Naturgefahrenreport 2014 - Die Schaden-Chronik der deutschen Versicherer in Zahlen, Stimmen und Ereignissen - flussgebiete nrw

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Naturgefahrenreport 2014 - Die Schaden-Chronik der deutschen Versicherer in Zahlen, Stimmen und Ereignissen - flussgebiete nrw
Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e. V.

Naturgefahrenreport 2014
Die Schaden-Chronik der deutschen Versicherer
in Zahlen, Stimmen und Ereignissen
Naturgefahrenreport 2014 - Die Schaden-Chronik der deutschen Versicherer in Zahlen, Stimmen und Ereignissen - flussgebiete nrw
2   NATURGEFAHRENREPORT 2013

                     Inhaltsverzeichnis

                          		   Einleitung

                         3   Das Ausnahmejahr. Naturgefahren 2013
                         4 	„Wir müssen die Menschen vor diesen schlimmen Schäden schützen.“
                             Ein Gespräch mit GDV-Präsident Dr. Alexander Erdland

                          		   Kapitel eins: Hagel: Gefahr, die aus Gewitterwolken droht

                         8	„Keine Gegend ist vor Hagel sicher.“ Ein Gespräch mit Johann-Dirk Hessel
                            vom Deutschen Wetterdienst
                        12	„Die Menschen brauchen ja ihr Dach über dem Kopf.“ Zum Krisenmanagement
                            in den Hagel-Katastrophengebieten
                        16	Von unsichtbaren Haarrissen bis Totalschäden. Was richtet Hagel an?
                        18	Widerstand nach Schweizer Vorbild. Was schützt vor Hagel?
                        19	Vorsicht! Hagelschlag! Das Katastrophenwarnsystem KATWARN

                          		   Kapitel zwei: Das Jahr der Naturkatastrophen

                        22	Milliardenschäden binnen weniger Tage. Die Ereignisse im kurzen Rückblick
                        24	Ölverseuchtes Wasser, meterhoch. Die Flut und ihre Schäden
                        26	ZÜRS Geo. Risikogerechter Versicherungsschutz
                        26	„Das Risiko ist zu hoch.“ Ein Gespräch mit Hochwasser-Experten Otto Schaaf über
                             Bauen in Überschwemmungsgebieten
                        28	Es trifft Häuser ganzer Straßenzüge. Der Hagel und seine Schäden
                        30	Rasante Reise der Verwüstung. Die Orkane und ihre Schäden
                        32	„Wann droht welche Gefahr durch Starkregen?“ Ein Gespräch mit Dr. Andreas Becker
                             vom Deutschen Wetterdienst über ein neues Forschungsprojekt

                          		   Kapitel drei: Verlust und Zerstörung an Fahrzeugen

                        34     Die Kfz-Schäden 2013: Mit kalter Wucht auf Blech und Glas
                        39     Prävention: „Soforthilfe bereits am Telefon“

                          		   Kapitel vier: Partner, Manager, Forscher. Die deutschen Versicherer

                        42  „Die drücken sich eben nicht.“ Das Engagement der Versicherer
                        44	Viele tragen das Risiko jedes Einzelnen. Ein Gespräch mit GDV-Hauptgeschäftsführer
                            Dr. Bernhard Gause über das Prinzip Versicherung
                        45	Plädoyer für Eigenvorsorge. Die Informationskampagne der Versicherer
                        46	Der Naturgefahrencheck: ZÜRS public
                        47	Vorsorge hat Vorrang. Die Naturgefahrenkonferenz der deutschen Versicherer

                          		   Anhang: Publikationen/Links
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EINLEITUNG       3

Das Ausnahmejahr. Naturgefahren 2013

Was für ein Jahr. Juni-Flut, Hagelstürme und Orkane ha-         Menschen die zunehmende Gefahr von Hochwasser auch in
ben 2013 binnen weniger Monate verheerende Schäden in           vermeintlich sicheren Regionen bewusst machen. Die Natur-
Deutschland angerichtet. 2,2 Millionen Ereignisse meldeten      gefahrenkonferenz 2014 ist ein weiterer Beitrag in diesem
die Kunden den deutschen Versicherern. Versicherungsfälle im    Dialog (Seite 47).
Wert von 7,2 Milliarden Euro wurden reguliert. Für die Asse­
kuranz war es eines der schwersten Jahre ihrer Geschichte.      Welche konkreten Schäden entstanden 2013?

Es war nicht das allgegenwärtige Hochwasser, das die            Der Report blickt zurück auf die Flut, analysiert die Hin-
schlimmsten Schäden verursachte. Es waren die Hagel-            tergründe der Schadenereignisse und lässt Experten zum
stürme, die so heftig ausfielen, wie noch nie seit es wissen-   Hochwasserschutz zu Wort kommen. Er betrachtet ferner
schaftliche Wetterbeobachtung gibt. Derartig verheerende        die Schäden, die Orkane in Deutschland anrichteten. Aus-
Hagelunwetter sind in Deutschland weitgehend uner-              führlich schließen sich Dokumentation und Analyse der
forschte Phänomene. Das wird nicht so bleiben: Gemeinsam        Schäden an Kraftfahrzeugen an (ab Seite 20).
mit dem Deutschen Wetterdienst untersuchen die Versi-
cherer das Hagelrisiko für jedes Gebiet in Deutschland. Der     Die Versicherer haben im Ausnahmejahr 2013 Hunderttau-
Gefahr, die aus Gewitterwolken droht, gilt deshalb auch der     sende Menschen bei der Bewältigung der Unwetterfolgen
Schwerpunkt des diesjährigen Naturgefahrenreports.              begleitet. Sie haben schnell und sehr gut organisiert die
                                                                Schäden reguliert, dank eines Schadenmanagements, das
Das Ausnahmejahr 2013 zeigt einmal mehr, wie wichtig sys-       auf Extremereignisse vorbereitet war. Hierzu gehörte die
tematische Forschung über Wetterextreme ist. Nur wenn           Kooperation mit Handwerkern und Experten vor Ort ebenso
gesicherte Erkenntnisse vorliegen, können sich die Menschen     wie der verstärkte Einsatz digitaler und sozialer Medien. So
vor Naturgefahren schützen, sind die Risiken auch künftig       haben die Versicherer schnell und unkompliziert dafür ge-
versicherbar. Die deutschen Versicherer sehen sich hier in      sorgt, dass die Menschen so schnell wie nur möglich in ihre
besonderer Verantwortung. Bereits 2011 hat der GDV eine         von Flut, Hagel oder Sturm zerstörten Häuser zurückkehren
umfassende Klimastudie vorgelegt, in der namhafte Klima-        konnten; dass Firmen aufgrund von Ertragsausfällen keinen
forscher eine Verdoppelung, wenn nicht Verdreifachung der       Konkurs anmelden mussten; und dass Tausende zerbeulter
Schäden bis 2100 prognostizierten. Nun folgt der nächste        Autos schnell wieder schick und fahrbereit waren. Umfragen
Schritt. Der GDV ist mit dem Deutschen Wetterdienst eine        und Experten bestätigen der Assekuranz hohe Kundenzu-
Kooperation eingegangen, um den Gefahren konkret auf den        friedenheit (Seite 25).
Grund zu gehen. Dabei wird auch das Phänomen Starkregen
erforscht, das deutschlandweit schwere Überschwemmun-           „Man kann sich nicht vorstellen, wie schlimm es war.“ – Das
gen auch abseits von Flüssen angerichtet hat (Seite 32).        haben die Versicherer 2013 zehntausendfach in den betrof-
                                                                fenen Regionen gehört. Auch davon legt dieser Report Zeug-
2013 hat uns Versicherern erneut bewiesen, wie wichtig          nis ab. So ist er ein Baustein in unserer Aufklärungs- und Prä-
der Dialog mit der Gesellschaft ist. Nur so lässt sich den      ventionsstrategie, die Menschen auch künftig so gut wie nur
                                                                möglich vor Naturkatastrophen zu schützen.

Dr. Alexander Erdland           Dr. Jörg von Fürstenwerth
Präsident                       Vorsitzender der Hauptgeschäftsführung
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4     POSITIONEN

                            „Wir müssen die Menschen vor diesen schlimmen
                            Schäden schützen“
                            Das Jahr 2013 wird als Jahr der Naturkatastrophen in die Geschichte eingehen. Die Versicherer tragen der
                            Zunahme der Wetterextreme Rechnung. „Nur wer das Risiko kennt, der schützt sich“, sagt Dr. Alexander
                            Erdland im Interview mit dem Naturgefahrenreport. Dr. Erdland verweist auf neue Forschungsvorhaben
                            und fordert eine bundesweite Aufklärungskampagne.

