Selbständige Tätigkeit und Zuordnung von Leistungen im MWST-Recht - Die Crux des Aussenauftritts - zsis
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MWST/Zoll, Selbständige → Britta Rehfisch, Olivia Schwarz Selbständige Tätigkeit und Zuordnung von Leistungen im MWST-Recht – Die Crux des Aussenauftritts Band 1 / 2022 | Artikel 3 Zitiervorschlag: Britta Rehfisch, Olivia Schwarz, Selbständige Tätigkeit und Zuordnung von Leistungen s. 18 im MWST-Recht – Die Crux des Aussenauftritts, in zsis) 1/2022, A3, N [...] (abrufbar unter: publ.zsis.ch/A3-2022)
24.02.2022 MWST/Zoll, Selbständige QUICK READ Ausgehend von Urteilen, die sich zu Beginn mehr- heitlich auf Fälle im Rotlichtgewerbe konzentrierten, umfasst die Rechtsprechung zum Aussenauftritt eine ganze Palette von Fällen, in de- nen der Aussenauftritt im Hinblick auf das Kriterium der Selbständigkeit, der Zuordnung von Leistungen wie auch betreffend Haftungsfragen untersucht wurde. Die Vielzahl der Fälle zeigt die Bedeutung des Britta REHFISCH Aussenauftritts im MWST-Recht sowie die Divergenzen in seiner Dipl. Steuerexpertin, Diplom-Kauffrau, Steuerberaterin (DE) Beurteilung auf Seiten der (potenziell) steuerpflichtigen Personen einer- Direktorin | ADB, Zürich seits und der Verwaltungspraxis andererseits. britta.rehfisch@adb.ch Die Zusammenfassung der beiden hier besprochenen Urteile vom August 2021 legt dar, dass beide Urteile die Frage der Zuordnung von Umsätzen allein auf Grundlage der Beurteilung der Selbständigkeit der involvier- ten Parteien lösen. Im Wirtschaftsleben zeigen sich jedoch vielfältige- re Facetten der Leistungserbringung, wie z.B. selbständig Erwerbende als Angestellte in Nebentätigkeit bzw. vice versa Unselbständige, die Olivia SCHWARZ im Aussenverhältnis einer selbständigen (Neben-) Erwerbstätigkeit MAS in MWST, lic. in Internationalen nachgehen. Beziehungen MWST-Expertin | ADB, Zürich olivia.schwarz@adb.ch Mit Hilfe einer systematischen Einordnung wird nachstehend eine Auslegung für den unbestimmten Rechtsbegriff des Aussenauftritts dis- kutiert, die eine Risikoanalyse für weitere Lebenssachverhalte ermöglicht. s. 19 Selbständige Tätigkeit und Zuordnung von Leistungen im MWST-Recht – Die Crux des Aussenauftritts
24.02.2022 MWST/Zoll, Selbständige QUICK READ 19 1. Einführung Das Bundesverwaltungsgericht beurteilte im August 1 HAUPTTEIL 20 2021 in zwei Fällen die Frage, ob der Tatbestand der Selbständigkeit als ausdrückliches Erfordernis für 1. Einführung 20 eine subjektive Steuerpflicht erfüllt sei. Mit der Frage der Selbständigkeit unmittelbar verbunden ist die Be- 2. Zusammenfassung der Urteile 20 urteilung des Aussenauftritts, d.h. eines nach aussen wahrnehmbaren, eigenständigen Auftritts als Leis- 3. Selbständigkeit und Zuordnung tungserbringer. Gleichzeitig knüpft das MWSTG an von Leistungen 21 den Aussenauftritt die Beurteilung, welchem Steuer- subjekt der objektive Tatbestand der Leistungser- 4. Einordung der aktuellen Rechtsprechung 24 bringung, kurz wem der erzielte Umsatz zuzuweisen ist. Die für die Steuerpflicht erforderliche Selbständig- 5. Ausblick 28 keit sowie die Zuordnung von Leistungen sind somit aufgrund des Aussenauftritts als gemeinsames Krite- rium miteinander verzahnt. Dennoch zeigt sich in einer vertieften Auseinander- 2 setzung mit den beiden Urteilen, dass eine saubere Trennung der Prüfung der Steuersubjektfähigkeit ei- nerseits und der Zuordnung von Leistungen anderer- seits nicht nur aufgrund der Regelungen des MWSTG geboten, sondern auch zur Beurteilung der verschie- denen Facetten von Kooperationen erforderlich ist. Neben der Gewichtung der einzelnen von der Recht- 3 sprechung entwickelten Kriterien für den Aussenauf- tritt wird im nachfolgenden Artikel die Zuordnung von Leistungen vor dem Hintergrund des mehrwertsteuer- lichen Leistungsbegriffs und der Grundprinzipien der Mehrwertsteuer, wie der Überwälzbarkeit, analysiert. 2. Zusammenfassung der Urteile In den Urteilen des Bundesverwaltungsgerichts vom 4 6. August 2021 (Apothekerfall) 01 respektive vom 18. August 2021 (Handelsvertreterfall) 02 geht es um 01 Urteil des Bundesverwaltungsgerichts A-5196/2020 vom 6. August 2021. 02 Urteil des Bundesverwaltungsgerichts A-5736/2019 vom 18. August 2021. s. 20 Selbständige Tätigkeit und Zuordnung von Leistungen im MWST-Recht – Die Crux des Aussenauftritts
