Smart City Charta Digitale Transformation in den Kommunen nachhaltig gestalten
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IMPRESSUM Herausgeber Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR) Deichmanns Aue 31–37 53179 Bonn Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI) Alt-Moabit 140 10557 Berlin Wissenschaftliche Begleitung Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) Referat RS 5 „Digitale Stadt, Risikovorsorge und Verkehr“ Stephan Günthner Eva Schweitzer Dr. Peter Jakubowski smart-city-forschung@bbr.bund.de Begleitung im Bundesministerium Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI) Referat SW III 2 – Smart Cities Dr. Margit Tünnemann Britta Beylage-Haarmann Auftragnehmer Dialogbasis Dr. Antje Grobe Mikko Rissanen Stand Mai 2021 Satz und Layout ifok GmbH Bildnachweis Titelbild: Anna Fritsche, Marianna Poppitz, Imke Schmidt Vervielfältigung Alle Rechte vorbehalten Die vom Auftragnehmer vertretene Auffassung ist nicht unbedingt mit der des Herausgebers identisch. Bonn 2021
Foto: BMI Liebe Leserinnen und Leser, wir stehen heute vor einer Vielzahl drängender globaler Herausforderungen: Klimawandel, der Verlust von Biodiversität, Ressourcenknappheit, Migration, der demographische Wandel und – wie wir in den letzten Monaten als Krise in Echtzeit erfahren haben – auch globale Pandemien. All das wird in unseren Kommunen ganz konkret erfahrbar. Aber auch die Lösungen dafür liegen oft vor Ort. Digitale Technologien bieten hier neue Chancen, auf diese Herausforderungen einzugehen und Antworten auf die drängenden Fragen unserer Zeit zu finden. Eine Smart City im Sinne der integrierten und nachhaltigen Stadtentwicklung macht es sich zum Ziel, diese Entwicklungen zusammen zu denken und die Möglichkeiten der Digitalisie- rung vorausschauend und zielgerichtet zu nutzen. Orientierung dabei geben die 2017 erarbei- tete Smart City Charta der Nationalen Dialogplattform Smart Cities sowie die im Rahmen der Deutschen EU-Ratspräsidentschaft 2020 verabschiedete Neue Leipzig Charta. Unser Ziel ist es die Digitalisierung so zu nutzen und zu gestalten, dass Kommunen auf Herausforderungen und disruptive Ereignisse besser reagieren können und dauerhaften Belas- tungen widerstandsfähiger gegenüberstehen. Viele Kommunen haben sich bereits auf diesen Weg gemacht. Für einen vernetzten, gemeinwohlorientieren Einsatz von digitalen Lösungen und Daten sind aber weitere Schritte nötig: es müssen neue organisatorische, regulative und kooperative Ansätze entwickelt werden, damit aus Kommunen echte Smart Cities werden können. Außerdem müssen wir die Digital- und Datenkompetenzen in der Verwaltung, in der Wirtschaft wie auch in der Zivilgesellschaft stärken, damit wir digitale Souveränität und kommunale Selbstverwaltung sicherstellen. Zur Konkretisierung und Weiterentwicklung der Leitlinien der Smart City Charta hat die Dialogplattform Smart Cities 2021 die „Datenstrategien für die gemeinwohlorientierte Stadt- entwicklung“ verabschiedet und setzt damit ihre Arbeit zur Begleitung des digitalen Wandels für und mit Kommunen fort. Die Smart City Charta – hier mit grafischen Darstellungen aus ihrem Entstehungsprozess – bildet weiterhin die Grundlage und Richtschnur für diese Arbeit. So stellen wir sicher, dass die Kommunen handlungsfähig bleiben und ihre Gestaltungskraft für die Zukunft entfalten. Anne Katrin Bohle Staatssekretärin im Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat
Foto: © Schafgans DGPh Liebe Leserinnen und Leser, das Bundesbauministerium hat im Jahr 2017 die Smart City Charta veröffentlicht. Sie ist das Ergebnis eines breit angelegten Dialogprozesses und von Forschungsarbeiten des BBSR. Die Charta formuliert Leitlinien, wie Städte und Gemeinden die Digitalisierung für eine gesellschaftlich, wirtschaftlich und ökologisch tragfähige Stadtentwicklung nutzen können. Smarte Technologien sollen dazu beitragen, Ressourcen zu schonen, Mobilität umweltverträglicher zu machen, für mehr Inklusion und Mitwirkung zu sorgen oder neue Geschäftsmodelle zu ermöglichen. Digitalisierung ist der Charta zufolge kein Selbstzweck, sondern ein Instrument, um kommunale Ziele zum Wohle der Gemeinschaft zu erreichen. Seit der Entstehung der Charta ist viel geschehen: Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI) hat im Jahr 2019 die „Modellprojekte Smart Cities“ aufgelegt – ein auf zehn Jahre angelegtes Förderprogramm für die digitale Modernisierung in Kommunen. Die Smart City Charta dient den Modellprojekten als Richtschnur. Auch auf EU-Ebene werden die Empfehlungen der Charta aufgegriffen – so in der neuen Leipzig-Charta für Stadtentwicklung. Um die Leitlinien der Smart City Charta für die Praxis konkret zu machen, haben wir zu rechtlichen Fragen der digitalen Stadt Handlungshilfen veröffentlicht. Im Projekt „Die digi- tale Stadt gestalten“ entstehen derzeit Handreichungen für die Planung und Umsetzung von Digital-Projekten. Weitere Veröffentlichungen – etwa zum Umgang mit kommunalen Daten – sind geplant. Ich freue mich, Ihnen die Charta nun in einer redigierten und grafisch überarbeiteten Fassung vorzulegen. Ihnen eine interessante Lektüre! Ihr Dr. Markus Eltges Dr. Markus Eltges Leiter des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR)
Inhaltsverzeichnis I. Präambel 7 II. Leitlinien für Smart Cities 8 1. Digitale Transformation braucht Ziele, Strategien und Strukturen 9 2. Digitale Transformation braucht Transparenz, Teilhabe und Mitgestaltung 14 3. Digitale Transformation braucht Infrastrukturen, Daten und Dienstleistungen 19 4. Digitale Transformation braucht Ressourcen, Kompetenzen und Kooperationen 24 III. Akteursspezifische Handlungsempfehlungen 29 IV. Der Dialogprozess 33 V. Teilnehmende Organisationen 35
