Schulische Sozialisation - WS 08/09
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Dipl. - Päd. Michael Schüßler Universität Trier FB I/Bildungswissenschaften Schulische Sozialisation – WS 08/09 Zusammenfassung der veranstaltungsrelevanten Inhalte der Online-Vorlesung von Frau Professorin Anne Sliwka im VCRP zum Thema „Sozialisation- Erziehung- Entwicklung- Bildung“ Lerneinheit 1: Grundbegriffe der Bildungswissenschaft … Kurzdefinition: Was ist Sozialisation? Der Prozess, durch den der Mensch zur sozialen und gesellschaftlich hand- lungsfähigen Person wird, in dem er ingesellschaftliche Struktur- und Interaktions- zusammenhänge hineinwächst und von diesen geprägt wird. Sozialisation (aus dem Lateinischen, sociare = verbinden) ist die Anpassung an gesellschaftliche Denk- und Handlungsmuster durch die Internalisation von Normen. Sie bezeichnet zum einen die Entwicklung der Persönlichkeit aufgrund ihrer Interaktion mit einer spezifischen, materiellen und sozialen Umwelt, zum anderen die sozialen Bindungen von Individuen, die sich im Zuge sozialisatorischer Beziehungen konstituieren. Sie umfasst sowohl die absichtsvollen und planvollen Maßnahmen (=Erziehung) als auch die unabsichtlichen Einwirkungen auf die Persönlichkeit. Wesentliche Faktoren des Lernens von Kindern werden häufig unter dem Begriff der Sozialisation zusammengefasst, also dem Hineinwachsen in einen von der jeweiligen Umwelt vorgegebenen sozialen Raum. Dazu gehört das Erlernen einer Sprache und deren Regeln, der Sinn von Symbolen, die Regeln des sozialen Umgangs und des Verhaltens bei spezifischen Anlässen, die Wahrnehmung von sozialen Positionen mit ihren Rechten und Pflichten, die Instanzen und Institutionen mit ihren Funktionen, die Bräuche und die Moden. Die Grundlagen werden durch Anleitung und Anforderung, Information und Belehrung, durch Beobachtung und Nachahmung von Vorbildern, durch Strafen und Belohnungen gelegt. Die Familie, der Kindergarten, der Spielplatz, die Hausgemeinschaft, das Dorf, die Medien sind an diesem Prozess beteiligt. Dieses Lernen ist nie zu Ende, nicht zuletzt deshalb, weil sich die eigene soziale Rolle des Kindes ständig an seinen jeweiligen Entwicklungsstand anpassen muss. Sozialisation bezeichnet meist die Gesamtheit all jener durch die Gesellschaft vermittelten Lernprozesse, in denen das Individuum in einer bestimmten Gesellschaft (Übertragung von Bräuchen etc.) und ihrer Kultur sozial handlungsfähig wird - also am sozialen Leben teilhaben und an dessen Entwicklung mitwirken kann. Sozialisation ist somit ein lebenslanger Prozess. Gruppen, Personen und Institutionen, welche die sozialen Lernprozesse des Individuums steuern und beeinflussen, bezeichnet man als Sozialisationsinstanzen. Die primäre Sozialisation (Soziabilisierung) findet vor allem in der Familie - aber auch in Beziehungen zu Gleichaltrigen - statt und wird mit der Herausbildung einer personalen Identität des Individuums abgeschlossen. Ein Kind entwickelt
normalerweise in dieser Phase das sogenannte Urvertrauen - durch die liebevolle Zuwendung (körperlich und emotional), die es durch seine Familie erfährt. Damit wird es ihm erst ermöglicht, sozial handlungsfähig zu werden und offen für weitere Sozialisationsschritte. Die sekundäre Sozialisation (Enkulturation) bezeichnet den Prozess der Vergesellschaftung. Das Kind lernt in dieser Phase alle Normen, Techniken, Regeln und Fähigkeiten der eigenen Kultur (durch Familie, Schule, Freunde, Medien...). Von besonderer Bedeutung ist auch das Erlernen der eigenen Sprache (einschließlich der Symbolsprache). Die in dieser Phase verinnerlichten Normen, Werte und Verhaltensweisen gelten als stabil, können sich aber in einer tertiären Sozialisation