Schweizer ziele für eine zukunftSfähige globale entwicklung

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Positionspapier zur Post-2015-Entwicklungsagenda
                                                       Juni 2013

Schweizer Ziele
für eine zukunftsfähige
globale Entwicklung
«Die Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDG) sollen für alle
Länder Ziele und Herausforderungen formulieren – nicht,
was die Reichen für die Armen tun sollten, sondern was alle
Länder zusammen für das Wohlergehen dieser und kom-
mender Generationen tun sollten.»
(Jeffrey Sachs, Sonderberater des Uno-Generalsekretärs Ban Ki-moon für die Millenniumsentwicklungsziele)

                                                  Inhalt
                                                   1 Von den Millenniumsentwicklungszielen zu Zielen für nachhaltige Entwicklung

                                                   2 Die Millenniumsentwicklungsziele: Eine durchzogene Bilanz

                                                   3 Ein sicherer und gerechter Lebensraum für alle Menschen

                                                   4 Anforderungen an ein Set von wirksamen Zielen für nachhaltige Entwicklung

                                                   5 Was wirksame SDGs für die Schweiz bedeuten
1. Von den Millenniumsentwicklungszielen
             zu Zielen für nachhaltige Entwicklung
                          Die Wende zum neuen Jahrtausend markierten die Vereinten Nationen mit
                          acht Entwicklungszielen, die bis 2015 erreicht werden sollen. Zeit also, ein neues
                          internationales Rahmenwerk in Angriff zu nehmen. Die sogenannte Post-
                          2015-Agenda soll auch Zielen für nachhaltige Entwicklung (SDGs) verpflichtet sein.

In zwei Jahren erreicht die internationale Entwicklungspoli-         Eine zentrale Herausforderung wird es sein, diese bei-
tik einen Meilenstein ihrer Geschichte: 2015 ist das Zieljahr   den Prozesse zu einer widerspruchsfreien Agenda zusam-
der Millenniumsentwicklungsziele (MDGs). An der Rio+20-         menzuführen. Denn angesichts heutiger Machtkonstella-
Konferenz im Juni 2012 beschlossen die Uno-Staaten die Aus-     tionen lässt sich eine Zweigleisigkeit nicht ausschliessen:
arbeitung einer Post-2015-Entwicklungsagenda. Dabei geht        Einige Schwellen- und Entwicklungsländer rücken weiter-
es nicht um die Verlängerung der Laufzeit oder die Erweite-     hin die Armutsbekämpfung in den Vordergrund und legen
rung des MDG-Zielkatalogs. Mit zahlreichen Konsultationen       ihren Fokus auf ein neues Set von Entwicklungszielen nach
zur Post-2015-Agenda unterstreichen die Uno-Organisatio-        2015. Industrieländer hingegen argumentieren, dass sich die
nen die Notwendigkeit, entwicklungspolitische Prioritäten       Welt in den letzten 20 Jahren verändert habe und heute alle
und Strategien grundsätzlich zu überdenken.                     Länder durch die Verpflichtung zur Einhaltung von SDGs die
     Zugleich haben die Regierungen an der Rio+20-Konfe-        Verantwortung für den Schutz der Umwelt übernehmen
renz beschlossen, Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sus-       müssten. Viele Länder unterstützen jedoch die Empfehlung
tainable Development Goals, SDGs) zu formulieren, welche        von Uno-Generalsekretär Ban Ki-moon, Post-MDG- und
nachhaltige Entwicklung integral in ihrer sozialen, ökono-      SDG-Prozess als gleichwertig zu betrachten und schliesslich
mischen und ökologischen Dimension angehen und univer-          in eine einzige, gemeinsame Post-2015-Entwicklungsagen-
sell auf alle Länder anwendbar sein sollen.                     da einfliessen zu lassen. So auch die Schweiz.
                                                                     Vor allem die für 2015 geplante Verabschiedung von
                                                                SDGs wird sich auch auf die Schweizer Politikgestaltung
                                                                auswirken. Die Schweiz täte daher gut daran, schon heute
                                                                eine politische Strategie zu entwerfen, welche die eigene
                                                                nachhaltige Entwicklung konsequent in den Kontext einer
                                                                global zukunftsfähigen Entwicklung stellt. Dies würde es ihr
                                                                erlauben, sich frühzeitig aktiv mit den zunehmend mitein-
                                                                ander verknüpften globalen Herausforderungen wie Um-
                                                                welt- und Klima-, Finanz- und Wirtschafts-, Ressourcen- und
                                                                Energie-, Armuts- und Hungerkrise auseinanderzusetzen,
                                                                anstatt nur zu reagieren.
                                                                     Wegen ihrer politischen Dimension ist die Vorbereitung
            «Wegen ihrer politischen Dimension                  auf die künftige Entwicklungsagenda nicht einfach eine
                                                                Aufgabe der Verwaltung. Der Übergang in eine zukunfts-
            ist die Vorbereitung auf die künftige               fähige Gesellschaft erfordert politische Weichenstellungen
            Entwicklungsagenda nicht einfach eine               von Parlament und Regierung.
            Aufgabe der Verwaltung. Der Übergang
            in eine zukunftsfähige Gesellschaft
            erfordert politische Weichenstellungen
            von Parlament und Regierung.»

2   ALLIANCE SUD   Positionspapier_Juni 2013
2. Die Millenniumsentwicklungsziele:
          Eine durchzogene Bilanz
                     Die MDG-Agenda war klar und einfach formuliert und hat dadurch politische
                     Wirkung entfaltet. Um den komplexen Ursachen von Armut und Hunger Rechnung
                     zu tragen, müssen Mängel der Millenniumsziele in der Post-2015-Entwicklungs-
                     agenda behoben werden.

Nach der Verabschiedung der Millenniumserklärung einig-         dung, Geburten- und Sterberaten als noch vor wenigen
ten sich die Uno-Staaten 2001 auf acht Millenniumsentwick-      Jahren.
lungsziele (MDGs), die sie bis 2015 zu erreichen versprachen.        Die gewählten Indikatoren schufen jedoch häufig fal-
Die MDGs legten den Schwerpunkt auf die Bekämpfung von          sche Anreize. So konzentrierte sich die Politik oft auf jene
extremer Armut und Hunger sowie auf die Förderung von           Bevölkerungsschichten, denen mit relativ wenig Aufwand
Gesundheit und Bildung in den Ländern des Südens.               über die Armutsgrenze geholfen werden konnte, anstatt
     An den eigentlichen Ursachen von Armut und Hunger          sich den Verwundbarsten zuzuwenden und für eine ausge-
rüttelten die MDGs jedoch nicht. Ebenso wenig berücksich-       glichenere Verteilung von Wohlstandsgewinnen zu sorgen.
tigten sie, dass sich auch Industrieländer entwickeln. So       Die Fortschritte bei den einzelnen Zielen sowie innerhalb
thematisierte der Zielkatalog weder soziale Gerechtigkeit       von Ländern und Regionen fielen zudem sehr unterschied-
und gesellschaftliche Teilhabe noch die überproportionale       lich aus. So ist es vor allem dem Wirtschaftswachstum Chi-
Verantwortung der Industriestaaten für die globale Um-          nas zu verdanken, dass das Total der Schwellen- und Ent-
weltzerstörung.                                                 wicklungsländer die Halbierung der Armutsrate von 1990
     Das achte Ziel der MDGs nahm zwar die reichen Länder       bereits 2010 erreicht hatte. Einige Länder werden alle oder
in die Verantwortung: Sie sollten die armen Länder bei der      fast alle MDGs erfüllen, andere hingegen nur wenige.
Erreichung der Entwicklungsziele mit höherer Finanzierung            Parallel zu den Erfolgen der MDGs wuchs in den letzten
unterstützen und das globale Handels- und Finanzregime          10 bis 15 Jahren in vielen Ländern die Marginalisierung der
mit Blick auf deren Bedürfnisse reformieren. Das Ziel blieb
allerdings unverbindlich formuliert. Die meisten Industrie-
staaten sind ihm deshalb nicht im vereinbarten Mass nach-
gekommen.
     Dabei waren die MDGs ein durchaus wirksamer Ansatz,
um Regierungen und Zivilgesellschaft weltweit für ein Set
wichtiger sozialer Prioritäten zu mobilisieren. Messbare
und zeitlich gebundene Ziele schafften neue Anreize für
Leistungsverbesserungen in der Armutsbekämpfung.
     Zudem war die MDG-Agenda einfach formuliert, über-
schaubar und gut kommunizierbar. Sie beinhaltete Indika-
toren, zu deren Messbarkeit die Statistiken und Armuts-
masse in fast allen Ländern entscheidend verbessert wur-
                                                                          «Parallel zu den Erfolgen der MDGs
den. Dank den MDGs weiss man heute in vielen Ländern
weitaus mehr über Armut, Hunger, Einkommen, Schulbil-                     wuchs in den letzten 10 bis 15 Jahren
                                                                          in vielen Ländern die Marginalisierung
                                                                          der Benachteiligten und öffnete
                                                                          sich die Schere zwischen den wenigen
                                                                          Reichen und den vielen Armen.»

