SINGE UN SINGE LOSSE - Kölsche Heimat

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SINGE UN SINGE LOSSE - Kölsche Heimat
SINGE UN SINGE LOSSE.
SINGE UN SINGE LOSSE - Kölsche Heimat
Liebe Freunde der
kölschen Musikkultur,
mit der siebten Folge unseres Musikprojekts „Kölsche Heimat“ blicken wir zurück und nach vorne,
spielen mit den vielfältigen Formen der höchst faszinierenden Unterhaltungsmusik der „Goldenen
Zwanziger“ des letzten Jahrhunderts und schlagen einen Bogen zu den 20er-Jahren unserer Tage.
Diese spannende Zeitreise zeigt, wie kölsche Unterhaltungskunst mit Krisen umging und -geht.

„Wat nötz die ganze Kümerei“ – Sorgen werden nicht ignoriert, ein Verharren im Kummer aber ist
für die Menschen keine Lösung. Und so sucht man nach vergnüglichen Momenten, die Kraft geben
für einen Aufbruch in eine sichere und unbeschwerte „Normalität“.

Die bisherigen Erfahrungen aus den bedrückenden Monaten der Pandemie und den verheerenden
Folgen des Hochwassers in Teilen unserer Heimat zeigen deutlich, dass wir gemeinsam allem
gewachsen sein können, wenn wir als Gemeinschaft zusammenhalten. Als tief in der Region ver-
wurzeltes Kreditinstitut werden wir mit aller Kraft dazu beitragen, dass das Leben in unserer Region
schnell wieder Fahrt aufnimmt.

Die „Kölsche Heimat“ mag dabei eine kleine musikalische Unterstützung und Aufmunterung sein.

Mir wünsche üch vill Freud!

Kreissparkasse Köln
Der Vorstand
SINGE UN SINGE LOSSE - Kölsche Heimat
Wat nötz die ganze Kümerei?

Die Musik aus den Varietés, Tanzlokalen und Kon-       allem der Karneval – litt bis 1925 unter strengen        Wer auf die „Goldenen Zwanziger“ zurück-        beschwört stets die „Jemötlichkeit“ in Gemein-
zertsälen der „Roaring Twenties“ erlebt ein buntes     Verboten.                                            blickt, tut dies zwangsläufig immer auch im         schaft. Die Sorgen werden nicht ignoriert, aber
Revival. Auch wenn wohl nicht ganz so wild ge-             Nicht alle machten mit beim wilden Aufbruch.     Wissen um das, was in den darauffolgenden           sie mögen bitte draußen bleiben. Die aktuelle
feiert wurde, wie man es sich heute erzählt,           Die Möglichkeiten der Teilhabe waren höchst          Jahrzehnten geschah. Das erscheint unfair. Doch     Krise zu Beginn der 20er Jahre dieses Jahrhun-
war es doch eine faszinierende Zeit des unbe-          ungleich verteilt. Gespalten war die Gesellschaft    eine Würdigung der Kunst geht nicht ohne den        derts lässt das jedoch nicht zu. Die Bekämpfung
schwerten Aufbruchs. Köln war nicht Berlin, doch       auch beim Umgang mit dem, was an kulturellen         für sie verantwortlichen Künstler. Die meisten      der Corona-Pandemie führte zu Kontaktbe-
auch hier pulsierte die kulturelle Vielfalt: Bilden-   Einflüssen von außen kam, vor allem aus Amerika.     passten sich während der Nazi-Diktatur an, um       schränkungen, Abstandsregeln, Ausgangssperren
de Kunst, Architektur, Stadtgestaltung, Literatur,     So positionierte sich der offizielle Karneval in     weiter ihrem Beruf nachgehen zu können. Einige      und Alkoholverboten. An die Stelle des gemein-
Theater, Kabarett und Musik erlebten eine              Abwehrhaltung. Im Volkskarneval, bei seinen          wurden zu offenen Unterstützern des Regimes.        samen Feierns gegen das Ungemach trat die
Blüte. Gastspiele und auch viele persönliche           Lumpenbällen oder im Kneipenkarneval wird            Und viele wurden zu Opfern. Jüdische Unter-         schwer zu vertonende Hoffnung auf eine „neue
Kontakte sorgten zudem für eine lebendige Ver-         das anders gewesen sein. Doch die historischen       haltungskünstler emigrierten oder starben in Ver-   Normalität“.
bindung in die Hauptstadt. Der Rausch, der mit         Zeugnisse sind rar. Der Liedermacher Willi Oster-    nichtungslagern.
der Weltwirtschaftskrise 1929 sein Ende fand,          mann, der vielleicht erste Popstar des Rheinlands,       Die Zeitreise ist auch deshalb so spannend,                                Helmut Frangenberg
war hier noch kürzer als anderswo. Das Rhein-          stand dazwischen, feierte mit bei ausgelassenen      weil sie zu 100 Jahre überspannenden Betrach-
land stand nach dem Ersten Weltkrieg unter             Künstlerbällen, besang aber auch sentimental die     tungen einlädt, wie die Unterhaltungskunst mit
britischer Besatzung. Das kulturelle Leben – vor       alten Zeiten ohne den „fremde Krom“.                 Krisen umging und umgeht. Die kölsche Musik
SINGE UN SINGE LOSSE - Kölsche Heimat
Foto: Valery Kloubert

