Sozial nachrichten - lagoefw

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Ausgabe
                                                                                     2/2017

Bayerische

Sozial nachrichten
Mitteilungen der Landesarbeitsgemeinsch aft der öffentlichen und freien Wohlfahrtspflege in Bayern

                                                                                                 Foto: Inge Mayer

                                     Pflegestärkungsgesetze
                                     Reformen zugunsten Hilfebedürftiger
Editorial

                                             nen Appell an die Verantwortlichen,      bensqualität müssen gemeinsam be-
                                             die Wege, die das PSG III eröffnet,      trachtet werden“ und „Der Entwick-
                                             kreativ anzunehmen.                      lung einer sorgenden Gemeinschaft
                                                                                      kommt eine Schlüsselrolle für die
                                             Auch Christian Bernreiter, Präsident     Zukunft der häuslichen Pflege zu“,
                                             des Bayerischen Landkreistags, ver-      erlauben wir uns auf „Pflegende und
                                             weist auf die Notwendigkeit Leis-        Pflegebedürftige“ wie auch auf „die
                                             tungen so miteinander zu verzahnen,      Zukunft der Pflege“ zu fokussieren.
                                             dass ältere Menschen möglichst
                                             lange selbstbestimmt und selbstän-       Wir sind gespannt auf die Begeg-
                                             dig in ihrer gewünschten Umgebung        nungen anlässlich des Bayerischen
Liebe Leserin,                               wohnen bleiben können. Zugleich
                                             werden mehr Menschen in der Sozi-
                                                                                      Pflegegipfels der am 13. Juli 2017 in
                                                                                      Nürnberg unter dem Titel „Wo geht
lieber Leser,                                alhilfe leistungsberechtigt sein. Das    die Reise hin?“ stattfindet.
                                             führt zu Mehrkosten für die Träger
mit dem 1. Januar 2015 trat das ers-         der Sozialhilfe. Man sei bereit dazu
te Pflegestärkungsgesetz (PSG) in            einen Beitrag zu leisten, erwarte sich
Kraft, das PSG II und PSG III folg-          aber auch den Gestaltungsspielraum
ten zum 1. Januar 2017. Ebenfalls            für eigene Ideen und die nötige fi-
trat zu diesem Datum das Bundes-             nanzielle Ausstattung.                   Hendrik Lütke
teilhabegesetz (BTHG) in Kraft. Für
                                             Dr. Bernhard Opolony, Leiter der
uns Anlass zu einem Themenheft.
                                             Abteilung 4 - Pflege und Prävention
                                                                                                               INHALT
Dr. Martin Schölkopf, Leiter der             im StMGP, ruft uns nochmals die
                                                                                       Pflegestärkungsgesetze
Unterabteilung Pflegeversicherung            Leitlinien der Reformen unter den
im BMG, gibt Ihnen zum PSG III               Überschriften „Selbstbestimmung,          Das Dritte Pflegestärkungsgesetz    S. 3
einen umfassenden Überblick. Die             Teilhabe, Lebenslage und Profes-
                                                                                       Kommunale Strukturen für
Sicherstellung der Versorgung, die           sionalisierung“ ins Gedächtnis und
                                             verweist in seinem Beitrag auf die        eine gute Pflegeberatung schaffen   S. 6
Beratung und die Förderung des
Ausbaus von Angeboten zur Un-                Wirkung der Reformen.                     Pflegestärkungsgesetze -
terstützung im Alltag und die För-                                                     ein Blick zurück nach vorn          S. 8
derung der Vernetzung vor Ort sind           Dr. Klaus Schulenburg, Referent für
einige der Überschriften, die auch           Soziales, Gesundheit und Kranken-         Zwischenruf
von anderen Autoren kritisch be-             hauswesen im Bayerischen Land-            Kommunalfreundliche Nachbesserung
leuchtet werden. Die Einführung des          kreistag setzt sich mit der Problema-     der Pflegestärkungsgesetze I-III	 S. 10
neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs           tik der Zuständigkeitsbestimmung,
                                                                                       BTHG und PSG III schaffen
und die Schnittstelle zur Eingliede-         bzw. der Diskussion um die Ab-
                                             grenzung im PSG III auseinander.
                                                                                       neue Rahmenbedingungen              S. 12
rungshilfe fordern alle Beteiligten in
besonderer Weise.                            Schnittstellenprobleme und Finan-         Panorama                        S. 14
                                             zierungsfragen sind zu klären, wie        Ambulante Pflege - „Gewinnerin“
Die pflegenden Angehörige sind               auch Konnexitätsrelevanz.
                                                                                       der Pflegestärkungsgesetze?     S. 16
es, die den Wunsch der 4,5 Milli-
onen Pflegebedürftigen erfüllen,             Der Frage „Ambulante Pflege - „Ge-        Pflege zu Hause - Bedeutung
so lang als möglich in der eigenen           winnerin“ der Pflegestärkungsgeset-       zur Unterstützung im Alltag         S. 18
Wohnung zu bleiben. Sie leisten die          ze?“ geht Dagmar Grabner, Referen-
                                             tin Altenhilfe und Pflege im AWO          Praxis
Pflegearbeit in aufopferungsvoller
Hinwendung, so der Hinweis von               Landesverband Bayern e.V. nach.           Gelebte Vernetzung in Würzburg:
Hermann Imhof, Patienten- und                                                          Kooperation HALMA e.V. und
Pflegebeauftragter der Bayerischen           Mit der erweiterten Angebotsstruk-        Pflegestützpunkt                    S. 20
Staatsregierung. Zugleich ist die            tur für die Pflege zu Hause beschäf-
                                             tigt sich Frau Dr. Gabriele Hartl,        Karl-Buchrucker-Preis: Ohne
Vielzahl möglicher Hilfen bisher
„unverbunden, neben- und nach-               Ltd. Ministerialrätin im StMGP.           Voyeurismus und mit großer Würde S. 22
einander agierend und sich selten            Ihre Aussagen „Pflegende Angehö-          Mitgliedsorganisationen             S. 23
ergänzend. Es fehlt ein direkter und         rige und Pflegebedürftige sind ein
unabhängiger Berater. Er richtet sei-        Team. Ihre Bedürfnisse und ihre Le-       Bücher                              S. 28