                                                                                         ALLIANCE SUD   Positionspapier_Juni 2013   3
Benachteiligten und öffnete sich die Schere zwischen den     tiefste Wirtschaftskrise seit den Dreissigerjahren des letz-
wenigen Reichen und den vielen Armen. Der einfache Ziel-     ten Jahrhunderts geführt und die ökologischen Grenzen
katalog, die Orientierung an rein quantitativen Messgrös-    unseres Planeten gesprengt. Daran ändern auch die mitt-
sen sowie die Vernachlässigung von marginalisierten Grup-    lerweile mehr als 300 multilateralen Umweltabkommen
pen und Frauen haben insbesondere dazu geführt, dass         nichts.
sich Armut verändert, andere und neue Dimensionen an-             Die bewusste Trennung von Armutsbekämpfung, wirt-
genommen hat.                                                schaftlicher Entwicklung und Erhaltung der natürlichen Le-
    Durch die seit den 1990er-Jahren vorherrschende Poli-    bensgrundlagen hatte zur Folge, dass noch immer eine
tik der Industrieländer, Handelsregeln zu ihren Gunsten      Minderheit der globalen Bevölkerung den grössten Teil des
durchzusetzen und die deregulierten Finanzmärkte zu glo-     Welteinkommens einsteckt und damit einen Konsum ent-
balisieren, wurden die MDGs konterkariert. Das hat der       facht, der überproportional zu Ressourcenverbrauch und
Entwicklung vieler armer Länder geschadet, die Welt in die   Umweltzerstörung beiträgt. Heute verfügen 10 Prozent der
                                                             Weltbevölkerung über 57 Prozent des globalen Einkom-
                                                             mens und sind für knapp 50 Prozent der weltweiten Koh-
                                                             lenstoffemissionen verantwortlich.1
                                                                  Eine globale Post-2015-Entwicklungsagenda, welche
                                                             die soziale Ungleichheit und die planetaren Grenzen in den
                                                             Blick nimmt, bietet die einmalige Chance, die eklatanten
                                                             Mängel der MDGs zu beheben und jene Konsequenzen zu
                                                             ziehen, welche für eine zukunftsfähige globale Entwick-
                                                             lung unerlässlich sind. Sie sollte sowohl auf den universell
                                                             anerkannten Menschenrechten als auch auf den Rio-Prin-
                                                             zipien von 1992 basieren. Ohne eine solche Agenda steuert
                                                             die Welt auf eine zunehmende soziale und ökologische
                                                             Destabilisierung zu, deren gesellschaftliche Auswirkungen
                                                             politisch nur schwer steuerbar sein werden.

            «Heute verfügen zehn Prozent der Welt-
            bevölkerung über 57 Prozent des
            globalen Einkommens und sind für
            knapp 50 Prozent der weltweiten                  1 Oxfam: «A safe and just space for humanity – Can we live within the doughnut?»
                                                             		 http://www.oxfam.org/sites/www.oxfam.org/files/dp-a-safe-and-just-space-for-humani-
            Kohlenstoffemissionen verantwortlich.»           		 ty-130212-en.pdf

4   ALLIANCE SUD   Positionspapier_Juni 2013
3. Ein sicherer und gerechter Lebensraum
          für alle Menschen
                    Armutsbekämpfung, losgelöst von gesellschaftlichen und ökologischen Fragen, ist
                    nicht nachhaltig. Die einseitige Fokussierung auf wirtschaftliches Wachstum, auf global
                    steigende Nationaleinkommen, hat sich als Sackgasse erwiesen. In der Post-2015-
                    Enwicklungsagenda werden andere Parameter wie der ökologische Fussabdruck eine
                    zentrale Rolle spielen müssen.

Seit der ersten Konferenz zu Umwelt und Entwicklung 1992          Zukunftsfähige Entwicklung braucht PolitikerInnen,
diskutieren Entwicklungs- und Umweltministerien darüber,     welche die Verflechtung der globalen Probleme in ihrer
ob Armutsbekämpfung vor Umweltschutz kommt oder              Komplexität erkennen, thematisieren und daraus die not-
umgekehrt. Mit dem Brundtland-Bericht von 1987 wurde         wendigen politischen Konsequenzen ziehen. Was pas-
«nachhaltige Entwicklung» zum Schlagwort, das beide Be-      siert, wenn Prioritäten falsch gesetzt werden, zeigte
reiche abdecken und zudem die wirtschaftliche Entwick-       jüngst die Finanzkrise. Anstatt die Finanzwirtschaft in
lung umfassen soll.                                          den Dienst der Realwirtschaft zu stellen, deregulierten
     Dennoch ist es nicht gelungen, die drei Dimensionen     die politischen und wirtschaftlichen Eliten der westlichen
der nachhaltigen Entwicklung zu einer kohärenten Politik     Länder sie aus kurzsichtigen finanziellen Eigeninteressen.
zu vereinen und das Zusammenleben auf unserem Plane-         Damit wurde eine zentrale Voraussetzung für die Krise
ten zukunftsfähig zu gestalten. Allzu lange orientierte      der Realwirtschaft geschaffen, in der sich die Welt seit
sich das Leitbild der nachhaltigen Entwicklung an drei un-   2008 befindet – wachsende gesellschaftliche Ungleich-
abhängigen Säulen der Nachhaltigkeit: Wirtschaft, Öko-       heit ist die Folge.
logie und Gesellschaft. Dies ist insofern verlockend, als         Der «sichere und gerechte Lebensraum» für alle Men-
dass jeweils Schwerpunkte gemäss politischer Konsens-        schen3 (Grafik 1 auf Seite 6) veranschaulicht schematisch die
fähigkeit für die einzelnen Dimensionen separat festge-      kritischen Schwellen der planetaren Grenzen sowie des sozi-
legt werden können. Allerdings wird dadurch vernachläs-      alen Sockels. Bereiche wie Arbeit und Einkommen, die ge-
sigt, dass die drei Dimensionen ineinander eingebettet       meinhin oft der Dimension der Wirtschaft zugeordnet wer-
sind:                                                        den, sind hier Teil der sozialen Grundsicherung. Dies trägt der
     «Um dem Begriff Nachhaltigkeit seine Beliebigkeit zu    Einbettung der Wirtschaft in die Gesellschaft Rechnung.
nehmen, muss die real vorhandene Einbettung der ver-              Heute werden die kritischen Schwellen der ökologi-
schiedenen Ebenen in jeweils die nächstgrössere berück-      schen und sozialen Dimension teilweise massiv über- bzw.
sichtigt werden: die Einbettung des Finanzmarktes in die     unterschritten. Grafik 1 zeigt, dass die Kohlenstoffemissio-
Realwirtschaft, die Einbettung des Wirtschaftssystems in     nen, der Artenverlust und der durch den Menschen verur-
die Gesellschaft und die Einbettung des gesamten Gesell-     sachte Stickstoffeintrag in den Boden auf einem Niveau lie-
schaftssystems in die ökologische Mitwelt.»2                 gen, welches langfristig nicht aufrechtzuerhalten ist. Eben-

