Anerkennung und Aufwertung der Care-Arbeit Impulse aus Sicht der Gleichstellung
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Impulse aus Sicht der Gleichstellung Anerkennung und Aufwertung der Care-Arbeit Care-Arbeit Eidgenössisches Departement des Innern EDI Eidgenössisches Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann EBG
Impressum Herausgeberin Eidgenössisches Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann EBG Fachbereich Gleichstellung in der Familie www.gleichstellung-schweiz.ch Projektleitung Dr. phil. Ursula Thomet Text lic. phil. Katharina Belser, Ilanz Wir danken für fachliche Hinweise und kritische Anmerkungen: Dr. iur. Kathrin Arioli; Dr. phil. Christof Arn; Prof. Dr. phil. Iren Bischof- berger; Dr. oec. Ulrike Knobloch; Prof. Dr. iur. Alexandra Rumo-Jungo; lic. phil I Jacqueline Schön-Bühlmann; Dr. phil. Brigitte Schnegg; lic. phil. hist. Heidi Stutz; Dr. iur. Pierre-André Wagner, Rechtsanwalt, LL.M. Redaktion Erika Linder, www.linder-kom.ch Gestaltung Marion Gonzalez, www.teamschneider.ch Übersetzung Catherine Kugler, Thônex Fotos Jörg Brandt, Winterthur Vertrieb BBL, Vertrieb Publikationen, CH-3003 Bern www.bundespublikationen.admin.ch Bestellnummer 301.801.d Bern, Oktober 2010 Gedruckt auf FSC-Papier 2
ken n en u n d a n erken n en «Entwicklung ist nicht nur eine Frage von steigendem Einkommen, Bildung, Gesundheit, Selbstbe- stimmung und sauberer Umwelt, ebenso wichtig ist die Sorge für andere (Care). Das Wesentliche an der Sorge für andere sind die menschlichen Bindungen, die damit aufgebaut und gepflegt werden. Die Sorgearbeit, auch Reproduk- tionsarbeit genannt, ist zudem unerlässlich für eine nachhaltige Wirtschaft.». (United Nations Development Programme 1999) C are – d ie S o rge u m M e n sche n In unserer Gesellschaft übernehmen Familien einen grossen Teil der Betreuungs-, Sorge- und Pflegearbeit für Kinder und kranke An- gehörige – der so genannten Care-Arbeit. Wer heute unbezahlte Care-Arbeit leistet, nimmt eine Reihe von teilweise beträchtlichen Nachteilen in Kauf. Und weil nach wie vor Frauen einen Grossteil Auch die bezahlte Care-Arbeit in öffentlichen und privaten Institu- dieser Arbeit leisten, sind sie es, die am häufigsten mit den nach- tionen wie Krippen, Spitälern, Heimen und in privaten Haushalten teiligen Konsequenzen konfrontiert sind. Aber auch Männer wollen steht zunehmend unter Druck. Spar- und Rationalisierungsmass- im Alltag zunehmend Zeit mit ihren Kindern verbringen, sich ver- nahmen haben oft eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen mehrt an der Unterstützung kranker Angehöriger oder alter Eltern zur Folge. Da in vielen Berufen der bezahlten Care-Arbeit der Anteil beteiligen. Sie stossen sich ebenfalls an den Hindernissen, welche an Frauen hoch ist, sind sie von diesen Entwicklungen besonders die Kombination dieser Aufgaben mit Erwerbstätigkeit schwierig betroffen. machen. Unbezahlte wie bezahlte Care-Arbeit muss in wirtschaftlichen und Unser Ziel: Wer in Zukunft unbezahlte Care-Arbeit übernimmt, soll sozialpolitischen Überlegungen mehr Beachtung finden. Sie soll weder bei der beruflichen Laufbahn noch bei der sozialen Absiche- unter Bedingungen geleistet werden können, die ihrer Bedeutung rung benachteiligt werden. Das vergrössert die Wahlmöglichkeiten und ihrer Besonderheit angemessen sind. Für diesen Wandel ist ein für alle. Und es fördert die ausgeglichene Verteilung dieser Arbeit Umdenken nötig: Es gilt, die Unverzichtbarkeit und den Wert der auf Frauen und Männer und zwischen den Generationen. Damit Care-Arbeit zu erkennen – Care-Arbeit hält unsere Gesellschaft dieses Ziel Realität wird, braucht es Anpassungen bei den sozial- zusammen. politischen Rahmenbedingungen und Verbesserungen von Arbeits- bedingungen, zum Beispiel durch weitere Flexibilisierungen der Erwerbsarbeitszeit. Es soll für alle möglich sein, Erwerbsarbeit mit Patricia Schulz Familien-, Betreuungs- und Hausarbeit zu vereinbaren. Direktorin
i nhalt Tatsache n N o tfa l l C are - A rbeit ? Denk a n stö sse Ein Fundament unserer Gesellschaft steht vor grossen Heraus- forderungen Seite 6 Z ie l e u n d ha n d l u n gsfe l d er V ier F ü n fte l d er C are - A rbeit wir d u n bezah lt ge l eistet – vo rwiege n d für Ki n d er . C are A rbeit ist a n er k a n n t, au sgeg l iche n er I n St u n d e n u n d F ra nken vertei lt u n d bezah l bar Das Ausmass der bezahlten und unbezahlten Care-Arbeit für Sieben Ziele Kinder und Erwachsene Seite 26 Seiten 7 bis 8 S iebe n H a n d l u n gsfe l d er Seiten 27 bis 28 F rau e n über n ehme n fast zwei Dritte l d er Ki n d erbetre u u n gsarbeit u n d d ie M ehrarbeit Das W ichtigste au s S icht d er G l eichste l l u n g im H au sha lt, d ie d u rch Ki n d er e n tsteht. Seite 29 M e nschen u n d E i n satzbereiche Care-Leistungen von Frauen und Männern, im Privathaushalt F ö r d er l iche R ahme n be d i n g u n ge n : und in Institutionen E i n B l ic k über d ie G re n ze Seiten 9 bis 15 Seite 30 A n reg u n ge n A rbeitstei l u n g : W er über n immt wie vie l Impulse für Arbeitgebende B etre u u n gsarbeit ? Best practices Die Wah l freiheit ist begre n zt. Seiten 31 bis 33 Das spie lt ein e R o l le Einkommen | familienergänzende Angebote | flexible Arbeits- zeiten | berufliche Ambitionen | Unterstützung durch Angehörige M ehr I n f o rmati o n e n und Freiwillige Seiten 17 bis 21 E r l äu ter u n ge n Begriffe, Definitionen und Methoden Seite 34 W er vie l gibt, k a n n vie l gewi n n e n , aber au ch ver l iere n . V erweise Die Nachtei l e u n bezah lter C are- Arbeit Verweise und Quellenangaben Geringere Chancen auf dem Arbeitsmarkt | fehlende Anerken- Seite 35 nung der Qualifikationen | unzureichende soziale Absicherung | weniger Ausbildungs-Optionen | Rollenzementierung | Armuts- Literat u r risiko Literaturverzeichnis Seiten 22 bis 25 Seiten 36 bis 38
