Sinfoniekonzert Marc Albrecht Dirigent Leonard Elschenbroich Violoncello | Heidi Stober Sopran

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Sinfoniekonzert Marc Albrecht Dirigent Leonard Elschenbroich Violoncello | Heidi Stober Sopran
A8     Sinfoniekonzert
DO 19.05.2022
FR 20.05.2022   Marc Albrecht Dirigent
                Leonard Elschenbroich Violoncello | Heidi Stober Sopran
Sinfoniekonzert Marc Albrecht Dirigent Leonard Elschenbroich Violoncello | Heidi Stober Sopran
SINFONIEKONZERT
   DO 19.05.2022
                   A8
   FR 20.05.2022
          20 UHR
             NDR   Marc Albrecht Dirigent                           Gustav Mahler | 1860 – 1911
   GR. SENDESAAL   Leonard Elschenbroich Violoncello                Sinfonie Nr. 4 G-Dur
                   Heidi Stober Sopran                              für großes Orchester und Sopran-Solo (1899 – 1901)
                                                                    I. Bedächtig. Nicht eilen
                   NDR Radiophilharmonie                            II. In gemächlicher Bewegung. Ohne Hast
                                                                    III. Ruhevoll (Poco adagio)
                                                                    IV. Sehr behaglich. „Wir genießen die himmlischen Freuden“
                                                                    (Den Gesangstext finden Sie auf Seite 13)
                   Dmitrij Schostakowitsch | 1906 – 1975
                   Violoncellokonzert Nr. 1 Es-Dur op. 107 (1959)   SPIELDAUER: CA. 60 MINUTEN
                   I. Allegretto
                   II. Moderato
                   III. Cadenza
                   IV. Allegro con moto                             VOR DIESEN KONZERTEN:
                                                                    Das Gelbe Sofa
                   SPIELDAUER: CA. 31 MINUTEN                       19 UHR | NDR | GR. SENDESAAL
                                                                    Die etwas andere Konzerteinführung.
                                                                    Am 19.05. zu Gast: der Dirigent Marc Albrecht.
                                                                    Am 20.05 zu Gast: der Cellist Leonard Elschenbroich.
                   PAUSE                                            Moderation: Friederike Westerhaus (NDR Kultur).

                                                                                                                              Das Konzert am 20.05. wird live
                                                                                                     auf NDR Kultur übertragen und außerdem live gestreamt:
                                                                                                                                  ndr.de/radiophilharmonie.
                                                                                                     Der Audio- und der Videomitschnitt bleiben anschließend
                                                                                                                                              online abrufbar.
Sinfoniekonzert Marc Albrecht Dirigent Leonard Elschenbroich Violoncello | Heidi Stober Sopran
BIOGRAFIE
In Kürze
„Back to the roots“ heißt es heute Abend für Marc Albrecht – in Hannover aufgewachsen
und künstlerisch geprägt, gehört er nun seit etlichen Jahren zu den international gefrag-
ten deutschen Dirigenten. Auf das Programm hat er Musik von zwei Komponisten gesetzt,
die aus dem gleichen musikalischen Holz geschnitzt sind: Dmitrij Schostakowitsch und
Gustav Mahler. „Das Studium der Mahler‘schen Werke veränderte meinen kompositori-
schen Geschmack“, bekannte Schostakowitsch. Ambivalenz, Humor, Härte wie Senisibili-
tät, Groteske und eine besondere Vorliebe für Märsche (und deren Karikierung) sind die
Markenzeichen dieser beiden Komponistenbrüder im Geiste. Als „ein Allegretto im Stil ei-
nes spaßhaften Marsches“, beschrieb Schostakowitsch selbst den ersten Satz seines
Violoncellokonzerts Nr. 1. Ein besonderes Glanzstück hat er dem Cello mit dem dritten
Satz auf den Leib geschrieben, den er als auskomponierte Kadenz allein dem Solisten
überlässt. Widmungsträger des Konzertes war Mstislaw Rostropowitsch. Der weltbe-              Marc Albrecht
rühmte Cellist spielte 1959 im damaligen Leningrad auch die erfolgreiche Uraufführung.