          «Zukunftsfähige Entwicklung braucht
          PolitikerInnen, welche die Verflechtung
          der globalen Probleme in ihrer Kom-
          plexität erkennen, thematisieren und               2 Positionspapier von Germanwatch zu Rio+20: «Die Chancen des Nachhaltigkeitsgip-
                                                             		 fels von Rio nutzen», 2012. http://germanwatch.org/de/download/6194.pdf
          daraus die notwendigen politischen                 3 Oxfam: «A safe and just space for humanity – Can we live within the doughnut?»
                                                             		 http://www.oxfam.org/sites/www.oxfam.org/files/dp-a-safe-and-just-space-for-humani-
          Konsequenzen ziehen.»                              		 ty-130212-en.pdf

                                                                                                ALLIANCE SUD   Positionspapier_Juni 2013   5
Grafik 1: Sicherer und gerechter Lebensraum

                                                                         Klimawandel
                                                              s -                            Sü
                                                            ng n                               ssw
                                                          zu e          ETAR E G R E N Z E
                                                      n ut rung   P LAN                    N      as
                                                                                                    se
                                                     d de                                             rn
                                                       n
                                                                    erechte
                                                                 d g LER SO r Leb
                                                ve an

                                                                                                                   ut
                                                  rä
                                                  L

                                                                n

                                                                                                                     zu
                                                               u ZIA

                                                                                                                     ng
                                                                           CK
                                                                                                 EL
                                                                     SO
                                                      rer

                                                                                                            en
                                           st

                                                                          Ernäh- Wasser
                                     verlu

                                                                                                                          Ph o
                                                                          rung

                                                                                                                          Stic phoreintrag
                                                 Siche

                                                                                                               sra
                                                                  Ge-                            Ein-

                                                                                                                              s
                                                                                                                               kstoff-
                       Biodiversitäts

                                                                  sundheit                    kommen
                                                                                                                                                                 Planetare Grenzen und sozialer

                                                                                                                um
                                                              Gender-                                                                                            Sockel formen den «sicheren und

                                                                                                                                       und
                                                                                                     Bildung
                                                              Gerechtigkeit                                                                                      gerechten Lebensraum» für alle
                                                              Soziale                                                                                            Menschen (grüner ring). neun
                                                              Gerech-                           Resilienz
                                                               tigkeit                                                                                           Prozesse des planetaren Systems
                                                                     Energie                 Teil-                                                               (ausserhalb des grünen rings)
                                                                                             habe
                                         ng

                                                                                                                                                                 sind entscheidend zur Erhaltung
                                                                                                                     Üb e
                                                                                  Arbeit
                                                                                                                     der rsäu
                                      chu

                                                                                                                                                                 des stabilen Zustands des Planeten.
                                                                                                                         Oz eru
                                  rfis

                                                                                                                            e a ng

                                                                                                                                                                 Elf soziale Indikatoren (innerhalb
                                 e

                                                                                                                               ne
                               b                 Ü

                                                                                                                                                                 des grünen rings), welche die uno-
                                                                              g            Ve C                                                                  Staaten für rio+20 als prioritär
                                                                          tun
                                                                                                                                                                 einstuften, sind entscheidend, um
                                                                                             r sc he
                                                                 olb elasische                   hm mika
                                                                                                   utzu lien
                                                               s
                                                                                                                                                                 die Sicherung der sozialen Lebens-
                                                           Aero sphär                                  ng du
                                                            Atmo                                             rch
                                                                                                                                                                 grundlagen zu garantieren.

                                                                           Klimawandel

                                                              s-                             Sü
                                                            ng n                               ssw
                                                         tzu nge     AN ETAR E G R E N Z E        as
                                                      n u ru     P L                       N        se
                                                     d de                                             rn
                                                       n
                                                                   gerechter L
                                                ve an

                                                                 d
                                                                                                                   ut
                                                  rä
                                                  L

                                                               un ZIALER SOCK eb
                                                                                                                     zu
                                                                                                                     ng
          st

                                                                                                 EL
                                                                     SO
               verlu

                                                                                                                                             Ph o
                                                       rer

                                                                                                                                             Stickphoreintrag
                                                                                                            en

                                                                           Ernäh- Wasser
                                                                           rung
                                                                                                                                                                 In drei Bereichen sind die plane-
 Biodiversitäts

                                                                                                                                                  s

                                                                                                                                                                 taren Grenzen bereits überschritten.
                                                  Siche

                                                                                                               sra

                                                                                                                                                    stoff- und

                                                                  Ge-                            Ein-
                                                                  sundheit                    kommen
                                                                                                                                                                 Darin werden die natürlichen res-
                                                                                                                um

                                                              Gender-                                                                                            sourcen derart übernutzt, dass die
                                                              Gerechtigkeit                          Bildung
                                                                                                                                                                 äusseren Grenzen des «sicheren und
                                                              Soziale                                                                                            gerechten Lebensraums» und mit
                                                              Gerech-
                                                               tigkeit                                                                                           ihnen der zukünftige Handlungs-
                                                                     Energie                                                                                     spielraum schrumpfen. Von den elf
                                          ng

                                                                                                                                                                 sozialen Indikatoren sind drei noch
                                                                                                                     Üb e
                                                                                                                     der rsäu
                                       chu

                                                                                                                                                                 nicht quantifiziert. In allen anderen
                                                                                                                         Oz eru
                                   rfis

                                                                                                                            e a ng

                                                                                                                                                                 Bereichen klaffen mehr oder weni-
                                  e

                                                                                                                               ne
                                b                Ü

                                                                                                                                                                 ger grosse Lücken (graue Bereiche
                                                                           ng              Ve C
                                                                                             r sc he                                                             im Innenkreis), die eine signifikante
                                                                                                                                                                 Anzahl von Menschen am Erhalt
                                                                       stu                       hm mika
                                                               s olbelarische                      utzu lien
                                                                                                                                                                 ihrer sozialen Lebensgrundlagen
                                                              o
                                                           Aer sphä                                    ng du
                                                            Atmo                                             rch
                                                                                                                                                                 hindern.

Quelle: «a safe and Just space for Humanity – Can we live within the doughnut?», oxfam, Februar 2012 | Grafik: alliance sud

6 ALLIANCE SUD PositionsPaPier_Juni 2013
so verfügen weder die 13 Prozent der Menschen ohne                                                                                         «Für die minimal erforderliche Redukti-
ausreichenden Zugang zu Nahrungsmitteln noch die 19 Pro-
                                                                                                                                           on von Treibhausgasen um 60 Prozent
zent ohne Zugang zu Energieversorgung über die notwen-
digen sozialen Lebensgrundlagen.                                                                                                           global müsste bei gleich bleibendem
    Je länger die Menschheit nicht wirksam Gegensteuer                                                                                     Wirtschaftswachstum der jährliche
gibt und die Grenzen des sicheren und gerechten Lebens-                                                                                    technologische Fortschritt sprunghaft
raums (grüner Ring) nicht eingehalten werden, desto
schneller schrumpft dieser Lebensraum – und mit ihm der
                                                                                                                                           auf das Zehnfache von heute steigen.»
verbleibende Handlungsspielraum.
    Ein Instrument zur Einhaltung der unteren sozialen
Grenzen könnte der von verschiedenen Uno-Organisationen                                                                       stab für Wohlstand und Lebensqualität ist, da es nichts
entwickelte und 2012 von den ILO-Mitgliedern verabschie-                                                                      aussagt über den Zustand der Umwelt sowie die Verteilung
dete Social Protection Floor sein (Seite 8).                                                                                  von Macht, Einkommen und Vermögen innerhalb einer
                                                                                                                              Volkswirtschaft. Trotz anhaltenden Wirtschaftswachstums
Ohne Armutsreduktion kein wirksamer                                                                                           sind die Einkommensunterschiede zwischen den ärmsten
Umwelt- und Ressourcenschutz                                                                                                  und den reichsten Ländern kaum zurückgegangen, während
Ohne die Reduktion der weltweiten Armut und eine gerech-                                                                      jene innerhalb von Staaten grösstenteils gestiegen sind.
tere Verteilung von Einkommen und natürlichen Ressourcen                                                                      Trotzdem ordnen die meisten Regierungen ihre Politik ganz
werden der globale Umwelt- und Klimaschutz scheitern.                                                                         und gar dem BIP-Wachstum unter.
    Die Weltpolitik steht heute vor dem Dilemma, den kon-                                                                          Der Logik der nachholenden Entwicklung folgend, ste-
kurrierenden Ansprüchen auf Wirtschaftswachstum und auf                                                                       cken die Entwicklungs- und Schwellenländer in einer Auf-
Einhaltung der planetaren Grenzen gerecht zu werden. Die                                                                      holjagd, um so rasch wie möglich das Einkommens- und Kon-
Antwort darauf ist entscheidend dafür, ob es der Menschheit                                                                   sumniveau der Industrieländer zu erreichen. Daran, wie
gelingen wird, die natürlichen Lebensgrundlagen zu erhalten.                                                                  schnell sie wachsen, wird ihr Erfolg ebenso gemessen wie je-
    Das Wirtschaftswachstum, gemessen als Verände-                                                                            ner der Industrieländer, deren Wachstumsraten allerdings
rungsrate des Bruttoinlandsproduktes (BIP), wird gemein-                                                                      seit Jahren stagnieren. Angesichts ihres schnellen Wachs-
hin als entscheidendes Erfolgskriterium benutzt. Mittler-                                                                     tums würden einige Schwellenländer das Einkommensni-
weile ist jedoch unbestritten, dass das BIP allein kein Mass-                                                                 veau der Industrieländer früher oder später sogar erreichen –