N otfa ll C are -A rbeit ? Care-Arbeit unter Druck Aktuelle soziale und wirtschaftliche Entwicklungen setzen die Care-Arbeit zunehmend unter Druck. > Die Individualisierung bringt mehr Freiheiten für die Einzelnen. Doch soziale Netze, in denen gegenseitige Unterstützung früher selbstverständlich war, drohen brüchig zu werden oder wegzufallen. > Zunehmende Mobilität, intensivere Erwerbsarbeit, die Forderung nach ständiger Verfügbarkeit, erhöhtes Arbeits- und Lebenstempo verknappen die Zeit und die Kraft, um ausserhalb des Berufs Care-Arbeit zu leisten. > Immer mehr Frauen, auch Mütter, sind erwerbstätig. Männer haben ihr Engagement in Haushalt und Familie nicht im gleichen Ausmass ausgedehnt. > Der Bedarf an Betreuungsarbeit ist gestiegen: Die Kinderbetreuung ist anspruchsvoller und aufwändiger De n k a n st ö sse geworden. Der Anteil der alten Menschen und damit auch der Pflegebedürftigen nimmt zu, nicht aber die E i n Fund ame n t unserer Gese llschaft steht Anzahl der Pflegepersonen. v o r grosse n Herausf orderunge n > Oft übernehmen ausländische Arbeitskräfte bezahlte Care-Arbeit. Sie fehlen in den Herkunftsländern und Alle Menschen erleben Phasen der Abhängigkeit und sind auf die werden auch dort oft durch Migrantinnen und Migranten Fürsorge durch andere angewiesen – besonders am Anfang und ersetzt. Eine weltweite Migration und ein Mangel an gegen Ende des Lebens. Umgekehrt haben Menschen den Wunsch, Care-Arbeitenden in den ärmsten Ländern ist die Folge. sich um andere zu kümmern, Beziehungen verlässlich zu gestalten > Die Gemeinwesen stehen unter Spardruck. Einsparungen und im eigenen Umfeld Verantwortung für andere zu überneh- werden auch bei der bezahlten Care-Arbeit gefordert. men. Viele beziehen daraus Befriedigung und Lebenssinn. Diese Diese lässt sich jedoch nur bedingt rationalisieren und Betreuungs-, Beziehungs-, Pflege- und Sorgearbeit, heute kurz beschleunigen. Qualitätseinbussen, Verteuerung Care-Arbeit genannt, bildet die eigentliche Grundlage unseres Zu- von Leistungen und Zugangsbeschränkungen drohen. sammenlebens und der Entwicklung und Weitergabe wichtiger menschlicher Fähigkeiten. Sie schafft auch die Voraussetzung für Eine politische Auseinandersetzung ist nötig eine funktionierende Wirtschaft und prägt unseren Alltag und Welchen Stellenwert hat die Care-Arbeit für unsere Gesellschaft? unsere Lebensqualität. Heute und morgen? Eine differenzierte Analyse ist unumgänglich. Gefordert ist die Gesundheits-, Sozial-, Bildungs- und Wirtschafts- Care-Arbeit: unverzichtbar aber unzureichend anerkannt politik. Auch für die Gleichstellungspolitik stellen sich zentrale Care-Arbeit wird grösstenteils im privaten Bereich geleistet – meist Fragen. unbezahlt, sozial schlecht abgesichert und von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen. Auch im Bereich der bezahlten Care-Arbeit Konkrete Massnahmen in den angesprochenen Politikfeldern sollen haben sich die Arbeitsbedingungen unter dem Spar- und Rationa- bewirken, dass lisierungsdruck und der aktuellen demografischen Entwicklung > Care-Arbeit Leistende dies unter fairen Bedingungen verschlechtert. und ohne gravierende Nachteile und Einbussen bei ihrer Care-Arbeit ist zudem ungleich verteilt: Eltern mit kleinen Kindern sozialen Absicherung tun können, und Personen über 50 leisten besonders viel unbezahlte Betreu- > ein angemessenes und für alle zugängliches Angebot an ungsarbeit. Frauen übernehmen den weitaus grössten Teil der privaten und öffentlichen Care-Einrichtungen geschaffen unbezahlten und den überwiegenden Teil der bezahlten Care- und gewährleistet wird, Arbeit. Sie tragen so hauptsächlich die damit verbundenen Benach- > und dass sich Care-Arbeit ausgeglichener auf alle teiligungen. – insbesondere auf die Geschlechter – verteilt. 6
Dimensi o nen V ier F ü n fte l d er C are - A rbeit wir d u n bezah lt Unbezahlte Care-Arbeit: ein Wert von über 80 Milliarden ge l eistet – vo rwiege n d für Ki n d er . Franken Der weitaus grösste Teil der gesamten Care-Arbeit in der Schweiz, I n S tunden und Franken die unbezahlte Care-Arbeit, wird in vielen ökonomischen Berech- Das Ausmass der bezahlten und unbezahlten Care-Arbeit nungen und gesellschaftlichen Überlegungen nicht berücksichtigt. für Kinder und Erwachsene Weil unbezahlte Arbeit nicht über den Markt vermittelt wird und dafür keine Löhne festgelegt werden, muss die Berechnung ihres In der Schweiz werden jährlich rund 16 Mia. Arbeitsstunden ge- monetären Wertes auf Umwegen erfolgen. Dazu wird die aufge- leistet, der grössere Teil davon, nämlich 8.7 Mia. sind unbezahlt.1 wendete Zeit zu marktüblichen Löhnen für die entsprechende Tä- tigkeit veranschlagt (Bundesamt für Statistik BFS 2006).2 Insgesamt rund 2.8 Mia. Arbeitsstunden werden für die Betreuung Berechnet man den Wert der unbezahlten Arbeit, dann ergeben von Kindern und Erwachsenen aufgewendet. Vier Fünftel davon sich allein für privat geleistete direkte Betreuungsarbeit (vgl. Be- macht die unbezahlte Betreuungsarbeit für Kinder und pflege- griffserläuterung S. 28) für Kinder und Erwachsene Arbeitskosten 3 bedürftige Erwachsene in Familien aus, konkret sind dies 2.3 Mia. von jährlich über 80 Milliarden Franken.4 Das entspricht etwa den Arbeitsstunden. Davon wiederum entfallen 2.1 Mia. Stunden (über gesamten jährlichen Arbeitskosten in Baugewerbe und Handel.5 90%) auf die Kinderbetreuung. Rechnet man die indirekte Care-Arbeit dazu, dann sind es rund 100 Milliarden Franken, was etwa den Arbeitskosten des gesamten > Fast ein Fünftel aller in der Schweiz geleisteten Arbeit zweiten Sektors (Industrie und Gewerbe) pro Jahr entspricht. ist – bezahlte und unbezahlte – Care-Arbeit. > Vier Fünftel aller Care-Arbeit wird unbezahlt geleistet, Müsste einer vierköpfigen Familie die kinderbedingte Haus- und 92% davon für Kinder. Familienarbeit, also die direkte und indirekte Betreuungsarbeit, zu Marktlöhnen bezahlt werden, würden dafür rund Fr. 5900.– pro Monat fällig: Die unbezahlte Arbeit der Mutter schlägt mit Fr. 4223.–, die des Vaters mit 1685.– zu Buche (Gerfin et al. 2009, S. 36). bezahlte und unbezahlte Care-Arbeit für Kin d er und Erwachsene bezahlt unbezahlt C are-Arbeit für Kinder 166 Mio. 2103 Mio. 7% 93% 2269 Mio. Std. C are-Arbeit für Erwachse ne 368 Mio. 186 Mio. 66% 34% 553 Mio. Std. Quelle: Madörin, Schnegg und Baghdadi 2010. Die auf Daten von 2004 basierenden Schätzungen wurden mit Zahlen des Bundesamts für Statistik von 2007/2008 aktualisiert. 7
Umfang der Care-Arbeit in der Schweiz ( S chätzungen auf der Basis von Zah len Geschätzter Prozent Anteil an v o n 2007/ 2 008) Umfang unbezahlter (in Mio. Std. Care-Arbeit pro Jahr) Care-Arbeit für Kinder bezahlt* 166 7% unbezahlt 2103 93% 92% Total 2269 100% Care-Arbeit für Erwachsene bezahlt** 368 66% unbezahlt 186 34% 8% Total 553 100% Total Care-Arbeit für Kinder und Erwachsene bezahlt 534 19% unbezahlt 2289 81% 100% Total 2822 100% Quelle: Madörin, Schnegg und Baghdadi 2010. Die auf Daten von 2004 basierenden Schätzungen wurden mit Zahlen des Bundesamts für Statistik von 2007/2008 aktualisiert. * Enthalten sind Stellen in Kindergärten und Schulen (Statistik der Lehrkräfte 2006/2007) sowie in Tagesstätten, Sonderschulen, Heimen usw. (Be- triebszählung 2008). Nicht enthalten aufgrund fehlender Daten sind Hausangestellte in Privathaushalten, Personal von Freizeitangeboten usw. ** Enthalten sind Pflegende und Mitarbeitende Hausdienst in Spitälern (Krankenhausstatistik 2007), das Personal (ohne Ärzte und Ärztinnen und Werkstattpersonal) von Behinderten-, Alters- und Pflegeheimen und Einrichtungen für Suchtkranke (Statistik sozialmedizinischer Institutionen 2007) sowie das Personal von Spitex/Hauspflege, Wohnheimen und Institutionen der sozialen Betreuung älterer Menschen und Behinderter (Be- triebszählung 2008). Nicht enthalten sind in Privathaushalten engagierte Betreuungspersonen und Hausangestellte. 8
