Anerkennung und Aufwertung der Care-Arbeit Impulse aus Sicht der Gleichstellung

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Anerkennung und Aufwertung der Care-Arbeit Impulse aus Sicht der Gleichstellung
Impulse aus Sicht der Gleichstellung
              Anerkennung und Aufwertung der Care-Arbeit
                                                           Care-Arbeit
Eidgenössisches Departement des Innern EDI
Eidgenössisches Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann EBG
Anerkennung und Aufwertung der Care-Arbeit Impulse aus Sicht der Gleichstellung
Impressum

Herausgeberin
Eidgenössisches Büro für die Gleichstellung von Frau und
Mann EBG
Fachbereich Gleichstellung in der Familie
www.gleichstellung-schweiz.ch

Projektleitung
Dr. phil. Ursula Thomet

Text
lic. phil. Katharina Belser, Ilanz

Wir danken für fachliche Hinweise und kritische Anmerkungen: Dr.
iur. Kathrin Arioli; Dr. phil. Christof Arn; Prof. Dr. phil. Iren Bischof-
berger; Dr. oec. Ulrike Knobloch; Prof. Dr. iur. Alexandra Rumo-Jungo;
lic. phil I Jacqueline Schön-Bühlmann; Dr. phil. Brigitte Schnegg; lic.
phil. hist. Heidi Stutz; Dr. iur. Pierre-André Wagner, Rechtsanwalt,
LL.M.

Redaktion
Erika Linder, www.linder-kom.ch

Gestaltung
Marion Gonzalez, www.teamschneider.ch

Übersetzung
Catherine Kugler, Thônex

Fotos
Jörg Brandt, Winterthur

Vertrieb
BBL, Vertrieb Publikationen, CH-3003 Bern
www.bundespublikationen.admin.ch

Bestellnummer
301.801.d

Bern, Oktober 2010
Gedruckt auf FSC-Papier

2
Anerkennung und Aufwertung der Care-Arbeit Impulse aus Sicht der Gleichstellung
ken n en u n d a n erken n en
«Entwicklung ist nicht nur eine
Frage von steigendem Einkommen,
Bildung, Gesundheit, Selbstbe-
stimmung und sauberer Umwelt,
ebenso wichtig ist die Sorge für
andere (Care). Das Wesentliche an
der Sorge für andere sind die
menschlichen Bindungen, die damit
aufgebaut und gepflegt werden.
Die Sorgearbeit, auch Reproduk-
tionsarbeit genannt, ist zudem
unerlässlich für eine nachhaltige
Wirtschaft.».
(United Nations Development
Programme 1999)

C are – d ie S o rge u m M e n sche n
In unserer Gesellschaft übernehmen Familien einen grossen Teil der
Betreuungs-, Sorge- und Pflegearbeit für Kinder und kranke An-
gehörige – der so genannten Care-Arbeit. Wer heute unbezahlte
Care-Arbeit leistet, nimmt eine Reihe von teilweise beträchtlichen
Nachteilen in Kauf. Und weil nach wie vor Frauen einen Grossteil       Auch die bezahlte Care-Arbeit in öffentlichen und privaten Institu-
dieser Arbeit leisten, sind sie es, die am häufigsten mit den nach-    tionen wie Krippen, Spitälern, Heimen und in privaten Haushalten
teiligen Konsequenzen konfrontiert sind. Aber auch Männer wollen       steht zunehmend unter Druck. Spar- und Rationalisierungsmass-
im Alltag zunehmend Zeit mit ihren Kindern verbringen, sich ver-       nahmen haben oft eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen
mehrt an der Unterstützung kranker Angehöriger oder alter Eltern       zur Folge. Da in vielen Berufen der bezahlten Care-Arbeit der Anteil
beteiligen. Sie stossen sich ebenfalls an den Hindernissen, welche     an Frauen hoch ist, sind sie von diesen Entwicklungen besonders
die Kombination dieser Aufgaben mit Erwerbstätigkeit schwierig         betroffen.
machen.
                                                                       Unbezahlte wie bezahlte Care-Arbeit muss in wirtschaftlichen und
Unser Ziel: Wer in Zukunft unbezahlte Care-Arbeit übernimmt, soll      sozialpolitischen Überlegungen mehr Beachtung finden. Sie soll
weder bei der beruflichen Laufbahn noch bei der sozialen Absiche-      unter Bedingungen geleistet werden können, die ihrer Bedeutung
rung benachteiligt werden. Das vergrössert die Wahlmöglichkeiten       und ihrer Besonderheit angemessen sind. Für diesen Wandel ist ein
für alle. Und es fördert die ausgeglichene Verteilung dieser Arbeit    Umdenken nötig: Es gilt, die Unverzichtbarkeit und den Wert der
auf Frauen und Männer und zwischen den Generationen. Damit             Care-Arbeit zu erkennen – Care-Arbeit hält unsere Gesellschaft
dieses Ziel Realität wird, braucht es Anpassungen bei den sozial-      zusammen.
politischen Rahmenbedingungen und Verbesserungen von Arbeits-
bedingungen, zum Beispiel durch weitere Flexibilisierungen der
Erwerbsarbeitszeit. Es soll für alle möglich sein, Erwerbsarbeit mit   Patricia Schulz
Familien-, Betreuungs- und Hausarbeit zu vereinbaren.                  Direktorin
Anerkennung und Aufwertung der Care-Arbeit Impulse aus Sicht der Gleichstellung
Anerkennung und Aufwertung der Care-Arbeit Impulse aus Sicht der Gleichstellung
i nhalt
Tatsache n

N o tfa l l C are - A rbeit ?
Denk a n stö sse
Ein Fundament unserer Gesellschaft steht vor grossen Heraus-
forderungen
Seite 6

                                                                  Z ie l e u n d ha n d l u n gsfe l d er
V ier F ü n fte l d er C are - A rbeit wir d u n bezah lt
ge l eistet – vo rwiege n d für Ki n d er .                       C are A rbeit ist a n er k a n n t, au sgeg l iche n er
I n St u n d e n u n d F ra nken                                  vertei lt u n d bezah l bar
Das Ausmass der bezahlten und unbezahlten Care-Arbeit für         Sieben Ziele
Kinder und Erwachsene                                             Seite 26
Seiten 7 bis 8
                                                                  S iebe n H a n d l u n gsfe l d er
                                                                  Seiten 27 bis 28
F rau e n über n ehme n fast zwei Dritte l d er
Ki n d erbetre u u n gsarbeit u n d d ie M ehrarbeit              Das W ichtigste au s S icht d er G l eichste l l u n g
im H au sha lt, d ie d u rch Ki n d er e n tsteht.                Seite 29
M e nschen u n d E i n satzbereiche
Care-Leistungen von Frauen und Männern, im Privathaushalt         F ö r d er l iche R ahme n be d i n g u n ge n :
und in Institutionen                                              E i n B l ic k über d ie G re n ze
Seiten 9 bis 15                                                   Seite 30

                                                                  A n reg u n ge n
A rbeitstei l u n g : W er über n immt wie vie l                  Impulse für Arbeitgebende
B etre u u n gsarbeit ?                                           Best practices
Die Wah l freiheit ist begre n zt.                                Seiten 31 bis 33
Das spie lt ein e R o l le
Einkommen | familienergänzende Angebote | flexible Arbeits-
zeiten | berufliche Ambitionen | Unterstützung durch Angehörige   M ehr I n f o rmati o n e n
und Freiwillige
Seiten 17 bis 21                                                  E r l äu ter u n ge n
                                                                  Begriffe, Definitionen und Methoden
                                                                  Seite 34
W er vie l gibt, k a n n vie l gewi n n e n , aber au ch
ver l iere n .                                                    V erweise
Die Nachtei l e u n bezah lter C are- Arbeit                      Verweise und Quellenangaben
Geringere Chancen auf dem Arbeitsmarkt | fehlende Anerken-        Seite 35
nung der Qualifikationen | unzureichende soziale Absicherung |
weniger Ausbildungs-Optionen | Rollenzementierung | Armuts-       Literat u r
risiko                                                            Literaturverzeichnis
Seiten 22 bis 25                                                  Seiten 36 bis 38
Anerkennung und Aufwertung der Care-Arbeit Impulse aus Sicht der Gleichstellung
N otfa ll C are -A rbeit ?

