Sozial wählen: Armut stoppen, Zukunft schaffen! - 3 | 2017 - Der ...
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D 20493 E 3 | 2017 Sozial wählen: Armut stoppen, Zukunft schaffen! Forderungen des Paritätischen zur Bundestagswahl Nachrichten | Berichte | Reportagen
Inhalt Editorial 3 Foto: Stephanie von Becker Thema Sozial wählen: Armut stoppen, Zukunft schaffen! Forderungen des Paritätischen zur Bundestagswahl In Menschen investieren – von der Kindheit bis zum Alter 4 Mut zum Handeln! Familie, Kinder und Frauen wirksam fördern 6 Für eine humane Flüchtlingspolitik und ein modernes Einwanderungsgesetz 8 Politische Positionen und persönliche Präferenzen 9 Der Mensch muss im Mittelpunkt stehen 10 Im Gespräch mit der Politik 12 Zweiter Armutskongress 12 Umsteuern: Armut stoppen, Zukunft schaffen. Verbandsrundschau 14 Neues Projekt: Gesundheitsförderung für Migrantinnen und Migranten im Quartier 18 Foto: UNION Versicherungsdienst Fördermittel für tausende Projekte 18 Vielfalt ohne Alternative 18 Bundesverdienstkreuz für Verbandsvorsitzenden Rolf Rosenbrock 19 Goldene Ehrenmedaille für Manfred Klocke 20 Mitgliedschaft, die sich lohnt 21 Initiative kulturelle Integration engagiert sich für gesellschaftlichen Zusammenhalt 22 Paritätischer sieht soziale Verantwortung als Arbeitgeber 23 Zehn Jahre Forum der Migrantinnen und Migranten im Paritätischen 24 Armut verbaut immer mehr Menschen die Chance auf einen sozialen Aufstieg 25 23 Sozialpolitik BAGFW-Spitzentreffen mit der Bundeskanzlerin 26 Die Kinder von Inhaftierten sind nahezu unsichtbar 27 Impulse für eine soziale Wohnungspolitik 28 Foto: Fotolia – Thodonal Armutsfeste und solidarische Alterssicherung schaffen 28 Paritätischer für Kindergrundsicherung 28 Die Umsetzung der Pflegereformen in der Praxis – eine Bestandsaufnahme 29 Pflegestärkungsgesetze – Wo bleibt die Stärkung der beruflich Pflegenden?! 31 Reichtum umverteilen 32 Gesamtkonzept gegen Armut und Ausgrenzung gefordert 32 Forum Lebenswirklichkeit von Studierenden 33 Bilderbuch für Kinder von Eltern in Haft 33 Inklusive Emojis fürs Smartphone 33 Werbung für Vielfalt und Inklusion 33 28 Hören & Sehen Literaturempfehlungen| Impressum was? – wann? – wo? 34 35 36 2 www.der-paritaetische.de 3 | 2017
Editorial Professor Dr. Rolf Rosenbrock, Vorsitzender des Paritätischen Gesamtverbands Liebe Leserinnen und Leser, am 24. September wird der 19. Deut- dungsträgern seltener Gehör finden dringenden Handlungsbedarf zur sche Bundestag gewählt. Wie kaum ein und bei politischen Entscheidungen Armutsbekämpfung und Stärkung des anderes Thema beschäftigt die Frage weniger berücksichtigt werden, als sozialen Zusammenhalts in der Ge- nach der sozialen Gerechtigkeit die einkommensstärkere Gruppen. Unge- sellschaft deutlich. Menschen im Land. Das ist kein Zu- hört resignieren viele. Schwerpunktmäßig enthält und be- fall, denn es zeigt sich, dass die gute Doch die gleichberechtigte Chance gründet die vorliegende Ausgabe des wirtschaftliche Entwicklung keines- aller Menschen auf gute Bildung, poli- Verbandsmagazins die Forderungen wegs von selbst zu mehr Gerechtigkeit tische und kulturelle Teilhabe, auf des Paritätischen zu den Bundestags- führt: Die Spreizung der Einkommen Selbstverwirklichung, sozialen Auf- wahlen 2017 und damit die Erwartun- zwischen Arm und Reich nimmt immer stieg und Partizipation am Wohlstand gen an die nächste Bundesregierung. weiter zu, die Zahl der Menschen mit ist die zentrale Bedingung für das gute Dabei geht es in allen Bereichen, von Einkommen an oder unter der Armuts- Zusammenleben und den sozialen Zu- der Familie über die Bildung, Kinder, grenze ist auf skandalös hohem Niveau, sammenhalt unserer Gesellschaft. Die Gesundheitsversorgung, Eingliede- und in der Ungleichheit der Vermö- nächste Bundesregierung muss sich rungshilfe, Pflege, Arbeitsmarkt, Rente, gensverteilung nimmt Deutschland in- dieser sozialen Fragen annehmen und Arbeitslosigkeit, Aufnahme von Flücht- zwischen einen Spitzenplatz ein. Nur Menschen in ihren unterschiedlichen lingen und der Gestaltung von Einwan- wenige Gruppen profitieren vom wirt- sozialen Problemlagen vor sozialer derung, darum, Teilhabe und Chancen- schaftlichen Wohlstand und Wachs- Ausgrenzung schützen. Dazu sind gleichheit zu schaffen, inklusive Struk- tum unseres Landes – in den unteren mehr Investitionen und größere An- turen zu fördern sowie Armut zu be- Sozialschichten kommt davon so gut strengungen für eine inklusive Gesell- kämpfen und vorzubeugen. Armuts- wie nichts an. Das Versprechen der so- schaft erforderlich. bekämpfung kostet Geld. Deshalb setzen zialen Marktwirtschaft, durch Bildung Täglich setzen sich der Paritätische wir uns für eine steuerpolitische Um- und Anstrengung sozial aufzusteigen, und seine Mitgliedsorganisationen für verteilung ein, die große Vermögen wird hierzulande immer weniger ein- die Menschen vor Ort ein, um ihnen in und Erbschaften sowie Unternehmens- gelöst. Vielmehr entscheiden Herkunft ihrer jeweiligen Lebenssituation mehr gewinne stärker als bisher heranzieht, und soziale Lage maßgeblich über die Partizipation in der Gesellschaft zu er- um soziale Sicherheit für alle zu er- Chancen des Kindes. Die soziale Mobi- möglichen. Mit über 500 Teilnehmen- reichen. lität nimmt ab. den, sozialen Trägern, direkt von Ar- Armut hat auch Auswirkungen auf die mut Betroffenen und Wissenschaftlern Herzlich, Ihr politische Teilhabe der betroffenen diskutierte der diesjährige Armuts- Menschen. Eine im Auftrag des Bundes- kongress am 27. und 28. Juni Strate- ministeriums für Arbeit und Soziales gien zur Bekämpfung von Armut. Der erstellte Studie aus dem Jahr 2016 aktuelle Armutsbericht und das Paritä- zeigt, dass einkommensschwächere tische Jahresgutachten bildeten den Menschen bei politischen Entschei- Fakten-Hintergrund und machten den 3 | 2017 www.der-paritaetische.de 3
