SWR2 Musikstunde Extra mit Thomas Hampson - Das Lied als Spiegel seiner Zeit Teil IX - Die neue Weltordnung

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SWR2 MANUSKRIPT

SWR2 Musikstunde Extra mit
Thomas Hampson
Das Lied als Spiegel seiner Zeit
Teil IX - Die neue Weltordnung

Autor: Jeff Lunden
Übersetzung: Katharina Eickhoff

Sendung:    27. Januar 2022 (Erstsendung 28. Juni 2018)
Redaktion: Dr. Bettina Winkler
Produktion: SWR 2018

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SWR2 Musikstunde Extra mit Thomas Hampson
18. Juni – 29. Juni 2018
Autor: Michael Haas
Übersetzung: Katharina Eickhoff

Hallo, ich bin Thomas Hampson, und wir sind diese Woche noch zwei mal auf den
Spuren des „Lieds als Spiegel seiner Zeit“ hier in der Musikstunde, - wir betrachten die
Geschichte mit den Augen der Dichter und hören sie mit den Ohren der Komponisten.

„Die neue Weltordnung“, - so heißt unsere Sendung heute, und wir hören
Lieder der Leidenschaft, Lieder der Trauer, satirische Lieder und ehrliche
Lieder...allesamt entstanden in jener kreativen Explosion, die auf den Zweiten
Weltkrieg folgt.

Für uns heute ist es inzwischen schwer vorstellbar, wie sich eine Welt anfühlt, die sich
im „Totalen Krieg“ befindet. Aber an dem weltweiten Inferno des Zweiten Weltkriegs
waren alle Großmächte beteiligt, und es sind über sechzig Millionen Menschen darin
umgekommen, darunter zig Millionen Zivilisten.
Als dann der Krieg zwischen den Alliierten und den Achsenmächten endlich zu Ende
ist, verschieben sich die politischen Allianzen:
Zwar werden in New York auf die Initiative von Franklin D. Roosevelt die Vereinten
Nationen gegründet, die den Weltfrieden von jetzt an bewahren sollen. Aber das kann
nicht verhindern, dass die USA und die Sowjetunion, eben noch Verbündete im Kampf
gegen Hitler, in den Kalten Krieg schlittern. Die Bomben auf Hiroshima und Nagasaki
fallen, und wieder bedroht man einander mit dem Tod...

Death, be not proud, though some have callèd thee
Mighty and dreadful, for thou art not so;
For those whom thou think'st thou dost overthrow
Die not, poor death, nor yet canst thou kill me.

Die, von denen Du glaubst, dass Du sie besiegst, armer Tod: sie sterben nicht, und
auch mich kannst Du nicht töten....Der englische Dichter John Donne hat im frühen 17.
Jahrhundert in seinen „Holy Sonnets“ gegen die Macht des Todes angeschrieben –
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und es ist kein Zufall, dass Benjamin Britten im Herbst des Jahres 1945 nach diesen
Texten gegriffen hat.

Er kommt da gerade aus Deutschland, dort hat er Yehudi Menuhin als Pianist begleitet,
auf einer dieser bemerkenswerten Konzerttouren, bei denen Menuhin, der Jude, in
Deutschland für das Verzeihen und Versöhnen der Welt gegenüber den Deutschen
geworben     hat...Britten   und   Menuhin     haben   für   die   Überlebenden   der
Konzentrationslager gespielt, sie haben ausgezehrte, erschütterte Menschen vor sich
gehabt, sie haben die Erzählungen dieser Leute gehört – und sie haben Bergen-
Belsen und Buchenwald gesehen.

Britten hat kein Wort über die Tage in Deutschland verloren, als er nach England
zurückgekommen ist. Aber er hat komponiert.
Sein Lebensgefährte Peter Pears hat später gesagt, Brittens „Holy Sonnets of John
Donne“ seien eine „instinktive Antwort auf Buchenwald aus East Anglia“.

Musik 1
Benjamin Britten: Death be not proud
Ian Bostridge (Tenor), Graham Johnson (Klavier)
Hyperion 66823, 3’49

.... Ian Bostridge, begleitet von Graham Johnson, mit Benjamin Brittens Vertonung von
John Donnes Sonett „Death be not proud“.

