Sozial nachrichten - lagoefw
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Ausgabe 2/2017 Bayerische Sozial nachrichten Mitteilungen der Landesarbeitsgemeinsch aft der öffentlichen und freien Wohlfahrtspflege in Bayern Foto: Inge Mayer Pflegestärkungsgesetze Reformen zugunsten Hilfebedürftiger
Editorial nen Appell an die Verantwortlichen, bensqualität müssen gemeinsam be- die Wege, die das PSG III eröffnet, trachtet werden“ und „Der Entwick- kreativ anzunehmen. lung einer sorgenden Gemeinschaft kommt eine Schlüsselrolle für die Auch Christian Bernreiter, Präsident Zukunft der häuslichen Pflege zu“, des Bayerischen Landkreistags, ver- erlauben wir uns auf „Pflegende und weist auf die Notwendigkeit Leis- Pflegebedürftige“ wie auch auf „die tungen so miteinander zu verzahnen, Zukunft der Pflege“ zu fokussieren. dass ältere Menschen möglichst lange selbstbestimmt und selbstän- Wir sind gespannt auf die Begeg- dig in ihrer gewünschten Umgebung nungen anlässlich des Bayerischen Liebe Leserin, wohnen bleiben können. Zugleich werden mehr Menschen in der Sozi- Pflegegipfels der am 13. Juli 2017 in Nürnberg unter dem Titel „Wo geht lieber Leser, alhilfe leistungsberechtigt sein. Das die Reise hin?“ stattfindet. führt zu Mehrkosten für die Träger mit dem 1. Januar 2015 trat das ers- der Sozialhilfe. Man sei bereit dazu te Pflegestärkungsgesetz (PSG) in einen Beitrag zu leisten, erwarte sich Kraft, das PSG II und PSG III folg- aber auch den Gestaltungsspielraum ten zum 1. Januar 2017. Ebenfalls für eigene Ideen und die nötige fi- trat zu diesem Datum das Bundes- nanzielle Ausstattung. Hendrik Lütke teilhabegesetz (BTHG) in Kraft. Für Dr. Bernhard Opolony, Leiter der uns Anlass zu einem Themenheft. Abteilung 4 - Pflege und Prävention INHALT Dr. Martin Schölkopf, Leiter der im StMGP, ruft uns nochmals die Pflegestärkungsgesetze Unterabteilung Pflegeversicherung Leitlinien der Reformen unter den im BMG, gibt Ihnen zum PSG III Überschriften „Selbstbestimmung, Das Dritte Pflegestärkungsgesetz S. 3 einen umfassenden Überblick. Die Teilhabe, Lebenslage und Profes- Kommunale Strukturen für Sicherstellung der Versorgung, die sionalisierung“ ins Gedächtnis und verweist in seinem Beitrag auf die eine gute Pflegeberatung schaffen S. 6 Beratung und die Förderung des Ausbaus von Angeboten zur Un- Wirkung der Reformen. Pflegestärkungsgesetze - terstützung im Alltag und die För- ein Blick zurück nach vorn S. 8 derung der Vernetzung vor Ort sind Dr. Klaus Schulenburg, Referent für einige der Überschriften, die auch Soziales, Gesundheit und Kranken- Zwischenruf von anderen Autoren kritisch be- hauswesen im Bayerischen Land- Kommunalfreundliche Nachbesserung leuchtet werden. Die Einführung des kreistag setzt sich mit der Problema- der Pflegestärkungsgesetze I-III S. 10 neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs tik der Zuständigkeitsbestimmung, BTHG und PSG III schaffen und die Schnittstelle zur Eingliede- bzw. der Diskussion um die Ab- grenzung im PSG III auseinander. neue Rahmenbedingungen S. 12 rungshilfe fordern alle Beteiligten in besonderer Weise. Schnittstellenprobleme und Finan- Panorama S. 14 zierungsfragen sind zu klären, wie Ambulante Pflege - „Gewinnerin“ Die pflegenden Angehörige sind auch Konnexitätsrelevanz. der Pflegestärkungsgesetze? S. 16 es, die den Wunsch der 4,5 Milli- onen Pflegebedürftigen erfüllen, Der Frage „Ambulante Pflege - „Ge- Pflege zu Hause - Bedeutung so lang als möglich in der eigenen winnerin“ der Pflegestärkungsgeset- zur Unterstützung im Alltag S. 18 Wohnung zu bleiben. Sie leisten die ze?“ geht Dagmar Grabner, Referen- tin Altenhilfe und Pflege im AWO Praxis Pflegearbeit in aufopferungsvoller Hinwendung, so der Hinweis von Landesverband Bayern e.V. nach. Gelebte Vernetzung in Würzburg: Hermann Imhof, Patienten- und Kooperation HALMA e.V. und Pflegebeauftragter der Bayerischen Mit der erweiterten Angebotsstruk- Pflegestützpunkt S. 20 Staatsregierung. Zugleich ist die tur für die Pflege zu Hause beschäf- tigt sich Frau Dr. Gabriele Hartl, Karl-Buchrucker-Preis: Ohne Vielzahl möglicher Hilfen bisher „unverbunden, neben- und nach- Ltd. Ministerialrätin im StMGP. Voyeurismus und mit großer Würde S. 22 einander agierend und sich selten Ihre Aussagen „Pflegende Angehö- Mitgliedsorganisationen S. 23 ergänzend. Es fehlt ein direkter und rige und Pflegebedürftige sind ein unabhängiger Berater. Er richtet sei- Team. Ihre Bedürfnisse und ihre Le- Bücher S. 28 2 Bayerische Sozialnachrichten 2/2017
Pflegestärkungsgesetze Das Dritte Pflegestärkungsgesetz Nach der erheblichen Ausweitung der Leistungen der Ausschüsse einrichten. Mit dem PSG Pflegeversicherung durch das Erste Pflegestärkungs- III sind die Pflegekassen nunmehr gesetz (PSG I) wurden mit dem Zweiten Pflegestär- verpflichtet, sich an diesen Gremi- kungsgesetz (PSG II) zum 1. Januar 2017 ein neuer en zur pflegerischen Versorgung Pflegebedürftigkeitsbegriff und ein neues Begutach- (z.B. zu sektorenübergreifender tungsinstrument eingeführt. Damit erhalten erstmals oder regionaler Versorgung) alle Pflegebedürftigen gleichberechtigten Zugang zu zu beteiligen (§ 8a Abs. 2 den Leistungen der Pflegeversicherung – unabhängig und 3 SGB XI). Die Gre- davon, ob sie an körperlichen Einschränkungen leiden mien können Empfehlun- oder an einer Demenz erkrankt sind. Die Leistungen für gen zur Sicherstellung der Pflegebedürftige und ihre Angehörigen sind damit in pflegerischen Versorgung dieser Wahlperiode um mehr als 20 Prozent gestiegen. abgeben. Dies betrifft z.B. Mit dem Dritten Pflegestärkungsgesetz (PSG III), des- den Abbau von Über- oder sen Maßnahmen ebenfalls zum 1. Januar 2017 in Kraft Unterversorgung oder die getreten sind, werden die Reformen der Pflegeversiche- Verbesserung der Zusam- rung in dieser Legislaturperiode abgerundet. Das PSG menarbeit zwischen den III verfolgt in seinen wesentlichen Inhalten fünf Ziele: Sektoren. 1. Umsetzung der Empfehlungen der Bund-Länder- n Steigerung der Ver- Arbeitsgruppe zur Stärkung der Rolle der Kom- bindlichkeit von munen in der Pflege Empfehlungen: Die Empfehlungen sollen 2. Maßnahmen zur Bekämpfung von Abrechnungs- von den Pflegekassen bei Vertragsverhandlungen betrug in der Pflege (z.B. Vergütungs- und Versorgungsverträge) ein- 3. Weitere Anreize für eine angemessene Vergütung bezogen werden. Darüber hinaus ist in den o.g. in der Pflege Gremien über die Umsetzung der Empfehlungen 4. Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbe- zu berichten (§ 8 Abs. 4 und 5 SGB XI). griffs in das Sozialhilferecht b) Beratung 5. Regelung der Schnittstellen zwischen Eingliede- rungshilfe und Pflege Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen steht ein großes Spektrum von Leistungen und Angeboten zur Hilfe und Unterstützung zur Verfügung. Wichtig ist 1. Umsetzung der Empfehlungen der deshalb, dass sie über diese Angebote informiert sind Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Stärkung und das für ihre individuelle Situation am besten geeig- der Rolle der Kommunen in der Pflege nete Hilfepaket in Anspruch nehmen können. Hierfür braucht es gute Beratungsstrukturen. Das PSG III In einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe wurden zwischen enthält daher ein Maßnahmenpaket, das insbesondere Bund, Ländern und kommunalen Spitzenverbänden im darauf zielt, die Abstimmung und Zusammenarbeit in Mai 2015 Empfehlungen vereinbart, um die kommu- der Beratung vor Ort zu verbessern und die Beratung nale Ebene in der Pflege zu stärken. Mit dem PSG III aus einer Hand zu ermöglichen. Konkret werden hierzu werden wurden Empfehlungen zu drei thematischen folgende Punkte geregelt: Schwerpunkten gesetzlich umgesetzt: n Die Kommunen erhalten für fünf Jahre ein Initi- a) Sicherstellung der Versorgung ativrecht zur Einrichtung von Pflegestützpunkten (§ 7c Abs. 1a SGB XI). Darüber hinaus dürfen sie Damit Pflegebedürftige vor Ort pflegerisch gut versorgt künftig Beratungsgutscheine einlösen und Pflicht- und betreut werden, muss auch die notwendige Infra- beratungen beim Bezug von Pflegegeld erbringen, struktur vorhanden sein. Daher wurden von Bund und wenn Pflegebedürftige dies wünschen (§§ 7b Abs. Ländern Maßnahmen vereinbart, die dazu beitragen, 2a, 37 Abs. 8 SGB XI). Planungsinstrumente zur Sicherstellung der Versor- n Klare Regelungen für die Tätigkeit von Pflege- gung sinnvoll einsetzen zu können: stützpunkten: Länder und Pflegekassen werden n Verbesserung der Zusammenarbeit: Die Länder verpflichtet, Rahmenvertrage für die Arbeit und können bereits heute auf Landes- und regionaler Finanzierung von Pflegestützpunkten abzuschlie- Ebene Pflegegremien oder sektorenübergreifende ßen. Bayerische Sozialnachrichten 2/2017 3
Pflegestärkungsgesetze n Modellvorhaben zur kommunalen Pflegeberatung Insbesondere geht es um folgende Maßnahmen: (§§ 123, 124 SGB XI): Es wird ein Modellprojekt aufgelegt, in dessen Rahmen bundesweit bis zu a) Einführung eines systematischen Prüfrechts im SGB V 60 Kreise oder kreisfreie Städte für eine Dauer Auch Pflegedienste, die ausschließlich Leistungen der von fünf Jahren alle Angebote der Pflegeberatung häuslichen Krankenpflege im Auftrag der Kranken- – Pflegeberatung gemäß § 7a SGB XI, Pflichtbe- kassen erbringen, unterliegen zukünftig regelmäßigen ratungsbesuche gemäß § 37 Abs. 3 SGB XI sowie Qualitäts- und Abrechnungsprüfungen durch den Me- Pflegekurse gemäß § 45 SGB XI – aus einer Hand dizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK); erbringen können. Die Modellkommunen erhalten geregelt in § 275b Abs. 1 SGB V. für die Pflegeberatung von den Pflegekassen einen b) Weiterentwicklung bestehender Instrumente der finanziellen Ausgleich. Für die Inhalte und Stan- dards der Beratung durch Kommunen gelten dabei Qualitätssicherung die Vorschriften des SGB XI. Die Prüfungen des MDK bei Pflegediensten werden ausgeweitet, indem auch Personen in die Stichprobe c) Förderung des Ausbaus von Angeboten zur Unterstützung für die Prüfung einbezogen werden, die ausschließlich im Alltag, Förderung der Vernetzung vor Ort Leistungen der häuslichen Krankenpflege beziehen (§ n Angesichts der zunehmenden Zahl von Menschen, 114 Abs. 2 SGB XI). die demenziell erkrankt sind, nimmt auch die Be- c) Abrechnungsprüfungen durch Pflegekassen, deutung der Unterstützung im Alltag von Pflegebe- Landesrahmenverträge dürftigen und ihren Angehörigen zu. Entsprechend Zudem wird – bei Vorliegen tatsächlicher Anhalts- ist es wichtig, solche Angebote auf Landesebene punkte – den Landesverbänden der Pflegekassen die auf- und auszubauen. Mit dem PSG III wird dieses Möglichkeit für Abrechnungsprüfungen eingeräumt Ziel wie folgt unterstützt (§ 45c SGB XI): (§ 79 Abs. 4 SGB XI). Darüber hinaus sollen in den n Vereinfachung der finanziellen Beteiligung: Kom- Landesrahmenverträgen der Pflegeselbstverwaltung munen können ihren gesetzlich vorgesehenen das Nähere zu den Vertragsvoraussetzungen und zur Pflichtanteil der Förderung (50 %; die anderen Vertragserfüllung einer leistungsfähigen und wirtschaft- 50 % werden von der Pflegeversicherung finan- lichen pflegerischen Versorgung vereinbart werden (§ ziert) für Maßnahmen zum Auf- und Ausbau dieser 75 Abs. 1 SGB XI). Ziel ist es, „schwarze Schafe“ unter Leistungen künftig auch in Form von Sach- und den Pflegeeinrichtungen besser erkennen zu können Personalmitteln einbringen. und zu verhindern, dass betrügerische Dienste einfach n Verbesserung der Mittelausschöpfung: Nicht unter neuem Namen erneut zugelassen werden können. verwendete Mittel aus der Pflegeversicherung (Fördervolumen insgesamt 25 Mio. Euro pro Jahr) können künftig von den Ländern, welche die ihnen 3. Weitere Anreize für eine angemessene zustehenden Mittel weitestgehend ausgeschöpft Vergütung in der Pflege haben (80 %), abgerufen werden. Darüber hinaus fördert die Pflegeversicherung seit 1. Bereits mit dem PSG I wurde gesetzlich klargestellt, Januar 2017 die Beteiligung an regionalen Netzwerken, dass die Zahlung von tariflicher und kirchenarbeits- die der strukturierten Zusammenarbeit von Akteuren rechtlicher Entlohnung in Vergütungsverhandlungen dienen, die an der Versorgung Pflegebedürftiger betei- vollumfänglich zu berücksichtigen ist. Das Vertrags- ligt sind, mit bis zu 20.000 Euro pro Landkreis bzw. und Vergütungsrecht der Pflegeversicherung ist nun kreisfreier Stadt. mit dem PSG III dahingehend ergänzt worden, dass künftig auch die Wirtschaftlichkeit der Zahlung von 2. Maßnahmen zur Bekämpfung Gehältern bis zur Höhe von Tariflohn in den Ver- gütungsverhandlungen bei nicht tarifgebundenen von Abrechnungsbetrug in der Pflege Einrichtungsträgern anerkannt wird. Auch diese Das PSG III enthält zudem ein Maßnahmenpaket Pflegeeinrichtungen können den Beschäftigten daher zur Verbesserung von Prävention, Aufdeckung und nun bessere Löhne zahlen, ohne dass sie dadurch Bekämpfung von Abrechnungsbetrug in der Pflege. einen Wettbewerbsnachteil haben. Dies setzt weitere Das Gesetz sieht sowohl Regelungen für den Bereich Anreize für eine angemessene Vergütung in der Pflege. der GKV als auch der Pflegeversicherung vor. Die Die Kostenträger erhalten auf der anderen Seite ein aufeinander abgestimmten Regelungen im SGB V und Nachweisrecht, dass die verhandelten Löhne auch SGB XI zielen darauf ab, bestehende Lücken bei den tatsächlich bei den Beschäftigten ankommen (§§ 75 Qualitäts- und Abrechnungsprüfungen zu schließen. Abs. 2, 84 Abs. 2 und 7, 89 Abs. 1). 4 Bayerische Sozialnachrichten 2/2017
