Sich wandeln Drei Unterbrechungen des Alltags für Jugendliche und junge Erwachsene
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Sich wandeln Drei Unterbrechungen des Alltags für Jugendliche und junge Erwachsene Anita Zucketto-Debour, Aachen Aktionsform: Eine Hinführung und 3 Bausteine zum Hungertuch; offenes Konzept, variable Impulse im Blick auf das Hungertuch; die Texte sind als Bausteine zu verstehen, die je nach Gruppe und Zeitrahmen verwendet oder ausgelassen werden können. Kombinieren Sie die Andachten mit den Bausteinen der Museumspädagogin Ines Amann, DVD 0205 und den theaterpädagogischen Elementen von Ben Hergl, DVD 0209. Zielgruppe: Jugend-, Firm- und Konfirmanden-Gruppen, Schüler und Schülerinnen Zeit: pro Einheit ca. 45 – 60 Minuten Vorbereitung: Eventuell Hungertuch, Bildblatt zum Hungertuch mit einführendem Text auf der Rückseite (Best.-Nr. 2 104 21). Weitere notwendige Materialien finden Sie bei den einzelnen Bausteinen. Wenn Sie mehr Infos über die Künstlerin einflechten möchten, finden Sie im Arbeitsheft zum Hungertuch, S 12. ein Interview mit Lilian Moreno Sánchez und auf der DVD 05 verschiedene Videos. Eine Hinführung zum Hungertuch in Leichter Sprache ist unter 0201 abgelegt. Geeignete meditative Musik bieten wir ebenfalls an, 06. Meditationen zum Hungertuch von Ricarda Moufang können Sie bestellen, Best.-Nr. 2 118 21, www.eine-welt-mvg.de . Lieder zum Hungertuch finden Sie hier: DVD 07. Corona Bitte beachten Sie auch bei diesem Gruppenangebot unbedingt die jeweils geltenden Corona-Schutzmaßnahmen! Falls ein persönliches Treffen in geschlossenen Räumen nicht möglich oder angeraten sein sollte, könnten Teile der Treffen digital über ein Video-Tool stattfinden, beispielsweise https://zoom.us und auch als App für Android und iOS; hier finden Sie weitere Ideen für den Austausch über Messenger, WhatsApp und ähnliche Anbieter, wenn Kinder bereits ein Smartphone nutzen: https://theonet.de/2020/03/14/gottesdienst-per-whatsapp-ja-es-geht-in-zeiten-des-coronavirus-digitalekirche- chatandacht/ Körperübungen lassen sich gut digital anleiten. Statt eines gemeinsamen Tuches kann jede/r TN ein eigenes kleines Laken gestalten. Musik und Lieder zum Einspielen finden Sie jeweils angegeben. MATERIALIEN zum Hungertuch 2021|2022 1
© Dieter Härtl/MISEREOR Unterbrechung 1 STAND gewinnen Vorbereitung: Sie benötigen einen leeren Raum (circa 40 m 2 oder so groß, dass sich unter den Bedingungen der Pandemie eine entsprechend große Gruppe darin aufhalten kann) und ein oder mehrere weiße Tücher aus Baumwolle/Leinen (insgesamt circa 3 x 5 m); Graphit- Stifte; verschiedene Kreidefarben; Technik zum Abspielen der Musik. Begrüßung In unserer Mitte liegt ein weißes Tuch, es soll den Grund bilden für unsere drei Unterbrechungen in der Fastenzeit. Ich möchte euch/Sie nun bitten, die Schuhe auszuziehen. Dabei erinnern wir uns an alle, denen der Boden in vielfältiger Form heilig ist: (Alle stehen noch um das Tuch herum, nun ohne Schuhe) Gebet Wenn wir einem anderen Volk einer anderen Kultur einer anderen Religion begegnen ist es unsere erste Aufgabe unsere Schuhe auszuziehen denn der Ort den wir da betreten ist heiliger Boden sonst könnte es sein dass wir die Liebe den Glauben die Hoffnung eines anderen zertreten oder was noch viel schlimmer wäre vergessen dass Gott schon vor unserer Ankunft dort war Gebet aus Asien; Ideen und Informationen WGT Guyana; Stein S. 117. MATERIALIEN zum Hungertuch 2021|2022 2