Forderungen an die neue Bundesregierung Ende Juni fand in Berlin der zweite Armutskongress statt, über den in diesem Magazin ab Seite 14 berichtet wird. In den zahlreichen Beiträgen von Armutsbe- troffenen, Abgeordneten, Wissenschaftlern und Praktikern der Sozialen Arbeit wurde einmal mehr deutlich: Von Armut und Ausgrenzung bedrohte Menschen werden nur selten gehört. Noch seltener finden ihre Interessen Berücksichti- gung im politischen Prozess. Auch die nun endende Wahlperiode des Bundes- tages war eine Zeit der vergebenen Chancen bei der Bekämpfung von Armut und Ungleichheit, obwohl die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen günstiger denn je sind. Kinder- und Altersarmut, Geschlechterungerechtigkeit und Langzeitarbeitslosig- keit stagnieren auf hohem Niveau oder wachsen sogar. Die soziale Ungleichheit nimmt zu. Das muss sich ändern, um der Menschen Willen und weil Gemeinwesen, die Gleich- heit fördern, reicher sind. Sie sind erfolgreicher – sozial, wirtschaftlich und kulturell. In die Menschen investieren – von der Kindheit bis zum Alter P rävention und Selbsthilfe sind sich dabei auf eine umfassende, leis- den. Für sie benötigen wir öffentlich über die Gesundheitspolitik hin- tungsfähige soziale Infrastruktur ver- geförderte, sinnstiftende Beschäfti- aus wichtige Prinzipien Paritäti- lassen können. Gute Beschäftigungs- gungsverhältnisse, die den Menschen scher Arbeit. Menschen zu unterstüt- verhältnisse zu fördern, gerechte Ein- eine Zukunft außerhalb der Grund- zen, indem Hilfebedürftigkeit mög- kommen zu fordern und Mindestlöhne sicherung garantieren. Mit einer Ver- lichst früh und möglichst weitgehend zu garantieren, ist deshalb wichtig. Wer längerung von Bezugsdauer und Rah- vermieden wird und Hilfe zur Selbst- dabei Unterstützung benötigt, dem ist menfrist des Arbeitslosengeldes und hilfe zu organisieren, hat immer Vor- diese bedarfsorientiert zu gewähren – der Förderung von Weiterbildungen rang. Reicht das nicht aus, müssen durch eine Kindergrundsicherung, muss sichergestellt sein, dass Arbeitslo- schnelle, bedarfsorientierte Hilfen or- durch die Förderung von Qualifikatio- sigkeit nicht direkt in die Armut führt. ganisiert und unbürokratisch zugäng- nen, durch Kinderbetreuungsmöglich- Es ist inakzeptabel, dass nicht einmal lich gemacht werden. Wer sich nicht keiten und anderes. Wer einmal ar- jeder dritte Arbeitslose von der Arbeits- selbst helfen kann, der muss sich auf beitslos wird, der verdient individuelle losenversicherung profitiert, weil de- die Solidarität der Gesellschaft verlas- Qualifizierungshilfen und eine verlässli- ren Bezugsbedingungen in den ver- sen können. Dazu soll jeder nach sei- che, soziale Absicherung. Das alles ist gangenen Jahren so restriktiv gestaltet nen Möglichkeiten beitragen. Politik heute nicht ausreichend gewährleistet. wurden. muss dies vermitteln. Öffentlich geförderte Armutsrisiko Erwerbsminderung Arme Kinder gibt es nur Beschäftigung schaffen Auch wegen des steigenden Rentenein- in armen Familien Zu den politischen Aufgaben der Zu- trittsalters schaffen es vier von zehn Etwas aufzubauen erfordert ein stabi- kunft zählt es, eine leistungsfähige Be- Menschen nicht, aus der Erwerbstätig- les Fundament. Ziel der künftigen Po- schäftigungsinfrastruktur zu schaffen, keit direkt in die Rente zu wechseln. litik muss es sein, den Boden dafür zu die nicht nur schnell vermittelbare Ar- Viele Menschen sind vorher erwerbs- bereiten. Das fängt im Kindesalter an beitslose in Arbeit bringt, sondern gera- gemindert, und Erwerbsminderung und hört im Alter nicht auf. Arme Kin- de auch Langzeitarbeitslosigkeit be- gehört zu den großen Armutsrisiken. der gibt es nur in armen Familien. Per- kämpfen hilft. Etwa 400.000 Menschen Das ist unnötig und ungerecht: Der spektiven für Kinder schafft man des- werden aber auch dann keine Aussicht Paritätische fordert deshalb, die Ab- halb dann, wenn ihre Eltern in guten haben, nachhaltig in reguläre Beschäf- schläge für Erwerbsminderungsrent- Erwerbsverhältnissen arbeiten und sie tigungsverhältnisse vermittelt zu wer- ner ersatzlos zu streichen und die Leis- 4 www.der-paritaetische.de 3 | 2017
Forderungen an die neue Bundesregierung fitiert in besonderer Weise vom euro- päischen Integrationsprozess. Europa wird dennoch nur dann dauerhaft Zu- stimmung und Unterstützung finden, wenn es kein Europa der Wirtschaft, sondern ein Europa der Menschen ist. Ein solches soziales Europa muss wei- terentwickelt werden. Europäische För- derpolitik muss so gestaltet werden, dass sie diesem Ziel dient. Die För- derung von sozialen Organisationen, von Bildungseinrichtungen und auf Dr. Joachim Rock, Inklusion gerichteten Dienstleistun- Leiter der Abteilung gen ist dazu unerlässlich. Dies alles Arbeit, Soziales und muss in einer fairen, sozialen Handels- Europa beim ordnung geschehen. Es geht nicht an, Paritätischen dass Bürger- und Verbraucherrechte Gesamtverband eingeschränkt werden, um einseitig große Unternehmen zu privilegieren und diesen selbst gegenüber demokra- tungen der Erwerbsminderungsrente lichen Zuschlag zu seiner Rente be- tischen Staaten durch Handelsabkom- zu verbessern. Die Zwangsverrentung kommen. Der Paritätische hat auch men einseitige Klagerechte einzuräu- von Arbeitslosen muss beendet werden. dafür umfassende, konkrete und fi- men. Der neue Bundestag muss klar- nanzierbare Vorschläge vorgelegt. stellen, dass Handelsverträge Daseins- Altersarmut begegnen vorsorge und soziale Dienste nicht ge- Die Bedeutung der Alterssicherung ist Bundesweit gleichwertige fährden und dem Menschen, nicht nur kaum zu überschätzen. Fast ein Viertel Lebensverhältnisse schaffen der Wirtschaft, nutzen. Zwischen der Bevölkerung ist auf Leistungen der Ungleichheit gibt es nicht nur zwi- Markt und Staat sind es die gemeinnüt- Rentenversicherung angewiesen. De- schen Menschen, sondern auch zwi- zigen Dienste der Wohlfahrtspflege, ren Leistungsniveau wurde in den ver- schen den Regionen in Deutschland. die Katalysatoren der Teilhabe sind. Sie gangenen Jahren massiv reduziert. Die- Mit seinen regionalen Armutsberich- bieten nicht nur Leistungen an, die se Leistungskürzungen sowie veränder- ten hat der Paritätische Pionierarbeit sich der Profitlogik entziehen und un- te Beschäftigungsverhältnisse mit ge- dabei geleistet, die Ungleichheit zwi- ter Einbeziehung freiwilligen Engage- ringeren Löhnen und mehr atypischer schen Regionen sichtbar zu machen ments Unbezahlbares schaffen, son- Beschäftigung spiegeln sich in einem und überwinden zu helfen. Die Verant- dern sind zugleich der Wirtschaftsbe- stetig wachsenden Armutsrisiko älterer wortung vor Ort wächst. Selbst Leis- reich, der auch angesichts der Debat- Menschen. Das Armutsrisiko von Rent- tungen aus Bundesgesetzen sind in- ten um die Digitalisierung sichere und nern und Pensionären liegt inzwischen zwischen unterschiedlich viel wert, je gute Beschäftigung bieten kann. über dem Bevölkerungsdurchschnitt. nachdem inwieweit sie mit der lokalen Es ist deshalb unverständlich, warum Wer einmal von Altersarmut betroffen Infrastruktur eingelöst werden kön- die Wohlfahrtsverbände nicht viel stär- ist, dem droht dies als Schicksal für den nen. Der Bund muss