Pflegestärkungsgesetze 4. Einführung des neuen Pflegebedürftig- Zuordnung der Leistungspflicht an den Schnittstellen erreicht, die auch den Besonderheiten des Einzelfalls keitsbegriffs in das Sozialhilferecht gerecht wird. Dabei fördern die Empfehlungen auf Da die Höhe der Versicherungsleistungen nach dem Bundesebene eine einheitliche Verwaltungspraxis im SGB XI auf gesetzlich festgesetzte Höchstbeträge Vollzug. begrenzt ist (Teilleistungssystem), kann auch nach Ein- Mit dem Bundesteilhabegesetz entfällt im Recht der führung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs im SGB Eingliederungshilfe zum 1.1.2020 der Einrichtungs- XI und nach der deutlichen Ausweitung der Leistungen begriff. Damit würde die aus der Pflegeversicherung der Pflegeversicherung mit dem Ersten und Zweiten fließende Pauschalzahlung des § 43a SGB XI für Pflegestärkungsgesetz ein darüber hinausgehender Menschen mit Behinderungen in stationären Einrich- Bedarf an Pflege bestehen. Dieser wird bei finanzieller tungen der Behindertenhilfe ab dem Jahr 2020 faktisch Bedürftigkeit durch die Hilfe zur Pflege im Rahmen leerlaufen. Damit war auch hierfür eine Neuregelung der Sozialhilfe gedeckt. Mit dem PSG III wird daher erforderlich. auch im Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) In zahlreichen Stellungnahmen zum Gesetzentwurf der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff eingeführt, um des PSG III wurde die vorgesehene Verknüpfung der auch künftig sicherzustellen, dass finanziell Bedürftige Zahlung des Pauschalbetrags in Höhe von 266 Euro/ im Falle der Pflegebedürftigkeit angemessen versorgt Monat mit der Unterbringung behinderter Menschen werden. Gegenüber dem SGB XI ist auch nach gelten- in Räumlichkeiten, für die das Wohn- und Betreuungs- dem Recht der Begriff insoweit weiter gefasst, als das vertragsgesetz gilt, kritisiert (§§ 43a, 71 Abs. 4 SGB Vorliegen von Pflegebedürftigkeit nicht mindestens XI). Befürchtet worden war insbesondere, dass damit für voraussichtlich sechs Monate vorliegen muss (§§ auch für behinderte Pflegebedürftige, die in ambulan- 61ff. SGB XII). ten Wohngruppen leben, nur die o.g. Pauschalzahlung geleistet würde, während der Anspruch auf ambulante Geld- bzw. Pflegesachleistungen verloren ging. Im 5. Schnittstelle Pflege - Eingliederungshilfe Gesetz wurde deshalb klargestellt, dass die Pauschale (§§ 13 SGB XI, 71 Abs. 4 SGB XI) der Pflegeversicherung in Höhe von 266 Euro monat- Mit der Einführung des neuen Pflegebedürftigkeits- lich nur für die Unterbringung in Räumlichkeiten bzw. begriffs und des neuen Bundesteilhabegesetzes waren Einrichtungen gilt, die bei einer Gesamtbetrachtung auch Fragen zu den (größer werdenden) Schnittstellen vollstationären Einrichtungen entsprechen. zwischen Pflege und Eingliederungshilfe zu klären. Im Ergebnis wurden die bestehenden grundsätzlichen Schluss Leistungsverpflichtungen nach den jeweils einschlä- gigen Rechtsvorschriften der Pflegeversicherung und Mit den drei Pflegestärkungsgesetzen dieser Legislatur- der Eingliederungshilfe nicht verändert. Es bleibt periode ist das Recht der Pflegeversicherung umfassend nun grundsätzlich bei der „Gleichrangigkeit“ beider neu gestaltet worden. Dabei wurden die Leistungen Leistungen (§ 13 Abs. 3 SGB XI). Sozialämter und und Beratungsansprüche für die Betroffenen und ihre Pflegekassen müssen bei einem Zusammentreffen von Angehörigen erheblich ausgeweitet. Zudem wurde die gleichen Leistungen unterschiedlicher Träger künftig Attraktivität der Arbeit in der Pflege deutlich gestärkt. aber regelhaft vereinbaren, wie die Leistungserbrin- Nun gilt es, die gesetzlich eingeführten Maßnah- gung im Verhältnis zum Anspruchsberechtigten jeweils men in der Umsetzung zu erfolgen soll und wie die Kostenerstattung der Träger begleiten und zu prüfen, ob untereinander erfolgt. alle gewünschten Wirkun- Dabei soll im Verhältnis zum Pflegebedürftigen, der gen eintreten bzw. zu prüfen, für die Eingliederungshilfe zuständige Träger, die ob bzw. inwieweit es noch Leistungen der Pflegeversicherung auf der Grundlage Nachsteuerungsbedarf gibt. des von der Pflegekasse erlassenen Leistungsbescheids übernehmen. Die Pflegekasse wird verpflichtet, dem für die Eingliederungshilfe zuständigen Träger die Kosten der von ihr zu tragenden Leistungen zu erstatten (§§ 13 Abs. 4 und 4a SGB XI). Der Spitzenverband Bund der Pflegekassen muss gemeinsam mit der Bundesarbeits- Dr. Martin Schölkopf gemeinschaft der überörtlichen Träger der Sozialhilfe Bundesministerium für Gesundheit bis zum 1. Januar 2018 in einer Empfehlung Näheres Leiter der Unterabteilung - Pflegesicherung dazu beschließen. Hierdurch wird eine eindeutige Email: Martin.Schoelkopf@BMG.BUND.DE Bayerische Sozialnachrichten 2/2017 5
Pflegestärkungsgesetze Kommunale Strukturen für eine gute Pflegeberatung schaffen Mit dem Inkrafttreten des Dritten Gesetzes zur Stär- kung der pflegerischen Ver- sorgung (PSG III) endet ein Reigen von Reformge- setzen rund um das Thema Pflege. Dafür gibt es vor allem einen Grund: den tiefgreifenden demografi- schen und gesellschaftli- chen Wandel, der grund- sätzliche Veränderungen der Pflegeversicherung und der Pflegeinfrastruktur nötig macht. Kernstück und Ziel des PSG II war die zu können, erfüllen. Pflegende Angehörige sind es, die Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffes in aufopferungsvoller Hinwendung ihre Pflegebedürf- und die damit verbundene vollumfängliche Erfassung tigen umsorgen. Pflegende Angehörige sind es aber von Menschen mit kognitiv-psychischen Einschrän- auch, die für ihre Pflegebedürftigen den Weg durch kungen in die Systematik der Pflegeversicherung. Mit den „Verwaltungsdschungel“ finden müssen. dem PSG I wurde nicht zuletzt die häusliche Pflege deutlich gestärkt. Pflegebedürftige und Angehörige Denn unser Sozial- Gesundheits- und Pflegesystem erhalten seitdem mehr Unterstützung. bietet gerade für diese Zielgruppe eine (für die Betrof- fenen nur schwer überschaubare) Vielzahl von Hilfen, Zentrales gesetzgeberisches Anliegen des PSG III ist die in der Regel unverbunden neben- bzw. nachein- die stärkere Verzahnung der für die Betreuung pflege- ander agieren, sich selten gegenseitig ergänzen und bedürftiger Personen zuständigen Leistungsträger auf verstärken. Häufig kommt deshalb die adäquate Hilfe kommunaler Ebene. Damit wird weiterhin das Ziel nicht zum richtigen Zeitpunkt, vielfältige Umwege verfolgt, die Rahmenbedingungen so zu verbessern, müssen in Kauf genommen werden, Fehlsteuerungen dass dem Grundsatz in der Pflege „ambulant vor sta- führen zu nicht bedarfsgerechten Aufwendungen. tionär“ noch besser Rechnung getragen werden kann. Auch die unterschiedlichen Zuständigkeiten tragen Nach Angaben der Pflegestatistik werden derzeit ca. nicht gerade dazu bei, dass Versorgungsrechte und 1,2 Millionen Personen, die pflegebedürftig gemäß Versorgungsleistungen bedarfsgerecht und zum rich- Pflegeversicherungsgesetz sind, zu Hause gepflegt. Die tigen Zeitpunkt in Anspruch genommen werden. Im Zahl der insgesamt hilfebedürftigen Menschen liegt Hilfebereich rund um die Pflege sind nicht nur die mit schätzungsweise 4,5 Millionen aber noch deutlich Pflege- und Krankenkassen mit Beratungsangeboten höher als die Zahl der anerkannt Pflegebedürftigen. und –pflichten ausgestattet, sondern auch die örtlichen Hochgerechnet leisten etwa 4,7 Millionen Angehörige und überörtlichen Sozialhilfeträger, die Rehabili- in Deutschland Pflegearbeit. tationsträger, alle Leistungsanbieter sowie private, freigemeinnützige und öffentliche Beratungsstellen in Pflegende Angehörige sind es, die den Wunsch vieler der Gesundheits-, Alten- und Behindertenhilfe. Diese Pflegebedürftiger, nämlich so lange wie möglich in der verwirrende Vielfalt suggeriert zwar ein umfassendes eigenen Wohnung im gewohnten Umfeld verbleiben Hilfeangebot, sichert aber keinesfalls die adäquate 6 Bayerische Sozialnachrichten 2/2017
