Naturgefahrenreport 2014 - Die Schaden-Chronik der deutschen Versicherer in Zahlen, Stimmen und Ereignissen - flussgebiete nrw
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Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e. V. Naturgefahrenreport 2014 Die Schaden-Chronik der deutschen Versicherer in Zahlen, Stimmen und Ereignissen
2 NATURGEFAHRENREPORT 2013 Inhaltsverzeichnis Einleitung 3 Das Ausnahmejahr. Naturgefahren 2013 4 „Wir müssen die Menschen vor diesen schlimmen Schäden schützen.“ Ein Gespräch mit GDV-Präsident Dr. Alexander Erdland Kapitel eins: Hagel: Gefahr, die aus Gewitterwolken droht 8 „Keine Gegend ist vor Hagel sicher.“ Ein Gespräch mit Johann-Dirk Hessel vom Deutschen Wetterdienst 12 „Die Menschen brauchen ja ihr Dach über dem Kopf.“ Zum Krisenmanagement in den Hagel-Katastrophengebieten 16 Von unsichtbaren Haarrissen bis Totalschäden. Was richtet Hagel an? 18 Widerstand nach Schweizer Vorbild. Was schützt vor Hagel? 19 Vorsicht! Hagelschlag! Das Katastrophenwarnsystem KATWARN Kapitel zwei: Das Jahr der Naturkatastrophen 22 Milliardenschäden binnen weniger Tage. Die Ereignisse im kurzen Rückblick 24 Ölverseuchtes Wasser, meterhoch. Die Flut und ihre Schäden 26 ZÜRS Geo. Risikogerechter Versicherungsschutz 26 „Das Risiko ist zu hoch.“ Ein Gespräch mit Hochwasser-Experten Otto Schaaf über Bauen in Überschwemmungsgebieten 28 Es trifft Häuser ganzer Straßenzüge. Der Hagel und seine Schäden 30 Rasante Reise der Verwüstung. Die Orkane und ihre Schäden 32 „Wann droht welche Gefahr durch Starkregen?“ Ein Gespräch mit Dr. Andreas Becker vom Deutschen Wetterdienst über ein neues Forschungsprojekt Kapitel drei: Verlust und Zerstörung an Fahrzeugen 34 Die Kfz-Schäden 2013: Mit kalter Wucht auf Blech und Glas 39 Prävention: „Soforthilfe bereits am Telefon“ Kapitel vier: Partner, Manager, Forscher. Die deutschen Versicherer 42 „Die drücken sich eben nicht.“ Das Engagement der Versicherer 44 Viele tragen das Risiko jedes Einzelnen. Ein Gespräch mit GDV-Hauptgeschäftsführer Dr. Bernhard Gause über das Prinzip Versicherung 45 Plädoyer für Eigenvorsorge. Die Informationskampagne der Versicherer 46 Der Naturgefahrencheck: ZÜRS public 47 Vorsorge hat Vorrang. Die Naturgefahrenkonferenz der deutschen Versicherer Anhang: Publikationen/Links
EINLEITUNG 3 Das Ausnahmejahr. Naturgefahren 2013 Was für ein Jahr. Juni-Flut, Hagelstürme und Orkane ha- Menschen die zunehmende Gefahr von Hochwasser auch in ben 2013 binnen weniger Monate verheerende Schäden in vermeintlich sicheren Regionen bewusst machen. Die Natur- Deutschland angerichtet. 2,2 Millionen Ereignisse meldeten gefahrenkonferenz 2014 ist ein weiterer Beitrag in diesem die Kunden den deutschen Versicherern. Versicherungsfälle im Dialog (Seite 47). Wert von 7,2 Milliarden Euro wurden reguliert. Für die Asse kuranz war es eines der schwersten Jahre ihrer Geschichte. Welche konkreten Schäden entstanden 2013? Es war nicht das allgegenwärtige Hochwasser, das die Der Report blickt zurück auf die Flut, analysiert die Hin- schlimmsten Schäden verursachte. Es waren die Hagel- tergründe der Schadenereignisse und lässt Experten zum stürme, die so heftig ausfielen, wie noch nie seit es wissen- Hochwasserschutz zu Wort kommen. Er betrachtet ferner schaftliche Wetterbeobachtung gibt. Derartig verheerende die Schäden, die Orkane in Deutschland anrichteten. Aus- Hagelunwetter sind in Deutschland weitgehend uner- führlich schließen sich Dokumentation und Analyse der forschte Phänomene. Das wird nicht so bleiben: Gemeinsam Schäden an Kraftfahrzeugen an (ab Seite 20). mit dem Deutschen Wetterdienst untersuchen die Versi- cherer das Hagelrisiko für jedes Gebiet in Deutschland. Der Die Versicherer haben im Ausnahmejahr 2013 Hunderttau- Gefahr, die aus Gewitterwolken droht, gilt deshalb auch der sende Menschen bei der Bewältigung der Unwetterfolgen Schwerpunkt des diesjährigen Naturgefahrenreports. begleitet. Sie haben schnell und sehr gut organisiert die Schäden reguliert, dank eines Schadenmanagements, das Das Ausnahmejahr 2013 zeigt einmal mehr, wie wichtig sys- auf Extremereignisse vorbereitet war. Hierzu gehörte die tematische Forschung über Wetterextreme ist. Nur wenn Kooperation mit Handwerkern und Experten vor Ort ebenso gesicherte Erkenntnisse vorliegen, können sich die Menschen wie der verstärkte Einsatz digitaler und sozialer Medien. So vor Naturgefahren schützen, sind die Risiken auch künftig haben die Versicherer schnell und unkompliziert dafür ge- versicherbar. Die deutschen Versicherer sehen sich hier in sorgt, dass die Menschen so schnell wie nur möglich in ihre besonderer Verantwortung. Bereits 2011 hat der GDV eine von Flut, Hagel oder Sturm zerstörten Häuser zurückkehren umfassende Klimastudie vorgelegt, in der namhafte Klima- konnten; dass Firmen aufgrund von Ertragsausfällen keinen forscher eine Verdoppelung, wenn nicht Verdreifachung der Konkurs anmelden mussten; und dass Tausende zerbeulter Schäden bis 2100 prognostizierten. Nun folgt der nächste Autos schnell wieder schick und fahrbereit waren. Umfragen Schritt. Der GDV ist mit dem Deutschen Wetterdienst eine und Experten bestätigen der Assekuranz hohe Kundenzu- Kooperation eingegangen, um den Gefahren konkret auf den friedenheit (Seite 25). Grund zu gehen. Dabei wird auch das Phänomen Starkregen erforscht, das deutschlandweit schwere Überschwemmun- „Man kann sich nicht vorstellen, wie schlimm es war.“ – Das gen auch abseits von Flüssen angerichtet hat (Seite 32). haben die Versicherer 2013 zehntausendfach in den betrof- fenen Regionen gehört. Auch davon legt dieser Report Zeug- 2013 hat uns Versicherern erneut bewiesen, wie wichtig nis ab. So ist er ein Baustein in unserer Aufklärungs- und Prä- der Dialog mit der Gesellschaft ist. Nur so lässt sich den ventionsstrategie, die Menschen auch künftig so gut wie nur möglich vor Naturkatastrophen zu schützen. Dr. Alexander Erdland Dr. Jörg von Fürstenwerth Präsident Vorsitzender der Hauptgeschäftsführung