verlässliche ker dabei gefördert werden, mit inno- Rest des Lebens. Der Schlüssel zur Ver- Rahmenbedingungen für die Soziale vativen sozialen Dienstleistungen und meidung von Altersarmut liegt im Arbeit vor Ort schaffen: durch eine Ab- durch Personal- und Organisations- Arbeitsleben. Beiträge zur Alterssiche- schaffung des Bildungs- und Teilhabe- entwicklung ihr Beschäftigungs- und rung sind umfassend anzuerkennen. paketes zugunsten einer finanzierten Leistungspotenzial auszuschöpfen. Zeiten der Kindererziehung, Pflege und Infrastruktur durch die Träger vor Ort, Der neue Bundestag muss die Bereiche auch der Arbeitslosigkeit müssen deut- durch die Fortschreibung und Weiter- entwickeln und fördern, die Menschen lich besser berücksichtigt werden: En- entwicklung der Bundesprogramme dienen und ihnen gute Arbeit ermögli- gagement für andere muss sich lohnen. für Soziale Stadt und die Förderung chen. Nur die Wohlfahrtspflege ge- Wer von Altersarmut betroffen ist, von Stadtteil- und Gemeinwesenarbeit. währleistet beides. dem hilft eine Stabilisierung und An- Der neue Bundestag muss den Bund- Mehr Gleichheit fördern und organi- hebung des Rentenniveaus nur wenig. Länder-Finanzausgleich gerecht gestal- sieren zu helfen, das ist ein Erfolgsre- Diese Maßnahmen helfen aber den- ten und gleichwertige Lebensverhält- zept für die Entwicklung einer Gesell- noch vielen, gar nicht erst in Alters- nisse in ganz Deutschland schaffen. schaft. Dem Paritätischen ist dieses armut zu geraten. Wessen Rente den- Doch nicht nur die kommunale Ebene, Ziel nicht nur in seinem Namen, son- noch nicht reicht, der muss einen un- auch die europäische Ebene hat an Be- dern in seiner verbandlichen DNA bürokratisch gezahlten und auskömm- deutung gewonnen. Deutschland pro- eingeschrieben. 3 | 2017 www.der-paritaetische.de 5
Forderungen an die neue Bundesregierung Mut zum Handeln! Familie, Kinder, Frauen und Jugend wirksam fördern Jede Zeit hat ihre eigenen Herausforderun- nen Kinder als arm gelten, über 40 Prozent gen, muss sich gesellschaftlichen Umbrüchen, der Alleinerziehenden gegenwärtig mit ihrem Krisen und nationalen und globalen Entwick- Einkommen unterhalb der Armutsschwelle lungen stellen und hierauf Antworten finden. liegen, wenn es nach wie vor erkennbare De- Besonders gefragt ist hierbei eine Politik, die fizite bei der Gleichstellung der Geschlechter als gestaltende Kraft Visionen und Ideen in gibt, wenn Kinder und Jugendliche in Deutsch- Konzepte gießen und für deren Umsetzung land nicht über die gleichen Bildungs- und Mehrheiten gewinnen kann. Wenn aber in Teilhabechancen verfügen, wenn Inklusion einem der reichsten Länder der Welt die vielerorts kaum mehr als ein Lippenbekennt- Schere zwischen Arm und Reich immer wei- nis ist, dann fehlt es offenbar an Konzepten, ter auseinander geht, wenn rund 2,7 Millio- Ideen und Gestaltungswillen in der Politik. F ür viele Menschen ist die Familie im Monat auskommen; rund jeder Ein wirksamer Familienlasten- und nach wie vor der zentrale Lebens- zweite Haushalt von Alleinerziehenden -leistungsausgleich findet kaum mehr bereich. Um aber eine Familie hatte ein Nettoeinkommen zwischen statt. Jede familienbezogene Leistung gründen und leben zu können, sind 1.300 und 2.600 Euro. hat ihre eigene Systematik, ihre eigene verlässliche Rahmenbedingungen un- Berechnungsgrundlage und Anrech- abdingbar. Hierbei ist eine monetäre Unzureichende Förderung nungslogik, die es selbst ausgewiese- Entlastung und Förderung von Familien von Familien nen Kennern der Materie oft nicht ebenso erforderlich, wie eine familien- Insbesondere die Armutsquote von leicht macht, den Überblick zu behal- unterstützende Infrastruktur und eine Alleinerziehenden verharrt seit Jahren ten. Obwohl es zahlreiche Ansätze und ausgewogene Zeitpolitik. auf einem anhaltend hohen Niveau. Überlegungen für eine Reform der Laut amtlicher Statistik (Datenreport Ebenso ist die Armutsquote von Fami- familienbezogenen Leistungen gibt, 2016) lebten in Deutschland 2014 ins- lien mit drei und mehr Kindern dop- ist es bisher nicht gelungen, ein ent- gesamt 8,1 Millionen Familien, knapp pelt so hoch wie von Familien mit ei- sprechendes Vorhaben auf den Weg zu ein Fünftel davon waren Familien mit nem und zwei Kindern. Demnach ist bringen. Nach wie vor fehlt es erkenn- einem Elternteil. In etwas mehr als der das Risiko, in Armut zu geraten gerade bar an einer nachhaltigen Strategie zur Hälfte der Familien lebte ein Kind, in für Alleinerziehende und Familien mit Bekämpfung der Armut von Familien. 36 Prozent zwei und in elf Prozent drei drei und mehr Kindern besonders aus- und mehr minderjährige Kinder. Im geprägt. Diese Erkenntnis ist sicher Existenzsichernde selben Zeitraum verfügten neun Prozent alles andere als neu, denn die Daten Kindergrundsicherung aller Familien über ein monatliches sprechen seit Jahren eine eindeutige Vor diesem Hintergrund fordert der Familien-Nettoeinkommen von weniger Sprache. Es ist in Deutschland nach Paritätische eine Reform der mone- als 1.300 Euro. Knapp jede dritte Familie wie vor nicht gelungen, eine hinrei- tären Förderung und Unterstützung verfügte monatlich über ein Nettoein- chende finanzielle Förderung und Un- von Familien. Hierzu sollten alle ent- kommen zwischen 1.300 und 2.600 terstützung von Familien zu erreichen. sprechenden Leistungen auf den Prüf- Euro. Vier von zehn Alleinerziehenden Die Leistungen für Familien gelten als stand gestellt und zu einer einheitli- mussten 2014 mit einem Familien- ineffizient, unübersichtlich und in ihrer chen, existenzsichernden Kindergrund- Nettoeinkommen von unter 1.300 Euro Komplexität kaum mehr verständlich. sicherung zusammengeführt werden. 6 www.der-paritaetische.de 3 | 2017
