Scirocco borderline-europe, Sizilien - Teil 2 - Palermo, 12.04.2021
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Scirocco Englisch sprechen können. Oftmals schei- nen dann italienische Marinemitarbei- borderline-europe, Sizilien – ter*innen auszuhelfen: „Es ist bekannt, dass Teil 2 das italienische Schiff Caprera, das in Tripo- lis liegt, eine koordinierende Rolle bei jeder 'Rettungsaktion' spielt“, so Giulia Crescini, Palermo, 12.04.2021 Anwältin der Anwaltsvereinigung zur Migra- Scirocco [ʃiˈrɔkko-Schirokko] ist ein südöstlicher, tion, Asgi. Es kann also weiterhin nicht von heißer starker Wind, der für oftmals nur wenige einer libyschen Küstenwache gesprochen Stunden Staub und Sand über das Mittelmeer werden (zu den Seenotrettungsfällen im nach Sizilien und Italiens Norden trägt. Diese März siehe auch die Central Med Info von Kurzinfo im Zeitalter der Pandemie erscheint ab borderline-europe.) März 2021 in einem ca. zweiwöchentlichen Im Rahmen der Kriminalisierung der So- Rhythmus. Scirocco ersetzt das Corona Update lidarität ist nach den eröffneten Verfahren Italien. und Untersuchungen gegen diverse zivile Seenotrettungsvereine und -gruppen be- Politische und soziale Situation kannt geworden, dass mehrere Journa- list*innen und andere in der Migrationsar- Der erste Auslandsbesuch des italienischen beit tätige Personen abgehört wurden. Dies Premiers Mario Draghi Anfang April 2021 ging nach Libyen, das lässt keinen Zweifel geschah im Rahmen von Untersuchungen offen: die Zusammenarbeit mit Libyen wird gegen die am 2. August 2017 festgelegte Iu- weiter ausgebaut, auch wenn die Men- venta (Jugend Rettet). schenrechtssituation unverändert katastro- phal ist. Info Migrants hat Zeugenaussagen von Geflüchteten gesammelt, die berichten, was sich in den libyschen Häfen nach ihrer Rückkehr abspielt. Öl und Gas sind wichti- ger als humanitäre Rechte. Draghi lobte die Arbeit der so genannten libyschen Küsten- wache. Sieben Millionen Euro sind erneut nach Libyen geflossen, vor allem für deren Ausrüstung. Derweil werden zwei ehema- lige italienische Schiffe, die an Libyen über- Die Iuventa, Foto: Iuventa10 geben wurden, in Catania in einer geheimen Mission überholt. Der Verantwortliche für Die Journalist*innen wurden bei Gesprä- die Arbeiten wurde auf der Grundlage der chen mit ihren Anwält*innen und mit ihren in früheren ähnlichen Arbeiten bewiesenen Quellen abgehört. Doch gegen keine*n der „Effektivität und Diskretion ausgewählt, um Abgehörten wird in diesem Verfahren er- Aktivitäten von hoher institutioneller Sensi- mittelt – was ist also die Grundlage? Zudem bilität gegenüber der Außenwelt" offenzule- ist es nicht legal, Gespräche zwischen Kli- gen, heißt es im Auftrag der Kommando- ent*innen und Anwält*innen abzuhören zentrale der Finanzpolizei Catania. Dass die so genannte libysche Küstenwache nicht und aufzuzeichnen. Das Abhören und die funktioniert, wurde erneut im März deut- Niederschrift der Quellen, mit denen die lich. Das Alarm Phone berichtete über einen Journalist*innen telefonieren, verstoßen Fall, bei dem neun (!) verschiedene Telefon- gegen die Pressefreiheit. Abgehört wurde nummern der dortigen Seenotrettungsleit- vor allem die Journalistin Nancy Porsia und stelle nicht zu erreichen waren. Als doch damit auch ein Gespräch mit dem palermi- einmal jemand antwortete, sprach er nur tanischen Anwalt Michele Calantropo. Die- Arabisch. Doch Seenotrettungsleitstellen ser rief sie 2017 an, um Informationen über müsse international erreichbar sein und die Situation in Libyen zu erhalten. 2