                                             Herr Dr. Erdland, der vorliegende   jedes Gebiet in Deutschland das entsprechende
                                             Naturgefahrenreport legt Zeug-      Risiko genauer bestimmen. Wenn wir die Wirkzu-
                                             nis ab vom außergewöhnlich          sammenhänge zwischen Naturgefahr und Scha-
                                             schadenträchtigen Jahr 2013.        den noch besser kennen, können wir noch besser
                                             Worin liegt das Außergewöhnli-      zur Schadenverhütung beraten. Unser Ziel ist es,
                                             che begründet?                      ein bundesweites Aufklärungsportal über alle Na-
                                             Wir haben 2013 binnen weni-         turgefahren einzurichten. Dieses bieten wir Politik
                                             ger Monate unterschiedliche         und Verbraucherschützern als gemeinsames Pro-
                                             Wetterextreme erlebt: erst die      jekt für die Bundesbürger an.
                                             Flut, dann die Hagelstürme und
                                             Orkane. Die Versicherer regu-       Warum ist den Versicherern Aufklärung so wichtig?
                                             lierten binnen kurzer Zeit mehr     Die Menschen brauchen ein Gespür dafür, dass
                                             als zwei Millionen Schäden und      Naturkatastrophen zunehmen und dass sie überall
                                             zahlten 7,2 Milliarden Euro an      in Deutschland eintreten können. Unsere Umfra-
                                             ihre Kunden aus. Das war nicht      gen zeigen, dass sich 90 Prozent der Deutschen vor
    Dr. Alexander Erdland
                                             nur finanziell, das war auch lo-    Naturgefahren sicher fühlen. Das ist ein fataler Irr-
                            gistisch und mental eine riesige Leistung der Kol-   glaube. 50 Prozent der Hochwasserschäden 2013
                            leginnen und Kollegen in den Unternehmen vor         entstanden in Regionen, die fernab der großen
                            Ort: Sie haben rund um die Uhr gearbeitet, um die    Flüsse liegen, wo man das nie vermutet hätte. Die
                            Schäden schnell und unkompliziert zu regulieren.     starken Hagelstürme haben ganze Ortschaften in
                                                                                 einem Ausmaß verwüstet, das sich niemand vor-
                            Gerade hat die deutsche Versicherungswirtschaft      stellen konnte. Deswegen ist die Offenlegung un-
                            zwei Forschungsprojekte mit dem Deutschen            serer Erkenntnisse so wichtig: Die Menschen müs-
                            Wetterdienst begonnen, die die Risiken der Na-       sen ihr Hab und Gut gegen Naturkatastrophen
                            turgewalten Starkregen und Hagel erkunden. Mit       schützen. Ohne entsprechende Vorsorge werden
                            welchem Ziel?                                        mit den Naturkatastrophen auch die Versiche-
                            Unsere Klimastudie zeigt, dass sich Schäden durch    rungsbeiträge steigen.
                            Naturgefahren bis zur Jahrhundertwende verdop-
                            peln, wenn nicht gar verdreifachen können. Das       Wie kann Vorsorge aussehen?
                            sind die Projektionen namhafter Wissenschaftler      Die geht leichter als manch einer denkt. Auch wir
                            – wir forschen jetzt weiter in die Tiefe. Über die   Versicherer geben gerne Auskunft darüber. Das
                            regionalen Risiken von Starkregen und von Hagel      reicht vom Fliesen der Keller als Schutz vor Über-
                            gibt es noch keine ausreichenden Erkenntnisse.       flutung, von der Sicherung von Öltanks vor Hoch-
                            Deswegen freuen wir uns über eine dauerhafte         wasser bis hin zur Verstärkung sturmresistenter
                            Kooperation mit dem Deutschen Wetterdienst. Er       Dächer. Schutz vor Naturgefahren kann und muss
                            bringt die Ergebnisse seiner Messungen ein, die      für jeden so selbstverständlich werden wie das Ver-
                            verknüpfen wir mit unseren Schadendaten.             schließen der Haustür, um Einbrecher abzuwehren.

                            Und was ist das Ergebnis?                            Die Versicherungswirtschaft fordert auch von Lan-
                            Mit dieser Kombination können wir künftig für        des- und Bundespolitik Naturgefahrenvorsorge.
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                                                                                                                                                       Andreas, Bernd,
Schadenaufwand durch Sturm, Hagel                                                   Anteil am gesamten Schadenaufkommen in der                          Ernst, Manni,
                                                                                    Wohngebäudeversicherung 2013                                           Norbert
und Elementar­ereignisse in der                                        Kyrill
Wohngebäudeversicherung (VGV)                                                       Elementarschäden                               Feuer,
                                                                                                                                   Leitungswasser
seit 2002 in Mio. Euro pro Monat                                                                              11 %
                                                                                    Sturm und Hagel
                                                                                    (Winter)
                                                                                                       11 %

                                                                                                                  VGV-
                                                                                                                Schäden     50 %
                            Sturm und Hagel
600
                            Elementarschäden                                                                                                              Juni-
                                                                                                       28 %                                                Flut
                                                                                    Sturm und Hagel
                                                                                    (Sommer)

500

400

                                        In der Statistik wird
                                        der Zeitpunkt der
                                                                                                         Xynthia
                                                                                                                             Bert, Frank
300                                     Schadenmeldung
                                                                                 Hilal, Naruporn
                                        abgebildet.
                Jeanett
         Elbe-Flut                                                               Emma
200

100

      2002           2003       2004           2005             2006   2007     2008        2009       2010          2011          2012             2013

Wir fordern nicht mehr, als dass das nationale                         verschiebt das Zentrum der Problematik. Eine Ver-                            Aus der Langzeit-
Hochwasserschutzprogramm konsequent umge-                              sicherung für alle signalisiert ja: Egal, was kommt,                         bilanz der Schäden
                                                                                                                                                    an Wohngebäuden
setzt wird. Die Flüsse brauchen mehr Raum und                          mir kann nichts passieren. Genauso wie das die                               ragt 2013 vor allem
ausreichend Überschwemmungsflächen. Wir                                staatlichen Aufbauhilfen versprechen. Da wären                               wegen der Juni-Flut,
nehmen den Parlamentarischen Staatssekretär                            wir ganz schnell in einer Spirale: Die Schäden                               den Hagelstürmen
im Bundesumweltministerium, Florian Pronold,                           würden unweigerlich zunehmen und der Versi-                                  im Juli/August und
                                                                                                                                                    den Orkanen im Ok-
daher gern beim Wort. Er hat angekündigt, den                          cherungsbeitrag ins Unbezahlbare steigen.                                    tober und Dezember
Hochwasserschutz länderübergreifend voranzu-                                                                                                        heraus.
treiben. Dazu gehört, in Überschwemmungsge-                            Versicherungen verhindern keine Katastrophen.
bieten kein Bauland mehr auszuweisen. Zugleich                         Wir müssen die Menschen vor Naturkatastrophen                                Weitere Schaden­
muss für Bauplaner und Architekten risikoange-                         bewahren, nicht nur danach helfen. Also: Schutz-                             daten der Versicherer
                                                                                                                                                    auf: www.gdv.de/
passtes Bauen selbstverständlich werden. Von                           mauern und Deiche bauen und Überschwem-                                      naturgefahren­
der Ausführung bis hin zur Verwendung von wi-                          mungsflächen ausweisen statt nach einer Pflicht-                             report2014
derstandsfähigen Baumaterialien. Dafür wollen                          versicherung zu rufen. Wenn Sie einmal in der
wir auch mit unserem Hagel-Forschungsprojekt                           Flutregion mit Menschen gesprochen haben, de-
Richtlinien entwerfen.                                                 nen das Wasser die Häuser wegspülte, wenn Sie
                                                                       deren Angst und großen Verlust gespürt haben,
Herr Dr. Erdland, Sie sprachen vom geringen Ri-                        dann wissen Sie, dass zuallererst das Eintreten
sikobewusstsein, erst 35 Prozent der Menschen                          solcher existenzieller Schäden verhindert werden
sind gegen Elementarschäden wie Hochwasser                             muss. Eine Versicherung darf doch erst dann ein-
und Starkregen versichert. Kann die Pflicht zur                        setzen, wenn baulicher Hochwasserschutz ver-
Versicherung, wie sie der Bundesregierung vor-                         sagt hat. Wir sind überzeugt, dass Aufklärung und
schwebt, Abhilfe schaffen?                                             Vorsorge der bessere Weg sind, um Menschen vor
Die Diskussion um eine Pflichtversicherung                             Naturgefahren zu schützen.
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6   KAPITEL EINS: HAGEL
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Hagel: Gefahr, die aus
Gewitterwolken droht

            Kaum ein anderes Naturereignis kann so
            schnell so viel vernichten. Kaum ein anderes
            Naturereignis erscheint so geläufig und –
            beiläufig. Hagel? Kommt im Sommer, mit
            Gewitter. Kühlt die Luft heißer Tage ab, bildet
            bizarre Eisformen.

            2013 zogen mehrere Hagelstürme übers
            Land, deren Gewalt ganze Ortschaften in
            Katastro­phengebiete verwandelte. Blitz-
            schnell, unerwartet, heftig. In Niedersachsen
            und Baden-Württemberg machte schnell der
            Begriff „Jahrtausendhagel“ die Runde.
            Wie kommen solche Extreme zustande, wie
            werden sich Hagelstürme künftig entwickeln,
            welche Schutzmaßnahmen machen sie
            berechenbarer? Antworten und Ausblicke zum
            Phänomen Hagel, der Gefahr, die aus Gewit-
            terwolken droht.
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8   KAPITEL EINS: HAGEL

                         ZU R TYPOLOGI E EI N ES PHÄNOMENS

                         „Keine Gegend ist vor Hagel sicher“
                         Die Hagelstürme des Jahres 2013 zählen zu den schlimmsten in der deutschen Geschichte. Binnen
                         weniger Tage verursachen sie mehr als 1,6 Millionen Schäden, zerstören Häuser, Autos, Unternehmen
                                      und Ernten im Wert von 4,8 Milliarden Euro. Welche Gefahren drohen durch Hagel? Das
                                      erforscht die Deutsche Versicherungswirtschaft künftig gemeinsam mit dem Deutschen
                                      Wetterdienst (DWD). Johann-Dirk Hessel, Leiter des zentralen Klimabüros des DWD, blickt
                                      vorab auf ein bekanntes, unbekanntes Unwetter-Phänomen.

