www.pszh.ch Visit - Auf der Reise zum Ich Wir leben im Jetzt, aber zu uns gehören auch Erinnerungen, Illusionen, Träume. Eine "Reise nach innen" ...

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Visit
Nr. 4   Winter 2020

Magazin von Pro Senectute Kanton Zürich
www.pszh.ch

                           Auf der Reise zum Ich
                           Wir leben im Jetzt, aber zu uns gehören auch Erinnerungen,
                           Illusionen, Träume. Eine «Reise nach innen» fördert
                           Erstaunliches zutage.
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INHALT

                                                                                                                                                                                                Liebe Leserin, lieber Leser
                                                                                                                                                                                                «Weisst du noch?»: Nicht nur an Familienfesten,
                                                                                                                                                                                                Dienstjubiläen oder Klassenzusammenkünften
                                                                                                                                                                                                schwelgen wir gerne in Erinnerungen, denken
                                                                                                                                                                                                zurück an frühere Tage, als unsere Welt eine
                                                                                                                                                                                                andere war. Das Telefon hatte noch eine Wähl-
                                                                                                                                                                                                scheibe, erste Miniröcke flanierten durchs Dorf
                                                                                                     Kurz                                                                                       und von der Langspielplatte tönte die wunder-
                                                                                               Feri       -
                                                                                                   ena und                                                                                      bare Stimme von Edith Piaf: «Non, je ne regrette
                                                                                                       ufen
                                                                                                    mög     tha                                                                                 rien.»
                                                                                                        lich lte
                                                                                                                                                                                                Wir alle spüren es: Je mehr Geburtstage wir
                                                                                                                                                                                                feiern, desto farbiger leben die Erinnerungen.       4
                                                                                                                                                                                                Sie sind nach den Worten des Schriftstellers
    Willkommen zu Hause!                                                                                                                                                                        Jean Paul (1763–1825) «das einzige Paradies,
                                                                                                                                                                                                aus dem wir nicht vertrieben werden können».
                                                                                                                                                                                                                                                    Wir leben im Hier und Jetzt, aber wir leben auch mit Illusionen, Träumen
                                                                                                                                                                                                                                                    und Erinnerungen. Eine «Reise nach innen» kann Augen öffnen.
     So vielseitig wie das Leben ist, so individuell ist auch das Älterwerden. Ein schönes Zuhause zu haben und                                                                                 So ganz stimmt das nicht. Denn Rückblicke
     sich wohlzufühlen, bedeutet für jeden etwas anderes. Deshalb bietet die Senevita für jedes Bedürfnis das                                                                                   sind nicht nur erfreulich. Manche bedrücken,
     passende Angebot im Betreuten Wohnen und in der Langzeitpflege. Wir stehen für attraktives Wohnen,                                                                                         einige schmerzen. «Aber Erinnerungen küm-
     individuelle Dienstleistungen und eine ausgezeichnete Gastronomie.                                                                                                                         mern sich nicht darum, ob wir sie gern haben
                                                                                                                                                                                                oder nicht», weiss der Schriftsteller und Kaba-
     Mehrere Standorte im Raum Zürich. Finden Sie Ihr neues Zuhause unter: www.senevita.ch
                                                                                                                                                                                                rettist Franz Hohler (siehe Seite 9): «Alle zu-
                                                                                                                                                                                                sammen – gut oder schlecht – ergeben einen
     Senevita AG, Worbstrasse 46, Postfach 345, 3074 Muri b. Bern                                                                                                                               Gang durchs Leben, den es zu akzeptieren
     Telefon 031 960 99 99, kontakt@senevita.ch, www.senevita.ch
                                                                                                                                                                                                gilt.» Ganz ähnlich sieht es die Zürcher Psycho-     12                                      34
                                                                                                                                                                                                therapeutin Geneviève Grimm-Montel im
                                                                                                                                                                                                Visit-Interview ab Seite 12: «Unsere Identität      «Erinnerungen sind Bausteine           Farben, Formen, Fantasie­welten.
                                                                                                                                                                                                besteht aus Erinnerungen. Sie sind etwas sehr       menschlicher Identität», sagt          Eine frühmorgendliche Foto-
                                                                                                                                                                                                Kostbares, dem man besonders Sorge tragen           Psychotherapeutin Geneviève            wanderung mit der Zürcher

   Sonnmatt
                                                                                                                                                                                                sollte.» Dazu zählen positive Erlebnisse wie        Grimm-Montel.                          Fotografin Ayse Yavas.
                                                                                                                                                                                                auch schwierigere Phasen, sagt Geneviève
                                                                                                                                                                                                Grimm: «Erinnerungen können quälend sein,               LEBENSRAUM                         26 Wie zufrieden sind die Freiwilli-

   tut gut.
                                                                                                                                                                                                                                                                                              gen von Pro Senectute Kanton
                                                                                                                                                                                                aber auch Heilung bringen.»                          4 «Die Reise nach innen kann             Zürich? Eine Umfrage zeigt:
                                                                                                                                                                                                In diesem Visit laden wir Sie ein zu einer Reise       viele Augen öffnen»                    Wer für andere da ist, tut sich
                                                                                                                                                                                                                                                     7 Wacher Geist, offene Ohren:            selbst Gutes
                                                                                                                                                                                                nach innen, in die Welt der Erinnerungen,
                                                                                                                                                                                                                                                       Porträt von Franz Hohler
                                                                                                                                                                                                der Träume und der Fantasie. Denn gedank-
                                                                                                                                                                                                                                                    10 «Ich gehe oft innerlich auf
                                                                                                                                                                                                liche Reisen können gerade in diesen herbst-
                                                                                                                                                                                                                                                       Spaziergang»: Porträt der               LEBENSLUST
                                                                                                                                                                                                lichen Tagen eine wertvolle Kraftquelle sein.          Clownerin Gardi Hutter              30 Studie zeigt: Die Senioren
                                                                                                                                                                                                Erinnerungen auffrischen, Erlebtes teilen und       12 «Erinnerungen sind die Bau-            werden immer onlinefähiger
                                                                                                                                                                                                Geschichten hervorholen: Lassen Sie sich von           steine menschlicher Identität»:     34 Farben, Formen, Fantasie­
                                                                                                                                                                                                den Beiträgen in diesem Visit inspirieren! Sie         Im Gespräch mit der Psycho-            welten – eine Fotowanderung
                                                                                                                                                                                                finden darin bestimmt auch viele Anregungen            therapeutin Geneviève               38 An den Ufern des Sarnersees
                                                                                                                             Foto Titelseite : Daniel Rihs ; Seite 3: Daniel Rihs, Ayse Yavas

                                                                                                                                                                                                für Ihren persönlichen Alltag.                         Grimm-Montel                        42 Rätsel
                                                                          Gesund werden, gesund bleiben,                                                                                                                                                                                   44 Marktplatz

                                                                          gelassen altern.                                                                                                                                                              LEBENSART                          45 Impressum
                                                                                                                                                                                                                                                                                           46 Goldene Zeiten: Erinnerungen
                                                                                                                                                                                                                                                    15 Ein Leben voller Leidenschaft:         an den Winter
                                                                          Sie erreichen uns telefonisch                                                                                                                                                Volkskundlerin Edith Schweizer-­
                                                                          unter 041 375 32 32                                                                                                                                                          Völker (81)
                                                                                                                                                                                                                                                    18 «Das Alter ist bunter geworden»:
                                                                                                                                                                                                                                                                                               BEILAGE AKTIV
                                                                                                                                                                                                                                                       Véronique Tischhauser-Ducrot,       		Agenda mit Veranstaltungen
                                                                          www.sonnmatt.ch                                                                                                                                                              neue Geschäftsleiterin von Pro        und Kursen von Pro Senectute
                                                                                                                                                                                                                 Véronique Tischhauser-Ducrot          Senectute Kanton Zürich               Kanton Zürich
                                                                                                                                                                                                                 Vorsitzende der Geschäftsleitung

Inserat-Visit-2019-188x122-02.indd 1                                                                        08.01.19 08:09

                                                                                                                                                                                                                                                                                                     Visit Winter 2020         3
www.pszh.ch Visit - Auf der Reise zum Ich Wir leben im Jetzt, aber zu uns gehören auch Erinnerungen, Illusionen, Träume. Eine "Reise nach innen" ...
LEBENSRAUM

    «Die Reise nach
    innen kann viele
    Augen öffnen»
    Wir leben im Jetzt, aber wir leben auch mit Erinnerungen, Illusionen,
    Träumen. Eine Reise nach innen fördert oft Erstaunliches zutage.
    Text: Markus Sutter   Fotos: Daniel Rihs