Kurz bevor der Zweite Weltkrieg endet, stirbt Präsident Franklin Delano Roosevelt –
ein Schlag für Amerika und die ganze Welt.
Paul Hindemith, der 1940 in die Vereinigten Staaten emigriert ist, bekommt den Auftrag
für ein Requiem auf Roosevelt.
So entsteht „When Lilacs last in the dooryard bloom’d“, auf Verse von Amerikas
großem Dichter Walt Whitman. Das Requiem, sagt Hindemith, drückt seine
Dankbarkeit Amerika gegenüber aus, und ist zugleich eine Reaktion auf den Horror
des Holocaust. Das hier ist der fünfte Satz:
„Sing on there in the swamp“, in der Fassung mit Klavierbegleitung.

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Musik 2
M0483938-011, 2'11
Hindemith, Paul; Whitman, Walt: Sing on there in the swamp Lied für Bariton und
Klavier Hampson, Thomas; Rutenberg, Craig

„Sing on there in the swamp“ – ein Stück aus Paul Hindemiths Requiem für President
Roosevelt „When lilacs last at the dooryard bloom’d“.
Ich habe gesungen, Craig Rutenberg saß am Klavier.

Nicht alle Künstler haben sich dem Krieg so direkt gestellt wie Britten und Hindemith.
Manche haben nostalgisch zurückgeblickt in bessere Zeiten, mit Zitaten aus der
Volksmusik oder ihrer eigenen Version von Folklore. Einer von ihnen war der
Amerikaner Paul Bowles.
Der hatte übrigens eine persönliche Verbindung zu Benjamin Britten: 1941 leben er
und seine Frau Jane mit Britten und seinem Freund Peter Pears in Brooklyn unter
einem Dach. Mit zu dieser sehr originellen WG in einem jener typischen Klinker-Häuser
Brooklyns gehörten auch der britische Dichter W.H. Auden und die Striptease-
Künstlerin Gipsy Rose Lee...

Paul Bowles war ein Tausendsassa – hier in Europa ist er bekannter als Autor des
Romans „Der Himmel über der Wüste“, in den USA in den vierziger Jahren war Bowles
aber vor allem als Komponist. In dieser Zeit hat er zum Beispiel die Bühnenmusik für
„Die Glasmenagerie“ geschrieben, den ersten Broadway-Triumph von Tennessee
Williams. Wenig später haben die beiden nochmal zusammengearbeitet – heraus kam
der Liederzyklus „Blue Mountain Ballads“.
Die Stücke sind keine Volkslieder, klingen aber so: „Heavenly Grass“ ist der erste Song
im Zyklus.

Musik 3
M0439738-017, 2'11
Bowles, Paul; Williams, Tennessee: Heavenly grass, aus: Blue mountain ballads. Für
Singstimme und Klavier , Hampson, Thomas; Rieger, Wolfram

                                                                                     4
..... Klingt wie ein Folksong, ist aber keiner: „Heavenly Grass“ aus den „Blue Mountain
Ballads“ - Ich selbst habe da gesungen, begleitet von Wolfram Rieger.

In den Jahren nach dem Krieg haben sowohl Benjamin Britten als auch Aaron Copland
auch echte Folk Songs bearbeitet oder auf ihre Weise aktualisiert. Tatsächlich ist es
der Brite Benjamin Britten, der dem in Brooklyn geborenen Copland vorschlägt, eine
Sammlung solcher Folk Songs für sein Festival in Aldeburgh an der englischen
Ostküste zu bearbeiten.
Coplands Karriere in den USA hat mit ziemlich stacheliger moderner Musik begonnen.
Aber Copland hat dann später seinen ganz eigenen, sehr amerikanischen Stil
entwickelt, mit offenen Intervallen und diesem optimistischen Grundton, und seine
Musik aus den Jahren des Kriegs zitiert immer wieder echte amerikanische Folk-
Melodien.
Zum Beispiel seine zwei großen Ballette aus dieser Zeit, „Rodeo“ und „Appalachian
Spring“, für das er den Pulitzerpreis bekommt.
Neunzehn-hundert-achtzig/1980 hat der dann achtzigjährige Copland dem National
Public Radio ein Interview über seine Arbeit gegeben, und darin erklärt er, dass
„einfache“ Musik zu schreiben gar nicht so einfach ist:

O-Ton Copland :
„Nun, es ist faszinierend, mit Folk-Material zu arbeiten, weil es einen zur Einfachheit
zwingt. Man will es nicht aufhübschen oder zu etwas machen, das es gar nicht sein
will, also ist es eine echte Herausforderung, zu schauen, wie interessant man als
Kompinist noch sein kann, in so einem relativ eingeengtem Rahmen...“.