Calantropo ist der Anwalt eines Eritreers, worden, aber: "Genug mit den Casarinis (Ak- der fälschlicherweise als Menschenhändler tivist von Mediterranea Saving Humans, verurteilt wurde und drei Jahre im Gefäng- Anm. d. Red.), die von den Sozialzentren auf nis in Palermo saß. Ungeheuerlich: das Te- die Schiffe der NGOs umziehen und sich lefonat, in dem auch die Verteidigungsstra- über mysteriöse wirtschaftliche Zahlungen tegie Thema war, wurde von der Polizeiein- freuen (es geht um den Fall Mediterranea, heit aufgezeichnet, die in der Anklage die Anm. d. Red.). Diese fanden statt, als sie ge- Zeugen der Gegenseite stellt und somit in rade illegale Einwanderer*innen an Bord ih- Erfahrung bringen konnte, welche Linie die rer Boote schmuggelten. Die Geschichte der Verteidigung fährt. NGOs ist eine verstörende, die exemplari- sche Prozesse und sofortige Verurteilung verdient. Vergessen Sie humanitäre Hilfe. Diese Geschichte muss neu geschrieben werden." So Maurizio Gasparri, Mitglied der Forza Italia (Silvio Berlusconis Partei), ehe- maliger Minister für Kommunikation unter Berlusconi 2001-2005) und zuvor auch Mit- glied der ultrarechten Alleanza Nazionale. Rund um die Seenotrettung Die Open Arms auf offener See; Foto Chris Grodotzki Mit dem besseren Wetter Ende März began- via Sea Watch nen auch wieder die gefährlichen Abfahrten Die Geschichte der Kriminalisierung hat ih- aus Libyen in Richtung Europa. Doch viele ren Ursprung in 2016. Am 12. Dezember der Menschen kamen nicht dort an. trat die Regierung Paolo Gentiloni ihr Amt Allein zwischen dem 28. März und dem 1. an, mit ihr der neue Innenminister der De- April zählte die Internationale Organisation mokraten, Marco Minniti. Ein interner für Migration (IOM) 1.663 Menschen, die ab- Handlungsleitfaden wurden an die SCO Tra- gefangen und nach Libyen zurückgebracht pani, eine Einheit zu Kriminalitätsbekämp- wurden. Eines der Boote befand sich bereits fung der Polizei, geschickt. Diese Richtlinien in der maltesischen Such- und Rettungs- verfolgte zwei Ziele, ein Politisches: das Aus- Zone (SAR-Zone) und hätte von Malta geret- bremsen der SAR-NGOs. Die Umsetzung er- tet werden müssen. Die Crew der Open folge mit dem von Minniti erstellten Verhal- Arms wurde Zeuge, dass diese Zurückschie- tenskodex für NGO-Schiffe. Und ein Juristi- bung von den maltesischen Behörden koor- sches: Damit sollte der Prozess gegen die diniert worden war, obwohl das gegen das Crew der Iuventa, gegen MSF (Ärzte ohne Nicht-Zurückweisungsgebot der Genfer Grenzen) und Save the Children angescho- Flüchtlingskonvention verstößt. ben werden. Mit seinem Namen hat das Vit- torio Pisani gezeichnet, seiner Zeit Leiter Glücklicherweise konnte die Open Arms 219 der Einwanderungsabteilung des Ministeri- Menschen retten, darunter einen 10-jähri- ums der Öffentlichen Sicherheit. Zwei Jahre gen Jungen, der alleine reiste. Fünf Tage später war er Chef des AISI, des Inneren Si- nach der ersten Rettung durften die Men- cherheitsdienst (Geheimdienst). Geflüch- schen am ersten April nach Pozzallo ge- tete sind also vor allem ein Sicherheitsri- bracht werden. 10 Personen waren bereits zuvor evakuiert worden. Die Open Arms er- siko. Politiker*innen des rechten und ultra- hielt noch weitere Notrufe, doch als sie bei rechten Flügels sehen in den Abhörungen, den GPS-Koordinaten ankam, waren keine dass der Zweck die Mittel heilige. Es seien Boote auffindbar – sie waren wahrschein- zwar die Rechte einiger Personen verletzt lich von der sogenannten libyschen Küsten- 3
