Sonne und Wahrheit frei nach Goethe
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Kultur und Wissenschaft Sonne und Wahrheit frei nach Goethe Lutz Wenke, Friedrich Zöllner, Manfred Tettweiler, Hans-Joachim Teske Prof. Dr. Lutz Wenke ist Weimar 1999 – Kulturstadt Europas Der „Newtonsche farben, bei Newton die Spektralfar- Dekan der Physikalisch- 1999. Zu den zahlreichen Jubiläen Poltergeist“ ben die elementaren Bausteine der Astronomischen Fakultät an der Friedrich-Schiller- des ereignisreichen Kulturstadtjahres Farbentheorie. Newtons Deutung des Universität Jena, gehörte auch der 250. Geburtstag Goethe betrachtet bei Tageslicht Prismenexperiments beschreibt das Max-Wien-Platz 1, Johann Wolfgang von Goethes. Einen („Freunde flieht die dunkle Kammer, „weiße“ Licht der Sonne als aus Strah- 07743 Jena. Dr. Friedrich Zöllner und Einblick in sein Leben und Schaffen wo man euch das Licht verzwickt …“ len unterschiedlicher Brechbarkeit zu- Manfred Tettweiler sind sowie das seiner Zeitgenossen gibt [Xenien 6. Buch]) einen breiten wei- sammengesetzt, die durch Richtungs- Mitarbeiter des Instituts das Goethe-Nationalmuseum am ßen Papierstreifen auf schwarzem auffächerung spezifische Farbempfin- für Angewandte Optik. Hans-Joachim Teske leitet Frauenplan mit dem Wohnhaus des Grund durch ein Prisma und be- dungen im Auge hervorrufen. bei Carl Zeiss das Dichters und dem Goethe-Museum, obachtet die sogenannten Kanten- Goethe hingegen bestreitet die He- Geschäftsfeld das nach der baulichen und inhalt- spektren, die farbigen Säume an den terogenität des weißen Lichts. Für ihn Astronomische Geräte. lichen Umgestaltung seit Frühjahr Grenzen zwischen Weiß und Schwarz. ist es„…das einfachste, unzerlegteste, 1999 wieder geöffnet ist. Die neue Dieser Grundversuch spielt bei ihm homogenste Wesen, das wir kennen. Ständige Ausstellung ist keine eine so große Rolle, dass man sagen Es ist nicht zusammengesetzt – am herkömmliche Goethe-Schau mehr. kann, bei Goethe seien die Kanten- allerwenigsten aus farbigen Lichtern.“ Präsentiert wird – unter der symboli- schen Überschrift „Wiederholte Spie- gelungen“ – eine Exposition, die der Weimarer Klassik im Ganzen gilt und sie facettenreich als zeitgeschichtli- ches Phänomen in seinen Ursachen und Wirkungen beschreibt. Eine eindrucksvolle technische Instal- lation wird die Aufmerksamkeit der Besucher auf sich ziehen, wenn sie an sonnigen Tagen das Foyer des neugestalteten Museumsbaus be- treten. Die lichtstarke Projektion des Sonnenspektrums mit einem Pris- menspektralapparat erinnert daran, Freunde flieht die dunkle Kammer, wo man euch das Licht verzwickt… dass sich Goethe über lange Ab- schnitte seines Lebens mit dem Licht und der Farbenlehre beschäftigt hat. Insbesondere wird die Verbindung zu seinen Versuchen am Prisma und zu seinen Auseinandersetzungen mit Newton hergestellt. Die technische Installation wurde im Institut für An- gewandte Optik der Friedrich-Schiller- Universität Jena und bei Carl Zeiss speziell für diesen Zweck entwickelt und gebaut. Die finanziellen Mittel stellten die Unternehmen Carl Zeiss, Bild 1: Goethe-Nationalmuseum Oberkochen, und SCHOTT GLAS, am Frauenplan in Weimar. Mainz zur Verfügung. 18 Innovation 7, Carl Zeiss, 1999