noch ändern (z.B. bei Kontakt mit anderen Wertegemeinschaften). Die tertiäre Sozialisation (Individuation) findet im Erwachsenenalter statt und bezeichnet die Anpassungen, die das Individuum in Interaktion mit seiner sozialen Umwelt ständig vornimmt. Da Sozialisation als ein lebenslanger Prozess des Lernens und der Anpassung verstanden werden muss, wird auch im beruflichen Bereich (berufliche Sozialisation) und darüber hinaus von einer tertiären Sozialisation gesprochen. Lerneinheit 3: Sozialisation … Sozialisation ist: 1. die Gesamtheit aller äußeren Einflüsse, die auf einen heranwachsenden Menschen einwirken, damit auch die Erziehung durch Eltern, Lehrer etc., aber auch die Einflüsse anderer Menschen, z. B. Geschwister, Freunde, sowie die allgemeinen Lebensbedingungen in einem bestimmten Kulturkreis, einem bestimmten Volk, einer bestimmten Zeit, einer bestimmten sozialen Schicht und einer ganz spezifischen Familie. 2. die innere Verarbeitung dieser Einflüsse durch den Heranwachsenden und damit die Herausbildung einer allgemeinen psychische Struktur und 3. die unter diesen Umständen herausgebildeten Gefühle und Verhaltensweisen. Sozialisation ist ein Prozess, der nie abgeschlossen ist. Im Zentrum steht die Entwicklung der menschlichen Persönlichkeit sowie der sozialen Beziehungen einer Person. Zur Persönlichkeit gehört einerseits die Individualität, die den Einzelnen von allen Anderen unterscheidet, andererseits die Intersubjektivität, die die Mitglieder einer Gesellschaft oder Gemeinschaft miteinander teilen (Werte, Normen, soziale Rollen, usw.) Primäre Sozialisation Die primäre Sozialisation (Soziabilisierung) findet vor allem in der Familie - aber auch in Beziehungen zu Gleichaltrigen - statt und wird mit der Herausbildung einer personalen Identität des Individuums abgeschlossen. Ein Kind entwickelt normaler- weise in dieser Phase das sogenannte Urvertrauen - durch die liebevolle Zuwendung (körperlich und emotional), die es durch seine Familie erfährt. Damit wird es ihm erst ermöglicht, sozial handlungsfähig zu werden und offen für weitere Sozialisationsschritte.
Sekundäre Sozialisation Die sekundäre Sozialisation (Enkulturation) bezeichnet den Prozess der Vergesellschaftung. Das Kind lernt in dieser Phase alle Normen, Techniken, Regeln und Fähigkeiten der eigenen Kultur (durch Familie, Schule, Freunde, Medien...). Von besonderer Bedeutung ist auch das Erlernen der eigenen Sprache (einschließlich der Symbolsprache). Die in dieser Phase verinnerlichten Normen, Werte und Verhaltensweisen gelten als stabil, können sich aber in einer tertiären Sozialisation noch ändern (z.B. bei Kontakt mit anderen Wertegemeinschaften). Tertiäre Sozialisation Die tertiäre Sozialisation (Individuation) findet im Erwachsenenalter statt und bezeichnet die Anpassungen, die das Individuum in Interaktion mit seiner sozialen Umwelt ständig vornimmt. Da Sozialisation als ein lebenslanger Prozess des Lernens und der Anpassung verstanden werden muss, kann schließlich auch im beruflichen Bereich (berufliche Sozialisation) und darüber hinaus von einer tertiären Sozialisation gesprochen werden. Urie Bronfenbrenner hat das Feld menschlicher Sozialisation als Ökosystem beschrieben: Das Ökosystem umfasst die gesamte materielle und soziale Umwelt eines Menschen. Diese strukturiert Bronfenbrenner in folgende Systemebenen: • Mikrosysteme (in der Grafik rot) umfassen die Beziehungen eines Menschen zu anderen Menschen oder zu Gruppen, also beispielsweise die Beziehung zur Familie, der Schule, dem Arbeitsplatz etc. Auf dieser Ebene der persönlichen Beziehungen gestalten beispielsweise Kleinkinder in Interaktion mit den Bezugspersonen ihre eigenen Entwicklungsbedingungen mit.