Zu dem von Copland bearbeiteten Folk-Material gehört auch der Shaker-Song „Simple
Gifts“ – die Shaker waren eine puritanisch grundierte Sekte mit Standorten an der
Ostküste, und der Text von „Simple Gifts“ handelt davon, dass nur die Shaker-Art zu
beten, nämlich mit Tanzen, Schütteln, beugen und sich-Drehen, die Gläubigen an
ihren Platz in der Welt stellen wird. Der Gemeindeälteste Joseph Brackett, geboren
Ende des achtzehnten Jahrhunderts, hat das Lied gedichtet und soll es, so sagen
Zeugen, „mit fliegenden Rockschößen“ gesungen und getanzt haben...
Hier ist der Komponist Aaron Copland selbst am Klavier, zusammen mit William
Warfield, der die Folk Songs in den USA erstaufgeführt hat.

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Musik 4
[RBB] 9914144-015, 1'35
Copland, Aaron Nr. 4: Simple gifts aus: Old American songs. Set 1 Warfield, William;
Copland, Aaron

Das Shaker-Lied „Simple Gifts“, in der Fassung von Aaron Copland.
Die Melodie dieses Lieds ist in Amerika sehr berühmt, vor allem, seit Aaron Copland
sie seinem Ballett „Appalachian Spring“ einverleibt hat.

Die Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg waren ein Segen und eine unerwartete
Blütezeit für das amerikanische Lied – Komponisten konnten inzwischen auf eine
enorme Fülle von amerikanischer Dichtung zurückgreifen.

John Duke ist – zumindest in Europa – kaum bekannt, aber er hat mehr als
zweihundert-fünfzig Lieder geschrieben, derweil er ziemlich zurückgezogen als
Musikprofessor am Smith College in Massachusetts gearbeitet hat.
1948 veröffentlicht er seine Kompositionen von Gedichten Edwin Arlington Robinsons
– Robinson war Duke in der MacDowell Colony über den Weg gelaufen, einer vom
Komponisten Edward MacDowell gegründeten Künstlerkolonie in New Hampshire.

Es war eine Freude, diese Songs über die Jahre in mein Repertoire einzubauen...das
hier ist John Dukes Vertonung von „Richard Cory“, einem in den USA ziemlich
berühmten Gedicht, das von der Wirtschaftskrise 1893 inspiriert ist.

Musik 5
John Duke: Richard Cory
Thomas Hampson (Bariton), Craig Rutenberg (Klavier)
Thomas Hampson Media (THM) 5432, 2’42

Richard Cory – John Dukes Vertonung eines Gedichts von Edward Arlington
Robinson, das auch diverse andere Komponisten inspirier hat, Sie kennen vielleicht,
nur zum Beispiel, den Song „Richard Cory“ von Simon and Garfunkel...Ich habe
gesungen, begleitet von Craig Rutenberg.

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Eine Dichterin, für die sich viele amerikanische Komponisten begeistert haben – und
bis heute begeistern – war Emily Dickinson.
Emily Dickinson, die in ihrem dreiundzwanzigsten Lebensjahr beschlossen hat, sich
ins Haus ihrer Eltern in Amherst, Massachusetts, zurückzuziehen, nur noch weiße
Kleider zu tragen, und mit dem Rest der Welt nur noch in Briefen Umgang zu pflegen.
In den dreiunddreissig Jahren, die sie so gelebt hat, hat Emily Dickinson fast
zweitausend! Gedichte geschrieben, deren poetische Bilder die moderne Lyrik
revolutioniert haben.
Arthur Farwell, Komponist und amerikanisches Original, der in einigen seiner
Kompsitionen auch Indianerlieder verarbeitet, Arthur Farwell also hat über die Jahre
neununddreißig Dickinson-Gedichte vertont. Hier ist sein ganz kurzes „Wild nights!
Wild nights!“

Musik 6
[DRadio] 6011858-009, 0'33
Farwell, Arthur; Dickinson, Emily Wild nights! Lied Haymon, Cynthia; Jones, Warren

Cynthia Harmon, zusammen mit Warren Jones am Klavier, mit „Wild Nights! Wild
Nights!“ – Verse von Emily Dickinson, komponiert von Arthur Farwell.