                                        Es beginnt, wie eben ein Gewitter        von 170 Kilometern pro Stunde und schneller pral-
                                        beginnt: Dunkle, nahezu schwarze         len. Viele solcher extremen Hagelgewitter ziehen im
                                        Wolken ziehen auf. Der Wind              vergangenen Jahr über ganz Deutschland. Sie sind
                                        peitscht Sträucher, Äste, Bäume. Der     in ihrer Intensität verheerend, denn sie treffen vor
                                        Himmel grummelt und donnert. Die         allem auf dicht besiedeltes Gebiet.
                                        ersten Regentropfen fallen, dann
                                        kommt der Hagel. Macht dieses ge-        Herr Hessel, wie lassen sich diese extremen Hagel­
    Johann-Dirk Hessel
                                        wöhnliche Gewitter zu einem unge-        ereignisse erklären?
                         wöhnlich zerstörerischen Ereignis. Dicht an dicht       Die Tendenz zu extremeren Hagelereignissen
                         rasen die eisigen Körner und Brocken in Größen bis      wird durch den Klimawandel begünstigt. Klima-
                         zu 14 Zentimeter herab. So dicht, dass sie einen Eis-   projektionen zeigen, dass im Sommer die Anzahl
                         vorhang bilden, so laut, dass hinter ihrem Prasseln     der Niederschläge zwar weniger wird, dafür aber
                         alle anderen Geräusche verschwinden: das Bersten        intensiver. Der DWD beobachtet seit 2001 eine
                         von Fenster- und Autoscheiben oder das Zerspringen      signifikante Zunahme starker Hagelschläge, vor
                         von Dachziegeln, auf die sie mit Geschwindigkeiten      allem in Süddeutschland.
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   Wo und wie entsteht Hagel?                           am Nachmittag am höchsten, weil die Luft am
   Hagel entsteht in sehr großen Gewitterwolken         wärmsten ist und die Sonne die meiste Energie
   mit starken Auf- und Abwinden, die im Sommer         abstrahlt. Und im Voralpenland hagelt es häufiger
   bis zu zehn Kilometer hoch sind. Diese typischen     als im Binnenland. Doch keine Gegend in Deutsch-
   dunklen Quellwolken, die wie Blumenkohl ausse-       land ist vor Gewitter und Hagel sicher.
   hen und in denen starke Turbulenzen herrschen.
   Das sind die Turbulenzen, in die auch Flugzeuge      Ist Hagel immer an Gewitter gebunden?
   lieber nicht geraten wollen.                         Ja. Damit dauert die Hagelsaison in der Regel von
                                                        April bis September. Es gibt auch Wintergewitter
   Durch die Feuchtigkeit in der Wolke bilden sich      mit Hagel. Selten, aber es gibt sie.
   zunächst Kondensationskerne, Embryos, die durch
   Anlagerung von Wasser weiter wachsen. Die star-      Der Wind, zu Stürmen angewachsen, peitscht
   ken Aufwinde tragen sie nach oben, wo das Was-       nicht nur die Bäume, er peitscht auch den Regen,
   ser zu Eis gefriert. Sind sie schwer genug, gelan-   schließlich treibt er sogar die bis zu 360 Gramm
   gen sie in den Abwärtsstrom, in dem sich wieder      schweren Hagelkörner vor sich her. Die
   Wasser anlagert. Eventuell werden sie durch den      Eisbrocken fliegen waagerecht

     Hagel ist Eis, das sich in Gewitterwolken der unteren Atmosphäre bildet.
Hagelkörner sind mindestens 5 mm groß, das bisher größte Korn hatte einen
             Durchmesser von 20,32 cm – 2010 in South Dakota/USA. Der größte Eisklumpen in
             Deutschland maß 14 cm und kam 2013 in Baden-Württemberg herunter, mit einer
             Geschwindigkeit von etwa 170 km/h und einem Gewicht von rund 360 g.

     Hagelgefährdet sind Menschen, Tiere, Pflanzen und viele Materialien und Baustoffe
                  wie Glas, Kunststoff, Blech, Solaranlagen, Ziegel, auch Beton und Holz.

		               Hagelregionen sind alle Regionen in Deutschland. In Gebirgsregionen
                             hagelt es häufiger als im Flachland.

         Hagelstürme sind kleinräumig, d. h. sie ereignen sich oft lokal begrenzt.

   Aufwind wieder nach oben getrieben und gefrie-       durch die Luft, reißen Krater in Hausfassaden,
   ren dort weiter. Irgendwann sind sie zu schwer für   treffen Auto­karosserien von allen Seiten, knallen
   die Atmosphäre und fallen als Hagel auf die Erde.    durch Jalousien und Fensterscheiben. Hinterlassen
   Je länger die Hagelkörner in der Wolke auf- und      Trümmer, Scherben, Trümmer. Nachfolgender Re-
   abgetrieben werden, umso größer werden sie also.     gen strömt durch kaputte Dächer, überschwemmt
                                                        Räume und Hausrat. Sturmböen lassen Bäume auf
   Wann besteht die größte Hagelgefahr?                 Gebäude und Autos stürzen. Das reife Getreide gan-
   Zum Auslösen des Gewitters braucht es einen          zer Felder knickt ein.
   Mechanismus, Sonneneinstrahlung etwa oder
   die Hebung der Gewitterwolken an Gebirgen.           Herr Hessel, wie verlaufen Hagelunwetter?
   Deshalb ist die Gewitterwahrscheinlichkeit           Dazu sollten wir uns den Aufzug solch einer
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10   KAPITEL EINS: HAGEL

        Hagelkorngröße               Geschwin­digkeit             Mögliche Schäden

                 ab 1 cm               ca. 50 km/h                Verletzungen an Getreiden, Früchten, Schäden an Bäumen

                 ab 2 cm               ca. 70 km/h                Löcher in Plexiglas, Bruch von Gewächshäusern und Oberlichtern

                                                                  Verletzungsgefahr für Kleintiere, Bruch von Schiefer, Tonziegeln und Fensterscheiben,
                 ab 3 cm               ca. 90 km/h                sichtbare Dellen an Fahrzeugen

                                                                  Irreparable Schäden an Fahrzeugen, Zerstörung von Ziegel- und Schindeldächern
                 ab 5 cm             ca. 110 km/h                 bis auf die Dachsparren, Bruch von Metallfensterrahmen

                 ab   6 cm           ca. 120 km/h
                                                                  Ernsthafte Verletzungsgefahr für Menschen, Zerspringen von Betonziegeln, ernsthafte
                                                                  Schäden an Außenhüllen von Großflugzeugen, Auseinanderreißen kleiner Baumstämme

                 ab   8 cm           ca. 140 km/h
                                                                  Lebensgefahr für Menschen, Abplatzen von Betonwänden,
                                                                  Schädigung von Backsteinhäusern