    «Die phantastische Reise» heisst ein uralter Klas-    Vieles bleibt in uns drin
    siker, ein Science-Fiction-Film aus dem Jahre         Ins Ich abzutauchen, von früher erzählen, kann
    1966. Eine Gruppe von Menschen, die zu Winzlin-       die unterschiedlichsten Gefühle auslösen, auch
    gen verkleinert wurden, reist mit einem miniatu-      sehr befreiend wirken. Was aber, wenn diese Mög-
    risierten U-Boot durch die Blutbahnen eines Wis-      lichkeit nicht mehr besteht, weil erworbene Denk-
    senschafters und erlebt im Körper zahlreiche          fähigkeiten, Orientierung und Sprache infolge
    Abenteuer.                                            einer Demenz verloren gegangen sind?
       Unter einer «Reise nach innen», wie das            Dr. Christoph Held, langjähriger Heimarzt und
    Kernthema dieser Ausgabe lautet, kann man sich        Gerontopsychiater in Pflegezentren der Stadt
    vieles vorstellen. In aller Regel ist damit aller-    Zürich, hat Lebensgeschichten von Alzheimer-
    dings nicht etwas Physisches wie im erwähnten         patienten in seinem Buch «Bewohner» dokumen-
    Science Fiction-Streifen gemeint. Auch kaum wohl      tiert (Dörlemann-Verlag, 2017). Alles, was wir in
    ein Arzt, der ein Koloskop (Schlauch) durch den       unserem Leben erlebt hätten, mache unser Ich
    Dickdarm schiebt und dieses Organ mit einer           aus. Die Erschütterung passiere, wenn bei De-
    Kamera im Körperinnern nach einer möglichen           menz das autobiografische Gedächtnis verloren
    Erkrankung absucht.                                   gehe. Aber auch wenn diese Patienten nicht mehr
       Nein, vielmehr geht es bei einer Reise nach in-    wüssten, wer sie waren, seien sie Menschen mit
    nen um Themen wie Selbsterkenntnis, Seelenheil,       einem äusserst sensiblen Verhalten, sagte er ein-
    Spirituelles, Erinnerungen. «Die Erinnerung ist ein   mal in einem Interview.
    Weg, an dem festzuhalten, was du liebst, an dem,         Und zudem: Was wir gelernt und geübt haben,
    was du bist, an dem, was du niemals verlieren         geht nicht so schnell verloren. Sprachen, Lieder,
    willst.» Diese Worte stammen von einer Filmfigur      Sprüche, Witze: Das alles bleibt oft länger erhalten,
    namens Kevin Arnold, der einst in einer populären     ist quasi in uns drin. Im Umgang mit Demenz-
    amerikanischen Serie mitmachte. Erinnerungen          patienten wird deshalb von Fachleuten gerne auf
    sind und bleiben Teil unseres Bewusstseins. Ein       Humor gesetzt, um die Patienten emotional errei-
    Ereignis von früher kann uns entscheidend prä-        chen zu können.
    gen, zum Beispiel in bestimmten Situationen
    Angst, Unsicherheit oder Aggressionen auslösen        Der beste Weg zur Besserung
    – aber auch Freude und Genugtuung.                    Eine Reise ins Innere mit einem Blick in die Ver-
    «Unsere Identität besteht aus Erinnerungen. Sie       gangenheit dient nicht zuletzt dazu, uns selbst
    sind deshalb etwas sehr Kostbares, zu dem man         besser kennenzulernen und zu begreifen. Auch
    besonders Sorge tragen sollte», sagt die Psycho-      was das eigene Verhalten anbetrifft. «Selbster-
    therapeutin Dr. Geneviève Grimm-Montel im In-         kenntnis ist der beste Weg zur Besserung», heisst
    terview in dieser Ausgabe (ab Seite 12).              ein uns altbekanntes Sprichwort. Eine Reise nach

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www.pszh.ch Visit - Auf der Reise zum Ich Wir leben im Jetzt, aber zu uns gehören auch Erinnerungen, Illusionen, Träume. Eine "Reise nach innen" ...
LEBENSRAUM

                     innen zu machen, erfordert allerdings die Bereit-     Eine Reise nach innen anzutreten, zu sich selber
                     schaft zu einer Auseinandersetzung mit sich selbst.   zu finden, ist auch ein zentraler Bestandteil der
                        Doch wollen wir das überhaupt? Der Schrift-        Meditation. «Mithilfe der Meditation werden Sie
                     steller Hermann Hesse hat in seinem Roman             feststellen, dass Sie niemals allein sind, sondern
                     «Demian» einmal Folgendes zu diesem Thema             in allen Lebenssituationen geführt und behütet
                     festgehalten: «Das weiss ich heute: Nichts auf der    werden. Entdecken Sie sich selbst und Ihre urei-
                     Welt ist dem Menschen mehr zuwider, als den Weg       genen Kräfte: So finden Sie mithilfe Ihres Seelen-
                     zu gehen, der ihn zu sich selber führt.»              führers innere Kraft und Sicherheit», heisst es da
                                                                           etwa. Auf diesen Nenner lassen sich zahlreiche
               Wichtige Selbsterkenntnis                                   Meditations-Sachbücher zusammenfassen.
               Denn zu erkennen, wer wir wirklich sind, ist oft                Meditation ist quasi eine Art geistige Ver-
               ein langer und teilweise auch schmerzhafter Pro-            senkung, die das Hier und Jetzt ausblendet und
               zess. Der Abgleich zwischen Selbst- und Fremd-              uns in einen Zustand der inneren Harmonie
               bild fällt nicht leicht. «Ich bin ja gar nicht so»,         katapultieren soll. Die Rede ist auch davon, dass
               heisst es nicht selten. Im Positiven oder im Nega-          sich der Geist beruhigt und alles auf die Atmung
               tiven. In den Buchläden sind unzählige Bücher zu            konzentriert wird. Diese jahrtausendealte Weis-
               dieser Thematik zu finden. Tenor: «Keine Persön-            heitslehre Indiens will ein besseres Körpergefühl
               lichkeitsentwicklung ohne Selbsterkenntnis. Wir             vermitteln. Welche Signale sendet der Körper aus?
               zeigen Ihnen, wie Sie mehr über sich herausfin-             Wo drückt persönlich der Schuh?
                                 den können.»                                  Befindlichkeiten besser kennenzulernen und
                                    Definitionsgemäss versteht             den eigenen Körper bewusster wahrzunehmen,
Warum sind wir so,               man   unter Selbsterkenntnis die          ist auch das A und O von Yoga. Denn unser Geist,
                                 Erkenntnis einer Person über              der Sitz unserer Gedankenwelt, ist ständig aktiv
wieso denken und                 das eigene Selbst. Grundvoraus-           und wird immer wieder von zahlreichen Reizun-
handeln wir, wie wir             setzung dafür ist ein reflexives          gen überflutet. Die Gedanken kommen nicht mehr
                                 und möglichst objektives Be-              zur Ruhe.
es tun?                          wusstsein über unser Denken
                                 und das eigene Verhalten. Wa-             Innehalten, reflektieren, zu sich selbst finden
                                 rum sind wir so, wieso denken             Eine inzwischen recht populär gewordene Mög-
                                                                                                                                                                                                                              «Die Augen sind meine
               und handeln wir, wie wir es tun? Bei einem der-             lichkeit, sich dieser Reizüberflutung zumindest
                                                                                                                                                                                                                              Antennen»: Franz Hohler
               artigen Prozess sollten eigene Standpunkte und              während einer kurzen Zeitspanne zu entziehen,
                                                                                                                                                                                                                              in seinem Arbeits­zimmer.
               Handlungen ehrlich auf den Prüfstand kommen.                bietet eine Auszeit in einem Kloster. «Ich will mir
               Keine leichte Sache. Die Fähigkeit zur Selbst-              alle ein oder zwei Jahre einmal Zeit für mich selbst
               beobachtung und Reflexion ist in der Psychologie            nehmen», sagte mir ein Kollege aus der Manager-
               eine wesentliche Grundlage für die eigene                   gilde, der in seinem ausserklösterlichen Leben

                                                                                                                                  Wacher Geist, offene
               Entwicklung.                                                von Termin zu Termin rennt. Innehalten, reflek-
                                                                           tieren, zu sich selbst finden, statt stets getrieben
                     Seelenheilung durch Meditation                        und fremdbestimmt zu werden: Ein Kloster kann
                     Der immer wieder zu hörende Rat «Sei doch ein-        Abstand und Ruhe schenken, eine Grundvoraus-

                                                                                                                                  Augen und Ohren
                     fach ganz dich selbst» mag gut gemeint sein. Wir      setzung, um ins Ich vorzudringen. Das Leben soll
                     beurteilen schnell andere, beschreiben deren          auf einen wirken können, der Seelenführer für
                     Stärken und Schwächen. Aber uns selbst erken-         innere Kraft und Sicherheit sorgen.
                     nen zu können, wie wir wirklich sind, erfordert          Ein Weg zur Selbstfindung ist schliesslich auch
                     einigen Mut. Vielleicht enthüllt das Ergebnis         die Hypnose. «Selbstfindung mit Hypnose, das
                     gewisse Defizite und deutet auf einen Handlungs­      eigene Selbst und den Weg erkennen»: Mit diesem
                     bedarf hin.                                           Slogan wirbt eine Firma. Der Begriff Hypnose ent-      Träume sind für den Schriftsteller und         «Ds Totemügerli». Diese Kurzgeschichte rund um
                         Es gibt durchaus Menschen, die diesen Schritt     stammt dem Griechischen und bedeutet so viel           Kabarettisten Franz Hohler sehr wichtig.      die beiden Halbstarken «Schöppelimunggi» und
                     wagen. So zählt die Gesprächstherapie zu den          wie «Schlaf». Hypnose soll einen direkten Zugang                                                     «Houderebäseler», 1967 geschrieben, brachte dem
                     häufigsten Formen der Psychotherapie. Sinn und        zu sich selbst ermöglichen. Doch es handelt sich
                                                                                                                                  Er reist gerne, weil dies die Augen für das   Schriftsteller, Kabarettisten und Liedermacher
                     Zweck besteht darin, sich selber besser kennen        nicht wirklich um Schlaf, eher um einen trance-        Andere öffnet und so zur «Vitaminzufuhr       Franz Hohler wohl seinerzeit den Durchbruch.
                     zu lernen, auch weiterzuentwickeln und Verhal-        ähnlichen, entspannten und angstfreien Zustand.        für die Wahrnehmung» wird.                    Unvergessen bleiben die berndeutschen Aus­
                     tensmuster zu interpretieren. Der Weg ins Innere      Er erlaubt, ganz sich selbst zu sein, frei von Er-                                                   drücke, die Hohler mit selber erfundenen misch-
                     ist erfolgversprechend, wenn sich der Patient oder    wartungen und gesellschaftlichen Normen, und           Text: Robert Bösiger   Foto: Daniel Rihs      te. Letztere klangen so gut nach Berndeutsch,
                     die Patientin öffnen kann. Dies wiederum erfor-       soll einen unverstellten Blick auf die eigenen                                                       dass sie zum Teil auch heute noch verwendet wer-
                     dert eine grosse Vertrauensbasis zwischen einer       Träume und Wünsche ermöglichen.                                                                      den. Wer weiss: Vielleicht hat es Franz Hohler ja
                     Therapeutin und einem Patienten, wie Geneviève        Die Möglichkeiten, sein eigenes Ich zu ergründen,                                                    «agschnäggelet», bei allen Auftritten immer das
                     Grimm-Montel festhält.                                sind so vielfältig wie das Leben selbst.                                                            «Mügerli» vorzutragen. Denn heutzutage gehört