In einem vollkommen anderen Tonfall hat Aaron Copland eines von Dickinsons
bekanntesten Gedichten vertont: „The chariot“, in dem die Dichterin sich in einem
Pferdekarren zusammen mit dem Tod in Richtung Ewigkeit fahren sieht: „Because I
could not stop for death, he kindly stopped for me“, so fängt es an.

Copland schreibt in seinen Memoiren: „Ursprünglich hatte ich gar nicht vor, einen
Liederzyklus über Gedichte von Emily Dickinson zu schreiben.
Ich verliebte mich in ein Gedicht, „The chariot“ – seine ersten Zeilen haben mich
komplett umgehauen. Die Vorstellung von diesem völlig unbekannten Mädchen in
Massachusetts, das sich selbst in Richtung Unsterblichkeit davonreiten sieht,
zusammen mit dem Tod persönlich –
Das war einfach unglaublich! Ich habe mehr von Emily Dickinson gelesen, und je mehr
ich las, desto mehr haben mich ihre Verletzlichkeit und ihre Einsamkeit berührt. Ich
fand noch ein Gedicht, das ich komponieren wollte, und noch eins, und noch eins...“.

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Das hier ist die legendäre amerikanische Liedsängerin Phyllis Curtin, begleitet am
Klavier von Aaron Copland selbst, mit „The Chariot“ –
Eine Live-Aufnahme von 1971.

Musik 7
Aaron Copland: The Chariot
Phyllis Curtin (Sopran), Aaron Copland (Klavier)
VAI 1194, 2’57

„The Chariot“, Verse von Emily Dickinson, Musik von Aaron Copland, der begleitete
hier in dieser Aufnahme die Sopranistin Phyllis Curtin.

Ich bin Thomas Hampson, und Sie hören die neunte Folge der Musikstundenreihe
„Das Lied als Spiegel seiner Zeit“ – „Die neue Weltordnung“, so ist unsere Überschrift
heute, es geht um Lieder, die in den eineinhalb Jahrzehnten nach dem Zweiten
Weltkrieg entstanden sind.

Der Amerikaner Samuel Barber war schon vor dem Zweiten Weltkrieg sehr bekannt
als Komponist. Sein „Knoxville, Summer of 1915“, ein Orchester-Lied auf einen Text
von James Agee, war ein Auftragswerk für die Sopranistin Eleanor Steber. 1948 haben
sie und das Boston Symphony unter Leitung von Serge Koussevitzky das Stück
uraufgeführt – ein idyllischer Blick auf das Leben in den Südstaaten...

Musik 8
[BR] CD215040Z00-015, 16'18
Barber, Samuel; Agee, James Knoxville: Summer of 1915 für Sopran und Orchester,
op. 24 Price, Leontyne; New Philharmonia Orchestra, London; Schippers, Thomas

Samuel Barbers „Knoxville, Summer of 1915“ ist eines der beliebtesten Barber-Werke
geblieben - so wie auch die „Hermit Songs“, ein zehnteiliger Liedzyklus, den Barber im
Jahr neunzehn-hundert-drei-und-fünfzig/1953 für Leontyne Price komponierte.