     Quelle: Hagelregister der Vereinigung Kantonaler Feuerversicherungen, Bern

                               Gewitterwolke, in extremer Ausprägung auch Su-                       Euro beträgt die Schadensumme an Wohngebäu-
                               perzelle genannt, einmal genauer anschauen. Die                      den, Hausrat und Gewerbebetrieben; Feldfrüchte
                               Wolke beginnt mit einem flachen Vorbau, dem                          und Getreide im Wert von 185 Millionen Euro sind
                               Amboss, der die Sonne verdunkelt. Diesem schließt                    vernichtet. An Fahrzeugen hinterlässt er Schäden
                               sich der Mammatus an, der dicke Wolkenbauch, in                      im Wert von 1,7 Milliarden Euro. Damit gehört die
                               dem die starken Auf- und Abwinde herrschen. Er                       Hagelsaison zu den schlimmsten Ereignissen, die
                               drückt die Kaltluft nach unten. Diese schießt dann,                  die Versicherungswirtschaft je verzeichnete. Aus-
                               in mehr oder minder intensiven Windböen, nach                        maß und Intensität der Unwetter überraschen die
                               vorn. Deswegen spricht man auch von Hagelstür-                       Menschen, faszinieren und verstören zugleich. Sie
                               men. Den Böen folgt oft erst Regen, dann kommt                       stehen unter ihren Vordächern und schauen zu, wie
                               der Hagel.                                                           die Hagelbrocken weiße Teppiche auf dem Erdboden
                                                                                                    bilden. Wenig später müssen sie im Regen aufs Dach,
                               Sind die Windböen stark genug, treiben sie den                       um die faustgroßen Löcher, die der Hagel dicht an
                               Hagel waagerecht vor sich her. Oft springen Ha-                      dicht schlug, notdürftig mit Folien abzudichten.
                               gelkörner vom Erdboden aus wieder nach oben
                               und verursachen so Schäden. Am Ende der zie-                         Wer schützt sich und sein Heim schon vor dro-
                               henden Superzelle, die bis zu zwölf Kilometer lang                   hendem Hagel? Verbindliche Kriterien, etwa für
                               sein kann, folgt dann aufsteigende feuchtwarme                       hagelresistente Baumaterialien, existieren in
                               Strömung. Daraus können Tornados werden. Die                         Deutschland nicht. Die regionale Verteilung von
                               Hagelstürme 2013 dauerten oftmals weniger als                        Hagelereignissen ist Inhalt eines Forschungspro-
                               eine halbe Stunde.                                                   jekts, das die Versicherungswirtschaft gemeinsam
                                                                                                    mit dem DWD plant.
                               Wovon hängt die Dauer eines Unwetters ab?
                               Die Dauer hängt von der Zuggeschwindigkeit                           Herr Hessel, wie erforscht der DWD Hagelstürme?
                               der Gewitterwolken ab. Es kann binnen Minuten                        Durch unsere Wetterbeobachtungen haben wir Er-
                               vorbei sein. Doch wenn ein Hochdruckgebiet vor-                      kenntnisse seit etwa 100 Jahren. Da jedoch Hagel­
                               herrscht, dann gibt es keine Luftströmung und das                    ereignisse oft kleinräumig sind, können sie von un-
                               Gewitter verweilt längere Zeit.                                      seren Beobachtungsstationen allein nicht erfasst
                                                                                                    werden. Diese sehen zum Beispiel 20 Kilometer
                               Am Ende dieses zerstörenden Hagel-Sommers 2013                       entfernte Hagelstürme nicht. Erst seit 2001 kön-
                               stehen Hunderttausende Schäden. 2,9 Milliarden                       nen wir mithilfe unserer Radargeräte Hagel auch
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in der Fläche belastbar klimatologisch auswerten.            aufzubauen, also eine Hagelkarte, die die Hagel-
Zudem erkennen wir anhand der Daten zu Ha-                   risiken für jedes Gebiet in Deutschland sichtbar
gelschäden, die uns die Versicherungswirtschaft              macht. Diese Karte ist dann die Grundlage für die
zur Verfügung stellt, an welchem Tag in welchen              Versicherungswirtschaft, konkrete Tendenzen ab-
Regionen viele Hagelschäden auftreten. Das ver-              lesen zu können, um Maßnahmen für die
setzt uns jetzt in die Lage, eine Hagelklimatologie          Schadenverhütung zu entwickeln.

Die teuersten Hagelstürme
in der Sachversicherung seit 1993

Naturereignis                       Schaden­   Durchschnitts-    Schaden­aufwand
                                     anzahl      schaden         in Mio. Euro

Hagelstürme Andreas/Bernd
                                     310.000       5.190 €                                                       1.900
(27.07. und 28.07.2013)
Hagelsturm Hilal
                                     160.000       1.880 €                             330
(30.05.2008)
Hagelsturm Frank
                                      90.000       3.010 €                           300
(11.09.2011)
Hagelsturm Ernst
                                     130.000       2.230 €                           300
(06.08.2013)
Hagelstürme Manni/Norbert                                                            300
                                     200.000       1.540 €
(20.06.2013)
Hagelsturm Bert                                                                230
                                      65.000       3.200 €
(26.08.2011)
Hagelsturm Queeny
                                      20.000      10.660 €                     230
(28.06.2006)

LANDWIRTSCHAFT

Hagelstürme
                                      87.000       2.410 €                   209
im Jahr 1993
12   KAPITEL EINS: HAGEL

                     KRISENMANAGEMENT

                     „Die Menschen brauchen ja ihr Dach überm Kopf“
                     Die extremen Hagelunwetter des Jahres 2013 überziehen ganz Deutschland mit schweren Schäden.
                     Zwei Landstriche trifft es besonders hart. Die Region um das niedersächsische Lehrte und der Raum um
                     Reutlingen in Baden-Württemberg werden zu Katastrophengebieten, die der Öffentlichkeit weitgehend
                     verborgen bleiben. Die örtlichen Versicherer helfen Zehntausenden Menschen binnen weniger Wochen
                     und Monate. Ein Report über ein bisher einzigartiges Krisenmanagement, beispielhaft für die Arbeit der
                     Versicherer in ganz Deutschland.

                     „Hagel 2013 – ich war dabei“ – diesen Aufkleber      in nicht mal zwölf Monaten, mit erzwungener
                     für die Heckscheibe hat Michael Quast von einem      Winterpause?
                     dankbaren Kunden geschenkt bekommen. Der
                     Schadenregulierer war dabei und mittendrin. Er ist   „Akutwarnung. Sehr schweres Gewitter verbun-
                     auf rund 200 zerstörte Dächer geklettert und hat     den mit Wolkenbruch und schwerem Hagel.
                     deren Schäden dokumentiert und bewertet. Er hat,     Warnstufe Violett“, meldet der Deutsche Wetter-
                     gemeinsam mit unzähligen Versicherungskolle-         dienst in den Nachmittagsstunden des 27. Juli
                     gen, diesen Hagel mitgestemmt. Quast und seine       2013. Und weiter: „Machen Sie keine längeren
                     Kollegen haben Tausenden Menschen, denen die         Spaziergänge im Freien!“
                     Eisbrocken-Stürme die Dächer wegfegten oder die
                     Fensterfronten zerbrachen, zur Seite gestanden.      Das sehr schwere Gewitter zieht an diesem späten
                                                                          Samstagnachmittag vom nordrhein-westfälischen
                     Der Hagel 2013 ist noch nicht vorbei. Auch über      Bielefeld bis in die sachsen-anhaltische Altmark.
                     ein Jahr danach noch nicht. Noch immer warten        Es tobt sich vor allem in der Gegend östlich von
                     Menschen in den kleinen Ortschaften in Nieder-       Hannover aus. Eisbrocken, bis zu 12,5 Zentime-
                     sachsen auf die Handwerker, die Restarbeiten an      ter groß, rasen mit Geschwindigkeiten von bis zu
                     den notdürftig geflickten Dächern vornehmen.         170 Kilometern pro Stunde herunter. Sie durchlö-
                     Bei jedem Regen schauen sie nach, dass nichts        chern Dachziegel und Schindeln, zerfetzen Plexi-
                     wieder durchtropft. Bei jeder Gewitterwolke ban-     glasscheiben und Glasabdeckungen, reißen Folien,
                     gen sie, dass es nicht wieder hagelt. Doch welcher   Jalousien, Fenstergitter kaputt. „Es gibt in man-
                     Handwerker kann, auch wenn er 12 bis 16 Stun-        chen Ortschaften ganze Straßenzüge, in denen
                     den täglich arbeitet, über 16.000 Dächer erneuern    kein Dach mehr ganz ist“, meldet Dirk Hillebrecht
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von den VGH Versicherungen, einem der regionalen         Derweil läuft in der VGH-Zentrale der Kumulplan
Versicherer. Zunächst sind Feuerwehren und Tech-         an. Eine Art Katastrophenplan für das Schadenma-
nisches Hilfswerk im Dauereinsatz. Wenig später,         nagement verheerender Naturereignisse. Alle ver-
noch an diesem Unwetter-Wochenende, die Kolle-           fügbaren Kollegen, auch aus nicht betroffenen Re-
gen der Versicherer.                                     gionalbüros, werden zusammengeholt. Die Azubis
                                                         müssen mit ran, an die Hotlines, in die Schaden-
Was ist jetzt als Erstes zu tun? Für Menschen, die das   aufnahme. Treffen mit der Dachdecker-Innung fol-
erste Mal von solch einer Katastrophe heimgesucht        gen, Abstimmungen über Sanierungsumfang und
werden, eine existenzielle Frage. Via Facebook und       darüber, wie schnell und unbürokratisch verfahren
Twitter geben die Versicherungsmitarbeiter erste         werden kann.
Hinweise: „Dach sichern und mit Notabdeckung
versehen, Schäden fotografieren und Schäden mel-         6.000, 9.000, 17.000. Die Zahl der gemeldeten Schä-
den. Bringen Sie sich selbst nicht in Gefahr!“ Und       den nimmt, so scheint es, kein Ende. Über 70 Milli-
überall in der Region melden die Versicherungsbü-        onen Euro Schäden allein an Wohngebäuden ver-
ros ihren Kunden: „Wir haben auch am Sonntag für         zeichnet die VGH, dazu noch mal 25 Millionen Euro
Sie geöffnet.“ Sie posten ihre Handynummern, die         für kaputte Fahrzeuge und zerschlagene Felder.
VGH-Direktion schaltet die 24-Stunden-Hotline für
Informationen und Schadenmeldungen frei, wenig           Schon bald wird klar: Der bisherige Kumulplan, der
später auch die Online-Variante.                         sich vor allem an Sturmkatastrophen orientiert,
                                                         greift nur bedingt. „Sturm kommt von der Seite,
Langsam, ganz allmählich, schütteln die Menschen         Hagel von oben“, beschreibt Michael Quast den
den Schock ab, sichern die Dächer, räumen auf,           Unterschied. Die Schäden, die der Hagel anrichtet,
was der Hagel verwüstet hat – die Scherben, die          sind deutlich höher als Sturmschäden: In viele Häu-
Ziegel, die Putzbrocken und heruntergerissenen           ser reißt er Löcher, deren Reparatur mehr als 20.000
Äste. Die Straßenzüge, über die die Hagelstürme          Euro kostet, viele Dächer sind Komplettschäden.
hinwegfegten, gleichen Patchwork-Bildern. Auf je-        Einzelschäden von mehr als 50.000 Euro sind keine
dem Dach eine blaue, graue oder orange Folie als         Seltenheit. Dafür braucht es Gutachter, Experten
Notabdeckung. Die größten Hagelstücke heben              vom Bau, die die Schäden vor Ort bewerten und die
die Menschen im Kühlschrank auf.                         Sanierung begleiten. Architekten, Ingenieure. Weit
14   KAPITEL EINS: HAGEL

                     mehr, als bisher im Pool der Versicherung arbeiten.       ausgepumpten Räume zu trocknen. Doch woher
                     Wieder beginnt das Telefonieren.                          nehmen?

