Sinfoniekonzert Marc Albrecht Dirigent Leonard Elschenbroich Violoncello | Heidi Stober Sopran
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A8 Sinfoniekonzert DO 19.05.2022 FR 20.05.2022 Marc Albrecht Dirigent Leonard Elschenbroich Violoncello | Heidi Stober Sopran
SINFONIEKONZERT DO 19.05.2022 A8 FR 20.05.2022 20 UHR NDR Marc Albrecht Dirigent Gustav Mahler | 1860 – 1911 GR. SENDESAAL Leonard Elschenbroich Violoncello Sinfonie Nr. 4 G-Dur Heidi Stober Sopran für großes Orchester und Sopran-Solo (1899 – 1901) I. Bedächtig. Nicht eilen NDR Radiophilharmonie II. In gemächlicher Bewegung. Ohne Hast III. Ruhevoll (Poco adagio) IV. Sehr behaglich. „Wir genießen die himmlischen Freuden“ (Den Gesangstext finden Sie auf Seite 13) Dmitrij Schostakowitsch | 1906 – 1975 Violoncellokonzert Nr. 1 Es-Dur op. 107 (1959) SPIELDAUER: CA. 60 MINUTEN I. Allegretto II. Moderato III. Cadenza IV. Allegro con moto VOR DIESEN KONZERTEN: Das Gelbe Sofa SPIELDAUER: CA. 31 MINUTEN 19 UHR | NDR | GR. SENDESAAL Die etwas andere Konzerteinführung. Am 19.05. zu Gast: der Dirigent Marc Albrecht. Am 20.05 zu Gast: der Cellist Leonard Elschenbroich. PAUSE Moderation: Friederike Westerhaus (NDR Kultur). Das Konzert am 20.05. wird live auf NDR Kultur übertragen und außerdem live gestreamt: ndr.de/radiophilharmonie. Der Audio- und der Videomitschnitt bleiben anschließend online abrufbar.
BIOGRAFIE In Kürze „Back to the roots“ heißt es heute Abend für Marc Albrecht – in Hannover aufgewachsen und künstlerisch geprägt, gehört er nun seit etlichen Jahren zu den international gefrag- ten deutschen Dirigenten. Auf das Programm hat er Musik von zwei Komponisten gesetzt, die aus dem gleichen musikalischen Holz geschnitzt sind: Dmitrij Schostakowitsch und Gustav Mahler. „Das Studium der Mahler‘schen Werke veränderte meinen kompositori- schen Geschmack“, bekannte Schostakowitsch. Ambivalenz, Humor, Härte wie Senisibili- tät, Groteske und eine besondere Vorliebe für Märsche (und deren Karikierung) sind die Markenzeichen dieser beiden Komponistenbrüder im Geiste. Als „ein Allegretto im Stil ei- nes spaßhaften Marsches“, beschrieb Schostakowitsch selbst den ersten Satz seines Violoncellokonzerts Nr. 1. Ein besonderes Glanzstück hat er dem Cello mit dem dritten Satz auf den Leib geschrieben, den er als auskomponierte Kadenz allein dem Solisten überlässt. Widmungsträger des Konzertes war Mstislaw Rostropowitsch. Der weltbe- Marc Albrecht rühmte Cellist spielte 1959 im damaligen Leningrad auch die erfolgreiche Uraufführung. Der in der Sowjetunion geehrte und noch mehr geschundene Komponist Schostakowitsch Dirigent befand sich zu dieser Zeit - nach dem Tod Stalins 1953 - in einer verhältnismäßig ent- spannten Lebensphase. Als Solisten begrüßt die NDR Radiophilharmonie bereits zum zwei- Marc Albrecht ist einer der spannendsten Dirigenten der aktuellen internationalen ten Mal Leonard Elschenbroich, der 2017 mit Schostakowitschs Zweitem Cellokonzert Opern- und Konzertszene. Als Sohn des Dirigenten George Alexander Albrecht in sein brillantes Debüt bei den Sinfoniekonzerten A gab. 1901 legte Gustav Mahler mit sei- Hannover aufgewachsen, studierte er in Wien. Nach dem Studium und Korrepetitor- ner Vierten eine Sinfonie vor, die nach den monumentalen Sinfonien Nr. 2 und Nr. 3 in deut- Stellen an den Staatsopern von Wien und Hamburg wurde er Assistent von Claudio Abbado, mit dem er das Gustav Mahler Jugendorchester mit aufbaute. 