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LEBENSRAUM

                        es nicht mehr wie selbstverständlich zu seinem
                        Repertoire. Nun: Schliesslich hat Hohler seither
                                                                              «Alle Erinnerungen zusammen
                                                                              – gut oder schlecht – ergeben
                                                                                                                                      «Fantasie ist unsere stille Begleiterin»
                        auch viele neue Programme und Bücher geschrie-
                        ben, die mehr als genug (neuen) Stoff für Auftritte   einen Gang durchs Leben, und                            Ein Gespräch mit Franz Hohler zum Reisen nach innen und aussen.
                        und Lesungen hergeben.
                                                                              den gilt es zu akzeptieren.»
                        Der Mann und das Cello                                Franz Hohler                                            Wie wichtig ist das Reisen für Sie?                  Erinnerungen sind es ja oft, die eine Reise nach
                        Franz Hohler (77) wächst in Olten auf. Nach der                                                               Franz Hohler: Reisen öffnet die Augen für das        innen ermöglichen. Wie wichtig sind sie für Sie?
                        Matura studiert er Germanistik und Romanistik                                                                 Andere; es ist eine Vitaminzufuhr für die Wahr-      Sehr wichtig. Wenn ich gebeten werde, etwas zu
                        an der Universität Zürich. Während der Studien-       Und so sind es vor allem Lesungen, die der in           nehmung. Das Reisen ist aber nicht unentbehr-        einem bestimmten Thema zu schreiben, kommt
                        zeit führt er sein erstes Soloprogramm «Pizzicato»    Zürich Oerlikon wohnende Schriftsteller bestrei-        lich, denn das Andere kann auch vor meinem           mir oft als Erstes eine Erinnerung hoch.
                        auf (1965). Er bricht sein Studium ab, um sich        tet. Obwohl: Corona-bedingt musste Hohler zahl-         Gartentor vorbeikommen.
                        ganz und gar der Kunst zu widmen. Schon bald          reiche Lesungen aus seinem jüngsten Buch «Fahr-                                                              Wie gehen Sie um mit Erinnerungen? Bleiben
                        zeigt sich: Hohler ist vielseitig begabt: Er kann     planmässiger Aufenthalt» (Verlag Luchterhand)           Worauf schauen Sie besonders, wenn Sie               nur die guten?
                        Geschichten schreiben, erzählen, Lieder kompo-        absagen.                                                verreisen?                                           Jean Paul hat gesagt, die Erinnerung sei das ein-
                        nieren, singen und spielen. Das Cello wird ihm           In diesem Buch geht es ums Reisen – und um           Am wichtigsten ist mir, die eigenen Augen offen      zige Paradies, aus dem wir nicht vertrieben wer-     «Ich bin religiös,
                        zur ständigen Begleiterin.                            die Geschichten dazu. Franz Hohler, oft mit dem         zu halten. Ich weiss ja nicht im Voraus, was mir     den können. Dem wäre hinzuzufügen, dass es           nur glaube ich
                           Oft arbeitet er zusammen mit anderen Künst-        Zug unterwegs, lässt uns teilhaben an seinen Be-        begegnet. Sehenswürdigkeiten gegenüber bin ich       ebenso gut eine Hölle sein kann. Wenn wir dieser     nichts»: Franz
                        lern. So etwa mit dem Pantomimen René Quellet         obachtungen und seinem Blick fürs Detail. Und           eher zurückhaltend. Wenn sich die Gelegenheit        Hölle entfliehen wollen, ist es gut, wenn wir mit    Hohler
                        (Kindersendung «Spielhaus»), den Kabarettisten        dies wie von ihm gewohnt in kurzweiliger, oft au-       ergibt, schaue ich sie gerne an, aber vieles, was    jemandem darüber sprechen können. Aber Erin-
                        Emil Steinberger und Hanns Dieter Hüsch (1925–        genzwinkernder Form – selbst dann, wenn es ihm          nicht im Reiseführer steht, ist ebenso sehens­       nerungen sind hartnäckig und kümmern sich
                        2005). In den letzten Jahren wichtiger geworden       selber nicht zum Lachen ist und er «politisch»          würdig oder erlebenswürdig. Auf der Busfahrt         nicht darum, ob wir sie gern haben oder nicht.
                        ist für Hohler das Schreiben. So sind eine ganze      wird.                                                   in die Eremitage St. Petersburg wurde mir mein       Alle Erinnerungen zusammen – gut oder schlecht
                        Reihe von Geschichten und Büchern entstanden.                                                                 Portemonnaie gestohlen – von wahren Meisterdieben.   – ergeben ja einen Gang durchs Leben, und den
                                                                              Das Alter und die Preise                                Die Ermitage bleibt für mich mit diesem Diebstahl    gilt es zu akzeptieren.
                                                                              Es gehört zu Franz Hohlers grossen Fähigkeiten,         verbunden.
                                                                              mit wachem Geist, offenen Augen («das sind mei-                                                              Tagträumen: Macht Franz Hohler auch hie und
                                                                              ne Antennen») und Ohren durch die Welt zu ge-           Reisen Sie eher im Inland oder im Ausland?           da davon Gebrauch?
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                                                                              hen. So fällt ihm der Stoff für seine Geschichten       Ich bin gern in Ländern, in denen andere Spra-       Ja. Eine Geschichte erfinden heisst eigentlich
                                                                              buchstäblich vor die Füsse.                             chen gesprochen werden und andere Lebensbe-          nichts anderes als Tagträumen.
                                                                                 Sein Cello hat Hohler in den Vorruhestand ge-        dingungen herrschen. Wäre ich nie in der soge-
                                                                              schickt. Und selber möchte er auch immer «pen-          nannten Dritten Welt gewesen, würde mir etwas        Wie steht es mit der Fähigkeit, Fantasiewelten
                                                                              sionierter» werden. Schliesslich werde auch er          fehlen. Aber auch das Inland kennt man weniger       zu erbauen? Ist das bei Ihnen nicht ein Stück
                                                                              älter, wie er sagt. Im Jahre 2017 hat er das Gedicht-   gut, als man meint, und es hält viele Überra-        weit gleichbedeutend mit dem Erzählen von
                                                                              bändchen «Alt?» publiziert. Bei Lesungen hat er         schungen bereit. Darüber habe ich in meinen          Geschichten?
                                                                              dazu jeweils den Beatles-Klassiker «When I’m            Büchern «52 Wanderungen» und «Spaziergänge»          Wenn man einen Schritt aus der Wirklichkeit in
                                                                              Sixty-Four» in seiner Dialektfassung vorgetragen:       geschrieben.                                         die Gedankenwelt tut, dann läuft eine stille Be-
                                                                                                                                                                                           gleiterin mit, die Fantasie, und wenn wir gut hin-
                                                                                 «Weni mol alt bi, sächzgi und meh,                   Gibt es so etwas wie eine Lieblings- oder            hören, erzählt sie schon Geschichten. Wir müssen
    «Da sind wir uns einig.»                                                     i hoff, es goht no lang,                             Herzensdestination für Sie?                          ihr Sorge tragen, denn erfundene Geschichten
                                                                                 machsch mer denn von Zyt zu Zyt e Münzetee,          Ja, eine Alp im Maggiatal, auf der wir inmitten      sind Nahrung für die Wirklichkeit. 

    Rotkreuz-Notruf
                                                                                 chunsch am Sunntig mit mer a See …?»                 eines wilden Waldes eine Hütte haben, und ein
                                                                                                                                      Haus im Hochtal Avers in Graubünden.
                                                                              Seit über 50 Jahren verheiratet ist Franz Hohler
    Meine Mutter will ihre Unabhängigkeit, ich ihre                           übrigens mit seiner Jugendliebe, der Psychologin        Und wie steht es mit dem «Reisen nach innen»?
    Sicherheit. Die Lösung: Der Rotkreuz-Notruf. Im                           Ursula Nagel (77). 2004 publizierte sie selber          Was verstehen Sie darunter, Franz Hohler?
    Notfall wird schnell geholfen. Ich bin beruhigt –                         ­einen Gedichtband («Öpper het mini Chnöche ver-        Zum Beispiel die Träume aufschreiben und über                   Anzeige

    und sie kann weiterhin zuhause wohnen.                                     tuuschet»). Das Ehepaar Hohler hat zwei Söhne.         sie nachdenken. Es sind ja Nachrichten aus den
                                                                               Die Liste von Hohlers Auszeichnungen und               entlegenen Gebieten des eigenen Reiches, Nach-
    Informationen unter Telefon 044 388 25 35                                  Preisen ist sehr lang. Sie reicht vom Conrad-­         richten, die in einer Bildersprache verfasst sind,
                                                                               Ferdi-nand-Meyer-Preis (1968) über den Binding-­       die wir nicht beherrschen. Vielleicht ist gerade
                                                                               Preis für Natur- und Umweltschutz (2001) und den       dies unsere eigentliche Muttersprache.
                                                                               Salzburger Ehrenstier für das Lebenswerk (2008)                                                                                    
                                                                               bis zum Johann-Peter-Hebel-Preis (2014).               Welche Rolle spielen das Spirituelle                                      
                                                                                                                                      und das Religiöse für Sie?                                       LQ.RQȵLNWXQG*HZDOWVLWXDWLRQHQ
                                                                                                                                      Sie nimmt im Alter eher zu. Ich bin religiös, wie                                  
                                                                                                                                      jeder Mensch, nur glaube ich nichts.                                