Wer , was , wo ? F rau e n über n ehme n fast zwei Dritte l d er Ki n d erbetre u u n gsarbeit u n d d ie M ehrarbeit im H au sha lt, d ie d u rch Ki n d er e n tsteht. M e n schen und Einsatzbereiche Bezahlte Care-Arbeit wird einerseits in staatlichen Einrichtungen Care-Leistungen von Frauen und Männern, in Privathaus- erbracht (etwa in Krippen, Kindertagesstätten, Horten, Tagesschu- halten und in Institutionen len, Spitälern, Heimen usw.), andererseits im Rahmen privater An- gebote (Haushaltshilfen, privates Pflegepersonal usw.). Wichtig Der weitaus grösste Teil der Care-Arbeit wird unbezahlt in privaten sind auch die zahlreichen nicht-gewinnorientierten Care-Anbieten- Haushalten geleistet: Bei der Betreuung von Kindern sind über den (z.B. Spitex, Pro Senectute) teils mit bezahlten Angestellten, 90% der Care-Arbeit unbezahlt, bei der Betreuung von kranken teils mit institutionalisierter Freiwilligenarbeit (Aufgabenhilfe, Be- und pflegebedürftigen Erwachsenen rund ein Drittel. suchs- und Begleitdienste, Mahlzeitendienste usw.). Z eitaufwa nd für Betre uun g i n S td./ Wo che n ach Geschlecht 2007 Direkte Betreuungsarbeit in Haushalten mit Kindern Frauen Männer und betreuungsbedürftigen Erwachsenen Kindern Essen geben, sie waschen, zu Bett bringen 9 4.8 Mit Kindern spielen, Hausaufgaben machen 10.2 7.3 Kinder begleiten, transportieren 1.3 0.9 Total Betreuung Kinder 20.5 13 Total Betreuung Erwachsene 10.7 7.6 Quelle: Bundesamt für Statistik, SAKE 2007 9
B etre uung von Kindern Wer leistet Care-Arbeit in den privaten Haushalten? Je nach Haus- haltstyp variiert die wöchentlich aufgewendete Zeit für Care-Arbeit Aufteilung Kinderbetreuung deutlich. Eltern haben generell eine höhere Arbeitslast als Personen In Haushalten mit Kindern wenden Frauen pro Woche 20.5 Stun- ohne Kinder. den für Kinderbetreuung auf, Männer 13 Stunden (Tabelle S. 9). Insgesamt leisten Frauen und Männer im erwerbsfähigen Alter etwa Das sind Durchschnittswerte, die je nach Familientyp und Alter der gleich viel Arbeit pro Woche – nämlich durchschnittlich 53 Stunden. Kinder stark variieren können. Mit zunehmendem Alter der Kinder Dabei unterscheiden sich die Anteile der bezahlten respektive un- geht der Betreuungsaufwand deutlich zurück. bezahlten Arbeit wesentlich. Hausarbeit in Familien mit Kindern: ein Frauenjob Aufteilung Erwerbsarbeit und Familien-/Hausarbeit Zur direkten Betreuungsarbeit kommt in Familien mit Kindern ein Männer sind – unabhängig von der Familiensituation – fast durch- Mehraufwand für Hausarbeit von durchschnittlich 12.6 Stunden gehend vollzeitlich erwerbstätig. Bei Frauen ist der Anteil der Er- hinzu. Diese Mehrarbeit wird praktisch ausschliesslich von den werbsarbeit generell niedriger und variiert stark, je nach Familien- Frauen geleistet, Väter beteiligen sich wenig (Madörin, Schnegg situation. Wenn (kleine) Kinder zu betreuen sind, sind die Differen- und Baghdadi 2010).7 Sie engagieren sich zwar heute deutlich zen am grössten: Frauen reduzieren dann ihre Erwerbstätigkeit stärker in der Kinderbetreuung, jedoch zu anderen Zeiten und massiv und übernehmen den grössten Teil der Haus- und Familien- konzentrierter als die Mütter, nämlich eher abends und am Wo- arbeit. Je älter die Kinder werden, umso mehr nimmt die Erwerbs- chenende. Die Arbeit der Mütter ist auf alle Wochentage verteilt arbeit bei den Frauen wieder zu. Männer übernehmen ebenfalls und stärker zerstückelt (Bundesamt für Statistik BFS und Eidg. Büro etwas mehr an Familienarbeit, wenn die Kinder klein sind, dehnen für die Gleichstellung von Frau und Mann EBG 2008, S.68f). Die aber in dieser Phase ihre Erwerbstätigkeit noch aus (Bundesamt für zusätzliche Hausarbeit bleibt über die ganze Familienphase hinweg Statistik BFS und Eidg. Büro für die Gleichstellung von Frau und praktisch gleich hoch – im Unterschied zur Betreuungsarbeit, die Mann EBG 2008, S. 15 und 18).6 mit zunehmendem Alter der Kinder abnimmt. D u rchsch nittlicher Aufwand für Erwerbs- , H a u s- und Fami lie narbeit 2007 Männer Haus- und Familienarbeit Erwerbsarbeit Frauen Total 18 h 35 h 32 h 20 h Alleinlebende 15 h 36 h 19 h 28 h Partner/Partnerinnen 16 h 35 h in 2-Personenhaushalten 24 h 22 h Partner/Partnerinnen 32 h 41 h (jüngstes Kind 0– 6 Jahre) 59 h 12 h Partner/Partnerinnen 24 h 41 h (jüngstes Kind 7–14 Jahre) 47 h 16 h Partner/Partnerinnen mit 17 h 39 h älterem Kind oder and. Personen 35 h 19 h Alleinerziehende (35 h) (37 h) (jüngstes Kind 0– 6 Jahre) 54 h 19 h Alleinerziehende 28 h 41 h (jüngstes Kind 7–14 Jahre) 41 h 25 h Bei den Eltern lebende 12 h 21 h Söhne/Töchter (15–24 Jährige) 14 h 18 h Nur Personen im erwerbstätigen Alter (Frauen zwischen 15 und 63 Jahren, Männer zwischen 15 und 64 Jahren). Zahlen in Klammern statistisch nur bedingt zulässig. Quelle: Bundesamt für Statistik, SAKE 2007 11
Wer , was , wo ? B etre uung von Erwachse nen Auch Erwachsene, insbesondere ältere Menschen, können betreu- ungsbedürftig werden. Von den etwas über einer Million erwach- sener Menschen mit Behinderungen leben rund 865 000 in einem Die Care-Arbeit für Erwachsene ist in Paarbeziehungen weniger Privathaushalt und rund 170 000 Personen in Institutionen.8 Nur einseitig auf die Geschlechter verteilt als die Kinderbetreuung. etwa 40% sind 65 Jahre und älter, allerdings ist bei diesen ein grös- Wegen des Altersunterschieds und der unterschiedlichen Lebens- serer Anteil stark eingeschränkt als bei den jüngeren.9 erwartung ist es trotzdem häufiger die Frau, die ihren Mann pflegt Von allen über 64-jährigen Personen in Privathaushalten sind ca. als umgekehrt. Das erklärt auch, weshalb in Paarhaushalten Frauen 35% in ihren Aktivitäten eingeschränkt (Hausarbeiten, Einkaufen im Durchschnitt 13.7 Std. pro Woche für die Betreuung und Pflege usw.). Rund 10% haben auch Mühe bei Alltagsaktivitäten wie Auf- des Partners aufwenden, Männer 9.8 Std. (Schön-Bühlmann 2005, stehen, sich Anziehen, Körperpflege usw. Nur etwa 8% nehmen S. 276).11 organisierte Hilfeleistungen wie