4 POSITIONEN „Wir müssen die Menschen vor diesen schlimmen Schäden schützen“ Das Jahr 2013 wird als Jahr der Naturkatastrophen in die Geschichte eingehen. Die Versicherer tragen der Zunahme der Wetterextreme Rechnung. „Nur wer das Risiko kennt, der schützt sich“, sagt Dr. Alexander Erdland im Interview mit dem Naturgefahrenreport. Dr. Erdland verweist auf neue Forschungsvorhaben und fordert eine bundesweite Aufklärungskampagne. Herr Dr. Erdland, der vorliegende jedes Gebiet in Deutschland das entsprechende Naturgefahrenreport legt Zeug- Risiko genauer bestimmen. Wenn wir die Wirkzu- nis ab vom außergewöhnlich sammenhänge zwischen Naturgefahr und Scha- schadenträchtigen Jahr 2013. den noch besser kennen, können wir noch besser Worin liegt das Außergewöhnli- zur Schadenverhütung beraten. Unser Ziel ist es, che begründet? ein bundesweites Aufklärungsportal über alle Na- Wir haben 2013 binnen weni- turgefahren einzurichten. Dieses bieten wir Politik ger Monate unterschiedliche und Verbraucherschützern als gemeinsames Pro- Wetterextreme erlebt: erst die jekt für die Bundesbürger an. Flut, dann die Hagelstürme und Orkane. Die Versicherer regu- Warum ist den Versicherern Aufklärung so wichtig? lierten binnen kurzer Zeit mehr Die Menschen brauchen ein Gespür dafür, dass als zwei Millionen Schäden und Naturkatastrophen zunehmen und dass sie überall zahlten 7,2 Milliarden Euro an in Deutschland eintreten können. Unsere Umfra- ihre Kunden aus. Das war nicht gen zeigen, dass sich 90 Prozent der Deutschen vor Dr. Alexander Erdland nur finanziell, das war auch lo- Naturgefahren sicher fühlen. Das ist ein fataler Irr- gistisch und mental eine riesige Leistung der Kol- glaube. 50 Prozent der Hochwasserschäden 2013 leginnen und Kollegen in den Unternehmen vor entstanden in Regionen, die fernab der großen Ort: Sie haben rund um die Uhr gearbeitet, um die Flüsse liegen, wo man das nie vermutet hätte. Die Schäden schnell und unkompliziert zu regulieren. starken Hagelstürme haben ganze Ortschaften in einem Ausmaß verwüstet, das sich niemand vor- Gerade hat die deutsche Versicherungswirtschaft stellen konnte. Deswegen ist die Offenlegung un- zwei Forschungsprojekte mit dem Deutschen serer Erkenntnisse so wichtig: Die Menschen müs- Wetterdienst begonnen, die die Risiken der Na- sen ihr Hab und Gut gegen Naturkatastrophen turgewalten Starkregen und Hagel erkunden. Mit schützen. Ohne entsprechende Vorsorge werden welchem Ziel? mit den Naturkatastrophen auch die Versiche- Unsere Klimastudie zeigt, dass sich Schäden durch rungsbeiträge steigen. Naturgefahren bis zur Jahrhundertwende verdop- peln, wenn nicht gar verdreifachen können. Das Wie kann Vorsorge aussehen? sind die Projektionen namhafter Wissenschaftler Die geht leichter als manch einer denkt. Auch wir – wir forschen jetzt weiter in die Tiefe. Über die Versicherer geben gerne Auskunft darüber. Das regionalen Risiken von Starkregen und von Hagel reicht vom Fliesen der Keller als Schutz vor Über- gibt es noch keine ausreichenden Erkenntnisse. flutung, von der Sicherung von Öltanks vor Hoch- Deswegen freuen wir uns über eine dauerhafte wasser bis hin zur Verstärkung sturmresistenter Kooperation mit dem Deutschen Wetterdienst. Er Dächer. Schutz vor Naturgefahren kann und muss bringt die Ergebnisse seiner Messungen ein, die für jeden so selbstverständlich werden wie das Ver- verknüpfen wir mit unseren Schadendaten. schließen der Haustür, um Einbrecher abzuwehren. Und was ist das Ergebnis? Die Versicherungswirtschaft fordert auch von Lan- Mit dieser Kombination können wir künftig für des- und Bundespolitik Naturgefahrenvorsorge.
5 Andreas, Bernd, Schadenaufwand durch Sturm, Hagel Anteil am gesamten Schadenaufkommen in der Ernst, Manni, Wohngebäudeversicherung 2013 Norbert und Elementarereignisse in der Kyrill Wohngebäudeversicherung (VGV) Elementarschäden Feuer, Leitungswasser seit 2002 in Mio. Euro pro Monat 11 % Sturm und Hagel (Winter) 11 % VGV- Schäden 50 % Sturm und Hagel 600 Elementarschäden Juni- 28 % Flut Sturm und Hagel (Sommer) 500 400 In der Statistik wird der Zeitpunkt der Xynthia Bert, Frank 300 Schadenmeldung Hilal, Naruporn abgebildet. Jeanett Elbe-Flut Emma 200 100 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 Wir fordern nicht mehr, als dass das nationale verschiebt das Zentrum der Problematik. Eine Ver- Aus der Langzeit- Hochwasserschutzprogramm konsequent umge- sicherung für alle signalisiert ja: Egal, was kommt, bilanz der Schäden an Wohngebäuden setzt wird. Die Flüsse brauchen mehr Raum und mir kann nichts passieren. Genauso wie das die ragt 2013 vor allem ausreichend Überschwemmungsflächen. Wir staatlichen Aufbauhilfen versprechen. Da wären wegen der Juni-Flut, nehmen den Parlamentarischen Staatssekretär wir ganz schnell in einer Spirale: Die Schäden den Hagelstürmen im Bundesumweltministerium, Florian Pronold, würden unweigerlich zunehmen und der Versi- im Juli/August und den Orkanen im Ok- daher gern beim Wort. Er hat angekündigt, den cherungsbeitrag ins Unbezahlbare steigen. tober und Dezember Hochwasserschutz länderübergreifend voranzu- heraus. treiben. Dazu gehört, in Überschwemmungsge- Versicherungen verhindern keine Katastrophen. bieten kein Bauland mehr auszuweisen. Zugleich Wir müssen die Menschen vor Naturkatastrophen Weitere Schaden muss für Bauplaner und Architekten risikoange- bewahren, nicht nur danach helfen. Also: Schutz- daten der Versicherer auf: www.gdv.de/ passtes Bauen selbstverständlich werden. Von mauern und Deiche bauen und Überschwem- naturgefahren der Ausführung bis hin zur Verwendung von wi- mungsflächen ausweisen statt nach einer Pflicht- report2014 derstandsfähigen Baumaterialien. Dafür wollen versicherung zu rufen. Wenn Sie einmal in der wir auch mit unserem Hagel-Forschungsprojekt Flutregion mit Menschen gesprochen haben, de- Richtlinien entwerfen. nen das Wasser die Häuser wegspülte, wenn Sie deren Angst und großen Verlust gespürt haben, Herr Dr. Erdland, Sie sprachen vom geringen Ri- dann wissen Sie, dass zuallererst das Eintreten sikobewusstsein, erst 35 Prozent der Menschen solcher existenzieller Schäden verhindert werden sind gegen Elementarschäden wie Hochwasser muss. Eine Versicherung darf doch erst dann ein- und Starkregen versichert. Kann die Pflicht zur setzen, wenn baulicher Hochwasserschutz ver- Versicherung, wie sie der Bundesregierung vor- sagt hat. Wir sind überzeugt, dass Aufklärung und schwebt, Abhilfe schaffen? Vorsorge der bessere Weg sind, um Menschen vor Die Diskussion um eine Pflichtversicherung Naturgefahren zu schützen.
7 Hagel: Gefahr, die aus Gewitterwolken droht Kaum ein anderes Naturereignis kann so schnell so viel vernichten. Kaum ein anderes Naturereignis erscheint so geläufig und – beiläufig. Hagel? Kommt im Sommer, mit Gewitter. Kühlt die Luft heißer Tage ab, bildet bizarre Eisformen. 2013 zogen mehrere Hagelstürme übers Land, deren Gewalt ganze Ortschaften in Katastrophengebiete verwandelte. Blitz- schnell, unerwartet, heftig. In Niedersachsen und Baden-Württemberg machte schnell der Begriff „Jahrtausendhagel“ die Runde. Wie kommen solche Extreme zustande, wie werden sich Hagelstürme künftig entwickeln, welche Schutzmaßnahmen machen sie berechenbarer? Antworten und Ausblicke zum Phänomen Hagel, der Gefahr, die aus Gewit- terwolken droht.