                     Im Reutlinger Raum brauchen sie vor allem Tro-            Die Reservoirs im Umfeld sind wie leer gefegt.
                     ckengeräte. Nur einen Tag nach Niedersachsen              Sämtliche Trockengeräte, so scheint es, rotieren
                     hagelt es auch in den baden-württembergischen             in Bayern, in Sachsen und Sachsen-Anhalt. Es ist
                     Landstrichen. Und auch hier erreicht der Hagel            fünf Wochen nach dem katastrophalen Juni-Hoch-
                     ein nie dagewesenes Ausmaß. Zwar gilt die Ge-             wasser, die Menschen dort trocknen ihre über-
                     gend als „hagelerprobt“, das letzte schwere Un-           schwemmten Häuser. Woher Trockner nehmen?

     Sachversicherung: 880.000 Schäden im Wert von 2,9 Milliarden Euro,
          davon Schäden an Wohngebäuden: 520.000 Schäden im Wert von 1,6 Milliarden Euro

     		              Schäden an Kfz: 690.000 Schäden im Wert von 1,7                         Milliarden Euro
          Landwirtschaftlicher Schaden: 185 Millionen Euro
     				 Größter                                          Einzelschaden: 45 Millionen Euro

                     wetter in Villingen-Schwenningen liegt erst ein             Bis ins Ausland telefonieren sie, um die Geräte
                     paar Jahre zurück. Aber „diese Intensität hatten            nach Baden-Württemberg zu bringen, sagt Peter
                     wir noch nicht“, sagt Peter Philipp, Leiter der Ab-         Philipp. Sein sachlicher Ton verbirgt, welch logis-
                     teilung Haftpflicht/Sachschaden bei der Stuttgar-           tische Leistung hinter diesem Unterfangen steht:
                     ter Sparkassenversicherung. 70.000 Schäden, 600             Trockner für Tausende feuchter Häuser zu organi-
                     Millionen Euro Schaden-                                                             sieren. Notquartiere für die
                     summe innerhalb von 15                                                              Menschen, deren Häuser
                     Minuten.                               „Unsere Devise lautet: Einen                 unbewohnbar sind. Das
                                                            Tag nach Schadenbegutach-                    funktioniert nur, wenn sie
                     Manche der Häuser sehen                tung fließt das Geld.“                       Hand in Hand arbeiten,
                     aus wie nach einem Artille-                                                         Schadenmanager, Gutach-
                     riebeschuss – ein treffende-           Peter Philipp, Leiter der Abteilung          ter, Handwerker, Gemein-
                                                            Haftpflicht/Sachschaden der Stutt-
                     res als das militärische Bild          garter Sparkassenversicherung                deverwaltungen.
                     scheint es nicht zu geben.
                     „Durchlöchert wie Schwei-                                                           Die Stuttgarter Sparkas-
                     zer Käse“, schreiben die Lo-                                                        senversicherung kann
                     kalzeitungen am nächsten Tag etwas salopp. Der              mit hohem Einsatz aller Mitarbeiter, mit zusätzli-
                     Sturm treibt die Hagelkörner nahezu waagerecht              chen Aushilfen und technischem Know-how, den
                     durch die Luft, zerlöchert nicht nur die Dächer,            Hagel-Opfern weitere Hilfe bieten: Sie erstellt die
                     auch Fensterscheiben und Hausfassaden.                      Kostenvoranschläge für die Sanierung und orga-
                                                                                 nisiert ihnen gleich noch die Handwerker. „Viele
                     Es kommt noch schlimmer. Nachfolgender Stark­               Menschen waren so aufgewühlt wegen ihrer zer-
                     regen rinnt ungehindert durch die durchlöcher-              störten Dächer, die haben das dankbar genutzt.“
                     ten Dächer in die Wohnräume, flutet Gebäude                 Sich nicht auch noch um komplizierte Details und
                     und Hausrat. Trockengeräte müssen her, um die               deren Kosten kümmern müssen, darum, dass die
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Dachdecker kommen, das hilft, sich nach der Kata-      fahrtüchtig sind? Beide Versicherungen mie-
strophe wieder zurechtzufinden. Zeitweise sind bis     ten große Hallen und Zelte an, um geschädigte
zu 260 Handwerksfirmen gleichzeitig im Einsatz.        Autofahrer schnell und unkompliziert bedienen
                                                       zu können. „Zuerst lassen wir die Glasschäden
Was brauchen die Menschen noch in dieser Kri-          machen, damit die Autos wieder fahren können.
sensituation? Die Gewissheit, dass die Versiche-       Dann kommen die Blechdoktoren, bis aus Italien,
rung auch die finanziellen Kosten der Schäden          die die Dellen aus den Karosserien ausbeulen“,
übernimmt. „Einen Tag nach der Begutachtung            sagt Peter Philipp.
fließt das Geld“, diese Devise hat der Stuttgarter
Versicherer ausgegeben und gehalten. Auch das          Wieder braucht es Experten, Kfz-Gutachter. Spe-
schafft Sicherheit.                                    zielles Licht in den Hallen, damit die Schäden
                                                       auch korrekt bewertet werden können. An den
Kumulplan hin, Kumulplan her. In der Realität ge-      Schreibtischen sitzen zusätzlich Azubis und Aus-
hen die Versicherer auch unkonventionelle Wege.        hilfskräfte. 12, 16 Stunden am Tag, auch am Wo-
Die niedersächsische VGH erhöht die Schaden-           chenende.
summe, über die die Versicherungsvertreter vor
Ort selbst entscheiden können, ohne Experten-          Und dann gibt es, in dieser atemlosen Katast-
begutachtung. Damit es schneller geht. Die Men-        rophenzeit, bei Zehntausenden, teilweise exis-
schen brauchen doch wieder bewohnbare Häuser.          tenziellen Schäden, auch solche kleinen, nun ja,
Die Stuttgarter Sparkassenversicherung schickt         Glücksmomente: In einem niedersächsischen
mobile Büros los, kleine Servicestellen, die vor Ort   Einfamilienhaus bricht der Hagel durchs ge-
für die Menschen da sind. Erst nach fünf Mona-         schlossene Dachfenster, mit solcher Wucht,
ten, kurz vor Weihnachten, kann das letzte dieser      dass er auch das darunter stehende Toiletten-
drei Büros schließen.                                  becken sprengt. „Nicht auszudenken, wenn da
                                                       jemand drauf gesessen hätte ...“, sagt der Scha-
Was ist mit den Zehntausenden von Autos, die           denregulierer Michael Quast. Hat zum Glück
zersplittert, zerbeult und durchlöchert kaum noch      niemand.
16   KAPITEL EINS: HAGEL

                      HAGELSCHÄDEN

                      Von unsichtbaren Haarrissen bis Totalschäden
                      Hagel trifft Dachziegel, zerlöchert ganze Dächer,
                      zerstört sensible Solaranlagen, zerbeult Autos und   „Hagel verursacht besonders hohe
                      vernichtet Ernten. Die blitzschnelle Gefahr aus      Schäden. Wir hatten viele Hagelschä-
                      Gewitterwolken trifft umso stärker, je größer und    den von jeweils über 50.000 Euro an
                      schneller die Hagelkörner sind. Einige Beispiele.
                                                                           Wohngebäuden.“
                                                                           Dirk Hillebrecht, Abteilungsleiter Private
                                                                           Sachversicherung/Grundsatzfragen der
                                                                           VGH Versicherungen

       Dächer

     Faustgroße Löcher, dicht an dicht. Kommt der
     Hagel senkrecht herunter, trifft er vor allem
     Dächer. Bereits drei Zentimeter große Eiskörner
     brechen Schindeln. Gefährlich sind auch die
     feinen, meist unsichtbaren Haarrisse. Wenn
     es friert, sprengen sie die Schindeln auf. Schon
     kleinere Hagelkörner schlagen Haarrisse in
     Dachziegel.

       Fassaden

     Unerwartet und besonders schadenträchtig:
     Wird Hagel von starkem Sturm durch die Luft
     getrieben, trifft er Hausfassaden, lässt Putz ab-
     splittern. Ab acht Zentimeter Korngröße hält das
     Mauerwerk dem Einschlag nicht mehr stand.
17

 Solaranlagen

Solaranlagen sind die verletzlichsten Stellen
des Hauses. Je nach Qualität können schon
zwei Zentimeter große Hagelkörner die sensible
und teure Technologie zerstören. Gefährdet ist
sie vor allem, wenn der Hagel senkrecht fällt.
Mem­b ranschichten können die Folgen des
Hagel­einschlags mildern.