I. Präambel Smart Cities sind nachhaltiger und inte- Sie ist in einem breit angelegten Dialog- grierter Stadtentwicklung verpflichtet. Die prozess mit Vertretenden des Bundes, der digitale Transformation bietet Städten, Länder, der Kommunen und der kommu- Kreisen und Gemeinden Chancen auf dem nalen Spitzenverbände erarbeitet worden. Weg der nachhaltigen Entwicklung und Zusätzlich waren verschiedene Wissen- zielt auf die ressourcenschonende, bedarfs- schaftsorganisationen, Wirtschafts-, Sozial- gerechte Lösung der zentralen Heraus- und Fachverbände vertreten. Gemeinsam forderungen der Stadtentwicklung ab. Diese bilden sie die Dialogplattform Smart Cities Smart City Charta soll das Selbstverständ- der Bundesregierung.beim Bundesminis- nis der Städte, Kreise und Gemeinden in terium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Deutschland bei diesem Transformations- Reaktorsicherheit (BMUB). prozess spiegeln und sie unterstützen, die Chancen und Risiken einer zukunfts- Mit der Charta wird auch der Auftrag des orientierten und verantwortungsvollen Staatssekretärsausschusses für nachhaltige Stadtentwicklung frühzeitig zu erkennen Entwicklung erfüllt, im Rahmen des Inter- und Fehlentwicklungen zu vermeiden. Sie ministeriellen Arbeitskreises „Nachhaltige soll auch die interkommunale Zusammen- Stadtentwicklung in nationaler und inter- arbeit sowie die Verzahnung von Verdich- nationaler Perspektive“ (IMA Stadt) eine tungsräumen und ländlichen Räumen im solche Dialogplattform einzurichten. Das Sinne einer zukunftsorientierten Stadt- Ziel der Dialogplattform war es, und Raumentwicklung fördern. normative Leitlinien für eine nach- Die Smart City Charta wurde entwickelt in haltige digitale Transformation von Anerkennung und aufbauend auf Kommunen und der Leipzig Charta zur nachhaltigen konkrete Handlungsempfehlungen europäischen Stadt, zur Umsetzung dieser Leitlinien zu entwickeln. der Nationalen Stadtentwicklungspolitik, Die Smart City Charta richtet sich an der Urban Agenda der EU (Pakt von Städte, Kreise und Gemeinden (Kommu- Amsterdam) sowie nen). Sie richtet sich an Akteure aus For- schung, Wirtschaft und Zivilgesellschaft. der New Urban Agenda der Vereinten Im Hinblick auf die Ausgestaltung der Nationen. politischen, rechtlichen und finanziellen Rahmenbedingungen sind in erster Linie Die Charta unterstützt die Umsetzung der der Bund und die Länder angesprochen. Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie und die Verwirklichung der globalen Nachhaltig- keitsziele der Agenda 2030 der Vereinten Nationen (Sustainable Development Goals). I. Präambel 7
II. Leitlinien für Smart Cities Digitalisierung ist inzwischen in vielen Sinne des Allgemeinwohls lokale Initia- Lebensbereichen Realität geworden. Die tiven, Eigenart, Kreativität und Selbstorga- Akteure der Stadtentwicklung sollen aktiv die nisation. Möglichkeit nutzen, den aktuellen Verände- vielfältig und offen – sie nutzt Digi- rungs- und Anpassungsprozess zu begleiten talisierung, um Integrationskräfte zu und nachhaltig zu gestalten. Die Digitali- stärken und demographische Heraus- sierung wird viele Bereiche von Verwaltung, forderungen sowie soziale und ökono- Wirtschaft und Stadtgesellschaft weiter ver- mische Ungleichgewichte und Ausgren- ändern. Smart City nutzt Informations- und zung auszugleichen und demokratische Kommunikationstechnologien, um auf der Strukturen und Prozesse zu sichern. Basis von integrierten Entwicklungskon- zepten kommunale Infrastrukturen, wie partizipativ und inklusiv – sie verwirk- beispielsweise Energie, Gebäude, Verkehr, licht integrative Konzepte zur umfas- Wasser und Abwasser zu verknüpfen. senden und selbstbestimmten Teilhabe aller Menschen am gesellschaftlichen Digitale Transformation – den Wandel der Leben und macht ihnen barrierefreie Städte hin zu Smart Cities – nachhaltig digitale und analoge Angebote. gestalten bedeutet, mit den Mitteln der Digi- talisierung die Ziele einer nachhaltigen klimaneutral und ressourceneffizient – europäischen Stadt zu verfolgen. Hierzu sie fördert umweltfreundliche Mobili- sind die folgenden vier Leitlinien zentral: täts-, Energie-, Wärme-, Wasser-, Ab- wasser- und Abfallkonzepte und trägt 1. Digitale Transformation braucht zu einer CO2-neutralen, grünen und Ziele, Strategien und Strukturen gesunden Kommune bei. 2. Digitale Transformation braucht wettbewerbsfähig und florierend – sie Transparenz, Teilhabe und setzt Digitalisierung gezielt ein, um die lo- Mitgestaltung kale Wirtschaft und neue Wertschöpfungs- 3. Digitale Transformation braucht prozesse zu stärken und stellt passende Infrastrukturen, Daten und Infrastrukturangebote zur Verfügung. Dienstleistungen aufgeschlossen und innovativ – sie ent- 4. Digitale Transformation braucht wickelt Lösungen zur Sicherung kom- Ressourcen, Kompetenzen und munaler Aufgaben, reagiert schnell auf Kooperationen Veränderungsprozesse und erarbeitet in Co-Produktion innovative, maßge- Für die digitale Transformation brauchen schneiderte Lösungen vor Ort. Städte, Kreise und Gemeinden Offenheit gegenüber neuen Technologien und einen responsiv und sensitiv – sie nutzt Senso- starken Werte- und Zielebezug, um sie mit rik, Datengewinnung und -verarbeitung, Bedacht und Weitblick nutzen zu können. neue Formen der Interaktion und des Die Teilnehmenden der Dialogplattform Lernens zur stetigen Verbesserung kom- legen der Smart City Charta das normative munaler Prozesse und Dienstleistungen. Bild einer intelligenten, zukunftsorientier- sicher und raumgebend – sie gibt ihren ten Kommune zugrunde. Danach ist eine Bewohnerinnen und Bewohnern sichere Smart City private, öffentliche und digitale Räume, lebenswert und liebenswert – sie stellt in denen sie sich bewegen und verwirkli- die Bedarfe der Menschen in den Mittel- chen können, ohne Freiheitsrechte durch punkt des Handelns und unterstützt im Überwachung zu verletzen. 8 Smart City Charta
