Schuldig bei Verdacht? Prüfstrategien in Beschuldigtenvernehmungen Guilty by suspicion? Test strategies in suspect interviews - De Gruyter
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MschrKrim 2021; 104(2): 81–91 Lennart May*, Annemarie Stein, Thomas E. Gundlach und Renate Volbert Schuldig bei Verdacht? Prüfstrategien in Beschuldigtenvernehmungen Guilty by suspicion? Test strategies in suspect interviews https://doi.org/10.1515/mks-2021-0102 schuldigten zu prüfen, schwächte die schuldverzerrende Tendenz bei der eigenständigen Fragenformulierung also Abstract: Die vorliegende Studie untersucht, ob in Beschul- nicht bedeutsam ab. digtenvernehmungen eine positive Prüfstrategie angewen- Schlüsselwörter: polizeiliche Vernehmung, Beschuldig- det wird, die bei uneindeutiger Beweislage aufgrund einer tenvernehmung, Ermittlungen, Bestätigungsverzerrung, strukturbedingten Schuldannahme schuldverzerrend sein Schuldverzerrung kann und wie einer solchen entgegengewirkt werden kann. Hierzu lasen Studierende einer Polizeihochschule (N = 73) Abstract: This study examines whether a positive test stra- eine Fallvignette zu einem Einbruchsdelikt und sollten, a) tegy is implemented in suspect interviews. This strategy Fragen zur Vorbereitung der Beschuldigtenvernehmung can result in a guilt-bias in cases with ambiguous evi- selbst formulieren und b) geeignete Fragen aus einem Fra- dence due to a structural assumption of guilt. Furthermo- genkatalog auswählen. Die Instruktion für die Teilnehmen- re, this study examines how such an assumption of guilt den wurde dabei variiert: Sie sollten die Beschuldigtenver- can be counteracted. Students from a police academy (N = nehmung entweder ohne nähere Instruktion vorbereiten 73) read a case vignette of a burglary and in order to pre- (offen-instruierte Bedingung) oder wurden explizit auf- pare the suspect interview they were asked to formulate gefordert herauszufinden, ob der zu Vernehmende schuldig questions and select questions from a list. Participants’ in- (schuldig-instruierte Bedingung) bzw. ob er unschuldig ist structions varied between three conditions: They were eit- (unschuldig-instruierte Bedingung). Die aus dem Fragenka- her asked to prepare the suspect interview without further talog ausgewählten Fragen waren in der unschuldig-instru- instruction (open-instructed condition) or they were expli- ierten Bedingung eher unschuldsverzerrt, während in den citly asked to find out whether the suspect was guilty anderen beiden Instruktionsbedingungen ergebnisoffene (guilty-instructed condition) or innocent (innocent-in- Fragen präferiert wurden. Die drei Instruktionsbedingun- structed condition). In the innocent-instructed condition, gen unterschieden sich jedoch nicht signifikant voneinan- participants preferred innocent-biased questions from the der. Sollten die Teilnehmer selbst Fragen formulieren, fand provided list, whereas the participants in the other two sich in allen drei Bedingungen eine Tendenz in Richtung conditions preferred open-ended questions; however, the schuldverzerrter Fragen; zwischen den drei Instruktions- three conditions did not differ significantly. When partici- bedingungen traten wiederum keine signifikanten Unter- pants formulated questions, a tendency toward guilt-bia- schiede auf. Die bloße Instruktion, die Unschuld des Be- sed questions was found for all three conditions; again, the three conditions did not differ significantly. The simp- *Kontaktperson: Prof. Dr. Lennart May, Medical School Berlin, Rüdesheimer Str. 50, 14197 Berlin; Charité Universitätsmedizin le instruction to test the innocence of the suspect did not Berlin, Institut für Forensische Psychiatrie, significantly reduce the guilt-bias when formulating ques- E-Mail: mail@lennartmay.com tions. M. Sc. Annemarie Stein, Charité Universitätsmedizin Berlin, Institut für Forensische Psychiatrie, Oranienburger Straße 285 (Haus 10), Keywords: suspect interview, interrogation, investigation, 13437 Berlin, E-Mail: stein.psychotherapie@gmail.com confirmation-bias, guild-bias Prof. Thomas E. Gundlach, Hochschule in der Akademie der Polizei Hamburg, Braamkamp 3b, 22297 Hamburg, E-Mail: thomas.gundlach@poladium.de Prof. Dr. Renate Volbert, Charité Universitätsmedizin Berlin, Institut für Forensische Psychiatrie, Psychologische Hochschule Berlin, Am Köllnischen Park 2, 10179 Berlin, E-Mail: r.volbert@phb.de Open Access. © 2021 Lennart May et al., publiziert von De Gruyter. Dieses Werk ist lizensiert unter der Creative Commons Attribution 4.0 Lizenz.
82 Lennart May, Annemarie Stein, Thomas E. Gundlach und Renate Volbert 1 Einleitung Prüfung der Hypothese (z. B. »Wenn Person A schuldig ist, dann hat sie kein Alibi für die Tatzeit«), (3) Informations- Die Vernehmung eines Beschuldigten zielt laut § 136 (2) suche durch Ermittlungen (z. B. Vernehmung des Beschul- StPO darauf ab, ihm die Gelegenheit zu geben, »die gegen digten), (4) Bewertung der Informationen (Identifikation, ihn vorliegenden Verdachtsgründe zu beseitigen und die Kategorisierung und Interpretation; z. B. »Der Beschuldig- zu seinen Gunsten sprechenden Tatsachen geltend zu ma- te hat angegeben, dass er zum Tatzeitpunkt alleine zu chen«. Daneben ist die Sachverhaltsaufklärung ein oft be- Hause war, was niemand bestätigen kann. Er hat somit nanntes polizeiliches Ziel der Beschuldigtenvernehmung kein Alibi für die Tatzeit, was die Verdachtshypothese un- (z. B. Mohr, Schimpel & Schröer 2006), was sich so aus den terstützt«) und (5) schlussfolgernde Einschätzung der Ver- gesetzlichen Vorschriften zur Beschuldigtenvernehmung dachtshypothese auf Grundlage aller gesammelten Ermitt- allerdings nicht unmittelbar ableitet (Eisenberg 2017). lungserkenntnisse (z. B. »Person A hat den Einbruch be- Gleichwohl ergibt sich aus der staatsanwaltschaftlichen gangen«). Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung (§ 160 [1] StPO) und den Die Einbeziehung einer Alternativhypothese macht ei- polizeilichen Aufgaben im Ermittlungsverfahren (§ 163 [1] nen wesentlichen Unterschied zwischen diagnostischem StPO), dass die »Behörden und Beamten des Polizeidiens- und pseudodiagnostischem Testvorgehen aus (Doherty et tes [...] Straftaten zu erforschen« haben. Schließlich ist die al. 1979; Trope & Libermann 1996). Beim diagnostischen Wahrheitserforschung nicht nur gerichtliche (siehe § 244 Vorgehen werden – wie bei einem wissenschaftlichen Vor- StPO), sondern gesamte kriminalistische Aufgabe (Walder gehen – neben der Verdachtshypothese explizit auch Alter- u. a. 2020). Beide Vernehmungsziele legen in jedem Fall nativhypothesen formuliert. Daran anknüpfend wird aktiv nahe, dass Polizisten Beschuldigtenvernehmungen ergeb- nach Informationen gesucht, mit der die Verdachtshypo- nisoffen führen und sowohl entlastende als auch belasten- these und Alternativhypothesen geprüft werden können. de Informationen sammeln sollen. Die vorliegende