Grafik 2: Ökologischer Fussabdruck

                                                                                                                        1.5
                                                                                      Zahl der beanspruchten Planeten

                                                                                                                                                                                                !

                                                                                                                               Globale Biokapazität
                                                                                                                         1

Globaler ökologischer Fussabdruck:                           Kohlenstoff
Die Zunahme des ökologischen
Fussabdrucks ist dominiert vom Car-                          Fischgründe
bon Footprint. Dieser misst die                              Ackerland                                                  0.5
Fläche, die nötig ist, um den durch
                                                             Bebautes Land
die Verbrennung fossiler Energie-
träger ausgestossenen Kohlenstoff                            Wald
durch Wälder zu absorbieren.                                 Grasland                                                    0
                                                                                                                          19

                                                                                                                                   19

                                                                                                                                        19

                                                                                                                                               19

                                                                                                                                                      19

                                                                                                                                                            19

                                                                                                                                                                  19

                                                                                                                                                                         19

                                                                                                                                                                                19

                                                                                                                                                                                       19

                                                                                                                                                                                             20

                                                                                                                                                                                                    20

                                                                                                                                                                                                           20
                                                                                                                              60

                                                                                                                                   64

                                                                                                                                         68

                                                                                                                                                72

                                                                                                                                                      76

                                                                                                                                                             80

                                                                                                                                                                    84

                                                                                                                                                                           88

                                                                                                                                                                                 92

                                                                                                                                                                                        96

                                                                                                                                                                                               00

                                                                                                                                                                                                      04

                                                                                                                                                                                                            08

Quelle: Global Footprint Network: National Footprint Accounts Edition 2012 | Grafik: Alliance Sud

                                                                                                                                                              ALLIANCE SUD   Positionspapier_Juni 2013   7
gründete ihr gegenwärtiger Erfolg nicht massgeblich auf der
                                                                                 Nutzung und Ausbeutung begrenzter natürlicher Ressour-
      Social Protection Floor                                                    cen. Denn deren Erschöpfung und die verheerenden Auswir-
      als Umsetzung von sozialer                                                 kungen der Klimaveränderung werden das globale, nicht
      Grundsicherung                                                             nachhaltige Wachstum aller Länder vorher ausbremsen.
                                                                                      Nur eine gerechtere Verteilung des weltweiten Einkom-
      Gute Empfehlungen zur Sicherung der Grundbedürf-                           mens sowie der zur Verfügung stehenden Ressourcen kann
      nisse bietet der Social Protection Floor. Er beruht auf
                                                                                 diesem Rennen ein Ende setzen. Die planetaren Grenzen er-
      einer gemeinsamen Initiative der Uno, der Internationa-
      len Arbeitsorganisation (ILO) und der Weltgesundheits-                     lauben zur Lösung sozialer Ungleichheit keine Aufholjagd
      organisation (WHO) und ist ein Instrument, das die                         bis an die oberste Einkommensskala.
      Realisierung des Menschenrechts auf einen angemes-                              Das globale Wirtschaftswachstum treibt die Kohlen-
      senen Lebensstandard (Art. 11 des internationalen Paktes
                                                                                 stoffemissionen weiter über die Grenzen dessen hinaus,
      über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte)
      voranbringen soll. Die Initiative reagiert auf die
                                                                                 was die Natur regenerieren bzw. absorbieren kann. Die Ef-
      Tatsache, dass seit 1950 dank starkem Wirtschaftswachs-                    fizienzgewinne durch den technologischen Fortschritt sind
      tum das globale Bruttoinlandsprodukt (BIP) um den                          mit durchschnittlich 0,7 Prozent pro Jahr etwa so gross wie
      Faktor zehn gewachsen, die soziale Grundversorgung                         das prognostizierte mittlere Wachstum der Weltbevölke-
      hingegen das Privileg einer Minderheit geblieben ist.
                                                                                 rung bis 2050. 4 Der technologische Fortschritt erlaubt also
      Gemäss aktuellen ILO-Statistiken leben über fünf
      Milliarden Menschen, oder 75 Prozent der Weltbevölke-                      durchaus die Versorgung aller Menschen bis 2050. Er hält
      rung, ohne angemessene soziale Sicherheit. Damit sind                      jedoch nicht Schritt mit den 1,4 Prozent Einkommenswachs-
      sie ökonomischen Krisen und ökologischen Katastro-                         tum pro Kopf und den damit verbundenen zusätzlichen CO2-
      phen weitgehend schutzlos ausgeliefert und in der
                                                                                 Emissionen. Bis 2050 bedeutet das eine Zunahme der Emis-
      Verwirklichung ihres menschlichen und wirtschaftli-
      chen Potenzials gehemmt.
                                                                                 sionen um etwa 80 Prozent.5 Zur Einhaltung des Zwei-Grad-
           Die ILO-Empfehlung hält alle Regierungen dazu an,                     Klimaziels bräuchte es aber mindestens 60 Prozent weniger
      Mittel bereitzustellen, um schrittweise allen Menschen                     Ausstoss, nicht mehr.
      das Recht auf soziale Sicherheit zu gewähren. Darunter                          Um die bis 2050 erforderliche Reduktion des Kohlendi-
      fallen Arbeitslosenunterstützung, Renten für Alter,
                                                                                 oxidausstosses auf ein klimaverträgliches Mass zu errei-
      Invalidität und Mutterschaft wie auch der Zugang zu
      bezahlbarer Gesundheitsversorgung, Grundschulbil-                          chen, müsste der technologische Fortschritt sprunghaft an-
      dung, Unterkunft, Trinkwasser und Sanitärversorgung.                       steigen: auf das Zehnfache der in den letzten 30 Jahren er-
      Das Recht auf soziale Sicherheit ist ein universell                        zielten Effizienzsteigerung, das heisst auf 7 Prozent pro
      verbrieftes Menschenrecht und ein wichtiges Instru-
                                                                                 Jahr.6 Diese Zahl sollten PolitikerInnen bedenken, wenn
      ment zur Verhinderung und zum Abbau von Armut,
                                                                                 Wirtschaftsverbände den technologischen Fortschritt als
      Ungleichheit, sozialer Ausgrenzung und zur Förderung
      der Chancengleichheit zwischen den Geschlechtern.                          Lösung des Dilemmas von Wirtschaftswachstum und Ein-
      Für die ILO ist es eine unerlässliche Ergänzung zur                        haltung der planetaren Grenzen anpreisen.
      Verwirklichung von würdigen Arbeitsbedingungen.                                 Die Aufholjagd der Schwellen- und Entwicklungsländer
           Über den individuellen Nutzen hinaus stärkt der
                                                                                 beschleunigt die Vergrösserung des gesamten globalen
      Sozialschutz die Widerstandsfähigkeit (Resilienz) einer
      Gesellschaft gegen wirtschaftliche und ökologische                         ökologischen Fussabdrucks (Ecological Footprint7 – siehe
      Schocks und soziopolitische Instabilität. Soziale Grund-                   Seite 7): Schon heute braucht der Planet 18 Monate, um zu
      sicherung ist somit ein makroökonomischer Stabilisator                     regenerieren, was die Menschheit in einem Jahr an natür-
      und dient langfristig auch der Katastrophenvorsorge                        lichen Ressourcen verbraucht. Mit anderen Worten: Wir
      und der Gewaltprävention.
                                                                                 brauchen derzeit eineinhalb Planeten. Eine Rechnung, die
                                                                                 nicht aufgeht und sich über kurz oder lang rächen wird.
                                                                                      Die Grafik 2 (Seite 7) zeigt die Entwicklung des globalen
                                                                                 ökologischen Fussabdrucks im Verlauf der letzten 50 Jahre.
                                                                                 Seit den 1970er-Jahren verbraucht die Menschheit mehr, als
                                                                                 sämtliche Ökosysteme des Planeten erneuern können.