Der in der Sowjetunion geehrte und noch mehr geschundene Komponist Schostakowitsch            Dirigent
befand sich zu dieser Zeit - nach dem Tod Stalins 1953 - in einer verhältnismäßig ent-
spannten Lebensphase. Als Solisten begrüßt die NDR Radiophilharmonie bereits zum zwei-        Marc Albrecht ist einer der spannendsten Dirigenten der aktuellen internationalen
ten Mal Leonard Elschenbroich, der 2017 mit Schostakowitschs Zweitem Cellokonzert             Opern- und Konzertszene. Als Sohn des Dirigenten George Alexander Albrecht in
sein brillantes Debüt bei den Sinfoniekonzerten A gab. 1901 legte Gustav Mahler mit sei-      Hannover aufgewachsen, studierte er in Wien. Nach dem Studium und Korrepetitor-
ner Vierten eine Sinfonie vor, die nach den monumentalen Sinfonien Nr. 2 und Nr. 3 in deut-   Stellen an den Staatsopern von Wien und Hamburg wurde er Assistent von Claudio
                                                                                              Abbado, mit dem er das Gustav Mahler Jugendorchester mit aufbaute. 1995 wurde
lich kleinerem Rahmen gehalten war. Dieses intimere Werk ist dennoch von tiefer Innig-
                                                                                              er 1. Kapellmeister an der Staatsoper Dresden. Mit 30 Jahren ging er an das Staats-
keit und intensiver emotionaler Wirkung: in seinem Wechselspiel aus Naivität und Ernst-
                                                                                              theater Darmstadt und wurde dort einer der jüngsten Generalmusikdirektoren
haftigkeit, Humor und Todesahnung, Natur und Künstlichkeit. Auch in seiner Vierten            Deutschlands. 2006 übernahm er die Leitung des Orchestre Philharmonique de
Sinfonie vertonte Mahler einen Text aus der Gedichtsammlung „Des Knaben Wunderhorn“:          Strasbourg. 2011 wechselte er nach Amsterdam als Chefdirigent der Nederlandse
„Wir genießen die himmlischen Freuden“ – die kindliche Vision eines scheinbaren Paradie-      Opera, des Nederlands Philharmonisch Orkest und des Nederlands Kamerorkest.
ses, vorgetragen vom Solo-Sopran im Finalsatz. Den Gesangspart übernimmt an diesem            Im Bereich Oper gastierte er u. a. am Londoner Royal Opera House sowie bei den
                                                                                              Salzburger und Bayreuther Festspielen. Als Konzertdirigent ebenso weltweit ge-
Abend Heidi Stober. Die amerikanische Sopranistin ist an den bedeutenden Bühnen der
                                                                                              schätzt leitete Albrecht z. B. die Berliner Philharmoniker, das Concertgebouwor-
Welt von der New Yorker Met bis zur Wiener Staatsoper präsent. Sehr geschätzt wird sie        kest, das Orchestre National de France und das NHK Symphony Orchestra Tokyo.
auch als Konzertsängerin. Bei der NDR Radiophilharmonie gibt sie mit diesem Auftritt ihr      Für seine mit dem Nederlands Philharmonisch Orkest eingespielte CD mit Zemlins-
Debüt.                                                                                        kys „Die Seejungfrau“ erhielt er 2021 den OPUS KLASSIK als „Dirigent des Jahres“.

                                                                                                                                                                                      5
Sinfoniekonzert Marc Albrecht Dirigent Leonard Elschenbroich Violoncello | Heidi Stober Sopran
BIOGRAFIE                                                                                                                                                                     BIOGRAFIE

       Leonard Elschenbroich                                                                  Heidi Stober
       Violoncello                                                                            Sopran
       Leonard Elschenbroich, der 1985 in Frankfurt geboren wurde und als 10-Jähriger         Die amerikanische Sopranistin Heidi Stober begeistert das Publikum dies- und jen-
       ein Stipendium an der Londoner Yehudi Menuhin School erhielt, ist einer der außer-     seits des Atlantiks. Seit ihrem gefeierten Einstand an der Deutschen Oper Berlin im
       gewöhnlichsten Cellisten seiner Generation. Der vielfach preisgekrönte Musiker         Herbst 2008 ist sie dem Haus eng verbunden und in den großen Rollen zu erleben.