Arbeit Dabei wird die Diagnostizität von Informationen berück- geht der Frage nach, ob dies ohne weiteres möglich ist sichtigt: Eine Information besitzt eine hohe Diagnostizität, oder ob Beschuldigtenvernehmungen strukturbedingt eine wenn sie ausschließlich mit der Verdachtshypothese zu Schuldverzerrung innewohnt, die eine ergebnisoffene Be- vereinbaren ist (bzw. ausschließlich mit der Unschulds- fragung erschwert. hypothese). Dagegen weist eine Information eine geringe Diagnostizität auf, wenn sie mit der Verdachtshypothese und der Unschuldshypothese zu vereinbaren ist. 1.1 Prüfen einer Verdachtshypothese Allgemein können Vernehmende eine Verdachts- hypothese prüfen, indem sie Informationen zur Bestäti- In Ermittlungsverfahren müssen Polizisten zahlreiche Ent- gung der Verdachtshypothese (positive Prüfstrategie) oder scheidungen treffen. Beispielsweise müssen sie entschei- Informationen zu deren Widerlegung suchen (negative den, welche Informationen zur Ermittlung eines Sachver- Prüfstrategie; Klayman & Ha 1987; vom Schemm, Dreger & halts zu sammeln und wie die gewonnenen Informationen Köhnken 2008). Bei der positiven Prüfstrategie werden In- einzuschätzen sind. Informationsverarbeitungs- und Ent- formationen gesammelt, die gemäß der eigenen Annahme scheidungsprozesse sind in der Psychologie ausführlich erwartet werden (z. B. bei Schuldannahme: finanzielle untersucht worden. Dabei zeigte sich, dass menschliche Probleme vor Tatzeitpunkt und nicht anders erklärbare fi- Informationsverarbeitungsprozesse unter bestimmten Be- nanzielle Mittel nach dem Tatzeitpunkt). Die Anwendung dingungen anfällig für Fehler und Verzerrungen sind (z. B. einer positiven Prüfstrategie setzt nicht voraus, dass man Tversky & Kahneman 1973; Nickerson 1998). Forschungs- sich bereits auf die zu prüfende Annahme festgelegt hat; arbeiten fanden außerdem, dass solche Verzerrungen Menschen neigen zu einer positiven Prüfstrategie, wenn auch in Ermittlungen und allgemein in forensischen Kon- sie die Aufgabe erhalten, eine bestimmte Annahme zu texten relevant sind und in Fehlverurteilungen münden überprüfen (Snyder & Swann 1978). Allerdings führt eine können (z. B. Kassin, Dror & Kukucka 2013; Oswald & Wyler positive Prüfstrategie nicht zwangsläufig zur Bestätigung 2018). der Verdachtshypothese: Die Ausgangshypothese wird Der Prozess des Prüfens einer Verdachtshypothese ge- nämlich normalerweise fallengelassen, wenn eindeutig gen einen Beschuldigten in Ermittlungsverfahren kann der Verdachtshypothese widersprechende Informationen mit den fünf Stufen des sozialen Hypothesentestens nach bekannt werden (z. B. wenn der Beschuldigte zum Tatzeit- Trope und Liberman (1996) veranschaulicht werden: (1) punkt von einer Videokamera an einem anderen Ort er- Formulierung der Verdachtshypothese (z. B. »Person A hat fasst wurde). Auch bei einer positiven Prüfstrategie ist ei- den Einbruch begangen«), (2) Ableiten von Regeln zur ne Verdachtshypothese also falsifizierbar.
Schuldig bei Verdacht? Prüfstrategien in Beschuldigtenvernehmungen 83 Eine riskante Konstellation ergibt sich nun bei Vorlie- trachtet werden. Bei Vorliegen bestimmter motivationaler gen von uneindeutigen Informationen. Dies sind Informa- Aspekte können diese Prozesse zu besonders ausgepräg- tionen, die mit der Verdachtshypothese und der Un- ten Bestätigungsverzerrungen und Bestätigungsfehlern schuldshypothese ähnlich gut in Einklang zu bringen sind führen. Wenn eine Person von ihrer Annahme besonders und daher eine geringe Diagnostizität aufweisen. Bei posi- überzeugt ist und/oder ein hoher Erfolgsdruck mit der Be- tiver Prüfung solch uneindeutiger Informationen besteht stätigung der Annahme verbunden ist, kann passieren, die Tendenz, dass die Verdachtshypothese bestätigt wird. dass nicht nur uneindeutige Information im Sinne der Dieses Risiko besteht insbesondere, wenn bei der Informa- Ausgangshypothese interpretiert, sondern auch entgegen- tionsbewertung nur eine Hypothese fokussiert und nicht stehende Information ignoriert oder sogar uminterpretiert explizit Alternativerklärungen einbezogen werden. So ist wird (Nickerson 1998; Schulz-Hardt & Köhnken 2000; Trope beispielsweise die Angabe eines Beschuldigten, er sei zum & Liberman 1996). Oswald und Wyler (2018) diskutieren, nächtlichen Tatzeitpunkt alleine zu Hause gewesen, mit dass solche Bestätigungsverzerrungen mit einem ganzen der Verdachtshypothese vereinbar, weil es sich um eine Bündel von Heuristiken verbunden sind, die von der An- falsche, nicht widerlegbare Behauptung handeln könnte. wendung der positiven Prüfstrategie bis zum Einsatz von Würde man eine beliebige Auswahl von Personen fragen, Strategien der völligen Immunisierung gegen der eigenen würde zumindest unter den alleinlebenden Befragten ver- Annahme widersprechenden Informationen reichen. Die- mutlich aber ein hoher Anteil eine ähnliche Antwort ge- se Denkweise wird auch als »Tunnelblick« beschrieben ben. Bei einem solchen Vorgehen besteht somit die Gefahr (Findley & Scott 2006) und ist als wesentlicher Hinter- falscher Schlussfolgerungen, wenn keine die Verdachts- grund für Justizirrtümer und falsche Verurteilungen zu be- hypothese eindeutig widerlegenden Informationen vor- trachten (z. B. Gould et al. 2014). Die kriminalistische Fach- handen sind. Allerdings gibt es in manchen Fallkonstella- literatur fordert zunehmend, für diese Problematik nicht tionen kaum Informationen zur Widerlegung der Ver- nur in Bezug auf die Fehlermöglichkeiten zu sensibilisie- dachtshypothese. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn ren, sondern auch Denk- und Handlungsstrategien auf- länger zurückliegende Tathandlungen sich zeitlich nicht zuzeigen (z. B. Dowling & Gundlach 2019; Walder u. a. mehr genau lokalisieren lassen, keine Zeugen zugegen 2020). waren und keine Spuren festzustellen waren. Eine positive Prüfstrategie kann somit in einem bestä- tigenden/konfirmatorischen Prüfvorgehen münden, das 1.2 Schuldannahme und schuldverzerrendes Prüfen auch als Bestätigungsverzerrung bezeichnet wird (sog. confirmation bias). Bestätigungsverzerrungen beschrei- Empirische Untersuchungen zeigen, dass eine induzierte ben die Tendenz, dass (a) vorwiegend Informationen zur Schuldannahme die Prozesse des Hypothesentestens in Bestätigung der Ausgangshypothese gesucht und (b) un- Richtung Schuldverzerrung beeinflussen. So fanden Kas- eindeutige Informationen im Sinne der Ausgangshypothe- sin, Goldstein und Savitsky (2003) in simulierten Verneh- se interpretiert und alternative Erklärungen ignoriert wer- mungen, dass studentische Befragende mit einer induzier- den (z. B. Ask & Fahsing 2018; Nickerson 1998). Die Gefahr ten Schuldvoreinstellung (a) mehr schuldverzerrte Fragen von Bestätigungsverzerrungen dürfte besonders groß sein, zur Vorbereitung einer Beschuldigtenvernehmung aus- wenn mehrere ausschließlich uneindeutige Informationen wählten, (b) mehr geständnisorientierte