Im Bewusstsein darum, dass unser gemeinsamer Glauben uns Bodenhaftung und einen Standort in dieser Welt geben möchte, beginnen wir unsere Unterbrechung im Namen dessen, der uns Boden und Grund sein möchte: im Namen des Vaters, und des Sohnes und des Hl. Geistes. Amen. Nehmen wir nun so auf dem Tuch Platz, dass wir einander gut im Blick haben und doch auch so viel Platz für uns, dass wir die anderen nur dann erreichen, wenn wir einen Schritt auf sie /ihn zugehen. Musik Instrumental z.B. Satie, Chopin, Bach… oder Musik zum Hungertuch-Film, DVD 06. Körperübung: Was mich niederdrückt Manchmal haben wir die Nase voll, manchmal liegt uns etwas auf dem Magen, fühlen wir Schmetterlinge im Bauch, sind wir halsstarrig, arbeiten wir uns krumm, engagieren wir uns mit Herz und Hand. Der Körper ist oft ein Spiegelbild unserer Seele. Deswegen wollen wir nun mit einer Körperübung unseren inneren Gefühlen nachgehen: Wir suchen für uns einen guten Stand, indem wir uns so hinstellen, dass die Füße circa 20 cm auseinander sind. Wir lassen unsere Arme ruhig runterhängen. Wir sind nur bei uns selbst und hören auf unseren Atem, auf sein langsames Kommen und Gehen, bis wir nur noch bei uns sind. Nun kann die Körperreise beginnen: wir beugen zunächst nur unseren Kopf und nehmen die Arme nach vorne und lassen sie ruhig hängen. Während wir uns nun Wirbel für Wirbel ganz langsam nach vorne beugen, denken wir darüber nach: - Was beugt uns? - Welche Lasten drücken uns, die wir uns selbst auferlegt haben? - Welche Lasten drücken uns, die uns andere auferlegt haben? - Was macht uns niedergeschlagen? - Was macht uns klein? - Wo machen wir uns selbst klein? Ganz unten angekommen, spüren wir unserer Beugung noch einmal nach. Dann beginnen wir, uns ganz langsam Wirbel für Wirbel wieder aufzurichten. Während des Aufrichtens wird der 1. Psalm-Abschnitt gelesen: Lesung: Psalm 31,2-6a1 Bei dir, Lebendige, berge ich mich. Lass mich niemals zugrunde gehen. In deiner Gerechtigkeit lass mich entrinnen. Neige mir zu dein Ohr! Rette mich, schnell! Sei mir ein schützender Fels, ein bergendes Haus, mich zu befreien. Ja, mein Fels und meine Bergung bist du allein. 1 Bibel in gerechter Sprache, hrsg. von Dr. Ulrike Bail u.a., 1. Auflage der Taschenausgabe der 4., erweiterten und verbesserten Auflage, Gütersloher Verlagsbuchhandlung, 2011 . MATERIALIEN zum Hungertuch 2021|2022 3
Um deines Namens willen zeige du mir den Weg und begleite mich. Hole mich aus dem Netz, das sie mir heimlich legten. Du bist meine Zuflucht. Deiner Hand vertraue ich meinen Lebensatem an. Aufrecht stehend spüren wir noch einmal unserer aufgerichteten Wirbelsäule nach und verabschieden uns dann mit einem tiefen Atemzug von dieser Körperreise. Wir nehmen nun wieder Platz auf dem Boden, der uns tragen möchte. Hören wir nun das Lied eingespielt „Sind so kleine Hände“ von Bettina Wegener: Sind so kleine Hände, winz'ge Finger dran. Darf man nie drauf schlagen, die zerbrechen dann. Sind so kleine Füsse, mit so kleinen Zeh'n. Darf man nie drauf treten, könn'sie sonst nicht geh'n. Sind so kleine Ohren, scharf und ihr erlaubt. Darf man nie zerbrüllen, werden davon taub. Sind so schöne Münder, sprechen alles aus. Darf man nie verbieten, kommt sonst nichts mehr raus. Sind so klare Augen, die noch alles seh'n. Darf man nie verbinden, könn'n sie nichts versteh'n. Sind so kleine Seelen, offen und ganz frei. Darf man niemals quälen, geh'n kaputt dabei. Ist so'n kleines Rückgrat, sieht man fast noch nicht. Darf man niemals beugen, weil es sonst zerbricht. Grade klare Menschen, wär'n ein schönes Ziel. Leute ohne Rückgrat, hab'n wir schon zuviel. Bettina Wegner https://www.songtexte.com/songtext/bettina-wegner/kinder--sind-so-kleine-hande-5b56d7b0.html Körperübung: Einander aufrichten Immer wieder machen wir die Erfahrung, dass Menschen klein gemacht werden, dass man versucht, sie zu brechen: denken wir an die Menschen, die weltweit geprügelt, eingesperrt, gefoltert und getötet werden, weil sie sich für Menschenrechte und Meinungsfreiheit einsetzen. Sie brauchen unsere Solidarität, sie brauchen