 Fahrzeuge

Stehen Fahrzeuge im Freien, schlagen schon
drei Zentimeter große Hagelkörner tiefe Dellen
in die Karosserie. Ab fünf Zentimeter wird es
auch für Front- und Heckscheiben gefährlich.
Eindringende Feuchtigkeit kann Innenraum
und Elektronik des Fahrzeugs schwer schädigen.
Schutz vor Hagelstürmen bieten letztlich nur
solide Bauwerke wie z. B. eine Garage oder ein
Parkhaus.

 Landwirtschaft

Die Landwirtschaft ist von Hagelschlägen be-
sonders häufig betroffen. Mais, Raps, Getreide
und andere Feldfrüchte sind den Unwettern
nahezu schutzlos ausgesetzt. Landwirte behel-
fen sich mit Hagelschutznetzen. Auch Blumen
und Pflanzen von Gärtnereien sind schon ab
ein Zentimeter Hagelkorngröße gefährdet. Von
verglasten Gewächshäusern bleibt nach einem
Hagelschlag oft nur das Metallgerüst stehen.
18   KAPITEL EINS: HAGEL

     H A G E L P R ÄV E N T I O N

     Widerstand nach Schweizer Vorbild
     Extreme Hagelstürme mehren sich, doch beim Hagelschutz hat Deutschland Nachholbedarf. Die Gefahr, die aus Gewitter-
     wolken stürzt, wird hierzulande unterschätzt. Ein Forschungsprojekt von Versicherungswirtschaft und Deutschem Wetter-
     dienst (DWD) will Abhilfe schaffen. Ebenso wie der Blick über den Alpenrand, nach Österreich und in die Schweiz, die in Sa-
     chen Hagelforschung Vorreiter sind.

                                                               „Die Kollegen aus den Alpenlän-
                                                               dern prüfen die Hagelresistenz
     Wann hagelt es wo und wie stark,                          von Materialien mit hoch                     Hagelkörnern aus sogenannten
     welche Schäden werden verursacht?                         präzisen Hagelbeschussmaschi-                Hagelkanonen beschossen – eine
     Diese Fragen will das gemeinsame                          nen. Oberflächen werden dabei                Simulation realer Hagelereignisse.
     Forschungsprojekt beantworten.                            mit genormten, unterschiedlich
     In einem weiteren Schritt soll un-                        großen Hagel­körnern in ver-                 In den Internetportalen www.ha-
     tersucht werden, welcher bauliche                         schiedenen Geschwindigkeiten                 gelregister.ch und www.hagelre-
     Schutz in den jeweiligen Hagelregi-                       beschossen und die Schäden                   gister.at sind beispielsweise wider-
     onen angemessen ist und welchen                           ausgewertet. Eine beeindru-                  standsfähige Materialien für Dach
     Kriterien hagelrestistente Materia-                                                                    und Fassade gelistet, die besonders
                                                               ckende wie verlässliche Techno-
     lien entsprechen müssen.                                                                               hagelgefährdet sind: Dachrinnen,
                                                               logie. Die Resultate sind vorbild-
                                                                                                            Dachziegel, Oberlichter, Kunststoff-
                                                               haft auch für Deutschland.“
     Das Ausmaß der Schäden ist zum                                                                         Jalousien und Solaranlagen.
     einen von der Qualität der Baustoffe                      Oliver Hauner, Leiter Sachversicherung
     und zum anderen von Größe und                             beim GDV                                    Für Treibhäuser empfehlen die
     Geschwindigkeit der Hagelkörner                                                                       Schweizer Versicherer Schutznetze;
     abhängig.                                                                                             für die besonders empfindlichen
                                                                                    Außenbauteile von Solaranlagen, insbesondere Solarmodule
     Entsprechend muss sich die Hagelprävention gestalten. Da-                      und -kollektoren werden Membranschichten empfohlen.
     bei stützen sich die deutschen Versicherer auf die Erkennt-
     nisse ihrer Kollegen aus Österreich und der Schweiz. Hier                      Ziel der deutschen Versicherer ist es, ein ähnliches Regis-
     werden Baustoffe entsprechend ihrer Resistenz in mehre-                        ter mit eindeutigen und geeigneten Kriterien und Hand-
     ren Widerstandsklassen zertifiziert. Um diese erstellen zu                     lungsempfehlungen für Verbraucher und Hersteller zu
     können, haben Ingenieure die Materialien mit genormten                         publizieren.

     Versicherungsschutz            Hagelschutz am Gebäude                                                          Zum Schutz der Dächer:
     bei Hagelschäden:                                                                                              hagelresistente Materialien
                                    Besonders gefährdet bei senkrechtem
     Schutz vor finanziellen        Hagel: Dach, Oberlichter, Solaranlagen,
     Schäden durch Hagel,           Dachrinnen. Bei Hagel mit Sturm
     Sturm und Blitzein-            (schräg, seitlich): Fassaden,
                                    Jalou­sien, Fenster, Solar-
     schlag am Gebäude                                                                                              Für Oberlichter:
                                    module
     samt aller fest einge-                                                                                         hagelresistente Mate­rialien
     bauten Gegenstände
     bietet die Wohngebäu-                                                                                          Schutz empfindlicher Solaranlagen:
     deversicherung. Die                                                                                            hagel­resistente Materialien, Mem­
                                                                                                                    bran aus zweiter Schutzschicht
     Hausratversicherung
     schützt den gesamten
     Hausrat vor den Folgen         Zum Schutz
                                    der Fassaden:                                                                   Zum Schutz der Fenster:
     dieser Naturgefahren.                                                                                          hagelresistentes Glas
                                    Dachüberstände,
                                    hagel­resistente
                                    Materialien
19

K A TA S T R O P H E N W A R N S Y S T E M K A T W A R N

Vorsicht! Hagelschlag!
Schnell und individuell schickt KATWARN standortgenaue Katas­
trophenwarnungen aufs Mobiltelefon. Wie dieses verlässliche
System funktioniert, erklärt Arno Vetter vom Verband öffentlicher
Versicherer, der KATWARN gemeinsam mit dem Fraunhofer-Insti-
tut und Mitgliedsunternehmen des GDV entwickelt hat.

Herr Vetter, was ist KATWARN?
KATWARN ist ein Warnsystem,                   STIC HWORT
das nicht nur über eine dro-                  K AT WA R N
hende Gefahr informiert, son-
dern auch, in welchem Postleit-               Das mobile Katastrophen-
zahlengebiet diese Gefahr droht               warnsystem KATWARN ist
und wie zu handeln ist. Damit                 eine für Verbraucher kos-
erreichen wir sehr schnell und                tenlose App bzw. ein SMS-
überall in Deutschland die Men-               Dienst. Einmal angemel-
schen auf dem Gerät, das na-                  det, erhalten die Nutzer
hezu jeder bei sich trägt: Handy              für ihren Wohnort oder
oder Smartphone. Das hilft, sich              den Ort, an dem sie sich
in Sicherheit zu bringen und                  gerade befinden, aktuelle
Schäden zu vermeiden.                         Katastrophenwarnungen
                                              und Schutzhinweise aufs
Wer nutzt KATWARN?                            Smartphone oder Handy.
KATWARN steht allen Kommu-                    Voraussetzung: Die je-
nen und Landkreisen zur Verfü-                weilige Kommune hat
gung. Die jeweiligen Katastro-                KATWARN erworben und
phenschutzzentralen speisen                   vermeldet regionale Ge-
ihre Informationen ein. Das                   fahren.
heißt, jede Kommune, die KAT-
WARN erworben hat, entschei-
det selbst, welche Information sie an ihre Einwohner übermittelt:
Das reicht vom drohenden Hagelgewitter bis zum Hochwasser-
Pegelstand oder zum Schulausfall wegen eines Wassereinbruchs.
Zusätzlich werden die Unwetterwarnungen des Deutschen Wet-
terdienstes bei höchster Warnstufe vermeldet.

Wie funktioniert KATWARN im Detail?
Sie melden sich in dem System per App oder SMS an. Dort geben
Sie Ihre Postleitzahl ein, per App können Sie sogar zwei Postleit-
zahlen angeben. Droht in Ihrem Wohngebiet oder dort, wo Sie
sich gerade befinden, eine Gefahr, erhalten Sie diesen Hinweis mit
einem deutlichen Sonderton auf Ihr Gerät: Was ist das für eine Ge-
fahr? Wie kann ich mich schützen? Auf gleichem Weg erfahren Sie
auch, wenn Entwarnung gegeben wird.

Infos zum Anmelden: www.katwarn.de
20   KAPITEL ZWEI: SCHADENBILANZ 2013
21

Das Jahr der
Naturkatastrophen
        Was für ein Jahr. Schlag auf Schlag folgen
        verheerende Ereignisse, Schäden für Schäden
        türmen sich zu Milliardensummen. Hoch-
        wasser, Hagel und Stürme diktieren dem
        Land einen eigenen Kalender, versetzen es
        binnen weniger Stunden und Tage in Kata-
        strophen- und Ausnahmezustände. Es sind
        teilweise existenzbedrohende Schäden, die
        Juni-Flut, sommerliche Hagelstürme und
        herbstliche Orkane im ganzen Land hinterlas-
        sen. Schäden, die die Menschen nicht nur in
        ihren materiellen Grundfesten erschüttern,
        sondern auch emotional tief treffen.
        Was die Naturgewalten insgesamt und im
        Einzelnen an Wohngebäuden anrichten,
        welche – teils menschengemachten –
        Ursachen die Schäden haben und wie sich
        wirksam davor schützen lässt: das Ausnah-
        mejahr 2013 in Ereignissen und Zahlen.
22     KAPITEL ZWEI: SCHADENBILANZ 2013

                           DAS AUSNAHMEJAH R 2013

                           Milliardenschäden binnen weniger Tage
                           Zwei Wochen währt die Flut vor allem im Süden und Osten des Landes, vier Tage lang schlägt der Hagel
                                über Norden, Mitte und Südwesten hart zu, drei Tage toben die Stürme entlang der Küsten und im
                                  Binnenland. Das Resultat: Milliardenschäden. Die schlimmsten Ereignisse 2013 im Rückblick.