                                                                               Care-Arbeit unter Druck
                                                                               Aktuelle soziale und wirtschaftliche Entwicklungen setzen die
                                                                               Care-Arbeit zunehmend unter Druck.
                                                                               >	Die Individualisierung bringt mehr Freiheiten für
                                                                                  die Einzelnen. Doch soziale Netze, in denen gegenseitige
                                                                                  Unterstützung früher selbstverständlich war, drohen
                                                                                  brüchig zu werden oder wegzufallen.
                                                                               >	Zunehmende Mobilität, intensivere Erwerbsarbeit, die
                                                                                  Forderung nach ständiger Verfügbarkeit, erhöhtes
                                                                                  Arbeits- und Lebenstempo verknappen die Zeit und die
                                                                                  Kraft, um ausserhalb des Berufs Care-Arbeit zu leisten.
                                                                               >	Immer mehr Frauen, auch Mütter, sind erwerbstätig.
                                                                                  Männer haben ihr Engagement in Haushalt und Familie
                                                                                  nicht im gleichen Ausmass ausgedehnt.
                                                                               >	Der Bedarf an Betreuungsarbeit ist gestiegen: Die
                                                                                  Kinderbetreuung ist anspruchsvoller und aufwändiger
        De n k a n st ö sse                                                       geworden. Der Anteil der alten Menschen und damit
                                                                                  auch der Pflegebedürftigen nimmt zu, nicht aber die
        E i n Fund ame n t unserer Gese llschaft steht                            Anzahl der Pflegepersonen.
        v o r grosse n Herausf orderunge n                                     >	Oft übernehmen ausländische Arbeitskräfte bezahlte
                                                                                  Care-Arbeit. Sie fehlen in den Herkunftsländern und
        Alle Menschen erleben Phasen der Abhängigkeit und sind auf die            werden auch dort oft durch Migrantinnen und Migranten
        Fürsorge durch andere angewiesen – besonders am Anfang und                ersetzt. Eine weltweite Migration und ein Mangel an
        gegen Ende des Lebens. Umgekehrt haben Menschen den Wunsch,               Care-Arbeitenden in den ärmsten Ländern ist die Folge.
        sich um andere zu kümmern, Beziehungen verlässlich zu gestalten        >	Die Gemeinwesen stehen unter Spardruck. Einsparungen
        und im eigenen Umfeld Verantwortung für andere zu überneh-                werden auch bei der bezahlten Care-Arbeit gefordert.
        men. Viele beziehen daraus Befriedigung und Lebenssinn. Diese             Diese lässt sich jedoch nur bedingt rationalisieren und
        Betreuungs-, Beziehungs-, Pflege- und Sorgearbeit, heute kurz             beschleunigen. Qualitätseinbussen, Verteuerung
        Care-Arbeit genannt, bildet die eigentliche Grundlage unseres Zu-         von Leistungen und Zugangsbeschränkungen drohen.
        sammenlebens und der Entwicklung und Weitergabe wichtiger
        menschlicher Fähigkeiten. Sie schafft auch die Voraussetzung für       Eine politische Auseinandersetzung ist nötig
        eine funktionierende Wirtschaft und prägt unseren Alltag und           Welchen Stellenwert hat die Care-Arbeit für unsere Gesellschaft?
        unsere Lebensqualität.                                                 Heute und morgen? Eine differenzierte Analyse ist unumgänglich.
                                                                               Gefordert ist die Gesundheits-, Sozial-, Bildungs- und Wirtschafts-
        Care-Arbeit: unverzichtbar aber unzureichend anerkannt                 politik. Auch für die Gleichstellungspolitik stellen sich zentrale
        Care-Arbeit wird grösstenteils im privaten Bereich geleistet – meist   Fragen.
        unbezahlt, sozial schlecht abgesichert und von der Öffentlichkeit
        kaum wahrgenommen. Auch im Bereich der bezahlten Care-Arbeit           Konkrete Massnahmen in den angesprochenen Politikfeldern sollen
        haben sich die Arbeitsbedingungen unter dem Spar- und Rationa-         bewirken, dass
        lisierungsdruck und der aktuellen demografischen Entwicklung           >	Care-Arbeit Leistende dies unter fairen Bedingungen
        verschlechtert.                                                           und ohne gravierende Nachteile und Einbussen bei ihrer
        Care-Arbeit ist zudem ungleich verteilt: Eltern mit kleinen Kindern       sozialen Absicherung tun können,
        und Personen über 50 leisten besonders viel unbezahlte Betreu-         >	ein angemessenes und für alle zugängliches Angebot an
        ungsarbeit. Frauen übernehmen den weitaus grössten Teil der               privaten und öffentlichen Care-Einrichtungen geschaffen
        unbezahlten und den überwiegenden Teil der bezahlten Care-                und gewährleistet wird,
        Arbeit. Sie tragen so hauptsächlich die damit verbundenen Benach-      >	und dass sich Care-Arbeit ausgeglichener auf alle
        teiligungen.                                                              – insbesondere auf die Geschlechter – verteilt.

6
Dimensi o nen
V ier F ü n fte l d er C are - A rbeit wir d u n bezah lt                    Unbezahlte Care-Arbeit: ein Wert von über 80 Milliarden
ge l eistet – vo rwiege n d für Ki n d er .                                  Franken
                                                                             Der weitaus grösste Teil der gesamten Care-Arbeit in der Schweiz,
I n S tunden und Franken                                                     die unbezahlte Care-Arbeit, wird in vielen ökonomischen Berech-
Das Ausmass der bezahlten und unbezahlten Care-Arbeit                        nungen und gesellschaftlichen Überlegungen nicht berücksichtigt.
für Kinder und Erwachsene                                                    Weil unbezahlte Arbeit nicht über den Markt vermittelt wird und
                                                                             dafür keine Löhne festgelegt werden, muss die Berechnung ihres
In der Schweiz werden jährlich rund 16 Mia. Arbeitsstunden ge-               monetären Wertes auf Umwegen erfolgen. Dazu wird die aufge-
leistet, der grössere Teil davon, nämlich 8.7 Mia. sind unbezahlt.1          wendete Zeit zu marktüblichen Löhnen für die entsprechende Tä-
                                                                             tigkeit veranschlagt (Bundesamt für Statistik BFS 2006).2
Insgesamt rund 2.8 Mia. Arbeitsstunden werden für die Betreuung              Berechnet man den Wert der unbezahlten Arbeit, dann ergeben
von Kindern und Erwachsenen aufgewendet. Vier Fünftel davon                  sich allein für privat geleistete direkte Betreuungsarbeit (vgl. Be-
macht die unbezahlte Betreuungsarbeit für Kinder und pflege-                 griffserläuterung S. 28) für Kinder und Erwachsene Arbeitskosten 3
bedürftige Erwachsene in Familien aus, konkret sind dies 2.3 Mia.            von jährlich über 80 Milliarden Franken.4 Das entspricht etwa den
Arbeitsstunden. Davon wiederum entfallen 2.1 Mia. Stunden (über              gesamten jährlichen Arbeitskosten in Baugewerbe und Handel.5
90%) auf die Kinderbetreuung.                                                Rechnet man die indirekte Care-Arbeit dazu, dann sind es rund 100
                                                                             Milliarden Franken, was etwa den Arbeitskosten des gesamten
>	Fast ein Fünftel aller in der Schweiz geleisteten Arbeit                  zweiten Sektors (Industrie und Gewerbe) pro Jahr entspricht.
   ist – bezahlte und unbezahlte – Care-Arbeit.
>	Vier Fünftel aller Care-Arbeit wird unbezahlt geleistet,                  Müsste einer vierköpfigen Familie die kinderbedingte Haus- und
   92% davon für Kinder.                                                     Familienarbeit, also die direkte und indirekte Betreuungsarbeit, zu
                                                                             Marktlöhnen bezahlt werden, würden dafür rund Fr. 5900.– pro
                                                                             Monat fällig: Die unbezahlte Arbeit der Mutter schlägt mit Fr. 4223.–,
                                                                             die des Vaters mit 1685.– zu Buche (Gerfin et al. 2009, S. 36).

bezahlte und unbezahlte Care-Arbeit für
Kin d er und Erwachsene

      bezahlt                unbezahlt

C are-Arbeit für Kinder

166 Mio.        2103 Mio.

 7%             93%                                                                              2269 Mio. Std.

C are-Arbeit für Erwachse ne

368 Mio.          186 Mio.

 66%              34%   553 Mio. Std.

Quelle: Madörin, Schnegg und Baghdadi 2010. Die auf Daten von 2004 basierenden Schätzungen
wurden mit Zahlen des Bundesamts für Statistik von 2007/2008 aktualisiert.

                                                                                                                                                               7
Umfang der Care-Arbeit in der Schweiz
    ( S chätzungen auf der Basis von Zah len                                  Geschätzter               Prozent                 Anteil an
    v o n 2007/ 2 008)                                                        Umfang                                            unbezahlter
                                                                              (in Mio. Std.                                     Care-Arbeit
                                                                              pro Jahr)

     Care-Arbeit für Kinder

     bezahlt*                                                                            166                      7%

     unbezahlt                                                                         2103                     93%                      92%

     Total                                                                             2269                   100%

     Care-Arbeit für Erwachsene

     bezahlt**                                                                          368                     66%

     unbezahlt                                                                           186                    34%                        8%

     Total                                                                              553                   100%

     Total Care-Arbeit für Kinder und Erwachsene

     bezahlt                                                                            534                       19%

     unbezahlt                                                                         2289                     81%                    100%

     Total                                                                             2822                   100%
     Quelle: Madörin, Schnegg und Baghdadi 2010. Die auf Daten von 2004 basierenden Schätzungen wurden mit Zahlen des Bundesamts für Statistik
     von 2007/2008 aktualisiert.