1. Digitale Transformation braucht Ziele, Strategien und Strukturen 1.1 Digitalisierung in die Stadtentwick- Ziele aktiv gestalten und gemäß ihrer spe- lung integrieren und Ziele der nachhal- zifischen Bedürfnislagen steuern. Die Un- tigen Stadtentwicklung umsetzen abhängigkeit und Selbstbestimmung der Kommunen sowie die dauerhafte Erfül- Die Digitalisierung von Kommunen ist lung der kommunalen Aufgaben müssen kein Selbstzweck. Sie soll sowohl im sozia- dabei sichergestellt werden. len, ökologischen wie auch ökonomischen Sinne nachhaltigen Zielen dienen und darf 1.2 Anwendungsfelder identifizieren, diesen nicht entgegenwirken. Kommunen Wirkungen der Vernetzung prüfen, sollen die Digitalisierung dazu nutzen, Strategien entwickeln ihre Entwicklung sozial verträglich, ge- recht, energie- und ressourceneffizient zu Kommunen sollten frühzeitig die strate- gestalten. Eine solche, bewusst gesteuerte gischen Handlungsfelder der Smart City digitale Transformation sollte lokale Wert- für sich identifizieren und definieren. schöpfung, Kreislaufwirtschaft und nach- Schwerpunkte können z. B. eine höhere haltige Lebensstile unterstützen. Die Smart Effizienz der Verwaltung, mehr Trans- City erweitert das Instrumentarium der parenz und Partizipation, das Erreichen nachhaltigen und integrierten Stadtent- konkreter Klimaziele, optimierte Mobili- wicklung um technische Komponenten, tät und Verkehrsabläufe oder die regionale sodass die Gesellschaft, der Mensch und Innovations- und Wirtschaftsförderung seine Lebensgrundlagen auch zukünftig im sein. Bei der Strategieentwicklung soll- Mittelpunkt stehen. ten auch mögliche räumliche Wirkungen der Digitalisierung wie veränderter Ver- Städte, Kreise und Gemeinden sollten die kehrsaufwand, andere Flächenbedarfe digitale Transformation im Sinne dieser oder neue Stadtumbaupotenziale berück- 10 Smart City Charta
sichtigt werden. Einzelne strategische klaren Auftrag, der die Aufgabenbereiche Handlungsfelder und Initiativen sowie und Verantwortlichkeiten regelt. die Vernetzung von Infrastrukturen soll- ten daraufhin geprüft werden, ob sie den Innerhalb der kommunalen Verwaltung Zielen der nachhaltigen und integrierten sollten in den neuen Strukturen verschie- Stadtentwicklung dienen und welche Aus- dene Ressorts im Kontext der Digitalisie- wirkungen sie haben. Ein neuer Prüfstein rung zusammenwirken. Je nach örtlicher für Maßnahmen und technische Lösun- Ausgangslage kann dies beispielsweise gen ist ihre Skalierbarkeit, um sie von der in Form einer ständigen Arbeitsgruppe Testanwendung auf die gesamte Kommune (Smart City Board), eines Kompetenz- ausdehnen zu können. zentrums oder einer Stabstelle (Chief Technology Office), idealerweise bei der 1.3 Organisationsstrukturen in den Verwaltungsspitze im Bürgermeisteramt Kommunen anpassen geschehen. Sektorale Initiativen sollten sich über ihre Erfahrungen z. B. in über- Die Steuerung des Digitalisierungsprozes- greifenden Workshops austauschen, um ses sollte organisatorisch festgelegt sein. Lernen zwischen den Ressorts zu ermög- Um sektorale Smart-City-Initiativen zu lichen. Die Steuerungseinheiten sollten bündeln und den Dialog mit Wirtschaft, einen strukturierten Innovationsprozess Forschung und Zivilgesellschaft zu führen, und interdisziplinäre Netzwerke aufbau- sollten Kommunen kooperative Struktu- en, aktiv gestalten und weiterentwickeln ren mit klaren Rollen, Ressourcen und können. In Kommunalverwaltungen und Kompetenzen schaffen. Hierfür benötigt Kommunalpolitik sollten neue Arbeitsfor- die Kommunalverwaltung von den po- men gestaltet und etabliert werden. litisch verantwortlichen Gremien einen II. Leitlinien für Smart Cities 11
70 Im Fokus: Governance Anna Fritsche 12 Smart City Charta
2. Digitale Transformation braucht Transparenz, Teilhabe und Mitgestaltung 13
2. Digitale Transformation braucht Transparenz, Teilhabe und Mitgestaltung 2.1 Transparenz und Demokratie 2.2 Digitale Teilhabe, Integration und stärken Inklusion sichern Kommunen sollten die Digitalisierung dazu Die digitale Transformation sollte die nutzen, politische Entscheidungen und Teilhabe aller Menschen am gesellschaft- ihre Hintergründe aktiv und transparent lichen Leben fördern. Digitalisierung darf zu kommunizieren, z. B. durch Ratsinfor- nicht zum Ausschluss Einzelner oder gan- mationssysteme oder die Publikation von zer Bevölkerungsgruppen führen. Dazu Haushaltsdaten. Digitale Prozesse können sollten die digitalen Angebote den unter- Informationen besser verfügbar machen, schiedlichen Möglichkeiten der Menschen die für demokratische Entscheidungen wich- Rechnung tragen (Design for all). Dies gilt tig sind. Sie können zum politischen Diskurs in besonderem Maße für Menschen mit vor Ort beitragen und die Zivilgesellschaft Behinderung, für ältere Menschen ohne aktiver in Planungs- und Entscheidungspro- Erfahrungen mit digitalen Medien oder zesse einbinden. Ziel ist es, evidenzbasierte Menschen, mit ungenügenden Sprach- Politik und Demokratie zu stärken und Ent- kenntnissen. fremdung, Populismus und Polarisierung durch neue Technologien entgegenzuwirken. Ein aktivierender, integrativer und inklu- siver Ansatz der Beteiligung ist wichtig, Werden Foren oder andere Web-2.0-Ange- damit nicht ohnehin artikulationsstarke bote oder Aktivitäten in sozialen Netzwer- Teile der Bevölkerung Positionen vorbe- ken eingeführt, sollte der für schnelle Re- stimmen, sondern eine ausgewogene Mei- aktion, Prüfung und Moderation fremder nungsbildung ermöglicht wird. Entspre- Beiträge erforderliche Aufwand berücksich- chend sollten an öffentlichen Orten nicht tigt werden. nur Zugang zu Geräten und Software, 14 Smart City Charta