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Die Verse bestehen aus Übertragungen von Gedichten, die irische Mönche und
Gelehrte zwischen dem achten und dem dreizehnten Jahrhundert geschrieben haben.
Barbers Kompositionen flossen auch nach neunzehnhundert-fünfundvierzig/1945 über
vor Melodie, aber die meiste Nachkriegsmusik – vor allem die aus den akademischen
Institutionen – konzentrierte sich auf die Atonalität, genauer: die serielle Musik.
Zunächst mal forschten viele auf dem Weg weiter, den Arnold Schönberg im frühen
zwanzigsten Jahrhundert mit seiner Zwölfton-Musik vorgezeichnet hatte.
Musik ausserhalb eines tonalen Systems zu komponieren, das war auch als Anklage
gemeint, als Protest gegen das, was Theodor Adorno die „Kulturindustrie“ genannt hat:
massenproduzierte Unterhaltung und Propaganda, die Adorno beide für mitschuldig
am Grauen des Zweiten Weltkriegs und dem Aufstieg der Nazis hielt.

Ein Komponist, der erst nach dem Krieg ins Blickfeld kam, hat die serielle Musik total
abgelehnt: Ned Rorem. Rorem, geboren in Indiana, aufgewachsen in Chicago, hat am
Curtis Institute in Philadelphia und an der Juilliard School studiert. In einem Interview
erklärt er, dass ihn die Serialisten nie interessiert haben:

O-Ton Rorem:
(overvoiced)
„Als die ‚Serienkiller’ daherkamen, sind eine Menge sehr tonale Komponisten ins
andere Lager übergelaufen und schrieben, wie man eben so schrieb in diesen Tagen
– manche tun das bis heute, aber manche sind wieder desertiert und kamen zurück.
Ich fühlte mich wie der ältere Bruder des verlorenen Sohns: Ich war immer ein guter
Junge geblieben...“.

Rorem wurde zu einem der zentralen Liedkomponisten Amerikas. Hier kommt seine
frühe Vertonung eines Robert-Frost-Gedichts, das den Amerikanern schon gut
bekannt war: „Stopping by woods on a snowy evening“.

Musik 9
1994498-028, 3’30
Rorem, Ned; Frost, Robert        Stopping by woods on a snowy evening Lied für
Singstimme und Klavier Graham, Susan; Martineau, Malcolm

                                                                                       9
Susan Graham und Malcom Martineau mit Ned Rorems „Stopping by woods on a
snowy evening“ nach Versen von Robert Frost.

Es gibt viele Vertonungen dieses in Amerika vielgeliebten Gedichts, -zum Beispiel
auch von der schwarzen Komponistin Margaret Bonds, die wie Rorem in Chicago
aufgewachsen ist und in Juilliard studiert hat.
Margaret Bonds, geboren 1913, hat in Harlem ihre eigene Kammermusik-Gesellschaft
gegründet, um dort die Musik anderer schwarzer Komponisten zur Aufführung zu
bringen.
Das hier ist ihre – sehr lyrische – Version von Frosts Gedicht:

Musik 10
Margaret Bonds: Stopping by woods
Louise Toppin (Sopran), Vivan Taylor (Klavier)
Videmus Records VIS 735, 3’03

Die Sopranistin Louise Toppin, mit Vivian Taylor am Klavier, mit Margaret Bonds’
Vertonung von „Stopping by woods on a snowy evening“ von Robert Frost.
Margaret Bonds hat auch viel mit Langston Hughes gearbeitet, der in den USA als der
„Poeta laureatus“ der Harlem Renaissance gilt.
Diese schwarze Kulturbewegung ist in den zwanziger und dreißiger Jahren des
zwanzigsten Jahrhunderts in Uptown New York entstanden, also dort, wo traditionell
New Yorks farbige Communities lebten.

Und Langston Hughes - auch er hatte afroamerikanische Wurzeln - wurde ihr
poetischer Wortführer, seine Gedichte haben Dutzende von Komponisten inspiriert.
Und in seiner Zusammenarbeit mit Kurt Weill hat Hughes dann nach dem Krieg mit
„Street Scene“ eine afroamerikanische Oper an den Broadway gebracht. Im Jahr 1961,
als die Bürgerrechtsbewegung immer mehr an Kraft gewinnt, komponiert der
Afroamerikaner H. Leslie Adams den Zyklus „Nightsongs“, Untertitel: „Sechs
afroamerikanische Lieder“. Hughes’ „Drums of tragedy“ ist ein Gedicht mit vielen
musikalischen Metaphern, und die Version von H. Leslie Adams hat unüberhörbar den
Blues:

                                                                                10
Musik 11
H. Lesley Adams: Drums of tragedy
Darry Taylor (Tenor), Robin Guy (Klavier)
Albany 428, 1’34

„Drums of tragedy“, mit Versen von Langston Hughes und Musik von H. Leslie Adams,
- das war Darryl Taylor, begleitet von Robin Guy.