Forderungen an die neue Bundesregierung Mit dem quantitativen Ausbau der werden. Erste Ansätze für eine Umset- Kindertagesbetreuung, wie er seit 2007 zung von Inklusion finden sich vor vorangetrieben wurde, sowie mit der allem im frühkindlichen Bildungs- Einführung des Rechtsanspruchs auf bereich. Weitere Bereiche, wie etwa einen Betreuungsplatz für Kinder ab das Schul- oder Ausbildungssystem, dem vollendeten ersten Lebensjahr in müssen folgen. Klar sein muss dabei 2013, sind erste wichtige Schritte für jedoch, dass Inklusion nicht zum Null- eine Stärkung der Infrastruktur für tarif zu haben ist. Das gilt auch für die Familien geleistet worden. Die anhal- Schaffung einer inklusiven Kinder- tend hohe Nachfrage nach Betreu- und Jugendhilfe. ungsplätzen macht allerdings deutlich, Der Paritätische fordert die neue Bun- dass auch in den kommenden Jahren desregierung auf, sich konsequent für weitere Anstrengungen beim quantita- Inklusion einzusetzen, die hierfür er- tiven Ausbau notwendig sein werden. forderlichen Prozesse zu initiieren so- Darüber hinaus muss die Qualität des wie die notwendigen Finanzmittel ver- Betreuungsangebots stärker in den bindlich bereitzustellen. Blick genommen werden. Hier müssen deutliche Verbesserungen insbesonde- Gleichstellung der Geschlechter re bei den Rahmenbedingungen er- Laut Artikel 3 Absatz 2 des Grundge- zielt werden. Die Jugend- und Famili- setzes sind Männer und Frauen gleich- enministerkonferenz hat sich auf ihrer berechtigt. Der Staat fördert die tat- Marion von zur Gathen, Sitzung Mitte Mai 2017 auf Eckpunkte Leiterin der Abteilung Soziale Arbeit sächliche Durchsetzung der Gleichbe- für ein Bundesqualitätsentwicklungs- beim Paritätischen Gesamtverband rechtigung von Frauen und Männern gesetz verständigt, der Bund hat die und wirkt auf die Beseitigung beste- hierfür notwendigen Finanzmittel in hender Nachteile hin. Die Ergebnisse Aussicht gestellt. ziehungszeiten bis hin zu einer des 1. und 2. Gleichstellungsberichts Förderung einer familienfreundlichen zeigen nicht nur den konkreten Hand- Bundesqualitätsentwicklungsgesetz Arbeitswelt sowie der Unterstützung lungsbedarf, sie machen auch deut- auf den Weg bringen bei der Übernahme von Pflegetätig- lich, dass es zwischen Männern und Der Paritätische fordert die neue Bun- keiten und Sorge für Angehörige. Frauen nach wie vor ungleiche Ver- desregierung auf, auch in der kom- Der Paritätische fordert die neue wirklichungschancen sowie die un- menden Legislatur den eingeschlage- Bundesregierung auf, sich stärker als gleiche Verteilung von Chancen und nen Weg konsequent weiterzuverfol- bisher mit Ansätzen und Überlegungen Risiken im Lebenslauf gibt. Ausdruck gen, das Bundesqualitätsentwicklungs- für eine nachhaltige Zeitpolitik für dessen ist unter anderem der „Gender gesetz auf den Weg zu bringen und Familien auseinanderzusetzen und Pay Gap“ (Einkommensunterschiede umzusetzen sowie die hierfür notwen- hierbei auch Familienarbeitszeitmo- aufgrund des Geschlechts) sowie der digen Finanzmittel zur Verfügung zu delle zu entwickeln. „Gender Pension Gap“ (Einkommens- stellen. ungleichheit von Männern und Frauen Inklusion als Prozess im Alter). Nachhaltige Zeitpolitik Inklusion steht für die selbstverständ- Es ist nicht länger hinnehmbar, dass Ein wichtiger Aspekt für die Lebens- liche Teilhabe aller Menschen an der Frauen für die gleiche Arbeit weniger qualität von Familien ist Zeit, die für Gesellschaft. Die Teilhabe ist unab- verdienen als Männer, dass „typische Familie, Erwerbsarbeit, bürgerschaftli- hängig von Behinderung, Geschlecht, Frauenberufe“ schlechter entlohnt ches Engagement, die Freizeit sowie sozialen Bedingungen, Fähigkeiten, werden als andere und Frauen auf- die eigene Regeneration zur Verfü- ökonomischen Voraussetzungen, Eth- grund der Übernahme von Sorge- und gung steht. Familien sehen sich immer nizität, Sprache, Religion, sexueller Pflegearbeiten seltener Karriere machen stärker unter Druck, in der „rush hour Orientierung und weiteren individuel- und geringere Rentenanwartschaften of life“ möglichst viele der Erwartun- len Merkmalen. Inklusion ist ein zu erwerben. Der Paritätische fordert die gen zu erfüllen. Eine nachhaltige Fa- gestaltendes gesellschaftliches Prinzip, neue Bundesregierung auf, endlich milienpolitik muss Konzepte und Stra- ein Prozess, dessen Umsetzung für ein Rahmenkonzept für eine konse- tegien für eine nachhaltige Zeitpolitik alle Lebensbereiche und Systeme ent- quente Gleichstellung der Geschlech- entwickeln und auf den Weg bringen. wickelt und gestaltet werden muss. ter vorzulegen und umzusetzen. Diese reichen unter anderem von der Inklusion darf nicht nur Gegenstand Es ist an der Zeit, Mut zum Handeln Förderung der partnerschaftlichen von Sonntagsreden und Lippenbe- zu zeigen und mit neuen Konzepten Vereinbarkeit von Familie und Beruf, kenntnissen sein, sie muss mit Leben und Ideen endlich Teilhabe und Chan- dem erleichterten Zugang zum Ar- gefüllt, zu einem Grundsatz des Zu- cengerechtigkeit für alle Menschen in beitsmarkt nach Betreuungs- und Er- sammenlebens in unserer Gesellschaft Deutschland herzustellen. 3 | 2017 www.der-paritaetische.de 7
Forderungen an die neue Bundesregierung Für eine humane Flüchtlingspolitik und ein modernes Einwanderungsgesetz W ohl kaum jemand hat im Familienzusammenführung Qualitätsmängel, auf die auch der Jahr 2013 vorhergesehen, ermöglichen Paritätische wiederholt hingewiesen wie sehr das Flüchtlings- Als Reaktion auf den Anstieg der hat. Zu einem fairen Verfahren gehört thema in dieser Legislaturperiode die Flüchtlingszahlen hat die Bundesregie- vor allem auch, dass die Betroffen Innenpolitik bestimmen würde. Der zu- rung im Jahr 2016 den Familiennach- über ihre Rechte und Pflichten von nächst großen Offenheit bei der Aufnah- zug für einen Teil der Flüchtlinge bis einer unabhängigen Stelle beraten me von Flüchtlingen folgte dann eine März 2018 ausgesetzt. Für die Betroffe- werden können. Eine solche unabhän- zunehmend restriktive Flüchtlings- nen bedeutet das, dass sie jahrelang gige Verfahrensberatung, die es bis- politik nach dem Motto „so etwas darf von ihren Familien, die noch in den her in Deutschland nur in einigen uns nicht nochmal passieren“. Herkunfts- oder Transitstaaten leben, Bundesländern gibt, muss bundes- getrennt bleiben. Für viele ist das eine weit zur Verfügung gestellt werden. Keine Festung Europa! untragbare Situation; einige kehren des- Es wurden Maßnahmen massiv ver- halb wieder in die Herkunftsländer Rahmenbedingungen der stärkt, um zukünftig die Flucht nach zurück. Gerade wenn man verhindern Integration verbessern Europa zu erschweren beziehungswei- will, dass sich Familienangehörige auf Damit die zügige Aufnahme und se unmöglich zu machen. Diskutiert die höchst unsichere, gefährliche Flucht Integration der Geflüchteten gelingen wird aktuell vor allem, den Flücht- nach Europa begeben, um hier mit der kann, müssen die Rahmenbedingun- lingsschutz in andere Staaten, insbe- Familie in Sicherheit zusammen zu le- gen stimmen. Es ist von zentraler sondere in Nordafrika „auszulagern“. ben, darf man das Recht auf Familien- Bedeutung, allen Flüchtlingen zügig – Der Paritätische hält eine stärkere zusammenführung nicht weiter ein- spätestens nach drei Monaten – Zu- Unterstützung anderer Länder bei der schränken. Der