• Ein Mesosystem (blau) ist die Gesamtheit der Beziehungen eines Menschen, also die Summe der Mikrosysteme und die Beziehung zwischen ihnen. Ein Beispiel für eine mesosystemische Interaktion ist das Zusammenspiel zwischen Kindertagesstätte und Elternhaus. • Ein Exosystem (grau) ist ein Beziehungsgeflecht, dem die Person nicht direkt angehört, so dass sie nur einen beschränkten oder gar keinen Einfluss auf dessen Gestaltung hat. Dennoch haben die Exosysteme mitunter erheblichen Einfluss, da ihm Bezugspersonen der Person angehören. Ein solches Exosystem ist zum Beispiel die Arbeitsstelle der Mutter eines Kindes. Die geringen Einflussmöglich- keiten bei gleichzeitig hoher Wirkung werden etwa am Beispiel der Interaktion zwischen Lehrern und Eltern bei der Schulwahl am Ende der Primarstufe deutlich. • Chronosysteme (gelb) umfassen die zeitliche Dimension der Entwicklung, z. B. die markanten Zeitpunkte in der Entwicklung, und deren biographische Abfolge. Bronfenbrenner unterscheidet zwischen „normativen“ Chronosystemen (wie dem Schuleintritt oder der Aufnahme der Berufstätigkeit) und „non-normativen“ (etwa schwere Krankheit von Angehörigen oder Lotteriegewinn). • Das Makrosystem (grün) ist die Gesamtheit aller Beziehungen in einer Gesell- schaft, damit auch der Normen, Werte, Konventionen, Traditionen, der kodifizierten und ungeschriebenen Gesetze, Vorschriften und Ideologien. (Portfolio-Aufgabe 8: Nennen Sie jeweils ein konkretes Beispiel für eine menschliche Erfahrung in der primären, sekundären und tertiären Sozialisation.) … Lerneinheit 12: Schule als Ort einer gelingenden Erziehung, Sozialisation und Bildung Zentrale Schlüsselbegriffe der Lerneinheit - sokratischer Eid - Hartmut von Hertig (Portfolio-Aufgabe 23: Schauen Sie sich die Internetseiten der drei im Folgenden vorgestellten Schulen genau an. Was haben die Schulen gemeinsam? Was zeichnet das Profil und das pädagogische Konzept der Schulen aus? Was an den Schulen hat Sie besonders beeindruckt?) Laborschule (Bielefeld): Die Laborschule in Bielefeld ist Versuchsschule des Landes Nordrhein-Westfalen. Im Jahre 1974 wurde sie nach den Ideen des Pädagogen Hartmut von Hentig zusammen mit dem benachbarten Oberstufen-Kolleg Bielefeld gegründet. Als Versuchsschule des Landes hat sie den Auftrag, „neue Formen des Lehrens und Lernens und Zusammenlebens in der Schule zu entwickeln“. Komplementär zur Versuchsschule existiert die Wissenschaftliche Einrichtung Laborschule, die als Institut der Universität Bielefeld die Arbeit der Schule begleitet und evaluiert. An der Laborschule werden Schüler der Jahrgänge 0 bis 10 unterrichtet, wobei die Übergänge von einem Jahrgang zum nächsten fließend sind. Die Schule unterteilt
nicht nach Jahrgängen, sondern nach Stufen, die mehrere Jahrgänge zusammenfassen, sich teilweise überschneiden und altersgemischte Gruppen bilden. Notenzeugnisse werden erst in den Jahrgängen 9 und 10 erteilt. http://www.uni-bielefeld.de/LS/laborschule_neu/index.html Helene-Lange-Schule (Wiesbaden): Die Helene-Lange-Schule ist eine Integrierte Gesamtschule in Wiesbaden und eine von 18 UNESCO-Projektschulen in Hessen. 1986 wurde die Helene-Lange-Schule unter der Leitung in eine integrierte Gesamtschule mit reformpädagogischem Profil umgewandelt. Bereits 1987 wurde sie als UNESCO-Projektschule aufgenommen. Nachdem Enja Riegel 1986 Schulleiterin wurde, machte sie es sich zur Aufgabe, die Helene-Lange-Schule komplett umzustellen. Sie reduzierte die Klassenstärken auf 25 Schüler, die Jahrgänge auf vier Klassen. Einige der dadurch ungenutzten Klassenräume riss sie mit Unterstützung des Kollegiums ab, um große Aufenthaltszonen zu schaffen, in denen die Schüler freie Arbeiten selbständig durchführen konnten. Die Schule sollte ausdrücklich ein „Lebensraum“ für Schüler und Lehrer werden. In Projektwochen nach der Einschulung richten sich neue Klassenverbände selber ein, gestalten zum Beispiel Tische und Stühle selber. Auf Selbständigkeit wird an der Helene-Lange- Schule sehr großer Wert gelegt. Aber auch die traditionelle Form des Frontalunterrichts wurde verändert. In jedem Schuljahr finden mehrwöchige Projekte statt, die dann, eng verzahnt mit dem konventionellen Fachunterricht, fächerübergreifend über eine bestimmte Zeit durch- geführt werden. Sie sollen ein ganzheitliches Verstehen fördern und enden in der Regel mit einer Präsentation. Darüber hinaus prägen Feste, Feiern, Schultheater, Veranstaltungen vor der Schulöffentlichkeit, aber auch gemeinsame Reisen und Projekte das Schulleben. Einen besonderen Schwerpunkt der Schule bildet das Theaterspielen. Die Helene- Lange-Schule hat eine eigene Theaterwerkstatt, in der projektweise ganze Klassen Stücke einstudieren und aufführen, teilweise unter der Betreuung eines professio- nellen Regisseurs. http://helene-lange-schule.templ2.evision.net/ Max-Brauer-Schule (Hamburg): Die Max-Brauer-Schule ist eine Gesamtschule. Die Schule wird von etwa 1200 Schülerinnen und Schülern aus über 30 Nationen besucht. Diese werden von rund 100 Lehrerinnen und Lehrern unterrichtet sowie von zwei Sozialpädagogen betreut. Die Max-Brauer-Schule ist eine Schule mitten im Stadtteil, für den Stadtteil und darüber hinaus. Die Max-Brauer-Schule steht für individualisiertes Lernen. Die Schülerinnen und Schüler lernen in ihrem eigenem Tempo entsprechend ihrer eigenen Fähigkeiten und Fertigkeiten, Interessen und Neigungen.