Vernehmungstak- vorliegen und positiv geprüft werden. Bei konfirmatorisch tiken bei der Befragung von unschuldigen Beschuldigten geführten Ermittlungen suchen Ermittler nun nach Infor- zu einem simulierten Diebstahl anwendeten und (c) mehr mationen, die die Verdachtshypothese unterstützen, und Geständnisdruck auf die Beschuldigten ausübten als stu- vernachlässigen die Suche nach hypotheseninkonsisten- dentische Befragende ohne eine solche Schuldvoreinstel- ten Informationen (Ask & Fahsing 2018). Außerdem neigen lung. Auch Hill, Memon und McGeorge (2008) zeigten, dass sie dazu, uneindeutige Informationen als Bekräftigung der studentische Vernehmende mit einer Schuldvoreinstel- Verdachtshypothese einzuschätzen und Alternativerklä- lung mehr schuldverzerrte Fragen formulierten als studen- rungen zu ignorieren (für Experimente zur Bestätigungs- tische Vernehmende ohne eine solche Voreinstellung. verzerrung in Ermittlungen siehe bspw. Ask & Granhag Narchet, Meissner und Russano (2011) fanden zudem, dass 2005; Eerland & Rassin 2012; Rassin, Eerland & Kujpers sich die induzierten Schuldvoreinstellungen signifikant 2010). negativer auf die Vernehmung von Unschuldigen als auf Die Präferenz einer positiven Prüfstrategie und das die Vernehmung von Schuldigen auswirkten (d. h. starkes Ausblenden von Alternativerklärungen können als all- geständnisorientiertes Vorgehen bei Unschuldigen, das zu gemeine kognitive Informationsverarbeitungsprozesse be- falschen Geständnissen führte). Eine weitere Studie zeigte,
84 Lennart May, Annemarie Stein, Thomas E. Gundlach und Renate Volbert dass uneindeutige Beweise umso belastender eingeschätzt formationsverarbeitungstendenzen (bzw. Bestätigungs- wurden und die abschließende Schuldeinschätzung umso verzerrungen). höher ausfiel, je ausgeprägter die ursprüngliche Schuld- Dies wird auch durch eine Studie von Fahsing und Ask überzeugung der Teilnehmenden war (Charman, Kavetski (2013) unterstrichen, in der Ermittler von Mordkommissio- & Hirn Mueller 2017). Effekte von Voreinstellungen wurden nen in Norwegen und England das Benennen von Ver- auch bei der Beurteilung von Fingerabdrücken (Dror, dächtigen und das Beschuldigen und Festnehmen von Charlton & Péron 2006) bzw. DNA-Ergebnissen durch Ex- Personen als Ermittlungszeitpunkte bezeichneten, bei de- perten nachgewiesen (Dror & Hampikian 2011; vgl. auch nen es zu einem Wechsel von einer offen-abwägenden Cooper & Meterko 2019). Denkweise (d. h. einem Überlegungsprozess, bei dem Er- In den referierten Studien mit Befragungskontext wur- mittler offen und kreativ für verschiedene Ermittlungsrich- de die Voreinstellung bei den Versuchsteilnehmern durch tungen sind) zu einer schuldprüfende Denkweise kommt variierende Basisratenangaben (bspw. vier von fünf Be- (d. h. einem kognitiver Prozess, bei dem Ermittler eine Hy- schuldigten haben die Tat begangen vs. einer von fünf Be- pothese fokussieren, diese zu bestätigen versuchen und schuldigten hat die Tat begangen; Kassin et al. 2003) oder weniger offen sind). In Übereinstimmung damit stehen Er- durch Informationen über Verdachtsmomente manipuliert gebnisse einer schwedischen Studie von Lidén, Gräns und (Behauptung einer DNA-Übereinstimmung mit dem Be- Juslin (2018). Hier lasen Polizisten eine Fallvignette, in der schuldigten vs. keine DNA-Übereinstimmung mit dem Be- ein Verdächtiger entweder festgenommen worden war schuldigten vs. nicht aussagekräftiges DNA-Ergebnis; Char- oder nicht. Anschließend sollten sie Fragen für die Be- man et al. 2017). Dadurch war es möglich den Effekt der Vor- schuldigtenvernehmung selbst formulieren bzw. aus ei- einstellung auf die Kognitionen und das Verhalten des nem vorgegebenen Fragenkatalog wählen. Die Autoren Vernehmers zu untersuchen. Volbert und May (2016) argu- nahmen an, dass das Auswählen von Fragen kognitiv we- mentieren, dass reale Beschuldigtenvernehmungen bereits niger anspruchsvoll ist als Fragen selbst zu formulieren. aus strukturellen Gründen eine Tendenz zur Schuldverzer- Beim Auswählen von Fragen sollten deshalb kognitive rung aufweisen (vgl. auch Fahsing 2016; Volbert & Böhm Ressourcen zur Identifizierung von schuldverzerrten Fra- 2008): Während in den oben zitierten Studien eine Schuld- gen verfügbar sein. Gleichwohl entspricht das Formulie- annahme eigens induziert wurde, stellt ein gewisses Maß an ren von Fragen wohl eher der polizeilichen Praxis. Die Stu- Schuldannahme einen inhärenten Faktor in polizeilichen die fand, dass die frei formulierten Fragen eine stärkere Vernehmungssituationen dar (vgl. auch Kassin 2015). Diese Schuldverzerrung aufwiesen, wenn der Beschuldigte fest- Annahme gründet darin, dass jemand erst als Beschuldigter genommen worden war (vs. nicht festgenommen); ein ver- vernommen wird, wenn entsprechende Verdachtsmomente gleichbarer Effekt zeigte sich allerdings nicht, wenn sie gegen ihn vorliegen. Bestreitet der Beschuldigte im Rahmen Fragen aus dem Fragenkatalog auswählten. der Vernehmung den Tatvorwurf, führt diese Einlassung ohne Vorbringen explizit entlastender Fakten nicht bereits zu einer Revidierung der Schuldannahme beim Verneh- 1.3 Aktuelle Studie menden. Dies scheint begründet, denn auch ein substan- tieller Anteil Schuldiger bestreitet einen Tatvorwurf (z. B. Die referierten Studien zeigen, dass (a) eine experimen- Volbert et al. 2019). Allerdings hat das auch zur Folge, dass tell induzierte Schuldvoreinstellung schuldverzerrende sich ein Unschuldiger in einer Vernehmung mit einem Be- Auswirkungen auf Vernehmungen hat und (b) bestimmte fragenden konfrontiert sieht, der eine gewisse Schuld- Entscheidungen in Ermittlungsverfahren eine solche Ten- annahme hat und diese durch ein bloßes Bestreiten des denz verstärken können. Der Frage, ob Beschuldigtenver- Tatvorwurfs auch nicht verwirft. Sind die Vernehmenden nehmungen bereits per se eine schuldverzerrende Heran- sich dieser strukturell bedingten Schuldverzerrungsten- gehensweise innewohnt, worauf die Untersuchung von denz nicht bewusst, besteht bei uneindeutiger Beweis- Fahsing und Ask (2013) und Überlegungen von Volbert lage daher immanent die Gefahr, dass Vernehmende ein und May (2016) hinweisen, wurde bislang nicht geprüft. Zurückweisen des Tatvorwurfs als unzutreffendes Leug- Die vorliegende Studie fragt, ob es bei Beschuldigtenver- nen interpretieren und die Schuldannahme eine Tendenz nehmungen per se zur Anwendung von schuldverzerren- zur Selbstbestätigung entwickelt. Diese Tendenz reflek- den Prüfstrategien kommt. Sie untersucht außerdem, ob tiert insofern nicht notwendigerweise eine fehlerhafte der etwaigen Anwendung einer schuldverzerrenden Prüf- frühzeitige Festlegung. Wie oben beschrieben resultiert strategie durch eine explizit entgegengesetzte Instruk- sie vielmehr bei positiver Prüfstrategie und fehlender For- tion, die Unschuld zu prüfen, entgegengewirkt werden mulierung von Alternativhypothesen aus allgemeinen In- kann.