       konzertiert mit den führenden Orchestern, darunter das Chicago Symphony Or-            Darüber hinaus gastiert sie auf vielen weiteren renommierten Bühnen. So gab sie
       chestra, das London Philharmonic Orchestra oder der Staatskapelle Dresden. Bei         in der Saison 2011/12 ihr Debüt an der New Yorker Met als Gretel in „Hänsel und
       der NDR Radiophilharmonie gab er 2017 bei den Sinfoniekonzerten A unter Robert         Gretel“ und wurde dort anschließend u. a. auch für die Partien der Pamina in der
       Trevino sein gefeiertes Debüt mit Schostakowitschs Violoncellokonzert Nr. 2. Als ge-   „Zauberflöte“ und Oscar in Verdis „Un ballo in maschera“ engagiert. Nicht weniger
       fragter Interpret zeitgenössischer Musik hat er selbst zahlreiche Werke in Auftrag     gefragt ist sie als Konzertsängerin. Mit dem New Philharmonic führte sie Händels
       gegeben, u. a. bei Mark-Anthony Turnage, Luca Lombardi, Suzanne Farrin, Brian Eli-     „Messiah“ auf. Sie wirkte bei der Aufführung des Mozart-Requiems und der Urauf-
       as und Mark Simpson. Sehr am Herzen liegt Leonard Elschenbroich auch seine Zu-         führung der Sinfonie Nr. 4 von Stephen Hartke durch das Los Angeles Philharmonic
       sammenarbeit mit dem Orquesta Filarmónica de Bolivia, das er 2012 mitbegründet         mit. Die Sopranpartie in Mahlers Sinfonie Nr. 4 übernahm sie z. B. beim Milwaukee
       hat und dessen künstlerischer Mentor er ist. Regelmäßig reist er nach Bolivien, um     Symphony Orchestra und beim Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin. Bei der NDR Ra-
       mit dem Orchester zu arbeiten und Education-Projekte zu leiten. Ausgehend von          diophilharmonie gibt Heidi Stober - die mit Marc Albrecht bereits an der Deutschen
       dieser Tätigkeit tritt er inzwischen auch als Dirigent auf. Zu einem außergewöhnli-    Oper Berlin, der Nederlandse Opera und der San Francisco Opera zusammenarbei-
       chen Künstler gehört ein besonderes Instrument: Leonard Elschenbroich spielt das       tete - heute ihr Debüt. Ihre Ausbildung absolvierte sie an der Lawrence University,
       Cello „Ex-Leonard-Rose-Ex-Alfredo-Piatti“ (1693) von Matteo Goffriller.                am New England Conservatory und am Houston Grand Opera Studio.

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Sinfoniekonzert Marc Albrecht Dirigent Leonard Elschenbroich Violoncello | Heidi Stober Sopran
Höchst anspruchsvoll                                                                    takowitsch auf größere Freiheiten. Dennoch waren die 1950er Jahre vor der Entste-
                                                                                                        hung des Violoncellokonzerts Nr. 1 zunächst von einer Schaffenskrise geprägt, an
                                                                                                        deren Überwindung dieses Konzert, aber auch die Streichquartette Nr. 7 und Nr. 8
                Dmitrij Schostakowitschs Violoncellokonzert Nr. 1 Es-Dur op. 107                        c-Moll op. 110 „Im Gedenken an die Opfer des Faschismus und des Krieges“ maß-
                                                                                                        geblich beteiligt waren.

                                                                                                        Zur Komposition eines Cellokonzerts wurde Schostakowitsch durch Mstislaw Rost-
                 Gustav Mahlers Musik hat tiefe Spuren bei vielen russischen Komponisten des 20.        ropowitsch angeregt, der mit dem im gleichen Jahr wie Stalin verstorbenen Sergej
                 Jahrhunderts, vor allem aber im Werk Dmitrij Schostakowitschs, hinterlassen. „Das      Prokofjew befreundet war. Für Rostropowitsch hatte Prokofjew ein Sinfonisches
                 Studium der Mahlerschen Werke veränderte meinen kompositorischen Ge-                   Konzert, eine Sonate für Violoncello und Klavier, ein Concertino und eine Solosona-
                 schmack“, bekannte Schostakowitsch in seinen von Solomon Wolkow herausgege-            te komponiert. Anders als Prokofjew, der den Cellisten an der Entstehung seiner Vi-
                 benen Memoiren. Spuren Mahlerscher Orchesterbehandlung, Harmonik, Melodie-             oloncellowerke in vielen Fällen unmittelbar teilnehmen ließ, verweigerte Schosta-