24.02.2022 MWST/Zoll, Selbständige Fragestellungen rund um die selbständige Tätigkeit ben, in welchem die Behandlungen der verschiedenen im Sinne der Mehrwertsteuer (MWST) und den für Therapeutinnen und Therapeuten angeboten werden. eine selbständige Tätigkeit erforderlichen Aussenauf- Ebenso sei es möglich, in der Apotheke Termine bei tritt in eigenem Namen. Während im ersten Fall die den verschiedenen Therapeutinnen und Therapeuten Beschwerdeführerin eine selbständige Tätigkeit der zu buchen. Die Apotheke trete somit gegen aussen als in ihren Räumlichkeiten tätigen Therapeuten annahm Anbieterin der verschiedenen Behandlungen auf und und die Eidgenössische Steuerverwaltung (ESTV) so- es sei für einen neutralen Dritten nicht eindeutig klar, wie das Gericht zu einem gegenteiligen Schluss kom- dass die Therapien nicht zum Angebot der Apotheke men, sind die Ansichten im zweiten Fall entgegen- gehören. Mithin sei «von unselbständigen Therapeu- gesetzt. Die ESTV geht hier von einer selbständigen tinnen und Therapeuten auszugehen». 04 Tätigkeit aus, während der Beschwerdeführer dafür plädiert, dass er in einem Angestelltenverhältnis tätig 2.2 «Handelsvertreterfall» gewesen sei. Im Handelsvertreterfall überwiegen hingegen laut 7 Bundesverwaltungsgericht diejenigen Indizien, nach 2.1 «Apothekerfall» denen die vom Beschwerdeführer unter einem Agen- 5 Im ersten Fall war die Frage zu klären, ob die in turvertrag erbrachten Leistungen als selbständige den Räumlichkeiten, welche eine Apotheke an The- Erwerbstätigkeit qualifizieren. So sei der Beschwerde- rapeutinnen und Therapeuten vermietet, erzielten führer weitaus frei in der Gestaltung und Organisa- Umsätze im mehrwertsteuerrechtlichen Sinne der tion seiner Arbeit, zudem habe er eine Betriebshaft- Apotheke als Abgabepflichtigen oder den einzelnen pflichtversicherung abgeschlossen, trage die Kosten, Therapeuten als selbständig Erwerbenden zuzuord- welche durch seine Tätigkeit als Vertreter anfallen, nen seien. Obwohl die Therapeuten selbständig mit selbst und habe ein eigenes Büro gemietet. Mit gros- ihren Kunden abrechnen, in ihrer Funktion als Thera- ser Wahrscheinlichkeit seien all diese Punkte in einem peuten auch ausserhalb des Therapiezentrums tätig Angestelltenverhältnis anders geregelt. Schliesslich sind, eigenständig Buch führen, Sozialversicherungs- habe ihm die Gesellschaft, die er vertritt, keinen Lohn- beiträge abrechnen und unternehmerisches Risiko i.S. ausweis ausgestellt, sondern seine Dienstleistungen des Ausfall- bzw. Inkassorisikos tragen, überwiegen bezahlt und er sei auch gegenüber dieser in eigenem für das Bundesverwaltungsgericht die Indizien, wel- Namen aufgetreten. Entsprechend habe die ESTV zu che für eine Eingebundenheit der Therapeuten in den Recht eine selbständige unternehmerische Tätigkeit Apothekenbetrieb sprechen. Damit wird letztlich eine angenommen und damit eine rückwirkende Eintra- Qualifikation der Therapeuten als Unternehmer i.S. gung ins MWST-Register vorgenommen. 05 des Art. 10 Abs. 1 i.V.m. Abs. 1bis des Bundesgesetzes über die Mehrwertsteuer (MWSTG) verneint. 03 3. Selbständigkeit und Zuordnung von Leistungen 6 Die Steuerpflicht der Beschwerdeführerin erstrecke sich folglich auch auf die von den einzelnen Thera- Die Regelungen zur Steuerpflicht wie auch die Fest- 8 peutinnen und Therapeuten erzielten Umsätze. Seine stellung, ob einer Person eine Leistung zuzuordnen Schlussfolgerung begründet das Bundesverwaltungs- gericht damit, dass die Handlungen der Apotheke in 03 Urteil des Bundesverwaltungsgerichts A-5196/2020 Bezug auf das Therapiezentrum aus mehrwertsteuer- vom 6. August 2021 E. 5.3.3 f. rechtlicher Sicht weit über diejenigen einer reinen Ver- 04 Urteil des Bundesverwaltungsgerichts A-5196/2020 mietung von Geschäftsräumlichkeiten hinausgehen. vom 6. August 2021 E. 5.3.4. Beleg hierfür sei, dass die Apotheke in ihrem Internet- 05 Urteil des Bundesverwaltungsgerichts A-5736/2019 auftritt damit wirbt, ein Therapiezentrum zu betrei- vom 18. August 2021 E. 5.4. s. 21 Selbständige Tätigkeit und Zuordnung von Leistungen im MWST-Recht – Die Crux des Aussenauftritts
