenzustellen pflegte, entschied auch in den
Fragen der Aufführungspraxis. Schubert besuchte die Konzerte der alten Musik
offenbar schon früher, als bisher angenommen, wohl schon vor 1820,11 nicht erst
um 1823. Es handelt sich um eine Periode, die sich zeitlich mit der Entstehung
der As-Dur-Messe deckt. Es muss hinzugefügt werden, dass sich als Kapellmeister
der historischen Konzerte im Hause Kiesewetters der Hoforganist und Pianist
J. V. H. Voříšek betätigte, der als ein hervorragender Continuo-Spieler bekannt
war: „Worzischek am Klavier spielte wie ein begeisterter“.12 Auch ihm hat Schubert
zu verdanken, dass er Werke der Meister des 16.–18. Jahrhunderts in einer adäqua-
ten, stilgetreuen Widergabe hören konnte.13

 9
    Der Gratias-Problematik widmet sich ausführlich Birgit LODES in der bereits zitierten Studie (siehe
Anm. 5). Sie findet dabei Parallelen zwischen Schuberts Es-Dur-Messe und der C-Dur-Messe Beethovens.
10
    Eine ähnliche Auffassung vertritt auch Leopold KANTNER, ebd., S. 139.
11
    Schubert Handbuch, 1997, S. 64 und 396.
12
    Eine Mitteilung R. G. Kiesewetters an seinen Freund Franz S. Kandler im Brief vom 26. 12. 1817, siehe
Herfrid KIER: Kiesewetters historische Hauskonzerte; zur Geschichte der kirchenmusikalischen Restauration
in Wien, in: Kirchenmusikalisches Jahrbuch 1968, S. 99. DERSELBE: R. G. Kiesewetter, Wegbereiter des mu-
sikalischen Historismus, Regensburg 1968, S. 78.
13
    Vojtěch KYAS: Jan Hugo Voříšek, Franz Schubert a Vídeň jejich doby [Jan Hugo Voříšek, Franz Schubert
und Wien ihrer Zeit], Opus musicum (1989), Nr. 1, S. 5–19. Die Frage von Schuberts Einwirkung auf die
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      In der E s - D u r - M e s s e kommen die Elemente des alten Stils noch mar-
kanter zum Vorschein. Es ist Schuberts einziges großes vokal-instrumentales
Werk, das er nach Beethovens Tod schrieb, und es bestätigt seine Souveränität in
der Beherrschung der Form voll. Es gibt darin insgesamt drei dramatische Höhe-
punkte (Domine Deus, Agnus Dei im Gloria, Crucifixus im Credo und das abschlie-
ßende Agnus Dei). Schubert verspürte offenbar kein Bedürfnis, das dramatische
Moment im Rahmen der Gattungen sakraler Musik noch anderweitig zu nutzen,
so beispielsweise in einem Requiem. Im Jahre 1816 skizzierte er zwar den Anfang
zum Requiem c-Moll D 453, doch das ordinarium missae stand ihm viel näher.
Seit 1814 entstanden nach und nach sechs Messen mit lateinischem Text, Schubert
sammelte Erfahrungen, um dann in der großen As-Dur-Messe die Reife zu erlan-
gen. In seiner letzten Meßkomposition, der Messe Es-Dur, ist es ihm gelungen,
mit einer höchst durchdachten Verknüpfung des Textes und dessen sensibler Ver-
tonung einen überzeugenden Ausdruck zu finden, was auch der Abschnitt Domine
Deus, Agnus Dei im Gloria, der im Mittelpunkt unserer Betrachtungen lag, bezeugt.
      Die Es-Dur-Messe, kurz vor dem Tod des Komponisten entstanden, hat eine
stark persönliche Prägung und sagt einiges über Schuberts Beziehung zu Gott
aus. Schubert, ein Künstler vom sinnenden Gemüt, dachte viel mehr über religiöse
Fragen nach, als manche anderen Messenkomponisten. Der Text des Ordinariums
verhalf und diente ihm zur Beantwortung der grundlegenden Lebensfrage. Die
Messe Es-Dur ist ein Ausdruck von Schuberts tiefem und zugleich höchst spezi-
fischem religiösen Empfinden.

                                                             Deutsch von Magdalena Havlová

Adresse: Vojtěch Kyas, Masarykova 23, CZ-602 00 Brno

tschechische Musik ist interessant, dazu siehe z.B. Vlasta REITTEREROVÁ-BENETKOVÁ: Das Schubert-Lied in
der Entwicklung der tschechischen Musik, in: Schubert-Jahrbuch 1997, S. 99–109.
Schuberts ungewöhnliche Vertonung des Gloria in seiner Messe Es-Dur                     137

Anlage
Die übliche Textgliederung des Gloria        Schuberts Textgliederung
in den Messen der Zeit um 1800               (Wiederholung, Auslassung, Umstellung)
                                             im Gloria der Es-Dur-Messe D 950

Gloria in excelsis Deo …                     Gloria in excelsis Deo …
… Glorificamus te.                           … Adoramus te.