                 führung und Polyphonie finden sich nicht nur in Schostakowitschs Sinfonien, son-       kowitsch dem Interpreten während der Komposition einen Einblick in die Partitur
                 dern auch in den Instrumentalkonzerten und überhaupt in seiner ganzen Orches-          seines Ersten Cellokonzerts. Und dies, obwohl er Rostropowitsch ja als Interpreten
                 termusik bis hin zu den Ballettsuiten mit ihren oft so grotesken Tanzsätzen. Sowohl    seiner eigenen Cellosonate bereits gut kannte und bewunderte. Tatsächlich ge-
                 bei Mahler als auch bei Schostakowitsch stehen wilde Scherzi oder vorantreiben-        stand Schostakowitsch ein, dass er sein im Sommer 1959 komponiertes Violoncel-
                 de, aggressiv-kantige Sätze wie etwa der Kopfsatz von Schostakowitschs Erstem          lokonzert Nr. 1, das er Mstislaw Rostropowitsch genau wie das 1966 entstandene
                 Cellokonzert melancholisch klagenden langsamen Sätzen unmittelbar gegenüber.           Violoncellokonzert Nr. 2 widmete, „… unter dem Eindruck des Symphonischen Kon-
                                                 Beide Komponisten sind in der Lage, in ihrer Musik     zerts von Prokofjew geschrieben habe“,
                                                 große Steigerungen bis hin zu triumphalen Ausbrü-      wie Krzysztof Meyer in seiner 1995 er-
                                                 chen – die aber nur scheinbar als Überwindung zu       schienenen Schostakowitsch-Biografie
    Dmitrij Schostakowitsch, Foto um 1960.       verstehen sind – jäh in sich zusammenbrechen zu        schreibt. Dabei sei der Komponist be-             Cellist Mstislaw Rostropowitsch, Foto von 1962.
                                                 lassen. Schostakowitsch bewunderte in Mahlers          strebt gewesen, seine Kräfte in der für
                                                 Musik vor allem die tiefe Menschlichkeit. Mahler, so   ihn neuen Gattung auszuprobieren. Pro-
                                                 formulierte es Schostakowitsch selbst, „verstand       kofjews Concertino für Violoncello und
                                                 die hohe ethische Bedeutung der Musik. Er drang        Orchester hat Schostakowitsch für und
                                                 in die verborgensten Winkel des menschlichen Be-       mit Rostropowitsch später selbst einmal
                                                 wusstseins, ihn bewegten die höchsten Ideale der       für Violoncello und Klavier bearbeitet.
                                                 Welt.“
                                                                                                        Durchaus lässt der mitreißende erste
                                                Blicken wir auf die 1950er Jahre, in denen Schosta-     Satz (Allegretto) des Ersten Cellokon-
                                                kowitschs Violoncellokonzert Nr. 1 op. 107 ent-         zerts in seiner Virtuosität, aber auch der
                                                stand. Nach dem Tod Stalins und dem ersten „Tri-        effektvollen Motorik eine Nähe zu Prokof-
                                                umvirat“ unter Georgi Malenkow, Lawrenti Berija         jew spüren. Aber Schostakowitsch knüpft
                                                und Wjatscheslaw Molotow, das den sowjetischen          darin auch an Erfahrungen aus eigenen
                                                Bürgerinnen und Bürgern eine „weitestgehende            Instrumentalkonzerten an. Zum Beispiel
                                                Befriedigung der materiellen und kulturellen Be-        an sein Klavierkonzert Nr. 1 für Klavier,
                                                dürfnisse“ versprochen hatte, hoffte auch Schos-        Trompete und Streichorchester op. 35

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Sinfoniekonzert Marc Albrecht Dirigent Leonard Elschenbroich Violoncello | Heidi Stober Sopran
aus dem Jahr 1933. Anstelle einer Solotrompete, die er dem Klavier hier gegenüber-     ner Uraufführung der Sinfonie Nr. 4 G-Dur am 25. November 1901 mit dem Kaim-Or-
     gestellt hatte, lässt er im Kopfsatz seines Ersten Cellokonzerts dem Soloinstru-       chester und der Sopranistin Margarete Michalik unter Mahlers Leitung. Seit den