Pflegestärkungsgesetze Hilfe bei in der Regel plötzlich auftretendem Bera- biniert werden. Dies begrüße ich ausdrücklich. Aber tungs- und Hilfebedarf. Ganz im Gegenteil: Verwir- es gilt leider auch das Sprichwort: „wo viel Licht ist, rung und Überforderung dominieren, führen oftmals ist auch viel Schatten“: Je differenzierter und indivi- zu Unverständnis und Resignation und bewirken dueller das Leistungsangebot ist, umso schwieriger ist letztendlich das Gegenteil: Leistungsangebote werden es für Laien, die Übersicht zu behalten. Deshalb bin nicht wahrgenommen. ich der Ansicht, dass unser komplexes Gesamtangebot im Gesundheits- und Pflegebereich flankierend ein Das PSG III will dieser Problematik entgegenwirken profiliertes Beratungs- und Begleitangebot benötigt, und die Rolle der Kommunen in der Pflege stärken. damit jedem Pflegebedürftigen die richtigen Hilfen Zum einen erhalten die Kommunen ein fünfjähriges zur richtigen Zeit mit der richtigen Dosis zur Verfü- Initiativrecht für die Einrichtung von Pflegestütz- gung stehen. Nur ein profiliertes Beratungsteam kann punkten zur wohnortnahen Beratung, Versorgung diese sehr individuelle Hilfe sicherstellen. Es muss die und Betreuung von Pflegebedürftigen. Zum anderen Fähigkeit haben, sich einfühlend in eine komplexe, sind sog. Modellkommunen vorgesehen, die anstelle familiäre Hilfsbedürftigkeit hineinzuversetzen und der Pflegekassen Beratung zu Pflegeleistungen sowie gleichzeitig die Kompetenz haben, das vielfältige Beratungen zu kommunalen Leistungen aus einer Hand Versorgungsangebot ziel- und passgenau vorzuschla- anbieten können. gen. Darin müssen die im Einzelfall erforderlichen Sozialleistungen ebenso enthalten sein, wie die gesund- Diese Ziele sind gut und sie sind notwendig. Jetzt heitsfördernden, präventiven, kurativen, rehabilitativen kommt es darauf an, Konzepte zu ihrer Realisierung oder sonstigen medizinischen, sowie pflegerischen und schnell zu entwickeln und in Lauf zu setzen. Dabei sozialen Hilfen. sollten die Bedürfnisse von Pflegebedürftigen bzw. von pflegenden Angehörigen in den Mittelpunkt ge- Eine umfassende Beratung setzt gleichzeitig aber stellt werden. auch eine Zusammenarbeit der unterschiedlichen Kostenträger und Leistungsanbieter voraus. Wenn es Schon jetzt gilt, dass alle Versicherten in der gesetzli- zum Miteinander bei der Gestaltung der Versorgung chen und privaten Kranken- und Pflegeversicherung im Einzelfall kommen soll, müssen die Akteure vor einen Rechtsanspruch auf individuelle Beratung und Ort eine erhebliche Sensibilität für die gemeinsame Hilfestellung durch Pflegeberater der Versicherung bei Verantwortung in der Versorgung pflegebedürftiger der Auswahl und der Inanspruchnahme von Leistungen Menschen entwickeln. Gelingt dies, ist nicht nur die oder sonstigen Hilfsangeboten haben. Es hat sich aber optimale Versorgung der Pflegebedürftigen sicherge- eindeutig herausgestellt, dass nicht nur die individuelle stellt, sondern auch ein effizienter Mitteleinsatz der Beratung und Hilfe, sondern auch die Koordinierung Kranken- und Pflegekassen sowie der Kommunen aller für die wohnortnahe Versorgung und Betreuung gewährleistet. Ich appelliere im Interesse der Pflege- in Betracht kommenden Leistungsangebote, sowie die bedürftigen und der pflegenden Angehörigen an die Vernetzung aufeinander abgestimmter pflegerischer Verantwortlichen, die Wege, die das PSG III eröffnet, und sozialer Versorgungs- und Betreuungsangebote, kreativ anzunehmen. sichergestellt werden muss. Pflegebedürftige und deren Angehörige haben zwei Wünsche: sie wünschen sich vor Ort eine einzige, unabhängige Beratungsstelle, in der sie umfassend über den gesamten einschlägigen Leistungskatalog beraten werden und sie wünschen sich einen direkten Ansprechpartner, der sie durch das Gesamtverfahren führt. Gerade in dieser Legislaturperiode wurden die Leis- tungen im Bereich der häuslichen Pflege deutlich gestärkt. Die meisten Leistungen der Pflegeversiche- rung, insbesondere das Pflegegeld und die Mittel für Pflegesachleistungen sind angehoben worden. Zudem Hermann Imhof, MdL können Kurzzeit- und Verhinderungspflege flexibler in Patienten- und Pflegebeauftragter der Bayerischen Staatsregierung Anspruch genommen werden und damit besser kom- Email: pp-beauftragter@stmgp.bayern.de Bayerische Sozialnachrichten 2/2017 7
Pflegestärkungsgesetze Pflegestärkungsgesetze – ein Blick zurück nach vorn Die Legislaturperiode im Bund neigt sich dem Ende entgegen. Geprägt war sie durch zahlreiche Gesetzge- bungsvorhaben, die zum Teil erheblich in die Struk- turen der Langzeitpflege eingegriffen haben. Die Ein- führung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs durch das zweite Pflegestärkungsgesetz zum 1. Januar 2017 ist die grundlegendste Reform der Pflegeversicherung seit ihrem Bestehen und ist der zentrale Baustein der Pflegereform. Sie ist flankiert durch eine erhebliche Ausweitung und Flexibilisierung der Leistungen der sozialen Pflegeversicherung durch das erste Pflegestär- kungsgesetz sowie neuen Instrumenten der Steuerung von Versorgungsstrukturen und Beratung durch das dritte Pflegestärkungsgesetz. Die dort verankerte Um- setzung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs in der Hilfe zur Pflege und das Bundesteilhabegesetz sind ein weiteres bedeutendes Reformvorhaben mit Wirkung auf die Langzeitpflege. Neben diesen Großvorhaben wirken weitere zum Teil etwas versteckte Änderungen in der Pflege durch das Hospiz- und Palliativgesetz, das Präventionsgesetz, das Transplantationsregistergesetz, Teilhabe. Mit zahlreichen Maßnahmen stärkt der das Krankenhausstrukturgesetz oder das Gesetz über Gesetzgeber den Aspekt der Teilhabe. Zu denken ist Blut- und Gewebezubereitungen fast nebensächlich. beispielsweise an die Leistungsausweitung zugunsten Verabschiedet der Bundestag nun noch das Pflege- der Angebote zur Unterstützung im Alltag oder auch berufsgesetz, wird niemand der Aussage, dass der die erhebliche Ausweitung der Zahl der Betreuungs- vielfach beklagte Reformstau aufgelöst wurde, wider- kräfte in stationären Einrichtungen. sprechen können. Lebenslage. Die Pflegereformen sind darauf aus- Leitlinien der Reformen