8         Visit Winter 2020                                                                                                                                                                                                               Visit Winter 2020          9
www.pszh.ch Visit - Auf der Reise zum Ich Wir leben im Jetzt, aber zu uns gehören auch Erinnerungen, Illusionen, Träume. Eine "Reise nach innen" ...
LEBENSRAUM                                                                                                                                                                                                                                  LEBENSRAUM

                                                                                                                            dies und jenes, blicke aus dem Fenster, gehe                In diesem Zusammenhang würde es sie wirk-
                                                                                                                            «innerlich spazieren» und staune oft über das,           lich mal interessieren, wie die Reaktionen von
                                                                                                                            was sie untergründig beschäftige. Hie und da             Primaten auf ihre Programme ausfallen würden.
                                                                                                                            kommen ihr dann auch Gedanken, die sie sich              «Ja», sagt sie, «das wäre ein lustiges Experiment,
                                                                                                                            notiere. Und die – wer weiss – später in Program-        mal vor Orang-Utang zu spielen. Ich muss ja auch
                                                                                                                            me einfliessen.                                          über sie lachen. Sie sind so menschlich. Oder bes-
                                                                                                                                                                                     ser: Wir sind so tierisch.»
                                                                                                                            Vom Theater zum Clown
                                                                                                                            Gardi Hutter kommt am 5. März 1953 in Altstät-           Von der Wut auf die Kirche
                                                                                                                            ten SG zur Welt. Als junge Frau besucht sie zu-             Auf die Frage, ob beim «innerlichen Spazier-
                                                                                                                            nächst das katholische Internat, «weil meine El-         engehen» das Spirituelle und das Religiöse auch
                                                                                                                            tern finden, ich sei zu wild und zu ‹buebig›». Dann      eine Rolle spielen, wird Gardi Hutter nachdenk-
                                                                                                                            absolviert sie das Handelsschuldiplom. Im Alter          lich und sagt: «Das Religiöse im Sinne einer Zu-
                                                                                                                            von 22 Jahren beginnt sie eine klassische Schau-         gehörigkeit zu einer Kirche nicht, das Spirituelle
                                                                                                                            spiel- und Theaterpädagogik-Ausbildung an der            aber schon.» Hier sei «die Lucke nach oben» ziem-
                                                                                                                            Schauspiel-Akademie in Zürich. Die Eltern hätten         lich gross. Sie war schon früh empfänglich für
                                                                                                                            es relativ gelassen genommen, dass sie keinen            spirituelles Erleben. «Beim Empfangen der Hostie
                                                                                                                            «richtigen Beruf» erlernt habe – in der Meinung,         in der Kirche ‹spürte› ich Jesus in mir.» Dieses
                                                                                                                            sie heirate ja doch bald.                                Spüren – oder Imaginieren –
                                                                                                                               Ab den 1980er Jahren tritt Gardi Hutter auf           sei auch beim Theaterspie- «Das Publikum folgt mir in
                                                                                                                            Kleinkunstbühnen auf, damals vor allem noch in           len der Grundmechanismus.
                                                                                                                            Italien, der Schweiz und Deutschland. Wie wir            «Ich bin immer wieder be- eine Fantasiewelt – auf der
                                                                                                                            heute wissen, hat sie sich dann aber rasch als           rührt davon, wie das Publi- ganzen Welt.» Gardi Hutter
                                                                                                                            selbstständige «Clownerin» (ein Begriff von ihr          kum mitgeht, obwohl es im
                                                                                                                            selber) etabliert und eigene Programme zur Auf-          Grunde doch weiss, dass alles nur Fake und ge-
                                                                                                                            führung gebracht. Bis heute dürften es in diesen         spielt ist. Trotzdem sind die Menschen berührt,
                                                                                                                            gut vier Jahrzehnten über 3700 Vorstellungen in          lachen, weinen. Und wenn der ganze Saal vom
                                                                                                                            35 Ländern sein, die sie gegeben hat.                    gleichen Gefühl getragen wird, ähnelt das einer
                                                                                                                                                                                     Messe – einfach ohne Kirche.»
                                                                                                                            Vom Blick hinter die Bergkette                              Mit der Kirche hatte Gardi Hutter schon früh
                                                                                                                            Das führt uns zum Thema Reisen. «Ich habe die-           ihre Probleme und danach «nur noch grosse Wut
                                                                                                                            sen Beruf auch deshalb gewählt, weil ich gern            über deren Frauenverachtung». Sie habe eine Zeit
Hat gelernt, auch alleine heiter                                                                                            reise», sagt sie. Schon als Kind sei sie oft auf einer   lang sogar damit geliebäugelt, Klosterfrau zu wer-
zu sein: Gardi Hutter beim                                                                                                  Wiese gelegen und habe sich über die Bergkette           den. Doch dann seien ihre Zweifel an der Kirche
Pflegen ihrer Clownschuhe.                                                                                                  in die Welt hinaus ge(tag)träumt. Das Reisen im          gewachsen, was dazu führte, «dass ich die Türen
                                                                                                                            Zusammenhang mit Tourneen sei noch viel schö-            vor der Kirche verschlossen habe».
                                                                                                                            ner als jenes als reine Touristin. Denn sie werde
                                                                                                                            abgeholt, umsorgt und von Einheimischen mit den          Fast nur noch positive Erinnerungen

                        «Ich gehe oft innerlich
                                                                                                                            lokalen Gepflogenheiten vertraut gemacht. Als               Zur Reise nach innen gehören auch Erinnerun-
                                                                                                                            Tourist sei man halt nur Teil der zahlenden Masse.       gen. Bis zu ihrer grossen Lebenskrise – etwa mit
                                                                                                                               Wären wir nicht in Zeiten von Corona, Gardi           vierzig – habe sie in ihrem inneren Museum nur
                                                                                                                            Hutter wäre derzeit unterwegs in Neuseeland. «Es         schwere schwarze Helgen an den Wänden gehabt.

                        auf Spaziergang»
                                                                                                                            wurmt mich extrem, weil ich bisher noch nie da           Dann aber habe sie dank Freundinnen und The-
                                                                                                                            gewesen bin», gesteht sie und beginnt zu erzäh-          rapien mehr zu sich gefunden und jetzt hängen
                                                                                                                            len, wie viel ihr das Reisen in fremde Länder be-        da auch frohe helle Bilder. Der frühere «Trotzmo-
                                                                                                                            deutet. «Ich bin immer wieder fasziniert, wie            dus», der zum Aufbruch notwendig gewesen sei,
                                                                                                                            gleich und doch anders die Menschen andernorts           aber sie jetzt nur noch blockierte, sei nun weg und
                                                                                                                            sind.» Ihre Stücke, die ja ohne Worte auskommen,         sie könne leben – fasziniert von dem, was ge-
                        Ohne Worte, aber mit viel Mimik schafft es    Gardi Hutter (67) erreichen wir an einem Morgen       könne sie auf der ganzen Welt spielen. «Überall          schieht und kommt.
                        die «Clownerin» Gardi Hutter, dass sie vom    per Skype in ihrem Heim in Arzo TI, nahe der          kommen die Programme an, überall kommt es im                Gardi Hutter hat mit zunehmendem Alter ge-
                                                                      Landesgrenze zu Italien. Gerade hat sie sich einen    Publikum zu ähnlichen Emotionen. Das Publikum            lernt, auch alleine heiter zu sein. Nun, da ein Buch
                        Publikum auf der ganzen Welt verstanden       Kaffee zubereitet. Damit, sagt sie, beginne für sie   folgt mir in eine Fantasiewelt und kann dabei die        über sie entsteht (es soll im Frühjahr 2021 im
                        wird. Hutter reist gerne – sowohl in fremde   die Reise in den Tag – nach aussen sozusagen.         aktuelle Welt mit all ihren Sorgen und Problemen         Verlag Hier+Jetzt erscheinen), sei sie stark damit
                        Länder als auch in die eigenen Fantasie-      Dann erzählt sie uns, wie sie morgens nach dem        vergessen. Es erstaunt mich immer wieder, dass           beschäftigt, sich zu erinnern und die verstaubten
                        welten.                                       Aufwachen beim Teetrinken immer noch eine             dies auf der ganzen Welt funktioniert.» Ob China,        Schachteln auf den oberen Gestellen runterzuho-
                                                                      Stunde im Bett bleibe und «die Gedanken nach          Brasilien oder sonstwo, sie lachen überall an den        len und zu durchforsten. Was da nicht alles zum
                        Text: Robert Bösiger   Foto: Daniel Rihs      innen schweifen lasse». Sie sinniere dann über        gleichen Stellen.                                        Vorschein komme …

10       Visit Winter 2020                                                                                                                                                                                                            Visit Winter 2020   11
www.pszh.ch Visit - Auf der Reise zum Ich Wir leben im Jetzt, aber zu uns gehören auch Erinnerungen, Illusionen, Träume. Eine "Reise nach innen" ...
LEBENSRAUM