     ment ein Horn solistisch gegenübertreten. Dieser erste Satz folgt im Aufbau ganz       ersten Arbeiten an diesem Werk im Jahr 1899 hatte Mahler zwölf Jahre verstreichen
     dem klassischen Sonatenhauptsatzprinzip. Und vielleicht kann man in der Gegen-         lassen, in denen er mit dem Werk, seiner Anlage und seiner vermeintlichen, schließ-
     überstellung eines solistisch mit dem Cello konkurrierenden Instrumentes im Or-        lich aber doch wieder verworfenen Programmatik gerungen hatte. Was aber waren
     chester sogar eine Anlehnung an das barocke Concerto grosso mit alternierenden         die Gründe für den „wenig erquicklichen Eindruck“, den das Werk in den Ohren des
     Soloinstrumenten sehen. Dieser trotz seiner Härten heitere Satz verfehlte seine        Kritikers hinterließ? Das Kecke, scheinbar Humorvolle in diesem Stück, in dem sich
     Wirkung auf das Publikum bei der Uraufführung am 4. Oktober 1959 im damaligen          Mahler symbolisch vom „irdischen Leben“ schrittweise zum „himmlischen Leben“
     Leningrad mit Rostropowitsch als Solist und der Leningrader Philharmonie unter         vorarbeitet, bleibt doppeldeutig. Die Sinfonie schwingt sich nicht zu romantischem
     Jewgeni Mrawinski kaum und bleibt mit seinem einprägsamen Hauptmotiv in der            Pathos auf wie noch die Sinfonie Nr. 3, sondern bekennt sich auf fast schon radika-
     Erinnerung unmittelbar haften.                                                         le Weise zum Zweifel und zur Negation. Sie ist Ausdruck einer Einsicht, dass die Welt
                                                                                            nicht ist, wie sie scheint. Mahlers Suche nach einem Weg, solche Risse in musikali-
     Im zweiten Satz (Moderato) geraten die „raffinierten Künste atonaler Dramaturgi-       sche Gestik zu verwandeln, war in seinem Schaffen im Keim zwar schon von Beginn
     en, harmonischer Verschiebungen und eristischer Modulationen“, wie der Musik-          an angelegt, beeinflusste sein sinfonisches Schaffen nach dieser Sinfonie aber
     wissenschaftler Detlef Gojowy es einmal ausdrückte, „… in den Dienst eines ge-         noch in ganz anderen Dimensionen. Theodor W.
     dehnten Moderatos von Mahlerscher Breite“. Die Idylle des Satzbeginns wird aber        Adorno sagte über die Vierte Sinfonie, sie sei ein
     von einer gewaltigen Steigerung verdrängt, bevor der Satz wieder zur Poesie seines     „Als-ob von der ersten bis zur letzten Note“. Er
     Beginns zurückkehrt und in eine große Kadenz des Soloinstruments mündet. Die           meinte damit, dass man das scheinbar kindlich             Mahler, gezeichnet von Emil Orlik, 1902.
     Rondoform des Finales (Allegro con moto) erscheint in ihrer ganzen Lebendigkeit        Volksliedhafte mancher Passagen bis hin zum vo-
     und ihrem funkensprühenden Übermut wie eine Referenz an Konzertrondos der              kalen Ende mit den Worten „Wir genießen die
     Klassik. Dass Schostakowitsch hier am Ende wieder auf das Hauptthema des ers-          himmlischen Freuden, D‘rum tun wir das Irdische
     ten Satzes zurückgreift, mag man vielleicht auch auf Robert Schumann beziehen,         meiden“ stets von mehreren Seiten aus interpre-
     den Schostakowitsch bewunderte und dessen Violoncellokonzert a-moll op. 125 er         tieren sollte. Schon die scharfen Schellenklänge
     nur vier Jahre nach der Vollendung seines Violoncellokonzerts Nr. 1 neu orchestrier-   im ersten Satz, die wie ein hämischer Kommentar
     te und ebenfalls Rostropowitsch widmete.                                               zur Lächerlichkeit unserer menschlichen Verwir-
                                                                                            rungen wirken, sind ein Beispiel für Mahlers dialek-
                                                                                            tische Weltsicht. In der Fröhlichkeit ist gleich auch
                                                                                            etwas Verzerrtes, Fratzenhaftes verborgen, dem
     Vom Widerspruch durchdrungen                                                           wir in der Vierten Sinfonie auf beklemmende Wei-
                                                                                            se immer wieder begegnen. Alles ist und bleibt
                                                                                            vom Widerspruch durchdrungen.