wache abgefangen worden. Das Seenotret- tungsschiff begleitete ein weiteres Boot bis 15 Seemeilen vor Lampedusa, da es die 95 Menschen nicht mehr an Bord nehmen konnte. Nach dem Anlanden der Open Arms war kein ziviles Seenotrettungsschiff mehr auf dem Mittelmeer, aber Menschen machten sich weiter auf den Weg. Am Ostersamstag riefen drei Boote mit ins- gesamt 270 Menschen an Bord über das Alarm Phone um Hilfe. Alle befanden sich in der maltesischen SAR-Zone, aber sowohl Zugemauertes Fenster der geräumten Unterkunft; Malta als auch Italien verweigerten die Ko- Foto Borderline Sicilia ordination der Rettung, obwohl zwei Han- Bald steht jedoch die Kartoffelernte an, zu delsschiffe in der Nähe waren. Drei Tage der jährlich 300-400 Menschen kommen, lang trieben die Menschen auf dem Mittel- die eine Unterkunft brauchen. Wer im Orts- meer, die meiste Zeit davon ohne Essen und kern unterkommt, schafft es früh morgens Trinken, bevor sie endlich nach Italien ge- nicht rechtzeitig auf das Feld. Andere finden bracht wurden. Unterschlupf bei ihren „Bossen“, doch wis- Am 1. April landete ein weiteres Schiff mit sen sie nicht, wie viel ihnen dafür vom Ge- aus Seenot Geretteten in Italien, allerdings halt abgezogen wird. Wieder andere schla- in Salerno, südlich von Neapel. Ein Fracht- fen zurzeit in Höhlen außerhalb der Ort- schiff hatte in griechischen Gewässern 32 schaft. Es heißt immer wieder, diese Men- Menschen gerettet und hatte mit diesen die schen seien systemrelevant, denn ohne sie geplante Route weitergeführt. hätten wir kein Gemüse und kein Obst auf dem Tisch. Doch es wird einmal mehr deut- lich, wie diese allein als billige Arbeitskräfte Situation der Geflüchteten angesehen werden und es stellt sich die Noch vor den letzten Ankünften waren 776 Frage, ob die öffentliche Hand und gesell- Menschen im Hotspot von Lampedusa un- schaftliche Akteur*innen auch so mit Abwe- tergebracht, der für 250 Menschen ausge- senheit glänzen würden, wenn die Arbei- legt ist. Die Erwachsenen und Familien wur- ter*innen die italienische Staatsbürger- den daher auf Fähren gebracht, die als Qua- schaft hätten. Zwar wurden zuletzt ein paar rantäneschiffe genutzt wurden, wo die Be- Container aufgestellt, doch fehlt noch je- dingungen aber keinesfalls gut sind. Unbe- mand, der diese verwaltet. Eine Lösung für gleitete Minderjährige, die auf manchen die menschenunwürdigen Bedingungen Booten teilweise die Hälfte der Menschen der Erntehelfer*innen sind sie sicher nicht. ausmachte, wurden in andere Unterkünfte gebracht. Weitere Informationen zur Situation in Italien finden Sie in unserem Steiflicht Bereits Anfang März wurden provisorische Italien und unseren vorherigen Corona- Unterkünfte in Bauruinen von Erntehel- Updates auf unserer Homepage. fer*innen in dem südlich der sizilianischen Stadt Syrakus gelegenem Cassibile von der Kontakt Polizei geräumt. borderline-europe Menschenrecht ohne Grenzen e.V. https://www.borderline-europe.de/ mail@borderline-europe.de jg@borderline-europe.de 4
Sie können auch lesen