8 KAPITEL EINS: HAGEL ZU R TYPOLOGI E EI N ES PHÄNOMENS „Keine Gegend ist vor Hagel sicher“ Die Hagelstürme des Jahres 2013 zählen zu den schlimmsten in der deutschen Geschichte. Binnen weniger Tage verursachen sie mehr als 1,6 Millionen Schäden, zerstören Häuser, Autos, Unternehmen und Ernten im Wert von 4,8 Milliarden Euro. Welche Gefahren drohen durch Hagel? Das erforscht die Deutsche Versicherungswirtschaft künftig gemeinsam mit dem Deutschen Wetterdienst (DWD). Johann-Dirk Hessel, Leiter des zentralen Klimabüros des DWD, blickt vorab auf ein bekanntes, unbekanntes Unwetter-Phänomen. Es beginnt, wie eben ein Gewitter von 170 Kilometern pro Stunde und schneller pral- beginnt: Dunkle, nahezu schwarze len. Viele solcher extremen Hagelgewitter ziehen im Wolken ziehen auf. Der Wind vergangenen Jahr über ganz Deutschland. Sie sind peitscht Sträucher, Äste, Bäume. Der in ihrer Intensität verheerend, denn sie treffen vor Himmel grummelt und donnert. Die allem auf dicht besiedeltes Gebiet. ersten Regentropfen fallen, dann kommt der Hagel. Macht dieses ge- Herr Hessel, wie lassen sich diese extremen Hagel Johann-Dirk Hessel wöhnliche Gewitter zu einem unge- ereignisse erklären? wöhnlich zerstörerischen Ereignis. Dicht an dicht Die Tendenz zu extremeren Hagelereignissen rasen die eisigen Körner und Brocken in Größen bis wird durch den Klimawandel begünstigt. Klima- zu 14 Zentimeter herab. So dicht, dass sie einen Eis- projektionen zeigen, dass im Sommer die Anzahl vorhang bilden, so laut, dass hinter ihrem Prasseln der Niederschläge zwar weniger wird, dafür aber alle anderen Geräusche verschwinden: das Bersten intensiver. Der DWD beobachtet seit 2001 eine von Fenster- und Autoscheiben oder das Zerspringen signifikante Zunahme starker Hagelschläge, vor von Dachziegeln, auf die sie mit Geschwindigkeiten allem in Süddeutschland.
9 Wo und wie entsteht Hagel? am Nachmittag am höchsten, weil die Luft am Hagel entsteht in sehr großen Gewitterwolken wärmsten ist und die Sonne die meiste Energie mit starken Auf- und Abwinden, die im Sommer abstrahlt. Und im Voralpenland hagelt es häufiger bis zu zehn Kilometer hoch sind. Diese typischen als im Binnenland. Doch keine Gegend in Deutsch- dunklen Quellwolken, die wie Blumenkohl ausse- land ist vor Gewitter und Hagel sicher. hen und in denen starke Turbulenzen herrschen. Das sind die Turbulenzen, in die auch Flugzeuge Ist Hagel immer an Gewitter gebunden? lieber nicht geraten wollen. Ja. Damit dauert die Hagelsaison in der Regel von April bis September. Es gibt auch Wintergewitter Durch die Feuchtigkeit in der Wolke bilden sich mit Hagel. Selten, aber es gibt sie. zunächst Kondensationskerne, Embryos, die durch Anlagerung von Wasser weiter wachsen. Die star- Der Wind, zu Stürmen angewachsen, peitscht ken Aufwinde tragen sie nach oben, wo das Was- nicht nur die Bäume, er peitscht auch den Regen, ser zu Eis gefriert. Sind sie schwer genug, gelan- schließlich treibt er sogar die bis zu 360 Gramm gen sie in den Abwärtsstrom, in dem sich wieder schweren Hagelkörner vor sich her. Die Wasser anlagert. Eventuell werden sie durch den Eisbrocken fliegen waagerecht Hagel ist Eis, das sich in Gewitterwolken der unteren Atmosphäre bildet. Hagelkörner sind mindestens 5 mm groß, das bisher größte Korn hatte einen Durchmesser von 20,32 cm – 2010 in South Dakota/USA. Der größte Eisklumpen in Deutschland maß 14 cm und kam 2013 in Baden-Württemberg herunter, mit einer Geschwindigkeit von etwa 170 km/h und einem Gewicht von rund 360 g. Hagelgefährdet sind Menschen, Tiere, Pflanzen und viele Materialien und Baustoffe wie Glas, Kunststoff, Blech, Solaranlagen, Ziegel, auch Beton und Holz. Hagelregionen sind alle Regionen in Deutschland. In Gebirgsregionen hagelt es häufiger als im Flachland. Hagelstürme sind kleinräumig, d. h. sie ereignen sich oft lokal begrenzt. Aufwind wieder nach oben getrieben und gefrie- durch die Luft, reißen Krater in Hausfassaden, ren dort weiter. Irgendwann sind sie zu schwer für treffen Autokarosserien von allen Seiten, knallen die Atmosphäre und fallen als Hagel auf die Erde. durch Jalousien und Fensterscheiben. Hinterlassen Je länger die Hagelkörner in der Wolke auf- und Trümmer, Scherben, Trümmer. Nachfolgender Re- abgetrieben werden, umso größer werden sie also. gen strömt durch kaputte Dächer, überschwemmt Räume und Hausrat. Sturmböen lassen Bäume auf Wann besteht die größte Hagelgefahr? Gebäude und Autos stürzen. Das reife Getreide gan- Zum Auslösen des Gewitters braucht es einen zer Felder knickt ein. Mechanismus, Sonneneinstrahlung etwa oder die Hebung der Gewitterwolken an Gebirgen. Herr Hessel, wie verlaufen Hagelunwetter? Deshalb ist die Gewitterwahrscheinlichkeit Dazu sollten wir uns den Aufzug solch einer
10 KAPITEL EINS: HAGEL Hagelkorngröße Geschwindigkeit Mögliche Schäden ab 1 cm ca. 50 km/h Verletzungen an Getreiden, Früchten, Schäden an Bäumen ab 2 cm ca. 70 km/h Löcher in Plexiglas, Bruch von Gewächshäusern und Oberlichtern Verletzungsgefahr für Kleintiere, Bruch von Schiefer, Tonziegeln und Fensterscheiben, ab 3 cm ca. 90 km/h sichtbare Dellen an Fahrzeugen Irreparable Schäden an Fahrzeugen, Zerstörung von Ziegel- und Schindeldächern ab 5 cm ca. 110 km/h bis auf die Dachsparren, Bruch von Metallfensterrahmen ab 6 cm ca. 120 km/h Ernsthafte Verletzungsgefahr für Menschen, Zerspringen von Betonziegeln, ernsthafte Schäden an Außenhüllen von Großflugzeugen, Auseinanderreißen kleiner Baumstämme ab 8 cm ca. 140 km/h Lebensgefahr für Menschen, Abplatzen von Betonwänden, Schädigung von Backsteinhäusern Quelle: Hagelregister der Vereinigung Kantonaler Feuerversicherungen, Bern Gewitterwolke, in extremer Ausprägung auch Su- Euro beträgt die Schadensumme an Wohngebäu- perzelle genannt, einmal genauer anschauen. Die den, Hausrat und Gewerbebetrieben; Feldfrüchte Wolke beginnt mit einem flachen Vorbau, dem und Getreide im Wert von 185 Millionen Euro sind Amboss, der die Sonne verdunkelt. Diesem schließt vernichtet. An Fahrzeugen hinterlässt er Schäden sich der Mammatus an, der dicke Wolkenbauch, in im Wert von 1,7 Milliarden Euro. Damit gehört die dem die starken Auf- und Abwinde herrschen. Er Hagelsaison zu den schlimmsten Ereignissen, die drückt die Kaltluft nach unten. Diese schießt dann, die Versicherungswirtschaft je verzeichnete. Aus- in mehr oder minder intensiven Windböen, nach maß und Intensität der Unwetter überraschen die vorn. Deswegen spricht man auch von Hagelstür- Menschen, faszinieren und verstören zugleich. Sie men. Den Böen folgt oft erst Regen, dann kommt stehen unter ihren Vordächern und schauen zu, wie der Hagel. die Hagelbrocken weiße Teppiche auf dem Erdboden bilden. Wenig später müssen sie im Regen aufs Dach, Sind die Windböen stark genug, treiben sie den um die faustgroßen Löcher, die der Hagel dicht an Hagel waagerecht vor sich her. Oft springen Ha- dicht schlug, notdürftig mit Folien