gelegt, den Pflegebedürftigen in seinem konkreten Lebensumfeld zu erreichen. Dem Wunsch der meisten Für einen Überblick lohnt es, sich die Leitlinien der Menschen folgend, wird die häusliche Versorgung ge- Reformgesetzgebung ins Bewusstsein zu rufen. Diese stärkt. Pflegende Angehörige werden z. B. durch eine können auch Antworten für künftige Herausforderun- verbesserte sozialrechtliche Absicherung oder durch gen geben. Beratungs- und Entlastungsangebote unterstützt. Mit den Regelungen des PSG III wird zudem die Kommu- Selbstbestimmung. Mit der Abkehr vom ver- ne als Gestalterin des Umfelds des Pflegebedürftigen richtungsbezogenen Pflegebedürftigkeitsbegriff und wieder stärker in den Blick genommen. der Hinwendung zu einem ressourcenorientierten Verständnis soll der Selbständigkeit und damit der Professionalisierung. Mit dem Entwurf für das Selbstbestimmung der Pflegebedürftigen Rechnung Pflegeberufsgesetz verfolgt der Gesetzgeber das Ziel getragen werden. Dieser Wechsel im Pflegeverständnis der Professionalisierung der Pflegeberufe. Er setzt wird flankiert von leistungsrechtlichen Änderungen, damit auch ein Gegengewicht zu der vorangegangenen die die Eigenverantwortung des Pflegebedürftigen in Stärkung von sozialer Betreuung und dem früher sog. den Fokus nehmen. Mit der Umwidmungsmöglichkeit niedrigschwelligen Bereich. von ambulanten Sachleistungsbeträgen in Leistungen von Unterstützungs- und Entlastungsangeboten oder der Möglichkeit, Leistungsbeträge für Verhinde- Wirkungen der Reform rungspflege für Kurzzeitpflege zu verwenden, macht der Gesetzgeber vorsichtige Schritte in Richtung von Der Medizinische Dienst der Krankenkassen hat vor Budgets. kurzem Zahlen zur Entwicklung der Pflegebegutach- 8 Bayerische Sozialnachrichten 2/2017
Pflegestärkungsgesetze tungen nach Einführung des neuen Pflegebedürftig- Betreiber stationärer Einrichtungen eine grundlegen- keitsbegriffs vorgelegt. Danach sind nach den Begut- de Umstellung. Die Vertragspartner haben Lösungen achtungen bundesweit im ersten Quartal 2017 knapp erarbeitet, die einen fließenden Übergang in das neue 129.000 neue Leistungsempfänger hinzugekommen. System ermöglichen. Diese Vereinbarungen sichern Über die Hälfte davon (ca. 76.500) haben die Pfle- auch, dass sich der Vorteil großzügiger Überleitungs- gegrade 2 und 3. Ob diese Verteilung bereits einen regelungen durch das PSG II nicht zu einem Nachteil Trend für die Zukunft vorgibt, bleibt abzuwarten. Es beim Einzug der Pflegebedürftigen nach neuem Recht könnte sich auch um Effekte handeln, dass Personen wird. Ob es – wie von Einrichtungsträgern teilweise mit geringem Pflegebedarf vermehrt Anträge nach befürchtet – aufgrund der Ausgestaltung der Versi- Inkrafttreten der Reform gestellt haben. cherungsleistungen mittelfristig zu Veränderung der Bewohnerstruktur kommt, lässt sich heute abschlie- Mit der Zunahme der Leistungsempfänger und der ßend wohl nicht beantworten. Hierbei sollte auch Ausweitung von Versicherungsleistungen nimmt berücksichtigt werden, dass der prozentuale Anteil auch die Erwartung der Pflegebedürftigen und ihrer derjenigen, die in stationären Einrichtungen versorgt Angehörigen zu, die Leistungen tatsächlich vor Ort in wird, über die Jahre verhältnismäßig konstant geblie- Anspruch nehmen zu können. Naturgemäß braucht eine ben ist, auch wenn die Leistungen für die häusliche Reform, die so durchgreifend ist wie die vorliegende, Pflege gestiegen sind. Zeit, um ihre Wirkungen entfalten zu können. Auch wenn es daher zu früh ist, abschließende Aussagen zu Zukunftsfragen treffen, lohnt es sich, einen Blick auf die Entwicklung der Versorgungslandschaft zu werfen. Ruft man sich in Erinnerung, dass ein Grundgedanke der Reform die Selbstbestimmung des Pflegebedürf- Mit dem PSG I wurden die Möglichkeiten, Leistungen tigen ist, stellt sich die Frage, ob das Anknüpfen der der Tagespflege in Anspruch zu nehmen, deutlich aus- Leistungen an dessen Wohnort und die Klassifizierung geweitet. Neben das ambulante Sachleistungsbudget als stationär oder ambulant auf Dauer sachgerecht ist. tritt anrechnungsfrei ein Betrag in gleicher Höhe für Entscheidende Bedeutung kommt hierbei den Schnitt- Tages- und Nachtpflege. Deutlich ausgeweitet wurden stellen zwischen den Sozialversicherungszweigen und auch die Möglichkeiten, Kurzzeitpflege in Anspruch der Sozialhilfe zu. Diese Schnittstellen wurden bei zu nehmen. Am Beispiel der Tagespflege zeigt sich, den bestehenden Reformen nur im Ansatz geregelt. dass die mit dem Leistungsanspruch des Versicher- Es wird Aufgabe in der kommenden Legislaturperiode ten verbundene Nachfrage zu einem wachsenden sein, weitere Klärungen vorzunehmen. Mit dem am Angebot führt. Dabei ist es den Marktmechanismen 13. Juli 2017 in Nürnberg stattfindenden Pflegegipfel geschuldet, dass das Angebot der Nachfrage zunächst wird die bayerische Pflegeministerin Melanie Huml, hinterherhinkt. Das Bayerische Staatsministerium für die erforderliche Diskussion zu diesen und anderen Gesundheit und Pflege fördert den demenzgerechten grundlegenden Fragen der pflegerischen Versorgung Ausbau von Tages- und Nachtpflege mit bis zu 75.000 anstoßen, vertiefen und voranbringen. Euro (nähere Informationen unter www.stmgp.bayern. de/service/foerderprogramme/foerderung-ambulant- betreuter-wohngemeinschaften/). Diese Fördermöglichkeit besteht auch für die Kurzzeit- pflege. An die Versorgung mit Kurzzeitpflegeplätzen sind besondere Anforderungen gestellt. Bedarf der Pflegebedürftige und sein Angehöriger regelmäßig eine gewisse Verlässlichkeit in der Planbarkeit, kann der Einrichtungsträger die Auslastung nur schwer kal- kulieren. Es gilt insoweit, zunächst eine verlässliche Einschätzungsgrundlage über das bestehende Angebot, den konkreten Bedarf und die Ursache möglicher Versorgungsprobleme zu gewinnen, um passgenaue Lösungen zu erarbeiten. Dr. Bernhard Opolony Bayerisches Staatsministerium für Gesundheit und Pflege Die Einführung eines einheitlichen Eigenanteils für Leiter Abteilung 4 - Pflege und Prävention die Bewohnerinnen und Bewohner bedeutet für die Email: bernhard.opolony@stmgp.bayern.de Bayerische Sozialnachrichten 2/2017 9