     Gustav Mahlers Sinfonie Nr. 4 G-Dur
                                                                                            Die Vierte Sinfonie ist ein Werk, das nach der Zwei-
                                                                                            ten und Dritten Sinfonie Mahlers Auseinanderset-
                                                                                            zung mit den Liedern aus „Des Knaben Wunder
     „Die neueste Komposition Mahlers war nicht geeignet, dem Schaffen des Künstlers        horn“ aus der Sammlung von Clemens Brentano
     irgendwelche erhöhte Bewerthung zu Theil werden zu lassen,“ schrieb der Rezen-         und Achim von Arnim abschloss und gleichsam ei-
     sent Karl Pottgiesser in der „Allgemeinen musikalischen Zeitung“ nach der Münch-       nen Scheidepunkt seines sinfonischen Schaffens

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markierte. Lange hatte der Komponist damit gerungen, ob er Wunderhorn-Gedich-          „Wir genießen die himmlischen Freuden“
                  te in Form einer sinfonischen Humoreske mit vokalen Anteilen verarbeiten sollte. Er
                  hatte sogar einen Satzplan unter dem Titel „Symphonie Nro IV/(Humoreske)“ ange-        Mahler Sinfonie Nr. 4 (IV. Satz)
                  legt, wie aus einem heute in der Public Library of Cincinnati aufbewahrten Manu-
                  skript hervorgeht, das Mahlers Frau Alma Mahler dem Dirigenten und Musikkritiker
                  Paul Bekker 1919 zum Geschenk gemacht hatte. Im Vergleich zu den beiden Sinfo-
                  nien Nr. 2 und 3 und den nachfolgenden Sinfonien fällt die Sinfonie Nr. 4 schon al-
                  lein wegen ihrer viel kürzeren Spieldauer und durch ihre kleinere Orchesterbeset-      Wir genießen die himmlischen            Willst Rehbock, willst Hasen?
                  zung aus dem Rahmen. Ihre einzelnen Sätze folgen klassischen Formschemata.             Freuden,                                Auf offener Straßen
                  Schon der 1. Satz (Bedächtig. Nicht eilen) ist nach der klassischen Sonatenhaupt-      Drum tun wir das Irdische meiden.       Sie laufen herbei!
                  satzform aufgebaut und spielt mit liedhaften Strukturen, die in sich aber immer        Kein weltlich Getümmel
                                                                 wieder gebrochen werden. Dem            Hört man nicht im Himmel!               Sollt ein Fasttag etwa kommen,
                                                                 langsamen 3. Satz ist ein Scherzo vo-   Lebt alles in sanftester Ruh.           Alle Fische gleich mit Freuden
                                                                 rangestellt, in dem eine um einen       Wir führen ein englisches Leben,        angeschwommen!
     „Des Knaben Wunderhorn“, Alte deutsche Lieder, hrsg. von    Ton heraufgestimmte Solo-Violine        Sind dennoch ganz lustig daneben;       Dort läuft schon Sankt Peter
     A. von Arnim und C. Brentano, Titel der Erstausgabe, 1806.  eine wichtige Rolle spielt, indem sie   Wir tanzen und springen,                Mit Netz und mit Köder
                                                                 die Atmosphäre verzerrt. In den Bin-    Wir hüpfen und singen,                  Zum himmlischen Weiher hinein.
                                                                 nensätzen des Scherzos, zwei zwi-       Sankt Peter im Himmel sieht zu.         Sankt Martha die Köchin muss sein.
                                                                 schengeschalteten Trios, arbeitet
                                                                 Mahler mit tänzerischen Formen. Der     Johannes das Lämmlein auslasset,        Kein Musik ist ja nicht auf Erden,
                                                                 3. Satz (Ruhevoll) baut mit seinen      Der Metzger Herodes d’rauf passet.      Die unsrer verglichen kann werden.
                                                                 Doppelvariationen Spannungen auf        Wir führen ein geduldigs,               Elftausend Jungfrauen
                                                                 und löst immer wieder ein Unbeha-       Unschuldigs, geduldigs,                 Zu tanzen sich trauen.
                                                                 gen in vermeintlich idyllischem Um-     Ein liebliches Lämmlein zu Tod.         Sankt Ursula selbst dazu lacht.
                                                                 feld aus. Im Finale kehrt Mahler wie-   Sankt Lukas den Ochsen tät              Cäcilia mit ihren Verwandten
                                                                 der zu Liedthemen zurück, um das        schlachten                              Sind treffliche Hofmusikanten!