Menschen, die sich für sie einsetzen, die sie nicht ihrem Schicksal überlassen. Auch wir sind auf Solidarität angewiesen. Das wollen wir nun in einer Körperübung zum Ausdrucken bringen: Auf unserem Platz knien wir uns nun hin, beugen uns vorne über und nehmen dabei den Kopf in unsere Hände, so dass wir vollkommen in uns zurückgezogen sind. In dieser gebeugten Haltung warten wir darauf, dass eine/r kommt, um uns aufzurichten, uns die Hand auf den Rücken legt und uns so Gottes bergende Nähe spüren lässt. So berührt richten wir uns auf und gehen dann zu einem hin, der noch gebeugt am Boden kauert und legen ihm/ihr unsere Hand auf. Wir richten also einander auf. Nun geht zunächst die Leitung zu einer Teilnehmerin und berührt sie mit der flachen Hand am Rücken. Die berührte Teilnehmerin steht auf und geht nun zu einem anderen Teilnehmer, um ihm die Hand aufzulegen. Alle, die jeweils aufgerichtet sind, richten andere auf, bis alle aufgerichtet sind. MATERIALIEN zum Hungertuch 2021|2022 4
Wenn alle einander aufgerichtet haben: Für einen Moment spüre ich dem Gefühl noch nach, wie es ist, aufgerichtet worden zu sein und nun wieder Stand zu haben. So aufgerichtet hören wir weiter Gottes gutes Wort aus Psalm 31: Lesung: Psalm 31,7b-9 Ich aber, ich vertraue auf die Lebendige. Ich will jubeln, mich freuen an deiner Freundlichkeit: Du hast mein Elend gesehen. Du weißt um mein bedrängtes Leben. Du hast mich nicht in feindliche Hand ausgeliefert. Du stellst meine Füße auf weiten Raum. Körperübung: Raum gewinnend umhergehen und sich einen persönlichen Platz suchen „Du stellst meine Füße auf weiten Raum“ ist die Gewissheit des Psalmbeters: nach der Erfahrung von Gefangenschaft und Unterdrückung kommt hier die große Hoffnung zum Ausdruck, dass Gottes Wille für den Menschen eine neue und andere Perspektive eröffnet. Diese Hoffnung bringen wir nun damit zum Ausdrucken, dass wir raumgreifend zur Musik auf dem Tuch unterwegs sein wollen – unser Raum wird dabei nur begrenzt von denen, die ebenfalls in diesem Raum mit uns unterwegs sind. Wenn die Musik langsam zu Ende geht (ausfädeln), suchen wir einen persönlichen Platz auf dem Tuch, wo wir Platz nehmen – unabhängig von den anderen. Musik https://www.youtube.com/watch?v=yuAa937BdOY Pina Bausch FLASHMOB PINA - CLIP OFICIAL oder: Mercedes Sosa, Solo le pido a Dios, https://youtu.be/SIrot1Flczg Auf dem Platz angekommen erhält nun jede/r einen Farbausdruck vom Hungertuch mit einem Link zum Kurzvideo über das Hungertuch. Das Kurzvideo kann auf dem Smartphone angesehen werden. (Je nach Gruppe, sofern keine Smartphones genutzt werden können, kann das Video auch über einen Beamer gezeigt werden.) Die Künstlerin verarbeitet in ihrer künstlerischen Arbeit ihre autobiographischen Erfahrungen: https://www.misereor.de/mitmachen/fastenaktion/hungertuch Auch wir sind nun aufgefordert, den Boden, das Tuch auf dem wir sitzen, mit unseren Leid- und Auferstehungserfahrungen zu gestalten. Malen wir zwei Fußabdrücke an unserem Platz: Den einen Fußabdruck mit der Graphitfarbe zu unseren persönlichen Leiderfahrungen: - Leiden, das mir zugefügt wurde/das ich zugefügt habe (mit Graphit). Und den zweiten Fußabdruck mit den Erfahrungen oder Wünschen zum Aufstand für das Leben: - Wofür möchte ich aufstehen, kämpfen (bunte Kreidefarben: Schöpfung erhalten; Menschenrechte…). Sind alle Fußabdrücke gestaltet, so gehen wir noch einmal auf dem nun gestalteten Tuch umher, um uns die verschiedenen Fußspuren anzuschauen. Dazu läuft ruhige Instrumental-Musik (beispielsweise Pachelbel-Kanon). MATERIALIEN zum Hungertuch 2021|2022 5