                                                                                                                                                                                                                                         Foto: The COOL CATS
Kohberg Orchester                                                                                                             Lou‘s THE COOL CATS
Wat nötz die ganze Kümerei                                                                                                    Esu jung wie fröher

Der flotte Marsch über die Sinnlosigkeit von Kü-   unzählige Texte verantwortlich war, ist von den                            In den 1920er-Jahren wird aus Jazz Tanzmusik.        etwa den Boswell Sisters, die wiederum die Vor-
merei aus den 1920er-Jahren passt auch 100         Folgen des Ersten Weltkriegs die Rede. Mit ei-                             Aus Amerika kommen Foxtrott, dann Shimmy und         bilder für die legendären Andrew Sisters waren.
Jahre später noch wie die Faust aufs Auge. Mit     ner neuen Strophe stellt das Kohberg Orchester                             Charleston nach Europa – als Vorboten einer pul-     Die Cool Cats verbinden mit „Esu jung wie frö-
kölscher Leichtigkeit beim Gläschen Wein im        nun den Bezug zu aktuellen Krisenlagen her, ver-                           sierenden Swing-Ära. Auch wenn der offizielle        her“ den Wunsch, ab und zu mal die Zeit zu-
Freundeskreis, dazu ein bisschen Mut, Trotz,       bunden mit der Einsicht, dass Wohlstand nichts                             Karneval damit nichts anfangen konnte, kann          rückdrehen zu können. Während einer Pandemie
Durchhaltewille und Tatendrang – so sollte         wert ist, wenn es nicht gelingt, die Folgen von                            man sicher sein, dass die neue Musik ihren Weg       kann die Erinnerung an frühere Zeiten noch sen-
man mit Krisen umgehen, sang damals August         Pandemie und Klimawandel in den Griff zu be-                               in viele Tanzlokale am Rhein fand. Beliebt ist sie   timentaler, aber - wie hier auch - durchaus trotzig
                 Batzem. In der zweiten Strophe    kommen. Der Apell bleibt der gleiche wie bei                               bis heute. Die Kölner Band The Cool Cats inter-      ausfallen.
                 des Originaltextes von Hubert     Ebeler: „Mer speie en de Häng un bieße op                                  pretiert alte und neue Songs der Popgeschichte
                 Ebeler, der in jener Zeit für     de Zäng!“                                                                  im Stil der mehrstimmigen Vocal-Jazz-Frauentrios,
SINGE UN SINGE LOSSE - Kölsche Heimat
Foto: Marek Ratajczak

                                                                                                                                                                                                                                       Foto: Marek Ratajczak
Ozan Akhan
und das Kohberg Orchester                                                                                                   Guido Cantz
Mer sin vun Köln am Rhing                                                                                                   En hundert Johr