                   «Erinnerungen sind                                                                                        Kann eine gedankliche Reise in die Vergangen-
                                                                                                                             heit, das Auffrischen von Erinnerungen, dazu
                                                                                                                             führen, dass ein verängstigter Mensch seine
                                                                                                                                                                                    sich andere, die die Sache ganz anders erlebt
                                                                                                                                                                                    ­haben. In Erinnerung bleiben nur Ereignisse,
                                                                                                                                                                                     die eine emotionale Bedeutung haben. Den ganz

                   die Bausteine
                                                                                                                             Ängste wieder verliert, ein Verunsicherter an           grossen Rest haben wir vergessen. 
                                                                                                                             Selbstbewusstsein gewinnt?
                                                                                                                             Durchaus. Ängste sollte man nicht verdrängen,
                                                                                                                             sondern ansprechen und versuchen, den Grund

                   menschlicher Identität»
                                                                                                                             dafür herauszufinden. Anliegen der Therapie ist
                                                                                                                             es, den Betroffenen so zu stärken, dass er die
                                                                                                                             Angst überwinden kann. Letztlich geht es darum,
                                                                                                                             dass die Person ihre eigenen Ressourcen entdeckt
                                                                                                                             und die psychische Widerstandskraft unter fach-
                                                                                                                             licher Mithilfe wieder aufzubauen vermag.
                   Die eigene Vergangenheit zu reflektieren, kann massgebend dazu beitragen,
                   gewisse Dinge aus dem Leben besser ­zu verstehen und zu verarbeiten: Davon ist                            Was antworten Sie einer Person, die sagt,
                   die Psychotherapeutin Geneviève Grimm-Montel überzeugt.                                                   «vorbei ist vorbei», ich kann die Dinge eh nicht
                                                                                                                             mehr ändern?
                   Interview: Markus Sutter   Foto: Daniel Rihs                                                              Ich würde dieser Person sagen, dass sich im Leben
                                                                                                                             in der Tat gewisse Dinge zwar nicht mehr rück-
                                                                                                                             gängig machen lassen, aber dass man beim Rück-
                                                                                                                             blick eine andere Sicht darauf bekommen kann.
                   Frau Grimm-Montel, Sie haben 2018 ein Buch           Ich habe Bekannte in Deutschland, deren Gross-       Das sollte das Ziel der Therapie sein. Es ist nie zu
                   mit dem Titel «Der Lebensrückblick in der Psy-       eltern trotz Drängen ihrer Enkel nicht über die      spät, an der Geschichte eines erfüllten Lebens zu
                   chotherapie mit älteren Menschen» publiziert.        Zeit des Nationalsozialismus sprechen wollten.       arbeiten.
                   Kann man aus dem Titel ableiten, dass Erzäh-         Erleben Sie solche Verweigerungshaltungen
                   lungen von früher eine positive Wirkung auf         ­selber auch?                                         Sind Sie der Meinung, dass frühere Erlebnisse,
                   die Psyche auszulösen vermögen?                    Gerade Scham und Schuldgefühle sind wichtige           die man als Kind oder junger Erwachsener
                   Geneviève Grimm-Montel: Auf jeden Fall, wenn       Themen in der Psychotherapie. Was den Zweiten          ­gemacht hat, einen massgebenden Einfluss auf
                   auch nicht in jedem Fall. Menschen erzählen        Weltkrieg anbetrifft, habe ich Erfahrungen mit          das zukünftige Verhalten haben?
                   grundsätzlich gerne aus ihrem Leben. «Weisch       älteren Menschen gemacht, die zu den Opfern            Ja, bestimmt. Es gibt gewisse Dinge, die uns prä-
                   no?» heisst eine häufig ge-                                              zählten. Holocaust-Betrof-       gen, in positivem oder negativem Sinn. Was uns
                   stellte Frage. Unsere Identi-                                            fene wollten nicht über          prägt, bleibt. Man kann jedoch Prägungen aus
                   tät besteht aus Erinnerungen.                                            diese Zeit sprechen, weil        einer neuen Sicht beurteilen und anders damit
                   Sie sind deshalb etwas sehr        «Es ist nie zu spät, an der           sie Angst vor einer Retrau-      umgehen.
                   Kostbares, zu dem man be-          Geschichte eines erfüllten matisierung hatten. In sol-
                   sonders Sorge tragen sollte.                                             chen Situationen ist es          Welche Voraussetzungen müssen oder sollten
                   Die Frage nach dem «Wer bin
                                                         Lebens zu arbeiten.»               besonders wichtig, äus-          erfüllt sein, damit das Erzählen – quasi eine
                   ich?» ermöglicht eine Integra-         Geneviève Grimm-Montel            serst behutsam vorzuge-          ­Reise nach innen – auch Sinn gibt und zu
                   tion von allem, was zum eige-                                            hen. Mit Scham ist nach           einem therapeutischen Erfolg führt?
                   nen Leben gehört. Dazu zäh-                                              meiner Erfahrung übri-           Die Fähigkeit zur Selbstreflektion ist die Voraus-
                   len sowohl positive Erlebnisse als auch schwie-    gens noch schwieriger umzugehen als mit                setzung für eine Reise nach innen. Menschen, die
                   rigere Phasen. Erinnerungen können quälend         Schuld. Schuldhaftes Verhalten kann man oft            nicht fähig oder nicht willens sind, über sich sel-
                   sein, aber auch Heilung bringen.                   wiedergutmachen. Scham dagegen hat mit dem             ber nachzudenken und das eigene Selbstbild in
                                                                      Urteil von anderen zu tun, ohne dass wir darauf        Frage zu stellen, denen fehlt die Motivation für
                   Ein bekanntes Sprichwort lautet: Reden ist         einen Einfluss haben.                                  eine Therapie. Das eigene Selbstbild in Frage zu
                   ­ ilber, Schweigen ist Gold. Soll man bei einem
                   S                                                                                                         stellen – gerade im Alter – braucht viel Mut.
                   Lebensrückblick über alles sprechen, zumin-         Wie gehen Sie mit Schuld- oder Schamgefühlen
                   dest mit der therapeutischen Fachperson?            von Patienten um?                                     Kommt es vor, dass Sie den Patienten klar-
                   In einer Therapie geht es zuerst vor allem darum,   Ich erinnere mich an eine ältere Frau, die einem      machen, dass sie die Wahrheit sagen müssten?            Persönlich
                   ein Vertrauensverhältnis aufzubauen. Das ist die    strengkatholischen Milieu entstammt und mit 20        Sonst könnten Sie ihnen nicht helfen?                   Dr. phil. Geneviève Grimm-Montel (75) arbeitet
                   Voraussetzung für den Therapieerfolg. Die Thera-    Jahren eine Abtreibung vorgenommen hat. Aus           Ich kann niemanden zur Wahrheit zwingen, zu-            als eidgenössisch anerkannte Psychotherapeutin
                   pie soll einen Raum bieten, in dem jemand alles     Angst vor der Reaktion ihres Umfeldes hat sie         mal die Wahrheit immer subjektiv ist. Laut dem          in eigener Praxis. Schwerpunkt ihrer Tätigkeit
                   sagen darf, ohne befürchten zu müssen, an den       jahrzehntelang niemandem davon erzählt. Das           Psychoanalytiker Sigmund Freud ist die biografi-        ist die Lebensrückblickstherapie im höheren
                   Pranger gestellt, für das Tun oder Unterlassen      änderte sich erst, als sie in der Therapie Vertrau-   sche Wahrheit nicht zu haben. Dass es die biogra-       ­Lebensalter. Über dieses Thema hat sie auch
                   verurteilt zu werden. Als Therapeutin muss ich      en fasste und endlich reden durfte und wollte. Die    fische Wahrheit nicht gibt, kommt immer wieder           promoviert. Sie ist verheiratet, hat eine Tochter
                   aber auch respektieren, wenn sich jemand nicht      Scham hat sich in der Folge wie aufgelöst und sie     an Familienfesten zum Ausdruck. Da erzählt der           und wohnt im Kanton Zürich.
                   zu jedem Thema äussern will.                        war sehr erleichtert.                                 Grossvater eine Geschichte, und sofort melden

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www.pszh.ch Visit - Auf der Reise zum Ich Wir leben im Jetzt, aber zu uns gehören auch Erinnerungen, Illusionen, Träume. Eine "Reise nach innen" ...
LEBENSART

                                                      Die Neugierige
                                                      Ihr Leben, sagt die Basler Volkskundlerin Edith Schweizer-Völker, habe
                                                      immer aus Leidenschaften bestanden. Und noch heute sei sie neugierig und
                                                      zukunftsorientiert. Ein Besuch an den Gestaden des Rheins in Basel.
                                                      Text: Robert Bösiger   Foto: Christian Roth