24.02.2022 MWST/Zoll, Selbständige ist, knüpfen an den Aussenauftritt dieser Person an. Ob eine Tätigkeit in mehrwertsteuerlicher Hinsicht als 12 Zunächst ist zu klären, ob aufgrund der selbständigen selbständig oder unselbständig zu qualifizieren ist, Tätigkeit mit einem Aussenauftritt im eigenen Namen bestimmt sich gemäss der Rechtsprechung aufgrund ein Unternehmen betrieben wird (Art. 10 Abs. 1 und einer umfassenden Würdigung sämtlicher einschlä- Abs. 1bis MWST). Im nächsten Schritt ist zu unter- giger Faktoren. 10 Als Richtschnur können die direkt- suchen, ob aufgrund des Auftritts im Hinblick auf die steuerlichen Indizien für eine selbständige Erwerbstä- Erbringung einer konkreten Leistung, diese Leistung tigkeit herangezogen werden, dies sind insbesondere: dem betreffenden Unternehmen nach Art. 20 MWSTG • Handeln und Auftreten im eigenen Namen zuzurechnen ist. Das Gesetz definiert in beiden Rege- gegenüber Dritten lungen den Begriff des Aussenauftritts mit Ausnahme • Tragen des unternehmerischen Risikos der Feststellung, dass dieser in eigenem Namen zu er- (Gewinn und Verlust) folgen hat, nicht weiter. • Wahlfreiheit, eine Aufgabe anzunehmen oder nicht 9 Die Frage der Selbständigkeit stellt sich einzig bei na- • Freiheit, die Erfüllung der Aufgaben selbständig türlichen Personen, 06 wohingegen sich die Frage der organisieren zu können Zuordnung von Leistungen auch bei juristischen Per- sonen ergeben kann. Des Weiteren können die Tatsachen, dass jemand Per- 13 sonal beschäftigt, erhebliche Investitionen tätigt, über 3.1 Selbständigkeit eigene Geschäftsräumlichkeiten verfügt, verschie- 10 Die Mehrwertsteuerpflicht setzt den Betrieb eines dene und wechselnde Auftraggeberinnen hat sowie Unternehmens voraus. Ein solches betreibt «wer eine betriebswirtschaftlich und arbeitsorganisatorisch un- auf die nachhaltige Erzielung von Einnahmen aus abhängig ist, weitere Indizien für eine Selbständigkeit Leistungen ausgerichtete berufliche oder gewerbli- darstellen. Das Bundesgericht führt aus: «Insoweit be- che Tätigkeit selbständig ausübt, unabhängig von der steht zwischen direkter Steuer und Mehrwertsteuer Höhe des Zuflusses von Mitteln, die nach Art. 18 Abs. kein Anlass zur Differenzierung» 11 . Jedoch sind die 2 MWSTG nicht als Entgelt gelten; und unter eigenem unterschiedlichen Besteuerungsziele (Besteuerung Namen nach aussen auftritt». 07 Diese Person wird als des Einkommens bzw. Gewinn des Leistungserbrin- Unternehmensträger bezeichnet. Die Rechtsform, der Zweck oder eine Gewinnabsicht spielen keine Rolle. 08 06 BGE 138 II 251 E. 2.4.2 S. 256 m.H. Der Auftritt nach aussen wird in Art. 10 Abs. 1bis lit. b 07 Art. 10 Abs. 1bis Mehrwertsteuergesetz, Fassung MWSTG explizit erwähnt, war aber auch unter altem gemäss Ziff. I des BG vom 30. September 2016, in Recht bereits bedeutsam für die Frage, ob eine Tätig- Kraft seit 1. Januar 2018 – vormals Art. 10 Abs. 1 lit. b keit selbständig ausgeübt wird. 09 MWSTG (in Kraft seit 1.1 .2010). 08 Art. 10 Abs. 1 MWSTG. 11 Ein Blick in die Rechtsprechung und die Lehre zeigt, 09 Imstepf Ralf, Der mehrwertsteuerliche Aussenauftritt, dass für die Beurteilung, ob eine selbständige Tätig- Konturen eines unbestimmten Rechtsbegriffs, keit im Sinne der Mehrwertsteuer mit entsprechen- ASA 82 (2013/2014), Rz. 4 (zit. Imstepf Ralf, mehr dem Aussenauftritt besteht, Kriterien und Indizien ge- wertsteuerlicher Aussenauftritt). nannt werden, die sowohl formale bzw. zivilrechtliche 10 BGE 138 II 251 E. 2.4.2; sowie Urteile des Bundes- Aspekte abdecken als auch das blosse Erscheinungs- gerichts 2C_1001/2015 vom 5. Juli 2016 E. 3.3 f.; bild auf dem Markt einschliessen. Die Gewichtung der 2C_850/2014 vom 10. Juni 2016 E. 8.1.1 oder einzelnen Kriterien kann, wie im Folgenden anhand auch im hier besprochenen Urteil des Bundesver- der beiden Urteile des Bundesverwaltungsgerichts waltungsgerichts A-5196/2020 vom 6. August 2021 aus dem August 2021 dargelegt, je nach Fallkonstella- E. 2.2. tion jedoch unterschiedlich sein. 11 BGE 138 II 251 E. 2.4.2. s. 22 Selbständige Tätigkeit und Zuordnung von Leistungen im MWST-Recht – Die Crux des Aussenauftritts
24.02.2022 MWST/Zoll, Selbständige gers vs. Besteuerung des Konsums der Leistungs- steuerrelevante Frage, wem eine Leistung zuzuord- empfängerin) bei der Auslegung des Begriffes für die nen ist» 18 . Im Rahmen der Einführung des neuen jeweilige Steuerart zu berücksichtigen. 12 MWSTG per 1. Januar 2010 wurde in der Lehre in den Zuordnungsbestimmungen des Art. 20 MWSTG eine 14 Letztlich kommt es für den Aussenauftritt als eines Distanzierung von wirtschaftlichen Gesichtspunkten der Kriterien der selbständigen Tätigkeit auf eine und eine Hinwendung zu streng formalen Kriterien entsprechende Wahrnehmbarkeit von Handlungen in gesehen, wobei der Rechnungstellung ausschlagge- eigenem Namen an. 13 Die arbeitsorganisatorische Ab- bende Bedeutung zukommen sollte. Zudem sei bei hängigkeit und eine allfällige Weisungsgebundenheit der Annahme eines Aussenauftritts Zurückhaltung einer unselbständigen in Abgrenzung zu einer selb- zu üben. Damit einer Person eine Leistung überhaupt ständigen Tätigkeit zeigen sich gemäss der Recht- zuzuordnen sei, müsse die Person einen wesentlichen sprechung zum Erotikgewerbe wie zur Coiffeurbran- Beitrag im Rahmen des konkreten Leistungsverhält- che bereits durch einheitliche Preisangaben, Bindung nisses erbringen. 