Ausschluss der Familien- gang zu den unterschiedlichen Inte- Aufnahme von Flüchtlingen und beim zusammenführung für Subsidiär grationsangeboten zu gewähren und Aufbau eigener Asylsysteme zwar für Geschütze darf nicht über den März dabei nicht zwischen denen mit und sinnvoll, sie darf aber keine Rechtferti- 2018 verlängert werden! ohne Bleibeperspektive zu unterschei- gung dafür sein, sich selbst der Verant- den. Die Abschaffung des Asylbewer- wortung bei der Aufnahme von Flücht- Faire Asylverfahren gewährleisten berleistungsgesetzes und stattdessen lingen zu entziehen und andere Staa- Die Mehrzahl der neuen Asylverfahren der gleichberechtigte Zugang zu Leis- ten anzuhalten, Flüchtlinge von Europa wird mittlerweile innerhalb weniger tungen nach dem Sozialgesetzbuch fernzuhalten. Daher lehnt der Verband Monate abgeschlossen. Asylverfahren gehören für uns ebenso zu den not- Pläne ab, Asylverfahren in Nicht-EU- sollen aber nicht nur zügig, sie müssen wendigen Rahmenbedingen gelingen- Staaten auszulagern und Flüchtlinge vor allem fair durchgeführt werden. der Integration wie die dauerhafte zurückzusenden, wenn sie vermeint- Tatsächlich gibt es aber zahlreiche Auf hebung von Arbeitsverbot und Vor- lich in anderen Transitländern sicher rangprüfung beim Zugang zum Ar- waren. Europa muss offen bleiben für beitsmarkt. Asylsuchende! Der weitere Ausbau der Sprachför- Mehrere Tausend Flüchtlinge sind im derung und passgenauer Qualifizie- vergangenen Jahr auf ihrer Flucht nach rungsangebote wie auch die frühzeiti- Europa im Mittelmeer ertrunken. Um ge und umfassende Anerkennung mit- dies für die Zukunft zu vermeiden ist gebrachter Qualifikationen sind weite- ein Umsteuern in vielen Bereichen not- re wichtige Bausteine. wendig. Dazu gehört neben der Be- Flüchtlinge müssen uneingeschränk- kämpfung von Fluchtursachen und der ten Zugang zu medizinischer Versor- stärkeren Unterstützung der Transitlän- gung bekommen; wichtig ist insbeson- der insbesondere auch, andere legale dere die Sicherstellung ausreichender Möglichkeiten des Zugangs nach Euro- Angebote zur Behandlung psychischer pa für Schutzsuchende auszubauen. Störungen beziehungsweise Traumata. Wir fordern eine deutliche Aufstockung Harald Löhlein, Leiter der Auch muss der Einsatz von Sprach- Abteilung Migration und entsprechender Aufnahme- bezie- mittlern im Bereich der medizinischen Internationale Kooperation hungsweise Resettlementprogramme. Versorgung finanziert werden. 8 www.der-paritaetische.de 3 | 2017
Forderungen an die neue Bundesregierung Ohne das große Engagement zahlrei- von einer Einbürgerung fern. Die Ein- cher ehrenamtlicher Unterstützerin- bürgerungsmodalitäten müssen ver- Online-Tool zur Wahl nen und Unterstützer kann die Auf- bessert, die Höhe der Gebühren ge- nahme und Integration geflüchteter Menschen kaum gelingen. Damit das senkt und die Voraufenthaltszeiten gekürzt werden. Die Mehrstaatigkeit Politische bisherige Engagement erfolgreich wir- ken kann, müssen die notwendigen muss regelhaft möglich sein und die Optionspflicht komplett abgeschafft Positionen und Unterstützungsstrukturen weiter ge- fördert werden. werden. Insbesondere für die erste Ge- neration der sogenannten „Gastarbei- persönliche Abschiebungen: menschenwürdige ter“ beziehungsweise „Vertragsarbei- ter“ müssen Einbürgerungsverfahren Präferenzen Standards beachten erleichtert werden. Es liegt auch im Erfolgreiche Flüchtlingspolitik misst Interesse der Aufnahmegesellschaft, Wie stehen die Parteien zur Frage sich nicht an einer möglichst hohen dass diejenigen, die hier dauerhaft leben, der Finanzierung von öffentlichen Zahl von Abschiebungen! Aus Sicht des die vollen Bürgerrechte, vor allem auch Beschäftigungsmaßnahmen, zum Paritätischen Gesamtverbands müssen das Wahlrecht erhalten. Mindestlohn und zur Rentenhö- beim Thema Rückkehr die Sicherheit he? Wie soll sich der Betreuungs- und Würde des einzelnen garantiert Besserer Zugang zu schlüssel in Kitas entwickeln und werden. Dazu gehört, dass niemand in Sozialleistungen für EU-Bürger wie ein menschenwürdiges Exis- Länder zurückgeführt wird, in denen Handlungsbedarf besteht aber keines- tenzminimum für Kinder festge- Bürgerkrieg herrscht oder sonstige falls nur bei der Aufnahme von Flücht- legt werden? Soll eine Bürger- Gefahren für Leib oder Leben der lingen, sondern auch hinsichtlich der versicherung die Trennung der Rückkehrer bestehen. Aus diesem Situation von EU-Bürgern. Die neuen privaten und der gesetzlichen Grund lehnen wir Abschiebungen Regelungen, die mehr EU-Bürger von Krankenversicherung überwin- nach Afghanistan ab. Sozialleistungen ausschließen, haben den? Wie kann tatsächliche Teil- Die sogenannte „freiwillige“ Rückkehr, zur Folge, dass immer mehr von ihnen habe für alle Menschen sicherge- muss den absoluten Vorrang vor Ab- in äußerst prekären Verhältnissen leben stellt werden? Wie steht es um das schiebungen haben. Um diese zu för- und von verschiedenen Formen der Asylbewerberleistungsgesetz, die dern, bedarf es einer unabhängigen Ausbeutung, etwa am Wohnungs- oder Mehrstaatlichkeit und das Recht Rückkehrberatung, welche Ausreise- Arbeitsmarkt, betroffen sind. Diese auf Familienzusammenführung? pflichtige neutral über Perspektiven Formen der Ausbeutung müssen ent- Undwas bedeuten die Freihandels- und Möglichkeiten informiert und so- schieden bekämpft und die Rechte der abkommen für die betroffenen mit eine höhere Glaubwürdigkeit und EU-Bürger, auch beim Zugang zu So- Bürgerinnen und Bürger? Akzeptanz erlangen kann als staatliche zialleistungen, gestärkt werden. Beratungsstellen. Wahlhilfe im Internet Soweit Abschiebungen als unausweich- Familienzusammenführung Diese und weitere Fragen zu sozial- lich angesehen werden, gilt es auch verbessern politischen Themen, die eine be- hier, für menschenwürdige Standards Fast alle Parteien haben mittlerweile sondere Bedeutung für den Einzel- zu sorgen. Dies verbietet zum einen die verkündet, dass in der kommenden nen, unsere soziale Arbeit und die Abschiebung von besonders schutzbe- Legislaturperiode die Einwanderung Gesellschaft haben, stellt der Pari- dürftigen sowie gut integrierten Perso- nach Deutschland neu geregelt werden tätische vor der Bundestagswahl nen. Zum anderen regen wir eine Aus- soll. Das ist auch gut so. Neben Erleich- den Parteien. Die Antworten wer- weitung des Abschiebemonitorings an, terungen für qualifizierte Fachkräfte, den in einem Programm verar- um inhumane Abschiebungspraktiken vor allem solche mit einem beruflichen beitet, das die unterschiedlichen