sondern auch zielgruppenspezifische Un- 2.3 Mitgestaltung fördern terstützung durch z. B. Helferstrukturen, Paten- und Netzwerke angeboten werden. Um eine breite Teilhabe und Mitgestaltung der Zivilgesellschaft an kommunalpoliti- Niemand soll zur Nutzung digitaler Struk- schen Prozessen zu erleichtern, sollten di- turen gezwungen werden. Kommunen gitale Technologien möglichst zielgruppen- müssen ihren Einwohnerinnen und Ein- orientiert gestaltet und eingesetzt werden. wohnern und Unternehmen ermöglichen, Mitgestaltung braucht dabei grundlegende auch auf nicht-digitalem Wege mit ihnen Kompetenzen im Umgang mit neuen Tech- zu kommunizieren, und daher zusätzlich nologien. Digitale Plattformen, auf denen analoge Strukturen anbieten. Die Lebens- man Informationen zu Beteiligungsprojek- wirklichkeit in Städten, Kreisen und Ge- ten, Begegnungsorten und Ansprechpart- meinden wird in hohem Maße von Hal- nern findet, können die Kommunikation tungen und Geschäftsbedingungen von zwischen den Akteuren deutlich verbessern Unternehmen geprägt. Kommunen sollten und zur Mitgestaltung aktivieren. Tools, bei auf Unternehmen einwirken, zu Teilhabe, denen Menschen z. B. neuralgische Punkte Integration und Inklusion in der Gesell- der Verkehrsführung, Mängel oder interes- schaft beizutragen, indem sie ihren Kun- sante Orte auf einer Website sammeln und den ermöglichen, auch auf nicht-digitalem der Verwaltung übermitteln können, sollten Wege mit ihnen zu kommunizieren. weiterentwickelt und in Verwaltungspro- zesse integriert werden. II. Leitlinien für Smart Cities 15
78 Im Fokus: Digitale Integration und Inklusion Marianna Poppitz 16 Smart City Charta
3. Digitale Transformation braucht Infrastrukturen, Daten und Dienstleistungen 17
3. Digitale Transformation braucht Infrastrukturen, Daten und Dienstleistungen 3.1 Zugang zu digitalen Infrastrukturen Kommunen sollten sich den Zugang zu schaffen und sicherstellen Daten sichern, die für ihre Aufgabener- füllung relevant sind, und die Hoheit über Ein sicherer Zugang zu einer hochleis- diese Daten behalten. Dafür sollten sie ihre tungsfähigen Breitbandversorgung ist Rolle als Datenproduzent, -bereitsteller oder ein zentraler Standortfaktor. Er ist die -verwerter regelmäßig prüfen. Große Teile Grundvoraussetzung digitaler Kommu- der für Smart Cities wichtigen Daten haben nen mit wissens- und technologieba- Raumbezug (Geodaten) und sind wichtige sierter Wirtschaft. Dies gilt für urbane Grundlagen für Smart-City-Konzepte. Geo- Zentren genauso wie für den ländlichen daten sollten interoperabel und leistungs- Raum. Perspektivisch werden der Be- fähig für alle Lebenslagen einer Kommune darf an Übertragungsgeschwindigkeit bereitgestellt werden (Smarte Geodaten). und Datendurchsatz weiterhin ansteigen. Anwendungsbeispiele sind interaktive Stadt- Daher ist ein kontinuierlicher Kapazi- und Landschaftsplanung, 3D-Modellierung tätsausbau durch Telekommunikations- und digitale Bauleitplanung. unternehmen erforderlich und sollte, wo nötig, von Bund und Ländern finanziell Vernetzung und Digitalisierung schaffen gefördert werden. wachsende Datensammlungen der öffent- lichen Hand und bei Unternehmen, für die Die mit der Digitalisierung einhergehende sich Fragen des Datenschutzes, der Daten- Vernetzung von Infrastrukturen, Daten sicherheit sowie der Analyse und Interpre- und Diensten erfordert klare Regelungen tation stellen. Bei der Erhebung, Verarbei- für Schnittstellen und Zuständigkeiten. So- tung und Veröffentlichung von Daten ist wohl für Betrieb und Unterhalt als auch für von Anfang der Datenschutz, u. a. durch Neuinvestition und Haftung müssen Ver- die Trennung personenbezogener Daten, antwortlichkeiten klar definiert werden. zu berücksichtigen (Privacy by Design). Das Potenzial großer Datenbestände (Big 3.2 Daten verantwortungsvoll generie- Data) kann nach einer Anonymisierung ren, Datenhoheit behalten genutzt werden. Bei personenbezogenen 18 Smart City Charta
Daten ist insbesondere dem Gebot der meidung einseitiger Bindungen an Her- Datensparsamkeit zu folgen. steller oder Technologien bei. Geben Kommunen Daten an Dritte weiter, Technische Basis der Smart City bilden ist deren verantwortungsvoller Umgang neue hochgradig vernetzte IT-Systeme. mit den Daten einzufordern. Deshalb sind digitale Infrastrukturen – von der Verkehrsleitzentrale oder dem digita- Es ist darauf zu achten, dass keine neuen len Rathaus bis zum Wasserwerk – neuen Machtstrukturen entstehen, die sich demo- Bedrohungen ausgesetzt. Die Zuverlässig- kratischer Kontrolle entziehen und eine keit kommunaler Dienstleistungen und Gefahr für die Grundrechte, die Sicherheit die Notfallvorsorge sind daher bereits in und Privatsphäre jedes Einzelnen darstellen. der Planung nach dem Prinzip „Security Algorithmen dürfen weder demokratisch by Design“ zu gewährleisten. Dies bedeu- gewählte Gremien noch die Verantwort- tet, ganzheitliche Sicherheitsmaßnahmen lichkeit natürlicher oder juristischer Per- einzufordern, umzusetzen und zu aktua- sonen ablösen. Die Kriterien automati- lisieren. Bei energetischen und datentech- sierter Verwaltungsentscheidungen sind nischen Verknüpfungen muss garantiert offenzulegen. werden, dass Teilsysteme bei Störungen funktionsfähig bleiben. Für die Kernkom- 3.3 Dauerhafte Funktionsfähigkeit ver- ponenten der technischen Infrastrukturen netzter Infrastrukturen und kommuna- (Server, Router, Netzwerksteuerung) sind ler Dienstleistungen sichern technische Redundanzen vorzusehen. Für die Kommunikation der Rettungsdienste, Für die dauerhafte Funktionsfähigkeit die Trinkwasserversorgung, das Gesund- und zur Umsetzung des Vorsorgeprinzips heitswesen und weitere unverzichtbare sollten neue Technologien und Anwen- Versorgungsdienste sind auch analoge dungen reversibel und abwärtskompatibel Redundanzen vorzuhalten. (d. h. mit älteren Geräten nutzbar) sowie mit offenen Schnittstellen und Standards ausgestattet sein. Dies trägt auch zur Ver- II. Leitlinien für Smart Cities 19
54 Im Fokus: Big Data Imke Schmidt / 123comics 20 Smart City Charta
4. Digitale Transformation braucht Ressourcen, Kompetenzen und Kooperationen 21