19 an Betriebs- und Öffnungszeiten sowie in beschränk- ten Zugangsmöglichkeiten zu Geschäftsräumen. 14 Die Rechtsprechung und die hierauf fussende Verwal- 17 tungspraxis belehrt uns eines «Besseren»: 15 Die rein formalen Aspekte treten hingegen bei der Be- urteilung des Aussenauftritts im Zusammenhang mit 12 Urteil des Bundesverwaltungsgerichts A-5196/2020 Umstrukturierungsvorgängen in den Vordergrund, da vom 6. August 2021 E. 2.2.2 bis E. 2.2.4; Urteil diese erst mit Eintragung im Handelsregister recht- des Bundesverwaltungsgerichts A-5736/2019 vom wirksam werden. In diesem speziellen Fall tritt die 18. August 2021 E. 2.4, E. 4.7. wirtschaftliche Betrachtungsweise in den Hinter- 13 Imstepf Ralf, mehrwertsteuerlicher Aussenauftritt, grund, weil dem Mehrwertsteuerrecht – im Gegen- Rz. 12 m.H. auf die Rechtsprechung. satz zu den direkten Steuern – die Rückwirkung einer 14 Imstepf Ralf, mehrwertsteuerlicher Aussenauftritt, Umstrukturierung fremd ist. 15 Eine durch Abspaltung Rz. 5 und 9; Das Bundesverwaltungsgericht entstandene juristische Person kann somit formell (mit Urteil A-5195/2020 vom 6. August 2021 E. 5.3.3) erst ab dem Handelsregistereintrag einen Aussen- leitet aus einem Vorrecht des Apothekers zur auftritt entfalten und Unternehmensträger bzw. Leis- Nutzung von Therapieräumen für Abendveran- tungserbringer sein. 16 staltungen bereits eine gewisse Weisungsge- bundenheit ab. 3.2 Zuordnung von Leistungen 15 Vgl. Rehfisch Britta / Rohner Roger, in: Zweifel / 16 Damit derjenige, der selbständig als Unterneh- Beusch / Riedweg / Oesterhelt (Hrsg.), Kommentar mer bzw. MWST-Subjekt am Markt auftritt, auch den zum Schweizerischen Steuerrecht, objektiven Steuertatbestand 17 erfüllt, muss ihm die Umstrukturierungen, 2015, N. 99 f. zu § 15. Leistung zugerechnet werden können. Art. 20 Abs. 1 16 Urteil des Bundesgerichts 2C-255/2020 vom MWSTG hält seit seinem Inkrafttreten am 1. Januar 18. August 2020 E. 5.1.2 ff. 2010 explizit fest, dass die Leistung als von derjeni- 17 Erbringen einer steuerbaren Leistung gegen Entgelt gen Person erbracht gilt, die nach aussen in eigenem gemäss Art. 18 Abs. 1 MWSTG. Namen als Leistungserbringerin auftritt. Nach der 18 Botschaft vom 25. Juni 2008 zur Vereinfachung Botschaft zum MWSTG sollte die Zuordnungsbestim- der Mehrwertsteuer, BBl 2008, S. 6962. mung in Art. 20 MWSTG «klar zum Ausdruck bringen, 19 Baumgartner Ivo P. / Clavadetscher Diego / Kocher dass es hier nicht [nur] um die zivilrechtliche Frage Martin, Vom alten zum neuen Mehrwertsteuergesetz, der Stellvertretung geht, sondern um die mehrwert- § 4 Rn 43-45 (zit. Baumgartner / Clavadetscher / Kocher, Mehrwertsteuergesetz). s. 23 Selbständige Tätigkeit und Zuordnung von Leistungen im MWST-Recht – Die Crux des Aussenauftritts
24.02.2022 MWST/Zoll, Selbständige 18 Massgebend sei die Frage, wie die angebotene Leis- zialversicherung, Vereinnahmung der Honorare und tung für die Allgemeinheit bzw. für den neutralen weiteren Therapietätigkeiten ausserhalb des Thera- Dritten objektiv erkennbar in Erscheinung tritt. Neben piezentrums der Apotheke. 25 den Verträgen und der Rechnungsstellung werden somit die Wahrnehmbarkeit als Leistungserbringerin Diese absolute Verneinung der Unternehmereigen- 20 z.B. durch das Angebot von Leistungen auf einer Web- schaft mutet vor dem Hintergrund der klar erfüllten seite, Gebäudeanschriften usw. beurteilt. Das Handeln Kriterien einer selbständigen Erwerbstätigkeit im Sin- im eigenen Namen ist ebenso bei der Zuordnung von ne der oben genannten direktsteuerlichen Kriterien Leistungen entscheidend. 20 Imstepf räumt ein, dass irritierend und vor dem Hintergrund der gerichtlichen die Vertragsgestaltung und Rechnungstellung wohl Beurteilung im Handelsvertreterfall widersprüch- in den meisten Fällen gewichtige Kriterien bilden, lich an. Denn im letztgenannten Fall wird eine selb- insbesondere wenn diese im Nachhinein als einzige ständige unternehmerische Tätigkeit gerade auch für Nachweise zur Beurteilung des Sachverhalts zur Ver- MWST-Zwecke aufgrund eben dieser Kriterien der fügung stehen. 