Schuldig bei Verdacht? Prüfstrategien in Beschuldigtenvernehmungen 85 Zur Untersuchung dieser Fragen sollten Studienteil- Teilnehmer hatten bis dahin eher selten an einer Verneh- nehmer auf der Basis einer Fallvignette eine Beschuldig- mung teilgenommen (abgefragt mittels Skala von 1 = nie tenvernehmung vorbereiten. Dazu sollten sie Fragen frei bis 7 = häufig; M = 2.25, SD = 1.49, range von 1 bis 7; zwei formulieren und in einem zweiten Schritt aus einem Fra- Teilnehmer ohne diesbezügliche Angaben) bzw. selten ei- genkatalog auswählen. Die diesbezüglichen Instruktionen ne Vernehmung selbst durchgeführt (abgefragt mittels variierten zwischen drei Versuchsbedingungen: Die Teil- Skala von 1 = nie bis 7 = häufig; M = 1.97, SD= 1.55, range nehmer sollten Fragen formulieren und auswählen (1), von 1 bis 7). An der Datenerhebung nahmen ursprünglich welche sie dem Beschuldigten stellen würden (offen-in- 78 Studenten teil, doch ein Teilnehmer wurde aufgrund struierte Bedingung), (2) welche sie ihm stellen würden, fehlender Teilnahmemotivation und vier Teilnehmer auf- um herauszufinden, ob er schuldig ist (schuldig-instruierte grund einer unvollständigen Bearbeitung ausgeschlossen. Bedingung) bzw. (3) welche sie ihm stellen würden, um herauszufinden, ob er unschuldig ist (unschuldig-instruier- te Bedingung). In Anlehnung an Untersuchungen zum so- 2.2 Versuchsmaterial zialen Hypothesentesten (z. B. Trope & Bassok 1983) und zu kognitiven Prozessen in Ermittlungen (Lidén et al. Das Versuchsmaterial bestand aus einer Fallvignette und 2018), wurde die Schuld-/Unschuldsverzerrung bzw. Of- einem daran anknüpfenden Fragebogen. Basierend auf fenheit mittels formulierter und ausgewählter Fragen ge- realen Fällen wurde eine Fallvignette konstruiert, welche messen. den Einbruch in ein Spielcasino und den Diebstahl von Es wurde angenommen, dass die Teilnehmer in der 8.000 € schilderte. Ein potentieller Beschuldigter wurde schuldig-instruierten Bedingung und der offen-instruier- präsentiert, den insgesamt neun verschiedene Indizien be- ten Bedingung allgemein eine schuldverzerrende Prüfstra- lasteten (Augenzeugenbericht, Fingerabdrücke, Videoauf- tegie anwenden (Hypothese 1a), während eine Schuldver- zeichnung, Wohnort, strafrechtliche Vorgeschichte und zerrung in der unschuldig-instruierten Bedingung nicht potentielles Motiv; für Details siehe Fallvignette im An- erwartet wurde (Hypothese 1b). Diese Annahme basiert hang). Die Informationen waren so formuliert, dass jedes auf der Überlegung, dass eine Schuldannahme strukturell einzelne Indiz belastend oder nicht belastend interpretier- angelegt ist, so dass auch ohne besondere Instruktion, die bar und somit uneindeutig war. Die Fallvignette endete Schuld zu prüfen, tendenziell schuldverzerrend geprüft mit der Information, dass der Beschuldigte schriftlich zur wird. Außerdem wurde angenommen, dass durch die ex- Vernehmung geladen wurde. In dem nachfolgenden Fra- plizite Aufforderung, die Unschuld zu prüfen, das Ausmaß gebogen sollten die Teilnehmer zunächst fünf Fragen for- der Schuldverzerrung in der unschuldig-instruierten Be- mulieren, die sie dem Beschuldigten in einer Vernehmung dingung geringer ausgeprägt ist als in den beiden anderen stellen würden. Die Instruktion zur Fragenformulierung Bedingungen (Hypothese 2). Dieser Hypothese liegt zu- variierte, sodass sich drei Untersuchungsbedingungen er- grunde, dass generell eine Tendenz zu einer positiven gaben: »Formulieren Sie hier bitte 5 Fragen, die Sie dem Prüfstrategie besteht und aufgrund der Instruktion, die Beschuldigten Boris Ivanov unter Berücksichtigung des Unschuld zu prüfen, folglich Informationen erfragt wer- aktuellen Ermittlungsstandes stellen würden.« (offen-in- den, die man bei der Unschuldsannahme erwarten würde. struiert-Bedingung); »... stellen würden, um herauszufin- den, ob er schuldig ist.« (schuldig-instruiert-Bedingung); »... stellen würden, um herauszufinden, ob er unschuldig 2 Methode ist« (unschuldig-instruiert-Bedingung).« Anschließend erhielten die Versuchsteilnehmer einen 2.1 Stichprobe Katalog mit zwölf Fragen1. Hiervon sollten sie vier Fragen Diese Studie umfasste 73 Bachelorstudierende einer Poli- zeihochschule (36 weiblich; 37 männlich), davon 23 Teil- 1 Zur Entwicklung des Fragenkatalogs wurde eine Pilotstudie durch- nehmer in der offen-instruierten Bedingung, 23 Teilneh- geführt (N = 23). Auf Grundlage der Fallvignette formulierten die mer in der schuldig-instruierten Bedingung und 27 Teil- Teilnehmer jeweils neun Fragen an den Beschuldigten (n = 5 in der nehmer in der unschuldig-instruierten Bedingung. Der offen-instruierten Bedingung; je n = 9 in der schuldig- bzw. unschuldig- instruierten Bedingung). Die so gesammelten 58 Fragen wurden sieben Altersdurchschnitt lag bei 27.28 Jahren (SD = 5.42; range unabhängigen Raterinnen vorgelegt, die diese auf einer 5-stufigen Ska- von 18 bis 41; ein Teilnehmer ohne diesbezügliche Anga- la hinsichtlich ihrer Prüfstrategie einschätzten (1 = stark schuldverzerrt; be) und die durchschnittliche polizeiliche Berufserfah- 3 = ergebnisoffen; 5 = stark unschuldverzerrt). Basierend auf den Mittel- rung betrug 3.21 Jahre (SD = 3.85; range von 0 bis 14). Die werten für jede der Fragen wurde der Fragenkatalog zusammengestellt;
86 Lennart May, Annemarie Stein, Thomas E. Gundlach und Renate Volbert auswählen, »die sie dem Beschuldigten stellen würden« überlegten sich verschiedene Szenarien, in denen der Be- (offen-instruierte-Bedingungen), bzw. »stellen würden, schuldigte entweder der tatsächliche Täter war oder nicht um herauszufinden, ob er schuldig ist« (schuldig-instru- und sich daraus ergebende Fragen an den Beschuldigten. ierte-Bedingung), bzw. »unschuldig ist« (unschuldig-in- Anschließend schätzten sie die frei formulierten Fragen struierte-Bedingung). auf einer fünfstufigen Likert-Skala von 1 (stark schuldver- Im letzten Fragebogenabschnitt machten die Teilneh- zerrt; z. B. »Ist es nicht ein seltsamer Zufall, dass Ihre Fin- mer demografische Angaben und gaben Informationen gerabdrücke ausgerechnet auf dem aufgebrochenen Auto- zur Berufserfahrung in Jahren. Außerdem schätzten die maten zu finden waren?«) über 3 (ergebnisoffen; z. B. »Wo Probanden auf siebenstufigen Likert-Skalen ihre Verneh- waren Sie in der Nacht vom 14. auf den 15. Mai?