  2    Bayerische Sozialnachrichten 2/2017
Pflegestärkungsgesetze

Das Dritte Pflegestärkungsgesetz
Nach der erheblichen Ausweitung der Leistungen der           Ausschüsse einrichten. Mit dem PSG
Pflegeversicherung durch das Erste Pflegestärkungs-          III sind die Pflegekassen nunmehr
gesetz (PSG I) wurden mit dem Zweiten Pflegestär-            verpflichtet, sich an diesen Gremi-
kungsgesetz (PSG II) zum 1. Januar 2017 ein neuer            en zur pflegerischen Versorgung
Pflegebedürftigkeitsbegriff und ein neues Begutach-          (z.B. zu sektorenübergreifender
tungsinstrument eingeführt. Damit erhalten erstmals          oder regionaler Versorgung)
alle Pflegebedürftigen gleichberechtigten Zugang zu          zu beteiligen (§ 8a Abs. 2
den Leistungen der Pflegeversicherung – unabhängig           und 3 SGB XI). Die Gre-
davon, ob sie an körperlichen Einschränkungen leiden         mien können Empfehlun-
oder an einer Demenz erkrankt sind. Die Leistungen für       gen zur Sicherstellung der
Pflegebedürftige und ihre Angehörigen sind damit in          pflegerischen Versorgung
dieser Wahlperiode um mehr als 20 Prozent gestiegen.         abgeben. Dies betrifft z.B.
Mit dem Dritten Pflegestärkungsgesetz (PSG III), des-        den Abbau von Über- oder
sen Maßnahmen ebenfalls zum 1. Januar 2017 in Kraft          Unterversorgung oder die
getreten sind, werden die Reformen der Pflegeversiche-       Verbesserung der Zusam-
rung in dieser Legislaturperiode abgerundet. Das PSG         menarbeit zwischen den
III verfolgt in seinen wesentlichen Inhalten fünf Ziele:     Sektoren.
1. Umsetzung der Empfehlungen der Bund-Länder-             n Steigerung der Ver-
    Arbeitsgruppe zur Stärkung der Rolle der Kom-            bindlichkeit von
    munen in der Pflege                                      Empfehlungen: Die
                                                             Empfehlungen sollen
2. Maßnahmen zur Bekämpfung von Abrechnungs-
                                                             von den Pflegekassen bei Vertragsverhandlungen
    betrug in der Pflege
                                                             (z.B. Vergütungs- und Versorgungsverträge) ein-
3. Weitere Anreize für eine angemessene Vergütung            bezogen werden. Darüber hinaus ist in den o.g.
    in der Pflege                                            Gremien über die Umsetzung der Empfehlungen
4. Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbe-              zu berichten (§ 8 Abs. 4 und 5 SGB XI).
    griffs in das Sozialhilferecht
                                                           b) Beratung
5. Regelung der Schnittstellen zwischen Eingliede-
    rungshilfe und Pflege                                  Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen steht ein
                                                           großes Spektrum von Leistungen und Angeboten zur
                                                           Hilfe und Unterstützung zur Verfügung. Wichtig ist
1. Umsetzung der Empfehlungen der                          deshalb, dass sie über diese Angebote informiert sind
Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Stärkung                     und das für ihre individuelle Situation am besten geeig-
der Rolle der Kommunen in der Pflege                       nete Hilfepaket in Anspruch nehmen können. Hierfür
                                                           braucht es gute Beratungsstrukturen. Das PSG III
In einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe wurden zwischen         enthält daher ein Maßnahmenpaket, das insbesondere
Bund, Ländern und kommunalen Spitzenverbänden im           darauf zielt, die Abstimmung und Zusammenarbeit in
Mai 2015 Empfehlungen vereinbart, um die kommu-            der Beratung vor Ort zu verbessern und die Beratung
nale Ebene in der Pflege zu stärken. Mit dem PSG III       aus einer Hand zu ermöglichen. Konkret werden hierzu
werden wurden Empfehlungen zu drei thematischen            folgende Punkte geregelt:
Schwerpunkten gesetzlich umgesetzt:                        n Die Kommunen erhalten für fünf Jahre ein Initi-
a) Sicherstellung der Versorgung                               ativrecht zur Einrichtung von Pflegestützpunkten
                                                               (§ 7c Abs. 1a SGB XI). Darüber hinaus dürfen sie
Damit Pflegebedürftige vor Ort pflegerisch gut versorgt        künftig Beratungsgutscheine einlösen und Pflicht-
und betreut werden, muss auch die notwendige Infra-            beratungen beim Bezug von Pflegegeld erbringen,
struktur vorhanden sein. Daher wurden von Bund und             wenn Pflegebedürftige dies wünschen (§§ 7b Abs.
Ländern Maßnahmen vereinbart, die dazu beitragen,              2a, 37 Abs. 8 SGB XI).
Planungsinstrumente zur Sicherstellung der Versor-         n Klare Regelungen für die Tätigkeit von Pflege-
gung sinnvoll einsetzen zu können:                             stützpunkten: Länder und Pflegekassen werden
n Verbesserung der Zusammenarbeit: Die Länder                  verpflichtet, Rahmenvertrage für die Arbeit und
    können bereits heute auf Landes- und regionaler            Finanzierung von Pflegestützpunkten abzuschlie-
    Ebene Pflegegremien oder sektorenübergreifende             ßen.

                                                                                   Bayerische Sozialnachrichten 2/2017   3
Pflegestärkungsgesetze

n Modellvorhaben zur kommunalen Pflegeberatung             Insbesondere geht es um folgende Maßnahmen:
  (§§ 123, 124 SGB XI): Es wird ein Modellprojekt
  aufgelegt, in dessen Rahmen bundesweit bis zu            a) Einführung eines systematischen Prüfrechts im SGB V
  60 Kreise oder kreisfreie Städte für eine Dauer          Auch Pflegedienste, die ausschließlich Leistungen der
  von fünf Jahren alle Angebote der Pflegeberatung         häuslichen Krankenpflege im Auftrag der Kranken-
  – Pflegeberatung gemäß § 7a SGB XI, Pflichtbe-           kassen erbringen, unterliegen zukünftig regelmäßigen
  ratungsbesuche gemäß § 37 Abs. 3 SGB XI sowie            Qualitäts- und Abrechnungsprüfungen durch den Me-
  Pflegekurse gemäß § 45 SGB XI – aus einer Hand           dizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK);
  erbringen können. Die Modellkommunen erhalten            geregelt in § 275b Abs. 1 SGB V.
  für die Pflegeberatung von den Pflegekassen einen        b) Weiterentwicklung bestehender Instrumente der
  finanziellen Ausgleich. Für die Inhalte und Stan-
  dards der Beratung durch Kommunen gelten dabei
                                                           Qualitätssicherung
  die Vorschriften des SGB XI.                             Die Prüfungen des MDK bei Pflegediensten werden
                                                           ausgeweitet, indem auch Personen in die Stichprobe
c) Förderung des Ausbaus von Angeboten zur Unterstützung   für die Prüfung einbezogen werden, die ausschließlich
im Alltag, Förderung der Vernetzung vor Ort                Leistungen der häuslichen Krankenpflege beziehen (§
n Angesichts der zunehmenden Zahl von Menschen,            114 Abs. 2 SGB XI).
    die demenziell erkrankt sind, nimmt auch die Be-       c) Abrechnungsprüfungen durch Pflegekassen,
    deutung der Unterstützung im Alltag von Pflegebe-      Landesrahmenverträge
    dürftigen und ihren Angehörigen zu. Entsprechend
                                                           Zudem wird – bei Vorliegen tatsächlicher Anhalts-
    ist es wichtig, solche Angebote auf Landesebene
                                                           punkte – den Landesverbänden der Pflegekassen die
    auf- und auszubauen. Mit dem PSG III wird dieses
                                                           Möglichkeit für Abrechnungsprüfungen eingeräumt
    Ziel wie folgt unterstützt (§ 45c SGB XI):
                                                           (§ 79 Abs. 4 SGB XI). Darüber hinaus sollen in den
n Vereinfachung der finanziellen Beteiligung: Kom-
                                                           Landesrahmenverträgen der Pflegeselbstverwaltung
    munen können ihren gesetzlich vorgesehenen
                                                           das Nähere zu den Vertragsvoraussetzungen und zur
    Pflichtanteil der Förderung (50 %; die anderen
                                                           Vertragserfüllung einer leistungsfähigen und wirtschaft-
    50 % werden von der Pflegeversicherung finan-
                                                           lichen pflegerischen Versorgung vereinbart werden (§
    ziert) für Maßnahmen zum Auf- und Ausbau dieser
                                                           75 Abs. 1 SGB XI). Ziel ist es, „schwarze Schafe“ unter
    Leistungen künftig auch in Form von Sach- und
                                                           den Pflegeeinrichtungen besser erkennen zu können
    Personalmitteln einbringen.
                                                           und zu verhindern, dass betrügerische Dienste einfach
n Verbesserung der Mittelausschöpfung: Nicht
                                                           unter neuem Namen erneut zugelassen werden können.
    verwendete Mittel aus der Pflegeversicherung
    (Fördervolumen insgesamt 25 Mio. Euro pro Jahr)
    können künftig von den Ländern, welche die ihnen       3. Weitere Anreize für eine angemessene
    zustehenden Mittel weitestgehend ausgeschöpft          Vergütung in der Pflege
    haben (80 %), abgerufen werden.
Darüber hinaus fördert die Pflegeversicherung seit 1.      Bereits mit dem PSG I wurde gesetzlich klargestellt,
Januar 2017 die Beteiligung an regionalen Netzwerken,      dass die Zahlung von tariflicher und kirchenarbeits-
die der strukturierten Zusammenarbeit von Akteuren         rechtlicher Entlohnung in Vergütungsverhandlungen
dienen, die an der Versorgung Pflegebedürftiger betei-     vollumfänglich zu berücksichtigen ist. Das Vertrags-
ligt sind, mit bis zu 20.000 Euro pro Landkreis bzw.       und Vergütungsrecht der Pflegeversicherung ist nun
kreisfreier Stadt.                                         mit dem PSG III dahingehend ergänzt worden, dass
                                                           künftig auch die Wirtschaftlichkeit der Zahlung von
2. Maßnahmen zur Bekämpfung                                Gehältern bis zur Höhe von Tariflohn in den Ver-
                                                           gütungsverhandlungen bei nicht tarifgebundenen
von Abrechnungsbetrug in der Pflege                        Einrichtungsträgern anerkannt wird. Auch diese
Das PSG III enthält zudem ein Maßnahmenpaket               Pflegeeinrichtungen können den Beschäftigten daher
zur Verbesserung von Prävention, Aufdeckung und            nun bessere Löhne zahlen, ohne dass sie dadurch
Bekämpfung von Abrechnungsbetrug in der Pflege.            einen Wettbewerbsnachteil haben. Dies setzt weitere
Das Gesetz sieht sowohl Regelungen für den Bereich         Anreize für eine angemessene Vergütung in der Pflege.
der GKV als auch der Pflegeversicherung vor. Die           Die Kostenträger erhalten auf der anderen Seite ein
aufeinander abgestimmten Regelungen im SGB V und           Nachweisrecht, dass die verhandelten Löhne auch
SGB XI zielen darauf ab, bestehende Lücken bei den         tatsächlich bei den Beschäftigten ankommen (§§ 75
Qualitäts- und Abrechnungsprüfungen zu schließen.          Abs. 2, 84 Abs. 2 und 7, 89 Abs. 1).