21 Dennoch hat die Ausgestaltung der Honorarvereinnahmung, Kostentragung, Haftung für zivilrechtlichen Verträge nur Indizwirkung für die Be- die Tätigkeit, Freiheit im Angebot an andere Markt- urteilung nach tatsächlichen, wirtschaftlichen Krite- teilnehmende und der eigenständigen Regelung von rien. 22 In der Rechtsprechung rückt damit die Frage in Preis-, Zahlungs-, und Lieferbedingungen bejaht. 26 den Vordergrund, wer die Leistung erkennbar für die Auch die allgemeine Feststellung im Handelsvertre- Leistungsempfängerinnen anbietet. Werbung, Online- terfall, dass der Begriff der Selbständigkeit eher weit Auftritt, Firmenschild und Telefonanschluss sind ge- auszulegen sei, würde ebenso bei den Therapeuten mäss Rechtsprechung (auch) für die Zuordnung der für eine Beurteilung als selbständige Unternehmens- Leistung von grosser Relevanz. Wer die Leistung phy- träger im mehrwertsteuerlichen Sinn sprechen. 27 sisch erbringt, ist nicht entscheidend. 23 Leistungser- bringerin kann somit auch werden, wer eine Leistung 20 Urteil des Bundesverwaltungsgerichts A-2859/2019 lediglich in eigenem Namen weiterfakturiert. 24 vom 5. Dezember 2019 E. 2.3.4 mit Verweis auf Urteile des Bundesverwaltungsgerichts A‑6198/2012 vom 3. September 2013 E. 3.1.1 und A-1591/2014 4. Einordung der aktuellen Rechtsprechung vom 25. November 2014 E. 4.2.2. 21 Imstepf Ralf, mehrwertsteuerlicher Aussenauftritt, 4.1 Selbständigkeit als Voraussetzung Rz. 14 f.; vgl. auch Urteil des Bundesverwaltungs- für die MWST-Pflicht gerichts A-2859/2019 vom 5. Dezember 2019 E. 3.2.1.3. 4.1.1 Fehlende Selbständigkeit als Ausschluss- 22 Urteil des Bundesverwaltungsgerichts A-5736/2019 kriterium vom 18. August 2021 E. 4.8. 19 Beide Urteile aus dem August 2021 stellen das 23 Urteil des Bundesgerichts 2C_1001/2015 vom Kriterium der selbständigen unternehmerischen Tä- 5. Juli 2016 E. 4.2. tigkeit in den Vordergrund. Mangels eigenständigem 24 Urteil des Bundesverwaltungsgerichts A-713/2017 Aussenauftritt können demnach die Therapeuten vom 2. Juli 2018 E. 3.1.2. bzw. Therapeutinnen keine unabhängigen Unterneh- 25 Urteil des Bundesverwaltungsgerichts A-5196/2020 men darstellen, so dass von unselbständigen Thera- vom 6. August 2021 E. 5.2.3, E. 5.3.1, E. 5.3.4. peuten und Therapeutinnen auszugehen sei – dies 26 Urteil des Bundesverwaltungsgerichts A-5736/2019 trotz ihrer eigenen Webseiten, eigener Rechnungstel- vom 18. August 2021 E. 4.1. lung und Buchhaltung, eigener Abrechnung der So- 27 Urteil des Bundesverwaltungsgerichts A-5736/2019 vom 18. August 2021 E. 2.4. s. 24 Selbständige Tätigkeit und Zuordnung von Leistungen im MWST-Recht – Die Crux des Aussenauftritts
24.02.2022 MWST/Zoll, Selbständige 21 Jedoch wurden im Apothekerfall andere Facetten Man mag nun anführen, dass die unmittelbare Prü- 23 des Aussenauftritts, wie beispielsweise die Webseite fung der Selbständigkeit und des diesbezüglichen der Apotheke 28 , die fehlende ausdrückliche Unter- Aussenauftritts in Einzelfällen, wenn eine Tätigkeit teilung von Räumlichkeiten 29 , die Eingebundenheit vollumfänglich unter dem Aussenauftritt einer ande- in die Organisation der Apotheke durch gemeinsame ren Partei ausgeübt wird, zum gleichen Ergebnis führt, Werbung und Terminvereinbarung sowie die fehlen- wie eine zweistufige Prüfung. 31 Jedoch hat eine diffe- de ausschliessliche Verfügungsberechtigung über die renzierte, systemgerechte, zweistufige Betrachtung 32 Therapieräume 30 stärker gewichtet als die zivilrecht- selbstredend Auswirkung auf die Höhe der zuzuord- liche Ausgestaltung. Eine unterschiedliche Gewich- nenden und zu versteuernden Umsätze. Eine Zurech- tung der gleichen Kriterien in den beiden Fällen kann nung von Therapie-Umsätzen bei der Apotheke kann aber nicht mit der unterschiedlichen Zwecksetzung sich – wenn überhaupt – nach pflichtgemässem Er- der MWST im Vergleich zu den direkten Steuern be- messen (Art. 79 Abs. 1 MWSTG) nur auf die tatsächlich gründet werden. Die Annahme einer gewissen Wei- unter dem Aussenauftritt der Apotheke vollzogenen sungsgebundenheit aufgrund der Tatsache, dass die Leistungen beschränken. Neben dem Umfang der zu- Therapeuten trotz Mietvertrag nicht uneingeschränkt zurechnenden Umsätze beeinflusst dieses zweistufi- über die Räumlichkeiten verfügen können, erstaunt ge Vorgehen zudem die Frage, ob die Umsatzgrenze ausserdem vor dem Hintergrund von Coworking- und für die Steuerpflicht überschritten