     * Enthalten sind Stellen in Kindergärten und Schulen (Statistik der Lehrkräfte 2006/2007) sowie in Tagesstätten, Sonderschulen, Heimen usw. (Be-
     triebszählung 2008). Nicht enthalten aufgrund fehlender Daten sind Hausangestellte in Privathaushalten, Personal von Freizeitangeboten usw.
     ** Enthalten sind Pflegende und Mitarbeitende Hausdienst in Spitälern (Krankenhausstatistik 2007), das Personal (ohne Ärzte und Ärztinnen und
     Werkstattpersonal) von Behinderten-, Alters- und Pflegeheimen und Einrichtungen für Suchtkranke (Statistik sozialmedizinischer Institutionen
     2007) sowie das Personal von Spitex/Hauspflege, Wohnheimen und Institutionen der sozialen Betreuung älterer Menschen und Behinderter (Be-
     triebszählung 2008). Nicht enthalten sind in Privathaushalten engagierte Betreuungspersonen und Hausangestellte.

8
Wer , was , wo ?
F rau e n über n ehme n fast zwei Dritte l d er
Ki n d erbetre u u n gsarbeit u n d d ie M ehrarbeit
im H au sha lt, d ie d u rch Ki n d er e n tsteht.

M e n schen und Einsatzbereiche                                       Bezahlte Care-Arbeit wird einerseits in staatlichen Einrichtungen
Care-Leistungen von Frauen und Männern, in Privathaus-                erbracht (etwa in Krippen, Kindertagesstätten, Horten, Tagesschu-
halten und in Institutionen                                           len, Spitälern, Heimen usw.), andererseits im Rahmen privater An-
                                                                      gebote (Haushaltshilfen, privates Pflegepersonal usw.). Wichtig
Der weitaus grösste Teil der Care-Arbeit wird unbezahlt in privaten   sind auch die zahlreichen nicht-gewinnorientierten Care-Anbieten-
Haushalten geleistet: Bei der Betreuung von Kindern sind über         den (z.B. Spitex, Pro Senectute) teils mit bezahlten Angestellten,
90% der Care-Arbeit unbezahlt, bei der Betreuung von kranken          teils mit institutionalisierter Freiwilligenarbeit (Aufgabenhilfe, Be-
und pflegebedürftigen Erwachsenen rund ein Drittel.                   suchs- und Begleitdienste, Mahlzeitendienste usw.).

Z eitaufwa nd für Betre uun g i n S td./ Wo che
n ach Geschlecht 2007

  Direkte Betreuungsarbeit in Haushalten mit Kindern                     Frauen                              Männer
  und betreuungsbedürftigen Erwachsenen

  Kindern Essen geben, sie waschen, zu Bett bringen                                   9                                 4.8

  Mit Kindern spielen, Hausaufgaben machen                                          10.2                                7.3

  Kinder begleiten, transportieren                                                   1.3                                0.9

  Total Betreuung Kinder                                                            20.5                                13

  Total Betreuung Erwachsene                                                        10.7                                7.6
  Quelle: Bundesamt für Statistik, SAKE 2007

                                                                                                                                                         9
B etre uung von Kindern
Wer leistet Care-Arbeit in den privaten Haushalten? Je nach Haus-
haltstyp variiert die wöchentlich aufgewendete Zeit für Care-Arbeit               Aufteilung Kinderbetreuung
deutlich. Eltern haben generell eine höhere Arbeitslast als Personen              In Haushalten mit Kindern wenden Frauen pro Woche 20.5 Stun-
ohne Kinder.                                                                      den für Kinderbetreuung auf, Männer 13 Stunden (Tabelle S. 9).
Insgesamt leisten Frauen und Männer im erwerbsfähigen Alter etwa                  Das sind Durchschnittswerte, die je nach Familientyp und Alter der
gleich viel Arbeit pro Woche – nämlich durchschnittlich 53 Stunden.               Kinder stark variieren können. Mit zunehmendem Alter der Kinder
Dabei unterscheiden sich die Anteile der bezahlten respektive un-                 geht der Betreuungsaufwand deutlich zurück.
bezahlten Arbeit wesentlich.
                                                                                  Hausarbeit in Familien mit Kindern: ein Frauenjob
Aufteilung Erwerbsarbeit und Familien-/Hausarbeit                                 Zur direkten Betreuungsarbeit kommt in Familien mit Kindern ein
Männer sind – unabhängig von der Familiensituation – fast durch-                  Mehraufwand für Hausarbeit von durchschnittlich 12.6 Stunden
gehend vollzeitlich erwerbstätig. Bei Frauen ist der Anteil der Er-               hinzu. Diese Mehrarbeit wird praktisch ausschliesslich von den
werbsarbeit generell niedriger und variiert stark, je nach Familien-              Frauen geleistet, Väter beteiligen sich wenig (Madörin, Schnegg
situation. Wenn (kleine) Kinder zu betreuen sind, sind die Differen-              und Baghdadi 2010).7 Sie engagieren sich zwar heute deutlich
zen am grössten: Frauen reduzieren dann ihre Erwerbstätigkeit                     stärker in der Kinderbetreuung, jedoch zu anderen Zeiten und
massiv und übernehmen den grössten Teil der Haus- und Familien-                   konzentrierter als die Mütter, nämlich eher abends und am Wo-
arbeit. Je älter die Kinder werden, umso mehr nimmt die Erwerbs-                  chenende. Die Arbeit der Mütter ist auf alle Wochentage verteilt
arbeit bei den Frauen wieder zu. Männer übernehmen ebenfalls                      und stärker zerstückelt (Bundesamt für Statistik BFS und Eidg. Büro
etwas mehr an Familienarbeit, wenn die Kinder klein sind, dehnen                  für die Gleichstellung von Frau und Mann EBG 2008, S.68f). Die
aber in dieser Phase ihre Erwerbstätigkeit noch aus (Bundesamt für                zusätzliche Hausarbeit bleibt über die ganze Familienphase hinweg
Statistik BFS und Eidg. Büro für die Gleichstellung von Frau und                  praktisch gleich hoch – im Unterschied zur Betreuungsarbeit, die
Mann EBG 2008, S. 15 und 18).6                                                    mit zunehmendem Alter der Kinder abnimmt.

D u rchsch nittlicher Aufwand für Erwerbs- ,
H a u s- und Fami lie narbeit 2007                                                         Männer                Haus- und Familienarbeit            Erwerbsarbeit
                                                                                           Frauen

  Total                                                                   18 h                                             35 h
                                                                                                32 h                      20 h

  Alleinlebende                                                     15 h                                                 36 h
                                                                           19 h                                   28 h

  Partner/Partnerinnen                                                  16 h                                             35 h
  in 2-Personenhaushalten                                                         24 h                           22 h

  Partner/Partnerinnen                                                                          32 h                                                       41 h
  (jüngstes Kind 0– 6 Jahre)                                                                                                        59 h              12 h

  Partner/Partnerinnen                                                            24 h                                                       41 h
  (jüngstes Kind 7–14 Jahre)                                                                                      47 h                     16 h

  Partner/Partnerinnen mit                                               17 h                                                    39 h
  älterem Kind oder and. Personen                                                                  35 h                     19 h

  Alleinerziehende                                                                               (35 h)                                              (37 h)
  (jüngstes Kind 0– 6 Jahre)                                                                                                54 h                           19 h

  Alleinerziehende                                                                       28 h                                                       41 h
  (jüngstes Kind 7–14 Jahre)                                                                              41 h                                25 h

  Bei den Eltern lebende                                         12 h                            21 h
  Söhne/Töchter (15–24 Jährige)                                    14 h                         18 h

  Nur Personen im erwerbstätigen Alter (Frauen zwischen 15 und 63 Jahren, Männer zwischen 15 und 64 Jahren). Zahlen in Klammern statistisch nur
  bedingt zulässig. Quelle: Bundesamt für Statistik, SAKE 2007