  4    Bayerische Sozialnachrichten 2/2017
Pflegestärkungsgesetze

4. Einführung des neuen Pflegebedürftig-                   Zuordnung der Leistungspflicht an den Schnittstellen
                                                           erreicht, die auch den Besonderheiten des Einzelfalls
keitsbegriffs in das Sozialhilferecht                      gerecht wird. Dabei fördern die Empfehlungen auf
Da die Höhe der Versicherungsleistungen nach dem           Bundesebene eine einheitliche Verwaltungspraxis im
SGB XI auf gesetzlich festgesetzte Höchstbeträge           Vollzug.
begrenzt ist (Teilleistungssystem), kann auch nach Ein-    Mit dem Bundesteilhabegesetz entfällt im Recht der
führung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs im SGB      Eingliederungshilfe zum 1.1.2020 der Einrichtungs-
XI und nach der deutlichen Ausweitung der Leistungen       begriff. Damit würde die aus der Pflegeversicherung
der Pflegeversicherung mit dem Ersten und Zweiten          fließende Pauschalzahlung des § 43a SGB XI für
Pflegestärkungsgesetz ein darüber hinausgehender           Menschen mit Behinderungen in stationären Einrich-
Bedarf an Pflege bestehen. Dieser wird bei finanzieller    tungen der Behindertenhilfe ab dem Jahr 2020 faktisch
Bedürftigkeit durch die Hilfe zur Pflege im Rahmen         leerlaufen. Damit war auch hierfür eine Neuregelung
der Sozialhilfe gedeckt. Mit dem PSG III wird daher        erforderlich.
auch im Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII)           In zahlreichen Stellungnahmen zum Gesetzentwurf
der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff eingeführt, um        des PSG III wurde die vorgesehene Verknüpfung der
auch künftig sicherzustellen, dass finanziell Bedürftige   Zahlung des Pauschalbetrags in Höhe von 266 Euro/
im Falle der Pflegebedürftigkeit angemessen versorgt       Monat mit der Unterbringung behinderter Menschen
werden. Gegenüber dem SGB XI ist auch nach gelten-         in Räumlichkeiten, für die das Wohn- und Betreuungs-
dem Recht der Begriff insoweit weiter gefasst, als das     vertragsgesetz gilt, kritisiert (§§ 43a, 71 Abs. 4 SGB
Vorliegen von Pflegebedürftigkeit nicht mindestens         XI). Befürchtet worden war insbesondere, dass damit
für voraussichtlich sechs Monate vorliegen muss (§§        auch für behinderte Pflegebedürftige, die in ambulan-
61ff. SGB XII).                                            ten Wohngruppen leben, nur die o.g. Pauschalzahlung
                                                           geleistet würde, während der Anspruch auf ambulante
                                                           Geld- bzw. Pflegesachleistungen verloren ging. Im
5. Schnittstelle Pflege - Eingliederungshilfe              Gesetz wurde deshalb klargestellt, dass die Pauschale
(§§ 13 SGB XI, 71 Abs. 4 SGB XI)                           der Pflegeversicherung in Höhe von 266 Euro monat-
Mit der Einführung des neuen Pflegebedürftigkeits-         lich nur für die Unterbringung in Räumlichkeiten bzw.
begriffs und des neuen Bundesteilhabegesetzes waren        Einrichtungen gilt, die bei einer Gesamtbetrachtung
auch Fragen zu den (größer werdenden) Schnittstellen       vollstationären Einrichtungen entsprechen.
zwischen Pflege und Eingliederungshilfe zu klären.
Im Ergebnis wurden die bestehenden grundsätzlichen         Schluss
Leistungsverpflichtungen nach den jeweils einschlä-
gigen Rechtsvorschriften der Pflegeversicherung und        Mit den drei Pflegestärkungsgesetzen dieser Legislatur-
der Eingliederungshilfe nicht verändert. Es bleibt         periode ist das Recht der Pflegeversicherung umfassend
nun grundsätzlich bei der „Gleichrangigkeit“ beider        neu gestaltet worden. Dabei wurden die Leistungen
Leistungen (§ 13 Abs. 3 SGB XI). Sozialämter und           und Beratungsansprüche für die Betroffenen und ihre
Pflegekassen müssen bei einem Zusammentreffen von          Angehörigen erheblich ausgeweitet. Zudem wurde die
gleichen Leistungen unterschiedlicher Träger künftig       Attraktivität der Arbeit in der Pflege deutlich gestärkt.
aber regelhaft vereinbaren, wie die Leistungserbrin-       Nun gilt es, die gesetzlich eingeführten Maßnah-
gung im Verhältnis zum Anspruchsberechtigten jeweils       men in der Umsetzung zu
erfolgen soll und wie die Kostenerstattung der Träger      begleiten und zu prüfen, ob
untereinander erfolgt.                                     alle gewünschten Wirkun-
Dabei soll im Verhältnis zum Pflegebedürftigen, der        gen eintreten bzw. zu prüfen,
für die Eingliederungshilfe zuständige Träger, die         ob bzw. inwieweit es noch
Leistungen der Pflegeversicherung auf der Grundlage        Nachsteuerungsbedarf gibt.
des von der Pflegekasse erlassenen Leistungsbescheids
übernehmen. Die Pflegekasse wird verpflichtet, dem für
die Eingliederungshilfe zuständigen Träger die Kosten
der von ihr zu tragenden Leistungen zu erstatten (§§ 13
Abs. 4 und 4a SGB XI). Der Spitzenverband Bund der
Pflegekassen muss gemeinsam mit der Bundesarbeits-                                       Dr. Martin Schölkopf
gemeinschaft der überörtlichen Träger der Sozialhilfe                                      Bundesministerium für Gesundheit
bis zum 1. Januar 2018 in einer Empfehlung Näheres                                Leiter der Unterabteilung - Pflegesicherung
dazu beschließen. Hierdurch wird eine eindeutige                                  Email: Martin.Schoelkopf@BMG.BUND.DE

                                                                                    Bayerische Sozialnachrichten 2/2017   5
Pflegestärkungsgesetze

Kommunale Strukturen
für eine gute Pflegeberatung schaffen

Mit dem Inkrafttreten des
Dritten Gesetzes zur Stär-
kung der pflegerischen Ver-
sorgung (PSG III) endet
ein Reigen von Reformge-
setzen rund um das Thema
Pflege. Dafür gibt es vor
allem einen Grund: den
tiefgreifenden demografi-
schen und gesellschaftli-
chen Wandel, der grund-
sätzliche Veränderungen
der Pflegeversicherung
und der Pflegeinfrastruktur
nötig macht. Kernstück und Ziel des PSG II war die       zu können, erfüllen. Pflegende Angehörige sind es, die
Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffes       in aufopferungsvoller Hinwendung ihre Pflegebedürf-
und die damit verbundene vollumfängliche Erfassung       tigen umsorgen. Pflegende Angehörige sind es aber
von Menschen mit kognitiv-psychischen Einschrän-         auch, die für ihre Pflegebedürftigen den Weg durch
kungen in die Systematik der Pflegeversicherung. Mit     den „Verwaltungsdschungel“ finden müssen.
dem PSG I wurde nicht zuletzt die häusliche Pflege
deutlich gestärkt. Pflegebedürftige und Angehörige       Denn unser Sozial- Gesundheits- und Pflegesystem
erhalten seitdem mehr Unterstützung.                     bietet gerade für diese Zielgruppe eine (für die Betrof-
                                                         fenen nur schwer überschaubare) Vielzahl von Hilfen,
Zentrales gesetzgeberisches Anliegen des PSG III ist     die in der Regel unverbunden neben- bzw. nachein-
die stärkere Verzahnung der für die Betreuung pflege-    ander agieren, sich selten gegenseitig ergänzen und
bedürftiger Personen zuständigen Leistungsträger auf     verstärken. Häufig kommt deshalb die adäquate Hilfe
kommunaler Ebene. Damit wird weiterhin das Ziel          nicht zum richtigen Zeitpunkt, vielfältige Umwege
verfolgt, die Rahmenbedingungen so zu verbessern,        müssen in Kauf genommen werden, Fehlsteuerungen
dass dem Grundsatz in der Pflege „ambulant vor sta-      führen zu nicht bedarfsgerechten Aufwendungen.
tionär“ noch besser Rechnung getragen werden kann.       Auch die unterschiedlichen Zuständigkeiten tragen
Nach Angaben der Pflegestatistik werden derzeit ca.      nicht gerade dazu bei, dass Versorgungsrechte und
1,2 Millionen Personen, die pflegebedürftig gemäß        Versorgungsleistungen bedarfsgerecht und zum rich-
Pflegeversicherungsgesetz sind, zu Hause gepflegt. Die   tigen Zeitpunkt in Anspruch genommen werden. Im
Zahl der insgesamt hilfebedürftigen Menschen liegt       Hilfebereich rund um die Pflege sind nicht nur die
mit schätzungsweise 4,5 Millionen aber noch deutlich     Pflege- und Krankenkassen mit Beratungsangeboten
höher als die Zahl der anerkannt Pflegebedürftigen.      und –pflichten ausgestattet, sondern auch die örtlichen
Hochgerechnet leisten etwa 4,7 Millionen Angehörige      und überörtlichen Sozialhilfeträger, die Rehabili-
in Deutschland Pflegearbeit.                             tationsträger, alle Leistungsanbieter sowie private,
                                                         freigemeinnützige und öffentliche Beratungsstellen in
Pflegende Angehörige sind es, die den Wunsch vieler      der Gesundheits-, Alten- und Behindertenhilfe. Diese
Pflegebedürftiger, nämlich so lange wie möglich in der   verwirrende Vielfalt suggeriert zwar ein umfassendes
eigenen Wohnung im gewohnten Umfeld verbleiben           Hilfeangebot, sichert aber keinesfalls die adäquate