1995 wurde lich kleinerem Rahmen gehalten war. Dieses intimere Werk ist dennoch von tiefer Innig- er 1. Kapellmeister an der Staatsoper Dresden. Mit 30 Jahren ging er an das Staats- keit und intensiver emotionaler Wirkung: in seinem Wechselspiel aus Naivität und Ernst- theater Darmstadt und wurde dort einer der jüngsten Generalmusikdirektoren haftigkeit, Humor und Todesahnung, Natur und Künstlichkeit. Auch in seiner Vierten Deutschlands. 2006 übernahm er die Leitung des Orchestre Philharmonique de Sinfonie vertonte Mahler einen Text aus der Gedichtsammlung „Des Knaben Wunderhorn“: Strasbourg. 2011 wechselte er nach Amsterdam als Chefdirigent der Nederlandse „Wir genießen die himmlischen Freuden“ – die kindliche Vision eines scheinbaren Paradie- Opera, des Nederlands Philharmonisch Orkest und des Nederlands Kamerorkest. ses, vorgetragen vom Solo-Sopran im Finalsatz. Den Gesangspart übernimmt an diesem Im Bereich Oper gastierte er u. a. am Londoner Royal Opera House sowie bei den Salzburger und Bayreuther Festspielen. Als Konzertdirigent ebenso weltweit ge- Abend Heidi Stober. Die amerikanische Sopranistin ist an den bedeutenden Bühnen der schätzt leitete Albrecht z. B. die Berliner Philharmoniker, das Concertgebouwor- Welt von der New Yorker Met bis zur Wiener Staatsoper präsent. Sehr geschätzt wird sie kest, das Orchestre National de France und das NHK Symphony Orchestra Tokyo. auch als Konzertsängerin. Bei der NDR Radiophilharmonie gibt sie mit diesem Auftritt ihr Für seine mit dem Nederlands Philharmonisch Orkest eingespielte CD mit Zemlins- Debüt. kys „Die Seejungfrau“ erhielt er 2021 den OPUS KLASSIK als „Dirigent des Jahres“. 5
BIOGRAFIE BIOGRAFIE Leonard Elschenbroich Heidi Stober Violoncello Sopran Leonard Elschenbroich, der 1985 in Frankfurt geboren wurde und als 10-Jähriger Die amerikanische Sopranistin Heidi Stober begeistert das Publikum dies- und jen- ein Stipendium an der Londoner Yehudi Menuhin School erhielt, ist einer der außer- seits des Atlantiks. Seit ihrem gefeierten Einstand an der Deutschen Oper Berlin im gewöhnlichsten Cellisten seiner Generation. Der vielfach preisgekrönte Musiker Herbst 2008 ist sie dem Haus eng verbunden und in den großen Rollen zu erleben. konzertiert mit den führenden Orchestern, darunter das Chicago Symphony Or- Darüber hinaus gastiert sie auf vielen weiteren renommierten Bühnen. So gab sie chestra, das London Philharmonic Orchestra oder der Staatskapelle Dresden. Bei in der Saison 2011/12 ihr Debüt an der New Yorker Met als Gretel in „Hänsel und der NDR Radiophilharmonie gab er 2017 bei den Sinfoniekonzerten A unter Robert Gretel“ und wurde dort anschließend u. a. auch für die Partien der Pamina in der Trevino sein gefeiertes Debüt mit