4. Digitale Transformation braucht Ressourcen, Kompetenzen und Kooperationen 4.1 Notwendige Ressourcen in der (intern und interkommunal) wichtiger. Kommunalverwaltung und in kommu- Technische und kommunikative Kompe- nalen Unternehmen bereitstellen tenzen, die Fähigkeiten zum Managen von Netzwerken und Wissen über Potenziale Um in der digitalen Transformation eine und Risiken von großen Datenmengen aktive, steuernde Rolle ausfüllen zu kön- sowie IT-Sicherheit sollten entsprechend nen, müssen Bund, Länder und Kommu- aufgebaut werden. nen in ihrer jeweiligen Zuständigkeit ne- ben gesetzlichen Regelungen ausreichend Bund, Länder und Kommunen sollten personelle und finanzielle Ressourcen entsprechende Bildungsangebote ermög- bereitstellen. Ziel sollte ein systemati- lichen sowie lebenslanges, generationen- scher Wissensaufbau, ein organisierter und schichtenübergreifendes Lernen för- Austausch, Aus- und Weiterbildung sowie dern. Bildungskooperationen zwischen Kompetenzzentren für Kommunen sein, öffentlicher Hand, Forschung und regio- um das Wissen in die Breite zu tragen und naler Wirtschaft zur Vermittlung digitaler den Anforderungen schneller Verände- Kompetenzen müssen durch die Länder rungsprozesse gerecht zu werden. gefördert und vor Ort initiiert und voran- getrieben werden. 4.2 Digitale Kompetenzen entwickeln, lebenslanges Lernen fördern Hierbei gilt es, Medienkompetenzen durch zielgruppenspezifische, inklusive Im digitalen Umfeld werden Gestaltung Bildungsangebote in Schule, Beruf und und Moderation von Netzwerken und Ko- Alter zu stärken. Eine besondere Bedeu- operationen zwischen Forschung, Wirt- tung kommt informellem Lernen, Lernen schaft, Zivilgesellschaft und Verwaltung im Betrieb und Angeboten in öffentlichen 22 Smart City Charta
Räumen im Quartier zu. Niederschwel- Lokale Sharing-Ansätze, neue Nachbar- lige und aufsuchende Angebote wie schaftsforen und nachhaltige Geschäfts- Gaming-Projekte für Jugendliche oder der modelle, die sozialverträglich zu einer Einsatz von Senioren-Tablets sind bereits ressourceneffizienteren und CO2-freien erfolgreich und sollten weiter entwickelt Wirtschaft beitragen, sind zu stärken. werden. Kreislaufwirtschaft, gemeinsames Nutzen oder Wiederverwerten von Materialien, 4.3 Kooperationen mit Wirtschaft und Technologien und Produkten sollten ge- Wissenschaft ausbauen, Innovations- fördert werden. räume schaffen, lokale Wissens- und Wertschöpfung stärken Kommunale Unternehmen und kom- munale Zweckverbände betreiben wich- Die Digitalisierung ermöglicht eine Flexi- tige Infrastrukturen, auf denen künftige bilisierung der Arbeits- und Produktions- Smart-City-Lösungen aufsetzen können. bedingungen und neue Dienstleistungen Strukturelle Vorteile sollten genutzt wer- (Smart Services). Ihre Möglichkeiten sind den, um solche Einrichtungen als zentrale zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen Kompetenzträger für intelligente Vernet- zu nutzen. Um im Standortwettbewerb zu zung und neue Dienstleistungen zu po- bestehen, wird es für Kommunen entschei- sitionieren. Für kleinere Kommunen sind dend sein, dass Wissen und Wertschöp- regionale Allianzen empfehlenswert, um fung vor Ort bleiben und dort wirksam schneller entsprechende Kompetenzen werden. Die Kommunen sollten hier ak- aufzubauen und Synergieeffekte zu nutzen. tiv den Dialog mit der Wirtschaft und der Wissenschaft suchen und Kooperationen aufbauen. II. Leitlinien für Smart Cities 23
62 Im Fokus: Lokale Wirtschaft Marianna Poppitz 24 Smart City Charta
III. Akteursspezifische Handlungsempfehlungen a) Smart-City-Strategien aufsetzen und dene Kompetenzen und Ressourcen soll- gesellschaftliche Debatte dazu führen ten systematisch analysiert werden. Städte, Kreise und Gemeinden (Kommu- Die Forschung evaluiert Digitalisierungs- nen) gestalten aktiv den Dialog mit Wirt- projekte, führt Wirkungsanalysen durch schaft, Forschung und Zivilgesellschaft, und sammelt gute Beispiele, um die Kom- um Potenziale und Herausforderungen munen bei der Bewertung solcher Projekte der digitalen Transformation im Sinne zu unterstützen. Sie soll zudem frühzeitig nachhaltiger integrierter Stadtentwicklung Bestandsaufnahmen, Bedarfs- und Risiko- frühzeitig zu erkennen und abzuwägen. analysen durchführen und hier den sich Ziel ist die Entwicklung einer zukunftsori- schnell wandelnden Herausforderungen entierten Smart-City-Strategie. wie z. B. bezüglich des Internets der Dinge, der Datenhoheit, des Datenschutzes oder b) Digitale und analoge Beteiligungs- der Barrierefreiheit nachgehen. prozesse verzahnen d) Möglichkeiten für Co-Creation in Für Kommunen bleibt in Entscheidungs- der Stadtentwicklung ausbauen, lokale prozessen abzuwägen, wer in welcher Wirtschaft und Quartiere stärken Form eingebunden werden soll und wie diese aufgebaut werden. Informelle und Kommunen, Wirtschaft, Forschung formelle Beteiligungsprozesse sowie ana- und Zivilgesellschaft entwickeln in enger loge und digitale Verfahren sind zu nut- Zusammenarbeit neue digitale Dienste zen, zu verzahnen und sollten aufeinander (Co-Creation), nutzen die Digitalisierung aufbauen. Einige Kommunen haben sich im Sinne der nachhaltigen Stadtentwick- bereits Beteiligungssatzungen gegeben, in lung und stärken lokale Wirtschaft und denen Kriterien und Regeln vorgegeben zivilgesellschaftliches Engagement. Der- sind, nach denen die Verwaltung prüfen zeit aktuelle Ansätze wie „Citizen Sensing“, sollte, ob Planungen und anstehende Ent- „Sharing“ oder „Crowd-Mapping“ sollten scheidungen beteiligungsrelevant sind. geprüft werden, um z. B. neue Lösungen für Mobilität, Infrastruktur oder Ressour- c) Bedarfs-, Risiko- und Wirkungsanaly- ceneffizienz zu generieren. Formate wie of- sen durchführen fene Werkstätten (FabLabs), Hackathons, Ideenwettbewerbe oder Think Tanks gilt es Vor der Investition in neue Projekte füh- zu nutzen und weiterzuentwickeln. ren Kommunen zunächst eine Bestands- aufnahme durch, definieren ihre Ziele und Bund, Länder und Kommunen unterstüt- identifizieren den Bedarf. Projekte sollten zen neue Geschäfts-, Betreiber- und Finan- in die Gesamtstrategie passen, nach einer zierungsmodelle, die aus solchen Partner- Risikoabschätzung priorisiert und in Maß- schaften entstehen und tragen so zu einer nahmenplänen konkretisiert werden. Die Verstetigung der Innovationskultur bei. Umsetzung wird durch Soll-Ist-Vergleiche überprüft. Ein laufendes Monitoring ist e) Geeigneten regulatorischen Rahmen sinnvoll. Auch Datenerhebung, -haltung schaffen und -nutzung, IT-Sicherheit sowie vorhan- III. Akteursspezifische Handlungsempfehlungen 25