                                                                                                                                                                     11
Wer , was , wo ?
B etre uung von Erwachse nen
Auch Erwachsene, insbesondere ältere Menschen, können betreu-
ungsbedürftig werden. Von den etwas über einer Million erwach-
sener Menschen mit Behinderungen leben rund 865 000 in einem            Die Care-Arbeit für Erwachsene ist in Paarbeziehungen weniger
Privathaushalt und rund 170 000 Personen in Institutionen.8 Nur         einseitig auf die Geschlechter verteilt als die Kinderbetreuung.
etwa 40% sind 65 Jahre und älter, allerdings ist bei diesen ein grös-   Wegen des Altersunterschieds und der unterschiedlichen Lebens-
serer Anteil stark eingeschränkt als bei den jüngeren.9                 erwartung ist es trotzdem häufiger die Frau, die ihren Mann pflegt
Von allen über 64-jährigen Personen in Privathaushalten sind ca.        als umgekehrt. Das erklärt auch, weshalb in Paarhaushalten Frauen
35% in ihren Aktivitäten eingeschränkt (Hausarbeiten, Einkaufen         im Durchschnitt 13.7 Std. pro Woche für die Betreuung und Pflege
usw.). Rund 10% haben auch Mühe bei Alltagsaktivitäten wie Auf-         des Partners aufwenden, Männer 9.8 Std. (Schön-Bühlmann 2005,
stehen, sich Anziehen, Körperpflege usw. Nur etwa 8% nehmen             S. 276).11
organisierte Hilfeleistungen wie Spitex in Anspruch. Rund ein Vier-
tel wird von Haushaltmitgliedern, von ausserhalb ihres Haushalts        Pflege durch Personen ausserhalb des Haushalts
lebenden Verwandten oder von Freunden unterstützt – zum Teil            Insgesamt 11.3% der Bevölkerung erbringen Hilfe- und Pflege-
zusätzlich zur Spitex.10                                                leistungen für Verwandte und Bekannte in deren Haushalt. Beson-
                                                                        ders engagiert sind Frauen zwischen 40 und 64 Jahren. Sie leisten
Pflege vorwiegend durch die Partnerin / den Partner                     im Durchschnitt 12 Stunden pro Monat, Männer etwas über 8
Pflegebedürftige Erwachsene in Privathaushalten werden haupt-           Stunden. Für Verwandte wird mehr Zeit eingesetzt als für Be-
sächlich durch die Partnerin / den Partner gepflegt. Fehlt diese        kannte. Frauen sind bei der Pflege deutlich aktiver als Männer.
Person oder kann sie die Betreuung nicht übernehmen, springen           Ausgeglichener ist das Verhältnis bei den übrigen Dienstleistungen
vor allem die Töchter ein, deutlich seltener die Söhne (Höpflinger      (Haushalt, Gartenarbeit, Transporte usw.) (Schön-Bühlmann 2005,
und Hugentobler 2005).                                                  S. 278).12

                                                                                                                                                        13
Bezahlte Care-Arbeit: zunehmend ausländische
                                                                              Arbeitskräfte
                                                                              Gemäss Prognosen steigt der Personalbedarf im Gesundheitsbe-
                                                                              reich generell, vor allem im Pflegebereich und dort primär in der
                                                                              Langzeitpflege. Der Bedarf kann nicht mit einheimischen Arbeits-
                                                                              kräften gedeckt werden (Schweizerisches Gesundheitsobservato-
                                                                              rium 2009). Zudem wurde in den letzten Jahren zu wenig Nach-
     B ezah lte C are -A rbeit                                                wuchs ausgebildet (Nationaler Versorgungsbericht für die Gesund-
                                                                              heitsberufe 2009). Wenn für die Care-Arbeit in Institutionen wie
     Bezahlte Care-Arbeit in Privathaushalten                                 auch Privathaushalten immer mehr Arbeitskräfte aus wirtschaftlich
     Statistisch werden nur die legal in der Schweiz arbeitenden An-          schwächeren Ländern rekrutiert werden, fehlen diese in den Her-
     gestellten in Privathaushalten erfasst.13 Die Zahl der Ausländerin-      kunftsländern und müssen teilweise aus noch ärmeren Regionen
     nen und Ausländer ohne legalen Aufenthaltsstatus (Sans Papiers)          angeworben werden. Diese so genannte Care-Chain (vgl. Hoch-
     wird auf 100 000 oder mehr geschätzt (Longchamp et al. 2005).            schild 2000) endet in den ärmsten Ländern der Welt, wo sich die
     Darunter sind viele Frauen; sie arbeiten nicht selten als Hausan-        Lebensbedingungen durch den Mangel an Care-Leistenden massiv
     gestellte. Die Illegalität und Unsichtbarkeit machen diese Care-         verschlechtern.
     Arbeitenden besonders schutzlos und ausbeutbar. Ausländerinnen
     werden für die Kinderbetreuung und zunehmend auch in der pri-            Dilemma Arbeitsbedingungen
     vaten Alterspflege eingesetzt: als Haushälterin und Pflegeperson in      Die Schwierigkeit, einheimisches Personal zu finden und auszu-
     einem, zu meist geringem Lohn plus Kost und Logis. Eine Studie im        bilden, hängt auch mit den Arbeitsbedingungen im Gesundheits-
     Auftrag des Staatssekretariats für Wirtschaft SECO zeigt, dass der       wesen zusammen. Care-Arbeit in Institutionen ist körperlich und
     Haushaltsbereich nebst dem Baugewerbe den grössten Anteil an             psychisch anspruchsvoll. Sie erfordert neben Fachwissen viel Aus-
     missbräuchlichen Lohnzahlungen (Tiefstlöhne) aufweist (Observa-          dauer, Einfühlungsvermögen und Geduld. Zusätzlich belasten
     toire Universitaire de l’Emploi 2009).14 Die Vorteile für die Arbeit-    können Schicht-, Nacht- und Wochenendarbeit. Sie erschweren es
     gebenden liegen auf der Hand: günstige Betreuung rund um die             den Angestellten, ihre Erwerbsarbeit mit Familien- und Betreu-
     Uhr durch ein und dieselbe, flexibel einsetzbare Pflegeperson. Eine      ungsverantwortung zu vereinbaren.
     einheimische Arbeitskraft wäre wesentlich teurer und für viele un-       Durch Spar- und Rationalisierungsmassnahmen haben sich die
     erschwinglich.                                                           Arbeitsbedingungen für Care-Arbeitende in den letzten zwanzig
                                                                              Jahren verschlechtert (Wiederkehr 2009, S. 97f). Beziehungspflege,
     Bezahlte Care-Arbeit in Institutionen: hoher Frauenanteil                menschliche Nähe, Gespräche über Sorgen und Ängste sind für das
     Entlohnte Care-Arbeit wird von öffentlichen und privaten Einrich-        Wohlbefinden und die Genesung der Betreuten mitentscheidend.
     tungen des Erziehungs-, des Bildungs- und des Gesundheitswesens          Die Zeit dafür fehlt zunehmend. Das erleben viele Pflegende als
     erbracht (Schulen15, Krippen, Heime, Spitäler usw.). Die Frauen-         unbefriedigend und wechseln den Beruf.
     anteile in diesen Arbeitsfeldern sind hoch: Vorschulstufe über
     95%, obligatorische Schule insgesamt 66%, Primarstufe fast 80%,          Spardruck: Care-Arbeit wird verlagert
     Sekundarstufe rund 50% (Bundesamt für Statistik BFS 2010). In            Sparmassnahmen öffentlicher und privater Care-Institutionen wir-
     Krippen sind über 93% der Angestellten Frauen (Bundesamt für             ken sich auch auf Familien und Privathaushalte aus: Patientinnen
     Statistik BFS 2008). Im Pflege- und Therapiebereich (Spitäler, Alters-   und Patienten werden von Spitälern früher entlassen und müssen
     und Pflegeheime, Spitex) arbeiten rund 195 000 Personen resp. 8%         bis zur vollständigen Genesung oft zuhause weiter gepflegt werden.
     aller Erwerbstätigen, 80% davon sind Frauen. Überdurchschnittlich        Wenn das Spitex-Angebot zunehmend auf die Pflege konzentriert
     ist auch der Anteil der Ausländerinnen und Ausländer: In Spitälern       und die Haushaltsunterstützung eingeschränkt wird, übernehmen
     lag er bei 34%, in Heimen ist er vermutlich höher (deutlich mehr         Angehörige die zusätzliche Hausarbeit oder delegieren diese – falls
     gering qualifizierte Pflegende) (Schweizerisches Gesundheitsobser-       finanziell möglich – an private Dienstleistende. Care-Arbeit wird so
     vatorium 2009).                                                          nicht eingespart, sie wird lediglich verlagert.