                                      +++ Erst kommt die Flut. +++                                   6. Juni, Donnerstag. Dresden wappnet sich und
                                                                                                     übersteht die Flut deutlich besser als 2002,
                                       Starker Regen hat das Land durchweicht,                       die historische Altstadt bleibt auch dank neuer
                                     lässt die Flüsse anschwellen, die kleinen                       Schutzwälle unbeschadet.
                                  und die großen, vom kühlen Mai bis in den
                                   feuchten Juni hinein. Die Flut wächst zu                          9. Juni, Sonntag. Magdeburg evakuiert 23.000
                                   historischen Pegelhöchstständen und kilo-                         Menschen vor dem schlimmsten Hochwasser al-
                                  meterweiten Überschwemmungen, tausend-                             ler Zeiten. Drei lange Wochen bleibt das Wasser,
                                 fachen Evakuierungen und Schäden, die denen                         in der Stadt herrscht Katastrophenalarm.
                                des Elbhochwassers von 2002 gleichen. 140.000
                           versicherte Schäden binnen 14 Tagen.                                      10. Juni, Montag. Deichbruch in Fischbeck in
Die schlimmsten                                                                                      Sachsen-Anhalt. Das Wasser kommt binnen
Naturkatastrophen          2. Juni, Sonntag. Die Wassermenge in kleinen Flüssen                      Stunden kilometerweit ins Land geströmt und
lokalisiert: Wäh-
rend die Juni-Flut
                           wie Sprotte und Pleiße in Thüringen verdreifacht sich                     breitet sich in Dutzenden Dörfern aus, auf den
die östlichen und          und lässt Talsperren überlaufen. Ganze Gemeinden                          Straßen, in Kellern und Erdgeschossen. 10.000
südlichen Bundeslän-       werden evakuiert.                                                         Menschen fliehen vor den Fluten.
der am stärksten traf,
wütete der Hagel in
Niedersachsen und
                           3. Juni, Montag. Große Flüsse wie Elbe und Donau über­-                   +++ Es folgt der Hagel. +++
Baden-Württemberg.         schwemmen über lange Strecken ungewöhnlich große
Die Orkane im Herbst/      Gebiete. Historischer Pegelhöchststand von 12,89 Me-                      Die ersten Unwetter ziehen übers Land, da
Winter richteten die
                           ter in der Hochwasser-Stadt Passau, hüfthohes Wasser                      herrscht in den Flutregionen noch Katastrophen-
stärksten Schäden im
Norden an.                 in weiten Teilen der Stadt. Katastrophenalarm.                            alarm. Ungewöhnlich kurze, ungewöhnlich ver-
                                                                                                     heerende Unwetter sind es. Hagelstürme werden
                           5. Juni, Mittwoch. Deichbruch im bayerischen Deg­                         folgen, die die betroffenen Landstriche noch nie
                           gendorf. Das Wasser kommt so schnell und so gewal-                        erlebt haben. Wenn von der zweiten Jahrhun-
                           tig, dass viele nur noch fliehen können. Tagelang gibt                    dertflut nach 2002, binnen elf Jahren, die Rede
                           es nur Hubschrauberverkehr. Wer mit dem Boot fährt,                       ist, sprechen sie in Niedersachsen und Baden-
                           muss treibendem Hausrat ausweichen.                                       Württemberg vom Jahrtausendhagel.

Auf einen Blick: Schäden durch Naturgefahren 2013
in Höhe von 7,2 Milliarden Euro
                                                                                  Sachversicherung                           Kfz-Versicherung
                                             Wohngebäude, Hausrat, Industrie, Gewerbe und Landwirtschaft                     Voll- und Teilkasko

5,5            600
              Mio. €
                                        3,1 Mrd. €                                              1,8 Mrd. €                   1,7 Mrd. €                   1,7
Mrd. €                                                                                                                                                    Mrd. €

               500.000                   910.000                                                130.000                    690.000            30 Mio. € für 7.000
            Sturmschäden               Hagelschäden                                        Hochwasserschäden         Sturm-/Hagelschäden      Hochwasserschäden
23

27. Juli, Samstag. Brütende Hitze im ganzen Land,      Flugzeug fliegen – nichts geht mehr bei Sturm-
Temperaturen um die 40 Grad. Plötzlich Gewit-          böen von bis zu 172 Kilometern pro Stunde. Der Or-
ter, Hagel von ungewohnter Intensität und Größe        kan beschädigt nicht nur die Häuser, er greift auch
schlägt Löcher in Dächer, Fassaden, Gewächshäu-        ins öffentliche Leben ein und legt
ser. Tief Andreas zieht vom Ruhrgebiet bis nach        es in weiten Teilen Deutschlands
Wolfsburg, mit kurzen, starken Hagelschlägen           lahm. 300 bis 400 Millionen Euro          „Wir haben es
von 20, 30 Minuten Dauer. Dann ist alles vorbei.       versicherte Sachschäden entste-           2013 mit einem
                                                       hen binnen weniger Stunden.               der schlimmsten
Hagel ist – wenn es einen Vergleich geben kann –                                                    Jahre in der
tückischer als die Flut: Vor diesen Hagelschlägen      5. Dezember, Donnerstag. Knapp             Geschichte der
gibt es nur kurzfristige Vorwarnung. Sie kommen        sechs Wochen später. Kurz vor Ni-          deutschen Ver-
binnen Minuten.                                        kolaus, weder Frost noch Schnee            sicherungswirt-
                                                       in Sicht. Stattdessen wieder ein           schaft zu tun.“
28. Juli, Sonntag. Hagelstürme in Baden-Württem-       Orkan. Xaver kommt langsamer
berg von Villingen-Schwenningen bis Schwäbisch         und er bleibt länger als Christian,        Dr. Alexander Erdland,
                                                                                                  Präsident des GDV
Hall. Keine 24 Stunden nach dem Norden trifft es       schickt Gewitter voraus. Zu Sturm-
den Süden. Der schlimmste Hagelschlag dieses           böen kommen starke Regenfälle
Sommers trifft den Raum Reutlingen. Der Hagel          und, wieder, Hagel. Später Eis und
kommt waagerecht und zerschlägt Fensterscheiben        Schnee. Ab dem Nachmittag ruht für zwei Tage in
und Mauerwerk. Unzählige Menschen müssen aus           einem Großteil Norddeutschlands das öffentliche
ihren zerstörten Häusern in Notquartiere umzie-        Leben. Schulen und Universitäten in Hamburg und
hen. Knapp 2 Milliarden Euro Sachschäden allein an     Schleswig-Holstein haben sturmfrei, deutschland-
diesem Wochenende. Doch es ist noch nicht vorbei.      weit schließen Weihnachtsmärkte, vor allem im
                                                       Westen und Süden. Der Schiffs- und Bahnverkehr
6. August, der übernächste Dienstag. Immer noch        wird eingestellt, Flüge fallen aus. Keiner geht bei
brütende Hitze. Vielerorts schmilzt der Asphalt. Die   Windgeschwindigkeiten von bis zu 159 Kilome-
Gewitter bringen keine Erleichterung, sie bringen      tern pro Stunde vor die Tür.
wieder Millionenschäden: vor allem in Baden-Würt-
temberg, Bayern, Sachsen. 14 Zentimeter misst der      6. Dezember, Freitag. In der Nacht türmt Xaver die
größte gefundene Eisbrocken.                           Nordseewellen auf acht Meter. Sturmfluten rollen
                                                       im Rhythmus der Gezeiten aufs Land. Am frühen
+++ Noch immer kein Ende in Sicht. Mit dem             Morgen erreicht Hamburg seinen Höchstpegel,
Herbst kommen die Orkane, mit ihnen neue Zer-          6,09 Meter, die zweithöchste Sturmflut seit Beginn
störung. +++                                           der Messungen. Anders als die Flut an Donau, Inn
                                                       und Elbe sechs Monate zuvor kommt diese Flut aus
28. Oktober, Montag. Der Herbst ist viel zu warm.      dem Meer. In den Häusern auf dem Hamburger
Orkan Christian kommt vom westlichen Atlantik          Fischmarkt steht das Wasser 2,50 Meter hoch. Die
und fegt über Nord- und Mitteldeutschland hin-         Nordseeinseln werden evakuiert. Als Xaver über die
weg. In den Flut- und Hagelgebieten bauen sie          Ostseeküste weiter gen Baltikum zieht, hat er versi-
noch ihre Häuser auf, da zerstört Christian an-        cherte Sachschäden im Wert von 100 bis 200 Millio-
dernorts weitere Häuser. Auto oder Zug fahren,         nen Euro hinterlassen.
24        KAPITEL ZWEI: SCHADENBILANZ 2013