  6   Bayerische Sozialnachrichten 2/2017
Pflegestärkungsgesetze

Hilfe bei in der Regel plötzlich auftretendem Bera-         biniert werden. Dies begrüße ich ausdrücklich. Aber
tungs- und Hilfebedarf. Ganz im Gegenteil: Verwir-          es gilt leider auch das Sprichwort: „wo viel Licht ist,
rung und Überforderung dominieren, führen oftmals           ist auch viel Schatten“: Je differenzierter und indivi-
zu Unverständnis und Resignation und bewirken               dueller das Leistungsangebot ist, umso schwieriger ist
letztendlich das Gegenteil: Leistungsangebote werden        es für Laien, die Übersicht zu behalten. Deshalb bin
nicht wahrgenommen.                                         ich der Ansicht, dass unser komplexes Gesamtangebot
                                                            im Gesundheits- und Pflegebereich flankierend ein
Das PSG III will dieser Problematik entgegenwirken          profiliertes Beratungs- und Begleitangebot benötigt,
und die Rolle der Kommunen in der Pflege stärken.           damit jedem Pflegebedürftigen die richtigen Hilfen
Zum einen erhalten die Kommunen ein fünfjähriges            zur richtigen Zeit mit der richtigen Dosis zur Verfü-
Initiativrecht für die Einrichtung von Pflegestütz-         gung stehen. Nur ein profiliertes Beratungsteam kann
punkten zur wohnortnahen Beratung, Versorgung               diese sehr individuelle Hilfe sicherstellen. Es muss die
und Betreuung von Pflegebedürftigen. Zum anderen            Fähigkeit haben, sich einfühlend in eine komplexe,
sind sog. Modellkommunen vorgesehen, die anstelle           familiäre Hilfsbedürftigkeit hineinzuversetzen und
der Pflegekassen Beratung zu Pflegeleistungen sowie         gleichzeitig die Kompetenz haben, das vielfältige
Beratungen zu kommunalen Leistungen aus einer Hand          Versorgungsangebot ziel- und passgenau vorzuschla-
anbieten können.                                            gen. Darin müssen die im Einzelfall erforderlichen
                                                            Sozialleistungen ebenso enthalten sein, wie die gesund-
Diese Ziele sind gut und sie sind notwendig. Jetzt          heitsfördernden, präventiven, kurativen, rehabilitativen
kommt es darauf an, Konzepte zu ihrer Realisierung          oder sonstigen medizinischen, sowie pflegerischen und
schnell zu entwickeln und in Lauf zu setzen. Dabei          sozialen Hilfen.
sollten die Bedürfnisse von Pflegebedürftigen bzw.
von pflegenden Angehörigen in den Mittelpunkt ge-           Eine umfassende Beratung setzt gleichzeitig aber
stellt werden.                                              auch eine Zusammenarbeit der unterschiedlichen
                                                            Kostenträger und Leistungsanbieter voraus. Wenn es
Schon jetzt gilt, dass alle Versicherten in der gesetzli-   zum Miteinander bei der Gestaltung der Versorgung
chen und privaten Kranken- und Pflegeversicherung           im Einzelfall kommen soll, müssen die Akteure vor
einen Rechtsanspruch auf individuelle Beratung und          Ort eine erhebliche Sensibilität für die gemeinsame
Hilfestellung durch Pflegeberater der Versicherung bei      Verantwortung in der Versorgung pflegebedürftiger
der Auswahl und der Inanspruchnahme von Leistungen          Menschen entwickeln. Gelingt dies, ist nicht nur die
oder sonstigen Hilfsangeboten haben. Es hat sich aber       optimale Versorgung der Pflegebedürftigen sicherge-
eindeutig herausgestellt, dass nicht nur die individuelle   stellt, sondern auch ein effizienter Mitteleinsatz der
Beratung und Hilfe, sondern auch die Koordinierung          Kranken- und Pflegekassen sowie der Kommunen
aller für die wohnortnahe Versorgung und Betreuung          gewährleistet. Ich appelliere im Interesse der Pflege-
in Betracht kommenden Leistungsangebote, sowie die          bedürftigen und der pflegenden Angehörigen an die
Vernetzung aufeinander abgestimmter pflegerischer           Verantwortlichen, die Wege, die das PSG III eröffnet,
und sozialer Versorgungs- und Betreuungsangebote,           kreativ anzunehmen.
sichergestellt werden muss.

Pflegebedürftige und deren Angehörige haben zwei
Wünsche: sie wünschen sich vor Ort eine einzige,
unabhängige Beratungsstelle, in der sie umfassend
über den gesamten einschlägigen Leistungskatalog
beraten werden und sie wünschen sich einen direkten
Ansprechpartner, der sie durch das Gesamtverfahren
führt.

Gerade in dieser Legislaturperiode wurden die Leis-
tungen im Bereich der häuslichen Pflege deutlich
gestärkt. Die meisten Leistungen der Pflegeversiche-
rung, insbesondere das Pflegegeld und die Mittel für
Pflegesachleistungen sind angehoben worden. Zudem
                                                            Hermann Imhof, MdL
können Kurzzeit- und Verhinderungspflege flexibler in       Patienten- und Pflegebeauftragter der Bayerischen Staatsregierung
Anspruch genommen werden und damit besser kom-              Email: pp-beauftragter@stmgp.bayern.de

                                                                                            Bayerische Sozialnachrichten 2/2017   7
Pflegestärkungsgesetze

Pflegestärkungsgesetze – ein Blick zurück nach vorn
Die Legislaturperiode im Bund neigt sich dem Ende
entgegen. Geprägt war sie durch zahlreiche Gesetzge-
bungsvorhaben, die zum Teil erheblich in die Struk-
turen der Langzeitpflege eingegriffen haben. Die Ein-
führung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs durch
das zweite Pflegestärkungsgesetz zum 1. Januar 2017
ist die grundlegendste Reform der Pflegeversicherung
seit ihrem Bestehen und ist der zentrale Baustein der
Pflegereform. Sie ist flankiert durch eine erhebliche
Ausweitung und Flexibilisierung der Leistungen der
sozialen Pflegeversicherung durch das erste Pflegestär-
kungsgesetz sowie neuen Instrumenten der Steuerung
von Versorgungsstrukturen und Beratung durch das
dritte Pflegestärkungsgesetz. Die dort verankerte Um-
setzung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs in der
Hilfe zur Pflege und das Bundesteilhabegesetz sind ein
weiteres bedeutendes Reformvorhaben mit Wirkung
auf die Langzeitpflege. Neben diesen Großvorhaben
wirken weitere zum Teil etwas versteckte Änderungen
in der Pflege durch das Hospiz- und Palliativgesetz, das
Präventionsgesetz, das Transplantationsregistergesetz,     Teilhabe.     Mit zahlreichen Maßnahmen stärkt der
das Krankenhausstrukturgesetz oder das Gesetz über         Gesetzgeber den Aspekt der Teilhabe. Zu denken ist
Blut- und Gewebezubereitungen fast nebensächlich.          beispielsweise an die Leistungsausweitung zugunsten
Verabschiedet der Bundestag nun noch das Pflege-           der Angebote zur Unterstützung im Alltag oder auch
berufsgesetz, wird niemand der Aussage, dass der           die erhebliche Ausweitung der Zahl der Betreuungs-
vielfach beklagte Reformstau aufgelöst wurde, wider-       kräfte in stationären Einrichtungen.
sprechen können.
                                                           Lebenslage. Die Pflegereformen sind darauf aus-
              Leitlinien der Reformen                      gelegt, den Pflegebedürftigen in seinem konkreten
                                                           Lebensumfeld zu erreichen. Dem Wunsch der meisten
Für einen Überblick lohnt es, sich die Leitlinien der      Menschen folgend, wird die häusliche Versorgung ge-
Reformgesetzgebung ins Bewusstsein zu rufen. Diese         stärkt. Pflegende Angehörige werden z. B. durch eine
können auch Antworten für künftige Herausforderun-         verbesserte sozialrechtliche Absicherung oder durch
gen geben.                                                 Beratungs- und Entlastungsangebote unterstützt. Mit
                                                           den Regelungen des PSG III wird zudem die Kommu-
Selbstbestimmung. Mit der Abkehr vom ver-                  ne als Gestalterin des Umfelds des Pflegebedürftigen
richtungsbezogenen Pflegebedürftigkeitsbegriff und         wieder stärker in den Blick genommen.
der Hinwendung zu einem ressourcenorientierten
Verständnis soll der Selbständigkeit und damit der         Professionalisierung. Mit dem Entwurf für das
Selbstbestimmung der Pflegebedürftigen Rechnung            Pflegeberufsgesetz verfolgt der Gesetzgeber das Ziel
getragen werden. Dieser Wechsel im Pflegeverständnis       der Professionalisierung der Pflegeberufe. Er setzt
wird flankiert von leistungsrechtlichen Änderungen,        damit auch ein Gegengewicht zu der vorangegangenen
die die Eigenverantwortung des Pflegebedürftigen in        Stärkung von sozialer Betreuung und dem früher sog.
den Fokus nehmen. Mit der Umwidmungsmöglichkeit            niedrigschwelligen Bereich.
von ambulanten Sachleistungsbeträgen in Leistungen
von Unterstützungs- und Entlastungsangeboten oder
der Möglichkeit, Leistungsbeträge für Verhinde-
                                                                       Wirkungen der Reform
rungspflege für Kurzzeitpflege zu verwenden, macht
der Gesetzgeber vorsichtige Schritte in Richtung von       Der Medizinische Dienst der Krankenkassen hat vor
Budgets.                                                   kurzem Zahlen zur Entwicklung der Pflegebegutach-