abzudichten. gelkörner vom Erdboden aus wieder nach oben und verursachen so Schäden. Am Ende der zie- Wer schützt sich und sein Heim schon vor dro- henden Superzelle, die bis zu zwölf Kilometer lang hendem Hagel? Verbindliche Kriterien, etwa für sein kann, folgt dann aufsteigende feuchtwarme hagelresistente Baumaterialien, existieren in Strömung. Daraus können Tornados werden. Die Deutschland nicht. Die regionale Verteilung von Hagelstürme 2013 dauerten oftmals weniger als Hagelereignissen ist Inhalt eines Forschungspro- eine halbe Stunde. jekts, das die Versicherungswirtschaft gemeinsam mit dem DWD plant. Wovon hängt die Dauer eines Unwetters ab? Die Dauer hängt von der Zuggeschwindigkeit Herr Hessel, wie erforscht der DWD Hagelstürme? der Gewitterwolken ab. Es kann binnen Minuten Durch unsere Wetterbeobachtungen haben wir Er- vorbei sein. Doch wenn ein Hochdruckgebiet vor- kenntnisse seit etwa 100 Jahren. Da jedoch Hagel herrscht, dann gibt es keine Luftströmung und das ereignisse oft kleinräumig sind, können sie von un- Gewitter verweilt längere Zeit. seren Beobachtungsstationen allein nicht erfasst werden. Diese sehen zum Beispiel 20 Kilometer Am Ende dieses zerstörenden Hagel-Sommers 2013 entfernte Hagelstürme nicht. Erst seit 2001 kön- stehen Hunderttausende Schäden. 2,9 Milliarden nen wir mithilfe unserer Radargeräte Hagel auch
11 in der Fläche belastbar klimatologisch auswerten. aufzubauen, also eine Hagelkarte, die die Hagel- Zudem erkennen wir anhand der Daten zu Ha- risiken für jedes Gebiet in Deutschland sichtbar gelschäden, die uns die Versicherungswirtschaft macht. Diese Karte ist dann die Grundlage für die zur Verfügung stellt, an welchem Tag in welchen Versicherungswirtschaft, konkrete Tendenzen ab- Regionen viele Hagelschäden auftreten. Das ver- lesen zu können, um Maßnahmen für die setzt uns jetzt in die Lage, eine Hagelklimatologie Schadenverhütung zu entwickeln. Die teuersten Hagelstürme in der Sachversicherung seit 1993 Naturereignis Schaden Durchschnitts- Schadenaufwand anzahl schaden in Mio. Euro Hagelstürme Andreas/Bernd 310.000 5.190 € 1.900 (27.07. und 28.07.2013) Hagelsturm Hilal 160.000 1.880 € 330 (30.05.2008) Hagelsturm Frank 90.000 3.010 € 300 (11.09.2011) Hagelsturm Ernst 130.000 2.230 € 300 (06.08.2013) Hagelstürme Manni/Norbert 300 200.000 1.540 € (20.06.2013) Hagelsturm Bert 230 65.000 3.200 € (26.08.2011) Hagelsturm Queeny 20.000 10.660 € 230 (28.06.2006) LANDWIRTSCHAFT Hagelstürme 87.000 2.410 € 209 im Jahr 1993
12 KAPITEL EINS: HAGEL KRISENMANAGEMENT „Die Menschen brauchen ja ihr Dach überm Kopf“ Die extremen Hagelunwetter des Jahres 2013 überziehen ganz Deutschland mit schweren Schäden. Zwei Landstriche trifft es besonders hart. Die Region um das niedersächsische Lehrte und der Raum um Reutlingen in Baden-Württemberg werden zu Katastrophengebieten, die der Öffentlichkeit weitgehend verborgen bleiben. Die örtlichen Versicherer helfen Zehntausenden Menschen binnen weniger Wochen und Monate. Ein Report über ein bisher einzigartiges Krisenmanagement, beispielhaft für die Arbeit der Versicherer in ganz Deutschland. „Hagel 2013 – ich war dabei“ – diesen Aufkleber in nicht mal zwölf Monaten, mit erzwungener für die Heckscheibe hat Michael Quast von einem Winterpause? dankbaren Kunden geschenkt bekommen. Der Schadenregulierer war dabei und mittendrin. Er ist „Akutwarnung. Sehr schweres Gewitter verbun- auf rund 200 zerstörte Dächer geklettert und hat den mit Wolkenbruch und schwerem Hagel. deren Schäden dokumentiert und bewertet. Er hat, Warnstufe Violett“, meldet der Deutsche Wetter- gemeinsam mit unzähligen Versicherungskolle- dienst in den Nachmittagsstunden des 27. Juli gen, diesen Hagel mitgestemmt. Quast und seine 2013. Und weiter: „Machen Sie keine längeren Kollegen haben Tausenden Menschen, denen die Spaziergänge im Freien!“ Eisbrocken-Stürme die Dächer wegfegten oder die Fensterfronten zerbrachen, zur Seite gestanden. Das sehr schwere Gewitter zieht an diesem späten Samstagnachmittag vom nordrhein-westfälischen Der Hagel 2013 ist noch nicht vorbei. Auch über Bielefeld bis in die sachsen-anhaltische Altmark. ein Jahr danach noch nicht. Noch immer warten Es tobt sich vor allem in der Gegend östlich von Menschen in den kleinen Ortschaften in Nieder- Hannover aus. Eisbrocken, bis zu 12,5 Zentime- sachsen auf die Handwerker, die Restarbeiten an ter groß, rasen mit Geschwindigkeiten von bis zu den notdürftig geflickten Dächern vornehmen. 170 Kilometern pro Stunde herunter. Sie durchlö- Bei jedem Regen schauen sie nach, dass nichts chern Dachziegel und Schindeln, zerfetzen Plexi- wieder durchtropft. Bei jeder Gewitterwolke ban- glasscheiben und Glasabdeckungen, reißen Folien, gen sie, dass es nicht wieder hagelt. Doch welcher Jalousien, Fenstergitter kaputt. „Es gibt in man- Handwerker kann, auch wenn er 12 bis 16 Stun- chen Ortschaften ganze Straßenzüge, in denen den täglich arbeitet, über 16.000 Dächer erneuern kein Dach mehr ganz ist“, meldet Dirk Hillebrecht
13 von den VGH Versicherungen, einem der regionalen Derweil läuft in der VGH-Zentrale der Kumulplan Versicherer. Zunächst sind Feuerwehren und Tech- an. Eine Art Katastrophenplan für das Schadenma- nisches Hilfswerk im Dauereinsatz. Wenig später, nagement verheerender Naturereignisse. Alle ver- noch an diesem Unwetter-Wochenende, die Kolle- fügbaren Kollegen, auch aus nicht betroffenen Re- gen der Versicherer. gionalbüros, werden zusammengeholt. Die Azubis müssen mit ran, an die Hotlines, in die Schaden- Was ist jetzt als Erstes zu tun? Für Menschen, die das aufnahme. Treffen mit der Dachdecker-Innung fol- erste Mal von solch einer Katastrophe heimgesucht gen, Abstimmungen über Sanierungsumfang und werden, eine existenzielle Frage. Via Facebook und darüber, wie schnell und unbürokratisch verfahren Twitter geben die Versicherungsmitarbeiter erste werden kann. Hinweise: „Dach sichern und mit Notabdeckung versehen, Schäden fotografieren und Schäden mel- 6.000, 9.000, 17.000. Die Zahl der gemeldeten Schä- den. Bringen Sie sich selbst nicht in Gefahr!“ Und den nimmt, so scheint es, kein Ende. Über 70 Milli- überall in der Region melden die Versicherungsbü- onen Euro Schäden allein an Wohngebäuden ver- ros ihren Kunden: „Wir haben auch am Sonntag für zeichnet die VGH, dazu noch mal 25 Millionen Euro Sie geöffnet.“ Sie posten ihre Handynummern, die für kaputte Fahrzeuge und zerschlagene Felder. VGH-Direktion schaltet die 24-Stunden-Hotline für Informationen und Schadenmeldungen frei, wenig Schon bald wird klar: Der bisherige Kumulplan, der später auch die Online-Variante. sich vor allem an Sturmkatastrophen orientiert, greift nur bedingt. „Sturm kommt von der Seite, Langsam, ganz allmählich, schütteln die Menschen Hagel von oben“, beschreibt Michael Quast den den Schock ab, sichern die Dächer, räumen auf, Unterschied. Die Schäden, die der Hagel anrichtet, was der Hagel verwüstet hat – die Scherben, die sind deutlich höher als Sturmschäden: In viele Häu- Ziegel, die Putzbrocken und heruntergerissenen ser reißt er Löcher, deren Reparatur mehr als 20.000 Äste. Die Straßenzüge, über die die Hagelstürme Euro kostet, viele Dächer sind Komplettschäden. hinwegfegten, gleichen Patchwork-Bildern. Auf je- Einzelschäden von mehr als 50.000 Euro sind keine dem Dach eine blaue, graue oder orange Folie als Seltenheit. Dafür braucht es Gutachter, Experten Notabdeckung. Die größten Hagelstücke heben vom Bau, die die Schäden vor Ort bewerten und die die Menschen im Kühlschrank auf. Sanierung begleiten. Architekten, Ingenieure. Weit