Kultur und Wissenschaft Bilder 2a bis 2c: Blick ins neue Goethe-Mu- seum, das mit seiner Expo- sition zur Weimarer Klassik ein Panorama der Literatur, Politik und Kunst zwischen 1750 und 1840 bietet. 2a: Luise, Königin von Preußen, geb. Prinzessin von Mecklenburg-Strelitz Das Prismenexperiment steht im Zen- Ohne Sonne geht’s Das Spektrum wird auf einer Pro- (1776 – 1810). 2b: Anatomische Präparate trum der Goetheschen Kritik an der auch heute nicht jektionsfläche von 2 m x 0,4 m dar- aus der Sammlung Methode Newtons, der er im Rah- geboten (Bild 5). Diese Fläche trägt J. W. von Goethe. men seiner 1810 erschienenen Far- Zentraler Teil der neuen optischen eine besondere Beschichtung, so dass 2c: Vitrine mit dem Sam- melband „Über Licht und benlehre einen umfangreichen po- Installation ist ein Heliostat, also ein bei Sonnenschein, „der einem nordi- Farben 2.“ 1767 – 1792. lemischen Teil widmet und in dem der Sonne rechnergesteuert exakt er den einseitigen Newtonschen Pol- nachgeführter Spiegel auf dem Dach tergeist auf immer verscheuchen des Museums. Goethe konnte noch wollte. Physikalischen Überprüfungen nicht über eine solche Vorrichtung kann die Kritik an Newton nicht verfügen und schreibt in seiner Far- standhalten. Sie rief bereits Wider- benlehre: spruch unter Goethes Zeitgenossen „Die objektiven Versuche verlan- hervor. gen hingegen notwendig den Son- nenschein, der, wenn er sich auch einstellt, nicht immer den wün- schenswerten Bezug auf den ihm entgegengestellten Apparat haben kann. Bald steht die Sonne zu hoch, bald zu tief, und doch auch nur kurze Zeit in dem Meridian des am besten gelegenen Zimmers. Unter dem Be- obachten weicht sie; man muss mit dem Apparat nachrücken,….“ (Zur Farbenlehre; Didaktischer Teil § 303). Das Sonnenlicht wird dann von diesem Heliostaten über einen Um- lenkspiegel durch das ovale Fenster der Glaskuppel in das Treppenhaus reflektiert (Bilder 3 und 4). Dort ist ein speziell gefertigtes achromati- sches Objektiv von etwa 2 m Brenn- weite und 40 cm Durchmesser aufge- hängt, das die Sonnenscheibe auf den Spalt eines Spektralapparates ab- bildet. Die große Öffnung dieses Ob- jektivs sorgt dafür, dass von den ca. 1 Kilowatt Lichtleistung, die unser Stern bei günstigen Bedingungen stän- dig pro Quadratmeter liefert, etwa 10 % ausgenutzt werden können. Der Spektralapparat selbst setzt sich zusammen aus besagtem Spalt, einem Objektiv, das diesen Spalt auf einen Projektionsschirm abbildet, und zwei Prismen (Bild 5). Die Prismen bestehen aus Schwerflint, einer Glas- sorte, die sowohl eine hohe Brech- kraft aufweist wie auch eine große Richtungsauffächerung der einzelnen Wellenlängen (Dispersion) zeigt. Der Spektralapparat hängt unter dem großen Objektiv in der Mitte des Treppenauges (Bild 4). Innovation 7, Carl Zeiss, 1999 19
Kultur und Wissenschaft Bild 3: Optischer Strahlengang zur Projektion des Sonnen- spektrums. Ablenkspiegel D = 600 mm Heliostat-Spiegel D = 800 mm Tessar® 1:4,5 f = 210 mm Fraunhofer-Objektiv D = 400 mm, f = 2000 mm 90° Prisma Quarzglas 2 Dispersionsprismen Kantenlänge 60 mm Schwerflint SF10 variabler Spalt Plankonvexlinse horizontal und vertikal f 588 nm = 153,32 mm 15 – 20 mm Öffnung D = 30 mm Quarzglas schen Beobachter überhaupt nicht Bild 4: reichlich gewogen ist“, eine bril- Achromatisches Objektiv lante Farberscheinung wahrgenom- und Spektralapparat men werden kann, die jedoch kein im Treppenhaus des Goethe-Museums Kantenspektrum ist, wie es Goethe (Blick nach oben). vielleicht besser gefallen hätte. Um dieses Kantenspektrum darzustellen, hätte man mit weit geöffnetem Spalt mehr als 250 µm auf einem Durch- sion dieser Stoffe im Sichtbaren mit arbeiten müssen. messer von 800 mm. Durch