  8   Bayerische Sozialnachrichten 2/2017
Pflegestärkungsgesetze

tungen nach Einführung des neuen Pflegebedürftig-         Betreiber stationärer Einrichtungen eine grundlegen-
keitsbegriffs vorgelegt. Danach sind nach den Begut-      de Umstellung. Die Vertragspartner haben Lösungen
achtungen bundesweit im ersten Quartal 2017 knapp         erarbeitet, die einen fließenden Übergang in das neue
129.000 neue Leistungsempfänger hinzugekommen.            System ermöglichen. Diese Vereinbarungen sichern
Über die Hälfte davon (ca. 76.500) haben die Pfle-        auch, dass sich der Vorteil großzügiger Überleitungs-
gegrade 2 und 3. Ob diese Verteilung bereits einen        regelungen durch das PSG II nicht zu einem Nachteil
Trend für die Zukunft vorgibt, bleibt abzuwarten. Es      beim Einzug der Pflegebedürftigen nach neuem Recht
könnte sich auch um Effekte handeln, dass Personen        wird. Ob es – wie von Einrichtungsträgern teilweise
mit geringem Pflegebedarf vermehrt Anträge nach           befürchtet – aufgrund der Ausgestaltung der Versi-
Inkrafttreten der Reform gestellt haben.                  cherungsleistungen mittelfristig zu Veränderung der
                                                          Bewohnerstruktur kommt, lässt sich heute abschlie-
Mit der Zunahme der Leistungsempfänger und der            ßend wohl nicht beantworten. Hierbei sollte auch
Ausweitung von Versicherungsleistungen nimmt              berücksichtigt werden, dass der prozentuale Anteil
auch die Erwartung der Pflegebedürftigen und ihrer        derjenigen, die in stationären Einrichtungen versorgt
Angehörigen zu, die Leistungen tatsächlich vor Ort in     wird, über die Jahre verhältnismäßig konstant geblie-
Anspruch nehmen zu können. Naturgemäß braucht eine        ben ist, auch wenn die Leistungen für die häusliche
Reform, die so durchgreifend ist wie die vorliegende,     Pflege gestiegen sind.
Zeit, um ihre Wirkungen entfalten zu können. Auch
wenn es daher zu früh ist, abschließende Aussagen zu                             Zukunftsfragen
treffen, lohnt es sich, einen Blick auf die Entwicklung
der Versorgungslandschaft zu werfen.                      Ruft man sich in Erinnerung, dass ein Grundgedanke
                                                          der Reform die Selbstbestimmung des Pflegebedürf-
Mit dem PSG I wurden die Möglichkeiten, Leistungen        tigen ist, stellt sich die Frage, ob das Anknüpfen der
der Tagespflege in Anspruch zu nehmen, deutlich aus-      Leistungen an dessen Wohnort und die Klassifizierung
geweitet. Neben das ambulante Sachleistungsbudget         als stationär oder ambulant auf Dauer sachgerecht ist.
tritt anrechnungsfrei ein Betrag in gleicher Höhe für     Entscheidende Bedeutung kommt hierbei den Schnitt-
Tages- und Nachtpflege. Deutlich ausgeweitet wurden       stellen zwischen den Sozialversicherungszweigen und
auch die Möglichkeiten, Kurzzeitpflege in Anspruch        der Sozialhilfe zu. Diese Schnittstellen wurden bei
zu nehmen. Am Beispiel der Tagespflege zeigt sich,        den bestehenden Reformen nur im Ansatz geregelt.
dass die mit dem Leistungsanspruch des Versicher-         Es wird Aufgabe in der kommenden Legislaturperiode
ten verbundene Nachfrage zu einem wachsenden              sein, weitere Klärungen vorzunehmen. Mit dem am
Angebot führt. Dabei ist es den Marktmechanismen          13. Juli 2017 in Nürnberg stattfindenden Pflegegipfel
geschuldet, dass das Angebot der Nachfrage zunächst       wird die bayerische Pflegeministerin Melanie Huml,
hinterherhinkt. Das Bayerische Staatsministerium für      die erforderliche Diskussion zu diesen und anderen
Gesundheit und Pflege fördert den demenzgerechten         grundlegenden Fragen der pflegerischen Versorgung
Ausbau von Tages- und Nachtpflege mit bis zu 75.000       anstoßen, vertiefen und voranbringen.
Euro (nähere Informationen unter www.stmgp.bayern.
de/service/foerderprogramme/foerderung-ambulant-
betreuter-wohngemeinschaften/).

Diese Fördermöglichkeit besteht auch für die Kurzzeit-
pflege. An die Versorgung mit Kurzzeitpflegeplätzen
sind besondere Anforderungen gestellt. Bedarf der
Pflegebedürftige und sein Angehöriger regelmäßig
eine gewisse Verlässlichkeit in der Planbarkeit, kann
der Einrichtungsträger die Auslastung nur schwer kal-
kulieren. Es gilt insoweit, zunächst eine verlässliche
Einschätzungsgrundlage über das bestehende Angebot,
den konkreten Bedarf und die Ursache möglicher
Versorgungsprobleme zu gewinnen, um passgenaue
Lösungen zu erarbeiten.                                   Dr. Bernhard Opolony
                                                          Bayerisches Staatsministerium für Gesundheit und Pflege
Die Einführung eines einheitlichen Eigenanteils für       Leiter Abteilung 4 - Pflege und Prävention
die Bewohnerinnen und Bewohner bedeutet für die           Email: bernhard.opolony@stmgp.bayern.de

                                                                                          Bayerische Sozialnachrichten 2/2017   9
ZWISCHENRUF

                            Kommunalfreundliche Nachbesserung
                              der Pflegestärkungsgesetze I-III
         reigene Aufgabe der Poli-                                                       Belastungen der Sozialhilfeträger

U        tik auf allen Ebenen ist es,
         gute Rahmenbedingungen
für unsere Bürger in allen Lebens-
                                                                                         sichtbar gemacht werden.