14 KAPITEL EINS: HAGEL mehr, als bisher im Pool der Versicherung arbeiten. ausgepumpten Räume zu trocknen. Doch woher Wieder beginnt das Telefonieren. nehmen? Im Reutlinger Raum brauchen sie vor allem Tro- Die Reservoirs im Umfeld sind wie leer gefegt. ckengeräte. Nur einen Tag nach Niedersachsen Sämtliche Trockengeräte, so scheint es, rotieren hagelt es auch in den baden-württembergischen in Bayern, in Sachsen und Sachsen-Anhalt. Es ist Landstrichen. Und auch hier erreicht der Hagel fünf Wochen nach dem katastrophalen Juni-Hoch- ein nie dagewesenes Ausmaß. Zwar gilt die Ge- wasser, die Menschen dort trocknen ihre über- gend als „hagelerprobt“, das letzte schwere Un- schwemmten Häuser. Woher Trockner nehmen? Sachversicherung: 880.000 Schäden im Wert von 2,9 Milliarden Euro, davon Schäden an Wohngebäuden: 520.000 Schäden im Wert von 1,6 Milliarden Euro Schäden an Kfz: 690.000 Schäden im Wert von 1,7 Milliarden Euro Landwirtschaftlicher Schaden: 185 Millionen Euro Größter Einzelschaden: 45 Millionen Euro wetter in Villingen-Schwenningen liegt erst ein Bis ins Ausland telefonieren sie, um die Geräte paar Jahre zurück. Aber „diese Intensität hatten nach Baden-Württemberg zu bringen, sagt Peter wir noch nicht“, sagt Peter Philipp, Leiter der Ab- Philipp. Sein sachlicher Ton verbirgt, welch logis- teilung Haftpflicht/Sachschaden bei der Stuttgar- tische Leistung hinter diesem Unterfangen steht: ter Sparkassenversicherung. 70.000 Schäden, 600 Trockner für Tausende feuchter Häuser zu organi- Millionen Euro Schaden- sieren. Notquartiere für die summe innerhalb von 15 Menschen, deren Häuser Minuten. „Unsere Devise lautet: Einen unbewohnbar sind. Das Tag nach Schadenbegutach- funktioniert nur, wenn sie Manche der Häuser sehen tung fließt das Geld.“ Hand in Hand arbeiten, aus wie nach einem Artille- Schadenmanager, Gutach- riebeschuss – ein treffende- Peter Philipp, Leiter der Abteilung ter, Handwerker, Gemein- Haftpflicht/Sachschaden der Stutt- res als das militärische Bild garter Sparkassenversicherung deverwaltungen. scheint es nicht zu geben. „Durchlöchert wie Schwei- Die Stuttgarter Sparkas- zer Käse“, schreiben die Lo- senversicherung kann kalzeitungen am nächsten Tag etwas salopp. Der mit hohem Einsatz aller Mitarbeiter, mit zusätzli- Sturm treibt die Hagelkörner nahezu waagerecht chen Aushilfen und technischem Know-how, den durch die Luft, zerlöchert nicht nur die Dächer, Hagel-Opfern weitere Hilfe bieten: Sie erstellt die auch Fensterscheiben und Hausfassaden. Kostenvoranschläge für die Sanierung und orga- nisiert ihnen gleich noch die Handwerker. „Viele Es kommt noch schlimmer. Nachfolgender Stark Menschen waren so aufgewühlt wegen ihrer zer- regen rinnt ungehindert durch die durchlöcher- störten Dächer, die haben das dankbar genutzt.“ ten Dächer in die Wohnräume, flutet Gebäude Sich nicht auch noch um komplizierte Details und und Hausrat. Trockengeräte müssen her, um die deren Kosten kümmern müssen, darum, dass die
15 Dachdecker kommen, das hilft, sich nach der Kata- fahrtüchtig sind? Beide Versicherungen mie- strophe wieder zurechtzufinden. Zeitweise sind bis ten große Hallen und Zelte an, um geschädigte zu 260 Handwerksfirmen gleichzeitig im Einsatz. Autofahrer schnell und unkompliziert bedienen zu können. „Zuerst lassen wir die Glasschäden Was brauchen die Menschen noch in dieser Kri- machen, damit die Autos wieder fahren können. sensituation? Die Gewissheit, dass die Versiche- Dann kommen die Blechdoktoren, bis aus Italien, rung auch die finanziellen Kosten der Schäden die die Dellen aus den Karosserien ausbeulen“, übernimmt. „Einen Tag nach der Begutachtung sagt Peter Philipp. fließt das Geld“, diese Devise hat der Stuttgarter Versicherer ausgegeben und gehalten. Auch das Wieder braucht es Experten, Kfz-Gutachter. Spe- schafft Sicherheit. zielles Licht in den Hallen, damit die Schäden auch korrekt bewertet werden können. An den Kumulplan hin, Kumulplan her. In der Realität ge- Schreibtischen sitzen zusätzlich Azubis und Aus- hen die Versicherer auch unkonventionelle Wege. hilfskräfte. 12, 16 Stunden am Tag, auch am Wo- Die niedersächsische VGH erhöht die Schaden- chenende. summe, über die die Versicherungsvertreter vor Ort selbst entscheiden können, ohne Experten- Und dann gibt es, in dieser atemlosen Katast- begutachtung. Damit es schneller geht. Die Men- rophenzeit, bei Zehntausenden, teilweise exis- schen brauchen doch wieder bewohnbare Häuser. tenziellen Schäden, auch solche kleinen, nun ja, Die Stuttgarter Sparkassenversicherung schickt Glücksmomente: In einem niedersächsischen mobile Büros los, kleine Servicestellen, die vor Ort Einfamilienhaus bricht der Hagel durchs ge- für die Menschen da sind. Erst nach fünf Mona- schlossene Dachfenster, mit solcher Wucht, ten, kurz vor Weihnachten, kann das letzte dieser dass er auch das darunter stehende Toiletten- drei Büros schließen. becken sprengt. „Nicht auszudenken, wenn da jemand drauf gesessen hätte ...“, sagt der Scha- Was ist mit den Zehntausenden von Autos, die denregulierer Michael Quast. Hat zum Glück zersplittert, zerbeult und durchlöchert kaum noch niemand.
16 KAPITEL EINS: HAGEL HAGELSCHÄDEN Von unsichtbaren Haarrissen bis Totalschäden Hagel trifft Dachziegel, zerlöchert ganze Dächer, zerstört sensible Solaranlagen, zerbeult Autos und „Hagel verursacht besonders hohe vernichtet Ernten. Die blitzschnelle Gefahr aus Schäden. Wir hatten viele Hagelschä- Gewitterwolken trifft umso stärker, je größer und den von jeweils über 50.000 Euro an schneller die Hagelkörner sind. Einige Beispiele. Wohngebäuden.“ Dirk Hillebrecht, Abteilungsleiter Private Sachversicherung/Grundsatzfragen der VGH Versicherungen Dächer Faustgroße Löcher, dicht an dicht. Kommt der Hagel senkrecht herunter, trifft er vor allem Dächer. Bereits drei Zentimeter große Eiskörner brechen Schindeln. Gefährlich sind auch die feinen, meist unsichtbaren Haarrisse. Wenn es friert, sprengen sie die Schindeln auf. Schon kleinere Hagelkörner schlagen Haarrisse in Dachziegel. Fassaden Unerwartet und besonders schadenträchtig: Wird Hagel von starkem Sturm durch die Luft getrieben, trifft er Hausfassaden, lässt Putz ab- splittern. Ab acht Zentimeter Korngröße hält das Mauerwerk dem Einschlag nicht mehr stand.