künftig zu verhindern. Abschluss, ist es dabei auch wichtig, Positionen der Parteien aufberei- die Regelungen für die Familienzu- tet. Die meisten werden dies vom Einbürgerung erleichtern sammenführung zu verbessern und Wahl-O-Mat der Bundeszentrale Es ist ein Skandal, dass in Deutschland auch die Zuwanderung von gering für politische Bildung kennen. nach wie vor viele Eingewanderte seit Qualifizierten neu zu regeln. Denn Als Ergebnis erhält jede interes- Langem leben, ohne dass sie hier die wenn legale Wege der Zuwanderung sierte Bürgerin beziehungsweise deutsche Staatsangehörigkeit anneh- aus Drittstaaten geschaffen werden jeder Bürger eine Rückmeldung, men konnten. Dafür gibt es verschie- sollen, um Alternativen zum Asylsys- welche Partei mit den eigenen dene Gründe. Langwierige Verfahrens- tem zu bieten, dann muss es auch für politischen Vorstellungen mehr dauer, zahlreiche gesetzliche Hürden, geringer Qualifizierte Zuwanderungs- oder weniger übereinstimmt. Die- die Notwendigkeit, die bisherige Staats- möglichkeiten geben. Dabei kann man se Wahlhilfe ist aufrufbar über: angehörigkeit abzugeben, sowie die auf den positiven Erfahrungen mit den http://wahlhilfe.paritaet.org Höhe der Gebühren halten Menschen Westbalkan-Staaten aufbauen. 3 | 2017 www.der-paritaetische.de 9
Forderungen an die neue Bundesregierung Eine solidarische und gerechte Finanzierung von Pflege und Gesundheit, Leistungen, die den Der Mensch muss Bedarfen der Menschen gerecht werden, und im Mittelpunkt entschiedene Schritte zur Realisierung der Inklusion – das sind einige zentrale Forderungen stehen des Paritätischen Gesamtverbands im Bereich Teilhabe, Gesundheit und Rehabilitation. D ie Gesundheitsreformen der dingungen beeinflussen die Gesund- schen mit hohem Unterstützungs- vorhergehenden Bundesregie- heit wesentlich. Gesundheitsförderung bedarf haben ein Recht auf eine für sie rungen haben die Ungerech- und Prävention können dazu beitra- erreichbare Teilhabe am Arbeitsleben tigkeiten in der gesundheitlichen gen, sozial bedingte gesundheitliche und Beschäftigung. Das Kriterium Versorgung verschärft. Unternehmen Ungleichheiten abzubauen. Zur Errei- „die Schaffung eines Mindestmaßes wurden entlastet, Versicherte müssen chung dieses Ziels fordert der Paritäti- an verwertbarer Arbeit“ ist abzuschaf- durch Zuzahlungen und Zusatzbeiträ- sche, flächendeckende und nachhalti- fen und Teilhabe am Arbeitsleben für ge alleine für die steigenden Kosten auf- ge gesamtgesellschaftliche Strategien ALLE – auch für Menschen mit hohem kommen. Weil die Gesundheit eines und Programme zu entwickeln. Unterstützungsbedarf – umzusetzen. jeden Menschen die zentrale Vorausset- Teilhabe steht vor Pflege! Die Fortfüh- zung für gesellschaftliche Teilhabe und Ressourcen für Inklusion rung der Sonderregelung im BTHG, Selbstbestimmung ist, darf das Gesund- Deutschland hat die UN-Behinderten- mit der eine „Verlegung“ junger Men- heitswesen nicht weiter den marktwirt- rechtskonvention und damit die gleich- schen mit Behinderung in Pflegehei- schaftlichen, ökonomischen Interessen berechtigte Teilhabe und Inklusion me möglich wird, muss abgeschafft untergeordnet werden. Denn: Gesund- von Menschen mit Behinderung aner- werden, weil sie die Leistungsberech- heitsversorgung ist ein Menschenrecht. kannt. Inklusion braucht nicht nur tigten selbst bei der Entscheidungs- Gesundheitsversorgung ist Daseinsver- eine verbale Zustimmung. Inklusion findung ausschließt. sorgung. Deshalb müssen die markt- verlangt eine neue Haltung, kostet Kinder mit Behinderung und deren wirtschaftlichen Mechanismen zurück- Mühe und Geld. Hierfür sind Ressour- Familien brauchen Sicherheit für Leis- gedrängt und wieder eine sach- und cen bereitzustellen! Das neue Bundes- tungen der Früherkennung und Früh- bedarfsgerechte Steuerung eingeführt teilhabegesetz (BTHG) hat behinder- förderung. Hierfür sind verbindliche werden. ten Menschen Verbesserungen zum Regelungen zur Finanzierung und Beispiel bei der Heranziehung von Leistung zu schaffen. Soziale Bürgerversicherung Einkommen und Vermögen für Leis- Als wichtigen Schritt in Richtung eines tungen der Eingliederungshilfe ge- Wahlrecht für alle solidarischen und gerechteren Gesund- bracht. Allerdings bleibt es bei Bedürf- Menschen mit Behinderung heitssystems sieht der Paritätische die tigkeitsprinzip und Fürsorgerecht. Die Der Paritätische fordert volles Wahl- Überwindung der Zwei-Klassen-Me- Eingliederungshilfe für Menschen mit recht für ALLE Menschen mit Behinde- dizin. Die Versorgung der Menschen Behinderung muss unabhängig vom rung. Die Abschaffung der Wahlrechts- muss wieder im Mittelpunkt stehen. Einkommen und Vermögen gewährt ausschlüsse von Menschen mit Behin- Der Paritätische fordert daher die zügige werden. Auch die Möglichkeit zur Ge- derung ist längst überfällig. Einführung einer sozialen Bürger- währung von Leistungen zur gemein- Das Menschenrecht auf inklusive Bil- versicherung sowie den zuzahlungs- schaftlichen Inanspruchnahme von dung ist anzuerkennen und notwen- freien Zugang zu einer qualitativ hoch- Unterstützungsleistungen etwa in der dige sächliche, personelle Ressourcen wertigen gesundheitlichen Versorgung Freizeit oder beim Schulbesuch gegen sind zu gewährleisten. Der Bund muss für alle Menschen. den Wunsch des Leistungsberechtigten Verantwortung übernehmen und dafür sind nicht konform mit der UN-Behin- Sorge tragen, dass Gesetzes- oder Res- Gesundheitsförderung dertenrechtskonvention. sourcenvorbehalte gestrichen werden. und Prävention Die Verbesserungen mit dem Bundes- Wer arm ist, stirbt früher und ist häu- teilhabegesetz greifen fast ausschließ- Selbsthilfe stärken figer krank. Gute Gesundheitspolitik lich für Menschen, die auf dem allge- Damit Partizipation von behinderten muss daher stets alle Politikbereiche meinen Arbeitsmarkt integriert sind und chronisch kranken Menschen auf einbeziehen. Ein stabiles soziales Um- oder ein Mindestmaß an verwertbarer allen gesellschaftlichen Ebenen gelebt feld, gute Arbeits-, Lern- und Wohnbe- Arbeit leisten können. Aber auch Men- werden kann, ist die finanzielle Aus- 10 www.der-paritaetische.de 3 | 2017