Die Nachkriegsjahre waren eine enorm fruchtbare Zeit für die Lied-Komponisten in
Amerika, aber natürlich ist die Tradition auch dort, wo sie herkam, weitergeführt
worden: in Europa.
In Frankreich war Francis Poulenc auf allen Gebieten der Vokalmusik zu Hause –
seine Opern, Oratorien und Chorwerke gehören zum klassischen Repertoire des
zwanzigsten Jahrhunderts – aber vor allem hat er auch Dutzende von Liedern
geschrieben...Pardon: Mélodies, wie man in Frankreich sagt!
Poulenc war im Zweiten Weltkrieg zwar kein aktives Mitglied der Résistance in
Frankreich, aber sein Freund, der Dichter Paul Éluard war es. Poulenc und der
Surrealisten-Poet sind im Paris der dreißiger Jahre Freunde geworden, und Éluards
Dichtungen über verfolgte Menschen und ihre Sehnsucht nach Freiheit wurden dann
während der Besatzungsjahre durch die Deutschen zu Hymnen der Résistance. Vieles
davon hat Poulenc in dieser Zeit vertont. Man kann Paul Éluard wohl mit Recht das
„dichterische Ich“ Poulencs nennen, so wie Poulenc das „singende Ich“ Éluards
gewesen ist. Der, Éluard, schreibt, nachdem er Poulencs Vertonungen seiner Texte
gehört hat: „Francis, Dir danke ich, dass ich mich verstehe!“
Zusammen mit Éluard hat Poulenc dann nach dem Krieg versucht, ein paar seiner
liebsten Maler, wie er selbst es ausdrückte, „in Musik zu malen“. Die Vorarbeit hat Paul
Éluard, geleistet, er hat die Essenz dieser Maler in Gedichte gefasst, die Poulenc dann
in seinem Minizyklus „Le travail du peintre“ in Musik setzte. Tiere und Liebespaare,
ganz wie auf den Bildern des Malers, bevölkern das Lied „Marc Chagall“:

Musik 12
M0114133-027, 0'55
Poulenc, Francis; Eluard, Paul (2) Marc Chagall aus: Le travail du peintre. 7 Lieder für
Singstimme und Klavier Souzay, Gérard; Baldwin, Dalton

                                                                                     11
Marc Chagalls Kunst, in Wort und Töne gefasst von Paul Éluard und Francis Poulenc.
Der Sänger war der französische Bariton Gérard Souzay, Meisterschüler von Poulencs
Lieblingssänger, Berater und Freund Pierre Bernac. Dalton Baldwin spielte Klavier.

In den Nachkriegsjahren schließt sich der Eiserne Vorhang zwischen West- und
Ostblock, und von den Künstlern, die auf der kommunistischen Seite landen, wird
kommunistische Kunst erwartet –
sie müssen Wege finden, sich künstlerisch auszudrücken, ohne Schwierigkeiten mit
ihrem jeweiligen repressiven Regime zu bekommen.
Dmitri Schostakowitsch hat über die Jahre immer wieder große Probleme mit den
Autoritäten des Sowjet-Staats, und einige seiner Werke enthalten codierte Botschaften
über die Tyrannei der Macht.
Nicht weniges – wie die Oper „Lady Macbeth von Mzensk“ ist verboten worden.
Obwohl Schostakowitsch auch eine Menge Lieder geschrieben hat, sind sie nie so
bekannt geworden wie seine Streichquartette oder die Sinfonien.
1960 zum Beispiel hat er den Zyklus „Satiri“ – zu Deutsch: Satiren – geschrieben: Fünf
Lieder mit Texten aus dem frühen zwanzigsten Jahrhundert von Sasha Chyorny,
einem Dichter, der auch als Journalist, Zollbeamter und Bahnarbeiter tätig war. Der
Untertitel des Zyklus lautet: „Bilder aus der Vergangenheit“, aber die Lieder waren eine
kaum verschleierte Kritik an der Gegenwart. Tatsächlich macht schon das erste Stück,
„An einen Kritiker“, klar, dass man hier nicht alles eins zu eins nehmen darf:

An einen Kritiker.
Wenn ein Dichter, der eine Dame beschreibt, so beginnt:
„Ich ging die Straße hinunter. Mein Korsett zwickte mich.“
Dann sollte in diesem Fall das „Ich“ natürlich nicht wörtlich verstanden werden
Es ist nicht so, dass die infragestehende Dame in Wahrheit der Dichter ist.
Ich verrate euch ein Geheimnis:
Der Dichter ist ein Mann, und er hat sogar einen Bart.

Musik 13
33757321-004, 1‘14
Schostakowitsch, Dmitrij; Chorny, Sascha       Nr. 1: An den Kritiker aus: Satiren 5
Romanzen für Sopran und Klavier, op. 109 Kozená, Magdalena; Martineau, Malcolm

                                                                                     12
„An einen Kritiker“ von Dmitri Schostakowitsch, Magdalena Kozena war das, begleitet
von Malcom Martineau.

Hanns Eisler war ein Komponist, der wirklich an den Kommunismus geglaubt hat, auch
wenn er dann später an seiner praktischen Ausführung in Ostdeutschland durchaus
begründete Zweifel hatte...
Vor dem Krieg hat er eng mit Bertolt Brecht zusammengearbeitet, und beide sind dann
neunzehnhundert-drei-und-dreißig aus Deutschland geflohen, „öfter als die Schuhe
die Länder wechselnd“, wie Brecht das ausgedrückt und Eisler es komponiert hat.
Beide sind schließlich in Kalifornien gelandet, Eisler hat sich in Hollywood
niedergelassen und wurde ein erfolgreicher Filmmusik-Komponist und beliebter Gast
auf den intellektuellen Cocktailparties der Exilgemeinde – aber seine kommunistischen
Ideale hat er nie aufgegeben.
Neunzehn-hundert-sieben-und-vierzig hat man ihn vor McCarthys berüchtigten
Untersuchungsausschuss für „Unamerikanische Aktivitäten“ zitiert, er kam auf die
schwarze Liste und wurde abgestempelt als der „Kalr Marx der Musik“.
Auf Einladung der DDR hat Eisler sich danach in Ost-Berlin niedergelassen.
Neunzehn-hundert-ein-und-sechzig komponiert er dort seine „Ernsten Gesänge“,
frustriert von den Repressionen der ostdeutschen Regierung, aber nicht bereit, das
kommunistische Experiment ganz aufzugeben. Als hätte Eisler geahnt, dass das seine
letzten Werke sein würden, heißt das letzte Stück des Zyklus’ „Epilog“, und sein Text,
vom ostdeutschen Schriftsteller Stephan Hermlin, ist voll herbstlicher Metaphern...

Musik 14
[BR] C5087810W01 01-008, 2'57
Eisler, Hanns; Hermlin, Stephan Nr. 7: Epilog aus: Ernste Gesänge für Bariton und
Streichorchester Goerne, Matthias; Ensemble Resonanz

Matthias Goerne war das, zusammen mit dem Ensemble Resonanz, mit Hanns Eislers
„Epilog“.

Und das war’s für heute in unserer SWR2-Musikstunden-Serie „Das Lied als Spiegel
seiner Zeit“, wo es heute um „Die neue Weltordnung“ ging –
um Lieder aus der Nachkriegszeit.

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Wenn Sie mehr über unsere Reihe hier erfahren möchten, dann schauen Sie gerne
auf die SWR2 Website unter
www.swr2.de - schrägstrich – Musikstunde, dort gibt es die Manuskripte und alle
Sendungen eine Woche lang zum Nachhören...
Weitere Geschichten rund um das Lied und seine Geschichte gibt es auf der Website
meiner Stiftung: Hampsongfoundation.org! – und wenn Sie mögen, folgen Sie uns
morgen ein letztes Mal auf unseren Expeditionen durch das Zwanzigste Jahrhundert
und seine Lieder!
Bis dahin! ...sagt Thomas Hampson.

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