Nun nehmen wir wieder in der großen Runde am Rande des Tuches Platz und hören auf die Mut machenden Worte des Psalmbeters: Lesung: Psalm 31,23b-25 Doch du hörtest mein lautes Flehen, als ich zu dir schrie. Liebt die Lebendige alle, die ihr in Gott lebt! Die Lebendige beschützt alle Zuverlässigen und vergilt übermäßig denen, die hochmütig handeln. Seid stark und euer Herz sei mutig – alle, die ihr euch auf die Lebendige verlasst. Segen Gestärkt in der Hoffnung auf den Raum, den Gott uns gewährt, um aufzustehen gegen alles Leid der Welt, bitten wir Gott um seinen Segen. Dazu stehen wir auf. Wir blicken auf unsere Füße – segne Herr unsere Füße, dass sie die kleinen Schritte gehen auf dem Weg in deinen großen Frieden. Wir blicken zu unseren Nachbarn nach links und nach rechts - segne Herr, unser Miteinander, dass es geprägt sei vom Geist der Solidarität! Wir drehen uns nun von der Mitte weg nach außen, um die Welt draußen in den Blick zu nehmen - segne Herr unseren Weg in die Welt, dass wir aufrechten Ganges mit offenen Ohren, Augen und Herzen die Zeichen der Zeit erkennen und uns einsetzen für den Aufstand des Lebens hier und jetzt! Dazu segne uns der gute und barmherzige Gott, der uns Vater und Mutter sein will, der uns in Jesus Bruder und Schwester ist und uns stärkt mit der Mut machenden Geisteskraft. Amen. MATERIALIEN zum Hungertuch 2021|2022 6
© Dieter Härtl/MISEREOR Unterbrechung 2 SALBUNG erfahren Vorbereitung: Benötigt wird wieder ein leerer Raum (circa 40 m 2 oder so groß, dass sich unter den gesetzlichen Bedingungen der Pandemie eine entsprechend große Gruppe darin aufhalten kann) und das weiße Baumwoll- oder Leinentuch, welches bei der ersten Unterbrechung mit Fußspuren aus Graphit und Kreide gestaltet worden ist; zudem wird eine Flasche /größerer Flacon mit Olivenöl benötigt; Technik zum Abspielen der Musik und des Films zum Hungertuch. Begrüßung In unserer Mitte liegt das weiße Tuch, welches die Fußspuren unserer ersten Unterbrechung trägt. Die Fußspuren erinnern uns an Wege des Leidens wie an Wege der Hoffnung und des Aufbruchs. Diesen menschlich-existentiellen Spuren erweisen wir unseren Respekt, indem wir uns vor ihnen verbeugen, die Schuhe ausziehen und dann das Tuch betreten. Alle betreten das Tuch und bilden einen Kreis. Eröffnung Im Bewusstsein darum, dass unsere Spuren in dieser Welt zugleich die Spuren Gottes sind, der alle unsere Wege mitgeht, beginnen wir unsere Unterbrechung im Namen dessen, der uns Weg und Ziel sein möchte: im Namen des Vaters, und des Sohnes und des Hl. Geistes. Amen. Nehmen wir nun so auf dem Tuch Platz, dass wir einander gut im Blick haben und doch auch so viel Platz für uns, dass wir die anderen nur dann erreichen, wenn wir einen Schritt auf ihn /sie zugehen. Musik Sona Jobarteh – Jarabi (https://www.youtube.com/watch?v=oToZfPGMMBY) Einführung zur biblischen Lesung Der Evangelist Lukas erzählt uns heute eine Begegnungsgeschichte, die vielleicht exemplarisch zeigt, wie Männer und wie Frauen in den Kreis um Jesus aufgenommen wurden: die Männer über das Wort und die Frauen über eine Körpererfahrung. MATERIALIEN zum Hungertuch 2021|2022 7
Jesus hat sich in das Haus des Pharisäers Simon einladen lassen. Dann kommt eine Frau hinzu, die in der Stadt als Prostituierte bekannt ist und damit als unrein gilt. Sie will Jesus die Füße salben, muss jedoch zunächst, da sie weint, ihre Tränen von den Füßen Jesu abwischen und nimmt dazu ihre Haare. Dann küsst sie die Füße Jesu und salbt sie mit Öl – eine intime, ja nahezu erotische Handlung, die Jesus geschehen lässt, was den Pharisäer Simon empört. Entsprechend kommt es zu einem Lehrgespräch Jesu mit Simon, wobei Jesus Simon seine Denkweise spiegelt. Die starke körperliche Zuwendung der Frau hingegen nimmt Jesus als Zeichen ihrer starken Liebe, ein Indiz für ihn, dass sie schon Vergebung erfahren haben muss. Sie zählt somit schon zu seinen Anhängerinnen. Lesung: Lukas 7,36 In die Mitte des Tuches wird