                                                                                 4 Uno: «World Population to 2300», Uno 2004
                                                                                 5 Tim Jackson: «Prosperity without growth – Economics for a finite planet», 2009
                                                                                 6 ebd
   Referenz: «Social Protection Floor for a Fair and Inclusive Globalization»,
   Report of the Advisory Group chaired by Michelle Bachelet, ILO 2011.          7 Global Footprint Network, http://www.footprintnetwork.org/de

8   ALLIANCE SUD   Positionspapier_Juni 2013
einen Grossteil davon macht der starke anstieg der Co2-                                   cen im interesse der gesamten Gesellschaft sind wir jedoch
emissionen aus.                                                                           weit entfernt. in vielen Ländern sind wirtschaftliche und
    Da mit dem BiP der globale ökologische Fussabdruck                                    politische eliten daran, ihren Zugriff auf natürliche ressour-
weiter wächst, kann das heutige Wirtschaftswachstum                                       cen auszuweiten – zulasten der armen. Der Kampf um res-
nicht unbegrenzt fortgesetzt werden.                                                      sourcen verschärft ohnehin vorhandene soziale und politi-
                                                                                          sche Konflikte und fördert Migrationsbewegungen.
ohne wirksamen umwelt- und ressourcenschutz                                                   unzählige Menschen verlieren ihre Lebensgrundlage
keine Armutsbekämpfung                                                                    durch die Vernichtung von tropenwald, Landgrabbing und
Für eine effektive armutsbekämpfung und soziale Gerech-                                   die massive umnutzung von ackerland für den grossflächi-
tigkeit sind wirksamer umweltschutz und ökologische Ge-                                   gen anbau von soja, Palmöl und anderen energiepflanzen.
rechtigkeit unerlässlich.                                                                 sie werden von ihren angestammten siedlungsgebieten, die
     soziale Gerechtigkeit und gesellschaftliche teilhabe in-                             zuvor existenzgrundlage und schutz lieferten, in urbane
nerhalb des «sicheren und gerechten Lebensraums» für alle                                 Zentren vertrieben, wo sie häufig nur ein ungesichertes
Menschen können nur erreicht werden, wenn der Verbrauch                                   oder gar kein einkommen finden.
der natürlichen ressourcen in allen Bereichen innerhalb der
planetaren Grenzen stattfindet. Diese Grenzen droht der                                   Sozial-ökologische transformation versus
Klimawandel weiter einzuengen – zuungunsten menschli-                                     krisenbewältigung
chen Lebens: Wassermangel verringert die Produktivität der                                ein Übergang in eine gerechtere Gesellschaft, welche die
Böden, trinkwasserreserven werden knapp, Überschwem-                                      planetaren Grenzen achtet, wird früher oder später
mungen vernichten Lebensräume. Klimamodelle prognos-                                      zwangsläufig stattfinden. ein «Früher» in Form einer sozial-
tizieren mittelfristig einen weitaus stärkeren einbruch der                               ökologischen transformation erfordert eine Politik, die
Weizen- und Maiserträge in den entwicklungsländern als in                                 heute die richtigen Weichen stellt, um den einigermassen
den industriestaaten.                                                                     friedlichen und sanften Übergang in eine zukunftsfähige
     angesichts der begrenzten Grösse des Kuchens kommt                                   Gesellschaft zu ermöglichen. angesichts der bereits über-
es also darauf an, wie die stücke aufgeteilt werden. Von                                  schrittenen Grenzwerte in vielen Bereichen schliesst sich
einem sorgfältigen Management der natürlichen ressour-                                    das Handlungsfenster rasch.

Grafik 3: Entwicklungsindex (HDI) und ökologischer Fussabdruck

                                                                                                                                                                                14
                                                      Afrika                                                                        hoher HDI         Sehr hoher HDI
                                                      Mittlerer Osten/Zentralasien                                                                                              12
                                                      Asien-Pazifik
                                                                                                                                                                                     Ökologischer Fussabdruck pro Kopf (gha)

                                                      Südamerika                                                                        Kuwait         Katar                    10
                                                      Mittelamerika/Karibik
                                                      Nordamerika
Der Zusammenhang zwischen öko-                                                                                                                                                  8
logischem Fussabdruck und Human                       EU
Development Index (HDI): Der HDI                      Europa ohne EU                                                 Mongolei                                                   6
umfasst über das BIP hinaus eine
                                                                                                                                                                Schweiz
reihe weiterer Indikatoren zur Mes-
                                                                                                                                                                                4
sung des Entwicklungsstandes von                     weltweite Biokapazität
Ländern. Global reproduzierbare                          pro Kopf 1961                                                          China
Entwicklung findet nur in Ländern                    weltweite Biokapazität                                                                                                     2
                                                         pro Kopf 2009
statt, die im blauen Quadranten                                                                                                     Minimaler Nachhaltigkeitsquadrant
unten rechts liegen, also einen Fuss-                                                        Malawi
                                                                                                                                                                                0
abdruck von weniger als 1,8 Hektar           0.0                     0.2                    0.4                    0.6                          0.8                       1.0
pro kopf haben.                                                                          Human Development Index (HDI)

Quelle: Global Footprint network, national Footprint accounts edition 2012, africa Factbook 2009, unesCo, Deza, Lux-Development, GiZ, unDP Human Development index 2009–2013
Grafik: alliance sud

                                                                                                                            ALLIANCE SUD PositionsPaPier_Juni 2013 9
Biokapazität, ökologischer Fussabdruck und natürliche Ressourcen
   Die Biokapazität ist ein Mass für die zur Verfügung stehen-                                      Im vorliegenden Text umfasst der Begriff der vorhan-
   de biologisch produktive Land- und Wasserfläche, welche                                       denen natürlichen Ressourcen vorwiegend die globale Bio-
   die Ökosystemdienstleistungen (ecosystem services) für den                                    kapazität sowie den Atmosphärenraum, der noch für Klima-
   menschlichen Konsum liefern – unser ökologisches Budget                                       gasemissionen zur Verfügung steht. Pro Kopf entspricht
   bzw. die regenerative Kapazität der Natur. Sie umfasst Acker-                                 dies jährlich einer Biokapazität von 1,8 Hektar und einem
   und Grasland, Waldfläche, Fischgründe und bebautes Land.                                      Emissionsbudget von rund 1,5 Tonnen CO2.
       Der ökologische Fussabdruck ist ein Mass für die biolo-                                      In diesem Sinne umfassen die natürlichen Ressourcen hier
   gisch produktive Land- und Wasserfläche, die notwendig ist,                                   die nicht erneuerbaren fossilen Brennstoffe indirekt über das
   um den Konsum der Bevölkerung von Ökosystemdienst-                                            Emissionsbudget. Nicht erfasst sind hingegen andere, nicht er-
   leistungen zu decken. Er umfasst auch jene Fläche, die nötig                                  neuerbare natürliche Ressourcen wie metallische Rohstoffe
   ist, um das durch die Verbrennung fossiler Energieträger                                      und seltene Erden, welche auch der ökologische Fussabdruck
   ausgestossene CO2 durch Wälder zu absorbieren (Carbon                                         nicht enthält.
   Footprint).                                                                                      Sowohl Biokapazität als auch ökologischer Fussabdruck
       Die Differenz zwischen dem ökologischen Fussabdruck                                       fallen weltweit sehr unterschiedlich aus. Es sind vor al-
   und der Biokapazität ist ein Mass für die Übernutzung                                         lem die Industriestaaten, die durch übermässigen Konsum
   der natürlichen Ressourcen durch den Menschen.                                                die natürlichen Ressourcen besonders stark übernutzen:

                                                       Biokapazität                              Ökologischer Fussabdruck        Defizit
                                                       [Hektar pro Kopf]                         [Hektar pro Kopf]               [Hektar pro Kopf]

   Welt                                               1,8                                        2,7                             0,9
   Schweiz                                             1,2                                       5,0                             3,8
   China                                              1,0                                        2,2                              1,2
   Malawi                                             0,7                                        0,7                               0
   Afrika                                              1,5                                       1,4                            –0,1
   Asien                                              0,8                                        1,8                             1,0
   Europa                                             2,9                                        4,7                             1,8
   Lateinamerika                                      5,5                                        2,6                            –2,9
   USA und Kanada                                     4,9                                        7,9                             3,0
   Referenz: Mathis Wackernagel und Bert Beyers: Der Ecological Footprint – Die Welt neu vermessen, 2010.