Spitex in Anspruch. Rund ein Vier- tel wird von Haushaltmitgliedern, von ausserhalb ihres Haushalts Pflege durch Personen ausserhalb des Haushalts lebenden Verwandten oder von Freunden unterstützt – zum Teil Insgesamt 11.3% der Bevölkerung erbringen Hilfe- und Pflege- zusätzlich zur Spitex.10 leistungen für Verwandte und Bekannte in deren Haushalt. Beson- ders engagiert sind Frauen zwischen 40 und 64 Jahren. Sie leisten Pflege vorwiegend durch die Partnerin / den Partner im Durchschnitt 12 Stunden pro Monat, Männer etwas über 8 Pflegebedürftige Erwachsene in Privathaushalten werden haupt- Stunden. Für Verwandte wird mehr Zeit eingesetzt als für Be- sächlich durch die Partnerin / den Partner gepflegt. Fehlt diese kannte. Frauen sind bei der Pflege deutlich aktiver als Männer. Person oder kann sie die Betreuung nicht übernehmen, springen Ausgeglichener ist das Verhältnis bei den übrigen Dienstleistungen vor allem die Töchter ein, deutlich seltener die Söhne (Höpflinger (Haushalt, Gartenarbeit, Transporte usw.) (Schön-Bühlmann 2005, und Hugentobler 2005). S. 278).12 13
Bezahlte Care-Arbeit: zunehmend ausländische Arbeitskräfte Gemäss Prognosen steigt der Personalbedarf im Gesundheitsbe- reich generell, vor allem im Pflegebereich und dort primär in der Langzeitpflege. Der Bedarf kann nicht mit einheimischen Arbeits- kräften gedeckt werden (Schweizerisches Gesundheitsobservato- rium 2009). Zudem wurde in den letzten Jahren zu wenig Nach- B ezah lte C are -A rbeit wuchs ausgebildet (Nationaler Versorgungsbericht für die Gesund- heitsberufe 2009). Wenn für die Care-Arbeit in Institutionen wie Bezahlte Care-Arbeit in Privathaushalten auch Privathaushalten immer mehr Arbeitskräfte aus wirtschaftlich Statistisch werden nur die legal in der Schweiz arbeitenden An- schwächeren Ländern rekrutiert werden, fehlen diese in den Her- gestellten in Privathaushalten erfasst.13 Die Zahl der Ausländerin- kunftsländern und müssen teilweise aus noch ärmeren Regionen nen und Ausländer ohne legalen Aufenthaltsstatus (Sans Papiers) angeworben werden. Diese so genannte Care-Chain (vgl. Hoch- wird auf 100 000 oder mehr geschätzt (Longchamp et al. 2005). schild 2000) endet in den ärmsten Ländern der Welt, wo sich die Darunter sind viele Frauen; sie arbeiten nicht selten als Hausan- Lebensbedingungen durch den Mangel an Care-Leistenden massiv gestellte. Die Illegalität und Unsichtbarkeit machen diese Care- verschlechtern. Arbeitenden besonders schutzlos und ausbeutbar. Ausländerinnen werden für die Kinderbetreuung und zunehmend auch in der pri- Dilemma Arbeitsbedingungen vaten Alterspflege eingesetzt: als Haushälterin und Pflegeperson in Die Schwierigkeit, einheimisches Personal zu finden und auszu- einem, zu meist geringem Lohn plus Kost und Logis. Eine Studie im bilden, hängt auch mit den Arbeitsbedingungen im Gesundheits- Auftrag des Staatssekretariats für Wirtschaft SECO zeigt, dass der wesen zusammen. Care-Arbeit in Institutionen ist körperlich und Haushaltsbereich nebst dem Baugewerbe den grössten Anteil an psychisch anspruchsvoll. Sie erfordert neben Fachwissen viel Aus- missbräuchlichen Lohnzahlungen (Tiefstlöhne) aufweist (Observa- dauer, Einfühlungsvermögen und Geduld. Zusätzlich belasten toire Universitaire de l’Emploi 2009).14 Die Vorteile für die Arbeit- können Schicht-, Nacht- und Wochenendarbeit. Sie erschweren es gebenden liegen auf der Hand: günstige Betreuung rund um die den Angestellten, ihre Erwerbsarbeit mit Familien- und Betreu- Uhr durch ein und dieselbe, flexibel einsetzbare Pflegeperson. Eine ungsverantwortung zu vereinbaren. einheimische Arbeitskraft wäre wesentlich teurer und für viele un- Durch Spar- und Rationalisierungsmassnahmen haben sich die erschwinglich. Arbeitsbedingungen für Care-Arbeitende in den letzten zwanzig Jahren verschlechtert (Wiederkehr 2009, S. 97f). Beziehungspflege, Bezahlte Care-Arbeit in Institutionen: hoher Frauenanteil menschliche Nähe, Gespräche über Sorgen und Ängste sind für das Entlohnte Care-Arbeit wird von öffentlichen und privaten Einrich- Wohlbefinden und die Genesung der Betreuten mitentscheidend. tungen des Erziehungs-, des Bildungs- und des Gesundheitswesens Die Zeit dafür fehlt zunehmend. Das erleben viele Pflegende als erbracht (Schulen15, Krippen, Heime, Spitäler usw.). Die Frauen- unbefriedigend und wechseln den Beruf. anteile in diesen Arbeitsfeldern sind hoch: Vorschulstufe über 95%, obligatorische Schule insgesamt 66%, Primarstufe fast 80%, Spardruck: Care-Arbeit wird verlagert Sekundarstufe rund 50% (Bundesamt für Statistik BFS 2010). In Sparmassnahmen öffentlicher und privater Care-Institutionen wir- Krippen sind über 93% der Angestellten Frauen (Bundesamt für ken sich auch auf Familien und Privathaushalte aus: Patientinnen Statistik BFS 2008). Im Pflege- und Therapiebereich (Spitäler, Alters- und Patienten werden von Spitälern früher entlassen und müssen und Pflegeheime, Spitex) arbeiten rund 195 000 Personen resp. 8% bis zur vollständigen Genesung oft zuhause weiter gepflegt werden. aller Erwerbstätigen, 80% davon sind Frauen. Überdurchschnittlich Wenn das Spitex-Angebot zunehmend auf die Pflege konzentriert ist auch der Anteil der Ausländerinnen und Ausländer: In Spitälern und die Haushaltsunterstützung eingeschränkt wird, übernehmen lag er bei 34%, in Heimen ist er vermutlich höher (deutlich mehr Angehörige die zusätzliche Hausarbeit oder delegieren diese – falls gering qualifizierte Pflegende) (Schweizerisches Gesundheitsobser- finanziell möglich – an private Dienstleistende. Care-Arbeit wird so vatorium 2009). nicht eingespart, sie wird lediglich verlagert. 14
