SCHWARZE MILCH Treatment zur filmischen Umsetzung von Paul Celans Gedicht "Die Todesfuge" - von Robert Sigl

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SCHWARZE MILCH

               Treatment
       zur filmischen Umsetzung
von Paul Celans Gedicht "Die Todesfuge"

                  von

              Robert Sigl
DIE POESIE DES DUNKLEN

Paul Celan (1920-1970) ist ein deutschsprachiger jüdischer
Dichter. Nur knapp dem Holocaust entgangen, hat er das
berühmte Gedicht "Die Todesfuge" geschaffen.
"Die Todesfuge" gilt als eines der berühmtesten,
verstörendsten Gedichte deutscher Sprache und sein Schöpfer
als Dichter des Dunklen, "gefangen im Trauma der Schoah"
(Zitat: Der Spiegel).

"Schwarze Milch der Frühe wir trinken sie abends wir trinken
sie mittags und morgens wir trinken sie nachts wir trinken und
trinken wir schaufeln ein Grab in den Lüften da liegt man
nicht eng."
"Die Todesfuge" mag zeitlich gebunden an das welthistorische
Trauma des Holocaust sein, ist zugleich aber auch und heute
insbesondere wieder überzeitlich wirksam. Der Antisemitismus
zeigt allerorten wieder seine grässliche Fratze, und man kann
ihr nicht oft genug und in allen Kunstformen den Spiegel
vorhalten.

DAS GEDICHT "Die Todesfuge"

       Schwarze Milch der Frühe wir trinken sie abends
 wir trinken sie mittags und morgens wir trinken sie nachts
                    wir trinken und trinken
 wir schaufeln ein Grab in den Lüften da liegt man nicht eng
   Ein Mann wohnt im Haus der spielt mit den Schlangen der
                           schreibt
        der schreibt wenn es dunkelt nach Deutschland
                 dein goldenes Haar Margarete

   er schreibt es und tritt vor das Haus und es blitzen die
                            Sterne
                 er pfeift seine Rüden herbei
 er pfeift seine Juden hervor läßt schaufeln ein Grab in der
                             Erde
           er befiehlt uns spielt auf nun zum Tanz
Schwarze Milch der Frühe wir trinken dich nachts
wir trinken dich morgens und mittags wir trinken dich abends
                   wir trinken und trinken
   Ein Mann wohnt im Haus der spielt mit den Schlangen der
                           schreibt
der schreibt wenn es dunkelt nach Deutschland dein goldenes
                        Haar Margarete
                 Dein aschenes Haar Sulamith

 wir schaufeln ein Grab in den Lüften da liegt man nicht eng

Er ruft stecht tiefer ins Erdreich ihr einen ihr andern singet
                          und spielt
er greift nach dem Eisen im Gurt er schwingts seine Augen sind
                             blau
  stecht tiefer die Spaten ihr einen ihr andern spielt weiter
                         zum Tanz auf

       Schwarze Milch der Frühe wir trinken dich nachts
wir trinken dich mittags und morgens wir trinken dich abends
                   wir trinken und trinken
     ein Mann wohnt im Haus dein goldenes Haar Margarete
   dein aschenes Haar Sulamith er spielt mit den Schlangen

   Er ruft spielt süßer den Tod der Tod ist ein Meister aus
                         Deutschland
er ruft streicht dunkler die Geigen dann steigt ihr als Rauch
                         in die Luft
 dann habt ihr ein Grab in den Wolken da liegt man nicht eng

       Schwarze Milch der Frühe wir trinken dich nachts
     wir trinken dich mittags der Tod ist ein Meister aus
                          Deutschland
 wir trinken dich abends und morgens wir trinken und trinken
 der Tod ist ein Meister aus Deutschland sein Auge ist blau
   er trifft dich mit bleierner Kugel er trifft dich genau
     ein Mann wohnt im Haus dein goldenes Haar Margarete
 er hetzt seine Rüden auf uns er schenkt uns ein Grab in der
                             Luft
   er spielt mit den Schlangen und träumet der Tod ist ein
                   Meister aus Deutschland

                dein goldenes Haar Margarete
                 dein aschenes Haar Sulamith
BILSPRACHE UND WIRKUNG

Das Gedicht, bzw. der Kurzfilm, spricht uns direkt an:
WIR sind die Juden, Zwangsarbeiter, zum Tode Verurteilten,
denen ein Grab in der Luft geschenkt wird.