ZWISCHENRUF Kommunalfreundliche Nachbesserung der Pflegestärkungsgesetze I-III reigene Aufgabe der Poli- Belastungen der Sozialhilfeträger U tik auf allen Ebenen ist es, gute Rahmenbedingungen für unsere Bürger in allen Lebens- sichtbar gemacht werden. Die Landkreise sind als unterste lagen zu schaffen und das Grund- Leistungsträgerebene an den tat- gerüst dort zu verbessern, wo es sächlichen Bedürfnissen der Ge- nötig ist. Zur Bewältigung der meinden sowie der Pflegebedürf- zukünftigen Herausforderungen tigen und ihrer Angehörigen am bei der pflegerischen und medizini- nächsten dran. Entsprechend hoch schen Versorgung älter werdender waren ihre Hoffnungen auf eine Menschen im ländlichen Raum Stärkung ihrer Rolle in der Pflege müssen Planungen, Strukturen und durch das PSG III, wie sie von der Vernetzungen weiterentwickelt Christian Bernreiter vorgeschalteten Bund-Länder-Ar- werden. Es muss darum gehen, beitsgruppe vorgeschlagen wurde. über innovative Ansätze Sekto- Präsident des Bayerischen Landkreistags Leider hat der Bundesgesetzgeber rengrenzen zu überwinden und Email: Landrat@lra-deg.bayern.de die Vorschläge der Arbeitsgruppe Leistungen so miteinander zu ver- nur halbherzig umgesetzt. zahnen, dass ältere Menschen mög- lichst lange selbstbestimmt und Mit den Pflegestärkungsgesetzen Die Weiterentwicklung der 2008 im selbständig in ihrer gewünschten I-III hat der Bundesgesetzgeber Bundesrecht eingeführten Pflege- Umgebung wohnen bleiben kön- ebenfalls wichtige Weichen für stützpunkte bringt aus bayerischer nen. Hierzu müssen nicht nur alle die Versorgung pflegebedürftiger Sicht kaum Mehrwert. Entgegen dem medizinischen und pflegerischen Menschen gestellt. Insbesondere ursprünglichen Ziel, in Bayern bis Angebote aufeinander abgestimmt die Erweiterung des Pflegebedürf- Ende 2010 mit 60 Pflegestützpunk- werden, sondern auch alle weiteren tigkeitsbegriffs um kognitive oder ten ein flächendeckendes Netz zu infrastrukturellen Leistungen und psychische Beeinträchtigungen ist etablieren, gibt es bis heute lediglich Angebote der Daseinsvorsorge. So ein wichtiger Schritt. Die Einfüh- neun solcher Einrichtungen, in denen müssen beispielsweise Einrichtun- rung des erweiterten Pflegebedürf- die Beratungskompetenz der örtli- gen und Beratungsangebote stärker tigkeitsbegriffs durch das PSG III chen Sozialhilfeträger und Pflege- verzahnt werden, um Doppelvor- in der Sozialhilfe (SGB XII) ist kassen unter einem Dach angeboten haltungen zu vermeiden und Leis- fachlich konsequent. werden. Der Grund dafür liegt in dem tungskonkurrenzen abzubauen. bereits vorher schon vorhandenen Das führt jedoch dazu, dass mehr engmaschigen Netz von Fachstellen Die bayerischen Landkreise schaffen Menschen auch in der Sozialhil- für pflegende Angehörige und ande- hierzu mit den seniorenpolitischen fe leistungsberechtigt werden. Mit ren Beratungsangeboten. Diese wa- Gesamtkonzepten und vielfach der dem PSG III sind somit Mehrkosten ren in der Vergangenheit tatsächlich Diskussion der Ergebnisse in Ge- für die Sozialhilfeträger verbun- in einigen Fällen wenig aufeinander sundheits- und Pflegekonferenzen den und nicht etwa eine finanzielle abgestimmt. Im Zusammenhang mit wichtige Voraussetzungen. Der An- Entlastung wie vom Bund noch im den zwischenzeitlich etablierten se- schluss von Pflegeeinrichtungen an Gesetzentwurf prognostiziert. Die niorenpolitischen Gesamtkonzepten Krankenhäuser der Grundversor- Einführung des erweiterten Pflege- konnte aber vielfach die notwendige gung mit einem Übergangsmanage- bedürftigkeitsbegriffs ist daher nicht Koordination hergestellt werden. Es ment in die eigene Häuslichkeit oder nur im Rahmen der Sozialen Pflege- ist daher wenig wahrscheinlich, dass die Verzahnung von ehrenamtlichen versicherung zu evaluieren, sondern die neu gefassten Regelungen des § Betreuern mit der Hausarztpraxis auch in der Sozialhilfe insbesondere 7c SGB XI zu den Pflegestützpunk- sind ausgewählte Praxisbeispiele mit Blick auf die finanziellen Aus- ten von den bayerischen Landkreisen gelungener Vernetzung. wirkungen. So können zusätzliche in großer Zahl genutzt werden. 10 Bayerische Sozialnachrichten 2/2017
ZWISCHENRUF Impressum Bayerische Sozialnachrichten Redaktionsschluss Zeitschrift der Landesarbeitsgemeinschaft der Ausgabe 3/2017: 12.06.2017 der öffentlichen und freien Wohlfahrts- Die Bayerischen Sozialnachrichten pflege in Bayern (ISSN 1617-710X) erscheinen in jährlich fünf Ausgaben mit Beilage der Zeitschrift „Pro Jugend“. Herausgebende Auch die Bestimmungen zum Mo- Thomas Eichinger, Vorsitzender Abonnementpreis dellvorhaben zur Stärkung der Rolle Johanna Rumschöttel, Stellv.Vorsitzende incl. Versandkosten u. Mehrwertsteuer der Kommunen in der Pflege (§§ Hendrik Lütke, Geschäftsführer 24,30 Euro pro Jahr. Kündigung des 123 f. SGB XI) müssten dringend Verlag: Landesarbeitsgemeinschaft der Jahresabonnements schriftlich bis sechs öffentlichen und freien Wohlfahrtspflege Wochen zum Jahresende. Bei nachgebessert werden. Insbesondere in Bayern Abonnenten, die am Lastschriftverfahren das Kooperationsverbot der Modell- Nördl. Auffahrtsallee 14, 80638 München teilnehmen, wird der Jahresbetrag ohne kommunen mit örtlichen Partnern Telefon 089/153757- Fax 089/15919270 Rechnungsstellung eingezogen. muss gelockert und die Verantwor- E-Mail: LAGoefW-Bayern@t-online.de Layout und Produktion: Internet: www.lagoefw.de tung zur konkretisierenden Ausge- Inge Mayer Grafik & Werbung staltung des Modellvorhabens vom Redaktion und Anzeigen Amundsenstr. 8, GKV-Spitzenverband auf die Länder Hendrik Lütke (verantwortlich) 85055 Ingolstadt Nördl. Auffahrtsallee 14 | 80638 München Tel. 0841/456 77 66 übertragen werden. Gültig ist die Anzeigenpreisliste vom Email: ingemayer@t-online.de 1.1.2016. Druck: Mit Blick auf die demografische Ent- Jugendwerk Birkeneck wicklung und die damit verbundene Namentlich gezeichnete Beiträge geben die Birkeneck, Meinung des Verfassers wieder. Nachdruck Fallzahlsteigerung in der Sozialen nur unter Quellenangabe gestattet. 85399 Hallbergmoos Pflegeversicherung wie in der Hilfe zur Pflege sollte der Bundesgesetz- Dieses Projekt wird gefördert durch: geber zukünftig eine engere Ver- zahnung von medizinischen und pflegerischen Leitungsangeboten anstreben. Gerade für den ländlichen Raum sollte eine Auflösung der Grenzen zwischen ambulanten und Anzeige - stationären Sektoren im Pflege- wie auch im Gesundheitswesen erreicht werden (wie sie schon vom Bun- desteilhabegesetz vollzogen wurde). Die unterschiedlichen Vergütungs- und Abrechnungssysteme in den jeweiligen Sektoren müssen verein- © DragonImages - Fotolia.com heitlicht oder zumindest kompatibel gemacht werden, um Schnittstellen zu überwinden und der Personenzen- trierung in der Leistungsgewährung auch in der Altenpflege mehr Ge- wicht verleihen zu können. Die Kommunen sind bereit, ihren Beitrag zu leisten, die medizinische WIR ZIEHEN AN EINEM STRANG Partner der Arbeitsgemeinschaft der öffentlichen und freien Wohlfahrtspflege in Bayern und pflegerische Versorgung mit • Versicherungslösungen, Risikominimierung und Schadenbetreuung den weiteren Aufgaben der Daseins- • Gestaltung von Altersvorsorgelösungen vorsorge bestmöglich in Einklang • Versicherungsstelle für Menschen mit Behinderung und chronisch Kranke zu bringen. Sie erwarten sich dazu www.versicherungsstelle-ccb.de aber auch den ausreichenden Gestal- tungsspielraum für eigene Ideen und Ecclesia Versicherungsdienst GmbH • UnionVersicherungsdienst GmbH Klingenbergstraße 4 · 32758 Detmold · Telefon +49 (0) 5231 603-0 · Telefax +49 (0) 5231 603-197 die nötige finanzielle Ausstattung. info@ecclesia.de · www.ecclesia.de · info@union-verdi.de · www.union-verdi.de Bayerische Sozialnachrichten 2/2017 11 20170202_bayrische_sozialnachrichten_115x105.indd 1 02.02.2017 18:12:57