Es gibt wunderbare Lieder aus den 1920er-Jahren,   Sammlerregal. Ganz ohne Pathos, wie man es                               Wenn Guido Cantz mit seinem Kleinkunst-                um eigene Strophen ergänzt. Das Lied spannt mit
die völlig in Vergessenheit gerieten, obwohl sie   sonst beim Lobgesang auf Köln und die Kölner                             Programm unterwegs ist, setzt er sich gelegent-        seinem Blick auf Krisen und Vergänglichkeit einen
das Zeug zum Evergreen hatten. Es mag daran        gewohnt ist, kommt „Mer sin vun Köln am Rhing“                           lich auch singend ans Klavier. Das Kabarett der        Bogen über 100 Jahre und schafft zudem eine
liegen, dass sich nach dem Zweiten Weltkrieg       von Gerhard Ebeler und Fritz Hannemann aus                               1920er-Jahren ist geprägt von dieser Art des Vor-      weitere Verbindung zwischen Köln und Berlin.
keiner darum bemüht hat, sie durch Neuinter-       – eine Traumvorlage für den in Izmir geborenen                           trags. Erfolgreichster seiner Zunft war der Berliner   Reutter war mit Kölner Künstlern befreundet und
pretationen und Neuaufnahmen am Leben zu           kölsche Jung und Stunksitzungs-Liebling Ozan                             Otto Reutter. Dessen Hit „In 50 Jahren ist alles       immer wieder im Rheinland auf Tournee. Es heißt,
erhalten, wie es bei Willi Ostermann geschehen     Akhan. Bernd Paffrath, ehemaliger Weltmeister                            vorbei“ aus dem Jahr 1920 ist die Vorlage für          dass sich Willi Ostermann erst durch seinen Rat-
                 ist. So verstaubte auch dieses    im Solo-Stepptanz aus Leverkusen, liefert sich                           eine kölsche Neuinterpretation mit Hans Fücker         schlag für eine Karriere als köl-
                 ungewöhnliche        Heimatlied   dazu ein Percussion-Duell mit dem Schlagzeuger                           am Piano. Die neue Version basiert auf einem           scher Liedermacher entschied.
                 als Schellack-Schätzchen im       des begleitenden Kohberg-Orchesters.                                     Text des kölschen Autors Robert Pütz, den Cantz
SINGE UN SINGE LOSSE - Kölsche Heimat
Foto: Annett Vauteck

                                                                                                                                                                                                                                             Foto: Gregor Hohenberg
                                                                                                                                  Max Raabe,
Alice Esser                                                                                                                       Christoph Israel
und das Kohberg Orchester
Kölsche Mädcher, kölsche Junge                                                                                                    Weißt du was du kannst

Die Sängerin Alice Esser, Mitglied im Ensemble      Stück einer Frau auf den Leib geschrieben.                                    Ein musikalischer Gruß aus Berlin: Max Raabe        erschaffen, die auch bei vielen Gastspielen in
der Kölner „Immisitzung“, interpretiert zusammen    „Kölsche Mädcher, kölsche Junge“ stammt aus                                   singt – begleitet vom Pianisten Christoph Israel    Köln Begeisterung auslöste. In Köln begann seine
mit dem Kohberg Orchester einen unverwüstli-        der Revue „Der Feldmarschall vum Kümpchenshof“                                – einen Schlager, der in den 1920er-Jahren zum      Verfolgung in der NS-Zeit. Als der offen homo-
chen Evergreen aus dem Jahr 1927. Da er in          mit dem kölschen Superstar Grete Fluss als Haupt-                             Repertoire des Sängers Paul O’Montis gehörte.       sexuell lebende Künstler 1933 die Kabarett-
der Vergangenheit immer wieder von Männern          darstellerin. In Köln füllte sie die Varieté-Theater                          Der in Budapest geborene Varieté- und Kabarett-     festspiele im Kölner Kaiserhof leitete, wurde er
gesungen wurde, geriet sein Ursprung in Verges-     wie das „Groß Köln“ in der Friesenstraße. Bun-                                künstler, der nach dem Ersten Weltkrieg in Berlin   erstmals verhaftet und im Klingelpütz inhaftiert. Er
senheit: Denn eigentlich hatten der Musiker Fritz   desweit wurde „Et Flusse Griet“ als „achtungs-                                seinen Durchbruch feierte, parodierte mit Eleganz   kam frei und floh nach Wien und Prag, wo er
                Hannemann und der deutsch-          gebietendes schweres Geschütz des Frohsinns“                                  und Charme die Welt von Operette und Salon-         erneut verhaftet wurde. Er
                landweit erfolgreiche Varieté-      gefeiert, wie eine Berliner Zeitung schrieb.                                  Orchester-Schlager. Paul Wendel, so sein bürger-    starb 1940 im KZ Sachsen-
                Künstler Engelbert Sassen das                                                                                     licher Name, hatte eine faszinierende Kunstfigur    hausen.
SINGE UN SINGE LOSSE - Kölsche Heimat
Foto: Katharina von der Kall