14
W er über n immt wie vie l B etre u u n gsarbeit ?
Die Wah l freiheit ist begre n zt.

Das spie lt eine Rolle
Einkommen | familienergänzende Angebote | flexible
Arbeitszeiten | berufliche Ambitionen | Unterstützung
durch Angehörige und Freiwillige

Kinder, Kranke, Behinderte, alte Menschen – Betreuung und Pflege      werbstätigkeit des zweiten Elternteils finanziell oft nicht lohnt: Der
ist in verschiedenen Lebensabschnitten ein Thema.                     Anteil des verfügbaren Einkommens aus dem zweiten Verdienst
                                                                      nimmt mit zunehmendem Arbeitspensum deutlich ab (Bütler 2007;
Kinderbetreuung: Wie untereinander aufteilen?                         Bütler/Ruesch 2009; Knupfer und Knöpfel 2005). Der zusätzliche
Oder delegieren?                                                      Verdienst muss zu einem grossen Teil für Mehrkosten aufgewendet
Paare, die Kinder bekommen, stehen vor der Entscheidung, wie sie      werden. Ursachen dafür sind einerseits die Begrenzung des Zweit-
die zusätzliche Arbeit bewältigen. Kann die Erwerbsarbeit dauer-      verdienerabzugs und die höhere Progression bei den Steuern.
haft reduziert werden? Wie sollen sie die Erwerbs- und Betreuungs-    Anderseits fallen bei erhöhtem Einkommen die Tarifreduktionen
arbeit untereinander aufteilen? Soll und kann die Betreuungsarbeit    bei den Betreuungseinrichtungen weg. Das macht sich bei mehreren
und die zusätzliche Hausarbeit teilweise delegiert werden? Wenn       Betreuungstagen pro Woche massiv bemerkbar.
ja, an wen?
Viele Faktoren sind bei diesen Entscheiden zu berücksichtigen und     Familienergänzende Kinderbetreuung: Nachfrage grösser
zu gewichten. Wichtig sind auch Überlegungen zu den Auswirkun-        als Angebot
gen eines Entscheids, etwa die Erwerbschancen nach einem Unter-       In den letzten Jahren wurden, nicht zuletzt dank den Fördermass-
bruch, mögliche Renteneinbussen und die Folgen einer Scheidung        nahmen des Bundes, die Angebote für familienexterne, kosten-
(siehe Kapitel Konsequenzen ab Seite 22).                             pflichtige Kinderbetreuung beträchtlich ausgebaut. Doch sie de-
                                                                      cken die steigende Nachfrage noch immer nicht und sind sehr
Einkommen: Unterschiede beeinflussen den Entscheid                    ungleich verteilt. Auf dem Land beispielsweise sind Krippen wegen
Eltern bringen unterschiedliche berufliche Voraussetzungen mit,       zu geringer Kinderzahlen oft schwierig zu realisieren. Im städti-
die ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt beeinflussen. Das erziel-       schen Umfeld steht in der Regel ein breiteres Angebot zur Verfü-
bare Einkommen variiert stark nach Ausbildung und Beruf, aber         gung: Krippe, Hort, Tagesfamilie, Mittagstisch oder Tagesschule.
auch nach Geschlecht. Frauen verdienen für die gleiche Arbeit in      Die Platzzahl und das Betreuungsangebot sind jedoch beschränkt,
der Privatwirtschaft nicht nur rund 10% weniger als Männer (Strub     z.B. offen nur an Werktagen ab 7 Uhr oder 8 Uhr bis 18 Uhr und
et al. 2008, S. 83), sie arbeiten zudem oft in Berufen und Branchen   teilweise Schliessung wegen Ferien. Kranke Kinder werden in der
mit deutlich niedrigeren Löhnen. Der Monatslohn einer Frau (Pri-      Regel nicht betreut.
vatwirtschaft und öffentliche Verwaltung zusammen) betrug 2008
für ein volles Arbeitspensum im Mittel Fr. 5040.–, ein Mann ver-      Im Vergleich mit anderen OECD-Ländern ist das Angebot an Kinder-
diente Fr. 6248.– (Bundesamt für Statistik BFS 2009a, S. 6).16 Die    betreuungseinrichtungen in der Schweiz unterdurchschnittlich aus-
geringeren Verdienstmöglichkeiten der Frauen und der (altersbe-       gebaut (UNICEF 2008). Zirka 30% aller Mütter mit Kindern unter
dingte) Vorsprung der Männer in der Karriere begünstigen Lösun-       15 Jahren schränken ihre Erwerbsarbeit wegen mangelnder exter-
gen, bei denen der Mann hauptsächlich für den Erwerb und die          ner Kinderbetreuung ein, Väter zu zirka 7% (Schätzungen für das
Frau ganz oder mehrheitlich für die Care-Arbeit zuständig ist.        Jahr 2005). Hochrechnungen zeigen, dass rund 21 000 Frauen
                                                                      wegen mangelnder Kinderbetreuungsmöglichkeiten auf eine Er-
Heute ist die Erwerbstätigkeit der Mütter (auch mit kleineren         werbstätigkeit verzichten. Weitere rund 54 000 erwerbstätige
Kindern) verbreitet und gesellschaftlich weitgehend anerkannt.        Mütter würden gerne mehr arbeiten. Zusammen ergibt dies ein
Das Engagement der Väter in Haus- und Familienarbeit hat jedoch       geschätztes potenzielles Erwerbsvolumen von rund 44.7 Mio.
nicht entsprechend zugenommen, meist bleiben sie weiter voll er-      Stunden jährlich oder gut 20 000 Vollzeitstellen, das dem Arbeits-
werbstätig. Verschiedene Schweizer Studien zeigen, dass sich für      markt allein wegen fehlender Kinderbetreuung nicht zur Verfü-
verheiratete Eltern mit kleinen Kindern eine umfangreichere Er-       gung steht (Mecop-Infras 2007).

                                                                                                                                               17
Care-Arbeit selbst übernehmen: eine Rechenaufgabe
     Ein Paar mit einem oder mehreren Kindern muss mit verschiedenen
     zusätzlichen Aufwendungen rechnen: höhere Konsumkosten (di-           Egalitäre Arbeitsteilung: Vieles muss stimmen
     rekte Kinderkosten) und grösserer Zeitbedarf für die kinderbedingte   Für eine ausgeglichene Aufteilung der Betreuungsarbeit unter den
     Familien- und Hausarbeit (indirekte Kinderkosten). Letztere entste-   Eltern muss Vieles stimmen: ähnlich gut bezahlte Stellen, Teilzeit-
     hen durch den Minderverdienst wegen reduzierter Erwerbsarbeit         pensen und Flexibilität bei der Einteilung und Organisation der
     und/oder sind Ausgaben für die Haus- und Betreuungsarbeit durch       Arbeit sind wichtig (Staatssekretariat für Wirtschaft SECO 2007).
     Dritte (Gerfin et al. 2009, S. VI).                                   Solche Arbeitsbedingungen sind heute nicht selbstverständlich und
     Die zusätzlichen direkten und indirekten Kosten werden nur zu         ungleich verteilt. Im Anstellungsverhältnis profitieren Mütter selte-
     einem geringen Teil durch den Erwerbsersatz der Mutterschaftsver-     ner als Väter von flexiblen Arbeitszeitmodellen wie Blockzeit und
     sicherung und die Familienzulagen gedeckt. Familien mit mittlerem     Gleitzeit, Monats- oder Jahresarbeitszeit usw. (Bundesamt für Sta-
     Einkommen werden zudem bei den Krippentarifen und Steuern nur         tistik BFS 2008, S. 73). Ist das Kind krank oder müssen unvorher-
     wenig entlastet. Um den Familienunterhalt zu decken, sind deshalb     gesehene Termine wahrgenommen werden, braucht es zusätzliche
     bis weit in die Mittelschicht hinein zwei oder zumindest eineinhalb   Betreuungsmöglichkeiten auf Abruf. Die meisten Paare mit egali-
     Löhne nötig. Und für Familien mit tiefem Einkommen ist die volle      tärer Arbeitsteilung sind zusätzlich auf externe Kinderbetreuung
     Betreuung der Kinder zuhause gar nicht möglich, da sie zwingend       angewiesen, denn oft müssen oder wollen beide Elternteile mehr
     auf zwei Löhne angewiesen sind.                                       als 50% arbeiten.

     Wenn beide Elternteile berufliche Ambitionen haben                    Alleinerziehende: zeitlich und finanziell am Limit
     Oft fallen wichtige berufliche Schritte (Etablierung im Beruf, Wei-   Alleinerziehende haben die weitaus höchste Arbeitslast zu tragen.
     terbildung, Aufstieg in höhere Position) zeitlich zusammen mit dem    Der Aufwand für Lebensunterhalt, Haushalt und Kinderbetreuung
     Beginn der Familienphase. Frauen, die im Alter zwischen 25 und        ist kaum geringer als bei einer Familie mit zwei Elternteilen, doch
     35 ihre Berufstätigkeit zugunsten der Familie zurückstecken, ge-      kann er nicht auf zwei Personen verteilt werden. Alleinerziehende
     raten deshalb auf der Karriereleiter in Rückstand. Ganz besonders     sind fast immer auf eine Erwerbstätigkeit angewiesen, da die Ali-
     gilt dies für wissenschaftliche Laufbahnen und Karrieren in höhe-     mente bzw. die Witwen- und Waisenrenten zu gering sind und sie
     ren Positionen von Wirtschaft und Verwaltung. Dies kann mit ein       für ihre Altersvorsorge selbst aufkommen (Eidg. Kommission für
     Grund sein, dass in der Schweiz 40% der Akademikerinnen kinder-       Frauenfragen EKF 2007).
     los bleiben (Eidg. Koordinationskommission für Familienfragen         Alleinerziehende Väter sind oft vollzeitlich erwerbstätig und über-
     EKFF 2008, S. 25). Erschwerend kommt hinzu, dass für viele Lauf-      nehmen selbst wenig Betreuungsarbeit. Alleinerziehende Mütter
     bahnen Mobilität (Auslandaufenthalte, Stellenwechsel) gefordert       hingegen arbeiten meist Teilzeit, dies jedoch häufiger und mit einem
     ist und bei Paaren zwei verschiedene Karrieren unter einen Hut        durchschnittlich höheren Pensum als Mütter, die mit einem Partner
     gebracht werden müssen.                                               zusammenleben. Sie betreuen ihre Kinder zum grössten Teil selbst.