                                                                 Sopransolo einzuleiten. Doch von Er-    Ohn einigs Bedenken und Achten.         Die englischen Stimmen
                                                                 lösung ist in seiner Vertonung der      Der Wein kost kein Heller               Ermuntern die Sinnen,
                                                                 Gedichtzeilen „Der Himmel hängt         Im himmlischen Keller;                  Dass alles für Freuden erwacht.
                                                                 voll Geigen“, deren Textverlauf er      Die Englein, die backen das Brot.
                                                                 leicht abgeändert hat, nur teilweise                                            (Aus: „Des Knaben Wunderhorn“.
                                                                 etwas zu spüren. Die Frage nach dem     Gut Kräuter von allerhand Arten,        Alte deutsche Lieder,
                                                                 Warum und nach dem Wohin bleibt         Die wachsen im himmlischen Garten,      gesammelt von Achim von Arnim und
                                                                 im Raume stehen. Musikalisch und        Gut Spargel, Fisolen                    Clemens Brentano)
                                                                 inhaltlich.                             Und was wir nur wollen.
                                                                                                         Ganze Schüsseln voll sind uns bereit!
                                                                HELMUT PETERS                            Gut Äpfel, gut Birn und gut Trauben;
                                                                                                         Die Gärtner, die alles erlauben.

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Konzertvorschau

     9. SINFONIEKONZERT A                       DIE NEUE SAISONVORSCHAU
     DO 16.06.2022 | FR 17.06.2022              IST DA!
     20 UHR                                     Frisch eingetroffen: Seit wenigen Tagen
     NDR | GR. SENDESAAL                        liegt unsere neue Saisonvorschau für Sie
                                                bereit, mit allen Konzertangeboten und
     Andrew Manze Dirigent                      Informationen für die Spielzeit 2022/23.
     Emmanuel Tjeknavorian Violine
     NDR Radiophilharmonie                      BESUCHEN SIE UNSERE WEBSITE
                                                Weitere detaillierte Informationen zu den
     Jean Sibelius                              Konzerten und Ticktes der Saison 2022/23
     Violinkonzert d-Moll op. 47                finden Sie auf unserer Website:
     Edward Elgar                               ndr.de/radiophilharmonie
     Sinfonie Nr. 1 As-Dur op. 55
                                                Discover Music! 2022/23
     Das Gelbe Sofa                             Unsere Angebote für Familien und Schulklas-
     19 UHR | NDR | GR. SENDESAAL               sen in der Saison 2022/23 finden Sie ab
     Moderation: Friederike Westerhaus          sofort im neuen Discover Music!-Leporello      IMPRESSUM
     (NDR Kultur)                               sowie online unter:                            Herausgegeben vom Norddeutschen Rundfunk
     Am 16. und 17. Juni mit:                   ndr.de/discovermusic-hannover                  Programmdirektion Hörfunk
                                                                                               Bereich Orchester, Chor und Konzerte
     Chefdirigent Andrew Manze.                                                                NDR Radiophilharmonie
     (Eintritt frei)                            Vorverkaufsstart: 20. Mai 2022
                                                                                               Bereich Orchester, Chor und Konzerte
                                                Vorverkaufsstart für alle Tickets der Saison   Leitung: Achim Dobschall
                                                2022/23 ist am 20. Mai 2022 (soweit nicht
                                                                                               NDR Radiophilharmonie
     Karten erhalten Sie beim NDR Ticketshop.   anders angegeben):                             Manager: Matthias Ilkenhans
     ndr.de/radiophilharmonie                   NDR Ticketshop                                 Redaktion des Programmheftes:
                                                                                               Andrea Hechtenberg
                                                Rudolf-von-Bennigsen-Ufer 22
                                                30169 Hannover                                 Der Einführungstext ist ein Originalbeitrag
                                                                                               für den NDR. Nachdruck, auch auszugsweise,
                                                montags – freitags 9 – 17 Uhr                  nur mit Genehmigung des NDR gestattet.
                                                Telefon (0511) 277 898 99
                                                                                               Fotos: Marco Borggreve (Titel, S. 5);
                                                www.ndrticketshop.de                           Felix Broede (S. 6); Simon Pauly (S. 7);
                                                                                               akg-images (S. 8, 12); Photo Ingi Paris / akg-
                                                                                               images (S. 9); Heritage Images / Fine Art Ima-
                                                                                               ges / akg-images (S. 11)
                                                                                               Druck: Eurodruck in der Printarena
                                                                                               Das verwendete Papier ist FSC-zertifiziert und
                                                                                               chlorfrei gebleicht.

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