     Bei einem «Später» verhält sich die Politik kurzsichtig                                     1. Staaten mit geringem HDI ihren Entwicklungsstand
und nimmt eine wachsende Zahl globaler Krisen in Kauf.                                       verbessern, ohne dass ihr ökologischer Fussabdruck die pla-
Dabei wird es zwangsweise zu ökologischen und folglich zu                                    netare Grenze übersteigt und
sozialen Brüchen kommen, weil die Grundlagen zur Versor-                                         2. Staaten mit hohem und sehr hohem HDI ihren Fuss-
gung der Bevölkerung zur Neige gehen, der Lebensraum                                         abdruck senken, ohne den Wohlstand der breiten Bevölke-
kleiner wird und damit der weltweite Kampf um die knap-                                      rung massiv zu verringern.
per werdenden Ressourcen vorprogrammiert ist.                                                    Diese Transformation verlangt grosse technologische
     Grafik 3 (Seite 9) zeigt, dass es gegenwärtig keinem Land                               Veränderungen der bestehenden Produktions-, Transport-
der Erde gelingt, einen sehr hohen Entwicklungsstand (Hu-                                    und Energiegewinnungssysteme. Zudem ist es notwendig,
man Development Index – HDI8) mit einer Nutzung der na-                                      dass die hoch entwickelten Länder Wohlstand für alle mit
türlichen Ressourcen in Einklang zu bringen, die global repro-                               abnehmendem materiellen Konsum beziehungsweise Res-
duziert, also auf alle Menschen übertragen werden könnte.                                    sourcenverschleiss kombinieren und damit «Entwicklungs-
     Eine erfolgreiche sozial-ökologische Transformation er-                                 raum» für Länder mit geringem Einkommen schaffen.
fordert folglich, dass

8 UNDP: Human Development Index, http://hdr.undp.org/en/statistics/hdi

10   ALLIANCE SUD   Positionspapier_Juni 2013
4. Anforderungen an ein Set von wirksamen Zielen
             für nachhaltige Entwicklung
                              «Es ist nicht so schwer, neue Konzepte und Strategien zu entwickeln.
                              Viel schwerer ist es, die alten Routinen und Leitbilder zu vergessen.»
                                                                                                         (John Maynard Keynes)

Soll das Post-2015-Rahmenwerk eine globale Agenda sein,                         mäss Uno-Ernährungsorganisation (FAO) mehr als 800 Mil-
die eine weltweit zukunftsfähige Entwicklung einleitet, so                      lionen Menschen hungern, während die globale Nahrungs-
muss es die genannten Schwächen der MDGs überwinden.                            mittelproduktion pro Kopf gewachsen ist, 40 Prozent der
Der Weltgemeinschaft bietet sich heute die einmalige Ge-                        weltweit erzeugten Nahrungsmittel als Abfall enden, in
legenheit zur Gestaltung einer rechtsbasierten Agenda, wel-                     Afrika auf mehreren Millionen Hektar Energiepflanzen für
che es erlaubt, soziale Gerechtigkeit, Armutsbekämpfung                         Agrotreibstoffe angebaut werden und Investoren weiter-
und Umweltschutz gemeinsam anzugehen sowie die dafür                            hin auf Nahrungsmittelpreise spekulieren dürfen.
erforderlichen Wirtschafts- und Handelsstrukturen zu schaf-                          Die Instrumente zur Beendigung von extremer Armut
fen. Dafür muss das Post-2015-Rahmenwerk sechs zentrale                         und Hunger sind bekannt. Die Umsetzung der wirtschaftli-
Anforderungen erfüllen:                                                         chen, sozialen und kulturellen Rechte erfordert staatliche
                                                                                Massnahmen zu sozialer Grundsicherung, medizinischer
1. Kohärente Ziele in einer einzigen Post-2015-                                 Grundversorgung und Schulbildung wie auch Zugang zu Ein-
Entwicklungsagenda vereinen                                                     kommen und Arbeitsmöglichkeiten. Im Bereich der Ernäh-
Die Vernetzung von politischen Massnahmen zu Umwelt-                            rung ermöglicht die Umstellung auf kleinbäuerliche, ökolo-
und Ressourcenschutz mit der weltweit gerechteren Vertei-                       gische Landwirtschaft mit lokal organisiertem Vertrieb in
lung von Wohlstand und einer sozialen Grundsicherung                            vielen Regionen eine angemessene Ernährung, ohne Zusatz-
erfordert eine einzige integrierte Entwicklungsagenda,                          kosten oder zusätzliche Umweltzerstörung zu erzeugen.
welche die Armutsbekämpfung der MDGs mit Zielen für
soziale Gerechtigkeit und umweltgerechte Entwicklung                            3. Gesellschaft und Umwelt ins Zentrum rücken
(SDGs) kohärent zu einem einzigen Set von wirksamen Zie-                        Das zentrale Ziel der Wirtschaft muss die Befriedigung der so-
len für zukunftsfähige Entwicklung verknüpft.                                   zialen, kulturellen und wirtschaftlichen Bedürfnisse der Men-
     Zu diesem Zweck muss die Agenda auch notwendige                            schen sein. Ein zukunftsfähiges Wirtschaftssystem ist daher
gesellschaftspolitische Veränderungen wie etwa die konse-                       nicht nur umweltfreundlich (im Sinne einer grünen Wirt-
quente Internalisierung von Umwelt- und Sozialkosten so-                        schaft), sondern sichert gleichzeitig soziale Gerechtigkeit und
wie Prinzipien der Solidarität statt unbedingter Konkurrenz                     gesellschaftliche Teilhabe durch faire Wirtschafts- und Fi-
berücksichtigen. Zudem müssen die Industrieländer end-                          nanzstrukturen, die auf den Menschenrechten beruhen.
lich Hand bieten, die Welthandelsregeln entwicklungsför-                             Die aktuelle Wirtschaftskrise in den Industrieländern
derlich umzugestalten und die Finanzmärkte zu re-regulie-                       führt vor Augen, was geschieht, wenn der sozialen Gerech-
ren, auch um ihr Krisenpotenzial drastisch einzudämmen.                         tigkeit nicht Rechnung getragen wird und sich wachsender
                                                                                Reichtum in wenigen Händen konzentriert: Die Löhne brei-
2. Extreme Armut beenden                                                        ter Bevölkerungsschichten stagnieren seit 30 Jahren und
Oberstes Ziel dieser Post-2015-Agenda muss die Beseiti-                         sind vom Produktivitätszuwachs entkoppelt. Diesen haben
gung der extremen Armut sein. Gemäss Weltbank müssen                            sich die allerobersten Einkommensschichten allein ange-
noch immer 1,2 Milliarden Menschen mit weniger als 1,25                         eignet, weshalb Einkommen und Vermögen der Reichen
US-Dollar pro Tag auskommen.9 Es ist skandalös, dass ge-                        ungekannte Dimensionen erreicht haben.