                                        DIE FLUT UND IHRE SCHÄDEN

                                        Ölverseuchtes Wasser, meterhoch
                           Die Flut hat Deutschland im Juni 2013 im Griff. Mit 140.000 versicherten Schäden im Wert von 1,8 Mil-
                           liarden Euro erreicht das Hochwasser das Schadenausmaß der Elbe-Flut von 2002. „Die zweite Hoch-
                                               wasserkatastrophe mit Milliardenschäden innerhalb von elf Jahren. Es scheint, als
                                               müssten wir uns an Fluten mit diesen Schadendimensionen gewöhnen“, sagt GDV-
             „Ich bin beeindruckt,             Präsident Dr. Alexander Erdland.
             wie schnell und gut die
             Versicherer agiert haben.
             Wir hatten keine signifi-
             kanten Beschwerden auf              Wieder, wie bereits 2002,                                                              Auch Sachsen-Anhalt (310 Millionen Euro), Bayern
             dem Tisch. Hier haben die           trifft es das Bundesland Sach-                                                         (270 Millionen Euro) und Thüringen (140 Millio-
             Versicherer wirklich Her-           sen am stärksten. Fast 900                                                             nen Euro) sind stark von der Flut geschädigt. Ins-
             ausragendes geleistet.“             Millionen Euro, die Hälfte der                                                         gesamt trifft das Hochwasser acht Bundesländer.
                                                 gesamten versicherten Scha-
             Hermann-Josef Tenhagen,
             Chefredakteur von „Finanztest“
                                                 densumme, betragen die                                                                 In drei wesentlichen Punkten unterscheidet sich
             (Mai 2014)                          Schäden an Wohngebäuden,                                                               indes das Juni-Hochwasser 2013 von der Elbe-Flut
                                                 Hausrat und Gewerbe im                                                                 2002: Nicht die Sturzfluten sorgen für schwere
                                                 Land an der Elbe. Doch das                                                             Schäden, sondern die Überschwemmungen
                              Bundesland hat vorgesorgt: Mit staatlichen und                                                            durch lang anhaltende Regenfälle in Regionen
                              individuellen Hochwasserschutzmaßnahmen                                                                   abseits der großen Flüsse. Dort wo ein Großteil
                              konnten die Sachsen das Ausmaß der Schäden                                                                der betroffenen Menschen, insgesamt 85 Prozent,
                              unter dem der Elbe-Flut halten.                                                                           wohnt. Mehr als die Hälfte der Schäden entste-
                                                                                                                                        hen in Regionen, in denen die Wahrscheinlichkeit
                                                                                                                                        eintretenden Hochwassers in Zeitabständen von
                                                                                                                                        200 Jahren liegt. Der Starkregen kann nicht mehr
Vom Juni-Hochwasser am stärksten betroffene Bundesländer                                                                                versickern, weil die Böden so wassergesättigt sind,
                                                                                                                                        wie seit 60 Jahren nicht mehr. Weil der Regen auch

                                                          S C H L E SW I G -
                                                            H O L ST E I N
     D E U TS C H L A N D
      I N S G E S A MT:
                                                              HAMBURG
                                                                                        MECKLENBURG-
                                                                                        VO R P O M M E R N
                                                                                                                            Monatlicher Schadenaufwand 2013 in der Wohn­
  1,8 Mrd. Euro                                                                                                             gebäudeversicherung mit Elementardeckung*
                                                 BREMEN
für 130.000 Schäden an
                                                                                                                            pro Monat in Mio. Euro
Wohngebäuden, Hausrat,
                                                     NIEDERSACHSEN
  Industrie, Gewerbe                                                                                                                                                380,8
  und Landwirtschaft                                                                                        BERLIN
                                                                                                                                                                                              S C H A D E N AU F WA N D
                                                                                                                            In der Statistik wird der                                          2 0 1 3 I N S G E S A MT:
                                                                                                              BRANDENBURG   Zeitpunkt der Schaden-
                                                                                 310 Mio. €                                 meldung abgebildet.                                                   660 Mio. Euro
                                                                               S A C H S E N - A N H A LT
                               NORDRHEIN-
                               W E ST FA L E N                                                                                                                              132,7
                                                                                                     900 Mio. €
                                                                                                            SACHSEN
                                                                       140 Mio. €
                                                  HESSEN                THÜRINGEN

                            RHEINLAND-
                               P FA L Z

                             SAARLAND
                                                                                                                                                                                    36,7
Wieder, wie
                                                                               270 Mio. €                                                                                                  21,4
                                                                                                                                                                                                   15,9    18,5
2002, trifft es                                                                    B AY E R N
                                                                                                                                                              8,0                                                     5,3
Sachsen am schlimms-                            BADEN-
                                                                                                                             2,6     1,9     1,5        1,1
                                            W Ü RT T E M B E R G
ten. Starke Schäden
verursacht das Juni-                                                                                                        Jan. Feb. März Apr. Mai Juni Juli Aug. Sep. Okt. Nov. Dez.
Hochwasser auch in
Bayern und Sachsen-                                                                                                         * Schäden durch Überschwemmung/Starkregen, Hochwasser, Erdbeben, Erdsenkung,
Anhalt.                                                                                                                        Schneedruck, Lawinen/Erdrutsch und Vulkane
N A C H D E M J U N I - H O C H WA S S E R

                                                          Versicherer erhalten Bestnoten
                                                          Gute Noten erhalten die Versicherer von ihren Kunden nach
                                                          dem Hochwasser 2013. Nach einer forsa-Umfrage in den
                                                          besonders stark betroffenen Ländern Sachsen, Sachsen-
                                                          Anhalt und Bayern fühlten sich 90 Prozent der Versicherten
                                                          schon bei der Erstberatung gut aufgehoben. Besonders
kleine Bäche und Flüsse anschwellen lässt, weil           zufrieden waren sie mit der Schnelligkeit und Kompetenz
Deiche brechen und das Hinterland kilometerweit           der Beratung. Innerhalb von wenigen Tagen hatten sich
geflutet wird, stehen nun Landstriche und Häuser          die Versicherer um die Schäden gekümmert, sagten knapp
unter Wasser, deren Menschen auf Überschwem-              80 Prozent der Befragten.
mungen nicht eingestellt sind, etwa durch bauli-          Zum Zeitpunkt der Umfrage, sechs Wochen nach dem Er-
chen Hochwasserschutz.                                    eignis, waren bereits 80 Prozent der Schäden von Fachleu-
                                                          ten begutachtet worden. Dabei hat jeder zweite Befragte
Der zweite Unterschied: Ein hohes Maß an Schä-            eine Vorschusszahlung und konkrete Unterstützung zur
den, vor allem im bayerischen Deggendorf, ent-            Schadenbeseitigung erhalten, beispielsweise durch Ver-
steht durch ausgelaufenes Öl aus zerborstenen             mittlung von Handwerkern oder Trocknungsfirmen.
und beschädigten Öltanks. Dringt Öl ins Mauer-
werk ein, ist dieses komplett kontaminiert. Das Ge-
bäude kann nur noch abgerissen werden. Das mit
Öl verseuchte Wasser steht in den betroffenen Re-     Bayern bauen die Menschen auch über ein Jahr
gionen teilweise wochenlang und fließt nicht ab. Es   nach der Flut ihre Häuser noch auf. Der Wieder-
ist auch eine Katastrophe für die Umwelt. Deshalb     aufbau der öffentlichen Infrastruktur wird wohl
setzen sich Experten wie Otto Schaaf, der Präsident   noch Jahre dauern.
der Deutschen Vereinigung für Wasserwirtschaft,
Abwasser und Abfall, dafür ein, dass die gesetzli-    Mehrere Einzelschäden an Ein- und Zweifamili-
chen Bestimmungen, die Öltanks in Überschwem-         enhäusern von über 400.000 Euro zeugen von der
mungsgebieten verbieten, eingehalten werden           vernichtenden Kraft des Wassers und der schädi-
und auf alternative Heizmethoden umgestellt           genden Wirkung von Öl. Viele der gefluteten Häu-
wird. Der dritte Unterschied schließlich: Bewohner    ser können nur noch abgerissen werden, andere
und Katastrophenschützer waren viel besser auf        werden komplett entkernt. Das feuchte Mauer-
das Hochwasser vorbereitet als im Jahr 2002.          werk muss wochenlang trocknen.

Dieses Hochwasser hinterlässt Milliardenschä-         Die durchschnittliche Schadenhöhe an Wohn-
den, deren Behebung noch Jahre andauern wird.         gebäuden bei der Juni-Flut liegt bei 12.300 Euro.
Es gräbt sich ein in die Erinnerung und den Alltag    Insgesamt entstehen 2013 an Wohngebäuden
der betroffenen Menschen, spürbar noch wie die        Elementarschäden im Wert von 660 Millionen
Markierungen des Wassers an den Fassaden der          Euro.
Häuser sichtbar.
                                                      Die ausführlichen Schadenzahlen finden sich im
In den besonders stark betroffenen Regionen wie       Online-Serviceteil auf www.gdv.de/naturgefah-
Fischbeck in Sachsen-Anhalt und Deggendorf in         renreport2014.
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