                                                                                         Die Landkreise sind als unterste
lagen zu schaffen und das Grund-                                                         Leistungsträgerebene an den tat-
gerüst dort zu verbessern, wo es                                                         sächlichen Bedürfnissen der Ge-
nötig ist. Zur Bewältigung der                                                           meinden sowie der Pflegebedürf-
zukünftigen Herausforderungen                                                            tigen und ihrer Angehörigen am
bei der pflegerischen und medizini-                                                      nächsten dran. Entsprechend hoch
schen Versorgung älter werdender                                                         waren ihre Hoffnungen auf eine
Menschen im ländlichen Raum                                                              Stärkung ihrer Rolle in der Pflege
müssen Planungen, Strukturen und                                                         durch das PSG III, wie sie von der
Vernetzungen weiterentwickelt                      Christian Bernreiter                  vorgeschalteten Bund-Länder-Ar-
werden. Es muss darum gehen,                                                             beitsgruppe vorgeschlagen wurde.
über innovative Ansätze Sekto-                 Präsident des Bayerischen Landkreistags   Leider hat der Bundesgesetzgeber
rengrenzen zu überwinden und                      Email: Landrat@lra-deg.bayern.de       die Vorschläge der Arbeitsgruppe
Leistungen so miteinander zu ver-                                                        nur halbherzig umgesetzt.
zahnen, dass ältere Menschen mög-
lichst lange selbstbestimmt und               Mit den Pflegestärkungsgesetzen            Die Weiterentwicklung der 2008 im
selbständig in ihrer gewünschten              I-III hat der Bundesgesetzgeber            Bundesrecht eingeführten Pflege-
Umgebung wohnen bleiben kön-                  ebenfalls wichtige Weichen für             stützpunkte bringt aus bayerischer
nen. Hierzu müssen nicht nur alle             die Versorgung pflegebedürftiger           Sicht kaum Mehrwert. Entgegen dem
medizinischen und pflegerischen               Menschen gestellt. Insbesondere            ursprünglichen Ziel, in Bayern bis
Angebote aufeinander abgestimmt               die Erweiterung des Pflegebedürf-          Ende 2010 mit 60 Pflegestützpunk-
werden, sondern auch alle weiteren            tigkeitsbegriffs um kognitive oder         ten ein flächendeckendes Netz zu
infrastrukturellen Leistungen und             psychische Beeinträchtigungen ist          etablieren, gibt es bis heute lediglich
Angebote der Daseinsvorsorge. So              ein wichtiger Schritt. Die Einfüh-         neun solcher Einrichtungen, in denen
müssen beispielsweise Einrichtun-             rung des erweiterten Pflegebedürf-         die Beratungskompetenz der örtli-
gen und Beratungsangebote stärker             tigkeitsbegriffs durch das PSG III         chen Sozialhilfeträger und Pflege-
verzahnt werden, um Doppelvor-                in der Sozialhilfe (SGB XII) ist           kassen unter einem Dach angeboten
haltungen zu vermeiden und Leis-              fachlich konsequent.                       werden. Der Grund dafür liegt in dem
tungskonkurrenzen abzubauen.                                                             bereits vorher schon vorhandenen
                                              Das führt jedoch dazu, dass mehr           engmaschigen Netz von Fachstellen
Die bayerischen Landkreise schaffen           Menschen auch in der Sozialhil-            für pflegende Angehörige und ande-
hierzu mit den seniorenpolitischen            fe leistungsberechtigt werden. Mit         ren Beratungsangeboten. Diese wa-
Gesamtkonzepten und vielfach der              dem PSG III sind somit Mehrkosten          ren in der Vergangenheit tatsächlich
Diskussion der Ergebnisse in Ge-              für die Sozialhilfeträger verbun-          in einigen Fällen wenig aufeinander
sundheits- und Pflegekonferenzen              den und nicht etwa eine finanzielle        abgestimmt. Im Zusammenhang mit
wichtige Voraussetzungen. Der An-             Entlastung wie vom Bund noch im            den zwischenzeitlich etablierten se-
schluss von Pflegeeinrichtungen an            Gesetzentwurf prognostiziert. Die          niorenpolitischen Gesamtkonzepten
Krankenhäuser der Grundversor-                Einführung des erweiterten Pflege-         konnte aber vielfach die notwendige
gung mit einem Übergangsmanage-               bedürftigkeitsbegriffs ist daher nicht     Koordination hergestellt werden. Es
ment in die eigene Häuslichkeit oder          nur im Rahmen der Sozialen Pflege-         ist daher wenig wahrscheinlich, dass
die Verzahnung von ehrenamtlichen             versicherung zu evaluieren, sondern        die neu gefassten Regelungen des §
Betreuern mit der Hausarztpraxis              auch in der Sozialhilfe insbesondere       7c SGB XI zu den Pflegestützpunk-
sind ausgewählte Praxisbeispiele              mit Blick auf die finanziellen Aus-        ten von den bayerischen Landkreisen
gelungener Vernetzung.                        wirkungen. So können zusätzliche           in großer Zahl genutzt werden.

 10     Bayerische Sozialnachrichten 2/2017
ZWISCHENRUF

                                                                                              Impressum
                                             Bayerische Sozialnachrichten                                  Redaktionsschluss
                                             Zeitschrift der Landesarbeitsgemeinschaft                     der Ausgabe 3/2017: 12.06.2017
                                             der öffentlichen und freien Wohlfahrts-                       Die Bayerischen Sozialnachrichten
                                             pflege in Bayern (ISSN 1617-710X)                             erscheinen in jährlich fünf Ausgaben
                                                                                                           mit Beilage der Zeitschrift „Pro Jugend“.
                                             Herausgebende
Auch die Bestimmungen zum Mo-                Thomas Eichinger, Vorsitzender                                Abonnementpreis
dellvorhaben zur Stärkung der Rolle          Johanna Rumschöttel, Stellv.Vorsitzende                       incl. Versandkosten u. Mehrwertsteuer
der Kommunen in der Pflege (§§               Hendrik Lütke, Geschäftsführer                                24,30 Euro pro Jahr. Kündigung des
123 f. SGB XI) müssten dringend              Verlag: Landesarbeitsgemeinschaft der                         Jahresabonnements schriftlich bis sechs
                                             öffentlichen und freien Wohlfahrtspflege                      Wochen zum Jahresende. Bei
nachgebessert werden. Insbesondere           in Bayern                                                     Abonnenten, die am Lastschriftverfahren
das Kooperationsverbot der Modell-           Nördl. Auffahrtsallee 14, 80638 München                       teilnehmen, wird der Jahresbetrag ohne
kommunen mit örtlichen Partnern              Telefon 089/153757- Fax 089/15919270                          Rechnungsstellung eingezogen.
muss gelockert und die Verantwor-            E-Mail: LAGoefW-Bayern@t-online.de
                                                                                                           Layout und Produktion:
                                             Internet: www.lagoefw.de
tung zur konkretisierenden Ausge-                                                                          Inge Mayer Grafik & Werbung
staltung des Modellvorhabens vom             Redaktion und Anzeigen                                        Amundsenstr. 8,
GKV-Spitzenverband auf die Länder            Hendrik Lütke (verantwortlich)                                85055 Ingolstadt
                                             Nördl. Auffahrtsallee 14 | 80638 München                      Tel. 0841/456 77 66
übertragen werden.                           Gültig ist die Anzeigenpreisliste vom                         Email: ingemayer@t-online.de
                                             1.1.2016.
                                                                                                           Druck:
Mit Blick auf die demografische Ent-                                                                       Jugendwerk Birkeneck
wicklung und die damit verbundene            Namentlich gezeichnete Beiträge geben die
                                                                                                           Birkeneck,
                                             Meinung des Verfassers wieder. Nachdruck
Fallzahlsteigerung in der Sozialen           nur unter Quellenangabe gestattet.                            85399 Hallbergmoos
Pflegeversicherung wie in der Hilfe
zur Pflege sollte der Bundesgesetz-
                                                                                      Dieses Projekt wird gefördert durch:
geber zukünftig eine engere Ver-
zahnung von medizinischen und
pflegerischen Leitungsangeboten
anstreben. Gerade für den ländlichen
Raum sollte eine Auflösung der
Grenzen zwischen ambulanten und                                                                                                                      Anzeige -
stationären Sektoren im Pflege- wie
auch im Gesundheitswesen erreicht
werden (wie sie schon vom Bun-
desteilhabegesetz vollzogen wurde).
Die unterschiedlichen Vergütungs-
und Abrechnungssysteme in den
jeweiligen Sektoren müssen verein-
                                                                                                                                                             © DragonImages - Fotolia.com

heitlicht oder zumindest kompatibel
gemacht werden, um Schnittstellen
zu überwinden und der Personenzen-
trierung in der Leistungsgewährung
auch in der Altenpflege mehr Ge-
wicht verleihen zu können.