9 Weltbank, IWF: «Global Monitoring Report 2013: Rural-Urban Dynamics and the
		 Millennium Development Goals»

                                                                                                         ALLIANCE SUD   Positionspapier_Juni 2013   11
«In der Schweiz werden unbezahlt
                                                                         mehr Stunden für die Versorgung und
                                                                         Betreuung von Menschen aufgewendet
                                                                         als für sämtliche Erwerbsarbeit.
                                                                         Frauen tragen weltweit die Hauptlast
                                                                         dieser Arbeit, was zu Lasten ihres
                                                                         Zeitbudgets für politische und ökono-
                                                                         mische Teilhabe geht. »

    Die Post-2015-Entwicklungsagenda muss helfen, eine         die heute grösstenteils von Frauen ohne (angemessene) Be-
neue globale Wirtschaftspolitik anzustossen, welche die        zahlung erbracht werden, müssen daher ebenso einen an-
volkswirtschaftlichen Ungleichgewichte sukzessive verklei-     gemessenen Wert erhalten wie die erneuerbaren und nicht
nert. Dazu sind die Massenlöhne wieder an die Produkti-        erneuerbaren natürlichen Ressourcen.
vitätszuwächse zu binden beziehungsweise letztere für
Arbeitszeitverkürzungen einzusetzen. Das würde auch die        4. Ressourcenkonsum begrenzen und gerecht verteilen
Wachstumsmaschine in den reichen Ländern abbremsen             Die Post-2015-Agenda muss nicht nur eine gerechtere Ver-
und Spielraum für «nachholendes» Wirtschaftswachstum           teilung der Einkommen, sondern auch der weltweit verfüg-
in den armen Ländern schaffen. Weltweit sind Lohn- und         baren Ressourcen sicherstellen. Dazu braucht es
Fiskalpolitik so zu gestalten, dass alle Menschen mindes-           1. globale Grenzwerte für den Verbrauch der natür-
tens ihre Grundbedürfnisse decken können. Dies verlangt,       lichen Ressourcen, die so gesetzt sind, dass die Reproduk-
die Finanzwirtschaft wieder an die Realwirtschaft zu           tionskraft der Ökosysteme bei anhaltender menschlicher
koppeln.                                                       Nutzung erhalten bleibt und
    Gleichzeitig braucht es eine gesellschaftliche Neube-           2. einen gerechten Zugang zu den verbleibenden er-
wertung von Arbeit. Es bedarf einer neuen Definition des-      neuerbaren und nicht erneuerbaren natürlichen Ressour-
sen, was «gesellschaftlich notwendige» Arbeit ist sowie        cen, so dass alle Menschen ihre grundlegenden Bedürfnisse
einer gerechten Einbettung von volkswirtschaftlich bedeu-      decken können und einen Platz im «sicheren und gerechten
tenden, jedoch monetär nicht abgegoltenen Leistungen           Lebensraum» (Grafik 1) finden.
wie der Pflege- und Sorgearbeit in die Gesamtwirtschaft. In
der Schweiz werden unbezahlt mehr Stunden für die Ver-         5. Strukturelle Voraussetzungen schaffen
sorgung und Betreuung von Menschen aufgewendet als             Ressourcenknappheit und wilder Ressourcenabbau sind
für sämtliche Erwerbsarbeit. Frauen tragen weltweit die        wesentliche Ursachen für den Zerfall und das Scheitern von
Hauptlast dieser Arbeit, was zu Lasten ihres Zeitbudgets für   Staaten. Dem wäre beizukommen durch eine bessere Regu-
politische und ökonomische Teilhabe geht.                      lierung von Direktinvestitionen im Ausland, von Land- und
    Eine ökonomische Neubewertung von ressourcenscho-          Rohstoffnutzung sowie durch wirksame Überprüfungsme-
nenden Dienstleistungen erhöht das Einkommen im Pfle-          chanismen zur Einhaltung von Regeln. Opfern von Men-
ge- und Bildungssektor, während es gleichzeitig den für        schenrechtsverstössen und Umweltzerstörung, die durch
den umweltbelastenden Güterkonsum zur Verfügung ste-           transnationale Rohstoffunternehmen verursacht werden,
henden Ausgabenanteil senkt. Die Sorgedienstleistungen,        sind Klagemöglichkeiten in den Sitzstaaten dieser Unter-

12   ALLIANCE SUD   Positionspapier_Juni 2013
«Ressourcenknappheit und wilder Res-
                                                                        sourcenabbau sind wesentliche
                                                                        Ursachen für den Zerfall und das Schei-
                                                                        tern von Staaten. Dem wäre beizukom-
                                                                        men durch eine bessere Regulierung
                                                                        von Direktinvestitionen im Ausland, von
                                                                        Land- und Rohstoffnutzung sowie
                                                                        durch wirksame Überprüfungsmecha-
                                                                        nismen zur Einhaltung von Regeln.»

nehmen zu schaffen. Gleichzeitig müssen in fragilen Staa-     6. Wirksame Überprüfungsmechanismen schaffen
ten rechtsstaatliche Strukturen geschaffen und diejenigen     Die neue Agenda muss sowohl globale absolute Ziele und
Kräfte gefördert werden, welche der Willkürherrschaft von     Grenzwerte setzen als auch relative Fortschrittsziele, die in
Despoten ein Ende setzen können.                              demokratischen Entscheidungsprozessen auf nationaler,
     Ebenso entscheidend sind demokratische Entschei-         regionaler und lokaler Ebene festgelegt werden. Letztere
dungsstrukturen für eine gerechte und umweltverträgliche      haben unterschiedlichen sozio-ökonomischen und kultu-
globale Entwicklung. Dies setzt voraus, dass die Minder-      rellen Ausgangslagen Rechnung zu tragen.
heitsherrschaft der Industriestaaten in multilateralen Or-         Hiermit verpflichten sich die einzelnen Staaten auf
ganisationen beendet wird, wichtige wirtschafts- und sozi-    Uno-Ebene, ihre selbstgesetzten Ziele innerhalb eines fest-
alpolitische Entscheide wieder in den nationalstaatlichen     gelegten Zeitraums zu erreichen und in regelmässigen Ab-
Rahmen zurückgeholt werden und die Entscheidungs-             ständen unabhängig überprüfen zu lassen. Als Vorbild
macht transnationaler Wirtschaftsakteure und ihrer Ver-       könnte der Überprüfungsmechanismus dienen, den es seit
bände zurückgebunden wird. Desgleichen ist der steuer-        einigen Jahren in Form des Universal Periodic Reviews (UPR)
lichen Befreiung grenzüberschreitend tätiger Unternehmen      im Menschenrechtsbereich gibt. Ein solcher «Kohärenz-
und der globalen Klasse von Superreichen, die sich quasi      Check» würde die Übereinstimmung der gesamten Politik
«extraterritorial» in Gated Communities eingerichtet ha-      eines Landes mit den universellen Nachhaltigkeitsprin-
ben, Stück für Stück ein Ende zu setzen.                      zipien und Menschenrechten auf den Prüfstand stellen.
     Zur Realisierung von Geschlechtergerechtigkeit                Ein derart erweiterter UPR könnte auch dazu dienen
braucht es eine neue Wohlstandsmessung, die soziale Re-       abzuschätzen, wie hoch der Finanzbedarf eines Landes ist,
produktions- und Sorgearbeit als unabdingbaren Teil der       um seine Ziele für nachhaltige Entwicklung zu erreichen.
produktiven Wirtschaft anerkennt. Denn nur, was Eingang       Weltweit addiert würden diese Bedarfszahlen einen nach-
in die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung und in den         fragebasierten Orientierungsrahmen für bi- und multilate-
Staatshaushalt findet, erhält einen gesellschaftlichen Wert   rale Finanztransfers bilden und könnten den angebotsori-
und wird in politischen Verteilungsfragen berücksichtigt.     entierten Ansatz der Entwicklungshilfe als Referenzrahmen
Ziel einer Volkswirtschaft muss die Steigerung der Wohl-      ersetzen. Auf diese Weise würde mit der Post-2015-Entwick-
fahrt für alle sein und nicht die maximale Akkumulation       lungsagenda ein Perspektivenwechsel vollzogen, von
von Einkommen und Besitz durch wenige, wie es auch die        einem hilfsbasierten zu einem rechtebasierten Ansatz der
Schweizer Bundesverfassung stipuliert.                        Entwicklungsfinanzierung.