wird. Shared-Office-Konzepten. Auch in den Regelungen zur Leistungszuordnung bei 24 4.1.2 Plädoyer für eine systemgerechte, zweistufige direkter Stellvertretung (Art. 20 Abs. 2 MWSTG) und Betrachtungsweise im Dreiparteienverhältnis (Art. 20 Abs. 3 MWSTG) 22 Die Begründung einer Zuordnung der Umsätze liegen mehrere Unternehmensträger vor, die nach zum Apothekenbetrieb allein aufgrund des Kriteriums aussen auftreten, d.h. selbständig sind. Die Frage der der selbständigen unternehmerischen Tätigkeit, d.h. Leistungszuordnung erfolgt auch hier erst nach der der Steuersubjektfähigkeit, erscheint des Weiteren verkürzt. Vielmehr ist unseres Erachtens vorliegend 28 Urteil des Bundesverwaltungsgerichts A-5196/2020 in einem ersten Schritt auch im Apothekerfall aus vom 6. August 2021 E. 5.3.1. MWST-Sicht nach Art. 10 Abs. 1bis MWSTG grund- 29 Urteil des Bundesverwaltungsgerichts A-5196/2020 sätzlich eine selbständige, unternehmerische Tätig- vom 6. August 2021 E. 5.3.2. keit der Therapeutinnen und Therapeuten aufgrund 30 Urteil des Bundesverwaltungsgerichts A-5196/2020 ihres Aussenauftritts – auch ausserhalb des Therapie- vom 6. August 2021 E. 5.3.3. zentrums in der Apotheke – zu bejahen. Erst in einem 31 Vgl. z. B. Urteile des Bundesverwaltungsgerichts zweiten Schritt wäre eine Zuordnung der Umsätze A-6188/2012 und A-6198/2021 vom 3. September zum Unternehmen «Apotheke» für einzelne Umsätze 2012 E. 3.3.2. bzw. E. 3.1.2. (Erotikdienstleistungen); nach Art. 20 Abs. 1 MWSTG zu prüfen. Kurz gesagt, Urteil des Bundesverwaltungsgerichts A-6367/2011 geht es im vorliegenden Fall nicht um die Selbstän- vom 14. August 2012 (Coiffeursalon mit Vermietung digkeit der Therapeuten als solche, sondern um die zur Mitbenützung an Dritte). Frage, ob ein Teil ihrer Umsätze nicht ihrer eigenen 32 Vgl. auch Urteil des Bundesgerichts 2C_345/2020 selbständigen Tätigkeit, sondern nach Art. 20 Abs. 1 vom 14. April 2021 E. 7.1., wonach die Steuerpflicht MWSTG der Apotheke als (weiterem) Unternehmens- einer Gesellschaft nicht ausschliesst, dass der träger zuzurechnen sind. Gesellschafter allein ihm zuzuordnende der MWST- Pflicht unterliegende Umsätze tätigt, so dass die Sache zur Feststellung der Zuordnung von Leistungen an die Vorinstanz zurückzuweisen ist. s. 25 Selbständige Tätigkeit und Zuordnung von Leistungen im MWST-Recht – Die Crux des Aussenauftritts
24.02.2022 MWST/Zoll, Selbständige Bestimmung der Steuersubjektfähigkeit gemäss den festzulegen, wer willentlich einen wirtschaftlichen Zuordnungsregelungen für den jeweiligen Leistungs- Wert einräumt, damit für die Marktteilnehmenden er- austausch nach Art. 20 MWSTG. 33 kennbar die Leistung erbringt und wen diese folglich als Leistungserbringer entschädigen. 4.2 Zuordnung von Leistungen 25 Der Apothekerfall zeigt, dass dem Internetauf- «Als Zurechnungssubjekt [muss] offenbar tritts sowie der Beschilderung von Geschäftsräumen derjenige angesehen werden, der über den mit gemeinsamer Nutzung seitens der Verwaltung Leistungswillen disponieren kann, d.h. und Rechtsprechung sehr grosse Bedeutung bei der die Möglichkeit hat, Leistungen anzubieten, Beurteilung des Aussenauftritts zugemessen wird. zu variieren oder auch zu verweigern.» 35 Zivilrechtliche Fakten wie die Rechnungsstellung und Vereinnahmung des Entgelts erscheinen dem Gericht In Anwendung der stärkeren Gewichtung des Leis- 28 als vernachlässigbar. In der Rechtsprechung scheint tungswillens wäre es durchaus vertretbar gewesen, diesbezüglich eine gewisse Tendenz erkennbar, wenn aufgrund der tatsächlichen Leistungserbringung, der auch beispielsweise bei der Rechtsprechung im Erotik- Rechnungstellung und direkten Vereinnahmung der gewerbe der Internetauftritt und die Räumlichkeiten oftmals die einzigen Anhaltspunkte für eine Zuord- 33 Imstepf Ralf, mehrwertsteuerlicher Aussenauftritt, nung darstellten, so dass gar nicht auf zivilrechtliche Rz. 29 sieht in der Erwähnung des Aussenauftritts Kriterien zurückgegriffen werden konnte. 34 Im Apo- des indirekten Stellvertreters in Art. 20 Abs. 3 thekerfall ist dies jedoch anders. Während die zivil- MWSTG eine Unvereinbarkeit mit dem Begriff des rechtlichen Aspekte für einen selbständigen Aussen- Aussenauftritts nach Art. 10 Abs. 1bis lit. b MWSTG auftritt im eigenen Namen durch die Therapeutinnen und Art. 20 Abs. 1 und 2 MWSTG. U.E. ist jedoch und Therapeuten sprechen, scheinen Online-Auftritt zu beachten, dass nicht nur im Rahmen der und Gebäudeanschriften eher auf ein Angebot seitens indirekten Stellvertretung, sondern auch bei der der Apotheke hinzuweisen. direkten Stellvertretung (vgl. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts A-5736/2019 vom 26 Mithin ist in diesem Fall die Gewichtung der Aspekte 18. August 2021 E. 5.3) wie auch im vorliegend entscheidend. In Online-Auftritten wird zu Werbezwe- erörterten Apothekerfall zwei Parteien als Unter- cken oder zur Schaffung von Synergieeffekten für das nehmensträger nach aussen auftreten. Somit Kerngeschäft oft etwas mehr als Leistungsangebot ist tatsächlich zwischen dem Aussenauftritt, der eine versprochen, als man tatsächlich selbst als Unterneh- selbständige Tätigkeit manifestiert, und jenem, der mensträger erbringt. Hierin liegt ein gewisses Risiko. in einem konkreten Leistungsverhältnis die Denn in der gerichtlichen Beurteilung wird deutlich, Zuordnung des Umsatzes bestimmt, zu unterscheiden. dass das Angebot der Leistung stärker gewichtet 34 Vgl. statt vieler: Urteil des Bundesgerichts wird als die eigentliche Leistungserbringung. Bei der 2C_1001/2015 vom 5. Juli 2016 E. 4.2.1.; Urteile Gewichtung sollten jedoch die folgenden Punkte be- des Bundesverwaltungsgerichts A-6188/2012 dacht werden. und A-6198/2021 vom 3. September 2012 E. 3.3.2. bzw. E. 3.1.2. (Erotikdienstleistungen); Urteil des 4.2.1 Leistungsbegriff Bundesverwaltungsgerichts A-3398/2017 vom 27 In Art. 20 Abs. 1 MWSTG geht es um die Zuordnung 7. März 2019 E. 4.5 und 5 (Anwaltssozietät); Urteil des von Leistungen i.S. des Art. 3 lit. c MWSTG. Eine Leis- Bundesgerichts 2C_345/2020 vom 14. April 2021. tung besteht in der Einräumung – und nicht lediglich 35 Vgl. aus Sicht des deutschen Umsatzsteuerrechts: im Angebot – eines verbrauchsfähigen wirtschaftli- Storg Peter, Leistender und Leistungsempfänger im chen Wertes an eine Drittperson in Erwartung eines Umsatzsteuerrecht, Diss., Bamberg, 2004, S. 87 f. Entgelts. Dem Gesetzeswortlauf folgend ist somit (zit. Storg Peter, Leistender und Leistungsempfänger) s. 26 Selbständige Tätigkeit und Zuordnung von Leistungen im MWST-Recht – Die Crux des Aussenauftritts
24.02.2022 MWST/Zoll, Selbständige Honorare durch die Therapeuten eine Leistungser- Daher bestätigen auch die in Art. 1 MWSTG veranker- 31 bringung durch eben diese und nicht durch die Apo- ten Grundsätze des schweizerischen MWST-Rechts theke anzunehmen – vorausgesetzt der Nachweis der den ursprünglichen Ansatz der Lehre, zivilrechtliche Disponierbarkeit der Leistung durch die Therapeuten Kriterien stark zu gewichten, d.h. der Privatautono- gelingt. Damit würden der Lehrmeinung im Zeitpunkt mie entsprechend auch die Gestaltungsfreiheit an- der Einführung des MWSTG folgend diejenigen As- zuerkennen und ausserhalb dieser Kriterien bei der pekte, die einen wesentlichen Beitrag zur konkreten Annahme eines Aussenauftritts Zurückhaltung zu Leistung erbringen, stärker gewichtet als «die blos- üben. 40 se Mitwirkung im Vorfeld der Anbahnung des Leis- tungsverhältnisses» 36 wie z.B. durch Erwähnung auf Im Handelsvertreterfall kann man eine entsprechende 32 der Webseite, Unterstützung bei der Terminverein- Gewichtung erkennen. Für den Handelsvertreter be- barung, Vermietung von Räumen usw. Denn auch die steht grundsätzlich die Möglichkeit die MWST noch wirtschaftliche Betrachtungsweise dient lediglich der nachträglich nach Art. 27 Abs. 4 MWSTG auf seinen Auslegung des Leistungsbegriffes. Ebenfalls bei wirt- Geschäftsherren zu überwälzen, sofern der zugrun- schaftlicher Betrachtung kann damit Leistungserbrin- deliegende Vertrag nicht eine Vergütung inklusiver gerin nur diejenige sein, die durch das Erbringen von allfälliger MWST vorsieht. Insofern kann hier tatsäch- Leistungen Konsum ermöglicht und somit Entgeltan- lich nach Art. 6 Abs. 2 MWSTG auf die privatrechtli- sprüche auslöst. 37 chen Vereinbarungen verwiesen werden, ohne dass 4.2.2 Grundsatz der Überwälzbarkeit 36 Baumgartner/Clavadetscher/Kocher, 29 Beachtenswert ist, dass die Rechtsprechung stets Mehrwertsteuergesetz, § 4 Rn 45. die Besteuerung des nicht-unternehmerischen End- 37 Storg Peter, Leistender und Leistungsempfänger, verbrauchs (Art. 1 Abs. 1 MWSTG) und die Vermeidung S. 124. von Besteuerungslücken in den Vordergrund stellt, 38 Das Bundesverwaltungsgericht verweist im Urteil aber das Prinzip der Überwälzbarkeit (Art. 1 Abs. 3 lit. A-5196/2020 vom 6. August 2021 auf Art. 6 Abs. 2 c MWSTG) kaum behandelt. 