W er über n immt wie vie l B etre u u n gsarbeit ? Die Wah l freiheit ist begre n zt. Das spie lt eine Rolle Einkommen | familienergänzende Angebote | flexible Arbeitszeiten | berufliche Ambitionen | Unterstützung durch Angehörige und Freiwillige Kinder, Kranke, Behinderte, alte Menschen – Betreuung und Pflege werbstätigkeit des zweiten Elternteils finanziell oft nicht lohnt: Der ist in verschiedenen Lebensabschnitten ein Thema. Anteil des verfügbaren Einkommens aus dem zweiten Verdienst nimmt mit zunehmendem Arbeitspensum deutlich ab (Bütler 2007; Kinderbetreuung: Wie untereinander aufteilen? Bütler/Ruesch 2009; Knupfer und Knöpfel 2005). Der zusätzliche Oder delegieren? Verdienst muss zu einem grossen Teil für Mehrkosten aufgewendet Paare, die Kinder bekommen, stehen vor der Entscheidung, wie sie werden. Ursachen dafür sind einerseits die Begrenzung des Zweit- die zusätzliche Arbeit bewältigen. Kann die Erwerbsarbeit dauer- verdienerabzugs und die höhere Progression bei den Steuern. haft reduziert werden? Wie sollen sie die Erwerbs- und Betreuungs- Anderseits fallen bei erhöhtem Einkommen die Tarifreduktionen arbeit untereinander aufteilen? Soll und kann die Betreuungsarbeit bei den Betreuungseinrichtungen weg. Das macht sich bei mehreren und die zusätzliche Hausarbeit teilweise delegiert werden? Wenn Betreuungstagen pro Woche massiv bemerkbar. ja, an wen? Viele Faktoren sind bei diesen Entscheiden zu berücksichtigen und Familienergänzende Kinderbetreuung: Nachfrage grösser zu gewichten. Wichtig sind auch Überlegungen zu den Auswirkun- als Angebot gen eines Entscheids, etwa die Erwerbschancen nach einem Unter- In den letzten Jahren wurden, nicht zuletzt dank den Fördermass- bruch, mögliche Renteneinbussen und die Folgen einer Scheidung nahmen des Bundes, die Angebote für familienexterne, kosten- (siehe Kapitel Konsequenzen ab Seite 22). pflichtige Kinderbetreuung beträchtlich ausgebaut. Doch sie de- cken die steigende Nachfrage noch immer nicht und sind sehr Einkommen: Unterschiede beeinflussen den Entscheid ungleich verteilt. Auf dem Land beispielsweise sind Krippen wegen Eltern bringen unterschiedliche berufliche Voraussetzungen mit, zu geringer Kinderzahlen oft schwierig zu realisieren. Im städti- die ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt beeinflussen. Das erziel- schen Umfeld steht in der Regel ein breiteres Angebot zur Verfü- bare Einkommen variiert stark nach Ausbildung und Beruf, aber gung: Krippe, Hort, Tagesfamilie, Mittagstisch oder Tagesschule. auch nach Geschlecht. Frauen verdienen für die gleiche Arbeit in Die Platzzahl und das Betreuungsangebot sind jedoch beschränkt, der Privatwirtschaft nicht nur rund 10% weniger als Männer (Strub z.B. offen nur an Werktagen ab 7 Uhr oder 8 Uhr bis 18 Uhr und et al. 2008, S. 83), sie arbeiten zudem oft in Berufen und Branchen teilweise Schliessung wegen Ferien. Kranke Kinder werden in der mit deutlich niedrigeren Löhnen. Der Monatslohn einer Frau (Pri- Regel nicht betreut. vatwirtschaft und öffentliche Verwaltung zusammen) betrug 2008 für ein volles Arbeitspensum im Mittel Fr. 5040.–, ein Mann ver- Im Vergleich mit anderen OECD-Ländern ist das Angebot an Kinder- diente Fr. 6248.– (Bundesamt für Statistik BFS 2009a, S. 6).16 Die betreuungseinrichtungen in der Schweiz unterdurchschnittlich aus- geringeren Verdienstmöglichkeiten der Frauen und der (altersbe- gebaut (UNICEF 2008). Zirka 30% aller Mütter mit Kindern unter dingte) Vorsprung der Männer in der Karriere begünstigen Lösun- 15 Jahren schränken ihre Erwerbsarbeit wegen mangelnder exter- gen, bei denen der Mann hauptsächlich für den Erwerb und die ner Kinderbetreuung ein, Väter zu zirka 7% (Schätzungen für das Frau ganz oder mehrheitlich für die Care-Arbeit zuständig ist. Jahr 2005). Hochrechnungen zeigen, dass rund 21 000 Frauen wegen mangelnder Kinderbetreuungsmöglichkeiten auf eine Er- Heute ist die Erwerbstätigkeit der Mütter (auch mit kleineren werbstätigkeit verzichten. Weitere rund 54 000 erwerbstätige Kindern) verbreitet und gesellschaftlich weitgehend anerkannt. Mütter würden gerne mehr arbeiten. Zusammen ergibt dies ein Das Engagement der Väter in Haus- und Familienarbeit hat jedoch geschätztes potenzielles Erwerbsvolumen von rund 44.7 Mio. nicht entsprechend zugenommen, meist bleiben sie weiter voll er- Stunden jährlich oder gut 20 000 Vollzeitstellen, das dem Arbeits- werbstätig. Verschiedene Schweizer Studien zeigen, dass sich für markt allein wegen fehlender Kinderbetreuung nicht zur Verfü- verheiratete Eltern mit kleinen Kindern eine umfangreichere Er- gung steht (Mecop-Infras 2007). 17
Care-Arbeit selbst übernehmen: eine Rechenaufgabe Ein Paar mit einem oder mehreren Kindern muss mit verschiedenen zusätzlichen Aufwendungen rechnen: höhere Konsumkosten (di- Egalitäre Arbeitsteilung: Vieles muss stimmen rekte Kinderkosten) und grösserer Zeitbedarf für die kinderbedingte Für eine ausgeglichene Aufteilung der Betreuungsarbeit unter den Familien- und Hausarbeit (indirekte Kinderkosten). Letztere entste- Eltern muss Vieles stimmen: ähnlich gut bezahlte Stellen, Teilzeit- hen durch den Minderverdienst wegen reduzierter Erwerbsarbeit pensen und Flexibilität bei der Einteilung und Organisation der und/oder sind Ausgaben für die Haus- und Betreuungsarbeit durch Arbeit sind wichtig (Staatssekretariat für Wirtschaft SECO 2007). Dritte (Gerfin et al. 2009, S. VI). Solche Arbeitsbedingungen sind heute nicht selbstverständlich und Die zusätzlichen direkten und indirekten Kosten werden nur zu ungleich verteilt. Im Anstellungsverhältnis profitieren Mütter selte- einem geringen Teil durch den Erwerbsersatz der Mutterschaftsver- ner als Väter von flexiblen Arbeitszeitmodellen wie Blockzeit und sicherung und die Familienzulagen gedeckt. Familien mit mittlerem Gleitzeit, Monats- oder Jahresarbeitszeit usw. (Bundesamt für Sta- Einkommen werden zudem bei den Krippentarifen und Steuern nur tistik BFS 2008, S. 73). Ist das Kind krank oder müssen unvorher- wenig entlastet. Um den Familienunterhalt zu decken, sind deshalb gesehene Termine wahrgenommen werden, braucht es zusätzliche bis weit in die Mittelschicht hinein zwei oder zumindest eineinhalb Betreuungsmöglichkeiten auf Abruf. Die meisten Paare mit egali- Löhne nötig. Und für Familien mit tiefem Einkommen ist die volle tärer Arbeitsteilung sind zusätzlich auf externe Kinderbetreuung Betreuung der Kinder zuhause gar nicht möglich, da sie zwingend angewiesen, denn oft müssen oder wollen beide Elternteile mehr auf zwei Löhne angewiesen sind. als 50% arbeiten. Wenn beide Elternteile berufliche Ambitionen haben Alleinerziehende: zeitlich und finanziell am Limit Oft fallen wichtige berufliche Schritte (Etablierung im Beruf, Wei- Alleinerziehende haben die weitaus höchste Arbeitslast zu tragen. terbildung, Aufstieg in höhere Position) zeitlich zusammen mit dem Der Aufwand für Lebensunterhalt, Haushalt und Kinderbetreuung Beginn der Familienphase. Frauen, die im Alter zwischen 25 und ist kaum geringer als bei einer Familie mit zwei Elternteilen, doch 35 ihre Berufstätigkeit zugunsten der Familie zurückstecken, ge- kann er nicht auf zwei Personen verteilt werden. Alleinerziehende raten deshalb auf der Karriereleiter in Rückstand. Ganz besonders sind fast immer auf eine Erwerbstätigkeit angewiesen, da die Ali- gilt dies für wissenschaftliche Laufbahnen und Karrieren in höhe- mente bzw. die Witwen- und Waisenrenten zu gering sind und sie ren Positionen von Wirtschaft und Verwaltung. Dies kann mit ein für ihre Altersvorsorge selbst aufkommen (Eidg. Kommission für Grund sein, dass in der Schweiz 40% der Akademikerinnen kinder- Frauenfragen EKF 2007). los bleiben (Eidg. Koordinationskommission für Familienfragen Alleinerziehende Väter sind oft vollzeitlich erwerbstätig und über- EKFF 2008, S. 25). Erschwerend kommt hinzu, dass für viele Lauf- nehmen selbst wenig Betreuungsarbeit. Alleinerziehende Mütter bahnen Mobilität (Auslandaufenthalte, Stellenwechsel) gefordert hingegen arbeiten meist Teilzeit, dies jedoch häufiger und mit einem ist und bei Paaren zwei verschiedene Karrieren unter einen Hut durchschnittlich höheren Pensum als Mütter, die mit einem Partner gebracht werden müssen. zusammenleben. Sie betreuen ihre Kinder zum grössten Teil selbst. 18