                                                                                                                                                                                                                                                Foto: Marek Ratajczak
Kasalla                                                                                                                                 Biggi Wanninger
De Wienanz han ‘nen Has‘ em Pott                                                                                                        Woröm solle mer ald en de Heija gon

Willi Ostermann war nicht nur ein zuverlässiger      binden. Eine Alltagsgeschichte wie die von der                                     Ein Schutzmann, der mit dem Zeigefinger zum           dem Jahr 1926 mit einer Musik, die Kölns erster
Hit-Lieferant, der in ganz Deutschland bekannt       verschwundenen Katze der Familie Hövelmann,                                        Feierabend mahnt – bei Willi Ostermann geht es        Superstar wohl weniger mochte. Der Swing,
war. Der 1876 geborene Sänger und Lieder-            aus der bei Wienanz ein falscher Hase wird,                                        weniger um die Überwachung einer nächtlichen          die neue Musik aus Amerika, und die „Dänz
macher war auch für die Entwicklung der rheini-      wurde schnell zum echten Volkslied, dessen                                         Ausgangssperre als um eine fröhliche Feier, die       vun hück“ waren für ihn eher bedauernswerter
schen Festkultur von herausragender Bedeutung:       Refrain fast jeder mitsingen konnte und das auch                                   kein Ende zu finden scheint. Die Polizei soll ein-    „fremde Krom“, wie es in „Och wat wor dat frö-
Ihm gelang es, die oft widerstreitenden Pole des     ohne den Gesang seines Originalinterpreten                                         fach mitfeiern, es gilt, den Augenblick zu genie-     her schön doch en Colonia“ heißt. Ostermanns
kölschen Fastelovends – das bürgerliche, nach        über ein Jahrhundert weiterlebt. Für die „Kölsche                                  ßen – weil: „Jeder es sich em Klore, mer existieere   Skepsis war unbegründet, wie diese Version im
                  Regeln organisierte Fest und die   Heimat“ interpretiert Kölns Erfolgsband Kasalla                                    all nit mieh bestemmp en hundert Johre“. Stunk-       Stile einer Small-Jazz-Band
                  Idee des unangepassten Volks-      „De Wienanz han ‘nen Has‘ em Pott“ in einem                                        sitzungspräsidentin Biggi Wanninger verbindet         belegt.
                  karnevals – miteinander zu ver-    ganz eigenen, überraschenden Stil neu.                                             den unverwüstlichen Ostermann-Klassiker aus
SINGE UN SINGE LOSSE - Kölsche Heimat
Foto: Helmut Frangenberg

                                                                                                                                                                                                                                            Foto: Marek Ratajczak
Thomas Cüpper                                                                                                                     Michael Kuhl
und das Kohberg Orchester
                                                                                                                                  Leeven Pitter
Künnte mer nit e Milliönche han