Die Kommunen sind bereit, ihren
Beitrag zu leisten, die medizinische
                                                        WIR ZIEHEN AN EINEM STRANG
                                                        Partner der Arbeitsgemeinschaft der öffentlichen und freien Wohlfahrtspflege in Bayern
und pflegerische Versorgung mit
                                                        • Versicherungslösungen, Risikominimierung und Schadenbetreuung
den weiteren Aufgaben der Daseins-
                                                        • Gestaltung von Altersvorsorgelösungen
vorsorge bestmöglich in Einklang                        • Versicherungsstelle für Menschen mit Behinderung und chronisch Kranke
zu bringen. Sie erwarten sich dazu                        www.versicherungsstelle-ccb.de
aber auch den ausreichenden Gestal-
tungsspielraum für eigene Ideen und               Ecclesia Versicherungsdienst GmbH • UnionVersicherungsdienst GmbH
                                                  Klingenbergstraße 4 · 32758 Detmold · Telefon +49 (0) 5231 603-0 · Telefax +49 (0) 5231 603-197
die nötige finanzielle Ausstattung.               info@ecclesia.de · www.ecclesia.de · info@union-verdi.de · www.union-verdi.de

                                                                                                                     Bayerische Sozialnachrichten 2/2017    11
                                20170202_bayrische_sozialnachrichten_115x105.indd 1                                                                  02.02.2017 18:12:57
Pflegestärkungsgesetze

Zusammenführung der Zuständigkeiten für die Eingliederungshilfe und die Hilfe zur Pflege
BTHG und PSG III schaffen neue Rahmenbedingungen
            Notwendigkeit der Neubestimmung
              der Eingliederungshilfeträger
Mit dem Inkrafttreten des Bundesteilhabegesetzes
(BTHG) zum 1. Januar 2017 müssen die Länder die
Träger der Eingliederungshilfe in ihren Ausführungs-
gesetzen zu den Sozialgesetzbüchern neu bestimmen
(§ 94 Abs. 1 SGB IX). Ebenfalls zum 1. Januar 2017
in Kraft getreten ist das Pflegestärkungsgesetz III (PSG
III). Dieses Gesetz löst keine unmittelbare Notwen-
digkeit einer Neubestimmung von Leistungsträgern
auf Länderebene aus, steht aber in unmittelbarem
Zusammenhang mit der Neubestimmung der Träger
der Eingliederungshilfe.                                     Dr. Klaus Schulenburg
Das Bayerische Staatsministerium für Soziales und            Bayerischer Landkreistag
Arbeit (StMAS) hat auf Arbeitsebene bereits zum              Referent für Soziales, Gesundheit und Krankenhauswesen
Jahreswechsel 2016/17 auf die Dringlichkeit der Neu-         Email: klaus.schulenburg@bay-landkreistag.de
bestimmung hingewiesen, da zur Erarbeitung des neuen
Vertragsrechts zum BTHG, das spätestens zum 1. Janu-
ar 2020 in Kraft tritt, der Träger der Eingliederungshilfe   Im Ergebnis wurden mit der Änderung des Ausführungs-
zur Sicherstellung seiner Handlungsfähigkeit rechtzei-       gesetzes zu den Sozialgesetzen (AGSG) mit Wirkung
tig bestimmt sein muss. Dies sollte nach Möglichkeit         zum 1. Januar 2008 die Leistungen der ambulanten Ein-
mit Wirkung zum 1. Jan. 2018 geschehen. Um das               gliederungshilfe umfänglich auf die Bezirke übertragen.
parlamentarische Verfahren im Herbst 2017 durchfüh-          Zur Herabzonung der stationären Leistungen der Hilfe
ren und die dazu notwendige Verbändeanhörung vorbe-          zur Pflege gab es nur einen Ministerratsbeschluss mit
reiten zu können, muss der Gesetzentwurf noch in der         einem Prüfauftrag gegenüber dem Sozialministerium.
ersten Jahreshälfte 2017 vom Kabinett verabschiedet          Dieses bemühte sich gemeinsam mit den Kommunalen
werden. StMAS hat die Kommunalen Spitzenverbände             Spitzenverbänden in den folgenden Jahren um eine
in einem ersten Gespräch auf Arbeitsebene gebeten,           Umsetzung dieses Prüfauftrags. Die Verhandlungen
zur Erarbeitung des Gesetzentwurfs sich auf einen            waren jedoch nie von Erfolg gekrönt, da die finanziellen
gemeinsamen Vorschlag zur Bestimmung der Träger              Auswirkungen und die Definition von Schnittstellen
der Eingliederungshilfe in Bayern zu verständigen.           zwischen den verschiedenen Leistungsarten nicht be-
                                                             friedigend gelöst werden konnten.

                             Rückblick                       Ein besonderes Problem besteht seit der Neuordnung
Bereits in den Jahren 2006 und 2007 wurde in Bayern          2008 in der Aufteilung der sachlichen Zuständigkei-
eine intensive Diskussion um die Zuständigkeitsab-           ten bei den ambulanten Leistungen der Eingliede-
grenzung geführt. Ausgangspunkt damals war die               rungshilfe bzw. der Hilfe zur Pflege in sogenannten
Überwindung der strikten aufgabenbezogenen Tren-             ambulant betreuten Wohngemeinschaften. Bei diesen
nung der teilstationären und stationären Leistungen          lediglich im Ordnungsrecht definierten Wohnformen
der Eingliederungshilfe bzw. Hilfe zur Pflege bei den        für ältere Menschen (Art. 2 Abs. 3 Pflege- und Wohn-
Bezirken sowie aller ambulanten Leistungen bei den           qualitätsgesetz) fällt es in zahlreichen Fällen schwer,
Landkreisen und kreisfreien Städten. Diese Trennung          ambulante Leistungen zur Teilhabe an der Gesellschaft
wurde vor dem Hintergrund der fachlichen Diskussion          (Eingliederungshilfe) in Trägerschaft der Bezirke
und dem gesetzlichen Auftrag des Vorrangs ambulanter         von ambulanten Leistungen der aktivierenden Pflege
vor stationärer Leistungen (§ 13 Abs. 1 SGB XII) als         (SGB XI i.V.m. Leistungen der Hilfe zur Pflege) in
hinderlich empfunden, da für die örtlichen Träger in der     Trägerschaft der Landkreise und kreisfreien Städte
Regel nur wenig Anreiz bestand, ambulante Leistungen         abgrenzen zu können. Entsprechend hoch ist die Zahl
in eigener fachlicher und unmittelbarer finanzieller         an Kostenstreitigkeits- und Gerichtsverfahren zwi-
Zuständigkeit auszubauen.                                    schen den überörtlichen und den örtlichen Trägern der