17 Solaranlagen Solaranlagen sind die verletzlichsten Stellen des Hauses. Je nach Qualität können schon zwei Zentimeter große Hagelkörner die sensible und teure Technologie zerstören. Gefährdet ist sie vor allem, wenn der Hagel senkrecht fällt. Memb ranschichten können die Folgen des Hageleinschlags mildern. Fahrzeuge Stehen Fahrzeuge im Freien, schlagen schon drei Zentimeter große Hagelkörner tiefe Dellen in die Karosserie. Ab fünf Zentimeter wird es auch für Front- und Heckscheiben gefährlich. Eindringende Feuchtigkeit kann Innenraum und Elektronik des Fahrzeugs schwer schädigen. Schutz vor Hagelstürmen bieten letztlich nur solide Bauwerke wie z. B. eine Garage oder ein Parkhaus. Landwirtschaft Die Landwirtschaft ist von Hagelschlägen be- sonders häufig betroffen. Mais, Raps, Getreide und andere Feldfrüchte sind den Unwettern nahezu schutzlos ausgesetzt. Landwirte behel- fen sich mit Hagelschutznetzen. Auch Blumen und Pflanzen von Gärtnereien sind schon ab ein Zentimeter Hagelkorngröße gefährdet. Von verglasten Gewächshäusern bleibt nach einem Hagelschlag oft nur das Metallgerüst stehen.
18 KAPITEL EINS: HAGEL H A G E L P R ÄV E N T I O N Widerstand nach Schweizer Vorbild Extreme Hagelstürme mehren sich, doch beim Hagelschutz hat Deutschland Nachholbedarf. Die Gefahr, die aus Gewitter- wolken stürzt, wird hierzulande unterschätzt. Ein Forschungsprojekt von Versicherungswirtschaft und Deutschem Wetter- dienst (DWD) will Abhilfe schaffen. Ebenso wie der Blick über den Alpenrand, nach Österreich und in die Schweiz, die in Sa- chen Hagelforschung Vorreiter sind. „Die Kollegen aus den Alpenlän- dern prüfen die Hagelresistenz Wann hagelt es wo und wie stark, von Materialien mit hoch Hagelkörnern aus sogenannten welche Schäden werden verursacht? präzisen Hagelbeschussmaschi- Hagelkanonen beschossen – eine Diese Fragen will das gemeinsame nen. Oberflächen werden dabei Simulation realer Hagelereignisse. Forschungsprojekt beantworten. mit genormten, unterschiedlich In einem weiteren Schritt soll un- großen Hagelkörnern in ver- In den Internetportalen www.ha- tersucht werden, welcher bauliche schiedenen Geschwindigkeiten gelregister.ch und www.hagelre- Schutz in den jeweiligen Hagelregi- beschossen und die Schäden gister.at sind beispielsweise wider- onen angemessen ist und welchen ausgewertet. Eine beeindru- standsfähige Materialien für Dach Kriterien hagelrestistente Materia- und Fassade gelistet, die besonders ckende wie verlässliche Techno- lien entsprechen müssen. hagelgefährdet sind: Dachrinnen, logie. Die Resultate sind vorbild- Dachziegel, Oberlichter, Kunststoff- haft auch für Deutschland.“ Das Ausmaß der Schäden ist zum Jalousien und Solaranlagen. einen von der Qualität der Baustoffe Oliver Hauner, Leiter Sachversicherung und zum anderen von Größe und beim GDV Für Treibhäuser empfehlen die Geschwindigkeit der Hagelkörner Schweizer Versicherer Schutznetze; abhängig. für die besonders empfindlichen Außenbauteile von Solaranlagen, insbesondere Solarmodule Entsprechend muss sich die Hagelprävention gestalten. Da- und -kollektoren werden Membranschichten empfohlen. bei stützen sich die deutschen Versicherer auf die Erkennt- nisse ihrer Kollegen aus Österreich und der Schweiz. Hier Ziel der deutschen Versicherer ist es, ein ähnliches Regis- werden Baustoffe entsprechend ihrer Resistenz in mehre- ter mit eindeutigen und geeigneten Kriterien und Hand- ren Widerstandsklassen zertifiziert. Um diese erstellen zu lungsempfehlungen für Verbraucher und Hersteller zu können, haben Ingenieure die Materialien mit genormten publizieren. Versicherungsschutz Hagelschutz am Gebäude Zum Schutz der Dächer: bei Hagelschäden: hagelresistente Materialien Besonders gefährdet bei senkrechtem Schutz vor finanziellen Hagel: Dach, Oberlichter, Solaranlagen, Schäden durch Hagel, Dachrinnen. Bei Hagel mit Sturm Sturm und Blitzein- (schräg, seitlich): Fassaden, Jalousien, Fenster, Solar- schlag am Gebäude Für Oberlichter: module samt aller fest einge- hagelresistente Materialien bauten Gegenstände bietet die Wohngebäu- Schutz empfindlicher Solaranlagen: deversicherung. Die hagelresistente Materialien, Mem bran aus zweiter Schutzschicht Hausratversicherung schützt den gesamten Hausrat vor den Folgen Zum Schutz der Fassaden: Zum Schutz der Fenster: dieser Naturgefahren. hagelresistentes Glas Dachüberstände, hagelresistente Materialien
19 K A TA S T R O P H E N W A R N S Y S T E M K A T W A R N Vorsicht! Hagelschlag! Schnell und individuell schickt KATWARN standortgenaue Katas trophenwarnungen aufs Mobiltelefon. Wie dieses verlässliche System funktioniert, erklärt Arno Vetter vom Verband öffentlicher Versicherer, der KATWARN gemeinsam mit dem Fraunhofer-Insti- tut und Mitgliedsunternehmen des GDV entwickelt hat. Herr Vetter, was ist KATWARN? KATWARN ist ein Warnsystem, STIC HWORT das nicht nur über eine dro- K AT WA R N hende Gefahr informiert, son- dern auch, in welchem Postleit- Das mobile Katastrophen- zahlengebiet diese Gefahr droht warnsystem KATWARN ist und wie zu handeln ist. Damit eine für Verbraucher kos- erreichen wir sehr schnell und tenlose App bzw. ein SMS- überall in Deutschland die Men- Dienst. Einmal angemel- schen auf dem Gerät, das na- det, erhalten die Nutzer hezu jeder bei sich trägt: Handy für ihren Wohnort oder oder Smartphone. Das hilft, sich den Ort, an dem sie sich in Sicherheit zu bringen und gerade befinden, aktuelle Schäden zu vermeiden. Katastrophenwarnungen und Schutzhinweise aufs Wer nutzt KATWARN? Smartphone oder Handy. KATWARN steht allen Kommu- Voraussetzung: Die je- nen und Landkreisen zur Verfü- weilige Kommune hat gung. Die jeweiligen Katastro- KATWARN erworben und phenschutzzentralen speisen vermeldet regionale Ge- ihre Informationen ein. Das fahren. heißt, jede Kommune, die KAT- WARN erworben hat, entschei- det selbst, welche Information sie an ihre Einwohner übermittelt: Das reicht vom drohenden Hagelgewitter bis zum Hochwasser- Pegelstand oder zum Schulausfall wegen eines Wassereinbruchs. Zusätzlich werden die Unwetterwarnungen des Deutschen Wet- terdienstes bei höchster Warnstufe vermeldet. Wie funktioniert KATWARN im Detail? Sie melden sich in dem System per App oder SMS an. Dort geben Sie Ihre Postleitzahl ein, per App können Sie sogar zwei Postleit- zahlen angeben. Droht in Ihrem Wohngebiet oder dort, wo Sie sich gerade befinden, eine Gefahr, erhalten Sie diesen Hinweis mit einem deutlichen Sonderton auf Ihr Gerät: Was ist das für eine Ge- fahr? Wie kann ich mich schützen? Auf gleichem Weg erfahren Sie auch, wenn Entwarnung gegeben wird. Infos zum Anmelden: www.katwarn.de
20 KAPITEL ZWEI: SCHADENBILANZ 2013
21 Das Jahr der Naturkatastrophen Was für ein Jahr. Schlag auf Schlag folgen verheerende Ereignisse, Schäden für Schäden türmen sich zu Milliardensummen. Hoch- wasser, Hagel und Stürme diktieren dem Land einen eigenen Kalender, versetzen es binnen weniger Stunden und Tage in Kata- strophen- und Ausnahmezustände. Es sind teilweise existenzbedrohende Schäden, die Juni-Flut, sommerliche Hagelstürme und herbstliche Orkane im ganzen Land hinterlas- sen. Schäden, die die Menschen nicht nur in ihren materiellen Grundfesten erschüttern, sondern auch emotional tief treffen. Was die Naturgewalten insgesamt und im Einzelnen an Wohngebäuden anrichten, welche – teils menschengemachten – Ursachen die Schäden haben und wie sich wirksam davor schützen lässt: das Ausnah- mejahr 2013 in Ereignissen und Zahlen.