                                                                                                                                  Als der Decke Pitter im November 1924 in              Michael Kuhls Zeitreise darf der Decke Pitter
Mit weißer Weste und Zylinder über den tape-       erste Veröffentlichung von „Künnte mer nit e Mil-                              Köln eintraf, war das mehr als ein Spektakel          selber mitspielen und sein tiefes „C“ erklingen
zierten Neumarkt und die mit Schokolade la-        liönche han“ geht zurück auf die kölsche Adap-                                 mit 20.000 begeisterten Kölnerinnen und Köl-          lassen. Musikalisch versetzt der Sänger und Trom-
ckierte Hohe Straße – was könnte man alles tun,    tion einer Revue von Otto Reutter zur Zeit des                                 nern. Die Petersglocke war auch ein stolzes Sym-      peter den 24.000 Kilo schweren Kollegen nach
wenn man ein „Milliönche“ übrig hätte. „Klimper-   Ersten Weltkriegs. Aus „Berlin im Krieg“ wurde                                 bol. Fast ein Jahrhundert lang blieb sie die größte   New Orleans. Der Oldtime Jazz, wie man ihn
männchen“ Thomas Cüpper, dessen Stimme der         im Kölner Metropol-Theater „Köln im Krieg“. Die                                frei schwingende Glocke der Welt. Eigentlich          noch heute in der „Wiege des Jazz“ im Süden
von Willi Ostermann so ähnlich ist, nimmt sich     weniger lustige vierte Strophe, in der Ostermann                               sollte der Metallriese schon im Frühjahr 1923 in      der USA hört, war der Vorläufer für die Tanzmu-
                 zusammen mit dem Kohberg          das „Milliönche“ für eine weitere Kriegsanleihe                                Köln sein. Doch da befürchtete man noch, dass         sik, die ab Mitte der 1920er-
                 Orchester eines eher unbekann-    ausgeben wollte, ließ man in den Jahren nach                                   die Glocke von den Besatzungstruppen als Re-          Jahre nach Europa kam.
                 ten Stücks des Meisters an. Die   dem Krieg unter den Tisch fallen.                                              parationsgut beschlagnahmt werden könnte. Bei
SINGE UN SINGE LOSSE - Kölsche Heimat
Foto: Dirk Behlau
                                                                                                        Katie &
Alfred Heinen                                                                                           the Swing Aces
Trink ich am Rhein ein Gläschen Wein
                                                                                                        Explodeere

Der gebürtige Mönchengladbacher Alfred Heinen        die „Kölsche Heimat“ an einen vergessenen
kam als Schauspieler 1900 nach Köln und              Unterhaltungskünstler. Sein Stimmungslied voller   In Zeiten der Pandemie und der Maßnahmen, mit      vergangenen Jahrhunderts vor Augen, wo in gro-
machte sich schnell auch außerhalb des Rhein-        geliebter Klischees von Heimat, Rhein, Wein        denen man glaubt, sie bekämpfen zu können, ist     ßen Tanzlokalen der Charleston für Begeisterung
lands einen Namen als Varieté-Künstler. Im           und „blonden Mägdelein“ ist ein herrliches         die Vorstellung von einem großen gemeinsamen       sorgte. Die Tänzerin Josephine Baker hatte den
Schwerthof am Neumarkt betrieb er zudem eine         Schellack-Zeitdokument mit Anspielungen auf        Fest zu einem fernen Wunsch geworden. Man          nach einer Hafenstadt in South Carolina benann-
„Künstlerklause“. Trotz seines Erfolgs gibt es nur   den Box-Champion Max Schmeling oder wenig          würde gerne vor Lust und Freude „explodeere“.      ten Modetanz mit Auftritten in Paris und Berlin
sehr wenige Zeugnisse seines Schaffens – die         geschätzte „Völkerbund-Debatten“. Zeilen wie       Doch wird es wieder so sein, wie es einmal war?    nach Europa gebracht. Die Swing Aces um die
Nazi-Diktatur hat sie wie im Falle vieler anderer    „Ich pfeif‘ auf die Sorgen“ wirken im Rückblick    Von so einem Abend in einem Club, in dem das       Sängerin Kristina Kruttke machen sonst englisch-
                 jüdischer Künstler ausradiert.      bedrückend, wenn man weiß, dass Heinen, der        Gedränge und die Feierlust so groß sind, dass es   sprachige Swingmusik in der
                 Mit dieser Originalaufnahme         eigentlich Levy hieß, 1943 von den Nazis im        von der Decke tropft, singen Katie & the Swing     Tradition der sogenannten
                 aus dem Jahr 1929 erinnert          Vernichtungslager Sobibor umgebracht wurde.        Aces – dabei das Bild der Roaring Twenties des     Small-Jazz-Bands.
SINGE UN SINGE LOSSE - Kölsche Heimat
Foto: Oebel

                                                                                                                                                                                                                                 Foto: Marek Ratajczak
Philipp Oebel                                                                                                             Kätt un Fründe
Uns Stroßemusikante                                                                                                       Saht, hatt ehr ald geho‘t vum Schmitze Nett?