arbeitstei lu ng ein f lussfaktoren auf betreuungs lösung k i n d er ormen, Werte und tli che N Rol len sc haf bil de s ell r Ge Soziale Sicherheit – Elternurlaub mit Lohnersatz – Familienzulagen – Erziehungsgutschriften – Soziale Absicherung der Arbeitsmarkt Nichterwerbstätigen – Einkommen Steuersystem – Karrierechancen – Abzug Kosten – Teilzeitstellen Fremdbetreuung – Lohndifferenzen – Zweiverdienerabzug – Familienfreundlichkeit – Individualbesteuerung des Unternehmens – Verheiratetentarif – Zeitliche / geografische Flexibilität arrange i en m il e m n Fa t Arbeitsteilung? Delegation? Frau Mann – Ausbildung/Erfahrung – Ausbildung/Erfahrung – Interessen/ Wünsche – Interessen/ Wünsche – Individuelle Normen, – Individuelle Normen, Werte und Rollenbilder Werte und Rollenbilder Betreuungsangebot Familienkonstellation – Kosten – Zahl, Alter, Gesundheit – Erreichbarkeit der Kinder – Qualität / Verlässlichkeit – Zivilstand – Zeitl. Abdeckung – andere Betreuungs- aufgaben 19
Betreuung von Erwachsenen: kein einfacher Entscheid Krankheit, Unfall, Altersbeschwerden – plötzlich benötigen An- Gelingt die Vereinbarung von Erwerbsarbeit und Betreuungsauf- gehörige vorübergehend oder dauernd Betreuung. Beim Entscheid, gabe nicht, gibt es heute zwei Möglichkeiten. Entweder wird auf ob jemand aus dem nahen Umfeld – die Partnerin, der Partner, die Betreuung zuhause verzichtet, und die bedeutenden Mehrkos- Geschwister, die Eltern – diese Betreuungsaufgabe übernehmen ten einer institutionellen Betreuung müssen sowohl von der be- will und kann, gilt es, verschiedene Optionen abzuwägen und für treuten Person wie auch von der Allgemeinheit getragen werden. alle Beteiligten die beste Lösung zu finden. Oder die Betreuungsperson gibt ihre Erwerbstätigkeit auf, verliert damit ihr Einkommen, erleidet Einschränkungen hinsichtlich ihrer Beruf und Angehörigenpflege: keine einfache beruflichen Zukunft und bei der Altersvorsorge. Für die Volkswirt- Kombination schaft bedeutet dies kurzfristig einen Verlust an Steuereinnahmen Rund 2% der Erwerbstätigen leben mit einer betreuungsbedürfti- und Sozialversicherungsbeiträgen, längerfristig können Kosten in gen Person im gleichen Haushalt. Weitere knapp 2% der Erwerbs- der Sozialhilfe und bei Ergänzungsleistungen die Folge sein. tätigen pflegen Angehörige, die in einem andern Haushalt leben (Bischofberger und Höglinger 2008, S. 36). Rentnerinnen und Rentner leisten besonders viel Nicht selten erfüllen die Betreuenden zwei Aufgaben gleichzeitig: Care-Arbeit die Betreuung kleiner Kinder und die Pflege von Angehörigen. Die heutigen Rentnerinnen und Rentner sind überwiegend bei Brauchen Eltern oder Schwiegereltern Betreuung, sind es oft guter Gesundheit und finanziell abgesichert. Viele von ihnen über- Frauen, die dafür ihre Erwerbstätigkeit einschränken (Tabelle 2). nehmen Care-Aufgaben: Grosseltern betreuen ihre Enkel, andere Wer die Betreuungsaufgabe mit dem Beruf kombinieren will, ist bei sind aktiv in der Nachbarschaftshilfe, in Altersorganisationen, Kirch- der Angehörigenpflege ebenso wie bei der Kinderbetreuung auf gemeinden und Vereinen. Sie besuchen Kranke, verteilen Essen, flexible Lösungen am Arbeitsplatz angewiesen. Zentral ist das Ver- begleiten Behinderte oder übernehmen Transportdienste. Viele der ständnis von Vorgesetzten und von Kolleginnen und Kollegen. über 65-Jährigen betreuen den kranken Partner / die kranke Partne- Freistellungen oder vermehrte Zeitflexibilität für die Angehörigen- rin. Insgesamt leisten ältere Menschen bis zum Alter von 80 Jahren pflege wird in Betrieben erst in Ansätzen diskutiert. mehr unentgeltliche Unterstützungs- und Pflegearbeit als sie selbst Bei der Angehörigenpflege kommt erschwerend hinzu, dass sich beanspruchen. Sie ermöglichen Tausenden von älteren Personen der Verlauf der Krankheit oder Behinderung und damit die Be- ein mehr oder weniger eigenständiges Leben zuhause, ziehen für treuungsdauer schwer abschätzen lässt. Zudem kann die physische sich Befriedigung aus dieser Arbeit und ersparen der öffentlichen und psychische Belastung der betreuenden Person deren Leistungs- Hand beträchtliche Kosten. Diese Tatsache sollte vermehrt berück- fähigkeit am Arbeitsplatz beeinträchtigen. Dann werden Entlas- sichtigt werden. Vor allem Frauen werden oft fälschlicherweise als tungsmöglichkeiten nötig (Tageskliniken, Haushaltshilfen usw.). Die Kostenverursacherinnen im Alter gesehen, weil sie häufiger keine Organisation und Abstimmung all dieser Massnahmen kann sehr Angehörigen mehr haben, die ihre Pflege übernehmen können. aufwändig sein. Die Lösungen müssen zudem finanzierbar und Dabei wird vergessen, wie viel unentgeltliche Care-Arbeit gerade verlässlich sein, damit die Betreuenden ihrer Berufstätigkeit nach- sie geleistet haben, bevor sie selbst pflegebedürftig wurden (Stutz gehen können. 2007). 20
ein f lussfaktoren auf betreuungs lösung erwachsene n, Werte un e Norme d Fa ft lich mi lie s cha nb ild ll se er Ge Betreuungsinstitutionen Soziale Sicherheit – Angebot/Erreichbarkeit – Lohnersatz bei Urlaub – Kosten – Betreuungsgutschriften – Qualität – Ergänzungsleistungen – Zeitl. Flexibilität ngslösu e uu ng Betreuungsentlastung tr be zuhause Arbeitsmarkt – Angebot (privat und zuhause – Einkommenschancen institutionell) oder – Arbeitszeitflexibilität – Verfügbarkeit institutionell? – Familienfreundlichkeit – Verlässlichkeit der Unternehmen – Kosten Potenzielle Zu betreuende Betreuungsperson(en) Person(en) – Betreuungsbereitschaft – Aktueller und – Körperliche Verfassung zukünftiger Pflege- und – Erwerbstätigkeit Unterstützungsbedarf – Andere Verpflichtungen – Finanzielle Reserven – Finanzielle Absicherung – Betreuungswünsche 21