 12   Bayerische Sozialnachrichten 2/2017
Pflegestärkungsgesetze

Sozialhilfe (Zahl der Verfahren im März 2016: 486).           sind dabei auch die weiteren Aufgaben auf örtlicher
Vor diesem Hintergrund hat es auch in der jüngeren            Ebene wie die Zuständigkeiten für die Altenhilfe,
Vergangenheit eine laufende Diskussion um eine Ar-            die Hinwirkungsverpflichtung zur Vorhaltung eines
rondierung der Zuständigkeitsregelungen nach Art. 80          ausreichenden Leistungsangebots in der Altenpfle-
ff. AGSG gegeben.                                             ge, das seniorenpolitische Gesamtkonzept und die
                                                              rechtliche Betreuung),
                                                           „„ Planung und Steuerung der Leistungserbringung
       Problematik der Zuständigkeitsbestimmung               und Kostenentwicklung.
Die Neubestimmung der Träger der Eingliederungshilfe
wird für Bayern dadurch erschwert, dass das BTHG nun
zum einen die sozialpolitisch vielfach geforderte Auflö-                    Notwendige Abwägung
sung der Sektoren zwischen ambulanten, teilstationären
und stationären Leistungen vollzieht und zum anderen       Vor dem Hintergrund der bereits in den Jahren 2006 und
stärker als bisher zwischen Fachleistungen und exis-       2007 geführten politischen Diskussion stellt sich für die
tenzsichernden Leistungen (Grundsicherung im Alter         Kommunalen Spitzenverbände der örtlichen Träger die
und bei Erwerbsminderung, Viertes Kapitel SGB XII)         Frage, ob das erneute Eintreten für eine Stärkung der
unterscheidet. Daneben können viele Leistungen zur         eigenen Aufgabenzuständigkeit erfolgversprechend ist.
Teilhabe an der Gesellschaft (Eingliederungshilfe) nur     Für eine vollständige Herabzonung sämtlicher Aufga-
noch schwer von Leistungen der Pflege nach dem mit         ben der Eingliederungshilfe sowie der Hilfe zur Pflege
dem Pflegestärkungsgesetz III auch in der Sozialhilfe      auf die örtlichen Träger bei gleichzeitiger Auflösung
eingeführten erweiterten Pflegebedürftigkeitsbegriff des   der überörtlichen Sozialhilfeträger (unabhängig vom
SGB XI unterschieden werden. Die gilt insbesondere         landesverfassungsrechtlich vorgegebenen Bestand
bei hochbetagten älteren Menschen mit eingeschränkter      der Bezirke) wie 2005 in Baden-Württemberg wird
Alltagskompetenz. Die bisherige „klassische“ Aufga-        in Bayern zum jetzigen Zeitpunkt der politische Wille
benabgrenzung zwischen örtlichen und überörtlichen         fehlen. Gleichwohl bleibt dieses Modell mit Blick auf
Sozialhilfeträgern nach Leistungsarten und Sektoren        die Orts- und Problemnähe des Aufgabenvollzuges,
dürfte damit allgemein nicht mehr tragfähig sein.          die Bündelung aller Zuständigkeiten nach dem SGB
                                                           XII und die Verzahnung mit weiteren Aufgaben der
Bei der Diskussion um die Abgrenzung der sachlichen        Daseinsvorsorge sowie die Planung und Steuerung der
Zuständigkeiten für die Leistungen der Eingliederungs-     Leistungserbringung und Kostenentwicklung aus Sicht
hilfe bzw. die Hilfe zur Pflege werden meist folgende      der Verbände der örtlichen Träger vorzugswürdig.
Aspekte vorgetragen:
                                                           Bei allen Modellen der Aufteilung der Zuständigkeiten
„„ Sicherstellung von flächendeckenden, bedarfsde-         werden mehr oder weniger erhebliche Schnittstellen-
   ckenden, am sozialraumorientierten und inklusiv         probleme eröffnet und Finanzierungsfragen aufgewor-
   ausgerichteten Leistungsangeboten (vgl. § 94 Abs.       fen. Eine Abgrenzung etwa nach dem Lebenslagenprin-
   2 SGB IX),                                              zip mit der Verortung der Zuständigkeit für Fälle nach
„„ Sicherstellung der Trägerpluralität (vgl. § 5 SGB       dem Leistungseintritt ab der Regelaltersgrenze hätte
   XII) bzw. des Wunsch- und Wahlrechts (vgl. § 9          bei den örtlichen Trägern so geringe Fallzahlen zur Fol-
   SGB XII),                                               ge, dass eine Vorhaltung des notwendigen Fachperso-
„„ Sicherstellung einer personenzentrierten, indivi-       nals meist nicht gerechtfertigt wäre. Eine Abgrenzung
   duellen und gemeindenahen Leistungserbringung           zwischen Leistungsarten oder nach Trägern würden die
   (vgl. etwa Art. 19 und 24 UN-BRK),                      bereits bestehenden Probleme der Leistungszuordnung
„„ Wahrung der Subsidiarität sowie der Orts- und           fortführen, was nach Überzeugung aller Beteiligter
   Problemnähe im Aufgabenvollzug (vgl. allgemeine         vermieden werden sollte.
   Zuständigkeitsvermutung zugunsten der örtlichen
   Träger nach § 97 Abs. 1 SGB XII sowie Grundsatz         Vor diesem Hintergrund spricht in Bayern vieles für
   der Dezentralität der Behördenorganisation nach         eine vollständige und abschließende Bündelung aller
   Art. 77 Abs. 2 LV),                                     Fachleistungen und existenzsichernden Leistungen der
„„ Wahrung einer vergleichbaren Leistungsfähigkeit         Eingliederungshilfe nach dem BTHG sowie aller Leis-
   der Träger (insbesondere mit Blick auf die Finanz-      tungen der Hilfe zur Pflege beim überörtlichen Träger
   ausstattung),                                           der Sozialhilfe. Die Kommunalen Spitzenverbände
„„ Minimierung der Schnittstellen zwischen den Leis-       haben sich zwischenzeitlich im Vorfeld des Gesetz-
   tungsarten und den Leistungsträgern (Gewährung          gebungsverfahrens auf diese Haltung verständigt. Bei
   der Leistungen aus einer Hand; zu berücksichtigen       den örtlichen Trägern verbliebe aus diesem Aufgaben-

                                                                                    Bayerische Sozialnachrichten 2/2017   13
Pflegestärkungsgesetze / Panorama

katalog im Wesentlichen noch die Bundesauftragsver-                Zeit ab 2020. Die Bayerische Staatsregierung wird aller
waltung nach dem Vierten Kapitel SGB XII (Grundsi-                 Voraussicht nach die Konnexität schon dem Grunde
cherung im Alter und bei Erwerbsminderung) in Fällen               nach bezweifeln (keine Übertragung einer neuen staat-
ohne Leistungsanspruch auf Eingliederungshilfe oder                lichen Aufgabe), in jedem Fall aber die kommunale
Hilfe zur Pflege (im Sinne einer existenzsichernden                Entlastung seitens des Bundes in Höhe von 5 Mrd. €
Alters- bzw. Erwerbsminderungsrente). Die mit der                  gegen rechnen.
vollständigen Aufgabenbündelung bei den überörtli-
chen Trägern der Sozialhilfe zu erwartende Kostenmeh-                                 Nächste Schritte
rung aufgrund der Standardvereinheitlichung und der                Das StMAS hat die Verständigung der Kommunalen
geringeren Steuerung der Leistungsgewährung müsste                 Spitzenverbände auf ein Modell der Allzuständig-
über die Bezirksumlage finanziert werden.                          keit der Bezirke im Bereich der Eingliederungshilfe
                                                                   und der Hilfe zur Pflege aufgegriffen und wird unter
                              Konnexität                           Würdigung alternativer Regelungsvorschläge dieses
Vor dem Gesetzgebungsverfahren noch offen ist die                  Modell bei der Ausarbeitung des Gesetzentwurfs zu-
Frage, wie die Bayerische Staatsregierung mit der                  grundelegen. Erst in der Gesamtschau der konkreten
Konnexitätsrelevanz der landesrechtlichen Neube-                   Regelungsvorschläge im Ausführungsgesetz zu den
stimmung der Träger der Eingliederungshilfe umgehen                Sozialgesetzen sowie der Ausgestaltung der Konne-
wird. Von Seiten der Kommunalen Spitzenverbände                    xitätsregelung werden sich die Kommunalen Spit-
steht es außer Frage, dass die Anpassung des AGSG                  zenverbände konkret zur Frage der Neubestimmung
dem Grunde wie der Höhe nach konnexitätsrelevant                   der Eingliederungshilfeträger in Bayern positionieren
ist. Problematisch dabei ist zum einen die Bestimmung              können. Im Anschluss an die Verbändeanhörung muss
und Ermittlung der zu erwartenden Mehrkosten schon                 dann der Gesetzgeber die konkrete Ausgestaltung
für die Jahre 2018 und 2019, insbesondere aber für die             der Zuständigkeitsabgrenzung regeln.

  Gemeinsam.Direkt.Stark – Die Vereinigung der bayerischen Pflege
Der Bayerische Landtag hat am 06.            zudem die Qualität in der Pflege wei-   Mit dem Inkrafttreten des Gesetzes
April 2017 den Gesetzentwurf der             terentwickeln. Dazu kann sie zum        beginnt die eigentliche Gründungs-
Gesundheits- und Pflegeministerin            Beispiel im Bereich der Fort- und       phase. Das Bayerische Staatsminis-
Melanie Huml für eine starke In-             Weiterbildung tätig werden. Ferner      terium für Gesundheit und Pflege
teressenvertretung der Pflegekräfte          wird sie Zuständigkeiten im Bereich     wird zunächst einen Gründungsaus-
in Bayern beschlossen. Das Gesetz            der Berufsaufsicht erhalten.            schuss bestellen. Dieser Gründungs-
trat am 1. Mai in Kraft. Damit ist                                                   ausschuss wird einen vorläufigen
die „Vereinigung der Pflegenden in                                                   Vorstand wählen und eine vorläufige
Bayern“ als Körperschaft des öffent-                                                 Satzung aufstellen und beschließen.
lichen Rechts errichtet.                                                             Nach spätestens einem Jahr wird er
                                                                                     die erste reguläre Mitgliederver-
Die Ministerin betonte im Plenum:
                                                                                     sammlung der neuen Körperschaft
„Mit diesem Konzept nutzen wir die
                                                                                     einberufen.
wesentlichen Vorteile einer klassi-
schen Kammer, ohne gleichzeitig                 www.gemeinsam-direkt-stark.de
die Pflegekräfte mit Pflichtmitglied-                                                 Informationen:
schaft und Pflichtbeiträgen zu belas-
                                             „Ziel ist“, so die Ministerin weiter,   Wenn Sie an einer freiwilligen
ten“. Die Mitgliedschaft ist freiwillig
                                             „die Pflege in Bayern insgesamt         Mitgliedschaft oder an der Mitar-
und kostenlos.
                                             aufzuwerten. Wir wollen mehr jun-       beit in dem Gründungsausschuss
Die Vereinigung der Pflegenden               ge Menschen für die Pflegeberufe        interessiert sind, finden Sie weitere
kann die Interessen der Pflege in            begeistern. Bitte schließen Sie sich    Informationen unter
Bayern wirkungsvoll vertreten. Sie           der neuen Vereinigung an, machen
wird bei allen Vorhaben der Staats-          Sie sie zu einer starken Stimme          www.gemeinsam-direkt-stark.de
regierung, die die Pflege betreffen,         gegenüber Politik und Gesellschaft.
angehört und eingebunden. Damit              Damit haben Sie die Möglichkeit,        Oder schreiben Sie eine E-Mail
ist sie ein wichtiger Ansprechpartner        sich bei wichtigen Themen für die
                                             Pflege einzubringen.“
                                                                                      kontakt@gemeinsam-direkt-stark.de
der Politik. Die Vereinigung wird

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