«) bis 5 ein mungserfahrung in Form der Häufigkeit der Teilnahme an (stark unschuldsverzerrt; z. B. »Haben Sie je beim Spielen Vernehmungen und eigene Durchführungen von Verneh- an den Automaten im Spielcasino $$$ die Schließvorrich- mungen (jeweils: 1 = nie, 7 = häufig). Schließlich gaben tung der Automaten berührt?«). Die von den Versuchsteil- sie an, wie motiviert sie bei der Studienteilnahme waren nehmern formulierten Fragen wurden zuvor von der Ver- (1 = überhaupt nicht motiviert, 7 = sehr motiviert) und wie suchsleiterin durchmischt. Die Raterinnen waren somit schwierig es war, die Studieninstruktionen zu verstehen (1 über den generellen Studienablauf informiert, aber blind = überhaupt nicht schwer, 7 = sehr schwer). bezüglich der Zugehörigkeit der einzuschätzenden Frage zur jeweiligen Untersuchungsbedingung. Bei allen vier Raterinnen handelte es sich um Psycho- 2.3 Ablauf logiestudentinnen im fortgeschrittenen Masterstudium (Psychologie). Sie erhielten eine Einführung in das Rating- Die Durchführung der Hauptstudie fand im Rahmen einer system und hatten während des Ratings die Möglichkeit Gruppentestung an einer Polizeihochschule in Deutsch- Rückfragen zu stellen. Die Beurteilungsübereinstimmung land statt. Zu Beginn informierte die Versuchsleiterin die der vier Raterinnen war nach Cicchetti (2001) sehr gut (In- Teilnehmenden in standardisierter Form über Zweck und traklassenkorrelation = .806). Die Werte der Raterinnen Ablauf der Studie. Sie legte den Versuchsteilnehmern die wurden anschließend für jede Frage gemittelt. Auf dieser beschriebenen Materialien mit der Information vor, es ge- Basis wurde pro Versuchsperson ein Gesamtmittelwert he um die Entwicklung eines Vernehmungsleitfadens. über alle fünf Fragen errechnet, der die abhängige Varia- Durch diese Coverstory sollte sichergestellt werden, dass ble »Prüfstrategie – Frage formulieren« darstellt. die Versuchspersonen die eigentliche Fragestellung der Bei der abhängigen Variablen »Prüfstrategie – Frage Untersuchung nicht erkannten. Anschließend füllten alle auswählen« wurde ein gewichteter Gesamtscore gebildet. Teilnehmer eine Einverständniserklärung zur Schwei- Hierzu wurden die ausgewählten Fragen, die in der Pilot- gepflicht über den Untersuchungsgegenstand gegenüber studie als stark schuldverzerrt geratet wurden (z. B. »Ha- Kommilitonen, zur Freiwilligkeit der Studienteilnahme ben Sie den Spielautomaten an der Schließvorrichtung be- und anonymen Verwendung der Daten aus. Alle Teilneh- rührt, um ihn aufzubrechen?«) mit »1« gewichtet, die offe- menden sollten das Versuchsmaterial in der vorgege- nen Fragen (z. B. »Wie erklären Sie sich, dass wir Ihre benen Reihenfolge alleine bearbeiten. Die Zuordnung zu Fingerabdrücke an der Schließvorrichtung des aufgebro- den drei Versuchsbedingungen erfolgte randomisiert beim chenen Automaten sichergestellt haben?«) mit »3« und die Austeilen der Materialien. Nach der Bearbeitung sammelte unschuldverzerrten Fragen (z. B. »Haben Sie sich beim die Versuchsleiterin die Materialien ein und löste die Co- Spiel an der Seite des Automaten angelehnt und ihn dabei verstory auf. Die Bearbeitung dauerte circa 35 Minuten. in Höhe der Schließvorrichtung berührt?«) mit »5«. Die ge- wichtete Summe wurde anschließend relativiert durch die Anzahl der ausgewählten Fragen (4). 2.4 Abhängige Variablen Vier unabhängige Raterinnen schätzten die frei formulier- 3 Ergebnisse ten Fragen hinsichtlich ihrer Schuld-/Unschuldsverzer- rung ein. Hierzu lasen sie zunächst die Fallvignette und 3.1 Voranalysen Bezüglich Alter, Geschlecht, Teilnahmemotivation, Be- d. h. zu vier Hinweisen der Fallvignette wurde jeweils eine eher offene, rufserfahrung sowie Vernehmungserfahrung fanden sich eine schuldverzerrte und eine unschuldverzerrte Frage ausgewählt. keine signifikanten Unterschiede zwischen den Unter-
Schuldig bei Verdacht? Prüfstrategien in Beschuldigtenvernehmungen 87 suchungsbedingungen. Ein signifikanter Unterschied er- Hypothese 1 b zeigte sich in der unschuldig-instruierten gab sich hinsichtlich der Verständlichkeit der Instruktio- Bedingung eine signifikante Abweichung Richtung Un- nen,2 Welch-Test F(2, 37.681) = 6.786, p = .003 (hier fehlte schuldsverzerrung, z = 2.623, p = .009, r = 0.505. die Angabe eines Teilnehmers). Bonferroni post-hoc Tests zeigten jedoch keine signifikanten Unterschiede zwischen Tabelle 1: Mediane, Mittelwerte und Standardabweichungen der der offen-instruierten (M = 1.78, SD = 1.13, n = 23), schul- angewendeten Prüfstrategien in den drei Bedingungen. dig-instruierten (M = 1.14, SD = 0.35, n = 22) und unschul- Prüfstrategie Prüfstrategie dig-instruierten Bedingung (M = 1.78, SD = 1,09, n = 27). Fragen formulieren Fragen auswählen Da die abhängigen Variablen (Fragen formulieren n Bedingung Mdn M SD Mdn M SD bzw. Fragen auswählen) nicht normalverteilt waren, wur- den der Wilcoxon-Einstichproben-Rangsummentest und Schuldig- 3.00 2.61 0.28 3.00 3.13 0.48 23 Kruskal-Wallis-Test als non-parametrische Äquivalente instruiert zum Einstichproben-t-Test und der einfaktoriellen Varian- Offen- 2.50 2.37 0.55 3.00 3.09 0.47 23 instruiert zanalyse durchgeführt. Unschuldig- 2.75 2.64 0.25 3.50 3.31 0.57 27 instruiert 3.2 Verzerrungstendenzen innerhalb der jeweiligen Versuchsbedingungen 3.3 Unterschiede im Ausmaß der Verzerrungstendenzen Zur Berechnung, in welchem Ausmaß die Teilnehmer in- zwischen den Versuchsbedingungen nerhalb der Bedingungen schuldverzerrende, unschulds- verzerrende oder ergebnisoffene Prüfstrategien anwand- Zur Untersuchung, ob Unterschiede im Ausmaß der An- ten, wurde für jede der drei Bedingungen mittels Wilco- wendung von un-/schuldverzerrenden Prüfstrategien zwi- xon-Einstichproben-Rangsummentest berechnet, ob eine schen den drei Bedingungen vorlagen, wurde der Kruskal- Abweichung vom Skalenmittelwert 3 (inhaltliche Bedeu- Wallis-Test mit dem dreistufigen Faktor Instruktion (offen, tung: ergebnisoffen) vorlag. schuldig, unschuldig) und den entsprechenden abhängi- gen Variablen durchgeführt. Im Widerspruch zu Hypothe- se 2 zeigte sich, dass die Instruktion keinen Einfluss auf 3.2.1 Prüfstrategie – Fragen formulieren. die angewandte Prüfstrategie beim Formulieren der Fra- Bei den selbst formulierten Fragen fanden sich entspre- gen hatte, H(2) = 2.004, p = .367, r = 0.235; auch auf die chend Hypothese 1 a signifikante Abweichungen