                                                                                      ALLIANCE SUD   Positionspapier_Juni 2013   13
5. Was wirksame SDGs für die Schweiz bedeuten
                          In Artikel 2 der Schweizerischen Bundesverfassung steht, welche Ziele die Schweiz auf
                          nationaler Ebene verfolgt. Dieselben Ziele müssten auch für die Entwicklungs- und
                          «Weltinnenpolitik» der Schweiz gelten: Unser Land «fördert die gemeinsame Wohlfahrt,
                          die nachhaltige Entwicklung, den (...) Zusammenhalt und die kulturelle Vielfalt.»

In Kapitel 4 sind die sechs Anforderungen an die Post-        fitieren von niedrigeren Lohnkosten und mangelnden Sozi-
2015-Agenda genannt, für welche sich die Schweiz im in-       al- und Umweltstandards namentlich in den Entwicklungs-
ternationalen Prozess engagieren soll. Wirksame globale       und Schwellenländern.
Ziele für nachhaltige Entwicklung haben aber auch Kon-             Die Schweiz sollte deshalb verbindliche Regeln für alle
sequenzen für die Gestaltung der Schweizer Politik. Nur       hier ansässigen Konzerne erlassen und ihre Tochterfirmen
wenn die Schweiz in den kommenden Jahren selber Ver-          und Zulieferer auf die Einhaltung der Menschenrechte so-
änderungen einleitet, wird sie sich im globalen Kontext       wie der auch in der Schweiz geltenden Umweltstandards
nachhaltig entwickeln können, ohne die nachhaltige Ent-       verpflichten.
wicklung anderer Länder zu beeinträchtigen. Die im Fol-            Ebenso soll die Wahrung der Menschenrechte und Um-
genden vorgeschlagenen Massnahmen sind dabei in kei-          weltstandards bei der Herstellung aller in die Schweiz impor-
ner Weise erschöpfend und hinreichend, sondern deuten         tierten Güter beachtet werden. Das Bundesgesetz sowie die
lediglich Stossrichtungen an.                                 interkantonale Vereinbarung über das öffentliche Beschaf-
                                                              fungswesen ist so zu revidieren, dass Bund, Kantone und Ge-
1. Standards für Sozial- und Umweltverträglichkeit            meinden in Zukunft mit gutem Beispiel vorangehen und so-
weltweit achten                                               wohl sozial- als auch umweltverträglich produzierte Güter
Die Schweizer Wirtschaft zeichnet sich durch eine hohe        und Dienstleistungen einkaufen.
Auslandsverflechtung und einen enormen Leistungsbilanz-
überschuss aus. Sie baut seit Jahren ein Netz von bilate-     2. Steuersystem reformieren
ralen Freihandels- und Investitionsschutzabkommen mit         Das Steuersystem muss so reformiert werden, dass die Kos-
Entwicklungs- und Schwellenländern aus, um ihren Unter-       ten für die Nutzung von Ressourcen in die Preise von Produk-
nehmen weltweit einen privilegierten Marktzugang und si-      ten und Dienstleistungen internalisiert und verursacherge-
chere Investitionsmöglichkeiten zu eröffnen. Gleichzeitig     recht getragen werden.
zieht sie seit zwanzig Jahren durch Steuervergünstigungen          Um die Ziele für nachhaltige Entwicklung zu erreichen,
und allgemeine Standortvorteile systematisch die Haupt-       werden reiche Länder die armen Länder finanziell unterstüt-
quartiere von transnationalen Konzernen an.                   zen müssen. Mit der Einführung einer Finanztransaktions-
    Bei Nahrungsmitteln, Rohstoffen und industriellen         steuer, wie sie elf EU-Länder bereits beschlossen haben, kann
Massengütern ist die Schweizer Wirtschaft von Importen        die Schweiz diesen neuen Finanzierungsbedarf decken und
abhängig, welche zu einem guten Teil die alten und neu ein-   gleichzeitig zur Eindämmung kurzfristiger spekulativer Ope-
gewanderten multinationalen Konzerne tätigen. Diese pro-      rationen beitragen.

14   ALLIANCE SUD   Positionspapier_Juni 2013
Schliesslich ist die Korrektur der Steuerpolitik weiterzu-   lichen Welt ist unter anderem auf die extrem ungleiche Ein-
führen, die mit dem Abbau der Protektion für ausländische        kommens- und Vermögensverteilung zurückzuführen, die
Steuerhinterzieher begonnen hat. Die Schweiz sollte auf eine     sich auch in der Schweiz, wenngleich durch die Effekte der
Linderung und schliessliche Beseitigung des internationalen      direkten Demokratie gedämpft, manifestiert.
Steuerwettbewerbs hinarbeiten und entsprechend die eige-              Dazu muss wirtschaftspolitisch die Bedeutung der Fi-
nen Tiefsteuerpraktiken revidieren.                              nanzwirtschaft reduziert und die Rolle der Realwirtschaft ge-
                                                                 stärkt werden. Die Ungleichheit zu verringern, verlangt in der
3. Gesellschaftliche Teilhabe aller Menschen verbessern          Schweiz Massnahmen bei den Löhnen (z.B. existenzsichernde
Eine gerechtere Verteilung von Mitteln und Chancen ist Vor-      Löhne und gleicher Lohn für gleiche Arbeit), bei der Förde-
aussetzung für langfristig nachhaltiges Wirtschaften sowie       rung von Kindern und Jugendlichen aus sogenannt bildungs-
sozialen Frieden und Sicherheit. Sie soll zentralen Eingang in   fernen Schichten sowie bei der Integration von AusländerIn-
die Post-2015-Agenda finden und betrifft auch das Handeln        nen (z.B. Zugang zu Bildung, Arbeit sowie Wahlrecht).
in den reichen Ländern selbst. Die Wirtschaftskrise der west-

Fazit: Als global hoch aktives und vernetztes Land muss die Schweiz
eine zukunftsfähige globale Entwicklung mitgestalten, wie sie mit
der Post-2015-Agenda zur Diskussion steht, und daraus innenpo-
litische Konsequenzen ziehen. Sie täte gut daran, aus gegebenem
Anlass eine politische Strategie zu entwerfen, welche die eigene
nachhaltige Entwicklung konsequent in den Kontext einer global zu-
kunftsfähigen Entwicklung stellt. Dies würde ihr erlauben, sich aktiv
und frühzeitig mit den zunehmend miteinander verknüpften globa-
len Herausforderungen wie Umwelt- und Klima-, Finanz- und Wirt-
schafts-, Ressourcen- und Energie-, Armuts- und Hungerkrise ausein-
anderzusetzen. Blosses Reagieren reicht nicht.

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    Postfach 6735, 3001 Bern              1, avenue de Cour, 1007 Lausanne      Via Moncucco 1, C.P. 516
    mail@alliancesud.ch                   www.alliancesud.ch/politique          6903 Lugano
    www.alliancesud.ch                                                          Telefono 091 967 38 40
                                          Advocacy et Lobbying                  Fax 091 966 02 46
    Geschäftsstelle, Advocacy             lausanne@alliancesud.ch               lugano@alliancesud.ch
    und Lobbying                          Téléphone 021 612 00 95               www.alliancesud.ch/politica
    Telefon 031 390 93 30                 Fax 021 612 00 99
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                                          Centre de documentation
    Dokumentationszentrum                 doc@alliancesud.ch
    dokumentation@alliancesud.ch          Téléphone 021 612 00 86
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    Impressum
    Text: Nina Schneider1 und Nicole Werner2 Redaktion: Daniel Hitzig, Kathrin Spichiger
    Übersetzung ins Französische: Isolda Agazzi Layout: Clerici Partner Design, Zürich Druck: S+Z Print, Brig

1
    Nina Schneider ist bei Alliance Sud verantwortlich für das Dossier Entwicklungspolitik.
		Kontakt: nina.schneider@alliancesud.ch
2
    Nicole Werner ist bei Alliance Sud verantwortlich für das Dossier Umwelt- und Klimapolitik.
		Kontakt: nicole.werner@alliancesud.ch
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