                                                      «Ich habe alles in mich aufgesogen, was mich in-       Begeisterte Volkskundlerin …
                                                      teressiert hat.» Das sagt Edith Schweizer-Völker       Schon bald möchte sie mehr schreiben. Edith
                                                      (81) auf die Frage, was sie studiert hat. Konkret      Schweizer heuert zunächst bei den «Basler Nach-
                                                      studiert hat die im Basler Dreiländereck bekannte      richten» an. Dann kam ihr Engagement beim Ma-
                                                      Volkskundlerin und Kulturjournalistin an der           gazin «B wie Basel» und bei der Dreiland-Beilage
                                                      Universität Basel die Fächer Anthropologie, Ethno-     der «Basler Zeitung». Über diese spannende Zeit
                                                      logie, Volkskunde und Kunstgeschichte. Zudem           spricht sie mit grosser Begeisterung.
                                                      absolvierte sie ein Semester an der Sorbonne in           Ihr erstes Buch, «Butzimummel – Narro – Chluri»,
                                                      Paris, «etwas, das man als Baslerin einfach ma-        wo sie sich der Volksbräuche im Dreiland an-
                                                      chen musste».                                          nimmt, prägt sie und macht sie zur ausgewiese-
                                                         Die Neugier wurde Edith Schweizer-Völker so-        nen und gefragten Kennerin auf ihrem Gebiet.
                                                      zusagen in die Wiege gelegt. Der Vater Paul, ein       Vor allem auch in Fasnachtskreisen macht sie sich
                                                      Grafiker, und die Mutter Elvina aus Mulhouse           einen Namen. Den publizistischen Durchbruch
                                                      gaben ihr ein behütetes Zuhause, zeigten ihr           indes schafft sie mit den beiden Werken «Mythi-
                                                      handkehrum aber auch, dass die Welt nicht nur          sche Orte am Oberrhein» in Zusammenarbeit mit
                                                      aus dem St. Johann-Quartier in Basel bestand.          dem Fotografen Martin Schulte-Kellinghaus. Die-
                                                      Noch gut mag sie sich an die Kriegsjahre besin-        se Bücher seien in der Tat ein «Renner», wie sie
                                                      nen und daran, dass sie ihre Grosseltern mütter-       mit Freude sagt – und dies bereits in der dritten
                                                      licherseits der geschlossenen Grenzen wegen bis        Auflage.
                                                      nach Kriegsende nie hat sehen können. Ebenfalls
                                                      unvergessen bleiben ihr das regelmässige Ver-          … und eingefleischte Fasnächtlerin
                                                      dunkeln, das Grollen der Bombardements aus             Dass die Fasnacht in ihrem Leben eine zentrale
                                                      dem nahen Elsass und die Angst einflössenden           Rolle spielt, erkennt man in ihrer Wohnung auf
                                                      Sirenen.                                               der Kleinbasler Seite des Rheins auf Schritt und
                                                                                                             Tritt. Da hängen Larven, Bilder und Laternenfrag-
                                                      Studium erst nach der Heirat                           mente – und buchstäblich ganz aus dem Häuschen
                                                      Studiert hat die quirlige Baslerin mit den wachen      sind wir beim Besuch des stillen Örtchens, das
                                                      Augen erst nach der Heirat mit dem Lehrer und          bei ihr den Namen «Fasnachtskabinett» trägt und
                                                      Rektor Felix Schweizer ab Mitte der 1960er Jahre.      entsprechend eingerichtet ist.
                                                      Mühe habe sie damals bloss mit dem Umstand                Zum ersten Mal an die Fasnacht geht sie mit
                                                      gehabt, dass sie plötzlich ihren Mädchennamen          Nachbarskindern im Jahre 1946. Es ist damals die
                                                      Völker verloren habe. Dazu sagt sie heute: «Ich        erste Fasnacht nach einer längeren Durststrecke
                                                      bin doch nicht einfach eine Frau Schweizer. Das        – während des Krieges fand sie nicht statt. Sie
                                                      wäre mir viel zu eng!» So nennt sie sich seither       hätten sich verkleidet und seien mit einem Leiter-
                                                      Edith Schweizer-Völker.                                wagen als «Schyssdräggziigli» in die Stadt gegan-
                                                         Zunächst findet sie eine Anstellung beim Karger-­   gen. Seither sei sie dem Fasnachtsvirus erlegen,
                                                      Verlag. Dieser Verlag, ursprünglich in Berlin ge-      berichtet Edith Schweizer-Völker.
                                                      gründet und von der Familie Karger wegen zu-              Später, mit 20 Jahren, formiert sie mit Gleich-
                                                      nehmender Repressionen seitens der Nazis nach          gesinnten die Clique «Suurampfle». Sie lernt
Von Kindsbeinen an hat sich Edith Schweizer-Völker    Basel verlegt, ist heute der grösste wissenschaft-     Piccolo. Auch heute lässt die angefressene
für andere Länder und andere Kulturen interessiert.   liche und medizinische Fachverlag der Schweiz.         Fasnächtlerin keine Fasnacht aus. Immer am

                                                                                                                                                             Visit Winter 2020   15
www.pszh.ch Visit - Auf der Reise zum Ich Wir leben im Jetzt, aber zu uns gehören auch Erinnerungen, Illusionen, Träume. Eine "Reise nach innen" ...
LEBENSART                                                                                                                                                                                                                                                         PUBLIREPORTAGE

«Ich habe alles in mich
aufgesogen, was mich
                                                                               Fasnachtsdienstag schlüpfe sie in ihr «Goschdym»
                                                                               und gehe auf die Piste. Sie mag lieber nicht daran
                                                                               denken, dass die Fasnacht 2021 womöglich erneut
                                                                                                                                                          Was man gegen Einsamkeit
interessiert hat.»
                                                                                                                                                          im Alter tun kann
                                                                               dem Coronavirus zum Opfer fallen könnte.
Edith Schweizer-Völker
                                                                               Das adoptierte Kind
                                                                               Kinder wollte sie bis 30 keine, dann aber schon.
                                                                               Bei einer Reise mit ihrem Mann durch Indien hät-                           Ältere Menschen tragen ein besonders grosses Risiko, einsam zu werden.
                                                                               ten sie die vielen Waisen gesehen und sich ent-                            Einsamkeitsgefühle wirken sich negativ auf die Lebensqualität und die Gesundheit
                                                                               schlossen, ein Kind zu adoptieren. Edith Schwei-                           aus. Die neue Website www.gesund-zh.ch ermöglicht über 65-jährigen Menschen aus
                                                                               zer erzählt: «Überraschenderweise kam dann von                             dem Kanton Zürich, etwas gegen die Einsamkeit zu tun.
                                                                               Terre des hommes kein Kleinkind, sondern ein
                                                                               Buschi. Ich habe noch schnell einen Crashkurs
                                                                               absolviert, um wenigstens anständig einen Schop-                           «Seit ich alleine bin, fühle ich mich ein-
                                                                               pen machen zu können.» Heute ist aus dem sei-                              sam», erzählt Therese Tobler*. Nach der
                                                                               nerzeitigen kambodschanischen Flüchtlingskind                              Trennung von ihrem Partner quälten
                                                                               Noë Sovann ein gestandener Mann geworden, der                              die 69-Jährige Gefühle der Einsamkeit.
                                                                               im Bauteam der Parkanlagen und Spielplätze der                             «Einsamkeit ist ein schmerzlicher
                                                                               Stadt Winterthur tätig ist.                                                Mangel an Nähe, den jemand über
                                                                                  Seit damals habe sie Asien ins Herz geschlos-                           einen gewissen Zeitraum erfährt», sagt
                                                                               sen, räumt sie ein. Ihre Lieblings- und Herzens-                           Bettina Ugolini, Leiterin der Beratungs-
                                                                               destination sei Südostasien. Und natürlich ihre                            stelle Leben im Alter am Zentrum für
                                                                               «grenzenlose» Dreiland-Region Basel.                                       Gerontologie der Universität Zürich.
                                                                                  Mit ihrem derzeitigen Leben ist Edith Schwei-                           Einsamen Menschen fehle das Gefühl,
                                                                               zer-Völker zufrieden. Sie lebe eher in der Zukunft                         von anderen Personen beachtet, ge-
                                                                               als in der Vergangenheit, gesteht sie. Derzeit sei                         braucht und anerkannt zu werden.
                                                                               sie sehr an der weiteren Entwicklung des Klein-
                                                                               basler Klybeckquartiers interessiert. Dieses                               Ereignisse können
                                                                               Quartier war bis vor wenigen Jahren von der che-                           Einsamkeit hervorrufen
                                                                               mischen Industrie geprägt, «jetzt aber entsteht so                         Ältere Menschen haben ein besonders
                                                                               viel Tolles hier». So erstaunt es nicht, dass sie                          hohes Risiko, einsam zu werden. Denn
                                                                               auch für die Kleinbasler Quartierzeitung namens                            mit dem Älterwerden nimmt die An-
                                                                                                                                                                                                       Aktiv zu sein und gemeinsam etwas zu erleben, kann gegen Einsamkeit helfen.
                                                                               «mozaik» regelmässig in die Tasten haut.                                   zahl an Kontakten ab. «Vertraute Men-
                                                                                                                                                          schen sterben und für diese Beziehun-
                                                                               Kulturgut Totentanz                                                        gen gibt es oftmals keinen Ersatz», so       Aktiv werden, Menschen treffen
                                                                               Mit dem Spirituellen befasse sie sich eher am Ran-                         Bettina Ugolini. Oft sind Gefühle von        Therese Tobler ist es gelungen, etwas
                                                                                                                                                                                                                                                  Neue Website
                                                                               de. Und mit Religion – respektvoll beobachtend                             Einsamkeit mit Ereignissen verknüpft         gegen die Einsamkeit zu tun. Sie           gegen Einsamkeit
                                                                               – beim Volksbrauchtum und fasziniert von der                               wie dem Tod eines geliebten Menschen,        schloss sich an ihrem Wohnort ZÄME-        Prävention und Gesundheitsförderung
                                                                               Vielfalt der Ausdrucksformen. Ihre Lebenserin-                             Isolation durch Krankheit oder Tren-         GOLAUFE an. Hier können Menschen           Kanton Zürich hat eine neue Website
                                                                               nerungen bedeuten ihr viel. Vor allem die guten,                           nung – wie im Fall von Therese Tobler.       ab 60 Jahren in ihrer Wohngemeinde         für Menschen ab 65 Jahren aufgeschal-
                                                                               wie sie präzisiert. «Doch, selbstverständlich»,                                                                         regelmässig, kostenlos und ohne An-        tet. Die Website www.gesund-zh.ch
                                                                               antwortet sie auf die Frage, ob sie sich auch mit                          Negative Folgen                              meldung gemeinsam spazieren gehen.         führt Angebote aus dem Kanton Zürich
                                                                               dem Älterwerden, dem Alter und letztlich mit dem                           für die Gesundheit                           ZÄMEGOLAUFE ist eines von rund             auf, die das Wohlbefinden stärken. Die
                                                                               Ende beschäftige. So richtig bewusst geworden,                             Einsamkeit schränkt nicht nur die Le-        60 Angeboten, die auf der neuen Web-       Angebote ermöglichen es, Neues zu
                                                                               dass sie nun «alt» sei, sei ihr das erst mit 80 Jah-                       bensqualität ein, sie schadet auch der       site www.gesund-zh.ch zu finden sind.      lernen, Kontakt zu knüpfen sowie Hilfe
                                                                               ren geworden. «Bis dahin habe ich das Älterwer-                            Gesundheit. «Gefühle der Einsamkeit          Die Website umfasst Angebote, die ge-      anzunehmen oder anzubieten. Und dies
                                                                               den gar nicht richtig realisiert – wohl auch, weil                         können zu Stress und Depressionen            gen Einsamkeit helfen können.              entweder am Computer, ohne Computer
                                                                               ich meistens gesund war.»                                                  und zu Kopfschmerzen, Herzproblemen          «Beziehungen auffrischen und pflegen,      zu Hause oder auswärts mit Menschen.
                                                                                  Dem Tod sei sie erstmals beim frühen Tod ihres                          und Bluthochdruck führen», erklärt           aktiv sein und sich engagieren: All dies
                                                                               Vaters begegnet, indirekt aber auch, indem sie                             Bettina Ugolini. Die meisten einsamen        kann gegen Einsamkeit helfen», emp-
                                                                               sich gerne und oft mit dem «Totentanz» bei der                             Menschen ziehen sich aus dem gesell-         fiehlt Bettina Ugolini. «Ich rate Men-
                                                                               Predigerkirche befasst habe. Über dieses Basler                            schaftlichen Leben zurück. Das macht         schen, offen auf andere zuzugehen,
                     Edith (vorne links) als kleines Mädchen 1949 in den       Kulturgut habe sie oft geschrieben und auch Vor-                           es schwer, aus der Einsamkeit heraus-        Gelegenheiten zu nutzen und beim Ein-
                     Winterferien in Flums zusammen mit ihrer Familie:         träge gehalten. «Ich habe mich seinerzeit wahn-                            zufinden. Das kennt auch Therese Tobler:     kaufen oder Spazierengehen einer Per-
                                                                                                                                      Bild: Gettyimages