in Rich- angewandte Prüfstrategie beim Auswählen der Fragen tung Schuldverzerrung in der schuldig-instruierten Bedin- hatten die Instruktionen keinen Einfluss, H(2) = 1.595, p = gung, z = -3.967, p < .001, r = -0.827, und der offen-instru- .450, r = 0.187. ierten Bedingung, z = -4.200, p < .001, r = -0.876. Im Widerspruch zu Hypothese 1 b zeigte sich auch in der un- schuldig-instruierten Bedingung eine signifikante Ab- 4 Diskussion weichung Richtung Schuldverzerrung, z = -4.258, p < .001, r = -0.819 (deskriptive Statistiken siehe Tabelle 1). Die vorliegende Studie untersuchte die Anwendung von Prüfstrategien in Beschuldigtenvernehmungen. Dafür wur- den Studierende einer Polizeihochschule aufgefordert, zu 3.2.2 Prüfstrategie – Fragen auswählen. einem vorgegebenen Fall mit einer uneindeutigen Beweis- Bei den ausgewählten Fragen fanden sich entgegen Hypo- lage Fragen für die Beschuldigtenvernehmung zu formulie- these 1 a keine signifikanten Abweichungen in Richtung ren bzw. aus einem Fragenkatalog auszuwählen. Die drei Schuldverzerrung in der schuldig-instruierten Bedingung, Versuchsbedingungen unterschieden sich dahingehend, z = 1.103, p = .270, r = 0.230 und der offen-instruierten Be- dass entweder eine explizite Prüfrichtung vorgegeben wur- dingung, z = 0.894, p = .371, r = 0.186. Im Einklang mit de (schuldig-instruiert bzw. unschuldig-instruiert) oder nicht (offen-instruiert). Hintergrund hierfür war die Ver- mutung, dass eine polizeiliche Beschuldigtenvernehmung 2 Aufgrund eines signifikanten Ergebnisses des Levene-Tests und ei- strukturell bedingt eine schuldverzerrende Prüfstrategie ner damit einhergehenden Verletzung der Varianzhomogenität wurde begünstigt und dieser mittels der Instruktion, die Unschuld der Welch-Test durchgeführt. zu prüfen, entgegengewirkt werden kann.
88 Lennart May, Annemarie Stein, Thomas E. Gundlach und Renate Volbert Es zeigte sich, dass das Ausmaß der Schuldverzerrung tiver Beanspruchung verbunden ist und dass eine starke in Abhängigkeit von der Messung der Prüfstrategie unter- kognitive Beanspruchung konfirmatorische Prozesse be- schiedlich ausfiel: Beim Auswählen aus einem Fragenka- günstigt. talog war entgegen unserer Hypothese keine schuldver- Die Ergebnisse legen nahe, dass ein prinzipielles Wis- zerrte Abweichung in der offen-instruierten und in der sen um eine offene Befragung bei der Formulierung eige- schuldig-instruierten Bedingung festzustellen. Möglicher- ner Fragen nicht optimal umgesetzt werden kann und eine weise verglichen die Teilnehmer hier die verschiedenen Schuldverzerrung dabei stärker zum Tragen kommt als bei Fragevarianten des Fragenkatalogs miteinander und ent- der Auswahl von Fragen. In der polizeilichen Praxis er- schieden sich für eine ergebnisoffene Frage. Dies spricht folgt die Vernehmungsplanung nicht durch Auswahl aus für ein prinzipielles Bewusstsein, dass Fragen offen zu for- einem vorgefertigten Fragekatalog, sondern – wenn denn mulieren sind. In der unschuldig-instruierten Bedingung eine Vernehmungsplanung erfolgt – durch die Vorab-For- kam es beim Auswählen von Fragen zu einer unschulds- mulierung eigener Fragen. Zu einem erheblichen Teil wer- verzerrten Abweichung. Dieses Ergebnis steht mit der Hy- den Fragen aber erst in der Vernehmungssituation formu- pothese in Einklang, dass bei unschuldiger Prüfinstrukti- liert. Sollten die Ergebnisse Schwierigkeiten beim Formu- on eher nach Ereignissen gefragt wird, die bei Unschuld lieren ergebnisoffener Fragen reflektieren, dürften diese erwartet werden (i. S. e. positiven Prüfstrategie). Zwischen aufgrund der generell stärkeren kognitiven Beanspru- den drei Instruktionsbedingungen fanden sich allerdings chung in der unmittelbaren Vernehmungssituation ver- keine signifikanten Unterschiede der Prüfstrategie beim mutlich noch stärker ins Gewicht fallen als in der hier Auswählen aus einem Fragenkatalog. Insgesamt wählten durchgeführten Studie. Die Ergebnisse legen daher nahe, die Teilnehmenden somit überwiegend ergebnisoffene dass in der Ausbildung von Polizisten nicht nur angemes- Fragen aus, wenn ihnen ein Fragekatalog vorgelegt wur- sene Vernehmungsmethoden theoretisch vermittelt, son- de. dern auch praktisch geübt werden sollten, damit in der Sollten die Teilnehmenden selbst Fragen formulieren, tatsächlichen Vernehmungssituation offene Frageformu- zeigte sich im Einklang mit unserer Hypothese in der lierungen leichter zur Verfügung stehen. schuldig-instruierten Bedingung und der offen-instruier- Die Studie macht deutlich, dass Vernehmende vor einer ten Bedingung eine schuldverzerrte Abweichung. Ent- großen Herausforderung stehen. Sie sollen einer Person den gegen unserer Hypothese zeigte sich bei eigener Fragefor- Beschuldigtenstatus zuschreiben, wenn sie hinreichende mulierung eine schuldverzerrte Abweichung auch in der Verdachtsmomente gesammelt haben. Dieser Zuschrei- unschuldig-instruierten Bedingung. Zwischen den drei bungsprozess setzt eine eigene Schuldüberzeugung zu ei- Testinstruktionen fanden sich wiederum keine signifikan- nem gewissen Ausmaß voraus. Wenn sie dann allerdings ten Unterschiede. Die festgestellte Tendenz zur Schuldver- den Beschuldigten vernehmen, sollen sie diese vorherigen zerrung bei der Formulierung eigener Fragen konnte Überlegungen möglichst ausblenden und die Beschuldig- durch eine Instruktion, die Unschuld des Beschuldigten tenvernehmung ergebnisoffen durchführen. Die vorliegen- zu prüfen, somit nicht verhindert werden. den Ergebnisse legen nahe, dass den Polizeistudierenden Diese Ergebnisse stehen in Einklang mit den oben re- die Notwendigkeit oder zumindest die an sie gerichtete Er- ferierten Ergebnissen von Lidén et al. (2018), die ebenfalls wartungshaltung einer ergebnisoffenen Prüfstrategie prin- eine Schuldverzerrung bei selbständig formulierten Fra- zipiell bewusst ist. Bei der Formulierung eigener Fragen gen fanden, aber nicht beim Auswählen aus einem Fra- zeigte sich dennoch eine schuldverzerrte Tendenz, und genkatalog. Dies lässt unterschiedliche Interpretationen zwar in allen drei Instruktionsbedingungen. Die simple In- zu: So ist es möglich, dass die Aufforderung, selbständig struktion, herauszufinden, ob der Beschuldigte unschuldig Fragen zu formulieren, eine schuldunterstellende Befra- ist, schwächte diese schuldverzerrte Tendenz also nicht be- gungstendenz