Schostakowitschs Violoncellokonzert Nr. 2. Als ge- „Zauberflöte“ und Oscar in Verdis „Un ballo in maschera“ engagiert. Nicht weniger fragter Interpret zeitgenössischer Musik hat er selbst zahlreiche Werke in Auftrag gefragt ist sie als Konzertsängerin. Mit dem New Philharmonic führte sie Händels gegeben, u. a. bei Mark-Anthony Turnage, Luca Lombardi, Suzanne Farrin, Brian Eli- „Messiah“ auf. Sie wirkte bei der Aufführung des Mozart-Requiems und der Urauf- as und Mark Simpson. Sehr am Herzen liegt Leonard Elschenbroich auch seine Zu- führung der Sinfonie Nr. 4 von Stephen Hartke durch das Los Angeles Philharmonic sammenarbeit mit dem Orquesta Filarmónica de Bolivia, das er 2012 mitbegründet mit. Die Sopranpartie in Mahlers Sinfonie Nr. 4 übernahm sie z. B. beim Milwaukee hat und dessen künstlerischer Mentor er ist. Regelmäßig reist er nach Bolivien, um Symphony Orchestra und beim Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin. Bei der NDR Ra- mit dem Orchester zu arbeiten und Education-Projekte zu leiten. Ausgehend von diophilharmonie gibt Heidi Stober - die mit Marc Albrecht bereits an der Deutschen dieser Tätigkeit tritt er inzwischen auch als Dirigent auf. Zu einem außergewöhnli- Oper Berlin, der Nederlandse Opera und der San Francisco Opera zusammenarbei- chen Künstler gehört ein besonderes Instrument: Leonard Elschenbroich spielt das tete - heute ihr Debüt. Ihre Ausbildung absolvierte sie an der Lawrence University, Cello „Ex-Leonard-Rose-Ex-Alfredo-Piatti“ (1693) von Matteo Goffriller. am New England Conservatory und am Houston Grand Opera Studio. 6 7
Höchst anspruchsvoll takowitsch auf größere Freiheiten. Dennoch waren die 1950er Jahre vor der Entste- hung des Violoncellokonzerts Nr. 1 zunächst von einer Schaffenskrise geprägt, an deren Überwindung dieses Konzert, aber auch die Streichquartette Nr. 7 und Nr. 8 Dmitrij Schostakowitschs Violoncellokonzert Nr. 1 Es-Dur op. 107 c-Moll op. 110 „Im Gedenken an die Opfer des Faschismus und des Krieges“ maß- geblich beteiligt waren. Zur Komposition eines Cellokonzerts wurde Schostakowitsch durch Mstislaw Rost- Gustav Mahlers Musik hat tiefe Spuren bei vielen russischen Komponisten des 20. ropowitsch angeregt, der mit dem im gleichen Jahr wie Stalin verstorbenen Sergej Jahrhunderts, vor allem aber im Werk Dmitrij Schostakowitschs, hinterlassen. „Das Prokofjew befreundet war. Für Rostropowitsch hatte Prokofjew ein Sinfonisches Studium der Mahlerschen Werke veränderte meinen kompositorischen Ge- Konzert, eine Sonate für Violoncello und Klavier, ein Concertino und eine Solosona- schmack“, bekannte Schostakowitsch in seinen von Solomon Wolkow herausgege- te komponiert. Anders als Prokofjew, der den Cellisten an der Entstehung seiner Vi- benen Memoiren. Spuren Mahlerscher Orchesterbehandlung, Harmonik, Melodie- oloncellowerke in vielen Fällen unmittelbar teilnehmen ließ, verweigerte Schosta- führung und Polyphonie finden sich nicht nur in Schostakowitschs Sinfonien, son- kowitsch dem Interpreten während der Komposition einen Einblick in die Partitur dern auch in den Instrumentalkonzerten