Ko nsequenzen W er vie l gibt, k a n n vie l gewi n n e n , aber au ch ver l iere n . Die Nachteile unbezahlter Care-Arbeit Geringere Chancen auf dem Arbeitsmarkt | fehlende Anerkennung der Qualifikationen | unzureichende soziale Absicherung | weniger Ausbildungsoptionen | Rollenzementierung | Armutsrisiko Die meisten Menschen leisten im Laufe ihres Lebens Care-Arbeit. Art und Ausmass des Engagements sind ebenso unterschiedlich Fazit: Care-Leistende bleiben auf der Karriereleiter stecken und wie die dadurch notwendigen Einschränkungen anderer Aktivitä- nehmen deutliche Lohneinbussen in Kauf. Zwei Beispiele: Gemäss ten, namentlich der Erwerbsarbeit. Lohnstrukturerhebung 2006 verdienen verheiratete Frauen 31% weniger als ihre männlichen Kollegen (Eidg. Büro für die Gleich- Weniger Chancen auf dem Arbeitsmarkt stellung von Frau und Mann EBG 2009, S. 9). Eine Untersuchung Wer Betreuungsverantwortung übernimmt, hat weniger Zeit für zeigt für Frauen bei allen Biografietypen den gleichen Effekt: Durch die Erwerbsarbeit. Meistens ist höchstens eine Teilzeitanstellung das Vorhandensein von Kindern ergibt sich eine lebenslängliche möglich. Jobs mit unregelmässigen Arbeitszeiten, viel Überzeit Reduktion des durchschnittlichen Lohnes (Bauer 2000, S. 134). oder hoher Mobilität kommen von vornherein nicht in Frage. Ideal sind Arbeitszeitregelungen mit möglichst viel Spielraum. Doch Dequalifizierung und fehlende Anerkennung der solche Bedingungen bietet nicht jeder Betrieb.17 Personen mit ausserberuflichen Kompetenzen Care-Aufgaben sind deshalb öfter erwerbslos oder können nicht Wer Care-Arbeit übernimmt, leistet ausserberuflich anspruchsvolle im gewünschten Umfang erwerbstätig sein. Der Anteil der Er- Arbeit und erwirbt dabei vielfältige Kompetenzen. So werden bei- werbslosen und der Unterbeschäftigten ist denn auch bei Frauen spielsweise Belastbarkeit, Flexibilität, Kommunikations- und Orga- mit Kindern im Vorschul- und Schulalter massiv höher als bei nisationsfähigkeit trainiert – Schlüsselkompetenzen also, die auf Männern oder kinderlosen Frauen (Bundesamt für Statistik BFS dem Arbeitsmarkt grundsätzlich gefragt sind (Kadishi 2001 und 2008, S. 21). 2002). Noch werden solche ausserberuflich erworbenen Kompe- tenzen viel zu selten anerkannt. Das Augenmerk liegt vielmehr bei Geringere Lohn- und Karrierechancen den fehlenden Berufsjahren, in denen allenfalls fachliche Entwick- Die eingeschränkte Verfügbarkeit und allfällige Unterbrüche der lungen und entsprechende Weiterbildungen verpasst wurden. Das Erwerbstätigkeit von Care-Arbeitenden wirken sich mehrfach nega- erschwert den Wiedereinstieg in qualifizierte Stellen und in Aus- tiv aus: Sie finden beispielsweise keine Stelle, die ihren Qualifikatio- bildungen, die an das vorherige Qualifikationsniveau anschliessen. nen und dem gewünschten und flexiblen Pensum entspricht. Sie Und es verstärkt die Abhängigkeit vom Existenz sichernden Ein- können wegen zu geringer Pensen oder aus zeitlichen Gründen kommen eines Partners / einer Partnerin. nicht an Weiterbildungen teilnehmen und damit ihre Stellung ver- Aus wirtschaftlicher Sicht sind sowohl der Verlust beruflicher Qua- bessern. Sie erhalten seltener verantwortungsvolle Positionen, weil lifikationen, eine nicht den Qualifikationen entsprechende Be- ihre Vorgesetzten unvorhergesehene Absenzen und mangelnde schäftigung, Unterbeschäftigung als auch die Nichtanerkennung Bereitschaft für Überzeit befürchten. Zudem sind Teilzeitstellen in von ausserberuflich erworbenen Kompetenzen eine Verschwen- leitenden Positionen rar. dung von Ressourcen. 22
Armutsrisiko für Alleinerziehende und Familien mit mehreren Kindern Über 50% der Ehen werden geschieden, bei knapp der Hälfte der Zementierung der gewählten Arbeitsteilung Scheidungen sind Kinder betroffen (Bundesamt für Statistik BFS Paare, welche die Betreuungs- und damit die Erwerbsarbeit nach 2008, S. 10). Sie leben in der Regel bei der Mutter. Alleinerziehende einiger Zeit anders aufteilen wollen, scheitern oft an den Nach- Väter machen heute weniger als 15% der Einelternfamilien aus. teilen, die sie in Kauf nehmen müssten. Wenn sich der eine Eltern- Alleinerziehende sind überdurchschnittlich oft von Armut betrof- teil voll der beruflichen Laufbahn widmen konnte, sind seine finan- fen: Die Verantwortung für Unterhalt und Betreuung ist nicht auf ziellen und statusbezogenen Einbussen bei einer Umverteilung zwei Erwachsene verteilt, die Kosten für den Lebensunterhalt sind markant. Sie können meist durch den anderen Elternteil nicht wett- aber ähnlich hoch wie bei Familien mit zwei Elternteilen. gemacht werden. Nicht nur im Berufsleben, auch in der Familie führt die Arbeitstei- 2007 lag das Einkommen von mehr als einem Viertel aller Einel- lung zu einem Ungleichgewicht: Wer bis jetzt von der Care-Arbeit ternfamilien unter der Armutsgrenze. Insgesamt 18% der Allein- zuhause entlastet war, konnte sich die entsprechenden Fähigkei- erziehenden waren 2006 auf Sozialhilfe angewiesen (Bundesamt ten nur bedingt aneignen. Auch diese einseitige Kompetenzent- für Statistik BFS 2008, S. 47). wicklung kann ein Grund sein, die gewählte Aufteilung beizube- Aber auch Familien mit zwei und mehr Kindern sind überdurch- halten. schnittlich oft von Armut betroffen. Bei Familien mit drei und mehr Damit verfestigen sich die Arbeitsteilung ebenso wie die Abhängig- Kindern sind es bereits ein Viertel. Bei letzteren ist der Anteil der keiten. Das ist aus gesellschaftlicher Sicht nicht wünschenswert. working poor, d.h. von Haushalten, die trotz einer Erwerbstätigkeit Menschen mit vielfältigen beruflichen, sozialen wie alltagsprakti- von mindestens 36 Wochenstunden unter die Armutsgrenze fal- schen Fähigkeiten sind flexibler und eigenständiger. Sie sind für das len, besonders hoch. Meist verfügen die Eltern über geringe beruf- Berufsleben ebenso gut gerüstet wie für das Zusammenleben im liche Qualifikationen und entsprechend tiefe Löhne. Überdurch- privaten Alltag und ihre soziale Absicherung ist besser. Dieser Um- schnittlich viele haben keinen Schweizer Pass. Trotzdem: Nur 2.6% stand gewinnt angesichts der hohen Scheidungsraten zunehmend dieser Familien beziehen Sozialhilfe (Bevölkerungsdurchschnitt 4%) an Bedeutung. (Bundesamt für Statistik 2008, S. 47). armu ts- und wo rking poo r-q uote n ach Haushalttyp 2007 Allgemeine Armutsquote Working Poor-Quote 3 0% 26,3% 2 5% 23 ,9 % 2 0% 15% 11, 4 % 10 % 8 ,8% 9 ,1 % 8,7% 6,0% 5% 0% 4.4% 1,9% 9, 9 % 2,2% 5 ,1% 7, 6 % 18 % Sämtliche Einpersonen- Eineltern- Paar ohne Paar mit Paar mit Paar mit Haushalte haushalt haushalt Kind 1 Kind 2 Kindern 3 und mehr Kindern Quelle: Bundesamt für Statistik, SAKE 2007 23