                     Vater Paul, Mutter Elvina und Brüderchen Robert Völker.   sinnig genervt, als man die Tram-Haltestelle                               «Wenn ich mich einsam fühle, hilft           son mal zuzulächeln, damit ein Kontakt
                     Auf dem unteren Bild ist Edith Schweizer-­Völker als      plötzlich von ‹Totentanz› in ‹Universitätsspital›                          nichts. Ich sitze zu Hause und habe          entstehen kann.»
                     junge Frau anno 1965 zu sehen.                            umbenannt hat.»                                                           keine Kraft, Kontakt zu suchen.»             *Name geändert

16     Visit Winter 2020
www.pszh.ch Visit - Auf der Reise zum Ich Wir leben im Jetzt, aber zu uns gehören auch Erinnerungen, Illusionen, Träume. Eine "Reise nach innen" ...
LEBENSART

                      «Das Alter ist                                                                              Sie sind seit Anfang Juli Vorsitzende der
                                                                                                                  ­G eschäftsleitung von Pro Senectute Kanton
                                                                                                                   ­Zürich. Was hat Sie an dieser Aufgabe
                                                                                                                                                                            gestalten. Bei den Dienstleistungen hat sich ge-
                                                                                                                                                                            zeigt, dass wir den Kontakt zu vielen unserer
                                                                                                                                                                            Kundinnen und Kunden auch über Telefon oder

                      bunter geworden»
                                                                                                                    besonders gereizt?                                      E-Mail erfreulich gut pflegen konnten. Es war so-
                                                                                                                  Véronique Tischhauser: Das Altern ist ein Pro-            gar möglich, Sozialberatungen telefonisch zu füh-
                                                                                                                  zess, der uns alle betrifft – er ist die Geschichte des   ren. Das zeigt, dass sich unsere Dienstleistungen
                                                                                                                  Menschen. Und Menschen und ihre Geschichte                weiterentwickeln und digitaler werden können.
                                                                                                                  interessieren mich. Schon in meiner bisherigen
                                                                                                                  beruflichen Laufbahn habe ich mich mit den Be-            Menschen über 65 sind von der Corona-­
                      Ihr Start im neuen Job fiel in eine aussergewöhnliche Zeit. Mitten in der Corona-Pandemie   dürfnissen des Alters beschäftigt. Zuerst in der          Pandemie besonders stark tangiert.
                      hat Véronique Tischhauser-Ducrot den Vorsitz der Geschäftsleitung von Pro Senectute         Versicherungsbranche, als ich mit Fragen der              Sie gelten gemeinhin als Risikogruppe …
                      Kanton Zürich übernommen. Was sind ihre Erkenntnisse aus den ersten Monaten? Und            finanziellen Altersvorsorge zu tun hatte. Danach          Da braucht es unbedingt eine
                                                                                                                  während rund 10 Jahren im Gesundheitswesen. Die           differenziertere Definition und
                                                                                                                                                                            genauere Regelungen, um die «Auch in zehn Jahren
                      wie sieht sie die Zukunft der gemeinnützigen Organisation?
                                                                                                                  heutige Aufgabe ist so gesehen wie eine Weiterent-
                                                                                                                  wicklung meiner früheren Tätigkeiten. Zudem:              Menschen zu schützen. Pro wird die Armut nicht
                      Interview: Ivo Bachmann   Foto: Renate Wernli                                               Wenn man die Möglichkeit hat, sich für Pro Senec-         Senectute kämpft dafür, dass
                                                                                                                  tute Kanton Zürich engagieren zu dürfen, dann ist         ältere Menschen nicht pau-
                                                                                                                                                                                                              verschwunden sein.»
                                                                                                                  das eine grosse Chance und spannende Aufgabe.             schal als Risikogruppe dekla- Véronique Tischhauser-Ducrot
                                                                                                                                                                            riert werden. Denn man darf
«Aktivierung,
                                                                                                                  Wer einen neuen Job antritt, hat ein persön­              nicht vergessen: Viele ältere Menschen sind sehr
soziale Kontakte
                                                                                                                  liches Bild von der Organisation. Haben sich              aktiv und sozial engagiert – allein bei Pro Senec-
und Bewegung
                                                                                                                  Ihre Vorstellungen erfüllt?                               tute Kanton Zürich gibt es rund 3500 Freiwillige.
– das sind die
                                                                                                                  Ich habe unglaublich engagierte Mitarbeiterinnen          Sie wollen sich engagieren.
entscheidenden
                                                                                                                  und Mitarbeiter kennengelernt, an allen Stellen
Faktoren, um im
                                                                                                                  und in allen Bereichen. Die Motivation ist überall        Die Generation der Babyboomer geht momentan
Alter selbstständig
                                                                                                                  spürbar wie auch die Verbundenheit mit der älte-          in Rente. Manche Neurentner haben jedoch
leben zu können»:
                                                                                                                  ren Bevölkerung. Das hat mich sehr gefreut.               das Gefühl, Pro Senectute sei etwas für die
Véronique Tisch-
                                                                                                                                                                            «richtig alten Leute». Was entgegnen Sie ihnen?
hauser-Ducrot.
                                                                                                                   Sie haben Ihre neue Aufgabe mitten in der                Klar, das Alter ist bunter geworden. Unsere Kundin-
                                                                                                                  ­Corona-Pandemie übernommen.                              nen und Kunden bilden mehr als eine Generation.
                                                                                                                  Ja, das war eine sehr spezielle Situation. Zuerst         Die Situation und die Bedürfnisse sind entspre-
                                                                                                                  befürchtete ich, meinen Job im Homeoffice starten         chend vielfältig. Doch Aktivierung, soziale Kontak-
                                                                                                                  zu müssen. Das war dann zum Glück nicht der               te, Bewegung – das sind die entscheidenden Fakto-
                                                                                                                  Fall. Im Juni konnten unsere Dienstleistungszen-          ren, um auch im Alter selbstständig zu Hause leben
                                                                                                                  tren wieder öffnen und die Mitarbeitenden all-            zu können. Das ist der Kern unserer Arbeit: die
                                                                                                                  mählich zurückkehren ins Büro. Das hat den                Prävention. Und dafür gibt es keine Altersgrenze.
                                                                                                                  Einstieg erleichtert. Doch die Pandemie prägt
                                                                                                                  unseren Alltag nach wie vor stark. Wir setzen uns         Dennoch: Es gilt, die Interessen von 60-Jährigen
                                                                                                                  regelmässig mit unseren Schutzkonzepten aus-              genauso abzudecken wie die Bedürfnisse von
                                                                                                                  einander und den Rahmenbedingungen, die                   100-jährigen Menschen.
                                                                                                                  unabdingbar sind, um sicher arbeiten und Leute            Das ist tatsächlich ein riesiger Spagat. Aber unser
                                                                                                                  in unseren Zentren empfangen zu können. Viele             Auftrag und unsere Angebote richten sich nicht
                                                                                                                  Menschen sind verunsichert. Unsere Mitarbeiten-           nur nach dem Alter. Sie orientieren sich am kon-
                                                                                                                  den unterhalten sich darüber Tag für Tag mit              kreten Unterstützungsbedarf. Wie hoch ist etwa
                                                                                                                  unseren Kundinnen und Kunden, beraten und                 der Verlust bestimmter Fähigkeiten, wie gross sind
                                                                                                                  unterstützen sie.                                         die Einschränkungen? Es gibt Seniorinnen und
                                                                                                                                                                            Senioren, die auch mit 90 Jahren kaum Hilfe brau-
                                                                                                                  Gibt es bereits Lehren, die Sie aus dieser Pan-           chen, weil sie noch fit und aktiv sind. Umgekehrt
                                                                                                                  demie ziehen, spezielle Erkenntnisse vielleicht           haben manche Menschen, die an der Schwelle zur
                                                                                                                  auch für die Zeit nach Corona?                            Pensionierung stehen, bereits Unterstützung nötig
                                                                                                                  Ja, da gibt es einiges. Unsere Organisation war           – etwa weil sich ihre persönliche oder familiäre
                                                                                                                  dank einer modernen Infrastruktur glücklicher-            Situation so verändert hat, dass sie gewisse Dinge
                                                                                                                  weise gut aufgestellt: Unsere Mitarbeitenden              nicht mehr selber erledigen können. Wir wollen
                                                                                                                  konnten sofort ins Homeoffice wechseln. Und sie           die Menschen dort abholen und unterstützen, wo
                                                                                                                  machten damit insgesamt gute Erfahrungen. Da-             sie stehen – sei es in Kursen, mit finanzieller oder
                                                                                                                  rauf wollen wir aufbauen, indem wir Arbeitsfor-           administrativer Unterstützung oder über unsere
                                                                                                                  men und Teamarbeit neu denken und flexibler               Sozialberatung.                                   >>