und überhaupt in seiner ganzen Orches- seines Ersten Cellokonzerts. Und dies, obwohl er Rostropowitsch ja als Interpreten termusik bis hin zu den Ballettsuiten mit ihren oft so grotesken Tanzsätzen. Sowohl seiner eigenen Cellosonate bereits gut kannte und bewunderte. Tatsächlich ge- bei Mahler als auch bei Schostakowitsch stehen wilde Scherzi oder vorantreiben- stand Schostakowitsch ein, dass er sein im Sommer 1959 komponiertes Violoncel- de, aggressiv-kantige Sätze wie etwa der Kopfsatz von Schostakowitschs Erstem lokonzert Nr. 1, das er Mstislaw Rostropowitsch genau wie das 1966 entstandene Cellokonzert melancholisch klagenden langsamen Sätzen unmittelbar gegenüber. Violoncellokonzert Nr. 2 widmete, „… unter dem Eindruck des Symphonischen Kon- Beide Komponisten sind in der Lage, in ihrer Musik zerts von Prokofjew geschrieben habe“, große Steigerungen bis hin zu triumphalen Ausbrü- wie Krzysztof Meyer in seiner 1995 er- chen – die aber nur scheinbar als Überwindung zu schienenen Schostakowitsch-Biografie Dmitrij Schostakowitsch, Foto um 1960. verstehen sind – jäh in sich zusammenbrechen zu schreibt. Dabei sei der Komponist be- Cellist Mstislaw Rostropowitsch, Foto von 1962. lassen. Schostakowitsch bewunderte in Mahlers strebt gewesen, seine Kräfte in der für Musik vor allem die tiefe Menschlichkeit. Mahler, so ihn neuen Gattung auszuprobieren. Pro- formulierte es Schostakowitsch selbst, „verstand kofjews Concertino für Violoncello und die hohe ethische Bedeutung der Musik. Er drang Orchester hat Schostakowitsch für und in die verborgensten Winkel des menschlichen Be- mit Rostropowitsch später selbst einmal wusstseins, ihn bewegten die höchsten Ideale der für Violoncello und Klavier bearbeitet. Welt.“ Durchaus lässt der mitreißende erste Blicken wir auf die 1950er Jahre, in denen Schosta- Satz (Allegretto) des Ersten Cellokon- kowitschs Violoncellokonzert Nr. 1 op. 107 ent- zerts in seiner Virtuosität, aber auch der stand. Nach dem Tod Stalins und dem ersten „Tri- effektvollen Motorik eine Nähe zu Prokof- umvirat“ unter Georgi Malenkow, Lawrenti Berija jew spüren. Aber Schostakowitsch knüpft und Wjatscheslaw Molotow, das den sowjetischen darin auch an Erfahrungen aus eigenen Bürgerinnen und Bürgern eine „weitestgehende Instrumentalkonzerten an. Zum Beispiel Befriedigung der materiellen und kulturellen Be- an sein Klavierkonzert Nr. 1 für Klavier, dürfnisse“ versprochen hatte, hoffte auch Schos- Trompete und Streichorchester op. 35 8 9
aus dem Jahr 1933. Anstelle einer Solotrompete, die er dem Klavier hier gegenüber- ner Uraufführung der Sinfonie Nr. 4 G-Dur am 25. November 1901 mit dem Kaim-Or- gestellt hatte, lässt er im Kopfsatz seines Ersten Cellokonzerts dem Soloinstru- chester und der Sopranistin Margarete Michalik unter Mahlers Leitung. Seit den ment ein Horn solistisch gegenübertreten. Dieser erste Satz folgt im Aufbau ganz ersten Arbeiten an diesem Werk im Jahr 1899 hatte Mahler zwölf Jahre verstreichen dem klassischen Sonatenhauptsatzprinzip. Und vielleicht kann man in der Gegen- lassen, in denen er mit dem Werk, seiner Anlage