Pflegestärkungsgesetze Zusammenführung der Zuständigkeiten für die Eingliederungshilfe und die Hilfe zur Pflege BTHG und PSG III schaffen neue Rahmenbedingungen Notwendigkeit der Neubestimmung der Eingliederungshilfeträger Mit dem Inkrafttreten des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) zum 1. Januar 2017 müssen die Länder die Träger der Eingliederungshilfe in ihren Ausführungs- gesetzen zu den Sozialgesetzbüchern neu bestimmen (§ 94 Abs. 1 SGB IX). Ebenfalls zum 1. Januar 2017 in Kraft getreten ist das Pflegestärkungsgesetz III (PSG III). Dieses Gesetz löst keine unmittelbare Notwen- digkeit einer Neubestimmung von Leistungsträgern auf Länderebene aus, steht aber in unmittelbarem Zusammenhang mit der Neubestimmung der Träger der Eingliederungshilfe. Dr. Klaus Schulenburg Das Bayerische Staatsministerium für Soziales und Bayerischer Landkreistag Arbeit (StMAS) hat auf Arbeitsebene bereits zum Referent für Soziales, Gesundheit und Krankenhauswesen Jahreswechsel 2016/17 auf die Dringlichkeit der Neu- Email: klaus.schulenburg@bay-landkreistag.de bestimmung hingewiesen, da zur Erarbeitung des neuen Vertragsrechts zum BTHG, das spätestens zum 1. Janu- ar 2020 in Kraft tritt, der Träger der Eingliederungshilfe Im Ergebnis wurden mit der Änderung des Ausführungs- zur Sicherstellung seiner Handlungsfähigkeit rechtzei- gesetzes zu den Sozialgesetzen (AGSG) mit Wirkung tig bestimmt sein muss. Dies sollte nach Möglichkeit zum 1. Januar 2008 die Leistungen der ambulanten Ein- mit Wirkung zum 1. Jan. 2018 geschehen. Um das gliederungshilfe umfänglich auf die Bezirke übertragen. parlamentarische Verfahren im Herbst 2017 durchfüh- Zur Herabzonung der stationären Leistungen der Hilfe ren und die dazu notwendige Verbändeanhörung vorbe- zur Pflege gab es nur einen Ministerratsbeschluss mit reiten zu können, muss der Gesetzentwurf noch in der einem Prüfauftrag gegenüber dem Sozialministerium. ersten Jahreshälfte 2017 vom Kabinett verabschiedet Dieses bemühte sich gemeinsam mit den Kommunalen werden. StMAS hat die Kommunalen Spitzenverbände Spitzenverbänden in den folgenden Jahren um eine in einem ersten Gespräch auf Arbeitsebene gebeten, Umsetzung dieses Prüfauftrags. Die Verhandlungen zur Erarbeitung des Gesetzentwurfs sich auf einen waren jedoch nie von Erfolg gekrönt, da die finanziellen gemeinsamen Vorschlag zur Bestimmung der Träger Auswirkungen und die Definition von Schnittstellen der Eingliederungshilfe in Bayern zu verständigen. zwischen den verschiedenen Leistungsarten nicht be- friedigend gelöst werden konnten. Rückblick Ein besonderes Problem besteht seit der Neuordnung Bereits in den Jahren 2006 und 2007 wurde in Bayern 2008 in der Aufteilung der sachlichen Zuständigkei- eine intensive Diskussion um die Zuständigkeitsab- ten bei den ambulanten Leistungen der Eingliede- grenzung geführt. Ausgangspunkt damals war die rungshilfe bzw. der Hilfe zur Pflege in sogenannten Überwindung der strikten aufgabenbezogenen Tren- ambulant betreuten Wohngemeinschaften. Bei diesen nung der teilstationären und stationären Leistungen lediglich im Ordnungsrecht definierten Wohnformen der Eingliederungshilfe bzw. Hilfe zur Pflege bei den für ältere Menschen (Art. 2 Abs. 3 Pflege- und Wohn- Bezirken sowie aller ambulanten Leistungen bei den qualitätsgesetz) fällt es in zahlreichen Fällen schwer, Landkreisen und kreisfreien Städten. Diese Trennung ambulante Leistungen zur Teilhabe an der Gesellschaft wurde vor dem Hintergrund der fachlichen Diskussion (Eingliederungshilfe) in Trägerschaft der Bezirke und dem gesetzlichen Auftrag des Vorrangs ambulanter von ambulanten Leistungen der aktivierenden Pflege vor stationärer Leistungen (§ 13 Abs. 1 SGB XII) als (SGB XI i.V.m. Leistungen der Hilfe zur Pflege) in hinderlich empfunden, da für die örtlichen Träger in der Trägerschaft der Landkreise und kreisfreien Städte Regel nur wenig Anreiz bestand, ambulante Leistungen abgrenzen zu können. Entsprechend hoch ist die Zahl in eigener fachlicher und unmittelbarer finanzieller an Kostenstreitigkeits- und Gerichtsverfahren zwi- Zuständigkeit auszubauen. schen den überörtlichen und den örtlichen Trägern der 12 Bayerische Sozialnachrichten 2/2017
Pflegestärkungsgesetze Sozialhilfe (Zahl der Verfahren im März 2016: 486). sind dabei auch die weiteren Aufgaben auf örtlicher Vor diesem Hintergrund hat es auch in der jüngeren Ebene wie die Zuständigkeiten für die Altenhilfe, Vergangenheit eine laufende Diskussion um eine Ar- die Hinwirkungsverpflichtung zur Vorhaltung eines rondierung der Zuständigkeitsregelungen nach Art. 80 ausreichenden Leistungsangebots in der Altenpfle- ff. AGSG gegeben. ge, das seniorenpolitische Gesamtkonzept und die rechtliche Betreuung), Planung und Steuerung der Leistungserbringung Problematik der Zuständigkeitsbestimmung und Kostenentwicklung. Die Neubestimmung der Träger der Eingliederungshilfe wird für Bayern dadurch erschwert, dass das BTHG nun zum einen die sozialpolitisch vielfach geforderte Auflö- Notwendige Abwägung sung der Sektoren zwischen ambulanten, teilstationären und stationären Leistungen vollzieht und zum anderen Vor dem Hintergrund der bereits in den Jahren 2006 und stärker als bisher zwischen Fachleistungen und exis- 2007 geführten politischen Diskussion stellt sich für die tenzsichernden Leistungen (Grundsicherung im Alter Kommunalen Spitzenverbände der örtlichen Träger die und bei Erwerbsminderung, Viertes Kapitel SGB XII) Frage, ob das erneute Eintreten für eine Stärkung der unterscheidet. Daneben können viele Leistungen zur eigenen Aufgabenzuständigkeit erfolgversprechend ist. Teilhabe an der Gesellschaft (Eingliederungshilfe) nur Für eine vollständige Herabzonung sämtlicher Aufga- noch schwer von Leistungen der Pflege nach dem mit ben der Eingliederungshilfe sowie der Hilfe zur Pflege dem Pflegestärkungsgesetz III auch in der Sozialhilfe auf die örtlichen Träger bei gleichzeitiger Auflösung eingeführten erweiterten Pflegebedürftigkeitsbegriff des der überörtlichen Sozialhilfeträger (unabhängig vom SGB XI unterschieden werden. Die gilt insbesondere landesverfassungsrechtlich vorgegebenen Bestand bei hochbetagten älteren Menschen mit eingeschränkter der Bezirke) wie 2005 in Baden-Württemberg wird Alltagskompetenz. Die bisherige „klassische“ Aufga- in Bayern zum jetzigen Zeitpunkt der politische Wille benabgrenzung zwischen örtlichen und überörtlichen fehlen. Gleichwohl bleibt dieses Modell mit Blick auf Sozialhilfeträgern nach Leistungsarten und Sektoren die Orts- und Problemnähe des Aufgabenvollzuges, dürfte damit allgemein nicht mehr tragfähig sein. die Bündelung aller Zuständigkeiten nach dem SGB XII und die Verzahnung mit weiteren Aufgaben der Bei der