18      Visit Winter 2020                                                                                                                                                                                                    Visit Winter 2020   19
LEBENSART

                                                                          Pro Senectute Kanton Zürich will eine Grund-          unser Gesicht vor Ort und bilden das direkte Bin-    das ist der Zement unserer Gesellschaft. Ander-
                                                                          versorgung für alle Bereiche der Altersarbeit         deglied zwischen unseren Dienstleistungen und        seits werden sich auch Senioren individueller und
                                                                          bieten. Was bedeutet das?                             den Kundinnen und Kunden. Freiwillige engagie-       schneller informieren, Dienstleistungen und An-
                                                                          Heute prägt die medizinische Sicht das Bild der       ren sich im Schnitt mehr als sechs Jahre. Das ist    gebote digital beziehen wollen. Doch was wir
                                                                          Altersarbeit und der Altershilfe – also vor allem     schön. Aber wir sehen auch, dass eine gewisse        nicht vergessen dürfen: Auch in zehn Jahren wird
                                                                          die Perspektive der Pflege. Das verdeutlicht auch     Verjüngung nötig wird. Wir müssen uns überle-        die Armut nicht aus der Schweiz verschwunden
                                                                          eine neue Studie des Bundesamtes für Sozialver-       gen, wie wir Interessierte auch in kurzfristigere,   sein. Unsere diesbezüglichen Dienstleistungen
                                                                          sicherungen. Unser Anliegen ist, dass das Ver-        projektbezogene Aktivitäten einbinden können.        werden weiterhin nötig sein. Und ich hoffe, dass
                                                                          ständnis der Altershilfe breiter wird. Viele ältere   Junge Senioren sind heute sehr viel aktiver. Über    wir die Zusammenarbeit mit den Gemeinden und
                                                                          Menschen brauchen medizinische Pflege erst in         ein freiwilliges Engagement können sie ihr Know-     dem Kanton vertiefen können mit dem Ziel einer
                                                                          einer späten Lebensphase. Aber schon früher           how, ihre Erfahrung weitergeben und so auch          umfassenden integrierten Altersarbeit.
                                                                          wünschen sie Aktivierungsangebote und gezielte        persönlich viel Befriedigung erfahren. Und nicht
                                                                          Unterstützung, damit sie weiterhin gut zu Hause       zuletzt wird über den Einsatz von Freiwilligen       Pro Senectute Kanton Zürich wird wohl noch
                                                                          und selbstbestimmt leben können. Das ist letzt-       die Solidarität unter den Generationen gefördert.    wichtiger werden – allein schon, weil es immer
                                                                          lich auch das Ziel der Politik: Menschen sollen       Das ist uns wichtig.                                 mehr ältere Menschen gibt.
                                                                          möglichst lange in ihrer gewohnten Umgebung                                                                Lassen Sie es mich so sagen: Unsere Rolle wird
                                                                          bleiben können. Es braucht also mehr Betreuung        Dass Freiwilligenarbeit entschädigt wird –           wichtiger. Wir selber sind nicht wichtig. Die alten
                                                                          und Unterstützung auch in nichtmedizinischen          ein Thema?                                           Menschen sind es. 
                                                                          Belangen.                                             Das ist im Moment eine grosse Diskussion – in-
                                                                                                                                nerhalb von Pro Senectute, aber auch zusammen
                                                                          Von aussen betrachtet hat Pro Senectute               mit dem Bund. Freiwillige dürfen nur eine kleine
                                                                          Kanton Zürich zwei Gesichter. Sie ist zum             Spesenvergütung erhalten. Aber je komplexer die
                                                                          einen eine gemeinnützige Einrichtung, zum             Dienstleistungen werden und je umfangreicher
«Junge Senioren sind heute sehr viel aktiver.                             andern eine Anbieterin auch kommerzieller             und intensiver der Einsatz, desto wichtiger wird
Über ein freiwilliges Engagement können                                   Dienstleistungen. Ist diese Doppelrolle nicht         es, dass man auch über eine gewisse Entschädi-
sie ihr Know-how, ihre Erfahrung weitergeben                              problematisch?                                        gung diskutiert. Selbstverständlich soll Freiwil-
                                                                          Das ist wie Kopf und Zahl auf einer Münze – sie       ligenarbeit nicht mit einem Lohn abgegolten wer-
und so auch persönlich viel Befriedigung erfahren.»                       gehören zusammen. Wir können unser Gesamt-            den. Aber eine Wertschätzung auch in Form einer
Véronique Tischhauser-Ducrot                                              angebot nur aufrechterhalten, weil wir professi-      adäquaten Spesenentschädigung ist sicher ange-
                                                                          onell organisiert sind und manche Dienstleistun-      zeigt.
                                                                          gen zu Marktpreisen erbringen. Ohne diese
                                                                          Einnahmen könnten wir etwa die kostenlose So-         Wie wichtig ist die Vernetzung mit anderen
                                                                          zialberatung nicht finanzieren. Pro Senectute         Fachorganisationen?
                     Immer mehr ältere Menschen sind online,              Kanton Zürich leistet pro Jahr rund 3 Millionen       Sehr wichtig! Unsere ganze Welt ist vernetzter ge-
                     ­nutzen digitale Dienstleistungen. Wie reagiert      Franken direkte Finanzhilfe. Niederschwellig,         worden. Dem müssen auch wir uns stellen. Durch
                      Pro Senectute Kanton Zürich auf diesen Trend?       einfach und direkt unterstützen wir Menschen,         Synergien und Vernetzung entstehen vielfach bes-
                     Eine Studie von Pro Senectute hat kürzlich auf-      die finanzielle Schwierigkeiten haben. Dabei sind     sere Lösungen – und oft kreativere Ideen, weil man
                     gezeigt, dass sich die Internetnutzung in den        wir auch auf Spenden angewiesen. Und wir sind         sich mit verschiedenen Leuten zusammentut und          Persönlich
                     letzten 20 Jahren praktisch verdoppelt hat. Bei      verpflichtet, dass dieses Geld zielgerichtet und      gemeinsam diskutiert. Wir haben bereits verschie-      Véronique Tischhauser-Ducrot (49) ist seit Juli
                     den heute 80-Jährigen liegt jedoch ein «Digitali-    effizient eingesetzt wird. Bei Pro Senectute          dene Vernetzungs- und Synergieprojekte …               2020 Vorsitzende der Geschäftsleitung von Pro
                     sierungsgraben» – wer älter ist, nutzt meistens      Kanton Zürich fliessen denn auch nur 14 Prozent                                                              Senectute Kanton Zürich. Sie blickt auf eine
                     analoge Medien und Kommunikationsmittel.             unserer Einnahmen in die Administration. Der          … zum Beispiel CareNet+, das unter anderem             langjährige berufliche Erfahrung in führenden
                     Unsere Dienstleistungen müssen folglich so           Zewo-Standard liegt bei 25 Prozent.                   im Knonaueramt lanciert worden ist.                    Funktionen privater Unternehmen und öffent-
                     flexibel ausgestaltet sein, dass sie beide Seiten                                                          CareNet+ ist ein gutes Beispiel. Es geht darum,        licher Organisationen zurück, zuletzt als Ge-
                     ansprechen. Nehmen wir das Beispiel CasaGusto:       Was macht aus Ihrer Sicht denn eigentlich die         komplexe individuelle Situationen vernetzter an-       schäftsführerin der Spitex Zürichsee und als
                     Unseren Mahlzeitendienst kann man online im          «Seele» der Organisation aus?                         zuschauen und unter den verschiedenen Akteu-           Vorstandsmitglied des Spitex-Verbandes des
                     Internet, aber weiterhin auch telefonisch bestel-    Unsere Mitarbeitenden und unsere Freiwilligen!        ren sinnvoll zu koordinieren. Wir planen, dass         Kantons Zürich. Véronique Tischhauser hat an
                     len. Wichtig ist, dass wir die Entwicklung beglei-   Wir sind zwar eine alte Organisation, vor über        wir mit den Gemeinden im Knonaueramt ab 2021           der Universität Genf Politische Wissenschaften
                     ten und auf eine konkrete Situation reagieren        100 Jahren gegründet. Aber wir sind immer noch        Leistungsvereinbarungen treffen und von der            studiert und sich in berufsbegleitenden Aus-
                     können – wie zum Beispiel jetzt während der          sehr agil. Unser Motto – «gemeinsam stärker» –        Projekt- in die Betriebsphase übergehen können.        bildungen auf die Bereiche interne Kommuni-
                     Corona-Pandemie. Wir haben etwa bei AvantAge,        leben am besten unsere Mitarbeitenden und Frei-                                                              kation, Public Relations, Vertriebs- und Unter-
                     unserer Fachstelle für Alter und Arbeit, sehr        willigen, die Tag für Tag vor Ort sind.               Wo sehen Sie Pro Senectute Kanton Zürich in            nehmenskommunikation spezialisiert, zuletzt
                     schnell Online-Seminare angeboten.                                                                         10 Jahren?                                             über ein Zusatzstudium in Nonprofit-Manage-
                                                                          Apropos Freiwillige: Wie kann man auch                Digital und lokal: Das werden wohl die zwei            ment am Center for Philanthropy Studies der
                     Und wie waren die Reaktionen?                        künftig genug Menschen für unentgeltliche             Hauptpfeiler sein. Lokal die sozialen Kontakte         Universität Basel. Die gebürtige Genferin
                     Insgesamt sehr gut. Aus solchen Erfahrungen          Arbeit motivieren?                                    und die direkte Verbindung über unsere Freiwil-        wohnt mit ihrer Familie in Stäfa.
                     lernen wir.                                          Unsere Freiwilligen sind sehr wichtig. Sie sind       ligen vor Ort – das wird und muss bleiben, denn

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