Gratias agimus tibi                           Gratias agimus tibi
propter magnam gloriam tuam.                  propter magnam gloriam tuam,
                                              gratias agimus tibi
                                              propter magnam gloriam tuam.
     Domine Deus, Rex caelestis,                   Domine Deus, Rex caelestis,
Deus Pater omnipotens.                        gratias agimus tibi.
     Domine Fili unigenite                         Deus Pater omnipotens,
Jesu Christe.                                 gratias agimus tibi.
     Domine Deus, Agnus Dei,                       Domine Jesu Christe,
Filius Patris.                                gratias agimus tibi.
                                                   Fili unigenite,
                                              gratias agimus tibi.
    Qui tollis peccata mundi,
miserere nobis.
                                             Gloria in excelsis Deo …
    Qui tollis peccata mundi,
                                             … Laudamus te.
suscipe deprecationem nostram.
    Qui sedes ad dexteram Patris,
miserere nobis.                               Domine Deus, Agnus Dei,
                                              qui tollis peccata mundi, peccata mundi,
                                              miserere, miserere nobis, miserere nobis.
Quoniam tu solus sanctus …
… Amen.                                       Domine Deus, Agnus Dei,
                                              qui tollis peccata mundi, peccata mundi,
                                              miserere, miserere nobis, miserere nobis.

                                              Filius Patris, Agnus Dei,
                                              qui tollis peccata mundi, peccata mundi,
                                              miserere, miserere nobis, miserere nobis.

                                              Domine Deus, Domine Deus,
                                              Agnus Dei, Agnus Dei,
                                              Filius Patris, Filius Patris,
                                              Agnus Dei, Agnus Dei,
                                              qui tollis peccata, qui tollis peccata,
                                              peccata mundi, peccata mundi,
                                              miserere, miserere nobis.

                                             Quoniam tu solus sanctus …
                                             … Amen.
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Schubertovo osobité zhudebnění Gloria ve mši Es dur:
Domine Deus, Agnus Dei
Vojtěch Kyas

Studie je zaměřena na problematiku Schubertova zacházení s mešním textem v Gloria mše
Es dur, D 950, konkrétně v oddílu Domine Deus, Agnus Dei. Schubert přizpůsobuje mešní
text svému kompozičnímu a ideovému záměru: usiluje, aby oddíl Domine Deus, Agnus Dei,
jejž chápe jako zlomový, vyzněl co nejdramatičtěji. Některé verše vynechává (suscipe
deprecationem nostram a qui sedes ad dexteram Patris) a nahrazuje verši miserere nobis
a qui tollis peccata mundi. Úsek začínající zvoláním Domine Deus, Agnus Dei (resp. Filius
Patris) zhudebňuje celkem čtyřikrát (viz přílohu). Vznikne tak rozsáhlá hudební plocha
o 86 taktech, samostatný oddíl Domine Deus, Agnus Dei, který je odlišený tempem, taktem
i tóninou. Žádoucího efektu Schubert dosahuje jak prudkými dynamickými kontrasty ff-pp,
tak adekvátními hudebními prostředky (vstupy silné sekce žesťů, tremolo smyčců, hlasy sboru
vedené unisono). V pozounech účinně využívá princip ostinata. K přesvědčivému výrazu
Schubert dospěl opakováním, resp. důmyslným propojením mešního textu a jeho citlivým
zhudebněním. Spojuje zvolání Domine Deus, Agnus Dei, Filius Patris s qui tollis peccata…
v jeden celek. Schubert ve mši Es dur (a ostatních svých pěti mších) nezná samostatný zlo-
mový oddíl Qui tollis. Naproti tomu ve velké většině mší jiných skladatelů z období
cca 1750–1850 je text Qui tollis pojímán samostatně a hudebně se odlišuje od předchozího
Domine Deus, Agnus Dei… (viz přílohu).
      V závěru autor poukazuje na význam tzv. historických koncertů v domě hudebního
historika R. G. Kiesewettera, které přispěly k restauraci církevní hudby ve Vídni. Schubert
navštěvoval tyto koncerty zřejmě již před rokem 1820, a odnesl si z nich tvůrčí podněty,
které zužitkoval například ve mších Es dur a As dur. Kapelníkem koncertů historické hudby
byl J. V. H. Voříšek, mj. vynikající hráč continua.
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