ein Flacon mit Olivenöl gestellt. Die Frau, die als Sünderin gilt, bringt ein kostbares Geschenk mit in die Tischgemeinschaft, eine Alabasterflasche mit Salböl. Wir wollen einen Moment innehalten und uns fragen, was wir heute als Geschenk in die Tischgemeinschaft einbringen können. Was sind meine Gaben, die ich zugunsten anderer einbringen kann? Was erhoffe ich mir selbst von der Gemeinschaft hier und heute? ….. Lesung: Lukas 7,38 Alle TeilnehmerInnen erhalten ein Hungertuch-Bild A4 Wir betrachten das Hungertuch von Lilian Moreno Sánchez, das den Titel trägt „Du stellst meine Füße auf weiten Raum“. Das Bild ist ein Triptychon, drei Keilrahmen bespannt mit Bettwäsche, die aus einem Krankenhaus in Europa und dem ehemaligen Salesianerinnen- Kloster Beuerberg stammen. Als Grundlage hat die Künstlerin ein Röntgenbild verwendet. Es zeigt die teils gebrochenen und verdrehten Knochen und Gelenke eines linken Fußes, Ferse und Teile des Unterschenkels eines Menschen, der bei Demonstrationen im Oktober 2019 in Santiago de Chile auf dem Platz der Würde verletzt worden ist. Die Bettwäsche trägt zudem Spuren von Staub, der ebenfalls aus Chile von der Plaza in Santiago stammt. Auch die gelbliche Verfärbung durch Leinöl und die Faltenwürfe des Stoffes zeigen die Spannung von Verletzung und heilender Fürsorge. Bringen wir nun das Bild in dieser Spannung in den Zusammenhang mit unserer biblischen Geschichte, so wird das Salböl der Frau zum Symbol der Sehnsucht nach ganzheitlicher Heilung: ihre Tränen zeigen ihr eigenes Verletzt-Sein an und doch gilt ihre Liebe und Zuneigung in Form der Fußsalbung dem, der doch schon der Gesalbte ist. Verdrehte Verhältnisse? Wer schon einmal Kranke gepflegt hat, wird wissen, dass sie mehr geben können, als wir ihnen tun. Salben und gesalbt werden entwickelt eine wechselseitige Dynamik, wird buchstäblich fließend in den Übergängen. Das wollen wir nun körperlich nachempfinden, indem wir uns gegenseitig jeweils die rechte Handinnenfläche mit Öl salben. Dazu wird die Ölflasche aus der Mitte herumgegeben (ggf. bei größerer Teilnehmerzahl mehrere kleine Fläschchen). Zur Salbungsaktion Einspielen von meditativer Musik: z. B. Winston, Album December, „thanksgiving“: https://www.youtube.com/watch?v=f5qGUhWPi6w Lesung: Lukas 7,39-47 Auslegung - Die Frau galt in der Stadt als Sünderin – ist sie eine Sünderin ad personam? Vielleicht weil sie einen als unrein geltenden Beruf ausübt, weil sie Prostituierte ist? - Der Name der Frau wird nicht erwähnt, sie bleibt namenlos - steht sie stellvertretend für viele Frauen, die in einer männerdominierten Umwelt in prekären Verhältnissen gezwungen sind, ihren Körper zu verkaufen? - Der Pharisäer Simon unterstellt Jesus, dass er um die Situation der Frau nicht wüsste, weil er sich sonst nicht von ihr berühren lassen würde. Rührt aber Gott nicht gerade das Schicksal derer an, die in den Augen der Menschen als unberührbar gelten? MATERIALIEN zum Hungertuch 2021|2022 8
- Jesus entlarvt die Schuldner-Logik des Pharisäers Simon: Wer viel Schuldenerlass bekommt, wird seinen Herrn mehr lieben als diejenige, die wenig erlassen bekommt - und das, obwohl beide in der gleichen Grundproblematik gefangen sind, das Geld/ die Schulden nicht zurückzahlen zu können. Sind wir nicht alle angewiesen auf den Schuldenerlass? Ein globales Rechenexempel: Der globale Norden fordert Schulden vom globalen Süden zurück; die Älteren verbrauchen die Ressourcen des Planeten zuungunsten der Jüngeren… - Die starke Liebe der Frau, die in der ganzheitlichen Zuwendung und Berührung Jesu ihren Ausdruck findet, ist für Jesus ein Indiz, dass sie schon eine starke Vergebung erfahren hat, aus der heraus sie lebt – zu dieser Haltung muss Simon noch gelangen. Und wie verhält es sich mit uns? Wo sehen