18
arbeitstei lu ng
ein f lussfaktoren auf betreuungs lösung
k i n d er

                                                                  ormen, Werte und
                                                      tli   che N                  Rol
                                                                                       len
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                                                               – Elternurlaub mit Lohnersatz
                                                               – Familienzulagen
                                                               – Erziehungsgutschriften
                                                               – Soziale Absicherung der
                                                                                                                              Arbeitsmarkt
                                                               	Nichterwerbstätigen
                                                                                                                           – Einkommen
                 Steuersystem
                                                                                                                           –	Karrierechancen
               – Abzug Kosten
                                                                                                                           – Teilzeitstellen
                 Fremdbetreuung
                                                                                                                           –	Lohndifferenzen
               – Zweiverdienerabzug
                                                                                                                           – Familienfreundlichkeit
               – Individualbesteuerung
                                                                                                                              des Unternehmens
               – Verheiratetentarif
                                                                                                                           – Zeitliche / geografische
                                                                                                                              Flexibilität

                                                                                  arrange
                                                                         i   en                m
                                                                      il                           e
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                                                                                                   n
                                                             Fa

                                                                                                       t

                                                                             Arbeitsteilung?
                                                                             Delegation?

      Frau
                                                                                                                                         Mann
    – Ausbildung/Erfahrung
                                                                                                                                       – Ausbildung/Erfahrung
    – Interessen/ Wünsche
                                                                                                                                       – Interessen/ Wünsche
    – Individuelle Normen,
                                                                                                                                       – Individuelle Normen,
      Werte und Rollenbilder
                                                                                                                                         Werte und Rollenbilder

                                      Betreuungsangebot                                                 Familienkonstellation
                                  –	Kosten                                                             – Zahl, Alter, Gesundheit
                                  – Erreichbarkeit                                                      der Kinder
                                  – Qualität / Verlässlichkeit                                         – Zivilstand
                                  – Zeitl. Abdeckung                                                   – andere Betreuungs-
                                                                                                        aufgaben

                                                                                                                                                                                   19
Betreuung von Erwachsenen: kein einfacher Entscheid
     Krankheit, Unfall, Altersbeschwerden – plötzlich benötigen An-        Gelingt die Vereinbarung von Erwerbsarbeit und Betreuungsauf-
     gehörige vorübergehend oder dauernd Betreuung. Beim Entscheid,        gabe nicht, gibt es heute zwei Möglichkeiten. Entweder wird auf
     ob jemand aus dem nahen Umfeld – die Partnerin, der Partner,          die Betreuung zuhause verzichtet, und die bedeutenden Mehrkos-
     Geschwister, die Eltern – diese Betreuungsaufgabe übernehmen          ten einer institutionellen Betreuung müssen sowohl von der be-
     will und kann, gilt es, verschiedene Optionen abzuwägen und für       treuten Person wie auch von der Allgemeinheit getragen werden.
     alle Beteiligten die beste Lösung zu finden.                          Oder die Betreuungsperson gibt ihre Erwerbstätigkeit auf, verliert
                                                                           damit ihr Einkommen, erleidet Einschränkungen hinsichtlich ihrer
     Beruf und Angehörigenpflege: keine einfache                           beruflichen Zukunft und bei der Altersvorsorge. Für die Volkswirt-
     Kombination                                                           schaft bedeutet dies kurzfristig einen Verlust an Steuereinnahmen
     Rund 2% der Erwerbstätigen leben mit einer betreuungsbedürfti-        und Sozialversicherungsbeiträgen, längerfristig können Kosten in
     gen Person im gleichen Haushalt. Weitere knapp 2% der Erwerbs-        der Sozialhilfe und bei Ergänzungsleistungen die Folge sein.
     tätigen pflegen Angehörige, die in einem andern Haushalt leben
     (Bischofberger und Höglinger 2008, S. 36).                            Rentnerinnen und Rentner leisten besonders viel
     Nicht selten erfüllen die Betreuenden zwei Aufgaben gleichzeitig:     Care-Arbeit
     die Betreuung kleiner Kinder und die Pflege von Angehörigen.          Die heutigen Rentnerinnen und Rentner sind überwiegend bei
     Brauchen Eltern oder Schwiegereltern Betreuung, sind es oft           guter Gesundheit und finanziell abgesichert. Viele von ihnen über-
     Frauen, die dafür ihre Erwerbstätigkeit einschränken (Tabelle 2).     nehmen Care-Aufgaben: Grosseltern betreuen ihre Enkel, andere
     Wer die Betreuungsaufgabe mit dem Beruf kombinieren will, ist bei     sind aktiv in der Nachbarschaftshilfe, in Altersorganisationen, Kirch-
     der Angehörigenpflege ebenso wie bei der Kinderbetreuung auf          gemeinden und Vereinen. Sie besuchen Kranke, verteilen Essen,
     flexible Lösungen am Arbeitsplatz angewiesen. Zentral ist das Ver-    begleiten Behinderte oder übernehmen Transportdienste. Viele der
     ständnis von Vorgesetzten und von Kolleginnen und Kollegen.           über 65-Jährigen betreuen den kranken Partner / die kranke Partne-
     Freistellungen oder vermehrte Zeitflexibilität für die Angehörigen-   rin. Insgesamt leisten ältere Menschen bis zum Alter von 80 Jahren
     pflege wird in Betrieben erst in Ansätzen diskutiert.                 mehr unentgeltliche Unterstützungs- und Pflegearbeit als sie selbst
     Bei der Angehörigenpflege kommt erschwerend hinzu, dass sich          beanspruchen. Sie ermöglichen Tausenden von älteren Personen
     der Verlauf der Krankheit oder Behinderung und damit die Be-          ein mehr oder weniger eigenständiges Leben zuhause, ziehen für
     treuungsdauer schwer abschätzen lässt. Zudem kann die physische       sich Befriedigung aus dieser Arbeit und ersparen der öffentlichen
     und psychische Belastung der betreuenden Person deren Leistungs-      Hand beträchtliche Kosten. Diese Tatsache sollte vermehrt berück-
     fähigkeit am Arbeitsplatz beeinträchtigen. Dann werden Entlas-        sichtigt werden. Vor allem Frauen werden oft fälschlicherweise als
     tungsmöglichkeiten nötig (Tageskliniken, Haushaltshilfen usw.). Die   Kostenverursacherinnen im Alter gesehen, weil sie häufiger keine
     Organisation und Abstimmung all dieser Massnahmen kann sehr           Angehörigen mehr haben, die ihre Pflege übernehmen können.
     aufwändig sein. Die Lösungen müssen zudem finanzierbar und            Dabei wird vergessen, wie viel unentgeltliche Care-Arbeit gerade
     verlässlich sein, damit die Betreuenden ihrer Berufstätigkeit nach-   sie geleistet haben, bevor sie selbst pflegebedürftig wurden (Stutz
     gehen können.                                                         2007).

20
ein f lussfaktoren auf betreuungs lösung
erwachsene

                                                                     n, Werte un
                                                             e Norme             d Fa
                                                 ft   lich                            mi             lie
                                         s   cha                                                           nb
                                                                                                                ild
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                                 se                                                                                   er
                            Ge

                            Betreuungsinstitutionen
                                                                                               Soziale Sicherheit
                          – Angebot/Erreichbarkeit
                                                                                              –	Lohnersatz bei Urlaub
                          –	Kosten
                                                                                              – Betreuungsgutschriften
                          – Qualität
                                                                                              – Ergänzungsleistungen
                          – Zeitl. Flexibilität

                                                                           ngslösu
                                                                  e   uu                ng
   Betreuungsentlastung
                                                               tr
                                                         be

   zuhause                                                                                                                  Arbeitsmarkt
 – Angebot (privat und                                                zuhause                                              – Einkommenschancen
   institutionell)                                                    oder                                                 – Arbeitszeitflexibilität
 – Verfügbarkeit                                                      institutionell?                                      – Familienfreundlichkeit
 – Verlässlichkeit                                                                                                          der Unternehmen
 –	Kosten

                                                                                              Potenzielle
                             Zu betreuende
                                                                                              Betreuungsperson(en)
                             Person(en)
                                                                                             – Betreuungsbereitschaft
                           – Aktueller und
                                                                                             –	Körperliche Verfassung
                             zukünftiger Pflege- und
                                                                                             – Erwerbstätigkeit
                           	Unterstützungsbedarf
                                                                                             – Andere Verpflichtungen
                           – Finanzielle Reserven
                                                                                             – Finanzielle Absicherung
                           – Betreuungswünsche

                                                                                                                                                       21
Ko nsequenzen

       W er vie l gibt, k a n n vie l gewi n n e n , aber au ch
       ver l iere n .