und seiner vermeintlichen, schließ- überstellung eines solistisch mit dem Cello konkurrierenden Instrumentes im Or- lich aber doch wieder verworfenen Programmatik gerungen hatte. Was aber waren chester sogar eine Anlehnung an das barocke Concerto grosso mit alternierenden die Gründe für den „wenig erquicklichen Eindruck“, den das Werk in den Ohren des Soloinstrumenten sehen. Dieser trotz seiner Härten heitere Satz verfehlte seine Kritikers hinterließ? Das Kecke, scheinbar Humorvolle in diesem Stück, in dem sich Wirkung auf das Publikum bei der Uraufführung am 4. Oktober 1959 im damaligen Mahler symbolisch vom „irdischen Leben“ schrittweise zum „himmlischen Leben“ Leningrad mit Rostropowitsch als Solist und der Leningrader Philharmonie unter vorarbeitet, bleibt doppeldeutig. Die Sinfonie schwingt sich nicht zu romantischem Jewgeni Mrawinski kaum und bleibt mit seinem einprägsamen Hauptmotiv in der Pathos auf wie noch die Sinfonie Nr. 3, sondern bekennt sich auf fast schon radika- Erinnerung unmittelbar haften. le Weise zum Zweifel und zur Negation. Sie ist Ausdruck einer Einsicht, dass die Welt nicht ist, wie sie scheint. Mahlers Suche nach einem Weg, solche Risse in musikali- Im zweiten Satz (Moderato) geraten die „raffinierten Künste atonaler Dramaturgi- sche Gestik zu verwandeln, war in seinem Schaffen im Keim zwar schon von Beginn en, harmonischer Verschiebungen und eristischer Modulationen“, wie der Musik- an angelegt, beeinflusste sein sinfonisches Schaffen nach dieser Sinfonie aber wissenschaftler Detlef Gojowy es einmal ausdrückte, „… in den Dienst eines ge- noch in ganz anderen Dimensionen. Theodor W. dehnten Moderatos von Mahlerscher Breite“. Die Idylle des Satzbeginns wird aber Adorno sagte über die Vierte Sinfonie, sie sei ein von einer gewaltigen Steigerung verdrängt, bevor der Satz wieder zur Poesie seines „Als-ob von der ersten bis zur letzten Note“. Er Beginns zurückkehrt und in eine große Kadenz des Soloinstruments mündet. Die meinte damit, dass man das scheinbar kindlich Mahler, gezeichnet von Emil Orlik, 1902. Rondoform des Finales (Allegro con moto) erscheint in ihrer ganzen Lebendigkeit Volksliedhafte mancher Passagen bis hin zum vo- und ihrem funkensprühenden Übermut wie eine Referenz an Konzertrondos der kalen Ende mit den Worten „Wir genießen die Klassik. Dass Schostakowitsch hier am Ende wieder auf das Hauptthema des ers- himmlischen Freuden, D‘rum tun wir das Irdische ten Satzes zurückgreift, mag man vielleicht auch auf Robert Schumann beziehen, meiden“ stets von mehreren Seiten aus interpre- den Schostakowitsch bewunderte und dessen Violoncellokonzert a-moll op. 125 er tieren sollte. Schon die scharfen Schellenklänge nur vier Jahre nach der Vollendung seines Violoncellokonzerts Nr. 1 neu orchestrier- im ersten Satz, die wie ein hämischer Kommentar te und ebenfalls Rostropowitsch widmete. zur Lächerlichkeit unserer menschlichen Verwir- rungen wirken, sind ein Beispiel für Mahlers dialek- tische Weltsicht. In der Fröhlichkeit ist gleich auch etwas Verzerrtes, Fratzenhaftes verborgen, dem Vom Widerspruch