Bund und Länder sind im Rahmen ihrer ment solcher Projekte zu unterstützen und jeweiligen Zuständigkeiten gefragt, Kom- zu entlasten. Dies trägt zu einer offeneren munen bei der Entwicklung und Umset- Innovationskultur bei und ermöglicht eine zung eigener Digitalisierungsstrategien zu frühe Einbindung der Zivilgesellschaft. unterstützen. Die Kooperation zwischen Bund, Ländern und Kommunen muss hier- Die Forschung begleitet gemeinsam mit für verbessert werden. Rechtliche Rahmen- den Kommunen Pilotprojekte durch ein bedingungen, wie insbesondere das Verga- systematisches Monitoring, evaluiert sie berecht oder das Gemeindewirtschaftsrecht und fördert deren Vernetzung und Ver- werden oft als Hindernisse für neue Koope- wertung. Dies betrifft die Zielerreichung, rationsformen und Geschäftslösungen ge- Auswirkungen wie auch strukturelle Rah- nannt. Regulatorische Ausnahmen sollten menbedingungen, Ressourcen und Kom- geprüft werden. Kommunen werden bei der petenzen. Zur Begleitforschung gehört Ausgestaltung und Weiterentwicklung der auch der Wissens- und Innovationstransfer rechtlichen und finanziellen Rahmenbedin- in Praxis und Öffentlichkeit. Dafür sollten gungen frühzeitig eingebunden. Bund und Projektbeschreibungen, Erfahrungs- und Länder beraten bei neuen und komplexen Evaluationsberichte auf einer gemeinsa- Fragestellungen und greifen Anregungen men Plattform gesammelt und zugänglich aus den Kommunen auf. Experimentier- gemacht werden. räume und Reallabore mit aufgelockerter Regulierung werden ermöglicht. So können g) Freie Nutzung von Daten (Open Smart-City-Ansätze getestet, Innovation Data) abwägen und weitgehend gefördert und Technologien schneller zur ermöglichen Marktreife gebracht werden. Kommunen prüfen, wie sie ihre Daten Insbesondere der Bund sollte dazu auch entsprechend den Open-Data-Prinzipien auf europäischer Ebene Einfluss auf für allgemein freigeben können. Dabei ist abzu- Kommunen relevante Rechtsetzungsvor- wägen zwischen dem Gemeinwohlinteresse haben nehmen. an einem offenen Daten-Ökosystem, zuwi- derlaufenden Belangen des Gemeinwohls Die Forschung unterstützt die Umsetzung und den Rechten und Interessen betroffe- und evtl. erforderliche Weiterentwicklung ner Personen (u. a. Datenschutz). Daten, des rechtlichen Rahmens durch geeignete die elektronisch verarbeitet werden können, Studien, um mögliche Hemmnisse zu iden- sind eine wertvolle Ressource. Offene Da- tifizieren und Lösungswege aufzuzeigen. ten eröffnen die Chance auf mehr Teilhabe, Transparenz und können Impulse für neue f) Smart-City-Lösungen pilotieren Geschäftsmodelle und Innovationen bedeu- ten. Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse Kommunen, Wirtschaft, Forschung und sowie Belange der öffentlichen Sicherheit Zivilgesellschaft probieren gemeinsam in und laufende Verwaltungsentscheidungen Pilotprojekten, Reallaboren oder Modell- können dagegen sprechen. Einige Bundes- quartieren Konzepte und Technologien in länder regeln dies u. a. in Informationsfrei- einem überschaubaren, reversiblen Rah- heits- und Transparenzgesetzen. men aus. Auswirkungen können geprüft und die Qualität verbessert werden. Wich- In den Ländern, in denen es solche Ge- tig dabei ist, in einem fest definierten Rah- setze nicht gibt, können sich die Kom- men die Fehlertoleranz (Fail Fast) zu er- munen z. B. eigene Transparenzsatzungen höhen und Möglichkeiten zu schaffen, die geben und darin vorgeben, welche Daten Kommunalverwaltungen beim Manage- in welcher Form zugänglich sind. Die 26 Smart City Charta
Möglichkeit der Offenlegung von Verwal- sourcen zur Verfügung stellen und gegebe- tungsdaten kann auch auf Basis geltender nenfalls gemeinsam mit den Menschen vor E-Government-Gesetze geschehen. Ort Prioritäten neu überdenken. Hierzu müssen auch neue Finanzierungsinstru- Zur Freigabe von Daten bestehen diverse mente wie z. B. Datenüberlassung als Ver- Varianten. Empfehlenswert sind freie und gütung geprüft werden. offen zugängliche, maschinenlesbare Da- ten ohne lizenzrechtliche oder andere Ein- Bund und Länder sollten zur Schließung schränkungen bei der Nachnutzung (Open der Finanzierungbedarfe im Rahmen ihrer Data). Es kann mit Blick auf den Daten- jeweiligen Zuständigkeiten beitragen. Sie schutz sinnvoll sein, Auflagen oder ande- sollen stärker dazu beitragen, eine bedarfs- re Einschränkungen zu machen. Auch ist gerechte ausreichende kommunale Finanz- abzuwägen, ob eigene öffentliche oder pri- ausstattung sicherzustellen, und ergänzende vatwirtschaftliche Geschäftsmodelle oder Förderprogramme zur Unterstützung integ- offene Daten mehr Wertschöpfung zum rierter und nachhaltiger Smart-City-(Pilot-) Wohle der Stadtgesellschaft ermöglichen. Ansätze abstimmen und verbreitern. Der Bund sollte sich auch auf europäischer Ebene h) Aktivitäten zur digitalen Transformati- für eine entsprechende Ausgestaltung von on als Qualitätsmerkmal kommunizieren einschlägigen Förderprogrammen und In itiativen einsetzen. Kommunen nutzen die Potenziale der Smart City als Standortfaktor für Einwohnerinnen Die Forschung wertet Finanzierungs- und und Einwohner, Ideenträger und Unterneh- Betreibermodelle (Public-Private-Partner- men. Indem Smart-City-Ansätze Quartiere ships) für z. B. öffentliche Infrastruktur für ihre Bewohnerinnen und Bewohner auf- konstruktiv-kritisch aus und gibt auf dieser werten, z. B. durch neue Mobilitätskonzepte, Basis praxisorientierte Handlungshinweise. können sie deren Wertschätzung für ihre Hierzu fehlen derzeit noch Bewertungs- Stadt, ihren Kreis oder ihre Gemeinde stär- und Abwägungskriterien, eine