       Die Nachteile unbezahlter Care-Arbeit
       Geringere Chancen auf dem Arbeitsmarkt | fehlende
       Anerkennung der Qualifikationen | unzureichende
       soziale Absicherung | weniger Ausbildungsoptionen |
       Rollenzementierung | Armutsrisiko

       Die meisten Menschen leisten im Laufe ihres Lebens Care-Arbeit.
       Art und Ausmass des Engagements sind ebenso unterschiedlich                Fazit: Care-Leistende bleiben auf der Karriereleiter stecken und
       wie die dadurch notwendigen Einschränkungen anderer Aktivitä-              nehmen deutliche Lohneinbussen in Kauf. Zwei Beispiele: Gemäss
       ten, namentlich der Erwerbsarbeit.                                         Lohnstrukturerhebung 2006 verdienen verheiratete Frauen 31%
                                                                                  weniger als ihre männlichen Kollegen (Eidg. Büro für die Gleich-
       Weniger Chancen auf dem Arbeitsmarkt                                       stellung von Frau und Mann EBG 2009, S. 9). Eine Untersuchung
       Wer Betreuungsverantwortung übernimmt, hat weniger Zeit für                zeigt für Frauen bei allen Biografietypen den gleichen Effekt: Durch
       die Erwerbsarbeit. Meistens ist höchstens eine Teilzeitanstellung          das Vorhandensein von Kindern ergibt sich eine lebenslängliche
       möglich. Jobs mit unregelmässigen Arbeitszeiten, viel Überzeit             Reduktion des durchschnittlichen Lohnes (Bauer 2000, S. 134).
       oder hoher Mobilität kommen von vornherein nicht in Frage. Ideal
       sind Arbeitszeitregelungen mit möglichst viel Spielraum. Doch              Dequalifizierung und fehlende Anerkennung der
       solche Bedingungen bietet nicht jeder Betrieb.17 Personen mit              ausserberuflichen Kompetenzen
       Care-Aufgaben sind deshalb öfter erwerbslos oder können nicht              Wer Care-Arbeit übernimmt, leistet ausserberuflich anspruchsvolle
       im gewünschten Umfang erwerbstätig sein. Der Anteil der Er-                Arbeit und erwirbt dabei vielfältige Kompetenzen. So werden bei-
       werbslosen und der Unterbeschäftigten ist denn auch bei Frauen             spielsweise Belastbarkeit, Flexibilität, Kommunikations- und Orga-
       mit Kindern im Vorschul- und Schulalter massiv höher als bei               nisationsfähigkeit trainiert – Schlüsselkompetenzen also, die auf
       Männern oder kinderlosen Frauen (Bundesamt für Statistik BFS               dem Arbeitsmarkt grundsätzlich gefragt sind (Kadishi 2001 und
       2008, S. 21).                                                              2002). Noch werden solche ausserberuflich erworbenen Kompe-
                                                                                  tenzen viel zu selten anerkannt. Das Augenmerk liegt vielmehr bei
       Geringere Lohn- und Karrierechancen                                        den fehlenden Berufsjahren, in denen allenfalls fachliche Entwick-
       Die eingeschränkte Verfügbarkeit und allfällige Unterbrüche der            lungen und entsprechende Weiterbildungen verpasst wurden. Das
       Erwerbstätigkeit von Care-Arbeitenden wirken sich mehrfach nega-           erschwert den Wiedereinstieg in qualifizierte Stellen und in Aus-
       tiv aus: Sie finden beispielsweise keine Stelle, die ihren Qualifikatio-   bildungen, die an das vorherige Qualifikationsniveau anschliessen.
       nen und dem gewünschten und flexiblen Pensum entspricht. Sie               Und es verstärkt die Abhängigkeit vom Existenz sichernden Ein-
       können wegen zu geringer Pensen oder aus zeitlichen Gründen                kommen eines Partners / einer Partnerin.
       nicht an Weiterbildungen teilnehmen und damit ihre Stellung ver-           Aus wirtschaftlicher Sicht sind sowohl der Verlust beruflicher Qua-
       bessern. Sie erhalten seltener verantwortungsvolle Positionen, weil        lifikationen, eine nicht den Qualifikationen entsprechende Be-
       ihre Vorgesetzten unvorhergesehene Absenzen und mangelnde                  schäftigung, Unterbeschäftigung als auch die Nichtanerkennung
       Bereitschaft für Überzeit befürchten. Zudem sind Teilzeitstellen in        von ausserberuflich erworbenen Kompetenzen eine Verschwen-
       leitenden Positionen rar.                                                  dung von Ressourcen.

22
Armutsrisiko für Alleinerziehende und Familien mit
                                                                         mehreren Kindern
                                                                         Über 50% der Ehen werden geschieden, bei knapp der Hälfte der
Zementierung der gewählten Arbeitsteilung                                Scheidungen sind Kinder betroffen (Bundesamt für Statistik BFS
Paare, welche die Betreuungs- und damit die Erwerbsarbeit nach           2008, S. 10). Sie leben in der Regel bei der Mutter. Alleinerziehende
einiger Zeit anders aufteilen wollen, scheitern oft an den Nach-         Väter machen heute weniger als 15% der Einelternfamilien aus.
teilen, die sie in Kauf nehmen müssten. Wenn sich der eine Eltern-       Alleinerziehende sind überdurchschnittlich oft von Armut betrof-
teil voll der beruflichen Laufbahn widmen konnte, sind seine finan-      fen: Die Verantwortung für Unterhalt und Betreuung ist nicht auf
ziellen und statusbezogenen Einbussen bei einer Umverteilung             zwei Erwachsene verteilt, die Kosten für den Lebensunterhalt sind
markant. Sie können meist durch den anderen Elternteil nicht wett-       aber ähnlich hoch wie bei Familien mit zwei Elternteilen.
gemacht werden.
Nicht nur im Berufsleben, auch in der Familie führt die Arbeitstei-      2007 lag das Einkommen von mehr als einem Viertel aller Einel-
lung zu einem Ungleichgewicht: Wer bis jetzt von der Care-Arbeit         ternfamilien unter der Armutsgrenze. Insgesamt 18% der Allein-
zuhause entlastet war, konnte sich die entsprechenden Fähigkei-          erziehenden waren 2006 auf Sozialhilfe angewiesen (Bundesamt
ten nur bedingt aneignen. Auch diese einseitige Kompetenzent-            für Statistik BFS 2008, S. 47).
wicklung kann ein Grund sein, die gewählte Aufteilung beizube-           Aber auch Familien mit zwei und mehr Kindern sind überdurch-
halten.                                                                  schnittlich oft von Armut betroffen. Bei Familien mit drei und mehr
Damit verfestigen sich die Arbeitsteilung ebenso wie die Abhängig-       Kindern sind es bereits ein Viertel. Bei letzteren ist der Anteil der
keiten. Das ist aus gesellschaftlicher Sicht nicht wünschenswert.        working poor, d.h. von Haushalten, die trotz einer Erwerbstätigkeit
Menschen mit vielfältigen beruflichen, sozialen wie alltagsprakti-       von mindestens 36 Wochenstunden unter die Armutsgrenze fal-
schen Fähigkeiten sind flexibler und eigenständiger. Sie sind für das    len, besonders hoch. Meist verfügen die Eltern über geringe beruf-
Berufsleben ebenso gut gerüstet wie für das Zusammenleben im             liche Qualifikationen und entsprechend tiefe Löhne. Überdurch-
privaten Alltag und ihre soziale Absicherung ist besser. Dieser Um-      schnittlich viele haben keinen Schweizer Pass. Trotzdem: Nur 2.6%
stand gewinnt angesichts der hohen Scheidungsraten zunehmend             dieser Familien beziehen Sozialhilfe (Bevölkerungsdurchschnitt 4%)
an Bedeutung.                                                            (Bundesamt für Statistik 2008, S. 47).

armu ts- und wo rking poo r-q uote
n ach Haushalttyp 2007
                                                                        Allgemeine Armutsquote               Working Poor-Quote

   3 0%
                                                      26,3%
   2 5%                                                                                                                           23 ,9 %

   2 0%

    15%
                                                                                                               11, 4 %
    10 %          8 ,8%                                                                     9 ,1 %
                                       8,7%
                                                                         6,0%
     5%

     0%
                         4.4%                1,9%           9, 9 %             2,2%                  5 ,1%            7, 6 %            18 %

                  Sämtliche            Einpersonen-   Eineltern-         Paar ohne          Paar mit            Paar mit          Paar mit
                  Haushalte            haushalt       haushalt           Kind               1 Kind              2 Kindern         3 und mehr
                                                                                                                                  Kindern