realistisch wiedergibt und dass die Präfe- deutsam ab. renz ergebnisoffener, neutraler Fragen bei der Vorgabe Es sind daher weitere Untersuchungen zur Entwick- von Fragen eher eine Antworttendenz im Sinne sozialer lung von Strategien erforderlich, die Bestätigungsverzer- Erwünschtheit reflektieren. Umgekehrt könnten die Ergeb- rungen in Ermittlungen entgegenwirken. Fahsing, Rachlew nisse auch darauf verweisen, dass Vernehmende Informa- und May (2020) fanden in einer Studie mit Polizeistudie- tionen ergebnisoffen prüfen wollen, aber Schwierigkeiten renden, dass die explizite Aufforderung das Gegenteil zu haben, Frageformulierungen zu finden, die diese Offen- berücksichtigen (»consider the opposite«) bei der syste- heit auch zum Ausdruck bringen. Lidén et al. (2018) gehen matischen Formulierung von Alternativhypothesen helfen von letztgenannter Möglichkeit aus und argumentieren, kann (siehe z. B. auch Rassin 2018, für ein »pen and pa- dass die Formulierung eigener Fragen mit höherer kogni- per – tool«). Fahsing (2016) schlägt weiter vor, dass Ermitt-
Schuldig bei Verdacht? Prüfstrategien in Beschuldigtenvernehmungen 89 ler zunächst systematisch alle möglichen Alternativhypo- nationale Forschungsarbeiten zeigen, dass Verzerrungen thesen konkurrierend formulieren und anschließend mit- beim Formulieren und Prüfen von Hypothesen die Infor- tels Ermittlungstechniken verifizierend und falsifizierend mationssammlung und -interpretation in Ermittlungen ne- prüfen sollen. Zur Untersuchung dieser Überlegung wäre gativ beeinflussen können. Polizeiliche Ermittlungen kön- zum Beispiel denkbar, dass Teilnehmende vor der Frage- nen wiederum das nachfolgende Verfahren in entschei- formulierung explizit ein Szenario beschreiben, wonach dender Weise prägen und schließlich in Justizirrtümern der Beschuldigte unschuldig ist (im Sinne von konkreten münden (z. B. Kassin et al. 2013). Deshalb wäre es wün- Alternativhypothesen). Erst durch ein Falsifizieren der Al- schenswert, dass sich zukünftig weitere Untersuchungen ternativhypothesen (bzw. Unschuldshypothese) bliebe die den Prüfstrategien in Ermittlungen in Deutschland wid- Verdachtshypothese als bestmögliche Erklärung der vor- men und insbesondere kognitive Hilfsmittel entwickeln, liegenden Erkenntnisse bestehen bis gegenteilige Erkennt- die solchen Verzerrungen entgegenwirken können. Dabei nisse auftauchen. Außerdem schlug van der Sleen (2009) kommt auch der polizeilichen Aus- und Fortbildung eine vor, bei der Vernehmungsvorbereitung alle denkbaren Er- besondere Bedeutung zu. Diese darf sich nicht nur auf klärungsvarianten eines Beschuldigten zu antizipieren, theoretische Wissensvermittlung beschränken, sondern um die Wahrscheinlichkeit zu reduzieren, dass man als sollte auch Vernehmungsübungen und -trainings anbie- Vernehmer von der Schuld des Beschuldigten ausgeht. ten. Die vorliegende Studie weist einige Limitationen auf. Bereits innerhalb der Studie variierte die Einschätzung der Schuldverzerrung in Abhängigkeit davon, ob die Fragen Literatur aus einem vorgegebenen Fragenkatalog gewählt oder selbst formuliert wurden. Insofern ist nicht auszuschlie- Ask, K., & Fahsing, I. (2018). Investigative decision making, in ßen, dass sich die Frageformulierung in einer tatsäch- A. Griffiths & R. Milne (Hrsg.), The Psychology of Criminal Inves- tigation: From Theory to Practice. London & New York, 52–73. lichen Vernehmung noch einmal anders gestaltet. Um Ask, K. & Granhag, P.A. (2005). Motivational Sources of Confirmation gleichzeitig die Effekte unterschiedlicher Instruktionen Bias in Criminal Investigations: The Need for Cognitive Closure. prüfen zu können, könnten zukünftige Studien mit simu- Journal of Investigative Psychology and Offender Profiling, 2/1, lierten Vernehmungen arbeiten. Des Weiteren war die 43–63. Stichprobe relativ klein, wodurch die statistischen Tests Charman, S.D., Kavetski, K., & Hirn Mueller, D. (2017). Cognitive bias in the legal system: Police officers evaluate ambiguous evidence unter einer geringen Power leiden und eine zukünftige Re- in a belief-consistent manner. Journal of Applied Research in plikation mit deutlich umfangreicher Stichprobe erfolgen Memory and Cognition 6/2, 193–202. sollte. Außerdem kann lediglich spekuliert werden, ob Cicchetti, D. V. (2001). Methodological commentary. The precision of durch die Stichprobe von Studierenden einer Polizeihoch- reliability and validity estimates re-visited: Distinguishing bet- schule, das Ausmaß der Anwendung einer schuldverzer- ween clinical and statistical significance of sample size require- renden Prüfstrategie unter- oder überschätzt wird. Einer- ments. Journal of Clinical and Experimental Neuropsychology 23/5, 695–700. seits ist denkbar, dass in realen Vernehmungen eine inten- Cooper, G.S., & Meterko, V. (2019). Cognitive bias research in foren- sivere Auseinandersetzung mit dem Fallmaterial und eine sic science: A systematic review. Forensic Science International umfassendere Vorbereitung erfolgt, was eine ergebnisoffe- 297, 35–46. ne Vernehmung fördern könnte. Jedoch ist auch möglich, Doherty, M. E., Mynatt, C.R., Tweney, R.D., & Schiavo, M.D. (1979). dass sich potentielle schuldverzerrende Vorgehensweisen Pseudodiagnosticity. Acta Psychologica 43/2, 111–121. Dowling, C. & Gundlach, T. (2019). Von Urteilsheuristiken und -ver- mit zunehmender Erfahrung verfestigen und sich daher zerrungen – und was Ermittler daraus lernen können. Krimina- mit längerer Berufserfahrung auch ausgeprägter zeigen. listik 2, 73–79. Zukünftige Studien könnten dieser Frage nachgehen, in- Dror, I.E., Charlton, D., & Peron, A. (2006). Contextual information dem Laien und Polizisten mit variierender Erfahrung ein- renders experts vulnerable to making erroneous identifications. bezogen werden. Schließlich ist die Motivation bei der Be- Forensic Science International 156, 174–178. arbeitung einer Fallvignette sicherlich nicht vergleichbar Dror, I.E., & Hampikian, G. (2011). Subjectivity and bias in forensic DNA mixture interpretation. Science & Justice 51, 204–208. mit der einer tatsächlichen Fallbearbeitung. Einflüsse mo- Eisenberg, U. (2017). Beweisrecht der StPO. 10. Aufl. München. tivationaler Aspekte in Ermittlungen auf Bestätigungsver- Eerland, A. & Rassin, E. (2012). Biased evaluation of incriminating zerrungen sollten deshalb zukünftig genauer beleuchtet and exonerating (non)evidence. Psychology, Crime, & the Law, werden. 18, 351–358. Die vorliegende Studie muss als ein Schritt betrachtet Fahsing, I. (2016). The Making of an Expert Detective. Thinking and Deciding in Criminal Investigations. Philosophical Doctorate, werden, die Prüfstrategien bei polizeilichen Beschuldig- University of Gothenburg. tenvernehmungen in Deutschland zu untersuchen. Inter-