22 KAPITEL ZWEI: SCHADENBILANZ 2013 DAS AUSNAHMEJAH R 2013 Milliardenschäden binnen weniger Tage Zwei Wochen währt die Flut vor allem im Süden und Osten des Landes, vier Tage lang schlägt der Hagel über Norden, Mitte und Südwesten hart zu, drei Tage toben die Stürme entlang der Küsten und im Binnenland. Das Resultat: Milliardenschäden. Die schlimmsten Ereignisse 2013 im Rückblick. +++ Erst kommt die Flut. +++ 6. Juni, Donnerstag. Dresden wappnet sich und übersteht die Flut deutlich besser als 2002, Starker Regen hat das Land durchweicht, die historische Altstadt bleibt auch dank neuer lässt die Flüsse anschwellen, die kleinen Schutzwälle unbeschadet. und die großen, vom kühlen Mai bis in den feuchten Juni hinein. Die Flut wächst zu 9. Juni, Sonntag. Magdeburg evakuiert 23.000 historischen Pegelhöchstständen und kilo- Menschen vor dem schlimmsten Hochwasser al- meterweiten Überschwemmungen, tausend- ler Zeiten. Drei lange Wochen bleibt das Wasser, fachen Evakuierungen und Schäden, die denen in der Stadt herrscht Katastrophenalarm. des Elbhochwassers von 2002 gleichen. 140.000 versicherte Schäden binnen 14 Tagen. 10. Juni, Montag. Deichbruch in Fischbeck in Die schlimmsten Sachsen-Anhalt. Das Wasser kommt binnen Naturkatastrophen 2. Juni, Sonntag. Die Wassermenge in kleinen Flüssen Stunden kilometerweit ins Land geströmt und lokalisiert: Wäh- rend die Juni-Flut wie Sprotte und Pleiße in Thüringen verdreifacht sich breitet sich in Dutzenden Dörfern aus, auf den die östlichen und und lässt Talsperren überlaufen. Ganze Gemeinden Straßen, in Kellern und Erdgeschossen. 10.000 südlichen Bundeslän- werden evakuiert. Menschen fliehen vor den Fluten. der am stärksten traf, wütete der Hagel in Niedersachsen und 3. Juni, Montag. Große Flüsse wie Elbe und Donau über- +++ Es folgt der Hagel. +++ Baden-Württemberg. schwemmen über lange Strecken ungewöhnlich große Die Orkane im Herbst/ Gebiete. Historischer Pegelhöchststand von 12,89 Me- Die ersten Unwetter ziehen übers Land, da Winter richteten die ter in der Hochwasser-Stadt Passau, hüfthohes Wasser herrscht in den Flutregionen noch Katastrophen- stärksten Schäden im Norden an. in weiten Teilen der Stadt. Katastrophenalarm. alarm. Ungewöhnlich kurze, ungewöhnlich ver- heerende Unwetter sind es. Hagelstürme werden 5. Juni, Mittwoch. Deichbruch im bayerischen Deg folgen, die die betroffenen Landstriche noch nie gendorf. Das Wasser kommt so schnell und so gewal- erlebt haben. Wenn von der zweiten Jahrhun- tig, dass viele nur noch fliehen können. Tagelang gibt dertflut nach 2002, binnen elf Jahren, die Rede es nur Hubschrauberverkehr. Wer mit dem Boot fährt, ist, sprechen sie in Niedersachsen und Baden- muss treibendem Hausrat ausweichen. Württemberg vom Jahrtausendhagel. Auf einen Blick: Schäden durch Naturgefahren 2013 in Höhe von 7,2 Milliarden Euro Sachversicherung Kfz-Versicherung Wohngebäude, Hausrat, Industrie, Gewerbe und Landwirtschaft Voll- und Teilkasko 5,5 600 Mio. € 3,1 Mrd. € 1,8 Mrd. € 1,7 Mrd. € 1,7 Mrd. € Mrd. € 500.000 910.000 130.000 690.000 30 Mio. € für 7.000 Sturmschäden Hagelschäden Hochwasserschäden Sturm-/Hagelschäden Hochwasserschäden
23 27. Juli, Samstag. Brütende Hitze im ganzen Land, Flugzeug fliegen – nichts geht mehr bei Sturm- Temperaturen um die 40 Grad. Plötzlich Gewit- böen von bis zu 172 Kilometern pro Stunde. Der Or- ter, Hagel von ungewohnter Intensität und Größe kan beschädigt nicht nur die Häuser, er greift auch schlägt Löcher in Dächer, Fassaden, Gewächshäu- ins öffentliche Leben ein und legt ser. Tief Andreas zieht vom Ruhrgebiet bis nach es in weiten Teilen Deutschlands Wolfsburg, mit kurzen, starken Hagelschlägen lahm. 300 bis 400 Millionen Euro „Wir haben es von 20, 30 Minuten Dauer. Dann ist alles vorbei. versicherte Sachschäden entste- 2013 mit einem hen binnen weniger Stunden. der schlimmsten Hagel ist – wenn es einen Vergleich geben kann – Jahre in der tückischer als die Flut: Vor diesen Hagelschlägen 5. Dezember, Donnerstag. Knapp Geschichte der gibt es nur kurzfristige Vorwarnung. Sie kommen sechs Wochen später. Kurz vor Ni- deutschen Ver- binnen Minuten. kolaus, weder Frost noch Schnee sicherungswirt- in Sicht. Stattdessen wieder ein schaft zu tun.“ 28. Juli, Sonntag. Hagelstürme in Baden-Württem- Orkan. Xaver kommt langsamer berg von Villingen-Schwenningen bis Schwäbisch und er bleibt länger als Christian, Dr. Alexander Erdland, Präsident des GDV Hall. Keine 24 Stunden nach dem Norden trifft es schickt Gewitter voraus. Zu Sturm- den Süden. Der schlimmste Hagelschlag dieses böen kommen starke Regenfälle Sommers trifft den Raum Reutlingen. Der Hagel und, wieder, Hagel. Später Eis und kommt waagerecht und zerschlägt Fensterscheiben Schnee. Ab dem Nachmittag ruht für zwei Tage in und Mauerwerk. Unzählige Menschen müssen aus einem Großteil Norddeutschlands das öffentliche ihren zerstörten Häusern in Notquartiere umzie- Leben. Schulen und Universitäten in Hamburg und hen. Knapp 2 Milliarden Euro Sachschäden allein an Schleswig-Holstein haben sturmfrei, deutschland- diesem Wochenende. Doch es ist noch nicht vorbei. weit schließen Weihnachtsmärkte, vor allem im Westen und Süden. Der Schiffs- und Bahnverkehr 6. August, der übernächste Dienstag. Immer noch wird eingestellt, Flüge fallen aus. Keiner geht bei brütende Hitze. Vielerorts schmilzt der Asphalt. Die Windgeschwindigkeiten von bis zu 159 Kilome- Gewitter bringen keine Erleichterung, sie bringen tern pro Stunde vor die Tür. wieder Millionenschäden: vor allem in Baden-Würt- temberg, Bayern, Sachsen. 14 Zentimeter misst der 6. Dezember, Freitag. In der Nacht türmt Xaver die größte gefundene Eisbrocken. Nordseewellen auf acht Meter. Sturmfluten rollen im Rhythmus der Gezeiten aufs Land. Am frühen +++ Noch immer kein Ende in Sicht. Mit dem Morgen erreicht Hamburg seinen Höchstpegel, Herbst kommen die Orkane, mit ihnen neue Zer- 6,09 Meter, die zweithöchste Sturmflut seit Beginn störung. +++ der Messungen. Anders als die Flut an Donau, Inn und Elbe sechs Monate zuvor kommt diese Flut aus 28. Oktober, Montag. Der Herbst ist viel zu warm. dem Meer. In den Häusern auf dem Hamburger Orkan Christian kommt vom westlichen Atlantik Fischmarkt steht das Wasser 2,50 Meter hoch. Die und fegt über Nord- und Mitteldeutschland hin- Nordseeinseln werden evakuiert. Als Xaver über die weg. In den Flut- und Hagelgebieten bauen sie Ostseeküste weiter gen Baltikum zieht, hat er versi- noch ihre Häuser auf, da zerstört Christian an- cherte Sachschäden im Wert von 100 bis 200 Millio- dernorts weitere Häuser. Auto oder Zug fahren, nen Euro hinterlassen.