wir uns? Können wir uns darauf einlassen, dass wir angewiesen sind auf den göttlichen Schuldenerlass? Körperübung Wir wollen nachdenken über unsere eigenen Schulden: über das, was wir wissentlich anderen zugefügt haben; über das, was wir billigend in Kauf genommen haben, über das, was unversöhnlich geblieben ist. Dem wollen wir mit einer Körperübung nachgehen. Wir stellen uns aufrecht an unseren Platz. Nun stellen wir uns vor, dass alles, was uns an Schuld belastet, als Joch auf die Schultern gelegt wird. Dazu beugen wir den Kopf nach vorne. Wir spüren der Last nach, die nun auf den Schultern lastet. Wir geben der Last nach, indem wir ganz allmählich in die Knie gehen. Schließlich legen wir das Joch vor uns hin und bitten Gott um Vergebung mit dem gemeinsamen Gebet zum Schulbekenntnis. Gemeinsames Schuldbekenntnis Nimm in deine Hände, barmherziger Gott meinen fehlenden Blick für den Schmerz anderer. Nimm in deine Hände, barmherziger Gott meine Ignoranz gegenüber globalen Zusammenhängen. Nimm in deine Hände, barmherziger Gott meine Nachlässigkeit im Umgang mit den Ressourcen unseres Planeten. Nimm in deine Hände, barmherziger Gott meine fehlende Liebe zu mir selbst und allem, was mir geschenkt ist. Nimm in deine Hände, barmherziger Gott meine zu geringe Bereitschaft zu verzeihen. Guter Gott, nimm alles, was falsch war, in deine barmherzigen Hände und erfülle uns neu mit dem Geist deiner Liebe durch Christus, unseren Herrn. Amen. Überleitung zum Musikvideo: Oft sind es Frauen wie hier die salbende Frau beim Evangelisten Lukas, die uns den Weg weisen zum Aufstand des Lebens, hinaus aus allen strukturellen und existentiellen Verletzungen, hin zur solidarischen Liebe. Song mit Musikvideo: https://www.unwomen.org/en/about-us/about-un-women/un-women-song (4:22) Als Zeichen unserer Hoffnung auf Heilwerdung für uns und andere wollen wir nun die Graphit-Fußabdrücke mit Öl umranden und dabei nachdenken über die Verletzungen anderer, die der Heilung bedürfen. Musik: Ayub Ogada – Kothbiro (https://www.youtube.com/watch?v=b0Jwf-Y1uww) Gemeinsames Lied: We shall overcome (Pete Seeger) https://www.songtexte.com/songtext/joan-baez/weshall-overcome-73c4fab5.html Segen Gestärkt in der Hoffnung, dass die Vergebung Gottes uns einen weiten Raum schenkt, den wir mit unserer Liebe füllen können, bitten wir Gott um seinen Segen. Dabei legen wir die rechte Hand unserem Nachbarn auf die linke Schulter, während wir unsere linke Hand geöffnet vor uns halten. MATERIALIEN zum Hungertuch 2021|2022 9
Segne Herr unsere leeren Hände, sodass sie offen sind für die Gaben deiner Schöpfung, für die Nöte unserer Mitmenschen und für deine heilende Nähe, mit der du uns stärken willst. Segne Herr unsere Bereitschaft zur Gemeinschaft, dass wir in jedem Menschen Schwester und Bruder sehen, global denken und verantwortlich handeln. Dazu segne uns der gute und barmherzige Gott, der uns Vater und Mutter sein will, der uns in Jesus Bruder und Schwester ist und uns stärkt mit Mut machender Geisteskraft. Amen. MATERIALIEN zum Hungertuch 2021|2022 10
© Dieter Härtl/MISEREOR Unterbrechung 3 Sich wandeln Vorbereitung: Benötigt wird wieder ein leerer Raum (circa 40 m 2) und das weiße Baumwoll- oder Leinentuch, das bei der ersten Unterbrechung mit Fußspuren aus Graphit und Kreide gestaltet und bei der zweiten Unterbrechung mit Öl um die Fußspuren getränkt worden ist; zudem werden ein großer Krug mit Wasser, eine große Wasserschüssel und Leinentücher (so viele wie erwartete TN) für die Fußwaschung benötigt; Stopfnadeln (so viele wie erwartete TN ) und Goldfäden (Dekorationsfäden); die DVD mit dem Film „Papst Franziskus – ein Mann des Wortes“ oder als Stream; Technik zum Abspielen der Musik und des Films. Begrüßung In unserer Mitte liegt wieder das weiße