38 Ein Schelm, wer Böses MWSTG, wonach sich die Überwälzung nach privat dabei denkt und eine rein fiskalische Zielsetzung ver- rechtlichen Vereinbarungen richtet. Grundsätzlich mutet. verkennt dieser Verweis aber die Tatsache, dass nach Art. 1 Abs. 3 lit. c MWSTG die Steuer überwälz- 30 Im Apothekerfall kommt es daher zu der grundsätz- bar sein sollte und somit nicht bereits mehr- lich systemwidrigen Folge, dass mit der Zurechnung wertsteuerliche Zuordnungsbestimmungen eine der Therapeuten-Umsätze bei der Apotheke die Über- Überwälzbarkeit unterbinden sollten. wälzbarkeit der MWST verunmöglicht wird. Denn letz- 39 Vgl. Storg Peter, Leistender und Leistungs- tere ist weder Rechnungsstellerin, noch vereinnahmt empfänger, S. 119, der auf S. 121 einen weiteren sie das Entgelt für die Therapien von den Kunden. Aspekt anführt, welcher aufgrund von Art. 27 Abs. 2 Die Gefahr, den Steuerüberwälzungsmechanismus zu MWSTG auch für das schweizerische Recht gilt: unterbinden, läuft man insbesondere, wenn der Leis- «Verwischt man diese Leistungsbeziehungen durch tungserbringer ausserhalb der zivilrechtlichen Struk- originär umsatzsteuerliche Zurechnungsregeln, turen bestimmt wird. die zudem noch unklar sind, so läuft der Rechnungs- steller Gefahr, den ausgewiesenen Betrag allein «Nur der zivilrechtliche Leistungspartner wegen der Inrechnungstellung zu schulden, selbst ist in der Lage, den Anspruch auf den wenn sich später herausstellt, dass er nicht im Entgelt enthaltenen Umsatzsteuerbetrag Leistender war.» überhaupt durchzusetzen.» 39 40 Vgl. Fn 19. s. 27 Selbständige Tätigkeit und Zuordnung von Leistungen im MWST-Recht – Die Crux des Aussenauftritts
24.02.2022 MWST/Zoll, Selbständige bereits die mehrwertsteuerlichen Vorschriften die gesteckt. Gleiches gilt auch für die Anwendung der Überwälzbarkeit unzulässigerweise einschränken. Im Steuerausnahme auf die Kostenverrechnung bei Pra- Apothekerfall hingegen führt bereits die Zuordnung xisgemeinschaften (Art. 21 Abs. 2 Ziff. 6 MWSTG). 42 So von Umsätzen in Abweichung von der zivilrechtlichen droht bei Praxisgemeinschaften trotz der erwähnten Gestaltung zur Unmöglichkeit der Überwälzung, was Steuerausnahme die Steuerpflicht der Gemeinschaft dem gesetzlich verankerten Grundsatz der Überwälz- als solche, wenn beispielsweise die Gemeinschaft barkeit klar widerspricht. nicht als einfache Gesellschaft, sondern als Personen- oder Kapitalgesellschaft geführt wird, oder wenn die Kostengemeinschaft auch Lieferungen (Therapiemit- 5. Ausblick tel, Medikamente) an ihre Mitglieder weiter verrech- net. In diesem Sinne ist auch bei den Vereinfachungs- 33 Die vorliegenden Urteile zeigen einmal mehr, dass regelungen ein Augenmerk auf den Aussenauftritt zu die Marktteilnehmenden sowohl bei der Vertragsge- legen, um unliebsame Überraschungen zu vermeiden. staltung wie auch bei deren Umsetzung Sorgfalt hin- sichtlich ihres Aussenauftritts walten lassen sollten. 41 ESTV, MWST-Branchen-Info 18, Rechtsanwälte Eine Umsetzung in Einklang mit den zivilrechtlichen und Notare, Ziff. 3.2. Grundlagen schliesst nicht nur die korrekte Rech- 42 ESTV, MWST-Branchen-Info 21, Gesundheitswesen, nungsstellung und Vereinnahmung von Entgelten im Ziff. 10.1. betreffenden Namen, die Verbuchung und die Ab- rechnung von Sozialversicherungsbeiträgen durch die tatsächliche Leistungserbringerin ein, sondern auch den für Marktteilnehmende sichtbaren Auftritt dieser Leistungserbringerin in weiteren Medien (Online-Auf- tritt, Anschriften an Geschäftsräumen, Fahrzeugen usw.). 34 Dennoch ist zu hoffen, dass künftig in Verwaltungs- praxis und Rechtsprechung die Beurteilung des Tat- bestands der Selbständigkeit und die Zuordnung von einzelnen Leistungen nicht unsachgemäss vermischt werden. Ausserdem wäre zu wünschen, dass bei der Gewichtung der Kriterien für die Zuordnung von Leis- tungen dem Leistungsbegriff sowie dem Überwäl- zungsgrundsatz die vom Gesetzgeber vorgesehene Beachtung geschenkt wird. 35 Eine gewisse Grosszügigkeit bei der Auslegung der Mehrwertsteuerfolgen eines Aussenauftritts kennt die Verwaltungspraxis immerhin in den Fällen, in de- nen das Steuersubstrat nicht gefährdet ist. So wird auf die Eintragung einer Unkostengesellschaft bei einer Gemeinschaftskanzlei – trotz ihres Aussenauftritts – verzichtet, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. 41 Der Anwendungsbereich ist in diesem Fall eng s. 28 Selbständige Tätigkeit und Zuordnung von Leistungen im MWST-Recht – Die Crux des Aussenauftritts
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