Man weiß wenig über die Straßenmusik aus den         Schrubber Walzer, der Schneider näht doppelt                         Katja Lavassas und die Hänneschen-Band inter-      und Rufmord. Die lästernden Denunziantinnen
1920er-Jahre. Die Geschichte der legendären          so schnell und das Baby strampelt vor Freude in                      pretieren ein völlig unbekanntes Lied von Hubert   liegen falsch mit ihren Vermutungen. Annette
Vier Botze beginnt erst 1933, und so ist wenig       der Wiege, wenn „Orgels- un Tröötemann“ oder                         Ebeler und August Batzem, von dem lediglich        Schmitz hat keine Zeit für Liebschaften, weil sie
überliefert über die Kunst der kölschen Straßen-     gar eine Jazzband um die Ecke kommen. In jeder                       eine strophenlose Tanzorchester-Version in einem   Geld verdienen muss. Für die von Marsch und
sänger in der Zeit davor. Insofern ist der liebe-    Straße von früh bis spät muss „Musik en de Stadt“                    Sammlerregal überliefert ist. Die nun im Archiv    Walzer geprägte kölsche Musik war das Lied
volle Text von Hubert Ebeler aus dem Jahr 1932       gewesen sein. Der Sänger Philipp Oebel, der                          zutage geförderten Strophentexte sorgten für       schon damals ungewöhnlich. Katja Lavassas
eine der aussagekräftigsten Quellen über das         sich der langen Tradition der Kölner Straßensän-                     eine Überraschung, denn die Geschichte vom         geht noch einen Schritt weiter, indem sie aus
                 musikalische Treiben jenseits der   ger verpflichtet fühlt, interpretiert die feine Hom-                 Liebesleben der Schmitze Nett, die neben einem     zwei Strophen einen Rap macht.
                 Bühnen, Tanzlokale und Ball-        mage an ein besonderes Phänomen rheinischer                          Kavalöres auch noch ein Fisternöll haben soll,
                 säle. Die Putzfrau tanzt mit dem    Musikkultur.                                                         entpuppt sich als Anklage von übler Nachrede
Foto: Costa Belibasakis

                                                                                                                                                                                                                                          Foto: Valery Kloubert
Alte Bekannte                                                                                                                  Kohberg Orchester
Nur noch ein paar Schritte                                                                                                     Woröm si’mer dann nit immer su gemütlich wie hück?