Quelle: Bundesamt für Statistik, SAKE 2007

                                                                                                                                                 23
Negative Auswirkungen bis ins Rentenalter                                 weg. Kommt es nach Eintritt der Pensionierung zu einer Scheidung,
     Eltern wird für die Jahre der elterlichen Sorge für Kinder unter 16       ist lediglich eine angemessene Entschädigung geschuldet. Es fin-
     Jahren ein theoretisches Einkommen bei der AHV gutgeschrieben,            det kein Ausgleich statt.19
     so genannte Erziehungsgutschriften. Analog dazu können für die            Personen, die über längere Zeit pflegebedürftige Eltern betreuen
     Betreuung von pflegebedürftigen Angehörigen im eigenen Haus-              und dadurch einen Heimaufenthalt hinausschieben oder unnötig
     halt Betreuungsgutschriften der AHV beantragt werden. Damit               machen, sparen Kosten, die sonst zulasten des Vermögens der be-
     wird der Einkommensverlust von Care-Arbeitenden bei der AHV-              treuten Person gehen. Die Einführung eines Anspruchs auf Entschä-
     Rente zumindest teilweise ausgeglichen.18                                 digung dieses Einsatzes im Rahmen des Erbrechts könnte inner-
     Bei der zweiten Säule machen sich Erwerbsausfälle aufgrund von            familiär einen Ausgleich für die geleistete unbezahlte Care-Arbeit
     Betreuungsarbeit stärker bemerkbar, vor allem für Geschiedene,            schaffen und Care-Leistende, die ihre Erwerbstätigkeit reduzieren,
     Konkubinatspaare und Alleinstehende. Fehlende Beitragsjahre               finanziell absichern. Denn: Personen mit reduzierter Erwerbstätig-
     oder geringere Beiträge eines Partners / einer Partnerin während          keit kommen je nach Lohnhöhe und Arbeitspensum nicht auf den
     der Ehe können bei einer Scheidung durch den Vorsorgeausgleich            Mindestlohn, der zu einer Versicherung berechtigt. Sie verlieren
     kompensiert werden. Allerdings verzichten viele (heute vor allem          dadurch Beitragsjahre und müssen massive Einbussen bei den Ren-
     Frauen) bei der Scheidung auf diesen Anspruch. Der Verzicht ist in        ten in Kauf nehmen. Diese fehlende Kompensation in der berufli-
     der Praxis nicht die Ausnahme geblieben, wie es der Gesetzgeber           chen Vorsorge kann zur Folge haben, dass der Staat mehr Ergän-
     wollte. Für Unverheiratete fällt die Möglichkeit eines Ausgleichs         zungsleistungen und mehr Sozialhilfe bezahlen muss.

     Nachtei le du rch die Übern ahme von
     C are-Vera ntwort ung im privaten Hausha lt

       Bereich                     Nachteile                               Individuelle Folgen                 Volkswirtschaftliche
                                                                                                               Auswirkungen

       Arbeitsmarkt                Geringere Chancen bei                   Höhere Arbeitslosigkeit,            Geringere Steuereinnahmen,
                                   Anstellung und Aufstieg,                Unterbeschäftigung, Lohn-           Belastung der Arbeitslosen-
                                   Schwierigkeiten beim                    einbussen                           versicherung
                                   Wiedereinstieg

                                   Beschränkte Anerkennung                 Einkommenseinbussen,                Steuereinbussen, Mangel an
                                   von Kompetenzen aus der                 Hindernisse bei Weiter-             qualifizierten Arbeitskräften,
                                   Familien- und Freiwilligen-             bildungen, Dequalifikation          Verlust von Bildungsinvesti-
                                   arbeit                                                                      tionen

       Sozialversicherungs-        Unzureichende soziale                   Abhängigkeit, Armutsrisiko          Erhöhte Sozialhilfekosten
       system                      Absicherung der Betreuungs-
                                   arbeit

                                   Renteneinbussen durch                   Armutsrisiko im Alter               Höhere Sozialausgaben
                                   Reduktion oder Unterbruch                                                   (Ergänzungsleistungen,
                                   der Erwerbsarbeit, v.a. in                                                  Sozialhilfe), geringere
                                   der 2. Säule                                                                Steuereinnahmen

       Bildungssystem              Eingeschränktes Angebot an              Eingeschränkte Ausbildungs-         Keine optimale Qualifizierung
                                   Teilzeitausbildungen und                möglichkeiten, Bildungsdefizit
                                   modularen Ausbildungen,
                                   Alterslimiten bei Stipendien

                                   Fehlende Anerkennung der in             Kein Zugang zu bestimmten           Verlust von Bildungspotenzial
                                   der Care-Arbeit erworbenen              Ausbildungen, längere
                                   Qualifikationen                         Ausbildungszeit

24
Stolpersteine für eine ausgeglichenere Verteilung auf
                                                                Frauen und Männer
                                                                Immer mehr jüngere Paare wollen die unbezahlte Care-Arbeit part-
                                                                nerschaftlich teilen. Doch die Realisierung dieses Wunsches ist
                                                                nicht immer einfach. Welches sind die Hindernisse? Welche
                                                                Rahmenbedingungen erweisen sich als Stolpersteine?

H ürd en für eine ausgeg liche nere Auftei l u n g
d er unbezah lten Care-Arbeit

 Bereich              Hürden / Schwierigkeiten                    Wirkungen

 Arbeitsmarkt         Lohndifferenz zwischen                      Geringeres Familieneinkommen bei egalitärer Aufteilung
                      Geschlechtern

                      Teilweise nicht Existenz sichernde          Zwei halbe Einkommen reichen nicht für Familien-
                      Löhne                                       unterhalt, Working poor

                      Hohe (Normal-)Arbeitszeit                   Vereinbarkeitsprobleme, Zeitkonflikte

                      Zu wenig flexible Arbeitszeitregel-         Vereinbarkeitsprobleme, Zeitkonflikte
                      ungen, unregelmässige Arbeitszeiten

                      Zu wenig qualifizierte Teilzeitstellen,     Beteiligung von Männern an Betreuungsarbeit erschwert
                      v.a in sog. Männerberufen und in
                      höheren Positionen

                      Segmentierung des Arbeitsmarkts             Unterschiedliche Erwerbs- und Karrierechancen fördern
                      (in sog. Frauen- und Männerberufe)          traditionelle Rollenverteilung, Care-Kompetenzen sind
                                                                  einseitig verteilt

 Schule               Eingeschränktes Angebot an Block-           Mehr Präsenz der Eltern erforderlich, Erwerbstätigkeit
                      zeiten, Mittagstischen, Tagesschulen        tendenziell eingeschränkt

 Institutionelle      Nicht der Nachfrage entsprechendes          Entlastung der Betreuenden erschwert, Betreuende
 Betreuung            Angebot                                     (meist Frauen) schränken Erwerbstätigkeit ein oder
                                                                  verzichten darauf

                      Hohe Kosten                                 Entlastung der Betreuenden erschwert, Betreuende
                                                                  (meist Frauen) schränken Erwerbstätigkeit ein oder
                                                                  verzichten darauf

                      Ungünstige Tarifstruktur (Krippen)          Zweiteinkommen erhöht Kosten für externe Betreuung

 Steuern              Zusammenveranlagung der Ehepaare,           Zweites Einkommen bewirkt höhere Steuerprogression
                      Begrenzung Doppelverdienerabzug

                      Beschränkte Abzüge für Betreuungs-          Externe Betreuung für viele zu teuer
                      kosten

 Sozialversicherung   Kurzer Mutterschaftsurlaub, kein            Zwingt oft (meist die Mütter) zu Erwerbsunterbruch,
                      Vaterschaftsurlaub / Elternurlaub           erschwert Übernahme der Kleinkindbetreuung durch
                                                                  Väter

                      Kein bezahlter Urlaub für Ange-             Übernahme von Care-Verantwortung für Erwerbstätige
                      hörigenbetreuung                            erschwert

                                                                                                                                   25
C are - A rbeit ist a n er k a n n t, au sgeg l iche n er

     Z iele
              vertei lt u n d bezah l bar

              S ieben Z iel e

              Unbezahlte Care-Arbeit wird als gesellschaftlich
              zentrale, volkswirtschaftlich relevante und unverzicht-
              bare Arbeit anerkannt.

              Ausbildungen lassen sich mit Care-Verantwortung
              vereinbaren. Kompetenzen aus unbezahlter Care-Arbeit
              werden auf dem Arbeitsmarkt angerechnet.

              Unbezahlte Care-Arbeit lässt sich mit einer beruflichen
              Laufbahn vereinbaren.

              Die besondere Situation Alleinstehender mit Betreuungs-
              aufgaben wird berücksichtigt – bei Entlastungsangeboten
              ebenso wie bei Unterhalts- und Vorsorgeregelungen.

              Care-Arbeit ist ausgeglichener auf die Geschlechter
              verteilt.

              Institutionelle Care-Leistungen sind bezahlbar und auf
              die Bedürfnisse der Nutzenden abgestimmt.

              Die Arbeitsbedingungen für bezahlte Care-Arbeit sind
              fair und gemäss den Besonderheiten dieser Arbeit
              ausgestaltet. Es wird genügend Personal ausgebildet.

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