Negative Auswirkungen bis ins Rentenalter weg. Kommt es nach Eintritt der Pensionierung zu einer Scheidung, Eltern wird für die Jahre der elterlichen Sorge für Kinder unter 16 ist lediglich eine angemessene Entschädigung geschuldet. Es fin- Jahren ein theoretisches Einkommen bei der AHV gutgeschrieben, det kein Ausgleich statt.19 so genannte Erziehungsgutschriften. Analog dazu können für die Personen, die über längere Zeit pflegebedürftige Eltern betreuen Betreuung von pflegebedürftigen Angehörigen im eigenen Haus- und dadurch einen Heimaufenthalt hinausschieben oder unnötig halt Betreuungsgutschriften der AHV beantragt werden. Damit machen, sparen Kosten, die sonst zulasten des Vermögens der be- wird der Einkommensverlust von Care-Arbeitenden bei der AHV- treuten Person gehen. Die Einführung eines Anspruchs auf Entschä- Rente zumindest teilweise ausgeglichen.18 digung dieses Einsatzes im Rahmen des Erbrechts könnte inner- Bei der zweiten Säule machen sich Erwerbsausfälle aufgrund von familiär einen Ausgleich für die geleistete unbezahlte Care-Arbeit Betreuungsarbeit stärker bemerkbar, vor allem für Geschiedene, schaffen und Care-Leistende, die ihre Erwerbstätigkeit reduzieren, Konkubinatspaare und Alleinstehende. Fehlende Beitragsjahre finanziell absichern. Denn: Personen mit reduzierter Erwerbstätig- oder geringere Beiträge eines Partners / einer Partnerin während keit kommen je nach Lohnhöhe und Arbeitspensum nicht auf den der Ehe können bei einer Scheidung durch den Vorsorgeausgleich Mindestlohn, der zu einer Versicherung berechtigt. Sie verlieren kompensiert werden. Allerdings verzichten viele (heute vor allem dadurch Beitragsjahre und müssen massive Einbussen bei den Ren- Frauen) bei der Scheidung auf diesen Anspruch. Der Verzicht ist in ten in Kauf nehmen. Diese fehlende Kompensation in der berufli- der Praxis nicht die Ausnahme geblieben, wie es der Gesetzgeber chen Vorsorge kann zur Folge haben, dass der Staat mehr Ergän- wollte. Für Unverheiratete fällt die Möglichkeit eines Ausgleichs zungsleistungen und mehr Sozialhilfe bezahlen muss. Nachtei le du rch die Übern ahme von C are-Vera ntwort ung im privaten Hausha lt Bereich Nachteile Individuelle Folgen Volkswirtschaftliche Auswirkungen Arbeitsmarkt Geringere Chancen bei Höhere Arbeitslosigkeit, Geringere Steuereinnahmen, Anstellung und Aufstieg, Unterbeschäftigung, Lohn- Belastung der Arbeitslosen- Schwierigkeiten beim einbussen versicherung Wiedereinstieg Beschränkte Anerkennung Einkommenseinbussen, Steuereinbussen, Mangel an von Kompetenzen aus der Hindernisse bei Weiter- qualifizierten Arbeitskräften, Familien- und Freiwilligen- bildungen, Dequalifikation Verlust von Bildungsinvesti- arbeit tionen Sozialversicherungs- Unzureichende soziale Abhängigkeit, Armutsrisiko Erhöhte Sozialhilfekosten system Absicherung der Betreuungs- arbeit Renteneinbussen durch Armutsrisiko im Alter Höhere Sozialausgaben Reduktion oder Unterbruch (Ergänzungsleistungen, der Erwerbsarbeit, v.a. in Sozialhilfe), geringere der 2. Säule Steuereinnahmen Bildungssystem Eingeschränktes Angebot an Eingeschränkte Ausbildungs- Keine optimale Qualifizierung Teilzeitausbildungen und möglichkeiten, Bildungsdefizit modularen Ausbildungen, Alterslimiten bei Stipendien Fehlende Anerkennung der in Kein Zugang zu bestimmten Verlust von Bildungspotenzial der Care-Arbeit erworbenen Ausbildungen, längere Qualifikationen Ausbildungszeit 24
Stolpersteine für eine ausgeglichenere Verteilung auf Frauen und Männer Immer mehr jüngere Paare wollen die unbezahlte Care-Arbeit part- nerschaftlich teilen. Doch die Realisierung dieses Wunsches ist nicht immer einfach. Welches sind die Hindernisse? Welche Rahmenbedingungen erweisen sich als Stolpersteine? H ürd en für eine ausgeg liche nere Auftei l u n g d er unbezah lten Care-Arbeit Bereich Hürden / Schwierigkeiten Wirkungen Arbeitsmarkt Lohndifferenz zwischen Geringeres Familieneinkommen bei egalitärer Aufteilung Geschlechtern Teilweise nicht Existenz sichernde Zwei halbe Einkommen reichen nicht für Familien- Löhne unterhalt, Working poor Hohe (Normal-)Arbeitszeit Vereinbarkeitsprobleme, Zeitkonflikte Zu wenig flexible Arbeitszeitregel- Vereinbarkeitsprobleme, Zeitkonflikte ungen, unregelmässige Arbeitszeiten Zu wenig qualifizierte Teilzeitstellen, Beteiligung von Männern an Betreuungsarbeit erschwert v.a in sog. Männerberufen und in höheren Positionen Segmentierung des Arbeitsmarkts Unterschiedliche Erwerbs- und Karrierechancen fördern (in sog. Frauen- und Männerberufe) traditionelle Rollenverteilung, Care-Kompetenzen sind einseitig verteilt Schule Eingeschränktes Angebot an Block- Mehr Präsenz der Eltern erforderlich, Erwerbstätigkeit zeiten, Mittagstischen, Tagesschulen tendenziell eingeschränkt Institutionelle Nicht der Nachfrage entsprechendes Entlastung der Betreuenden erschwert, Betreuende Betreuung Angebot (meist Frauen) schränken Erwerbstätigkeit ein oder verzichten darauf Hohe Kosten Entlastung der Betreuenden erschwert, Betreuende (meist Frauen) schränken Erwerbstätigkeit ein oder verzichten darauf Ungünstige Tarifstruktur (Krippen) Zweiteinkommen erhöht Kosten für externe Betreuung Steuern Zusammenveranlagung der Ehepaare, Zweites Einkommen bewirkt höhere Steuerprogression Begrenzung Doppelverdienerabzug Beschränkte Abzüge für Betreuungs- Externe Betreuung für viele zu teuer kosten Sozialversicherung Kurzer Mutterschaftsurlaub, kein Zwingt oft (meist die Mütter) zu Erwerbsunterbruch, Vaterschaftsurlaub / Elternurlaub erschwert Übernahme der Kleinkindbetreuung durch Väter Kein bezahlter Urlaub für Ange- Übernahme von Care-Verantwortung für Erwerbstätige hörigenbetreuung erschwert 25
C are - A rbeit ist a n er k a n n t, au sgeg l iche n er Z iele vertei lt u n d bezah l bar S ieben Z iel e Unbezahlte Care-Arbeit wird als gesellschaftlich zentrale, volkswirtschaftlich relevante und unverzicht- bare Arbeit anerkannt. Ausbildungen lassen sich mit Care-Verantwortung vereinbaren. Kompetenzen aus unbezahlter Care-Arbeit werden auf dem Arbeitsmarkt angerechnet. Unbezahlte Care-Arbeit lässt sich mit einer beruflichen Laufbahn vereinbaren. Die besondere Situation Alleinstehender mit Betreuungs- aufgaben wird berücksichtigt – bei Entlastungsangeboten ebenso wie bei Unterhalts- und Vorsorgeregelungen. Care-Arbeit ist ausgeglichener auf die Geschlechter verteilt. Institutionelle Care-Leistungen sind bezahlbar und auf die Bedürfnisse der Nutzenden abgestimmt. Die Arbeitsbedingungen für bezahlte Care-Arbeit sind fair und gemäss den Besonderheiten dieser Arbeit ausgestaltet. Es wird genügend Personal ausgebildet. 26
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