24 KAPITEL ZWEI: SCHADENBILANZ 2013 DIE FLUT UND IHRE SCHÄDEN Ölverseuchtes Wasser, meterhoch Die Flut hat Deutschland im Juni 2013 im Griff. Mit 140.000 versicherten Schäden im Wert von 1,8 Mil- liarden Euro erreicht das Hochwasser das Schadenausmaß der Elbe-Flut von 2002. „Die zweite Hoch- wasserkatastrophe mit Milliardenschäden innerhalb von elf Jahren. Es scheint, als müssten wir uns an Fluten mit diesen Schadendimensionen gewöhnen“, sagt GDV- „Ich bin beeindruckt, Präsident Dr. Alexander Erdland. wie schnell und gut die Versicherer agiert haben. Wir hatten keine signifi- kanten Beschwerden auf Wieder, wie bereits 2002, Auch Sachsen-Anhalt (310 Millionen Euro), Bayern dem Tisch. Hier haben die trifft es das Bundesland Sach- (270 Millionen Euro) und Thüringen (140 Millio- Versicherer wirklich Her- sen am stärksten. Fast 900 nen Euro) sind stark von der Flut geschädigt. Ins- ausragendes geleistet.“ Millionen Euro, die Hälfte der gesamt trifft das Hochwasser acht Bundesländer. gesamten versicherten Scha- Hermann-Josef Tenhagen, Chefredakteur von „Finanztest“ densumme, betragen die In drei wesentlichen Punkten unterscheidet sich (Mai 2014) Schäden an Wohngebäuden, indes das Juni-Hochwasser 2013 von der Elbe-Flut Hausrat und Gewerbe im 2002: Nicht die Sturzfluten sorgen für schwere Land an der Elbe. Doch das Schäden, sondern die Überschwemmungen Bundesland hat vorgesorgt: Mit staatlichen und durch lang anhaltende Regenfälle in Regionen individuellen Hochwasserschutzmaßnahmen abseits der großen Flüsse. Dort wo ein Großteil konnten die Sachsen das Ausmaß der Schäden der betroffenen Menschen, insgesamt 85 Prozent, unter dem der Elbe-Flut halten. wohnt. Mehr als die Hälfte der Schäden entste- hen in Regionen, in denen die Wahrscheinlichkeit eintretenden Hochwassers in Zeitabständen von 200 Jahren liegt. Der Starkregen kann nicht mehr Vom Juni-Hochwasser am stärksten betroffene Bundesländer versickern, weil die Böden so wassergesättigt sind, wie seit 60 Jahren nicht mehr. Weil der Regen auch S C H L E SW I G - H O L ST E I N D E U TS C H L A N D I N S G E S A MT: HAMBURG MECKLENBURG- VO R P O M M E R N Monatlicher Schadenaufwand 2013 in der Wohn 1,8 Mrd. Euro gebäudeversicherung mit Elementardeckung* BREMEN für 130.000 Schäden an pro Monat in Mio. Euro Wohngebäuden, Hausrat, NIEDERSACHSEN Industrie, Gewerbe 380,8 und Landwirtschaft BERLIN S C H A D E N AU F WA N D In der Statistik wird der 2 0 1 3 I N S G E S A MT: BRANDENBURG Zeitpunkt der Schaden- 310 Mio. € meldung abgebildet. 660 Mio. Euro S A C H S E N - A N H A LT NORDRHEIN- W E ST FA L E N 132,7 900 Mio. € SACHSEN 140 Mio. € HESSEN THÜRINGEN RHEINLAND- P FA L Z SAARLAND 36,7 Wieder, wie 270 Mio. € 21,4 15,9 18,5 2002, trifft es B AY E R N 8,0 5,3 Sachsen am schlimms- BADEN- 2,6 1,9 1,5 1,1 W Ü RT T E M B E R G ten. Starke Schäden verursacht das Juni- Jan. Feb. März Apr. Mai Juni Juli Aug. Sep. Okt. Nov. Dez. Hochwasser auch in Bayern und Sachsen- * Schäden durch Überschwemmung/Starkregen, Hochwasser, Erdbeben, Erdsenkung, Anhalt. Schneedruck, Lawinen/Erdrutsch und Vulkane
N A C H D E M J U N I - H O C H WA S S E R Versicherer erhalten Bestnoten Gute Noten erhalten die Versicherer von ihren Kunden nach dem Hochwasser 2013. Nach einer forsa-Umfrage in den besonders stark betroffenen Ländern Sachsen, Sachsen- Anhalt und Bayern fühlten sich 90 Prozent der Versicherten schon bei der Erstberatung gut aufgehoben. Besonders kleine Bäche und Flüsse anschwellen lässt, weil zufrieden waren sie mit der Schnelligkeit und Kompetenz Deiche brechen und das Hinterland kilometerweit der Beratung. Innerhalb von wenigen Tagen hatten sich geflutet wird, stehen nun Landstriche und Häuser die Versicherer um die Schäden gekümmert, sagten knapp unter Wasser, deren Menschen auf Überschwem- 80 Prozent der Befragten. mungen nicht eingestellt sind, etwa durch bauli- Zum Zeitpunkt der Umfrage, sechs Wochen nach dem Er- chen Hochwasserschutz. eignis, waren bereits 80 Prozent der Schäden von Fachleu- ten begutachtet worden. Dabei hat jeder zweite Befragte Der zweite Unterschied: Ein hohes Maß an Schä- eine Vorschusszahlung und konkrete Unterstützung zur den, vor allem im bayerischen Deggendorf, ent- Schadenbeseitigung erhalten, beispielsweise durch Ver- steht durch ausgelaufenes Öl aus zerborstenen mittlung von Handwerkern oder Trocknungsfirmen. und beschädigten Öltanks. Dringt Öl ins Mauer- werk ein, ist dieses komplett kontaminiert. Das Ge- bäude kann nur noch abgerissen werden. Das mit Öl verseuchte Wasser steht in den betroffenen Re- Bayern bauen die Menschen auch über ein Jahr gionen teilweise wochenlang und fließt nicht ab. Es nach der Flut ihre Häuser noch auf. Der Wieder- ist auch eine Katastrophe für die Umwelt. Deshalb aufbau der öffentlichen Infrastruktur wird wohl setzen sich Experten wie Otto Schaaf, der Präsident noch Jahre dauern. der Deutschen Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall, dafür ein, dass die gesetzli- Mehrere Einzelschäden an Ein- und Zweifamili- chen Bestimmungen, die Öltanks in Überschwem- enhäusern von über 400.000 Euro zeugen von der mungsgebieten verbieten, eingehalten werden vernichtenden Kraft des Wassers und der schädi- und auf alternative Heizmethoden umgestellt genden Wirkung von Öl. Viele der gefluteten Häu- wird. Der dritte Unterschied schließlich: Bewohner ser können nur noch abgerissen werden, andere und Katastrophenschützer waren viel besser auf werden komplett entkernt. Das feuchte Mauer- das Hochwasser vorbereitet als im Jahr 2002. werk muss wochenlang trocknen. Dieses Hochwasser hinterlässt Milliardenschä- Die durchschnittliche Schadenhöhe an Wohn- den, deren Behebung noch Jahre andauern wird. gebäuden bei der Juni-Flut liegt bei 12.300 Euro. Es gräbt sich ein in die Erinnerung und den Alltag Insgesamt entstehen 2013 an Wohngebäuden der betroffenen Menschen, spürbar noch wie die Elementarschäden im Wert von 660 Millionen Markierungen des Wassers an den Fassaden der Euro. Häuser sichtbar. Die ausführlichen Schadenzahlen finden sich im In den besonders stark betroffenen Regionen wie Online-Serviceteil auf www.gdv.de/naturgefah- Fischbeck in Sachsen-Anhalt und Deggendorf in renreport2014.
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