Forderungen an die neue Bundesregierung stattung ihrer Selbsthilfeorganisatio- was Bewegung in die Sache. Wenn bau hin zu einer sozialen Bürgerver- nen unter Einbeziehung weiterer Insti- aber nicht nur Personen mit einge- sicherung muss daher oberste politi- tutionen wie etwa den privaten Kran- schränkter Alltagskompetenz eine bes- sche Priorität genießen. Die Beitrags- kenversicherungen zu verbessern und sere Versorgung erhalten sollen, son- bemessungsgrenze muss auf das Ni- gemäß den wachsenden Aufgaben an- dern auch die Gruppe der rein somati- veau der Rentenversicherung angeho- zupassen. Die Patientenvertretungen schen Pflegebedürftigen, ist eine An- ben und das zu berücksichtigende müssen im Hinblick auf personelle hebung der Personalschlüssel alter- Einkommen ausgeweitet werden. Dem und zeitliche Ressourcen vergleichbar nativlos. Die Erhöhung der Personal- kontinuierlichen Anstieg der Eigen- mit den Leistungserbringern und ih- schlüssel beziehungsweise die tatsäch- anteile muss durch regelmäßige und ren Verbänden ausgestattet sein. Zu- liche Umsetzung erreicht in dieser regelgebundene Leistungsanpassun- gleich müssen die Selbsthilfe- und Hinsicht aber nicht das benötigte Niveau. gen begegnet werden. Patientenbeteiligungsrechte in den Der Hemmschuh liegt in den Kosten Sozialgesetzbüchern V (Gesetzliche und im Fachkraftmangel. Durch die Personenkreis erweitern Krankenversicherung) und XI (Soziale Übernahme der Kosten für Behand- In der Hilfe zur Pflege sind die „verges- Pflegeversicherung) weiter ausgebaut lungspflege in teilstationären und sta- senen Personengruppen“ wieder zu werden. Dazu gehört beispielsweise, tionären Pflegeeinrichtungen durch berücksichtigen. Personen ohne Pflege- dass die Selbsthilfe- und Patienten- die Krankenversicherung könnte be- grad erhalten derzeit keine Leistungen vertreter/-innen im Gemeinsamen Bun- reits ein wesentlicher Personalzuwachs der Hilfe zur Pflege mehr. Pflegebe- desauschuss langfristig ein Stimmrecht refinanziert werden. dürftige unterhalb von Pflegegrad 2 erhalten. Dieses sollte in einem ersten haben keinen Anspruch auf Leistun- Schritt ein Stimmrecht in Verfahrens- Leistungen der Pflegeversicherung gen in vollstationären Pflegeeinrich- fragen umfassen. müssen angehoben werden tungen, und deren Leistungen sind ge- Da die Krankenkassen keine Transpa- Um dem Fachkraftmangel entschie- deckelt. Betroffen sind sowohl Nicht- renz bezüglich der Verwendung ihrer den entgegenzutreten, führt kein Weg versicherte als auch Versicherte mit kassenindividuellen Selbsthilfeförde- an einer besseren Bezahlung der ergänzender Hilfe zur Pflege. rung herstellen, bedarf es hierzu einer Pflegekräfte vorbei. Deshalb müssen entsprechenden gesetzlichen Vorgabe, die Leistungen der Pflegeversicherung Kommunen haben eine die vorsieht, dass die Vertreter der deutlich angehoben werden. Die Pfle- zentrale Rolle bei der Selbsthilfe an der Vergabe dieser Mittel gebedürftigen beziehungsweise deren wohnortnahen Versorgung zu beteiligen sind. Angehörige können nicht weiter finan- Die Stärkung kommunaler Aufga- ziell belastet werden. ben in der Pf lege ist ein Flop. Für Umfassende Barrierefreiheit Der Mehrbedarf an Personal und Zeit eine angemessene, wohnortnahe Damit Menschen möglichst selbst- sowie notwendige Lohnsteigerungen und aufeinander abgestimmte, mit- bestimmt lernen, arbeiten und woh- müssen refinanziert werden. Der Um- einander verzahnte Beratungs-, Ver- nen, aber auch ihre Freizeit gestalten sorgungs- und Unterstützungsland- können, gilt es Barrieren möglichst schaft sowie für eine bedarfsgerech- schnell und umfassend abzubauen te Infrastruktur müssen die Kom- und künftig zu vermeiden. Nachdem munen Verantwortung in den rele- sich der öffentliche Sektor hier bereits vanten Feldern für ihre originären auf den Weg gemacht hat, bedarf es Aufgaben der Koordination, Vernet- nun einer besseren Verankerung von zung, Planung und Steuerung über- Barrierefreiheit im privatwirtschaft- nehmen. Ziel muss die Gestaltung ei- lichen Bereich. Dazu braucht es eine ner wohnortnahen Versorgung und bindende Verpflichtung für private nicht die bloße Steuerung von Leistun- Unternehmen zur Barrierefreiheit, die gen und der Einbezug der Wohlfahrts- dem Grundsatz der Verhältnismäßig- pflege sein. keit Rechnung tragen muss und ein je nach Dienstleistungsbereich gestuftes und zeitlich festgelegtes Umsetzungs- konzept beinhaltet. Mehr Pflegepersonal In der Altenpflege wird es keine grund- legende Verbesserung der Versorgung ohne mehr Personal und mehr Zeit für Joachim Hagelskamp Bereichsleiter Pflege und Betreuung geben. Der neue Gesundheit, Teilhabe, Dienstleistungen beim Paritätischen Gesamtverband Pflegebedürftigkeitsbegriffs bringt et- 3 | 2017 www.der-paritaetische.de 11
Im Gespräch Ü ber das steuerpolitische Konzept der Partei Bündnis 90/Die Grünen sprach der Hauptgeschäftsführer des Paritä- tischen Gesamtverbandes, Dr. Ulrich Schnei- der, mit der Bundesvorsitzenden der Partei, Simone Peter. „Wohlhabende müssen end- lich einen fairen Beitrag zum Gemeinwesen leisten. Es darf nicht sein, dass Menschen in Deutschland in Armut leben“, betonte Simo- ne Peter. „Wir setzen uns zum Beispiel da- für ein, Steuersümpfe trocken zu legen, und wollen verhindern, dass extrem hohe Mana- gergehälter auch noch als Betriebsausgaben von den Steuern abgesetzt und damit von der Allgemeinheit mitfinanziert werden. Au- ßerdem müssen Superreiche endlich in die Verantwortung genommen werden. Wir fordern deshalb eine verfassungsfeste und ergiebige Vermögenssteuer.“ U m zu sondieren, wo gemeinsame Themen und Interessen zwischen dem Paritätischen und der FDP liegen könnten, trafen sich der Vorsitzende des Paritätischen Gesamtverbandes, Professor Dr. Rolf Rosenbrock, und Haupt- geschäftsführer Dr. Ulrich Schneider in Berlin mit dem Bundesvorsitzenden der FDP, Christian Lindner. Sie verständigten sich darauf, sich zu den Themen Bil- dungspolitik, sozialer Arbeitsmarkt und Rechtsextremismus vertieft auszutau- schen und gegebenenfalls gemeinsam Dinge auf den Weg zu bringen. Lindner betonte Berührungspunkte zu sehen zwischen dem liberalen Bürgergeld-Kon- zept und dem vom Paritätischen geforderten Passiv-Aktiv-Transfer bei Hartz IV, womit die Umwandlung von Hartz-IV-Leistungen in Richtung einer Beschäfti- gungsförderung gemeint ist. Z u einem grundsätzlichen Aus- tausch über Fragen der Steuer-, Wirtschafts- und Sozialpolitik trafen der Parlamentarische Geschäfts- führer der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, Michael Grosse-Brömer, und der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen, Dr. Ulrich Schneider, zusammen. Schneider unterstrich positive Er- gebnisse aus der nun auslaufenden Legislaturperiode wie die Pflegere- form oder das Präventionsgesetz. Gleichwohl beklagte er Defizite der 12 www.der-paritaetische.de 3 | 2017