Besonderen Wert legt die Schule: • auf die Förderung von Schülerinnen und Schülern mit Lernstärken und Lernschwächen, • auf die Kooperation der Lehrerinnen und Lehrer, der Schülerinnen und Schüler und der Eltern, • auf ein gutes Schulklima mit einem gemeinsamen Schulethos, • auf Berufsorientierung von der Grundschule bis zum Abitur, • auf Betriebs-Praktika in Jg. 8 und 9, • auf die Zusammenarbeit mit außerschulischen Institutionen und Lernorten. http://www.maxbrauerschule.de/index.php (Zum Abschluss der Vorlesung: Portfolio-Aufgabe 24: Verfassen Sie Ihren eigenen „sokratischen Eid“. Was wollen Sie als Lehrer/in bewirken? Was ist Ihnen persönlich wichtig?) Der Eid des Sokrates (auch sokratischer Eid) ist ein Eid für Lehrer, den der Pädagoge Hartmut von Hentig als pädagogisches Pendant zum antiken Eid des Hippokrates, den Ärzte bei ihrer Approbation leisten müssen, entworfen hat. Als Lehrer/in und Erzieher/in verpflichte ich mich, • die Eigenheiten eines jeden Kindes zu achten und gegen jedermann zu verteidigen; • für seine körperliche und seelische Unversehrtheit einzustehen; • auf seine Regung zu achten, ihm zuzuhören, es ernst zu nehmen; • zu allem, was ich seiner Person antue, seine Zustimmung zu suchen, wie ich es bei einem Erwachsenen täte; • das Gesetz seiner Entwicklung, soweit es erkennbar ist, zum Guten auszulegen und dem Kind zu ermöglichen, dieses Gesetz anzunehmen; • seine Anlagen herauszufordern und zu fördern; • seine Schwächen zu schützen, ihm bei der Überwindung von Angst und Schuld, Bosheit und Lüge, Zweifel und Misstrauen, Wehleidigkeit und Selbstsucht beizustehen, wo es das braucht; • seinen Willen nicht zu brechen -auch nicht, wo er unsinnig erscheint; ihm vielmehr dabei zu helfen, seinen Willen in die Herrschaft seiner Vernunft zu nehmen; • es also den mündigen Verstandsgebrauch zu lehren und die Kunst der Verständigung und des Verstehens; • es bereit zu machen, Verantwortung in der Gemeinschaft zu übernehmen und für diese; es auf die Welt einzulassen, wie sie ist, ohne es der Welt zu unterwerfen, wie sie ist; • es erfahren zu lassen, was und wie das gemeinte gute Leben ist; • ihm eine Version von der besseren Welt zu geben und Zuversicht, dass sie erreichbar ist; • es Wahrhaftigkeit zu lehren, nicht die Wahrheit, denn "die ist bei Gott allein".
Damit verpflichte ich mich, • so gut ich kann, selbst vorzuleben, wie man mit den Schwierigkeiten, den Anfechtungen und Chancen unserer Welt und mit den eigenen immer begrenzten Gaben, mit der eigenen immer gegebenen Schuld zurechtzukommen; • nach meinen Kräften dafür zu sorgen, dass die kommende Generation eine Welt vorfindet, in der es sich zu leben lohnt und in der die ererbten Lasten und Schwierigkeiten nicht deren Ideen, Hoffnungen und Kräfte erdrücken; • meine Überzeugungen und Taten öffentlich zu begründen, mich der Kritik - insbesondere der Betroffenen und Sachkundigen- auszusetzen, meine Urteile gewissenhaft zu prüfen. • mich dann jedoch allen Personen und Verhältnissen zu wiedersetzen -dem Druck der öffentlichen Meinung, dem Verbandsinteresse, dem Beamtenstatus, der Dienstvorschrift, wenn sie meine hier bekundeten Vorsätze behindern. Ich bekräftige diese Verpflichtung durch die Bereitschaft, mich jederzeit an den ihr enthaltenen Maßstäben messen zu lassen. …
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