Tuch, welches die Spuren unserer ersten und zweiten Unterbrechung trägt. Die Fußspuren erinnern uns an Wege des Leidens genauso wie an Wege der Hoffnung, die Ölspuren an Wege der Heilung durch salbende Zuneigung. Diesen menschlich-existentiellen Spuren erweisen wir unseren Respekt, indem wir uns vor ihnen verbeugen, die Schuhe ausziehen und dann das Tuch betreten. Alle betreten das Tuch und bilden einen Kreis. Eröffnung Im Bewusstsein darum, dass unsere Spuren in dieser Welt von Gott umfangen und getragen sind, beginnen wir unsere Unterbrechung im Namen dessen, der sich ganz klein macht, um uns zu dienen: im Namen des Vaters und des Sohnes und des Hl. Geistes. Amen. Nehmen wir nun so auf dem Tuch Platz, dass wir einander gut im Blick haben und doch auch so viel Platz für uns, dass wir die anderen nur dann erreichen, wenn wir einen Schritt auf sie/ihn zugehen. Musik: Alicia Keys „Underdog“ (https://www.youtube.com/watch?v=izyZLKIWGiA) Einführung der biblischen Lesung Der Evangelist Johannes berichtet im Kontext des Abschieds Jesu von der Fußwaschung als dem zentralen Zeichen, das Jesus seinen Schülern und Schülerinnen als sein Vermächtnis hinterlässt. Da Johannes - anders als die anderen Evangelisten – nicht vom letzten Abendmahl mit Brot-und Kelchwort Jesu berichtet, hat bei ihm die Fußwaschung eine gleichrangige Bedeutung. So ist es nicht verwunderlich, dass der Kirchenvater Ambrosius die Fußwaschung sogar als Sakrament betrachtet. Seit dem 4. Jahrhundert wurde die Fußwaschung praktiziert: Im Taufritus, in Klöstern bei der Aufnahme von Gästen und vor allem in der Liturgie des Gründonnerstags. MATERIALIEN zum Hungertuch 2021|2022 11
Lesung Teil 1: Joh 13,4-5 Aktion „Fußwaschung“ Im Kontext des alten und neuen Testaments und des frühen Judentums kennt man drei Anlässe von Fußwaschungen: einmal die kultische Fußwaschung vor dem Betreten eines heiligen Ortes, die man selbst vollzieht; zweitens die hygienische Fußwaschung vor dem Betreten eines Hauses, da man in der Regel Sandalen trägt und die Füße staubig sind und schließlich die Fußwaschung aus Gründen der Gastfreundschaft oder der Ergebenheit, die in der Regel von einem Bediensteten vollzogen wird. Wir wollen uns nun die Füße waschen und uns dabei gegenseitig helfen. Dazu tun wir uns zu zweit zusammen. Benötigt wird jeweils ein Leinentuch zum Abtrocknen, der Krug mit frischem Wasser und die große Schüssel zum Auffangen des Wassers. Der/die eine schüttet dem/der anderen das Wasser über die Füße und reicht ihr/ihm dann das Leinentuch zum Abtrocknen. Dann wird getauscht. Alle haben nun ein eigenes Leinentuch, wohingegen die große Schüssel und der große Wasserkrug weitergegeben werden. Begleitende Musik: Paul Simon, Bridge over troubled water https://www.youtube.com/watch?v=WrcwRt6J32o Lesung Teil 2: Joh 13,6-10 Alle Teilnehmenden erhalten ein Hungertuch-Bild A4. Hungertuch-Betrachtung Betrachten wir noch einmal das Hungertuch von Lilian Moreno Sánchez, das den Titel trägt: „Du stellst meine Füße auf weiten Raum“. Wir erinnern uns an die Geschichte des Tuches: Es hat zum einen dokumentarischen Charakter, weil es an einen Menschen erinnert, der bei Demonstrationen im Oktober 2019 in Santiago de Chile auf der Plaza Italia verletzt worden ist. Zum anderen nimmt es mit den alten Betttüchern aus Krankenhaus und Kloster diejenigen Heilungsgeschichten auf, die Menschen über Jahrhunderte hinweg in der Liebe zu ihren Patienten den Tüchern eingewoben haben. Hier ist Fußwaschung als Dienst am Nächsten geschehen und hat Spuren hinterlassen, die Hoffnung stiften. Von dieser Hoffnung auf Heilung und Wandlung des Zerbrochenen erzählt die Künstlerin zudem mit zwei Zeichen: sie hat goldene Blumen deutlich erkennbar aufgetragen, die das florale Motiv der Bettwäsche