durchdrungen wir in der Vierten Sinfonie auf beklemmende Wei- se immer wieder begegnen. Alles ist und bleibt vom Widerspruch durchdrungen. Gustav Mahlers Sinfonie Nr. 4 G-Dur Die Vierte Sinfonie ist ein Werk, das nach der Zwei- ten und Dritten Sinfonie Mahlers Auseinanderset- zung mit den Liedern aus „Des Knaben Wunder „Die neueste Komposition Mahlers war nicht geeignet, dem Schaffen des Künstlers horn“ aus der Sammlung von Clemens Brentano irgendwelche erhöhte Bewerthung zu Theil werden zu lassen,“ schrieb der Rezen- und Achim von Arnim abschloss und gleichsam ei- sent Karl Pottgiesser in der „Allgemeinen musikalischen Zeitung“ nach der Münch- nen Scheidepunkt seines sinfonischen Schaffens 10 11
markierte. Lange hatte der Komponist damit gerungen, ob er Wunderhorn-Gedich- „Wir genießen die himmlischen Freuden“ te in Form einer sinfonischen Humoreske mit vokalen Anteilen verarbeiten sollte. Er hatte sogar einen Satzplan unter dem Titel „Symphonie Nro IV/(Humoreske)“ ange- Mahler Sinfonie Nr. 4 (IV. Satz) legt, wie aus einem heute in der Public Library of Cincinnati aufbewahrten Manu- skript hervorgeht, das Mahlers Frau Alma Mahler dem Dirigenten und Musikkritiker Paul Bekker 1919 zum Geschenk gemacht hatte. Im Vergleich zu den beiden Sinfo- nien Nr. 2 und 3 und den nachfolgenden Sinfonien fällt die Sinfonie Nr. 4 schon al- lein wegen ihrer viel kürzeren Spieldauer und durch ihre kleinere Orchesterbeset- Wir genießen die himmlischen Willst Rehbock, willst Hasen? zung aus dem Rahmen. Ihre einzelnen Sätze folgen klassischen Formschemata. Freuden, Auf offener Straßen Schon der 1. Satz (Bedächtig. Nicht eilen) ist nach der klassischen Sonatenhaupt- Drum tun wir das Irdische meiden. Sie laufen herbei! satzform aufgebaut und spielt mit liedhaften Strukturen, die in sich aber immer Kein weltlich Getümmel wieder gebrochen werden. Dem Hört man nicht im Himmel! Sollt ein Fasttag etwa kommen, langsamen 3. Satz ist ein Scherzo vo- Lebt alles in sanftester Ruh. Alle Fische gleich mit Freuden rangestellt, in dem eine um einen Wir führen ein englisches Leben, angeschwommen! „Des Knaben Wunderhorn“, Alte deutsche Lieder, hrsg. von Ton heraufgestimmte Solo-Violine Sind dennoch ganz lustig daneben; Dort läuft schon Sankt Peter A. von Arnim und C. Brentano, Titel der Erstausgabe, 1806. eine wichtige Rolle spielt, indem sie Wir tanzen und springen, Mit Netz und mit Köder die Atmosphäre verzerrt. In den Bin- Wir hüpfen und singen, Zum himmlischen Weiher hinein. nensätzen des Scherzos, zwei zwi- Sankt Peter im Himmel sieht zu. Sankt Martha die Köchin muss sein. schengeschalteten Trios, arbeitet Mahler mit tänzerischen Formen. Der Johannes das Lämmlein auslasset, Kein Musik ist ja nicht auf Erden, 3. Satz (Ruhevoll) baut mit seinen Der Metzger Herodes d’rauf passet. Die unsrer verglichen kann werden. Doppelvariationen Spannungen auf Wir führen ein geduldigs, Elftausend Jungfrauen und löst immer wieder ein Unbeha- Unschuldigs, geduldigs, Zu tanzen sich trauen. gen in vermeintlich idyllischem Um- Ein liebliches Lämmlein zu Tod. Sankt Ursula selbst dazu lacht. feld