Der Kurzfilm "Schwarze Milch" bebildert, was "Die Todesfuge"
beschreibt: unser Leben und Sterben in Konzentrations- und
Arbeitslagern. Die einzigen Farben, die wir in den überwiegend
monochrom gebleichten Bildern zu sehen bekommen, sind Weiß,
Schwarz, Aschen, Rot-Rosa und Goldgelb. Die Schwarze Milch im
weißen Schnee, das Rot des Blutes, die gelben und rosa Winkel
auf den Sträflingsuniformen, die goldgelben Locken und
aschenen Haare der beiden Frauen, um die sich das Geschehen
dreht: die arische Margarete und die jüdische Sulamith.

In einer Mischung aus Realfilm und Animation (wie man sie aus
Filmen wie SIN CITY beispielsweise kennt) werden Lyrik und
Grauen gleichermaßen heraufbeschworen, wo sowohl die
Sträflinge, die Juden, die zum Tode Verurteilten, die Nonnen
nur als Silhouetten zu sehen sind, ebenso wie die mächtige
Gestalt des Lagerkommandanten, der im Fenster seiner Villa
sitzt und an seine Frau Margarete schreibt.
Diese Scherenschnitt-Ästhetik wechselt ab mit "realen",
mehrdimensionalen Bildern mit Großaufnahmen von der Feder in
der Hand des Lagerkommandanten, der schreibt, von Händen der
Juden, die arbeiten und die Schaufeln schwingen, von den
Händen des Kommandanten, der Schlangen und Vipern in seinen
Händen dreht, die kriechend mehrmals das Buchstabengebilde SS
annehmen und sich in goldene Haare verwandeln, von seinen
toten Augen, in denen die Äderchen sich wie Gewürm winden.
Auch dem Täter, dem Kommandanten, wird eine gewisse
menschliche Regung, eine Sehnsuchtsfähigkeit nicht
abgesprochen, wenn er an seine Frau schreibt. Sowohl die Täter
als auch die Opfer denken an ihre Frauen, der Kommandant an
seine Margarete, und der Jude an seine Sulamith, von deren
Haarpracht nur noch aschenfarbene Stoppeln übrig sind. Am Ende
beginnt es zu schneien, doch es ist kein weißer Schnee, der
herunterrieselt, sondern die Asche der in den Krematorien
Verbrannten, die alle Farben verschwinden lässt.

Es ist eine (Kino-)Welt wie in David Lynch's ERASERHEAD,
Charles Laughton's THE NIGHT OF THE HUNTER und Polanskis
Filmversion von Shakespeares MACBETH: "Schön ist wüst und wüst
ist schön."
Eine Welt, in der die Schönheit immer wieder durch die
Schwärze des Fanatismus durchzuscheinen vermag und doch mit
aller Gewalt sofort wieder zurückgedrängt wird. Auf der
anderen Seite ist das sogenannte "Schöne" auch nichts anderes
als eine Maskerade: die blauen Augen des Kommandanten
verdeutlichen eher Kälte und Grausamkeit und spielen auf den
arischen Idealtyp an, ebenso wie die magischen Bilder der
goldenen Haare, die in die Lüfte am blitzenden Sternehimmel
steigen, durch die Bezüge zu einer Todesmetapher werden.

Auch die Schwarze Milch ist ein Oxymoron: Trauer, Tod, Gefahr
und Dunkelheit vermischen sich mit Leben, Nahrung, Weiße,
Reinheit. Es ist eine todbringende Flüssigkeit, die "uns", den
"Zwangsarbeitern", verabreicht wird.

Der Tod ist ein Meister aus Deutschland und schenkt uns ein
Grab in der Luft.
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