Im Gespräch D er Vorsitzende des Paritätischen Gesamtverbandes, Professor Dr. Rolf Rosenbrock, überreichte dem Vor- sitzenden der SPD, Martin Schulz, bei einem Treffen im Willy Brandt Haus das Buch „Gleichheit. Warum gerechte Gesellschaften für alle besser sind“ von Richard Wilkinson und Kate Pickett. Je größer die Einkommensspreizung, desto mehr soziale Probleme gibt es, ist die zentrale These der international aner- kannten Autoren. Soziale Ungleichheit führe zu mehr Ausgrenzung, gesundheit- lichen Problemen, Menschen in Gefäng- nissen und im Ergebnis zu einer kürzeren Lebenserwartung. Ü ber die Rolle der Wohlfahrtsverbände für die soziale Sicherung in Deutschland sprach der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Ge- samtverbandes, Dr. Ulrich Schneider, mit der Fraktionsvorsitzenden der Par- tei Die Linke im Bundestag, Sahra Wagenknecht. „Die Wohlfahrtsverbände erfüllen eine bedeutende Rolle für die soziale Sicherung in Deutschland. Besonders vor der Arbeit der ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer haben wir allerhöchsten Respekt. Allerdings kann das Ehrenamt das Hauptamt nicht ersetzen. Sonst sind die Kräfte irgendwann aufgebraucht“, sagte Sahra Wagenknecht. „Es geht neben dem Ehrenamt immer auch um professionelle Leistungen, die auch bezahlt werden müssen. Hier darf sich die Politik nicht zurücklehnen, denn das Geld dafür ist da. Es kann nicht sein, dass sich auf der einen Seite der Reichtum ballt und auf der anderen Seite nicht genug Pflegepersonal da ist.“ Texte und Fotos: Janina Trebing Koalition in der Armutsbekämpfung und eine aus Sicht des Verbands zu starke Dominanz wirtschaftlicher In- teressen. Grosse-Brömer hielt dem entgegen, dass auch Wohlfahrts- und Sozialverbände wie der Paritätische bei all ihrem wichtigen Bemühen mehr Verständnis dafür aufbringen müssten, dass jegliche sozialpolitische Leistung nur auf einem soliden wirtschaftspoli- tischen Fundament stattfinden könne. Die beiden Oberhausener verabrede- ten auch für die nächste Legislaturperi- ode regelmäßige Gespräche zu gemein- samen Themen. 3 | 2017 www.der-paritaetische.de 13
Armutskongress Zweiter Armutskongress: Umsteuern: Armut stoppen, Zukunft schaffen. Veranstalter fordern in gemeinsamem Aufruf zur Bundestagswahl eine sozial gerechte Steuerpolitik Jakob Augstein, Verleger der Zeitung „Der Freitag“, beschäftigte sich in U seiner Rede mit Rechtspopulismus und Ungleichheit. nter dem Motto Journalismus diesmal unter und Rechtspopulismus und „Umsteuern: Armut anderem mit der Frage, wie die Bedeutung von Ungleich- stoppen, Zukunft eine Gesellschaft ohne Ar- heit für unsere Gesellschaft. schaffen.“ fand Ende Juni im mut aussehen kann. In Vor- Professor Dr. Rolf Rosen- traditionsreichen Langenbeck- trägen, Foren und Arbeits- brock, Vorsitzender des Virchow-Haus in Berlin-Mitte gruppen ging es unter ande- Paritätischen Gesamtver- der zweite Armutskongress rem um Themen wie das bands, betonte zum Auftakt statt. Nachdem es beim ers- Bedingungslose Grundein- des Kongresses, dass Armut ten Armutskongress voriges kommen, die langfristigen längst kein Randproblem Jahr darum ging, was Armut Auswirkungen des wachsen- mehr sei. Sie sei vielmehr ein in einem reichen Land be- den Niedriglohnbereichs auf massenhaftes Phänomen mit- deutet, wo sie systematisch die Renten, um Steuerge- ten in unserer Gesellschaft, produziert wird und wer die rechtigkeit, Herausforderun- das auf mehreren Ebenen be- Betroffenen sind, beschäftig- gen der Wohnungspolitik, kämpft werden müsse. Was er Der Gesundheitsökonom und Professor ten sich die mehr als 500 Bildungs- und Chancen- nicht mehr ertragen könne, für Sozialepidemiologie Richard Wilkin- Teilnehmenden aus Politik, gleichheit sowie den Zusam- sei die Phrase vom „Schritt son sprach über Status, Armut und ge- Wissenschaft, Praxis und menhang zwischen Armut in die richtige Richtung“, be- sellschaftliche Folgen von Ungleichheit. 14 www.der-paritaetische.de 3 | 2017
Die Veranstalter des Armutskongresses stellen den gemeinsamen Aufruf Heinz Georg von Wensiersky vom Bundeserwerbslosenaus- vor: (von li.) Verbandsvorsitzender Professor Dr. Rolf Rosenbrock, Barbara schuss ver.di (links) und Angelika Zwering von der AG Ver- Eschen (Sprecherin der Nationalen Armutskonferenz), Annelie Buntenbach netzung von Betroffenen der Nationalen Armutskonferenz (DGB-Bundesvorstand), Moderatorin Tina Groll. schildern ihre persönlichen Erfahrungen mit Armut. tonte Rosenbrock. „Politik wirkungsvoll einzudämmen. verträgen abzuschaffen.“ Auch reagiert nur auf Druck.“ Um Unterstützt wird der Aufruf der Missbrauch von Werkver- die Schere in der ungleichen von 13 weiteren Sozial-, Wohl- trägen und prekärer Solo- Einkommens- und Vermö- fahrts- und Fachverbänden Selbständigkeit müsse ge- gensverteilung zu schließen sowie gewerkschaftlichen stoppt werden. „Die Menschen und um eine weitere Sprei- Organisationen. brauchen gute und sichere zung der Gesellschaft zu Arbeit, die anständig entlohnt verhindern, müsse in der „Niedriglohnbereich wird und deren Arbeitsbedin- Steuerpolitik konsequent um- austrocknen“ gungen stimmen. Wichtig da- gesteuert werden, so Rolf DGB-Vorstandsmitglied Anne- für ist auch eine vollwertige Rosenbrock. lie Buntenbach wies auf den Berufsausbildung – jedoch Das fordern die Veranstalter Zusammenhang von Armut bieten die Arbeitgeber zu we- des Armutskongresses auch und prekärer Beschäftigung nige Ausbildungsplätze an. in einem gemeinsamen Auf- hin: „Die Politik muss end- Die Politik muss endlich ruf. Der Paritätische Gesamt- lich umsteuern und der Spal- eine gesetzliche Ausbildungs- verband, der Deutsche Ge- tung am Arbeitsmarkt entge- garantie beschließen.“ werkschaftsbund und die gentreten. Es geht darum, Barbara Eschen, die Direktorin Nationale Armutskonferenz den Niedriglohnbereich aus- der Diakonie Berlin-Branden- wollen damit anlässlich der zutrocknen, Minijobs in abge- burg und Sprecherin der Professor Dr. Marcel Fratzscher bevorstehenden Bundestags- sicherte Beschäftigung umzu- Nationalen Armutskonferenz, vom Deutschen Institut für Wirt- wahl zeigen, auf welche Poli- wandeln und die sachgrund- sagte: „Die Regelsätze von schaftsforschung über Ungleicheit tik es ankommt, um Armut lose Befristung von Arbeits- Hartz IV sind zu niedrig. >> und die Bedeutung von Bildung. Oberes Foto: Der stellvertretende Verbandsvorsitzende Josef Schädle (links) im Gespräch. Rechts: Professor Dr. Jutta Allmendinger, die bei vielen Menschen Zukunftspessimismus feststellt. 3 | 2017 www.der-paritaetische.de 15
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