spezielle wachsender Wellenlänge (zum Roten Die wohl einschneidendste Rand- Aufspanntechniken auf einen Stahl- hin) abnimmt. bedingung bei Planung und Aufbau träger konnten diese Oberflächende- Übrigens sind die von Wollaston der Projektionseinrichtung bestand formationen soweit reduziert werden, und Fraunhofer (seit 1802) entdeck- darin, dass aus Kostengründen für dass die Abbildungsfehler der Sonnen- ten dunklen Linien im Sonnenspek- Heliostat- und Umlenkspiegel nur sol- scheibe auf dem Spalt des Spektrogra- trum, die durch Absorption in der At- che verwendet werden konnten, die fen ein tolerierbares Maß erreichten. mosphäre von Sonne und Erde ent- für die architektonische Nutzung von Das sichtbare Dispersionsspektrum stehen, nicht zu beobachten. Dazu Tages- und Sonnenlicht, nicht aber ist für alle praktisch benutzten Pris- müßte der Spalt des Spektralappa- für die Sonnenbeobachtung herge- menmaterialien (besonders für das rates sehr schmal eingestellt wer- stellt waren. Die Spiegel bestehen aus hier benutzte Schwerflintglas) im Vio- den, was jedoch die Beleuchtungs- Floatglas, sind von hinten verspiegelt letten und Blauen sehr auseinander- stärke wesentlich herabsetzen und und lackiert. Interferometrische Mes- gezogen, im Roten dagegen zusam- eine wirklich „dunkle Kammer“ nötig sungen (Bild 6) ergaben PV-Werte von mengedrängt, da die Materialdisper- machen würde. 20 Innovation 7, Carl Zeiss, 1999
Kultur und Wissenschaft schwarzem Papier durch ein Prisma, wie Goethe in seinem Didaktischen Teil der Farbenlehre es beschreibt, so beobachtet man das in Bild 7 darge- stellte Kantenspektrum. Goethe erklärt diese Kantenspek- tren durch die Verschiebung, die die Gegenstände durch das Prisma ge- genüber ihrem wirklichen Ort erfah- ren. Das Bild werde nicht vollständig verschoben, sondern es widersetze sich gewissermaßen der Verschie- bung. Dadurch entsteht nach Goethe ein „Nebenbild“, das dem eigentli- chen etwas vorauseilt. Wenn man das helle Rechteck durch ein Prisma betrachtet, wird es durch Brechung nach links verscho- ben. Das helle Nebenbild schiebt sich über das dunkle Papier. Hell über Dunkel erzeugt nach Goethe Blau, bei stärkerer Wirkung der Finsternis wird daraus Violett. Rechts schiebt sich das Bild der dunklen Fläche über das zurückbleibende helle „Haupt- bild“. Dunkles über Hellem erzeugt Gelb. So entsteht nach Goethe der gelbe Saum. Wo das Dunkle noch wirksamer ist, steigert sich das Gelb zum Rot. Die Farben Grün und Purpur nannte Goethe eine „Komplikation“ Bild 5: Das auf eine speziell beschichtete Fläche pro- jizierte Sonnenspektrum. Bei einem nicht zu breiten Spalt, wie er in dem hier aufgebauten Spek- tralapparat verwendet wird, bildet das Objektiv auf dem Projektions- schirm ein nahezu monochromati- sches Spaltbild neben dem anderen ab, so dass in Summe ein relativ rei- nes Spektrum entstehen kann. Die Goetheschen Kantenspektren Zieht man den Spalt im Spektral- Hintergrund: J. W. von Goethe nach apparat sehr weit auf oder betrachtet einem Ölgemälde von einen breiten weißen Streifen auf Ferdinand Jagemann, 1806. Innovation 7, Carl Zeiss, 1999 21