Folgenab- ken. Einige Kommunen haben Smart City schätzung sowie Handlungsempfehlungen als Marke positioniert, stellen Informations- für Kommunen. materialien zur Verfügung und bieten Be- teiligungsportale an, um ihren Ansatz einer j) Technisch notwendige Standardisie- zukunftsorientierten, integrativen und nach- rung vorantreiben und Nutzer enger haltigen Stadt zu verdeutlichen. einbinden i) Bedarfsgerechte Finanzierung zur Nationale, europäische und internationale Gestaltung der digitalen Transformati- Normungs- und Regelsetzungsorgani- on sicherstellen sationen entwickeln offene Schnittstellen und Standards, um inter- und intrakom- Kommunen müssen die erforderlichen In- munale Kooperationen und Modularität vestitionen in die technische Infrastruktur von Systemen zu ermöglichen sowie tech- und in die Bereitstellung von qualifizier- nische Abhängigkeiten zu vermeiden. tem Personal zur Konzeption und zum Betrieb digitaler Anwendungen unter Be- Es ist zu prüfen, ob die unterschiedliche dingungen der Ressourcenknappheit um- Nutzungsdauer von IT-Komponenten zu setzen. Dennoch ist es wichtig, dass Kom- Kosten- und Sicherheitsrisiken führen munen die für eine nachhaltige Gestaltung kann. Zukünftig sollte die Komponenten- der digitalen Transformation notwendigen und Updateverfügbarkeit über die gesamte finanziellen Mittel und personellen Res- Nutzungsdauer des Systems als Kernfrage III. Akteursspezifische Handlungsempfehlungen 27
in alle Betrachtungen einbezogen werden. tier zu untersuchen. Hierbei sind auch die Schon zum Zeitpunkt der Beschaffung Auswirkungen auf die Arbeits- und Lebens- müssen Betreiber und Lieferant die Ver- welt unterschiedlicher Bevölkerungsgrup- sorgung mit Wartungsmöglichkeiten, Be- pen zu untersuchen. triebsmitteln und Ersatzteilen planen. Für ein solches Obsoleszens-Management sind Die Forschung untersucht neben den sozia technologieoffene und den langfristigen len Aspekten die räumlichen und ökologi- Betrieb der eingesetzten Technik sichernde schen Auswirkungen der Digitalisierung Standards zu beschreiben. Die hierfür not- und Vernetzung. Ihre Wirkungen z. B. wendigen Regelsetzungsaktivitäten sollten auf Flächenverbrauch, Flächennutzungen, international abgestimmt werden. Emissionen, Ressourcen- und Energiever- brauch u. a. durch Rebound-Effekte sind Normung und Standardisierung sollen empirisch bisher kaum untersucht. Dies sich ausschließlich auf den engeren Rah- gilt es zu ändern. men der technischen Systeme fokussie- ren. Standards müssen die Bedarfe und l) Erfahrungsaustausch und Koopera Anforderungen der Nachfrageseite (Kom- tionen zwischen Kommunen sowie munen) stärker in den Blick nehmen. Die Kompetenzaufbau fördern Vertretung von Bund, Ländern und Kom- munen in den Gremien sollte verbessert Die Forschung und Kommunen bereiten werden. Standards sollen Open-Source, ihre Ergebnisse praxisgerecht z. B. durch Open-Access, Interoperabilität und Trans- Checklisten, Leitfäden und Prüfraster auf. parenz nicht einschränken und nicht zu Insbesondere kleinere oder weniger finanz- Abhängigkeits-Effekten (Lock-In-Effekt) starke Kommunen werden so unterstützt, führen. die digitale Transformation voranzutrei- ben, Fehlentwicklungen zu vermeiden und Für die IT-Zusammenarbeit der öffentli- erfolgreiche Projekte zu replizieren. chen Verwaltung erfüllt der IT-Planungsrat die zentrale Koordinierungs- und Standar- Bund, Länder sowie die Kommunalen disierungsfunktion. Die Zusammenarbeit Spitzenverbände, Forschungs- und Wei- von Bund, Ländern und Kommunen in terbildungseinrichtungen stärken den diesem Gremium sollte intensiviert wer- Erfahrungsaustausch zwischen Kommu- den, damit die Standards im Sinne des nen. Der Erfahrungsaustausch wird durch Allgemeinwohls ausgestaltet werden und gezielte Maßnahmen zum Kompetenzauf- praktikabel anwendbar sind. bau unterstützt, damit das voneinander Gelernte vor Ort besser in die Praxis über- k) Räumliche und Sektor-übergreifende tragen werden kann. Auswirkungen begleiten Die Forschung untersucht die Wirkungen der Vernetzung von Infrastrukturen vertieft Sektor-übergreifend. So kann deren Beitrag u. a. zu den Nachhaltigkeitszielen, zu Stabi- lität des Betriebs und IT-Sicherheit bewertet werden. Die Digitalisierung ist aktiv durch vielfältige Disziplinen zu begleiten, um ihre Wirkungen auf die Eigenart der Städte, die Zukunftsfähigkeit oder auf städtische und ländliche Lebensräume wie auch im Quar- 28 Smart City Charta
IV. Der Dialogprozess Die Dialogplattform Smart Cities wurde tige Stadtentwicklung haben kann, welche durch das Bundesministerium für Umwelt, Chancen sich bieten und welche Risiken Bau, Naturschutz und Reaktorsicherheit bestehen. Auf Basis von vier wissenschaft- (BMUB) eingerichtet und wird durch das lichen Expertisen zu den Themen Gover- Bundesministerium des Innern, für Bau nance, Big Data, digitale Spaltung und und Heimat (BMI) fortgeführt. Sie setzt lokale Ökonomie und unter Einbindung sich zusammen aus ca. 70 Vertreterinnen eines interdisziplinären Arbeitskreises aus und Vertretern des Bundes, der Länder, Wissenschaft, Wirtschaft und kommunaler der Kommunalen Spitzenverbände, der Praxis wurden Leitplanken für die künftige Städte, Kreise und Gemeinden, verschie- Entwicklung von „Smart Cities“ abgeleitet dener Wissenschaftsorganisationen, von und Eckpunkte für eine „Smart City Charta Wirtschafts-, Sozial- und Fachverbänden für Deutschland“ entwickelt. sowie der Zivilgesellschaft. Aufbauend auf diesen Beiträgen des Die Arbeit der Dialogplattform Smart Cities BBSR-Forschungsclusters Smart Cities er- wurde durch das BBSR-Forschungscluster arbeitete die Dialogplattform Smart Cities „Smart Cities“ unterstützt und ergänzt. Im zwischen Juli 2016 und Mai 2017 in fünf Forschungscluster werden in verschiedenen Workshops Leitlinien, wie die Digitali- Studien des Experimentellen Wohnungs- sierung in Städten zukunftsfähig und im und Städtebaus die Folgen des Megatrends Sinne des