aus. Im Finale kehrt Mahler wie- Sankt Lukas den Ochsen tät Cäcilia mit ihren Verwandten der zu Liedthemen zurück, um das schlachten Sind treffliche Hofmusikanten! Sopransolo einzuleiten. Doch von Er- Ohn einigs Bedenken und Achten. Die englischen Stimmen lösung ist in seiner Vertonung der Der Wein kost kein Heller Ermuntern die Sinnen, Gedichtzeilen „Der Himmel hängt Im himmlischen Keller; Dass alles für Freuden erwacht. voll Geigen“, deren Textverlauf er Die Englein, die backen das Brot. leicht abgeändert hat, nur teilweise (Aus: „Des Knaben Wunderhorn“. etwas zu spüren. Die Frage nach dem Gut Kräuter von allerhand Arten, Alte deutsche Lieder, Warum und nach dem Wohin bleibt Die wachsen im himmlischen Garten, gesammelt von Achim von Arnim und im Raume stehen. Musikalisch und Gut Spargel, Fisolen Clemens Brentano) inhaltlich. Und was wir nur wollen. Ganze Schüsseln voll sind uns bereit! HELMUT PETERS Gut Äpfel, gut Birn und gut Trauben; Die Gärtner, die alles erlauben. 12 13
Konzertvorschau 9. SINFONIEKONZERT A DIE NEUE SAISONVORSCHAU DO 16.06.2022 | FR 17.06.2022 IST DA! 20 UHR Frisch eingetroffen: Seit wenigen Tagen NDR | GR. SENDESAAL liegt unsere neue Saisonvorschau für Sie bereit, mit allen Konzertangeboten und Andrew Manze Dirigent Informationen für die Spielzeit 2022/23. Emmanuel Tjeknavorian Violine NDR Radiophilharmonie BESUCHEN SIE UNSERE WEBSITE Weitere detaillierte Informationen zu den Jean Sibelius Konzerten und Ticktes der Saison 2022/23 Violinkonzert d-Moll op. 47 finden Sie auf unserer Website: Edward Elgar ndr.de/radiophilharmonie Sinfonie Nr. 1 As-Dur op. 55 Discover Music! 2022/23 Das Gelbe Sofa Unsere Angebote für Familien und Schulklas- 19 UHR | NDR | GR. SENDESAAL sen in der Saison 2022/23 finden Sie ab Moderation: Friederike Westerhaus sofort im neuen Discover Music!-Leporello IMPRESSUM (NDR Kultur) sowie online unter: Herausgegeben vom Norddeutschen Rundfunk Am 16. und 17. Juni mit: ndr.de/discovermusic-hannover Programmdirektion Hörfunk Bereich Orchester, Chor und Konzerte Chefdirigent Andrew Manze. NDR Radiophilharmonie (Eintritt frei) Vorverkaufsstart: 20. Mai 2022 Bereich Orchester, Chor und Konzerte Vorverkaufsstart für alle Tickets der Saison Leitung: Achim Dobschall 2022/23 ist am 20. Mai 2022 (soweit nicht NDR Radiophilharmonie Karten erhalten Sie beim NDR Ticketshop. anders angegeben): Manager: Matthias Ilkenhans ndr.de/radiophilharmonie NDR Ticketshop Redaktion des Programmheftes: Andrea Hechtenberg Rudolf-von-Bennigsen-Ufer 22 30169 Hannover Der Einführungstext ist ein Originalbeitrag für den NDR. Nachdruck, auch auszugsweise, montags – freitags 9 – 17 Uhr nur mit Genehmigung des NDR gestattet. Telefon (0511) 277 898 99 Fotos: Marco Borggreve (Titel, S. 5); www.ndrticketshop.de Felix Broede (S. 6); Simon Pauly (S. 7); akg-images (S. 8, 12); Photo Ingi Paris / akg- images (S. 9); Heritage Images / Fine Art Ima- ges / akg-images (S. 11) Druck: Eurodruck in der Printarena Das verwendete Papier ist FSC-zertifiziert und chlorfrei gebleicht. 14 15
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