90 Lennart May, Annemarie Stein, Thomas E. Gundlach und Renate Volbert Fahsing, I. & Ask, K. (2013). Decision making and decisional tipping Trope, Y., & Liberman, A. (1996). Social hypothesis testing: Cognitive points in homicide investigations: An interview study of British and motiva- tional mechanisms, in E. T. Higgins & A. W. and Norwegian detectives. Journal of Investigative Psychology Kruglanski (Eds.), Social Psychology: Handbook of basic princi- and Offender Profiling 10, 155–165. ples. New York, 239–270 Fahsing, I., Rachlew, A., & May, L. (2020). Have you considered the Tversky, A., & Kahneman, D. (1973). Availability: A heuristic for jud- opposite? A corrective strategy for judgment in criminal justice. ging frequency and probability. Cognitive Psychology 5/2, Manuskript eingereicht zur Publikation. 207–232. Findley, K.A., & Scott, M.S. (2006). The Multiple Dimensions of Tunnel van der Sleen, J. (2009). A Structured Model for Investigative Inter- Vision in Criminal Cases. Wisconsin Law Review 2006/2, viewing of Suspects, in: R. Bull, T. Valentine & T. Williamson 291–397. (Eds.), Handbook of Psychology of Investigative Interviewing: Gould, J.B., Carrano, J., Leo, R.A., & Hail-Jares, K. (2014). Predicting Current Developments and Future Directions. Chichester, Erroneous Convictions. Iowa Law Review 99/2, 471–522. 35–52. Hill, C., Memon, A., & McGeorge, P. (2008). The role of confirmation vom Schemm, K., Dreger, B., & Köhnken, G. (2008). Suggestion und bias in sus- pect interviews: A systematic evaluation. Legal and konfirmatorisches Testen sozialer Hypothesen in Befragungs- Criminological Psychology 13, 357–371. situationen. Forensische Psychiatrie, Psychologie, Kriminologie Kassin, S.M. (2015). The social psychology of false confessions. So- 2/1, 20–27. cial Issues and Policy Review 9/1, 25–51. Volbert, R., & Böhm, C. (2008). Falsche Geständnisse. In R. Volbert & Kassin, S.M., Dror, I.E., & Kukucka, J. (2013). The forensic confirmati- M. Steller (Hrsg.), Handbuch der Rechtspsychologie. Göttingen, on bias: Problems, perspectives, and proposed solutions. 253–263 Journal of Applied Research in Memory and Cognition 2/1, Volbert, R., & May, L. (2016). Falsche Geständnisse in polizeilichen 42–52. Vernehmungen – Vernehmungsfehler oder immanente Gefahr? Kassin, S.M., Goldstein, C.C. & Savitsky, K. (2003). Behavioral confir- Recht & Psychiatrie 34, 4–10. mation in the interrogation room: on the dangers of presuming Volbert, R., May, L., Hausam, J., & Lau, S. (2019). Confessions and guilt. Law and Human Behavior 27/2, 187–203. denials when guilty and innocent: Forensic patients’ self-repor- Klayman, J., & Ha, Y.-w. (1987). Confirmation, disconfirmation, and ted behavior during police interviews. Frontiers in Psychiatry 10/ information in hypothesis testing. Psychological Review 94/2, 168. 211–228. Walder, H., Hansjakob T., Gundlach, T., & Straub, P. (2020). Krimina- Lidén, M., Gräns, M., & Juslin, P. (2018). 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Dubelaar, R. Kölbel & M. Lindemann Laut ihren Zeugenaussagen nahmen sie bei ihrem Ein- (Hrsg.), Vom hochgemuten, voreiligen Griff nach der Wahrheit. treffen eine Person wahr, die sich widerrechtlich Zutritt Baden-Baden, 103–132. zum Casino verschafft hatte und in der Folge flüchten Rassin, E. (2018). Reducing tunnel vision with a pen-and-paper tool for the weighting of criminal evidence. Journal of Investigative konnte. Die Person sei männlich, ca. 180-190 cm groß und Psychology and Offender Profiling 15/2, 227–223. von kräftiger Statur gewesen. Er habe dunkle Kleidung ge- Rassin, E., Eerland, A., & Kujpers, I. (2010). Let’s find the evidence: An tragen und sein Gesicht sei von einer Kapuze verdeckt analogue study of confirmation bias in criminal investigations. worden. Der unbekannte Täter entwendete aus einem Au- Journal of Investigative Psychology and Offender Profiling, 7, tomaten ca. 8.000 €, die er vermutlich in einem Rucksack 231-246. Schulz-Hardt, S. & Köhnken, G. (2000). Wie ein Verdacht sich selbst mit sich führte. bestätigen kann: Konfirmatorisches Hypothesentesten als Ur- An der Seite in Höhe der Schließvorrichtung und auf sache von Falschbeschuldigungen wegen sexuellen Kindes- dem Bildschirm des aufgebrochenen Automaten fanden missbrauchs. Praxis der Rechtspsychologie 10/1, 60–88. sich unter anderem Fingerabdrücke von Boris Ivanov. Snyder, M., & Swann Jr., W.B. (1978). Hypothesis-Testing Processes Laut POLIKS-Auskunft1 ist Herr Ivanov 28 Jahre alt, in Social Interaction. Journal of Personality & Social Psychology 183 cm groß, in der Sprengelstraße 35 in Berlin-Wedding 36/11, 1202–1212. Trope, Y., & Bassok, M. (1983). Information-gathering strategies in gemeldet, deutscher Staatsbürger und bereits im Rahmen hypothesis-testing. Journal of Experimental Social Psychology von Laden- und Handtaschendiebstählen polizeilich in Er- 19/6, 560–576. scheinung getreten.
Schuldig bei Verdacht? Prüfstrategien in Beschuldigtenvernehmungen 91 Aus den Ihnen vorliegenden polizeitaktischen Hin- jedoch keinen größeren Gewinn erzielt und gegenüber weisen geht hervor, dass Herr Ivanov BTM-Konsument ist dem Zeugen frustriert geäußert, er werde »sich sein Geld (Heroin und Kokain). beim nächsten Mal schon holen«. Ein Angestellter des Spielcasinos erkannte Boris Auswertungen von Videoaufzeichnungen der Ein- Ivanov in seiner Zeugenvernehmung anhand einer Wahl- bruchsnacht einer ca. 250 m vom Spielcasino entfernt lichtbildvorlage als Gast des Casinos wieder. Dieser Zeuge gelegenen Bank ergaben, dass Boris Ivanov diese um gab an, Herr Ivanov sei wiederholt im Casino gewesen, so 01:46 Uhr in Richtung des Casinos passierte. auch am Samstagnachmittag (14. Mai 2016). An diesem Boris Ivanov wurde schriftlich zur heutigen Verneh- Tag habe Herr Ivanov an mehreren Automaten gespielt, mung geladen.
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