Gemeinwohls gestaltet werden „Digitalisierung“ für die Entwicklung der kann. Darüber hinaus entwickelte sie kon- Städte untersucht, z. B. in Projekten zum krete Empfehlungen für alle beteiligten Stadtverkehr von übermorgen, zur Digita- Akteursgruppen, wie der Weg dorthin lisierung des Einzelhandels, zu internatio- ebenso intelligent wie nachhaltig gestaltet nalen Smart-City-Trends und Scifi-Cities, werden kann. zur digitalen Spaltung, zu neuem Wissen in Stadtentwicklung und Stadtforschung sowie In zwei internationalen Workshops wurde zur Kommunikation über Stadt. ein intensiver Austausch mit der Europäi- schen Kommission, mit Vertretenden der Die Dialogplattform hat darüber hinaus nationalen Smart-City-Initiativen in Spa- Kerngedanken des Urbanisierungsgut- nien und Frankreich, aus sechs europäi- achtens „Der Umzug der Menschheit: schen Städten (Kopenhagen, Amsterdam, Die transformative Kraft der Städte“ des Bristol, Barcelona, Stockholm und Wien) Wissenschaftlichen Beirats der Bundesre- sowie aus der Megacity Singapur ermög- gierung Globale Umweltveränderungen licht. Der Austausch unter den Teilnehmen- (WBGU) aufgegriffen. den der Dialogplattform hat die internatio- nale Vernetzung gestärkt, die vorliegende Beiträge zum Dialogprozess stammen u. a. Charta inspiriert und zu einer Fülle von aus dem Forschungsprojekt „Smart Cities praktischen Anregungen beigetragen. – Entwicklung eines stadtentwicklungspo- litischen Handlungsrahmens“. In diesem Die Bundesregierung führt die Dialog- Projekt wurde untersucht, welche Auswir- plattform Smart Cities fort und begleitet kungen die Digitalisierung auf die künf- die Umsetzung der Smart City Charta. IV. Der Dialogprozess 29
PRIVATE & ÖFFENTLICHE DATENSTRÖME MEHRWERT DER DATEN DATENZUGRIFF DATENINFRASTRUKTUR DATENKONTEXT DATENEIGENTUM DATENREGISTER OPEN DATA DATENMANAGEMENT BIG DATA DATENGENERIERUNG WEICHE STANDORTFAKTOREN DATENBEDARF TRANSPARENZ KOMMUNALE PLATTFORM ZUGANG ZU DATEN DATENSCHUTZ ÖKONOMIE AN DIE REGION BINDEN DATENINTEGRATION DATENQUALITÄT VERKNÜPFUNG ORT DER WERTSCHÖPFUNG GESCHÄFTSMODELLE ATTRAKTIVITÄT STIMULATION FÜR EINZELHANDEL INFRASTRUKTUR LOKALE SMART CITY PARALLELPROZESSE DENKEN ÖKONOMIE KRITERIENKATALOG VERPFLICHTENDE EMAIL-ADRESSE ENERGIE GESTALTUNG DES ANALOGEN ERLEBNIS STADT / REGION USABILITY LOGISTIK; ZULIEFERUNG RAUMES TECHNISCHER ZUGANG DIGITALE SCHNITTSTELLEN ZWISCHEN STADT / ÖKONOMIE SIMULATIONEN; JUNGE GENERATION LOKALITÄTEN MODELLIERUNGEN INTEGRATION UND NUTZEN FÜR BÜRGERSCHAFT INKLUSION TRANSPARENZ WER STEUERT GEOGRAFIE BIG POLICY PARTIZIPATION STEUERBARKEIT TEILHABE BILDUNG VISUALISIERUNGEN ONLINE & OFFLINE AKZEPTANZ DER NICHT-NATIVES GESELLSCHAFT ZUSAMMENFÜHREN ZIELGRUPPEN LEGITIMATION QUALITÄT SENSIBILISIERUNG NACHBARSCHAFTEN GOVERNANCE INTERN GOVERNANCE MUSTERPROZESSE VERNETZUNG VON KOMMUNEN DURCHMISCHUNG AUSSTATTUNG BARRIEREFREIHEIT VERWALTUNGSKOMPETENZEN WO FINDEN ENTSCHEIDUNGEN STATT AKTIVIERUNG DER MEHRKANALANSATZ BÜRGERSCHAFT VERLÄSSLICHKEIT Tag Cloud: Fokusthemen der Dialogplattform Smart Cities · Quelle: DIALOG BASIS 30 Smart City Charta
V. Teilnehmende Organisationen Bund: Bundeskanzleramt (BK-Amt), Verband für Wohnungswesen, Städtebau Bundesministerium für Wirtschaft und und Raumordnung e. V. (DV), Deutsches Energie (BMWi), Bundesministerium des Institut für Normung e. V. (DIN), Deut- Innern (BMI), Bundesministerium der Jus- sches Institut für Urbanistik (Difu), Deut- tiz und für Verbraucherschutz (BMJV), sches Institut für Vertrauen und Sicherheit Bundesministerium für Arbeit und Soziales im Internet (DIVSI), Deutsches Zentrum (BMAS), Bundesministerium für Familie, für Luft- und Raumfahrt (DLR) – Insti- Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), tut für Verkehrsforschung, Fraunhofer- Bundesministerium für Gesundheit (BMG), Institut für Arbeitswirtschaft und Organi- Bundesministerium für Verkehr und di- sation (IAO), KfW Bankengruppe, Open gitale Infrastruktur (BMVI), Bundesmi- Knowledge Foundation Deutschland e. V. nisterium für Umwelt, Naturschutz, Bau (OKFN), KJB-Kommunalberatung, Ins- und Reaktorsicherheit (BMUB), Bundes- titut für Stadt- und Regionalplanung an ministerium für Bildung und Forschung der Technischen Universität Berlin (ISR/ (BMBF), Bundesbeauftragte für den Da- TU Berlin), Rat für Nachhaltige Entwick- tenschutz und die Informationsfreiheit lung (RNE), RESET – Smart Approaches (BfDI), Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und to Sustainability, Stiftung Digitale Chan- Raumforschung (BBSR), Umweltbundes- cen, Stiftung Neue Verantwortung e. V. amt (UBA), Bundesamt für Sicherheit in (SNV), Verband kommunaler Unterneh- der Informationstechnik (BSI). men e. V. (VKU), Verein Deutscher Inge- nieure e. V. (VDI), Vereinigung für Stadt-, Länder und Kommunen, Kommunale Regional- und Landesplanung e. V. (SRL), Spitzenverbände: Baden-Württemberg, Wissenschaftlicher Beirat der Bundesre- Bayern, Berlin, Hamburg, Arnsberg, Augs- gierung Globale Umweltveränderungen burg, Betzdorf, Bottrop, Coburg, Freiburg (WBGU), Zentraler Immobilien Aus- im Breisgau, Gelsenkirchen, Hannover, schuss e. V. (ZIA). Heidelberg, Köln, Leipzig, Ludwigsburg, München, Nürnberg, Oldenburg, Solin- gen, Stuttgart, Ulm, Wiesbaden, Deutscher Städtetag, Deutscher Städte- und Gemein- debund, Deutscher Landkreistag. Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Pra- xis: AWO Bundesverband e. V., Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e. V. (BUND), Bundesverband deutscher Woh- nungs- und Immobilienunternehmen e. V. (GdW), Bundesverband Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen e. V. (BFW), Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e. V. (Bitkom), Deutscher Gewerkschaftsbund (DGB), Deutscher Industrie- und Han- delskammertag e. V. (DIHK), Deutscher V. Teilnehmende Organisationen 31
www.bbsr.bund.de www.smart-city-dialog.de 32 Smart City Charta
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