Kultur und Wissenschaft bungen sind vom Standpunkt der scheinen. Die Entstehung dieses „um- physikalischen Optik nicht haltbar. gekehrten Spektrums“ kann man sich Die Deutung der Kantenspektren er- an Bild 8b klarmachen. schließt sich bei breitem Spalt durch Jetzt ist von oben beginnend ein die Überdeckung der einfarbigen dunkles Feld inmitten roter Seiten Spaltbilder, wie dies in Bild 7b ge- einzuzeichnen und Entsprechendes zeigt ist. Der Übersichtlichkeit halber bei den anderen Teilbildern. Der Un- sind die Spaltbilder der einzelnen tergrund bei 0 und 0’, der früher Farben übereinander gezeichnet. schwarz war, ist nun weiß, weil hier Deutlich ist rechts (bei der 1 be- alle Farben vertreten sind. Die Mitte ginnend) das rote Kantenspektrum bei 4, die früher weiß war, ist nun ausgebildet, weil dort Rot und Gelb schwarz, weil hier alle Farben fehlen. voll vertreten sind. An der linken Sei- Links verläuft nach außen Rot (3’), te der Zeichnung zeigt sich das blaue Gelbrot (2’) und Gelb (1’). Rechts Kantenspektrum (bei 1’ und 2’). An nach außen ist Violett (3), Blau (2) der Stelle, die mit 4 bezeichnet ist, und Blaugrün (1) zu erkennen. Als „Elemente“ zwischen Weiß und Bild 6: Interferometrische Prüfung Weiß von rechts nach links zählt der Spiegel für die Goethe auf: Blau, Blaurot, Schwar- Projektion des zes, Gelbrot, Gelb (Farbenlehre; Di- Sonnenspektrums an der Friedrich-Schiller- daktischer Teil § 246) entsprechend Universität Jena. den hier mit 2, 3, 4, 2’, 1’ gekenn- zeichneten Stellen. Bild 7a: An einem breiten Spalt Wenn nun der normale Spalt oder erzeugtes Kantenspektrum. der weiße Streifen immer schmaler 7b: 7a 8a werden, so nähert man sich dem Zur Erklärung des Kantenspektrums. üblichen prismatischen Spektrum, bei dem in der Mitte statt Weiß das Grün Bild 8a: auftritt. Goethes Beobachtungen des Sonnenspektrums am Wird der „negative Spalt“ oder „negativen Spalt“. der schwarze Streifen immer schma- 8b: ler, überlagern sich bei 4, wie aus Zur Erklärung des Kantenspektrums am der Abbildung zu erkennen ist, rotes negativen Spalt. und violettes Spektralende zu einem Purpur, dem zu Grün Komplemen- tären. Die Farbfolge lautet also bei schmalem schwarzen Streifen (nega- tivem Spalt): Weiß, Gelb, Orange, 0’ 1’ 2’ 3’ 4 3 2 1 0 0’ 1’ 2’ 3’ 4 3 2 1 0 Rot, Purpur, Violett, Blau, Blaugrün, 7b 8b Weiß. Aufnahmen 1, 4 und 5: der farbigen Ränder. Wenn ein heller sind alle Farben vorhanden und erge- „Die edlen physischen Wider- Peter Michaelis. Gegenstand auf dunklem Grund sehr ben Weiß. sacher“, schreibt Goethe am 13. Aufnahmen 2 und Hintergrundbild schmal ist, schieben sich die gegen- Eigentümlich sind Goethes Be- März 1822 an Zelter, „kommen mir Seiten 20/21: überliegenden gelben und blauen obachtungen am „negativen Spalt“ vor wie katholische Pfaffen, die einen Stiftung Weimarer Klassik, Ränder ineinander. Ihre Mischung er- (Bild 8a): Man betrachtet hier im Protestanten aus dem tridentinischen Sigrid Geske. Aufnahme 6: gibt Grün. Bei einem schmalen, dunk- Gegensatz zu oben einen breiten Konzil widerlegen wollten“. Die FSU Jena. len Gegenstand auf hellem Grund schwarzen Streifen auf weißem Gegner Goethes haben für die Be- überlappen sich die violetten und Grund durch das Prisma. So erkennt urteilung und Verurteilung der Far- roten Ränder. Es entsteht Purpur. man ein unübliches „umgekehrtes benlehre immer die physikalische Me- Literatur Die Erklärung der Kantenspektren Spektrum“, bei dem jeweils die thode angewendet. Gerade diese [1] Buchwald, E.: Fünf Kapitel Farbenlehre, durch Haupt- und Nebenbilder und Komplementärfarben des oben be- Methode lehnte Goethe ab und Mosbach/Baden 1955. deren Widerstand gegen Verschie- schriebenen Kantenspektrums er- ersetzte sie durch eine ästhetische. 22 Innovation 7, Carl Zeiss, 1999
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