Diskussion um die Abgrenzung der sachlichen Daseinsvorsorge sowie die Planung und Steuerung der Zuständigkeiten für die Leistungen der Eingliederungs- Leistungserbringung und Kostenentwicklung aus Sicht hilfe bzw. die Hilfe zur Pflege werden meist folgende der Verbände der örtlichen Träger vorzugswürdig. Aspekte vorgetragen: Bei allen Modellen der Aufteilung der Zuständigkeiten Sicherstellung von flächendeckenden, bedarfsde- werden mehr oder weniger erhebliche Schnittstellen- ckenden, am sozialraumorientierten und inklusiv probleme eröffnet und Finanzierungsfragen aufgewor- ausgerichteten Leistungsangeboten (vgl. § 94 Abs. fen. Eine Abgrenzung etwa nach dem Lebenslagenprin- 2 SGB IX), zip mit der Verortung der Zuständigkeit für Fälle nach Sicherstellung der Trägerpluralität (vgl. § 5 SGB dem Leistungseintritt ab der Regelaltersgrenze hätte XII) bzw. des Wunsch- und Wahlrechts (vgl. § 9 bei den örtlichen Trägern so geringe Fallzahlen zur Fol- SGB XII), ge, dass eine Vorhaltung des notwendigen Fachperso- Sicherstellung einer personenzentrierten, indivi- nals meist nicht gerechtfertigt wäre. Eine Abgrenzung duellen und gemeindenahen Leistungserbringung zwischen Leistungsarten oder nach Trägern würden die (vgl. etwa Art. 19 und 24 UN-BRK), bereits bestehenden Probleme der Leistungszuordnung Wahrung der Subsidiarität sowie der Orts- und fortführen, was nach Überzeugung aller Beteiligter Problemnähe im Aufgabenvollzug (vgl. allgemeine vermieden werden sollte. Zuständigkeitsvermutung zugunsten der örtlichen Träger nach § 97 Abs. 1 SGB XII sowie Grundsatz Vor diesem Hintergrund spricht in Bayern vieles für der Dezentralität der Behördenorganisation nach eine vollständige und abschließende Bündelung aller Art. 77 Abs. 2 LV), Fachleistungen und existenzsichernden Leistungen der Wahrung einer vergleichbaren Leistungsfähigkeit Eingliederungshilfe nach dem BTHG sowie aller Leis- der Träger (insbesondere mit Blick auf die Finanz- tungen der Hilfe zur Pflege beim überörtlichen Träger ausstattung), der Sozialhilfe. Die Kommunalen Spitzenverbände Minimierung der Schnittstellen zwischen den Leis- haben sich zwischenzeitlich im Vorfeld des Gesetz- tungsarten und den Leistungsträgern (Gewährung gebungsverfahrens auf diese Haltung verständigt. Bei der Leistungen aus einer Hand; zu berücksichtigen den örtlichen Trägern verbliebe aus diesem Aufgaben- Bayerische Sozialnachrichten 2/2017 13
Pflegestärkungsgesetze / Panorama katalog im Wesentlichen noch die Bundesauftragsver- Zeit ab 2020. Die Bayerische Staatsregierung wird aller waltung nach dem Vierten Kapitel SGB XII (Grundsi- Voraussicht nach die Konnexität schon dem Grunde cherung im Alter und bei Erwerbsminderung) in Fällen nach bezweifeln (keine Übertragung einer neuen staat- ohne Leistungsanspruch auf Eingliederungshilfe oder lichen Aufgabe), in jedem Fall aber die kommunale Hilfe zur Pflege (im Sinne einer existenzsichernden Entlastung seitens des Bundes in Höhe von 5 Mrd. € Alters- bzw. Erwerbsminderungsrente). Die mit der gegen rechnen. vollständigen Aufgabenbündelung bei den überörtli- chen Trägern der Sozialhilfe zu erwartende Kostenmeh- Nächste Schritte rung aufgrund der Standardvereinheitlichung und der Das StMAS hat die Verständigung der Kommunalen geringeren Steuerung der Leistungsgewährung müsste Spitzenverbände auf ein Modell der Allzuständig- über die Bezirksumlage finanziert werden. keit der Bezirke im Bereich der Eingliederungshilfe und der Hilfe zur Pflege aufgegriffen und wird unter Konnexität Würdigung alternativer Regelungsvorschläge dieses Vor dem Gesetzgebungsverfahren noch offen ist die Modell bei der Ausarbeitung des Gesetzentwurfs zu- Frage, wie die Bayerische Staatsregierung mit der grundelegen. Erst in der Gesamtschau der konkreten Konnexitätsrelevanz der landesrechtlichen Neube- Regelungsvorschläge im Ausführungsgesetz zu den stimmung der Träger der Eingliederungshilfe umgehen Sozialgesetzen sowie der Ausgestaltung der Konne- wird. Von Seiten der Kommunalen Spitzenverbände xitätsregelung werden sich die Kommunalen Spit- steht es außer Frage, dass die Anpassung des AGSG zenverbände konkret zur Frage der Neubestimmung dem Grunde wie der Höhe nach konnexitätsrelevant der Eingliederungshilfeträger in Bayern positionieren ist. Problematisch dabei ist zum einen die Bestimmung können. Im Anschluss an die Verbändeanhörung muss und Ermittlung der zu erwartenden Mehrkosten schon dann der Gesetzgeber die konkrete Ausgestaltung für die Jahre 2018 und 2019, insbesondere aber für die der Zuständigkeitsabgrenzung regeln. Gemeinsam.Direkt.Stark – Die Vereinigung der bayerischen Pflege Der Bayerische Landtag hat am 06. zudem die Qualität in der Pflege wei- Mit dem Inkrafttreten des Gesetzes April 2017 den Gesetzentwurf der terentwickeln. Dazu kann sie zum beginnt die eigentliche Gründungs- Gesundheits- und Pflegeministerin Beispiel im Bereich der Fort- und phase. Das Bayerische Staatsminis- Melanie Huml für eine starke In- Weiterbildung tätig werden. Ferner terium für Gesundheit und Pflege teressenvertretung der Pflegekräfte wird sie Zuständigkeiten im Bereich wird zunächst einen Gründungsaus- in Bayern beschlossen. Das Gesetz der Berufsaufsicht erhalten. schuss bestellen. Dieser Gründungs- trat am 1. Mai in Kraft. Damit ist ausschuss wird einen vorläufigen die „Vereinigung der Pflegenden in Vorstand wählen und eine vorläufige Bayern“ als Körperschaft des öffent- Satzung aufstellen und beschließen. lichen Rechts errichtet. Nach spätestens einem Jahr wird er die erste reguläre Mitgliederver- Die Ministerin betonte im Plenum: sammlung der neuen Körperschaft „Mit diesem Konzept nutzen wir die einberufen. wesentlichen Vorteile einer klassi- schen Kammer, ohne gleichzeitig www.gemeinsam-direkt-stark.de die Pflegekräfte mit Pflichtmitglied- Informationen: schaft und Pflichtbeiträgen zu belas- „Ziel ist“, so die Ministerin weiter, Wenn Sie an einer freiwilligen ten“. Die Mitgliedschaft ist freiwillig „die Pflege in Bayern insgesamt Mitgliedschaft oder an der Mitar- und kostenlos. aufzuwerten. Wir wollen mehr jun- beit in dem Gründungsausschuss Die Vereinigung der Pflegenden ge Menschen für die Pflegeberufe interessiert sind, finden Sie weitere kann die Interessen der Pflege in begeistern. Bitte schließen Sie sich Informationen unter Bayern wirkungsvoll vertreten. Sie der neuen Vereinigung an, machen wird bei allen Vorhaben der Staats- Sie sie zu einer starken Stimme www.gemeinsam-direkt-stark.de regierung, die die Pflege betreffen, gegenüber Politik und Gesellschaft. angehört und eingebunden. Damit Damit haben Sie die Möglichkeit, Oder schreiben Sie eine E-Mail ist sie ein wichtiger Ansprechpartner sich bei wichtigen Themen für die Pflege einzubringen.“ kontakt@gemeinsam-direkt-stark.de der Politik. Die Vereinigung wird 14 Bayerische Sozialnachrichten 2/2017
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