„Zugesperrt, die Lichter aus. Banger Blick auf     gelten. Es blieb die Hoffnung, dass irgendwann                              Der Marsch aus dem Jahr 1928 – erstmals in Stu-        Jahre viele Auseinandersetzungen mit dem
nackte Zahlen.“ Die Band Alte Bekannte be-         „das Leben“ zurückkehrt. Der Beitrag der Kölner                             dioqualität vom Kohberg Orchester aufgenom-            damaligen Oberbürgermeister Konrad Adenauer
schreibt die Zeit der Pandemie mit all ihren       A-capella-Band, die sich 2017 als Nachfolgerin                              men – ist ein schönes Beispiel für die Verbindung      ausgefochten hat. Der Text stammt von Franz
Unsicherheiten, Widersprüchen und Zweifeln:        der Wise Guys formierte, ist auch eine Reminis-                             von aktuellen Bezügen mit dem alle Krisen über-        Chorus, dem Literaten der Großen Karnevals-
„Welches Mittel heilt den Zweck?“ Es ist nicht     zenz an die erste große „Boygroup“, die den                                 dauernden Appell, mal die Sorgen zu vergessen          Gesellschaft – ein Beispiel dafür, warum die Pro-
vielen Unterhaltungskünstlern etwas Geistreiches   mehrstimmigen Gesang ohne Begleitung in                                     und den Augenblick zu genießen. So findet man          grammverantwortlichen früher zu Recht die Be-
zur Pandemie eingefallen. Das typisch kölsche      Deutschland zu großem Publikumserfolg führte:                               gar ein „Henriettche“, das sich im Stadtrat mit        zeichnung „Literaten“ trugen. Die Musik stammt
Rezept, durch gemeinsames Feiern die Sorgen        1928 begann der Aufstieg der legendären                                     „Kunrad“ streitet. Das ist keine aktuelle Da capo      vom in Köln geborenen Wahlberliner Emil Palm.
                 weg zu schunkeln, konnte nicht    Comedian Harmonists. Ein Jahr später sangen                                 Strophe für die Kölner Oberbürgermeisterin. Ge-
                 wirken, wenn Abstandsregeln       sie erstmals in Köln.                                                       meint ist vielmehr die streitbare linke Frauenrecht-
                 und     Kontaktbeschränkungen                                                                                 lerin Henriette Ackermann, die in den 1920er-
Wat nötz die ganze Kümerei – Kohberg Orchester – Musik: Heinrich Frantzen; Text: Hubert Eberle (es handelt sich um Hubert
                                                                                                        Ebeler, beim Verlag und der Gema ist er offensichtlich mit falscher Schreibweise registriert), neue Strophe: Norbert Schumacher,
                                                                                                        Thomas Gebhardt; Verlag: Gerdes Musikverlag, Musikverlage Gerig KG; Arrangement: Olav Calbow; Produktion: Dieter
                                                                                                        Kirchenbauer, Olav Calbow || Esu jung wie fröher – Lou‘s THE COOL CATS – Musik: Claus Hesse, Till Kersting; Text: Claus
                                                                                                        Hesse, Peggy Sugarhill; Verlag: Manuskript; Mix: Salz Music; Produktion: Renaissance Studio Cologne || Mer sin vun Köln
                                                                                                        am Rhing – Ozan Akhan und das Kohberg Orchester – Musik: Fritz Hannemann; Text: Gerhard Ebeler; Verlag: P. J. Tonger
                                                                                                        Musikverlag KG; Arrangement: Olav Calbow, Thomas Gebhardt; Produktion: Dieter Kirchenbauer, Olav Calbow; Stepptanz:
                                                                                                        Bernd Paffrath || En hundert Johr – Guido Cantz – Musik: Otto Reutter, Hans Fücker; Text: Robert Pütz, Guido Cantz; Original-
                                                                                                        text: Otto Reutter („In 50 Jahren ist alles vorbei“); Verlag: Bergwald-Verlag Walter Paul E.K.; Aufnahme: Ulf Stricker; Klavier:
                                                                                                        Hans Fücker; Produzent: Hans Fücker || Kölsche Mädcher, kölsche Junge – Alice Esser und das Kohberg Orchester – Musik:
                                                                                                        Fritz Hannemann; Text: Engelbert Sassen; Verlag: P. J. Tonger Musikverlag KG; Arrangement: Olav Calbow; Produktion:
                                                                                                        Dieter Kirchenbauer, Olav Calbow || Weißt du was du kannst – Max Raabe, Christoph Israel – Musik: Austin Egen, Walter
                                                                                                        Jurmann; Text: Fritz Rotter; Verlag: Bosworth Music GmbH || De Wienanz han ‘nen Has‘ em Pott – Kasalla – Musik und Text:
                                                                                                        Willi Ostermann; Verlag: Willi-Ostermann-Verlag; neues Arrangement: Kasalla; aufgenommen von Matthias Gamm und Flo Peil,
                                                                                                        Maarwegstudio 2/Tinseltown Music Studios; Mix: Dan Stone; Produktion: Flo Peil || Woröm solle mer ald en de Heija gon
                                                                                                        – Biggi Wanninger – Musik und Text: Willi Ostermann; Verlag: Willi Ostermann-Verlag; Produktion: Friso Lücht; beteiligte
                                                                                                        Musiker: Heiner Wiberny (Saxofon), Friso Lücht (Bass, Klavier, Schlagzeug) || Künnte mer nit e Milliönche han – Thomas