aufnehmen, und sie hat die Nähte mit echtem Goldfaden gesetzt: Zeichen der Heilung, eingewoben in die Geschichte von Leid und Unterdrückung. Diese goldene Verheißung - so können wir mit Blick auf die biblische Geschichte erfahren - wird möglich, weil Jesus sagt: Ich wasche dir die Füße, weil du zu mir gehörst. Da ganz unten, wo du am verletzlichsten bist, bin ich. Du gehörst zu mir. Hier eröffnet sich ein neuer Raum, der den Blick weitet: hin auf eine neue Erde und einen neuen Himmel. Musik: Giora Feidmann, Jerusalem of Gold https://www.youtube.com/watch?v=UQ_AQx_7uEk Textlesung gottgespräch wir saßen auf der terrasse des cafés er verrührte langsam den zucker steilschwarz der dom uns gegenüber wenn ich gott denke, sagte er fällt mir die klofrau ein im untergeschoss denke ich an das kurze gespräch an ihre wachen augen da blickte mich doch gott an sagte er oder Wilhelm Bruners, Am Rande des Tages. Gedichte. Tyrolia, Innsbruck 2020. MATERIALIEN zum Hungertuch 2021|2022 12
Lesung Teil 3: Joh 13,12-17 Auszug aus dem Papst-Film: Papst Franziskus – en Mann des Wortes Kap 4:14:36 bis 23:10 (9 min) Aktion „Mein Dienst am anderen – Goldfäden ins Tuch weben“ Glücklich seid ihr, wenn ihr entsprechend handelt, wenn ihr euch zu Dienerinnen und Dienern derer macht, die eurer Zuneigung, eurer Hilfe, eurer Aufmerksamkeit bedürfen. Als Zeichen dafür, dass wir bereit sind, uns auf den Weg zu einer Welt zu machen, in der aus Herrschaft und Ausbeutung fairer und respektvoller Umgang miteinander wird, wollen wir goldene Fäden in unser Tuch einweben, die die Fußspuren miteinander verbinden. Begleitend wird der Text von W. Willms „Wir spinnen feine Fäden“ vorgelesen: Wir spinnen feine Fäden, von mir zu dir und weit. Wir spinnen, spannen Netze im Zirkus Zeit. Wir weben einen Teppich über die Erde hin. Wir weben Weizenfelder, Goldähren drin. Wir weben in den Teppich ganz neue Muster ein. Wir weben schwarzen Hunger, Weißbrot und Wein. Wir knüpfen eine Brücke in tausend und einer Nacht. Wir knüpfen nicht ins Blaue, Land zugesagt. Wir knüpfen eine Brücke über das weite Meer. So kommen und so geh´n wir, hin und her. Wir knüpfen eine Freundschaft, die nie mehr enden wird. Wir geben und wir nehmen, sind Gast und Wirt. Wilhelm Willms, in: Fest der Hoffnung, Musik Verlag Peter Janssens, Telgte 1976. Entnommen: Halleluja. Lieder für den Gottesdienst. Hg. Bistum Essen, 1983. Musik: Joan Baez, God is God https://www.youtube.com/watch?v=n6k5WZpgVKE Segen Gestärkt in der Hoffnung, dass wir einander Bruder und Schwester sein können, dass die Herrschaft der Herren zu überwinden ist durch ein Bündnis, geprägt von Achtsamkeit und Respekt füreinander, bitten wir Gott um seinen Segen. Wir stehen neben den von uns gewebten Goldfäden. Mit der einen Hand weisen wir nach rückwärts zur Erde hin und die andere Hand strecken wir dem Himmel entgegen. So bitten wir dich, guter Gott: Segne unsere Mühen, in Verantwortung für die Erde und füreinander kleine Schritte zu gehen auf dem Weg zu mehr Gerechtigkeit und Frieden. Lass uns dabei erdverbunden und pragmatisch bleiben. Segne zugleich auch unsere Sehnsucht nach dem neuen Himmel und der neuen Erde, die hier und jetzt aufscheint, wenn wir dir in den Kleinsten und Geringsten begegnen. Lass uns Träumende bleiben. Dazu segne uns der gute und barmherzige Gott, der uns Vater und Mutter sein will, der uns in Jesus Bruder und Schwester ist und uns stärkt mit Mut machender Geisteskraft. Amen. TIPP Falls in den drei Unterbrechungen wegen der Corona-Regeln viele kleine Tücher entstanden sind, werden diese nach Fertigstellung abgegeben und zu einem großen Laken zusammengefügt und in Kirche, Pfarrheim oder Schule ausgestellt. MATERIALIEN zum Hungertuch 2021|2022 13
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