Gerhard Ebeler
                                                                                                        Cüpper und das Kohberg Orchester – Musik und Text: Willi Ostermann; Verlag: Willi Ostermann-Verlag; Arrangement: Olav
                                                                                                        Calbow; Produktion: Dieter Kirchenbauer, Olav Calbow || Leeven Pitter – Michael Kuhl – Musik und Text: Michael Kuhl;
                                                                                                        Verlag: Manuskript; Produktion: Michael Kuhl; beteiligte Musiker: Frank Buohler (Klavier), Ulf Stricker (Schlagzeug), Richard
                                                                                                        Hellenthal (Sousafon), Jörg P. Weber (Gitarre), Engelbert Wrobel (Klarinette) || Trink ich am Rhein ein Gläschen Wein – Alfred
                                                                                                        Heinen – Musik und Text: Franz Straßmann; Originalaufnahme aus dem Jahr 1929; Verlag: Hans Gerig Musikverlage KG ||
                                                                                                        Explodeere – Katie & the Swing Aces – Musik und Text: Martell Beigang, Kristina Kruttke; Verlag: Manuskript; Produktion:
                                                                                                        Martell Beigang || Uns Stroßemusikante – Philipp Oebel – Musik: August Batzem; Text: Hubert Ebeler; Verlag: Manuskript;
Kölle, ming Heimat am herrlichen Rhing
                                                                                                        Produktion: Ralf Hahn, Volker Dahmen, Philipp Oebel; beteiligte Musiker: Ralf Hahn (Bass, Ukulele, Gesang), Volker Dahmen
                                                                                                        (Akkordeon, Gesang) || Saht, hatt ehr ald geho‘t vum Schmitze Nett? – Kätt un Fründe – Musik: August Batzem; Text: Hubert
                                                                                                        Ebeler; Verlag: P. J. Tonger Musikverlag KG; Aufnahme: Daniel Zimmermann; Produktion: Katja Lavassas, Daniel Zimmermann;
Neben Willi Ostermann ist Gerhard Ebeler             ab 1913 schrieb er Texte für kölsche Revuen.       beteiligte Musiker: Jura Wajda (Piano, Keyboard, Arrangement), Benedikt Hesse (Schlagzeug), Gregor Lindemann (Bass),
                                                                                                        Stefan Mertens (Mandoline, Ukulele, Gitarre) || Nur noch ein paar Schritte – Alte Bekannte – Musik und Text: Daniel „Dän“
(1877 – 1956) wohl der wichtigste Interpret und      Er sang hochdeutsche und kölsche Lieder und        Dickopf; Verlag: meinsongbook Verlag GbR; Produktion: Ingo Wolfgarten || Woröm si’mer dann nit immer su gemütlich wie
Texter der kölsch-karnevalistischen Szene der        verstand es, ähnlich wie Ostermann, aus hei-       hück? – Kohberg Orchester – Musik: Emil Palm; Text: Franz Chorus; Verlag: Gerdes Musikverlag, Musikverlage Gerig KG;
Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg. Zusammen mit         teren Alltagsgeschichten und zeitgeschichtlichen   Arrangement: Olav Calbow, Thomas Gebhardt; Produktion: Dieter Kirchenbauer, Olav Calbow || Kölle, ming Heimat am
den Komponisten Fritz Hannemann und später           Ereignissen Lieder zu machen. Das für die          herrlichen Rhing – Gerhard Ebeler – Musik: Fritz Hannemann; Text: Christian Witt; Originalaufnahme aus dem Jahr 1928

Hans Otten galt er als sicherer Hit-Lieferant. Das   1920er-Jahre musikalisch eher ungewöhnliche
Lied „Du kannst nicht treu sein“ von 1935 wurde      Heimatlied, das die „Kölsche Heimat“ hier als
durch seine englische Übersetzung zum wahr-          Originalaufnahme präsentiert, hat der damalige     Alle Titel (P) 2021 Kreissparkasse Köln, außer „Weißt du was du kannst“ (P) 2010 Palast Musik GmbH, under exclusive
                                                                                                        license to Universal Music Classics & Jazz – a division of Universal Musik GmbH. Mit freundlicher Genehmigung von
             scheinlich einzigen echten Welthit      Vorsitzende der Roten Funken, Christian Witt,
                                                                                                        Deutsche Grammophon Gesellschaft MBH, a Division of Universal Music GmbH
             aus Köln. Sein Debüt im Karneval        für Ebeler getextet.
             gab er 1900 als Büttenredner,                                                              Künstlerische Leitung: Helmut Frangenberg, Fotos Cover: Marek Ratajczak, Designed: www.heynink.com
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